Kein Reiz ohne eine kreative Runde

EDITORIAL
gent undercover, Codenames
und Mysterium: gleich drei außergewöhnliche Spiele, die von
polnischen, russischen, tschechischen
oder ukrainischen Autoren bzw. Verlagen
geschaffen wurden, sind in den letzten
Monaten bei uns erschienen. Alle drei
Titel sind Kommunikationsspiele – so hätte man sie jedenfalls früher genannt. Da
aber heutzutage Kommunikation ohne
technische Hilfsmittel fast unvorstellbar
ist, spricht man meist vom Partyspiel.
Was es aber auch nicht so richtig trifft.
Eine Party, bei der lediglich vier bis acht
Personen auftauchen – die dann teils
grübelnd um einen Tisch sitzen – ist doch
eher traurig.
Codenames, Mysterium und Agent
undercover sind aber überhaupt nicht
traurig, sondern höchst lebendig und verstehen es zu begeistern. Ob sie deshalb
sogar sehr gute Spiele mit einem weit
überdurchschnittlich großen Spielreiz
sind, ist keine leicht zu beantwortende
Frage. Normalerweise gehöre ich überhaupt nicht zu jenen, die damit hadern,
dass eine spielbox-Rezension in einer
präzisen Note gipfelt. Zumal sich die Leserinnen und Leser unseres Blattes solche
knappen Bewertungen wünschen. Bei den
drei genannten Titeln war ich mir aber
nicht so sicher, ob meine 9 jeweils wirklich treffend ist. Aber ich beruhige mich
damit, dass jede andere Note ebenso
„falsch“ gewesen wäre. Denn dieser Typ
Spiel beweist sich gewissermaßen erst am
Tisch, im Zusammenwirken mit den Menschen, die sich dort versammelt haben.
Anders sieht es bei einem „normalen“
Brett- oder Kartenspiel aus. Da steht mir,
wenn ich an der Reihe bin, zumeist nur
eine begrenzte Auswahl von Handlungsoptionen zur Verfügung, insbesondere
wenn ich mich darauf beschränke, die
sinnvollen Zugmöglichkeiten zu betrachten. Zwar gibt es bei Codenames oder
Agent undercover auch nur eine festgelegte Zahl an zu ratenden Dingen – aber
unendliche Möglichkeiten, das sprachlich
zu beschreiben. Und bei Mysterium lässt
sich unter den Traumbildern alles Denkbare vorstellen.
A
Gerade bei einfacheren und glücksbetonten Brettspielen schnurren hingegen
die Entscheidungsmöglichkeiten schnell
zusammen. Das kann so weit gehen, dass
ich als Kritiker das böse Urteil fälle, dass
ich mich „gespielt“ fühle. Aber wird man
nicht im Vergleich zu einem Kommunikationsspiel bei nahezu allen Brettspielen
„gespielt“? Bieten Codenames und Co.
eine neue Freiheitserfahrung?
Die Suche nach dieser Form der Freiheit
scheint sogar sehr ernsthafte Hobbyspieler zu erfassen, die normalerweise bei taktischen oder strategischen Überlegungen
aufblühen. Kurioserweise sind es sogar
oft diese, die bei einem sogenannten
Partyspiel den Sinn einer Regelung mit
präziser Punktvergabe anzweifeln. Total
zweckfrei zu spielen, das scheint ein Bedürfnis zu sein.
Der Reiz eines Brettspiels macht sich
aber oft daran fest, dass der Spannungsbogen in einer ordentlichen Punktewertung gipfelt. Siegen und verlieren: Um
das erfolgreiche Ende geht es. Bei guten
Kommunikationsspielen steht nicht das
Ziel, sondern der Weg im Mittelpunkt, die
Unterhaltung im Verlauf der Partie. Dabei sind wir in hohem Maße in der Hand
unserer Mitspieler. Nur wenn diese flott,
einfallsreich, humorvoll ihre Aufgabe bewältigen, macht es Spaß. Ganz einfach
messbar ist die erforderliche Leistung bei
Codenames: Wenn einem Mitspieler regelmäßig nur der „Oberbegriff“ für eine einzige Karte einfällt – und nicht mindestens
für zwei – dann geht der Spielreiz in den
Keller. Bei Mysterium und Agent undercover ist das Spielvergnügen nicht weniger
personenbezogen. Insbesondere wenn
jemand ewig überlegen muss, damit ihm
etwas Passendes einfällt, ist er der Partyspiel-Pooper, der in Zukunft höchstens
noch zum Grillen eingeladen wird.
