Katharina Bahlmann Arthur C. Danto und das Phantasma vom

Katharina Bahlmann
Arthur C. Danto und das Phantasma vom ,Ende der Kunst‘
F5871_Bahlmann.indd 1
18.05.15 16:12
F5871_Bahlmann.indd 2
18.05.15 16:12
Katharina Bahlmann
Arthur C. Danto
und das Phantasma vom
‚Ende der Kunst‘
Wilhelm Fink
F5871_Bahlmann.indd 3
18.05.15 16:12
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gutenberg Akademie der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Hanns-Lilje-Stiftung
Umschlagabbildung:
Arthur C. Danto, Study for Dead Man, Black Bird,
Holzschnitt auf japanischem Maulbeerbaum-Papier, 1961/Druck 2011
Rechte am Bild: Courtesy Wayne State University Art Collection, Detroit, MI
Rechte an der Fotografie: Martin Vecchio Photography
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05: Philosophie und Philologie der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2014 als Dissertation zur Erlangung des
akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen
Wiedergabe und der Übersetzung, sind vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung
und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch
alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente,
Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG
ausdrücklich gestatten.
© 2015 Wilhelm Fink, Paderborn
Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn
Internet: www.fink.de
Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München
Printed in Germany
Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn
ISBN 978-3-7705-5871-1
F5871_Bahlmann.indd 4
18.05.15 16:12
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1. Das ‚Ende der Kunst‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.1 ‚Danto as Philosopher‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.2 Arthur C. Danto: „Das Ende der Kunst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.3 Andy Warhols Brillo Boxes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
1.4 Die Berührung von Kunstgeschichte und Kunstbegriff . . . . . . . . . . 32
1.5 Die Frage nach den Grenzen der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2. Die Grenze zwischen Kunst und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.1 Die Konstitution der Grenze zwischen Kunst und Realität . . . . . . . 40
2.2 Zur Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Realität . . . . . . . . . 48
3. Die Grenze zwischen Kunst und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.1 Die prinzipielle Nähe von Kunst und Philosophie . . . . . . . . . . . . . 60
3.2 Das Philosophisch-Werden der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.2.1 Von der Geschmacks- zur Bedeutungsästhetik . . . . . . . . . . 68
3.2.2 Die Frage der Ununterscheidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Exkurs: die vermeintliche Ununterscheidbarkeit der
Duchamp’schen und Warhol’schen Geste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3.2.3 Die Selbstbewusstwerdung der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.3 Die Trennung von Kunst und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.4 Zur logischen Grenze zwischen Kunst und Philosophie . . . . . . . . . 80
4. Die Grenze zwischen Kunst- und Nachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . 97
4.1 Der historische Standort als Grenze der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.2 Immanente Kunstgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
4.3 Von der ‚Kunstwelt‘ in historischer Perspektive zu ‚alles ist
möglich‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.4 Von der Narrativität der Kunstgeschichte zum ‚Außerhalb der
Geschichte‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
4.5 Die Fortschrittsgeschichte der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.5.1 Bezugspunkte von Dantos Fortschrittsgeschichte der Kunst 143
4.5.2 Danto und die Paradigmentheorie Kuhns . . . . . . . . . . . . . . 154
4.5.3 Dantos Metanarrativ der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
4.6 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
F5871_Bahlmann.indd 5
18.05.15 16:12
6
Inhalt
5. Die ‚Wieder-holung‘ der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
5.1 Nach … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
5.2 Iterationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
5.3 Noch einmal … Danto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
5.3.1 Der Anfang nach dem Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
5.3.2 Stil und Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
5.3.3 Sinnhafte Unendlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
5.4 Vorwärts erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
5.4.1 Søren Kierkegaard: Die Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
5.4.2 Die Wiederholungsschrift in kunstphilosophischer
Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
5.5 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
F5871_Bahlmann.indd 6
18.05.15 16:12
Einleitung
D
er Blick auf die zeitgenössische Kunst wird häufig von einem Gefühl des Unbehagens begleitet. Dieses rührt nicht zuletzt daher, dass sich die Kunst dem Banalen und Unbedeutenden gegenüber geöffnet hat und damit droht, im alltäglichen
Rauschen des Gewöhnlichen ihre Kontur zu verlieren. Denn welchen Sinn sollte die
Kunst noch haben, wenn ihre Werke dem äußerlichen Anschein nach jenem Geplapper, jenen Bildern, Dingen, Geräuschen und Situationen genau gleichen, denen wir
Tag für Tag begegnen – wenn die Kunst nach Alltag riecht und vermeintlich genauso
wie unser tägliches Brot schmeckt? In diesem Sinne scheint nicht nur die Ästhetik – wie der französische Philosoph Jacques Rancière schreibt – „einen schlechten
Ruf“ zu haben und kaum ein Jahr zu vergehen, „dass nicht ein neues Buch entweder
das Ende ihrer Tage, oder die Fortführung ihrer Missetaten“1 verkündete; Gleiches
könnte genauso gut für die Kunst selbst festgehalten werden. Tatsächlich gehen die
Rede vom ‚Ende der Kunst‘ und die Rede vom ‚Ende der Ästhetik‘ nicht selten Hand
in Hand.2 Doch damit nicht genug, werden mit Blick auf die nachmoderne Kunstwelt ebenso das ‚Ende der Kunstgeschichte‘, das ‚Ende der Kunstkritik‘, das ‚Ende
der Kunsttheorie‘, das ‚Ende der Kunstphilosophie‘ sowie das ‚Ende des Museums‘
beschworen oder gegeneinander ausgespielt.3
In den Betrachtungen dieser Arbeit gilt es, dieses Unbehagen an der zeitgenössischen Kunst mit dem Unbehagen an der These vom ‚Ende der Kunst‘ zu konfrontieren. Dazu seien einleitend der Austragungsort dieser Konfrontation sowie das
Feld der genannten apokalyptischen Reden in groben Zügen skizziert.
Fragt man zunächst nach der Berechtigung der end-versessenen Reden, so liegt
angesichts der anhaltenden Kunstproduktion der Verdacht nahe, dass es sich hier
lediglich um das kulturpessimistische Gerede einiger weniger selbsternannter Propheten handelt. Womöglich ist es nur eine Frage der persönlichen Haltung und
damit eine Frage des jeweiligen Kunstbegriffs, ob das Ende oder das Fortbestehen
der Kunst ausgerufen wird – ähnlich wie Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus
erklärt, dass „die Welt des Glücklichen […] eine andere als die des Unglücklichen“4
sei. Beide Lager, die Glücklichen und die Unglücklichen, die Verkünder einer leben 1 Rancière 2004; 2008, S. 11.
2 Vgl. in diesem Sinne Kuspit 2004, v. a. S. 1-13 sowie Danto, bspw. „Vorwort“, in: Entm, S. 1522.
3 Vgl. dazu insbesondere die Positionen von Arthur C. Danto, Hans Belting, Victor Burgin und
Donald Kuspit, Douglas Crimp und Joseph Kosuth („Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 109145; Belting 1995; 2002; Burgin 1986; Kuspit 2004; Crimp 1996 sowie Kosuth 1969; 1974).
4 Tract 6.43, S. 83.
F5871_Bahlmann.indd 7
18.05.15 16:12
8
Einleitung
digen und die Apostel einer toten Kunst, könnten sich so besehen gegenseitig bezichtigen, lediglich einem Trugbild anzuhängen, so dass dem Phantasma vom ‚Ende
der Kunst‘ das Phantasma einer ‚lebendigen Kunst‘ unvermittelt zur Seite stünde.
Demgegenüber ist die vorliegende Arbeit von dem Gedanken getragen, dass ein
Austausch zwischen diesen beiden Lagern möglich ist und sich eine Argumentation
gegen das endgültige Ende der Kunst auf gute Gründe berufen kann, um ebendieses Ende als eine Täuschung zu enttarnen. Doch haben sich die folgenden Betrachtungen dabei mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass das Phantasma vom ‚Ende
der Kunst‘ ein überaus mächtiges Trugbild ist, da es nicht zuletzt die logische Folgeordnung von Symptom und Diagnose umzukehren vermag. Denn so wie ein
Mensch, welcher der Überzeugung anhängt, am Ende statt am Anfang seines Lebens zu stehen, sich gewissermaßen um sein Leben bringt, so bleibt die Vorstellung
des Endes auch der Kunst gegenüber nicht äußerlich, sondern hat die Kraft, ihre
Entwicklung entscheidend zu prägen.
