Call for Papers Das Lager als Paradigma der Moderne? Eine soziologische Betrachtung von Agambens „Homo sacer“ aus aktuellem Anlass Ad-hoc-Gruppe beim 38. Kongress der DGS in Bamberg 2016 Organisation: Peter Isenböck, Christoph Mautz (Uni Münster) Das Lager ist der Ort, wo im negativen Sinne, so Hannah Arendt, „alles möglich ist“. Lager sind spätestens seit der juristischen Innovation der „Schutzhaft“, die sich die Nationalsozialisten zunutze gemacht hatten, Orte des gewollten Ausnahmezustandes, bei dem innerhalb einer Rechtsordnung etwas dauerhaft außerhalb der normalen Rechtsgeltung gesetzt wird. Damit stehen sie paradigmatisch für bio-politische und juridische Prozesse, die Staatsbürger vollständig auf das nackte Leben reduzieren können. Der Philosoph Giorgio Agamben geht in seinen Schriften – insbesondere in: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (1995; dt: 2002) – sogar so weit, die gesamte abendländische Rechtsentwicklung in der Entstehung des Lagers, das bis heute den biopolitischen Raum bestimmt, kulminieren zu lassen. Für ihn sind die gegenwärtigen Krisen des politischen Systems, die sich im Wiederauftauchen des Lagers als politischem Programm (in Guantanamo aber auch in den Flüchtlingslagern – so müsste man ergänzen) zeigen, keine vorübergehenden Anomalien, sondern Ausdruck einer verborgenen Matrix der Politik. Staatliche Macht fokussiert sich, so Agamben, immer mehr auf die Frage, wer sich in die Rechtsordnung einschreiben kann und darf. Aus soziologischer Sicht kann der von Agamben diagnostizierten Entkopplung von Geburt und nationalstaatlicher Zugehörigkeit nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Aber die gegenwärtige Flüchtlingskrise macht deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat und zu einem Rechtssystem tatsächlich für sehr viele Menschen zu einer Frage des Lebens und Überlebens geworden ist. Und auch ist zu erwarten, dass auf absehbare Zeit viele MigrantInnen ihr Leben in Lagern verbringen müssen, ohne dass ihr rechtlicher Status eindeutig geklärt wäre. Lager als rechtliche Schwellenräume, in denen die selbstverständliche Identität zwischen den Orten der Geburt und der Zugehörigkeit in Frage gestellt ist, sollten somit mehr in den Fokus soziologischer Analysen rücken. Die Ad-hoc-Gruppe setzt sich aus diesem Grund zum Ziel, ganz grundsätzlich zu diskutieren, welchen theoretischen Stellenwert das Lager als modernes (Exklusions-)Phänomen hat. Was spricht für und was spricht gegen die These Agambens, dass die juristischen Konzepte von „Notlage“ oder „Gefährdung“ alle Rechtsbegriffe unterminiert haben und dies sich vor allen Dingen im Lager zeigt? Inwieweit sind Flüchtlingslager Orte der rechtlichen Unklarheit und somit Orte von unmittelbarer Biopolitik? Eine soziologische Beantwortung dieser Fragen könnte dadurch an Profil gewinnen, dass die von Agamben behauptete Reduktion des Menschen auf das nackte Leben als identitätszersetzenden Vorgang zu betrachten sei, der sich im Rahmen von „totalen Institutionen“ (Goffman) abspielt. Was passiert wirklich, wenn Menschen zum Gegenstand von Biopolitik werden? Welche Wirkung hat das Lagerleben auf die soziale Identität? Kommt es im Lager zu einer Entdifferenzierung von Recht und Politik? Wie nehmen „Insassen“ und „Personal“ den Konflikt zwischen öffentlicher Darstellung der Institution „Lager“ als pragmatisch notwendiges Übel und inoffizieller Innenansicht, deren Rekonstruktion empirisch erst noch zu gewinnen wäre, wahr? Über Beitragsvorschläge zu diesen und weiteren Fragen sowie zu den provokativen Thesen Agambens würden wir uns freuen. Abstracts ( 1-2 Seiten) bitte bis zum 24. April 2016 per E-Mail an: [email protected] und [email protected]
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