Wenn ich Topbewertungen für Spiele
abgebe, steckt dahinter immer auch ein
erheblicher Optimismus. Nämlich der,
dass die zum Kauf animierten Leser auch
eine unterhaltsame Gruppe für diese Art
Spiel finden. Und die Hoffnung, dass ich
nicht auch irgendwann nur noch zum Grillen eingeladen werde. Harald Schrapers
spielbox
Kein Reiz ohne
eine kreative Runde
1
INHALT
spielbox
2 I 2016
I HINTERGRUND
I KINDERSPIELE
04 I 1000 Stunden
und 200 Partien
Von Afrika 1830 zu Mombasa
50
50
51
52
52
I AKTUELL
10 I Drucksache
Internationale Spielwarenmesse
Nürnberg 2016
I REPORTAGE
24 I Blüte in Chiang Mai
Spielen in Thailand
I
I
I
I
I
I SPIELWIESE
53
54
55
56
57
I
I
I
I
I
I EVERGREEN
27 I Runderneuert mit Seereise
Elfenland de luxe
I INTERVIEW
33 I Group und Family
Lila Girard
Chimera
Pi mal Pflaumen
Kobayakawa
Kumo Hogosha
Dead Man’s Draw
I RUBRIKEN
39
58
60
60
I
I
I
I
I SERIE
35 I Nicht ringen
für den Weltfrieden
Oldie: Wrasslin’
44 I Gib Gummi!
Pures Denkvergnügen
Stone Age Junior
Leo muss zum Frisör
El Capitan
Glupschgeister
Monstermenü
22
Appropos
In Kürze
Besser spielen
Impressum
I KRITIK
06 I Spielverbot überflüssig
Die unüblichen Verdächtigen
08 I Verhörtechnik gefragt
Agent Undercover
20 I Mörder und Gendarm
Die blutige Herberge
22 I Gewollt rauhes Klima
Bretagne
28 I Zur Not auch schlampig
Oh my Goods!
30 I Etagenwirtschaft
und Frühgeburten
Samara
32 I Nach links oder rechts?
Between Two Cities
36 I Tragische Figur
Churchill
40 I Zeitreise mit Kristallen
Steam Time
42 I Idealliniensuche
im Leitungslabyrinth
Gum-Gum-Machine
46 I Der vorletzte Mohikaner
Ships
48 I Zurück in die Zukunft
Temporum
33
04
30
24
48
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36
2
HINTERGRUND
Von Afrika 1830 zu Mombasa
1000 Stunden
und 200 Partien
Schon in Heft 1/16 hatte Wieland Herold angedeutet, dass Mombasa
asaa eine
egen die
lange und ereignisreiche Entwicklung durchgemacht hat. 30 Jahre liegen
Anfänge zurück, wie Autor Alexander Pfister berichtet. Als Jugendlicher
er erfindet er ein Afrika-Spiel, in dem man mit dem Schiff herumreist und Plantagen
erwirbt. Sein Geld investiert man in acht Städte, die um die Vorherrschaft in
Afrika kämpfen. Um 2008 herum greift er diese Idee wieder auf und stattet sie
mit moderneren Mechanismen aus. Aus den Städten werden Handelskompanien; ein Deckbaumechanismus simuliert die Produktion der Plantagen. Während
die Handelskompanien schon mit Skalen versehen sind und die Karten bereits
rotieren, werden die Waren noch in Holzklötzchen ausbezahlt. Jede Warenart
hat ihren eigenen Vorteil. Das Spiel ist recht einfach gehalten, die Anleitung
umfasst 2010 lediglich zwei Seiten plus eine weitere Seite für die Karten- und
Skalenerklärung. Für den Hippodice-Wettbewerb gelten die Eckdaten: für 2–5
Personen, 60 Minuten Dauer.
D
recht nahe kam. Auch das Aktiensystem mit vier flexiblen Aktienskalen war
schon vorhanden. Und Häuser, die man
ausbreitete, steigerten den Aktienwert.
Noch nicht zufrieden war man mit den
noch recht unattraktiven Ausbreitungsmöglichkeiten auf
der Afrikakarte. Da gewann
Alexander kurz darauf den
Autorenwettbewerb des Hippodice-Spieleclubs. Schnell
wollte man sich über eine
Veröffentlichung einigen.