Blicken wir auf die Geschichte zurück, so ist es bemerkenswert, dass von einer
‚Krise‘ oder einem ‚Ende der Kunst‘ nicht erst in nachmodernen Zeiten die Rede
ist. In den kunstphilosophischen Diskurs hat das ‚Gerücht vom Ende der Kunst‘
spätestens mit Hegel Einzug gehalten und seinen Widerhall in den Schriften von
Nietzsche, Heidegger, Benjamin, Adorno sowie Gehlen gefunden.5 Auch das
künstlerische Schaffen selbst hat sich immer wieder aus der Auseinandersetzung
mit eben jenem Ende gespeist, wofür sich insbesondere die Beschäftigung mit dem
‚Ende der Malerei‘ zu Beginn des 20. Jahrhunderts anführen ließe – denken wir an
Marcel Duchamps 1912 vollzogene Abkehr von der Malerei oder an Alexander
Rodtschenkos als Endpunkt angepriesenes Triptychon Reine Farbe Rot, reine Farbe
Gelb, reine Farbe Blau.6 Beziehen wir darüber hinaus kunsthistorische sowie kunsttheoretische Positionen in unsere Betrachtung mit ein, so lässt sich die Vorstellung
einer endlichen Kunst über Winckelmann und Vasari hinaus bis in das erste Jahrhundert nach Christus zu Plinius dem Älteren zurückverfolgen.7 So besehen steht
die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ der Kunst schon seit jeher zur Seite.
Dabei wird gerade im Zuge früher kunsthistorischer Schriften deutlich, dass die
Rede vom ‚Ende der Kunst‘ nicht nur eine Entwertungsfunktion in sich trägt,
sondern vielmehr – wie in Vasaris Preisung Michelangelos als Vollender der
Kunst8 – die Grenze zwischen Aufstieg und Verfall, zwischen dem Werthaften und
dem Wertlosen zieht. In diesem Sinne stellt die Rede vom ‚Ende‘ die Unwiederhol 5 Vgl. dazu Lepenies 1992, S. 83; Seubold 1997, S. 53-113 sowie Geulen 2002.
6 Vgl. Daniels 1992, S. 36-41 sowie Meinhardt 1997.
7 Vgl. Plinius 1978; 2007, Cap. II, § 5, S. 14f., Cap. X, § 28, S. 30f. sowie Cap. XXXII, § 50,
S. 51-54; „Vorrede des Dritten Teils (1568)“, in: Vasari 2004, S. 102f.; Winckelmann 1764;
2002, S. 836/838 [S. 430f.] sowie dazu Geimer 2002. 8 Vgl. „Vorrede des Dritten Teils (1568)“, in: Vasari 2004, S. 102f.: „Unter den Toten und Lebenden aber gebührt die [Sieges-]Palme dem göttlichen Michelangelo Buonarroti, der alle eingeholt hat und übertrifft, so daß er nicht nur in einer dieser Künste die Vorrangstellung innehat,
sondern in allen dreien gleichzeitig. Er überflügelt und besiegt nicht nur all jene, denen es gelungen war, die Natur annähernd zu bezwingen, sondern selbst jene unvergleichlich berühmten
Künstler der Antike, die selbige zweifellos und auf so lobenswerte Weise übertrafen.“
F5871_Bahlmann.indd 8
18.05.15 16:12
Einleitung
9
barkeit des künstlerischen Aktes, die Originalität und Singularität der Kunst beziehungsweise des einzelnen Kunstwerks heraus. Wenn die Kunst als eine besondere
Stätte der Kultur und damit des Menschseins verteidigt werden soll, so scheint dies
unweigerlich eine Geste der Entwertung, die Abgrenzung gegenüber dem, was
nicht Kunst ist, nach sich zu ziehen. Aus dieser Perspektive wird mit der Rede vom
‚Ende der Kunst‘ die Unersetzlichkeit der Kunst erstritten sowie die Einheit der
Kunst verteidigt. Da die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ somit die Kunst stets als
Ganze fokussiert, kann die Frage nach ebendiesem Ende gewissermaßen als kunstphilosophische Frage par excellence gelten.
Vermittels der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ wird jedoch nicht nur der Wert der
Kunst verhandelt; im gleichen Atemzug wird die Kunst auch in eine zeitliche Perspektive gerückt. Daher geht mit der Behauptung eines ‚Endes der Kunst‘ in der
Regel auch die These vom ‚Ende der Kunstgeschichte‘ einher, insofern nach ebendiesem Ende keine Entwicklung der Kunst mehr möglich ist.
Einerseits zerfällt das Ende der Kunst damit in ganz verschiedene Enden; doch
andererseits vermag die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ gerade deshalb eine bemerkenswerte Einheit zu stiften. Denn indem sie ein Denken des Werdens und ein
Denken des Wesens von Kunst ineinanderschließt, lässt sie auch die verschiedenen
Wissenschaften der Kunst einander begegnen: jene, welche die Kunst in erster Linie
als zeitliches Phänomen verstehen, und jene, welche in ihr primär einen spezifischen Ausdruck unseres Menschseins sehen.9
Wenden wir uns vor diesem Hintergrund dem Inhalt der aktuellen Version vom
‚Ende der Kunst‘ zu, so lässt sich als Kern dieser Rede das Phänomen der Wiederholung in der Kunst fokussieren, das gleichermaßen sowohl den Wert als auch die
historische Entwicklung der Kunst in Frage zu stellen vermag. Die einführenden
Bemerkungen zum Unbehagen angesichts der Banalisierung von Kunst haben bereits auf den drohenden Wert- und Bedeutungsverlust der Kunst verwiesen. So
scheint aus einer Kunstwelt, in der alles gleichermaßen möglich ist, als einziges die
Kunst selbst ausgeschlossen zu sein; denn eine solch egalitäre Kunstwelt stellt die
Geste der Auszeichnung vermeintlich von Grund auf in Frage. Werden die Anfänge
dieser Entwicklung gemeinhin mit den Ready-mades Marcel Duchamps und sodann mit der Pop Art in Verbindung gebracht, so könnte man die Arbeit Von Jedem
Eins des Frankfurter Künstlers Karsten Bott als eine akribische und radikale Umsetzung dieser Tendenz zur ‚Banalisierung‘ der Kunst interpretieren.10 Seit 1988
sammelt Bott in seinem „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“ Dinge des Alltags
und ordnet sie den unterschiedlichen Lebensbereichen, wie ‚Innengestaltung‘,
‚Oberbekleidung‘, ‚Lebensmittelimitate‘ oder aber auch ‚Kunst‘, zu. Im Jahr 2007
umfasste seine Sammlung bereits etwa eine halbe Million Objekte. Botts Bestandsaufnahme des alltäglichen Lebens, die sich weder um Gebrauchsspuren noch um
das Intaktsein der Gegenstände schert, teilt einer Bach-Langspielplatte genauso wie
9 Die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ schafft somit die Möglichkeiten dafür, den Streit über einen
angemessenen Zugang zur Kunst – zumindest nachträglich – beizulegen, vgl. zu diesem Streit
bspw. Meyer Schapiros Kritik an Heideggers Kunstwerk-Aufsatz (Schapiro 1968).
10 Vgl. dazu sowie zum Folgenden Bott 2007.
F5871_Bahlmann.indd 9
18.05.15 16:12
10
Einleitung
dem Pappkern einer Toilettenpapierrolle einen Platz zu. Vor dem Hintergrund,
dass sich die Verfechter einer Grenze zwischen Kunst- und Alltagswelt nur zu gerne
hinter dem Satz verschanzen, aus dem Umstand, dass alles der Möglichkeit nach ein
Kunstwerk sein könne, folge noch lange nicht, dass auch alles ein Kunstwerk ist, lässt
sich Botts Kunstprojekt als ein unnachgiebiges Bemühen darum deuten, diesem
Satz Stück für Stück seine Grundlage zu entziehen – auf dass am Ende Botts künstlerisches Archiv vollständiger und damit ‚reicher an Realität‘ als unsere ‚wirkliche‘
Realität sei.
