Arthur F. Burns Fellowship Abschlussbericht von Sven Böll („The

Arthur F. Burns Fellowship
Abschlussbericht von Sven Böll
(„The Wall Street Journal“)
Das „Wall Street Journal“ (WSJ) ist die auflagenstärkste Zeitung der USA und beschäftigt
weltweit weit über 1000 Mitarbeiter. Angesichts dieser nahezu unbegrenzten journalistischen
Ressourcen liegt es nahe, dass dort niemand sehnsüchtig auf einen deutschen Fellow wartet.
Und dennoch: Ich wurde beim WSJ von Anfang an nett aufgenommen. Die Kollegen haben sich
bemüht, mich in vielerlei Hinsicht zu unterstützen - sei es im Hinblick auf Recherchen, die
besondere Schreibe der Zeitung oder die Organisation eines Presseausweises für das Kapitol.
Stellvertretend für das Engagement steht die Frage, die mir mein Editor Neil King zu Beginn
stellte: „Wann ist dieses Fellowship für Dich ein Erfolg?“
Angesichts der Größe der Redaktion gilt aber auch: Wer sich nicht reinhängt, nicht Geschichten
anbietet und während der Produktion ständig nachhakt, was daraus geworden ist, geht beim
WSJ unter. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist vor allem in der New Yorker Zentrale hoch, wo sich
das Großraumbüro über mehrere Etagen erstreckt und man Redakteure nur dank genauer
Wegbeschreibung findet.
Das WSJ hatte mir vorgeschlagen, die Zeit zwischen Washington D.C. und New York aufzuteilen und dieses Angebot hat meinen Aufenthalt auf jeden Fall bereichert. Zunächst habe ich fünf
Wochen im Hauptstadtbüro (Ansprechpartner: Global Economics Editor Neil King und sein
Stellvertreter Sudeep Reddy) verbracht. Von dort wird neben der nationalen politischen auch die
weltweite Wirtschaftsberichterstattung gesteuert. Ich war dem Ressort Global Economics
zugeordnet und blieb auch in den vier New Yorker Wochen in diesem Team (Ansprechpartner:
News Editor Brian Hershberg und Reporter Timothy Aeppel).
Weil die WSJ-Redakteure nicht nur die Tageszeitung bestücken, sondern auch andere Bereiche
des Imperiums von Rupert Murdoch (u.a. die Webseite wsj.com mit ihren unzähligen Blogs sowie
die Nachrichtenagentur Dow Jones Newswires), entsteht während eines Tages eine
unüberschaubare Fülle an Inhalten. Ein Kollege nannte den Output der Redaktion ironisch
„quantent“.
Die diversen Kanäle eröffnen einem als Fellow die Chance, vor allem kleinere Online-Geschichten
bzw. Blog-Beiträge zu schreiben. So gelang es mir, einige Beiträge im „Real Time Economics“Blog zu veröffentlichen. Verständlicherweise kann man als Deutscher vor allem mit Themen über
Deutschland und Europa punkten. Einerseits sind die WSJ-Korrespondenten für die Kollegen an
der Ostküste weit weg, andererseits ist ihre eigene Expertise zu diesen Themen begrenzt. Diese
Lücke bietet entsprechende Möglichkeiten.
So ist auch ein Report entstanden, der es sogar bis in die Tageszeitung geschafft hat. Während
eines Gesprächs mit einem Editor ging es um German Apprenticeship. Das Thema berufliche
Qualifizierung treibt sowohl Politik als auch Unternehmen in den USA derzeit stark um - und das
Interesse dabei gilt vor allem Deutschland. Wie die Vorrecherchen ergaben, kann von einem
deutschen Exportschlager allerdings nicht die Rede sein, denn vor allem deutsche Tochterfirmen
importieren die duale Ausbildung von den Mutterkonzernen aus der Heimat, originäre USUnternehmen dagegen halten sich vornehm zurück.
Weil dieses Ergebnis das Interesse für das Thema noch verstärkte, konnte ich sogar eine vom
WSJ bezahlte Reise zu Volkswagen in Tennessee unternehmen. Und nach einigen Geburtswehen
(die Entstehungsgeschichte eines gedruckten Artikels beim WSJ würde diesen Rahmen sprengen)
wurde der Text schließlich auf Seite 2 der Tageszeitung veröffentlicht. Dass es ein ausländischer
Gastredakteur schafft, einen Artikel so prominent zu platzieren, hat nicht nur mich sehr gefreut,
sondern auch die Kollegen.
Bereits während meiner Zeit beim WSJ habe ich Geschichten für den SPIEGEL recherchiert.
Meinen anschließenden Aufenthalt im New Yorker SPIEGEL-Büro, der bis in den November
dauerte, habe ich für den Abschluss der Recherchen genutzt. Unter anderem sind Reports über
die Renaissance von Detroit, den Medienwandel in den USA, die Probleme von Fast Food-Ketten
angesichts des Trends zu gesünderem Essen und den Boom der Mikrobrauereien entstanden.
Für SPIEGEL ONLINE habe ich unter anderem eine Geschichte über die Schwierigkeiten der New
Yorker U-Bahn verfasst, angesichts begrenzter finanzieller Mittel das Nahverkehrssystem reif für
das 21. Jahrhundert zu machen.
Das Arthur F. Burns Fellowship hat mir die einzigartige Möglichkeit eröffnet, fast vier Monate in
den USA zu verbringen und dabei Einblicke zu gewinnen, die ich weder als Tourist noch als vor
Ort recherchierender deutscher Journalist jemals bekommen hätte. Dazu haben neben den
geschilderten Erfahrungen und Recherchen auch unzählige Gespräche mit den US-Kollegen beim
WSJ und deutschen Korrespondenten in Washington und New York beigetragen. Für all das bin
ich sehr dankbar. Ich habe viele persönliche Kontakte geknüpft, die mir einerseits helfen, wenn
ich erneut beruflich mit USA zu tun habe werde, die andererseits aber auch eine enorme
menschliche Bereicherung waren.
Auch wenn es abgegriffen klingen mag, weil ich es selbst immer wieder erlebt habe, erlaube ich
mir, es auch aufzuschreiben: Der schier grenzenlose Optimismus der Amerikaner und ihre „Can
do“-Attitüde haben mich tief beeindruckt. Besonders prägend waren meine Recherchen in
Detroit, einer arg gebeutelten Stadt, in der viele Menschen einfach anpacken. Den Hang der
Deutschen zum Kritisieren auf hohem Niveau fand ich schon vor meiner Abreise in die USA
irritierend. Die wahre persönliche Bewährungsprobe, so meine aktuelle Einschätzung, dürfte mir
nach meiner Rückkehr also erst noch bevorstehen.