Doch es kam anders. Viktor
begann, das Spiel intensiv zu
testen. Während Alexander
ein gehobenes Familienspiel
vorschwebte, sah Viktor aufgrund der anspruchsvollen
Kernmechanismen Vielspieler
als Zielgruppe, worauf sich
Alexander bereitwillig einließ.
Mehr als üblich kniete sich
der Redakteur hinein – mit
bewundernswerter Ambition:
Zwischenzeitliche Version mit Suezkanal
„Letztlich wollte ich ein Spiel,
das meinen persönlichen Geschmack
zu illustrieren, hatte dem Autor versprohaargenau trifft, in jeder Hinsicht überchen, seinen Prototyp „Afrika 1830“ (so
zeugt und das ich selbst nie müde werde
der damalige Titel) 2010 auf der Messe in
zu spielen.“ Voller Leidenschaft steckte er
Essen ein bisschen herumzuzeigen. Tobias
über 1000 Stunden in dieses Projekt. Er
Stapelfeldt zeigte Interesse und durfte es
spielte mehr als 200 Testpartien, davon
mitnehmen. Beim eggert-Verlag war es
unzählige gegen sich selbst.
dann aber Viktor Kobilke, der schließlich
Im Laufe der Entwicklung wurden die
die Bearbeitung übernahm. Am besten
Regeln immer wieder abgeändert: Urgefiel der innovative Karten-Mechanissprünglich gab es keine Spielertableaus;
mus, der dem im fertigen Spiel schon
spielbox
er Kontakt zum Verlag hatte
jedoch schon vorher stattgefunden. Grafiker Klemens Franz,
der sich im Falle einer Veröffentlichung
natürlich darauf freuen würde, das Spiel
4
jeder legte
die Karten einfach vor
sich ab. Der Ertrag der Plantagen hing
von einem Wetterwürfel ab. Zunächst
waren die drei Warenarten abstrakt, dann
wurden daraus Kaffee, Bananen und
Gold.
Im weiteren Verlauf wollte Viktor die
Farben von drei der Kompanien (rot, orange, weiß) in einen Zusammenhang stellen
mit den Warenarten (Kupfer, Gewürze, Elfenbein). Allerdings erkannten die meisten Testspieler die Stoßzähne nicht richtig
und nannten sie ständig Bananen. Da
auch sonst die zu feste farbliche Anbindung an die Kompanien Probleme bereitete, kehrten sie schließlich doch wieder
zu Kaffee und Bananen zurück, während
sich Gold in Baumwolle verwandelte.
Um die Konkurrenz und den Anreiz zur
Ausbreitung auf dem Spielplan zu fördern, wurden einzusammelnde Edelsteine hinzugefügt, die dann später zu den
Diamantenminen mutierten. Mit Hilfe
der neu eingeführten Spielertableaus
wurden die ausgezahlten Warenarten
auf Skalen festgehalten, da man sie auch
Mehr oder minder die Version für
den Hippodice-Wettbewerb, aber
hier mit zwei Nebengesellschaften
ten und in den sie investierten, wurde
wieder abgeschafft.
Die intensive Bearbeitung ist Mombasa
deutlich anzumerken. Nach fünf Jahren
Entwicklungszeit ist, wie auch die Noten
zur Rezension im vorigen Heft belegen,
ein sehr ausgereiftes Werk entstanden.
Schade nur, dass wir Spieler realistischerweise nicht damit rechnen können, dass
jeder Neuheit 1000 Stunden redaktioneller Bearbeitung zukommen werden.
Christwart Conrad
Wie weit soll politische
Korrektheit im Spiel gehen?
Kommentar von Christwart Conrad
Bonusmarker erhöhten den Entscheidungsdruck noch mehr.