Möglicherweise – so ließe sich zur Rettung der Kunst einwenden – müssen wir
Botts künstlerische Geste nur in eine andere Perspektive rücken; möglicherweise
können wir die Singularität der Kunst ja unter Zuhilfenahme einer (anderen)
Theorie behaupten. Doch so sicher wie dieser Einwand den Kern des Problems
trifft, so spielt er auch den Verfechtern der These vom ‚Ende der Kunst‘ in die
Hände, welche die zunehmende Theoretisierung der Kunstwerke als eine weitere
Verfallserscheinung der Kunst deuten. So lautet der Vorwurf an die zeitgenössische
Kunst, dass diese keinesfalls mehr eine Frage eines ausgezeichneten Könnens, sondern
bestenfalls noch einer ausgebufften Rechtfertigung sei. Ebendieses Problem der Theoriebeladenheit zeitgenössischer Kunst begegnet uns auch, wenn wir uns in einem
nächsten Schritt dem Phänomen der Wiederholung in historischer Perspektive widmen.
Dazu müssen wir nicht eigens die Werke der Appropriation Art bemühen; auch
mit Blick auf Karsten Botts Von Jedem Eins lässt sich die Frage der Originalität in
historischer Perspektive thematisieren. Denn halten wir uns vor Augen, dass
Duchamp bereits vor knapp einhundert Jahren einfache Alltagsgegenstände als
Kunst offeriert und etwa fünfzig Jahre später die Pop Art das gewöhnliche Leben
mit seinen gewöhnlichen Dingen als Kunst zelebriert, so erscheint damit nicht nur
die Eigenständigkeit von Botts Arbeit, sondern letztlich auch die Fortentwicklung
der Kunst in der heutigen Zeit als zweifelhaft. Noch problematischer stellt sich die
Lage dar, wenn wir zusätzlich die Pluralität der zeitgenössischen Kunstwelt bedenken, die in ihrer Unübersichtlichkeit nichts mit der Ordnung der einstigen Stilgeschichte gemein zu haben scheint. In diesem Sinne gleicht die zeitgenössische
Kunst einer riesigen Recycling-Maschinerie, die uns sowohl unsere altbekannte
Realität als auch unsere altbekannte Kunst wiederholt als neue Kunst präsentiert.11
Von einer kritischeren Warte aus gilt es in Anbetracht dieser Bilanz jedoch die
Frage zu formulieren, welche Notwendigkeit eine solche Deutung der zeitgenössischen Kunstwelt besitzt. Ist die Geste der Wiederholung zwangsläufig als ein Ausdruck mangelnder Alternativen und damit einer sich in der Erschöpfung leerlaufenden Kunst zu verstehen, oder kann die Wiederholung im Rahmen der Kunst
nicht genauso gut als Ausdruck einer lebendigen künstlerischen Freiheit gelten?12
11 Vgl. Kuspit 2004, S. 6.
12 Der Umstand, dass das revolutionäre Fortschreiten der Kunst gerne als Ausdruck der besonderen Freiheit der Kunst herangezogen wird, macht es verständlich, warum die theoretische Einholung einer nahezu stillstehenden Kunst weitaus größere Probleme bereiten kann als das Denken einer Kunst, die sich in einer Revolution nach der anderen nahezu selbst überschlägt.
F5871_Bahlmann.indd 10
18.05.15 16:12
Einleitung
11
Dabei ist es bemerkenswert, dass vor dem Hintergrund der oben skizzierten Bedeutungsdimensionen des ‚Endes der Kunst‘ diese beiden Perspektiven in einem gewissen Maße zusammengehören. Schließlich vermögen die Rede vom ‚Ende der
Kunst‘ und deren Widerrede von einer ‚lebendigen Kunst‘ einander insofern zu
reproduzieren, als sich weder das ‚Ende der Kunst‘ ohne Bezugnahme auf eine
(einstige) lebendige Einheit der Kunst behaupten lässt, noch die Lebendigkeit der
Kunst näher bestimmt werden kann, ohne auch einen Sinn für die ‚Enden der
Kunst‘ zu entwickeln.
In den folgenden Betrachtungen geht es daher nicht darum, die These vom
‚Ende der Kunst‘ möglichst schnell zu widerlegen und allein deren Schwachstellen
aufzuzeigen. Die anschließenden Überlegungen stellen vielmehr den Versuch dar,
die Kunst über die Auseinandersetzung mit der Behauptung von ihrem Ende zu
denken. Damit steht letztlich zur Frage, in welchem Maße ein Verstehen der Kunst
von den äußersten Rändern der Kunst her möglich ist und wie sich die Kunst zu
ebendiesen Grenzen verhält.
Dabei werden die folgenden Ausführungen in erster Linie in einer Auseinandersetzung mit der Bestimmung vom ‚Ende der Kunst‘ im Denken des amerikanischen
Philosophen Arthur C. Danto bestehen, der durchaus als der hartnäckigste Fürsprecher der End-These innerhalb der zeitgenössischen Kunstphilosophie gelten
kann. Dennoch wird sich das Interesse dieser Arbeit nicht in der Erschließung der
Rede vom ‚Ende der Kunst‘ in Dantos Werk erschöpfen. Vielmehr zielen die folgenden Überlegungen trotz – beziehungsweise gerade vermittels – der Danto gegenüber eingeräumten Vorrangstellung auf einen systematischen Ertrag hinsichtlich
des Bedeutungshorizonts eines ‚Endes der Kunst‘ in der postmodernen Kunstwelt.
Mit Hilfe der exemplarischen Fokussierung der Danto’schen Position soll jedoch
vermieden werden, die diversen Redeweisen vom ‚Ende‘ lediglich aneinanderzureihen beziehungsweise einander gegenüberzustellen. Stattdessen wird Dantos Position exemplarisch herangezogen, um nach den Verbindungslinien zwischen den
diversen ‚Enden der Kunst‘ zu fragen und aufzuzeigen, welches Verständnis von
Kunst ihnen zugrunde liegt oder aus ihnen resultiert.
Mit Blick auf die in dieser Arbeit verfochtene Deutung von Dantos Schriften
gilt es darüber hinaus zu beachten, dass diese stets in einer ambivalenten Schwebe
verbleiben. Daher wird Dantos Kunstphilosophie nicht nur die These vom ‚Ende
der Kunst‘ stützen, sondern zugleich zu deren Widerlegung ins Feld geführt. In
diesem Sinne gelten die folgenden Betrachtungen in letzter Instanz dem Versuch,
mit und über Danto hinaus ein fruchtbares Verständnis der Kunst unter besonderer
Berücksichtigung der zeitgenössischen Kunstwelt zu gewinnen, wobei dies nichts
anderes bedeutet, als nach dem systematischen Ort der ‚Wiederholung‘ in der
Kunst zu fragen. So besehen ist die vorliegende Arbeit einer ‚Philosophie der Wiederholung der Kunst‘ verpflichtet und damit einer Philosophie, die das Ende in
sich aufzunehmen vermag, indem sie es in der Bewegung der Wiederholung mit
dem Anfang zusammenschließt.
Zur Eingrenzung des Vorhabens dieser Arbeit sei im Voraus noch Folgendes
angemerkt: Während hinsichtlich der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ gerade die Viel-
F5871_Bahlmann.indd 11
18.05.15 16:12
12
Einleitung
falt der in dieser Rede mitschwingenden Deutungsweisen aufgezeigt werden soll,
sind die Betrachtungen zur ‚Wiederholung‘ darauf angelegt, die unterschiedlichen
Überlegungen an eine einheitliche Grundstruktur zurückzubinden. Doch auch
hinsichtlich der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ muss einschränkend betont werden,
dass die diesbezüglichen Überlegungen ihren Ausgang stets in Dantos Kunstphilosophie beziehungsweise der mehr oder weniger zeitgenössischen Kunstwelt nehmen
und hier keinesfalls eine Aufarbeitung des gesamten End-Diskurses geleistet werden
kann. Dies gilt insbesondere für den philosophischen Vater dieser Rede, Georg
Wilhelm Friedrich Hegel, von dem Danto für seine End-These zwar den entscheidenden Impetus erhält, von dessen Abgesang auf die Kunst die Danto’sche Theorie
dennoch in entscheidenden Punkten zu unterscheiden ist. Zudem sei darauf verwiesen, dass Hegels Ästhetik in der vorliegenden Arbeit immer wieder als Negativfolie fungiert, die es mit Blick auf Hegels gesamte (Kunst-)Philosophie sicher zu
korrigieren gälte. Da dies im Rahmen der folgenden Betrachtungen jedoch nicht
geleistet werden kann, sei diese mangelnde Ausgewogenheit hier lediglich benannt.13
Schließlich gilt es anzumerken, dass in der vorliegenden Arbeit zwar stets von
der Kunst die Rede ist, dass sich die Überlegungen im Großen und Ganzen aber auf
die bildende Kunst konzentrieren. Zum einen ist dies damit zu begründen, dass
auch die Reden vom ‚Ende der Kunst‘ in der heutigen Zeit vornehmlich mit Bezug
auf die Bildkünste formuliert werden. Zum anderen ermöglicht diese Einschränkung, über die philosophischen Betrachtungen hinaus auch kunsthistorische Ansätze zu Wort kommen zu lassen und diese mit den vorgebrachten Überlegungen
zu konfrontieren, ohne den Faden in der Durchbuchstabierung eines Gedankens
mit Blick auf jede einzelne künstlerische Gattung zu verlieren. Dennoch teile ich
mit Danto die Hoffnung, dass die Grundgedanken dieser Arbeit auch angesichts
der nicht-bildenden Künste ihre Berechtigung haben.14
Was die erwähnten kunsthistorischen Ansätze anbelangt, so ist allerdings auch
diesbezüglich noch eine entscheidende Einschränkung vorauszuschicken. Denn
gerade hinsichtlich der ‚Wiederholung‘ wäre angesichts der aktuellen kunsthistorischen Forschung eine weitaus differenziertere Abhandlung zu erwarten. So sind in
den letzten Jahren nicht nur zahlreiche kunsthistorische Arbeiten zum Phänomen
der Wiederholung erschienen, auch eine Reihe an Ausstellungen hat sich verstärkt
diesem Thema gewidmet und insbesondere im Zuge von Künstler-Retrospektiven
ein Augenmerk auf die Frage der wiederholenden Aneignung beziehungsweise auf
die Selbstwiederholungen von Künstlern gerichtet.15 Anstatt jedoch – wie dort ge 13 Eine entsprechende – auf Hegel ausgerichtete und dem hiesigen Vorhaben in zentralen Gedanken anverwandte – Lesart der Danto’schen Kunstphilosophie findet sich insbesondere in den
Texten Daniel Martin Feiges, vgl. bspw. Feige 2013.
14 Vgl. VdG, S. 13.
15 Vgl. bspw. Römer 2001; Ullrich 2009 sowie Gelshorn 2012. Vgl. insbesondere die Ausstellung
Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube (Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle,
21.04.-05.08.2012) sowie den zugehörigen Ausstellungskatalog (Déjà-vu? 2012). Zu den erwähnten Künstler-Retrospektiven zählten bspw. Picasso et les maîtres (Paris, Grand Palais,
08.10.2008-02.02.2009); Giorgio de Chirico. La fabrique des rêves (Paris, Musée d’art moderne,
F5871_Bahlmann.indd 12
18.05.15 16:12
Einleitung
13
schehen – genauer zwischen den einzelnen iterativen Strategien, zwischen ‚Aneignung‘, ‚Hommage‘, ‚Neucodierung‘, ‚Parodie‘, ‚Reflexion‘, ‚Re-Inszenierung‘ usf.
zu unterscheiden16, setzen die Betrachtungen dieser Arbeit sozusagen eine Ebene
tiefer an, um ein Verstehen der ‚Wieder-holung‘ als Grundstruktur allen künstlerischen Schaffens fruchtbar zu machen.
Schlussendlich sei zur Struktur der vorliegenden Arbeit darauf verwiesen, dass in
dieser die genannte Gegenüberstellung von ‚Ende‘ und ‚Wiederholung‘ nicht nur
argumentativ aufgegriffen wird, sondern dass diese Gegenüberstellung zugleich
auch die beiden systematischen Schwerpunkte dieser Arbeit liefert. Dem ersten
Schwerpunkt und damit der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ sind die ersten vier Kapitel gewidmet. So wird nach einer Verortung der End-These innerhalb von Dantos
Kunstphilosophie (Kap. 1) das ‚Ende der Kunst‘ als Grenze zwischen Kunst und
Realität (Kap. 2), als Grenze zwischen Kunst und Philosophie (Kap. 3) sowie – in
historischer Perspektive – als Grenze zwischen Kunst- und Nachgeschichte (Kap. 4)
diskutiert. Im abschließenden Kapitel steht demgegenüber mit der ‚Wiederholung‘
der Versuch im Vordergrund, die Kritik an der End-These in einen systematischen
Ertrag zu wandeln (Kap. 5). Über Dantos Kunstphilosophie hinaus sind die Betrachtungen dieses Kapitels vor allem Kierkegaards Wiederholungsbegriff verpflichtet, mit dessen Hilfe der Bedeutungsdimension sowie der zeitlichen Verfasstheit einer ‚freien‘ Kunst Rechnung getragen werden soll.
13.02.-24.05.2009) sowie Edvard Munch. Der moderne Blick (Frankfurt a. M., Schirn, 09.02.28.05.2012).
16 Vgl. zu dieser Aufzählung das Glossar in Déjà-vu? 2012, S. 159-161.
F5871_Bahlmann.indd 13
18.05.15 16:12
F5871_Bahlmann.indd 14
18.05.15 16:12
1.
Das ‚Ende der Kunst‘
„Wir müssen irgendetwas aus unserer
Sammlung ausschließen, sonst bleibt
uns am Ende gar nichts.“17
1.1 ‚Danto as Philosopher‘
D
ie Rede vom ‚Ende der Kunst‘ ist von einer recht eigenwilligen Liaison zwischen Empirie und Theorie, Gegenwartserfahrung und -deutung gezeichnet.
Daher schwingt bei der Auseinandersetzung mit jener Redeweise auch stets die
Frage mit, welcher Haltung (zur Kunst) im jeweiligen Fall Ausdruck gegeben
wird.18 Schließlich bedarf die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ – gerade solange neue
Kunst entsteht – einer besonderen Rechtfertigung, die sich immer schon dem
Einwand zu stellen hat, dass nicht die Kunst selbst an ein Ende gelangt sei, sondern
dass sich möglicherweise nur eine gewisse Vorstellung von Kunst in der Gegenwart
als nicht mehr tragbar und anschlussfähig erweist.19
Auch Arthur C. Danto ließe sich in diesem Zusammenhang der Vorwurf machen, dass seine End-These primär einer persönlichen Motivation entspringt. Hatte
er doch selbst in den 50er Jahren eine künstlerische Laufbahn begonnen, die er
schlagartig beendete, als die Pop Art die Kunstwelt für sich eroberte und seine ei 17 E. M. Forster, Auf der Suche nach Indien, zitiert nach „Geschichten vom Ende der Kunst“, in:
Danto 1990; 1994, S. 399; vgl. Forster 1924; 2009, S. 46.
18 Vgl. Derrida 1983; 2009, S. 50f.: „Jedes Mal fragen wir uns folglich unnachgiebig, worauf wollen jene hinaus, und zu welchem Zweck, die das Ende von diesem oder jenem, des Menschen
oder des Subjekts, des Bewusstseins, der Geschichte, des Abendlandes oder der Literatur und,
als letzte Neuigkeit, des Fortschritts selbst verkünden, dessen Idee noch nie bei der Rechten
oder Linken so schlecht dastand. Welche Effekte wollen jene Propheten oder jene wortgewandten Visionäre produzieren? Welchen unmittelbaren oder aufgeschobenen Vorteil stellen sie in
Aussicht? Was machen sie und was machen wir, indem wir so darüber reden? Um wen zu verführen oder zu unterwerfen, einzuschüchtern oder zu erfreuen?“ 19 Vgl. hierzu Schneider 1997, S. 742 oder auch Ullrich 2001, S. 561. Während Schneider argumentiert, dass lediglich das Ausprobieren, wie ein Kunstwerk aussehen könnte, an ein Ende gekommen sei, betont Ullrich, dass die Diagnose eines ‚Endes der Kunst‘ in der Regel aus einem
idealisierten Kunstbegriff resultiere, welcher zu hohe Erwartungen an die Kunst stelle.