I Der Suez-Kanal
wurde verworfen
Neben den Rohstoffkarten und den
Reitern (die später zu Ausbreitungskarten
mutierten) wurden viele Kartenarten ausprobiert – und wieder verworfen: Schiffe,
Händler, Kaufleute, Piraten, Aristokraten
sowie einmalig wirksame Karten. Auch
der Suez-Kanal, an dem die Spieler bau-
Titel und Thema
Mit der Titelwahl tat man sich nicht leicht. Der Ursprungstitel „Afrika 1830“ war bewusst an die 18xx Spiele angelehnt, was aber nun eher als hinderlich eingeschätzt
wurde. Viktor war vom Klang des Namens „Mombasa“ zwar sehr angetan, sah aber
natürlich auch das Problem, dass Mombasa eigentlich nur eine der vier wichtigen
Städte ist. Nicht zuletzt deshalb hebt sich die Stadt mit ihrer zentralen Ausgangslage und ihrem an die Ausbreitungskarten gekoppelten Mehrheiten-Bonus von den
anderen Städten spieltechnisch ab.
Von der aufbrandenden Kontroverse ums Thema, als die ersten Informationen über
die Neuerscheinung durchsickerten, war der Verlag überrascht. Das mag daran liegen, dass zwar Klemens Franz das Cover in seinem eigenen, comic-artigen Stil entwarf, die Fertigstellung jedoch aus Zeitgründen Andreas Resch übernahm. Dessen
realistischerer Stil gibt dem Ganzen dann eine ganz andere Bedeutungsschwere.
Viktor war davon ausgegangen, dass Spieler bereitwillig abstrahieren, weshalb
unterschwelligen Themen und der Historie, die sich den Spielmechaniken unterordnen, kaum noch Relevanz zukommt. Zu dieser Problematik wollte er unbedingt
Stellung beziehen und auf die Kritik eingehen. Für eine Änderung des Covers war
es jedoch zu spät. Wochenlang überlegte er, wie er der Empörung etwas den Wind
aus den Segeln nehmen könnte und entschied sich für einen Einleitungstext, der
ausdrücklich den Anspruch einer historischen Simulation verwirft, gleichzeitig aber
die Ausbeutung Afrikas durch die Kolonialmächte, die nicht ins Spielgeschehen eingebunden sind, nicht verschweigt.
Wenn gefordert wird, dass bestimmte
Themen für Spiele tabu seien oder in
politisch korrektem Sinne dargestellt
werden sollten, sind sich die selbsternannten Moralapostel keineswegs
immer über die korrekte Linie einig.
Bereits vor der Veröffentlichung von
Mombasa wurde das Schachtelcover
als klischeehaft kritisiert, weil es die
Kolonialzeit romantisiere. Zugleich
wären die damit eng verknüpfte Ausbeutung sowie die Sklavenarbeit und
der Sklavenhandel ausgeblendet.
Die Forderung nach einer historisch
korrekten und umfassenden Simulation, sobald ein geschichtliches Thema aufgegriffen wird, ist schärfstens
zurückzuweisen. Mombasa hat weder
expliziten Simulationsanspruch noch
suggeriert es ihn. Im Übrigen steht es
Autor und Verlag grundsätzlich völlig
frei, welche Aspekte der Realität sie
umsetzen. Und die Unterstellung der
Glorifizierung kolonialer Zustände ist
schlichtweg absurd.
Es ist schade, dass ein Verlag wie
Days of Wonder sich bemüßigt sieht,
Sklaven in Fakire zu verwandeln (in
Five Tribes) – aber nachvollziehbar,
wenn man auf den Umsatz schielt.
Hier geht es vor allem um den amerikanischen Markt., was nahelegt, dass
sich die Nörgler aufgrund ihres Unbehagens mit den realen politischen Zuständen zu Wort melden. Die Folgen
der Sklavenhaltung sind noch nicht
überwunden, wie die immer wieder
aufkeimenden Rassenunruhen belegen. Spielen, so wie unsereins und
auch die Nörgler es betreiben, verleitet nicht zum Rassismus.
Christwart Conrad
spielbox
ansparen konnte. Dann
wurden die Karten-Slots
eingeführt, die teilweise
Einschränkungen aufwiesen. Zwei zusätzliche mussten auch hier
freigeschaltet werden,
allerdings nur mit einem
eigenen Pfad, auf dem
man mit Waren voranrückte. Irgendwann kam
Alexander auf die Idee,
dafür aufgedruckte Aufträge zu kreieren. Daraus entwickelte Viktor
dann das flexible System mit den Büchern.