F5871_Bahlmann.indd 15
18.05.15 16:12
16
Das ‚Ende der Kunst‘
gene künstlerische Position ihm damit als nicht mehr sinnvoll erschien.20 In seinem
Aufsatz „Mit dem Pluralismus leben lernen“ schildert Danto diese Erfahrung in der
dritten Person, doch lassen weitere Bekundungen21 keinen Zweifel daran, dass er
seine eigene Geschichte erzählt:
„Ich kenne einen Künstler, der während des Siegeszuges der Abstraktion am Malen
von gegenständlichen Bildern festhielt. Irgendwann Anfang der sechziger Jahre, nach
der Pop-Revolution, erkannte er plötzlich klar und deutlich, daß das, was er bisher
gemacht hatte, nun vollkommen in Ordnung war. Aber inzwischen hatte er jegliches
Interesse daran verloren. In jenen Jahren hatte das Schaffen solcher Bilder noch Mut
und Unabhängigkeit gefordert; er hatte dem widerstanden, was andere für den Geist
der Geschichte hielten. Und auf einmal war es ganz egal, was er machte. Wenn man
nun tun und lassen konnte, was man wollte […], dann fehlte damit jeder Anreiz
überhaupt etwas zu sein. Ganz so, als ob, wenn es keinen historisch wahren und richtigen Weg gab, auch keine Veranlassung zum Kunstschaffen überhaupt bestünde. Mir
scheint, das Kunstschaffen war seiner Ansicht nach schließlich unvereinbar mit dem
Pluralismus.“22
Jene Erfahrung bestärkte Danto darin, sich Mitte der sechziger Jahre ganz der
Philosophie zuzuwenden – nicht, um der Kunst damit den Rücken zuzukehren,
sondern weil die Kunst seines Erachtens in dieser Zeit gerade „in ‚philosophischer‘
Hinsicht interessant“23 wurde: In der Kunst selbst konnte es nach Danto nicht
mehr um die Wahrheit der Kunst, um ihre Wesenssuche gehen. Diese Frage war
seines Erachtens nun in den Aufgabenbereich der Philosophie verlegt.
Es ist Danto zugute zu halten, dass er seine künstlerische Position in seinen
Schriften nicht affirmativ in Kunsttheorie überführt. Vielmehr kommt er nachträglich gerade zu einer Revision der oben formulierten Äußerung, indem er den
Pluralismus als notwendig mit dem Kunstschaffen vereinbar und zur „objektiven
historischen Wahrheit“24 erklärt. Anstatt das ‚Ende der Kunst‘ mit dem Ende seiner
künstlerischen Karriere zu identifizieren, setzt Danto das ‚Ende‘ außerhalb seiner
eigenen künstlerischen Position, in der Pop Art, an und sieht durch es – das heißt
durch künstlerische Arbeiten wie Andy Warhols Brillo Boxes oder Roy Lichtensteins
The Kiss – die Aufhebung der für seine künstlerische Position relevanten Gegensätze
gegeben.25 Das ‚Ende der Kunst‘ ist nach Danto gerade nicht als Aufhören von
20 Vgl. zu Dantos Biographie die einleitenden Worte von Karlheinz Lüdeking in: Danto 1993b,
S. 200-202; Betzler 1998, S. 189; Koppelberg 2005, S. 287-289 sowie Danto 2010a.
21 Vgl. bspw. Danto 1993b, S. 202; Danto 1997a, S. 774 sowie besonders Danto 2010a, S. 9:
„There are in my writing on the philosophy of art, references to artist’s responses to art. They are
self-portraits. The artist was always me, trying to accommodate history.“
22 „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 262. Vgl. auch ebd., S. 267: „Maler zu
sein hieß für mich schon, sich für die Ansicht stark zu machen, daß eine Wahrheit in der Kunst
steckte.“
23 Vgl. Danto 1993b, S. 202.
24 „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 264.
25 An dieser Stelle ließe sich der Einwand erheben, dass Danto bereits 1962/63 mit dem Kunstschaffen aufgehört hat (vgl. zu dieser Zeitangabe Danto 2010a, S. 7), Warhols Brillo Boxes –
welche für Danto die Vollendung der Kunst bedeuten – hingegen erst 1964 in der Stable Gallery
in New York ausgestellt wurden. Während Warhols Brillo Boxes den entscheidenden Impuls für
F5871_Bahlmann.indd 16
18.05.15 16:12
‚Danto as Philosopher‘
17
Kunst zu verstehen; es vollzieht sich als deren Vollendung.26 Ohne selbst mit seinen
künstlerischen Arbeiten an dieser Vollendung der Kunst mitgewirkt zu haben, steht
Danto Mitte der 60er Jahre dennoch vor der Wahl zwischen den sich aus diesem
‚Ende der Kunst‘ ergebenden Konsequenzen. Da ihm das eigene Kunstschaffen in
einer pluralistischen Kunstwelt als sinnlos erscheint, wendet er sich ganz der Philosophie zu, um in ihr die Frage nach der Wahrheit der Kunst weiter zu verfolgen. In
seinem Leben spiegelt sich damit auf eigenwillige Weise seine an Hegel angelehnte
Kunstphilosophie wider: Die Kunst hat für Danto die echte Wahrheit und Lebendigkeit verloren und ist von nun an mehr in seine Vorstellung verlegt.27 Konsequenterweise gilt Dantos primäres Interesse – wie dies auch seine Rede vom ‚Ende
der Kunst‘ artikuliert – nicht der Kunst in all ihren Facetten, sondern der Kunst in
ihrer philosophischen Dimension.28 So verwundert es auch nicht, dass Danto sich
vor allem auf Arbeiten der Konzeptkunst bezieht und in seiner Vorstellung in einem
gewissen Sinn selbst Kunst ‚schafft‘, indem er seine Theorie nicht nur an bestehenden, sondern ebenso an erfundenen und allein als Idee ‚existenten‘ Kunstwerken in
Gedankenexperimenten entwickelt und erprobt.
Dieses hier nur grob skizzierte Vorgehen Dantos muss vor dem bereits genannten Hintergrund eines vermeintlichen radikalen Umbruchs der Kunstwelt in den
60er Jahren des 20. Jahrhunderts gesehen werden.29 Von diesem Punkt ausgehend
zielt Dantos Philosophie ebenso auf die Erschließung eines transhistorischen Wesens der Kunst sowie die Ausmessung der Bedeutung der Geschichte für die Kunst.
Insofern antwortet er auf den von ihm konstatierten Umbruch von der modernen
zur posthistorischen Kunstwelt mit zweierlei Strategien: indem er zum einen danach fragt, bis zu welchem Punkt sich die Kontinuität der Kunst durch alle Zeiten
hinweg behaupten lässt, und indem er diese Kontinuität zum anderen mit seiner
Dantos inhaltliche Überlegungen über Kunst gegeben haben, steht das Beenden von Dantos
künstlerischen Schaffens in Zusammenhang mit der gesamten Pop Art-Bewegung. Im Gespräch
mit Dieter Henrich und Fred Rush erzählt Danto, dass seine erste Begegnung mit der Pop Art
1962 stattgefunden habe. Zu dieser Zeit lebte Danto in Frankreich. In der Art News habe er eine Reproduktion von Lichtensteins The Kiss entdeckt, die ihn sofort beeindruckt und zu dem
Gedanken veranlasst habe, dass viele Argumente, die in gemeinsamen Diskussionen mit befreundeten Vertretern abstrakter Malerei gefallen seien, nun keine Gültigkeit mehr für sich beanspruchen könnten. Vgl. dazu Danto/Henrich 2006, S. 35 sowie Danto 2010a, S. 8f.
26 Vgl. dazu Dantos Differenzierung zwischen enden (to end) und aufhören (to stop) bspw. in „Approaching the End of Art“, in: Danto 1987a, S. 210 oder in „Geschichten vom Ende der
Kunst“, in: Danto 1990; 1994, S. 388.
27 Vgl. VÄ I, S. 25: „In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seite ihrer
höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes. Damit hat sie für uns auch die echte Wahrheit
und Lebendigkeit verloren und ist mehr in unsere Vorstellung verlegt, als daß sie in der Wirklichkeit ihre frühere Notwendigkeit behauptete und ihren höheren Platz einnähme.“
28 Vgl. „The Philosopher as Andy Warhol“, in: Danto 1999, S. 63: „But my essay differs from the
standard arthistorical exercise in that I seek to identify the importance of the art I discuss not in
terms of the art it influenced (or which it was influenced by) but in terms of the thought it
brought to our awareness.“
29 Auch Hans Belting setzt in Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren einen
radikalen Umbruch der Kunstwelt in den Jahren 1963/64 mit der Entstehung einer vermeintlichen ‚euro-amerikanischen Einheitskultur‘ an (vgl. Belting 1995; 2002, S. 55-60).
F5871_Bahlmann.indd 17
18.05.15 16:12
18
Das ‚Ende der Kunst‘
These vom ‚Ende der Kunst‘ sowie seinen Überlegungen zur ‚Kunst nach dem Ende
der Kunst‘ gleichzeitig untergräbt.
Um dies zu leisten, distanziert sich Danto so weit als möglich von einem normativen Kunstbegriff und versucht das, was Kunst ‚ist‘, über eine deskriptive Kunstphilosophie theoretisch einzuholen.30 Während er allen vorangegangenen kunstphilosophischen Positionen anlastet, sie hätten eigentlich nur Kunstkritik betrieben,
beansprucht Danto für seine eigene Zeit, dass ein ernsthaftes Nachdenken über das
‚Wesen der Kunst‘ erst jetzt, im Zeitalter nach dem ‚Ende der Kunst‘, möglich geworden sei.31 Sein eigenes methodisches Vorgehen und Nachdenken über Kunst
stellen insofern bereits eine Folge seiner End-These dar. Entsprechend ist die Rede
vom Ende schon im Vorwort seines kunstphilosophischen Hauptwerkes Die Verklärung des Gewöhnlichen sowie in einigen jenem zugrunde liegenden Essays zu
finden.32 Dantos gesamte Kunstphilosophie steht in einem direkten Zusammenhang mit seiner These vom ‚Ende der Kunst‘ – nicht nur, insofern sie ihren Ausgang
in Dantos Diagnose vom Umbruch der Kunst nimmt, sondern auch insofern sie
eine Philosophie der ‚Grenzen der Kunst‘ ist, das heißt indem ihr Fragen auf den
ontologischen Status sowie die Geschichte der Kunst zielt und sie ihre Beispiele
an den ‚äußersten Rändern der Kunst‘ sucht, um diese selbst auf den Begriff zu
bringen.
Die vorliegende Arbeit trennt daher nicht zwischen Dantos sogenannter ‚semantischer Kunsttheorie‘ sowie Dantos Schriften zum ‚Ende der Kunst‘ beziehungsweise zur Philosophie der Kunstgeschichte. Danto legt eine entsprechende Trennung zwar selbst nahe, indem er wiederholt betont, dass er seine These vom ‚Ende
der Kunst‘ erst 1984 formuliert habe,33 doch geht aus seinem im November 1971
30 Eine deskriptive Kunstphilosophie kann nach Dantos eigener Aussage nur klären, ob ein Gegenstand ein Kunstwerk ist, nicht jedoch, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Kunstwerk handelt. Vgl. „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 270: „Die Philosophie aber vermag nur zwischen Kunstwerken und bloßen realen Dingen zu unterscheiden; sie kann nicht
Kunstwerke voneinander trennen, weil diese ja alle ihren Theorien entsprechen müssen, wenn
diese Theorie etwas taugen sollen.“ Vgl. zur Problematisierung von Dantos deskriptiver Verwendung des Kunstbegriffs Neumaier, „Was bringt der Kontext der Kunstwelt? Eine Klarstellung“, in: Neumeier 1997, S. 217-233, bes. S. 221f. und S. 231.
31 Vgl. bspw. Danto 1993b, S. 205f. oder „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK,
S. 269.
32 Vgl. VdG, S. 12f.: „Ich neige zu der Ansicht, daß mit den Brillo-Schachteln die Möglichkeiten
tatsächlich abgeschlossen sind und daß die Geschichte der Kunst gewissermaßen an ein Ende
gelangt ist. Sie ist zwar nicht zum Stillstand gekommen, ist aber in dem Sinne an einem Ende
angelangt, daß sie zu einer Art von Bewußtsein ihrer selbst übergegangen und wiederum in gewisser Weise zu ihrer eigenen Philosophie geworden ist: ein Sachverhalt, der in Hegels Geschichtsphilosophie angekündigt war. Damit meine ich zum Teil, daß tatsächlich die innere
Entwicklung der Kunstwelt hinreichend konkret werden mußte, damit die Kunstphilosophie
selbst zu einer ernsthaften Möglichkeit werden konnte. In der fortgeschrittenen Kunst der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren Kunst und Philosophie plötzlich füreinander offen. In der Tat brauchten sie einander plötzlich, um sich gegenseitig auseinanderzuhalten.“ Vgl. auch ebd., S. 94. Vgl. ebenso Danto 1973, S. 16f. sowie Danto 1974, S. 148: „When
philosophy’s paintings, grey in grey, are part of the artworld, the artworld has shaded into its own
philosophy, and by definition grown old.“
33 Vgl. „Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Kunst“, in: Fortl, S. 49.
F5871_Bahlmann.indd 18
18.05.15 16:12
‚Danto as Philosopher‘
19
eingereichten und 1973 publizierten Aufsatz „Artworks and real things“ eindeutig
hervor, dass er sich bereits zehn Jahre vor der Veröffentlichung von Die Verklärung
des Gewöhnlichen mit dem Ende der Kunst beschäftigt hat.34 Die Sekundärliteratur
zu Dantos Kunstphilosophie setzt die Trennung zwischen Dantos Kunsttheorie
und der These vom ‚Ende der Kunst‘ meist voraus und konzentriert sich sodann auf
einen der beiden Bereiche, oder sie handelt diese beiden Themenkomplexe getrennt
voneinander ab.35 Die vorliegende Arbeit geht hingegen von der Annahme aus,
dass die kritische Auseinandersetzung mit Dantos End-These entscheidend zum
Verstehen von Dantos gesamter Kunstphilosophie beiträgt.36
Auch wenn Danto – wie eingangs gesehen – auf rhetorischer Ebene mit biographischen Bezügen spielt, kann ihm dennoch nicht ohne weiteres angelastet werden,
er wolle mit seiner Rede vom ‚Ende der Kunst‘ Partei für oder gegen eine bestimmte
Konzeption von Kunst ergreifen.37 Bei Danto sowie auch vielen anderen Urhebern
jener Rede geht es vielmehr um die logischen Grenzen, an welche die Kunstentwicklung und damit die Kunstgeschichte stößt: Die posthistorische Version des
‚Endes der Kunst‘ lautet somit, dass sich die Kunst ein für alle Mal des Endes entledigt habe. Sie mutet uns zu, das Ende im Sinne der Entgrenzung der Künste und
somit im Sinne ihrer Endlosigkeit zu denken. Demzufolge kann die Posthistoire
keinen Neuanfang bedeuten, zumindest wenn man die Idee des Anfangs daran
koppelt, dass zu ihr notwendigerweise auch die Möglichkeit eines Endes gehört,
um sinnvoll von einem Anfang sprechen zu können.
Gegenüber vielen anderen Urhebern der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ zeichnet
sich Danto in besonderer Weise durch einen Reichtum an Perspektiven auf die
Kunst aus: Nicht nur, dass er einmal selbst Künstler war, er hat sich seit den 80er
Jahren auch als Kritiker der New Yorker Kunstszene für die Wochenzeitschrift The
Nation einen Namen gemacht und gilt darüber hinaus als kunsthistorisch wohl
informierter Vertreter der amerikanischen Kunstphilosophie, der neben seiner
analytischen Ausrichtung auch die kontinentalphilosophische Ästhetik und Kunsttheorie berücksichtigt. Seine kunstphilosophischen Schriften zeugen von einer
Vielzahl an ideenreichen Impulsen und greifen nicht selten auf andere philosophische Bereiche – so beispielsweise auf die Handlungsphilosophie, Erkenntnis- und
Wissenschaftstheorie oder auf Gedanken aus dem Zen-Buddhismus – zurück, um
diese für unser Verstehen von Kunst fruchtbar zu machen. Dies bringt es mit sich,
dass sich über Dantos Kunstphilosophie zwar zahlreiche Verbindungslinien zu anderen philosophischen Positionen ziehen lassen, dass Danto andererseits diese Positionen jedoch auf unkonventionelle Weise nutzt und sich insofern kaum be 34 Vgl. Danto 1973. 35 Vgl. bspw. Thomet 1999.
36 Vgl. in diesem Sinne auch Carrier 1998, S. 6f.
37 Vgl. in diesem Sinne auch Ullrich 2005; 2006, S. 250: „Im Unterschied zu anderen ‚Ende der
Kunst‘-Proklamateuren wird Danto nicht Opfer eines überzogenen Kunstbegriffs, an dem gemessen fast alles, was an Kunst entsteht, als gescheitert oder dürftig erscheinen muß. Er geht
nicht von einer idealisierten Vergangenheit aus, sondern analysiert die Debatten und Vorgänge
der gegenwärtigen Kunstwelt.“
F5871_Bahlmann.indd 19
18.05.15 16:12
20
Das ‚Ende der Kunst‘
stimmten denkerischen Schulen zuordnen lässt.38 Deutlich wird dies nicht zuletzt
an der Danto’schen Version vom ‚Ende der Kunst‘. Denn während Danto die
zeitgenössische Kunst zwar stets als posthistorisch anspricht, findet sich bei ihm
dennoch nur selten der zynische und bittere Pathos, welcher für die Verteidigung
der Posthistoire gegenüber der Postmoderne charakteristisch ist.39
Überhaupt lässt sich hinter Dantos kunstphilosophischen Schriften nur äußerst
schwer eine ‚Position‘ im Sinne eines denkerischen Engagements erkennen, womit
sogleich auch die Kehrseite des Danto’schen Perspektivenreichtums benannt ist.