Irgendwann ersetzten
Karten die Waren, die
nun nicht mehr lagerfäViktor Kobilke
hig waren. Ihre Abschaffung führte zu größerer
Direktheit und erhöhte das planerische
Element. Früher führte jeder Spieler alle
seine Karten auf einmal aus. Nur am
Ende der Runde bestand dann für jeden
die Möglichkeit, ein Mal eine neue Karte zu erwerben. Um den Entscheidungsdruck zu erhöhen und die Leerlaufzeit zu
verringern, änderte sich dies. In seinem
Zug durfte man nun prinzipiell nur eine
Aktion ausführen. Damit kribbelten die
Entscheidungen plötzlich. Die nach dem
Personaleinsatzprinzip nutzbaren neuen
5
KRITIK
Die unüblichen Verdächtigen
Spielverbot überflüssig
Darf man das spielen? Mehr noch: Darf man daran Spaß haben? Nein, wir reden
hier diesmal nicht von irgendeinem Zombie-Gemetzel oder einer Kriegs-Simulation, die in diesem Fachmagazin seit jeher ihre Daseinsberechtigung haben. Wir
reden vielmehr über ein Thema „aus der Mitte der Gesellschaft“, wie Politiker
sagen würden. Es geht um die Einschätzung anderer – oder ganz schlicht: um
Vorurteile. Und das macht Die unüblichen Verdächtigen aktuell so heikel.
D
spielbox
ie etwas hanebüchene Spielgeschichte lautet wie folgt: Die Polizei hat mehrere Verdächtige festgenommen. Der etwas seltsame Zeuge
kann sich aber nicht an das Aussehen des
Täters erinnern, dafür aber an dessen Gewohnheiten, Meinungen und Vorlieben.
Die teilt er den anderen Spielern, den
Ermittlern,
mit.
Nach und nach
schließen die so
die Unverdächtigen aus. Je schneller dies gelingt,
desto besser ist die
Gruppe.
6
12 Personenkarten werden in einem
3 4-Raster offen ausgelegt. Der Zeuge
bekommt verdeckt über eine Karte mitgeteilt, an welcher Position in der Auslage sich der Schuldige befindet. Nun zieht
ein Ermittler eine Fragekarte und liest
laut vor: „Hat er/sie ein Smartphone in
der Tasche?“ Der Zeuge, dessen Augen
wie bei Scotland Yard durch eine etwas
unansehnliche Stoffkappe verdeckt werden, überlegt und antwortet mit ja oder
nein.
Daraus zieht das Ermittlerteam seine
Schlüsse: Es betrachtet die zwölf ausliegenden Karten. Nehmen wir an, der Zeuge hat „nein“ gesagt, so dauert es meist
nur zwei Sekunden, bis der Gruppe klar
ist: Ohne Smartphones können heute
nur noch absolute Technikfeinde leben.
Also werden – sobald die Gruppe die
ja-nein-Problematik auch dieses Spieles
verstanden hat – alle jüngeren, modernen Menschen aussortiert. Je mehr pro
Zug ausscheiden, desto besser. Es bleiben
also ältere Herrschaften sowie diejenigen
über, die aufgrund ihres sonstigen Aussehens als innovationsfeindlich oder altmodisch eingeschätzt werden.
Dann wird die nächste Frage vorgelesen: Mag er Kinder? Arbeitet sie ehrenamtlich? Zahlt die Person ihre Steuern?
Bereits jetzt schnappen Mitspieler nach
Luft: Darf man das? Manchmal entstehen
schon erste Diskussionen. Deshalb noch
ganz flott die restlichen Regeln: Sortiert
die Gruppe den Verdächtigen aus, hat
sie verloren. Findet sie ihn, gewinnt sie.
Um Ergebnisse vergleichbar zu machen,
gibt es für jeden Aussortierten je nach
Rundenzahl Minuspunkte. Die Ermittlergruppe, die am wenigsten sammelt, ist
die beste. Was aber meistens niemanden
interessiert. Aufgabe gelöst oder nicht,
das ist die Frage.
I Vorurteile allenthalben
Und dann? Spätestens nach der ersten Partie wird sich jemand am Tisch
räuspern und fragen: „Was spielen wir
da eigentlich?“ Bis zu diesem Zeitpunkt
haben übrigens alle meine Gruppen gern
mitgemacht. Und jede, wirklich jede hatte an Die unüblichen Verdächtigen ihren
Spaß – egal in welcher Alters- oder Berufsgruppe. Selbst das Kollegium einer
Berufsschule zockte voller Freude mit.
Woran liegt das? Vielleicht, weil wir es
alle tun, überall, immer wieder? Bei der