Möglicherweise hängt diese Beobachtung mit Dantos Anspruch zusammen, sich
dem Gegenstand ‚Kunst‘ allein deskriptiv, keinesfalls normativ, zu nähern. Danto
steht der Figur des ‚engagierten Autors‘ äußerst skeptisch gegenüber. Stets versucht
er die Gefahr zu meiden, der Kunst ein philosophisches Programm überzustülpen
und damit die „philosophische Entmündigung der Kunst“ weiter voran zu treiben.40
Darüber hinaus hat Danto seine Überlegungen immer wieder kleineren und
größeren Revisionen unterzogen, so dass seine Thesen nicht selten Gefahr laufen,
mit der Zeit zu verwässern. Dieser Tatbestand wird dadurch erschwert, dass der
Großteil von Dantos kunstphilosophischen Schriften in Essays besteht, die sich
zwar immer wieder mit denselben Themen auseinandersetzen und Geschlossenheit
suggerieren, jedoch nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen, geschweige denn in ein philosophisches System zu überführen sind. Dantos Theorie – wenn man von ihr überhaupt im Singular sprechen kann – besteht aus einer
Vielzahl von losen Enden, die Danto selbst immer wieder anders miteinander verknüpft. Die systematische Erschließung der zentralen Aspekte des von Danto
proklamierten ‚Endes der Kunst‘ sowie die Rekonstruktion der zugehörigen Argumentation bleiben daher zu einem großen Teil und mit all ihren Herausforderungen
dem Leser überlassen. Dennoch ist Danto zugute zu halten, dass er sich hinsichtlich
seiner These vom ‚Ende der Kunst‘ als äußerst hartnäckig erweist und diese bis zu
seinem Tod und damit gut vierzig Jahre lang verteidigt.41 Auch dies zeichnet ihn
gegenüber anderen Urhebern der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ aus, welche dieser
meist nicht mehr als einen Essay, allenfalls eine Monographie gewidmet haben.
Wenn die vorliegende Arbeit also die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ im Ausgang
von Arthur C. Dantos Kunstphilosophie untersucht, so bedeutet dies, sich vor allem von einer Vielzahl an Ideen, Einwänden und Gedankenblitzen durch das weite
Feld einer pluralistisch gewordenen Kunstwelt führen zu lassen. Zunächst wird
dazu Dantos Schlüsseltext zum ‚Ende der Kunst‘ in seinen zentralen Argumenten
vorgestellt (Kap. 1.2) und anschließend am Beispiel von Dantos Deutung der
38 Vgl. zu Dantos Verortung zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie sowie zur weiteren Einordnung seiner Position Carrier 1998, S. 1-16 sowie Mahr 2000.
39 Vgl. zur Gegenüberstellung von Posthistoire und Postmoderne Welsch 1987; 2002, S. 17f.
40 Vgl. bspw. „Die philosophische Entmündigung der Kunst“, in: Entm, S. 27. 41 Auch wenn Danto in „Schlechte Zeiten für die Ästhetik“ den Anspruch seiner Rede vom ‚Ende
der Kunst‘ relativiert und erklärt, dass diese nicht mehr als eine „Hypothese“ sein könne,
vgl. „Schlechte Zeiten für die Ästhetik“, in: Danto 1990; 1994, S. 359.
F5871_Bahlmann.indd 20
18.05.15 16:12
„Das Ende der Kunst“
21
künstlerischen Position Andy Warhols expliziert (Kap. 1.3). Der darauf folgende
Abschnitt thematisiert sodann das Ende der Kunst als Berührung von Kunstgeschichte und Kunstbegriff (Kap. 1.4), während der letzte Absatz dieses Kapitels – unter Bezugnahme auf die Kunstphilosophie der 1950er Jahre – eine Einführung in die dieser Arbeit zu Grunde liegende Lesart von Dantos Kunstphilosophie
als eine Philosophie der Grenzen der Kunst gibt (Kap. 1.5).
1.2 Arthur C. Danto: „Das Ende der Kunst“
Arthur C. Danto leitet seine These vom ‚Ende der Kunst‘ in seinem gleichnamigen
Aufsatz mit einem Gedankenspiel über die Frage ein, inwiefern Aussagen über die
Zukunft der Kunst möglich seien.42 Er unterscheidet zunächst zwei Fragestellungen
voneinander: Zum einen lasse sich unter der Vorannahme einer endlosen Weiterentwicklung der Kunst unmittelbar die Frage nach der zukünftigen Kunst stellen;
zum anderen sei jedoch die Frage berechtigt, ob die Kunst überhaupt eine Zukunft
habe. Nach Danto ist die erste dieser beiden Fragen die schwierigere, da jegliche
Spekulation über das Aussehen zukünftiger Kunstwerke nur ein Spiegelbild der
eigenen Zeit liefern könne. Die zweite Frage bleibe hingegen von diesem Problem
unberührt, da sie nicht darauf ziele anzugeben, wie zukünftige Kunstwerke aussähen, sondern vielmehr eine Spekulation über die Geschichte der Kunst darstelle.
Die Frage, ob die Kunst überhaupt eine Zukunft habe, dürfe man nicht mit der
Frage verwechseln, ob es in Zukunft noch Kunstwerke gebe. Schließlich ließe
sich – wie Hegel dies in seiner Rede vom Vergangenheitscharakter der Kunst artikuliert43 – annehmen, dass die Kunst keine Zukunft habe, auch wenn weiterhin
Kunstwerke entstünden. Die künftigen Werke gehörten dann einer Zeit an, die
sich als ‚posthistorisch‘ bezeichnen ließe, und könnten uns „als Nachwirkung einer
vergangenen Lebendigkeit“44 gelten. Die Geschichte der Kunst verliefe demnach
nicht analog zur Menschheitsgeschichte; stattdessen würde sie lediglich ein bestimmtes Zeitalter markieren, in dessen Anschluss die Kunst zwar noch existiere,
jedoch keinerlei historische Bedeutung mehr besitze. Die Frage, ob die Kunst eine
Zukunft habe, gehöre demnach eigentlich in den Kontext der Geschichtsphilosophie.
42 Vgl. hierzu sowie zu den folgenden Ausführungen „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 109145. Nach eigener Aussage (ebd., S. 109) gehen die hier von Danto versammelten Überlegungen auf einen kurzen Beitrag zu einem Symposium über den Zustand der Kunstwelt zurück, der
unter dem Titel „Art Attacks“ in der Soho News abgedruckt wurde, vgl. Danto 1981. In einer
wesentlich erweiterten Version bildete der Text danach den Hauptbeitrag in dem von Berel
Lang 1984 herausgegebenen Band The Death of Art (vgl. Danto 1984), bevor er schließlich
1986 in Dantos Sammelband The Philosophical Disenfranchisement of Art übernommen wurde.
43 Vgl. VÄ I, S. 25.
44 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 111.
F5871_Bahlmann.indd 21
18.05.15 16:12
22
Das ‚Ende der Kunst‘
Die Berechtigung, die Frage nach der Zukunft der Kunst aus dem Zusammenhang der Geschichtsphilosophie zu lösen, sieht Danto durch den Zustand der
zeitgenössischen Kunst gegeben, da diese sich durch den Verlust jeglicher historischen Richtung auszeichne. Danto geht nicht davon aus, dass dieser Zustand der
Kunst lediglich eine Episode in der Kunstgeschichte darstelle, nach welcher
die Kunst wieder auf den rechten Pfad der Geschichte zurück gelange. Vielmehr
sieht er in diesem „Zustand eines Strukturverlusts“ die restliche ‚Zukunft‘ der
Kunst – „eine kulturelle Entropie“45: Was auch immer als nächstes kommt, wird
nicht von Bedeutung sein, weil der Begriff der Kunst innerlich bereits ausgeschöpft
ist.“46
Was zunächst als reines Gedankenexperiment beginnt, sieht Danto somit in der
Gegenwart verwirklicht: das Ende der historischen Entwicklung der Kunst. Wie
die folgenden Fragen zeigen, ist jenes Ende für Danto gleichbedeutend mit der
endlosen Wiederholung von bereits dagewesenen Formen:
„Was aber, wenn nun wirklich ein Ende erreicht ist, ein Punkt, an dem es Veränderung ohne Entwicklung geben kann, an dem die Motoren der künstlerischen Produktion nur noch bekannte Formen immer wieder neu zusammensetzen können, wenn
auch der äußere Druck vielleicht diese oder jene Verbindung begünstigt? Was aber,
wenn es historisch gar nicht mehr möglich ist, daß die Kunst uns noch weiter in Staunen versetzt, wenn das Zeitalter der Kunst sich in diesem Sinne innerlich erschöpft
hat, wenn – wie Hegel es so eindrucksvoll und melancholisch formuliert – eine Gestalt des Lebens alt geworden ist?“47
Nach Dantos Diagnose hat die Kunst im Laufe ihrer Geschichte somit alle Möglichkeiten innerhalb ihrer begrifflichen Grenzen ausgereizt. Auf den folgenden
Seiten seines Aufsatzes unternimmt Danto den Versuch, dieser These Plausibilität
zu verleihen, indem er der Ausführung seiner an Hegel angelehnten Konzeption
der Kunstgeschichte zwei – wie er schreibt – „bekanntere Modelle der Geschichte
der Kunst“48 voranstellt. Es handelt sich dabei zum einen um eine als Fortschrittserzählung konzipierte Darstellung der Mimesis-Theorie sowie zum anderen um die
sich der Idee der Progressivität verweigernde Ausdruckstheorie der Kunst. Danto
kündigt an, dass diese beiden Modelle der Kunstgeschichte „auf verblüffende und
fast dialektische Weise die Voraussetzung für das Modell“49 bildeten, dem letztlich
sein Interesse gelte. Ziel von Dantos Inblicknahme dieser kunsttheoretischen Modelle und ihrer historischen Implikationen ist die Formulierung einer Kunsttheorie
(beziehungsweise die Bestätigung seiner Version der Hegel’schen Kunstphilosophie), die gleichermaßen der fortschreitenden Entwicklung der Kunst Rechnung
trägt wie auch für alle künstlerischen Gattungen Gültigkeit besitzt.
Zur Erläuterung der Idee einer als Fortschrittserzählung konzipierten Kunstgeschichte bezieht sich Danto auf den ‚Vater‘ der Kunstgeschichtsschreibung, den
45 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 112.
46 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 112.
47 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113.
48 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113.
49 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113.
F5871_Bahlmann.indd 22
18.05.15 16:12
„Das Ende der Kunst“
23
Biographen der italienischen Renaissance-Künstler Giorgio Vasari. In Anlehnung
an Ernst Gombrich erklärt Danto Vasari zum Urheber des Modells einer progressiven Geschichte der Kunst, da dieser „die Stilgeschichte als die allmähliche Eroberung der natürlichen Erscheinungen“50 begriffen habe. Das an Vasari angelehnte
‚Ende der Kunst‘ wäre schließlich erreicht, „[w]enn die Herstellung eines Äquivalents für jeden Wahrnehmungsbereich technisch möglich wäre“51.
Tatsächlich habe – so fährt Danto fort – die Geschichte der Kunst jedoch eine
andere Wendung genommen.52 So seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche
Werke – wie beispielsweise Matisses Porträt seiner Frau mit grünem Streifen auf der
Nase – entstanden, die sich nicht mehr mit Hilfe der Mimesis-Theorie erklären
ließen. Dantos Auffassung zufolge wurde zu dieser Zeit der Darstellungscharakter
aus der Definition der Kunst verbannt, was bedeutet, dass damit auch die Geschichte der Kunst eine völlig andere Struktur erhalten habe. Eine Möglichkeit, das
Kunstgeschehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts theoretisch einzuholen, stelle die
Ausdruckstheorie dar, wie sie beispielsweise Benedetto Croce in seiner Estetica come
scienza dell’espressione vertreten habe.53 Allein über die Ausdruckstheorie lasse sich
die Idee einer fortschreitenden Geschichte der Kunst jedoch nicht aufrecht erhalten – vielmehr zerfalle die Kunstgeschichte damit „in eine Folge von individuellen
Handlungen, […] ein bloßes Nacheinander“54, da die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten inkommensurabel seien und man kaum von einem mehr oder weniger an Ausdruck sprechen könne.
Daher liefert nach Danto weder die Mimesis-Theorie noch die Ausdruckstheorie
eine Erklärung für die tatsächliche Entwicklung der Kunst: Während der Nachteil
der Mimesis-Theorie darin bestehe, dass sie nur für einen begrenzten Zeitraum der
Kunstgeschichte sowie nur für bestimmte künstlerische Gattungen – vornehmlich
Malerei, Plastik und Film – Gültigkeit beanspruchen könne, liefere die Ausdruckstheorie zwar ein Modell für alle Kunstgattungen, stelle die Kunst in ihrer histori-
50 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 114. Vgl. Gombrich 1960; 2010, S. 246, wobei zu beachten ist, dass Gombrich hier Roger Frys Gedanken über die englische Malerei zitiert. Für die Tatsache, dass auch Gombrich der Fortschrittsidee eine gewisse Gültigkeit einräumt, spricht vor allem das „Vorwort zur sechsten Ausgabe“ vom Februar 2000, in dem Gombrich die Frage stellt,
ob „Vasaris Fortschrittsbegriff […] nicht vielleicht doch eine Entsprechung in der Wirklichkeit
hatte“ (ebd., S. XXIII). Vgl. darüber hinaus zur Fortschrittsidee in Gombrichs Denken
Kap. 4.5.1.
51 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 126.
52 Danto führt diese Wendung vor allem auf die Erfindung des Films zurück, der eine viel getreuere Abbildung der Wirklichkeit ermöglicht habe, als es in der Malerei je denkbar gewesen sei.
53 In „Kunst, Evolution und das Bewußtsein der Geschichte“ führt Danto die Gedanken von „Das
Ende der Kunst“ fort. Erneut bezieht er sich hier auf die Mimesis-Theorie; anstelle von Croces
Ausdrucks-Theorie bespricht er jedoch Erwin Panofskys auf Cassirer zurückgehende Theorie
der symbolischen Formen. Als Gemeinsamkeit von Croces und Panofskys Theorien gilt Danto
die mangelnde Begründung der Kontinuität in der Kunstgeschichte und somit die Inkommensurabilität der kunsthistorischen Epochen. Vgl. „Kunst, Evolution und das Bewußtsein der Geschichte“, in: Entm, S. 233-237.
54 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 133.
F5871_Bahlmann.indd 23
18.05.15 16:12
24
Das ‚Ende der Kunst‘
schen Gesamtheit jedoch „als etwas völlig Diskontinuierliches“ dar, „als eine Art
von Inselwelt, in der einfach ein Kunststil nach dem anderen kommt“55.
Warum aber sollte überhaupt von einer fortschreitenden Kunstgeschichte ausgegangen und somit die Inkommensurabilität der Ausdruckstheorie abgelehnt werden?
Danto beantwortet diese Frage mit einem weiteren Gedankenexperiment, demzufolge er sich die Geschichte der Kunst in umgekehrter Reihenfolge vorstellt, an deren
Ende der Apoll von Belvedere als abschließender Höhepunkt steht. Entscheidend ist
nun, dass sich nach Danto damit auch die Interpretation der einzelnen Werke und
somit ihre Identität grundlegend ändern würde. So beziehe sich beispielsweise „Picasso unablässig auf die Kunstgeschichte, die er systematisch dekonstruiert, so daß
seine Werke jene früheren voraussetzen.“56 Um Picassos Werke verstehen zu können,
müssen wir diese Bezugnahmen, so Danto, und damit die Ordnung der Kunstgeschichte berücksichtigen. Folglich bestehe dann zwischen unserer Definition der
Kunst sowie unserem Verständnis der Geschichte der Kunst eine interne Verbindung.
In Hegels Kunstphilosophie sieht Danto schließlich alle angesprochenen Probleme der Mimesis- und Ausdruckstheorie aufgehoben sowie ihre jeweiligen Vorteile
erfüllt. So liefere Hegels Theorie ein Modell für die historische Kontinuität der
Kunst, schließe alle Kunstgattungen mit ein und lasse sich gleichermaßen auf darstellende wie abstrakte Kunst anwenden. Ihre Wirkmächtigkeit liege darin begründet, dass Hegel den Fortschritt nicht als Perfektionierung der künstlerischen
Technik beschreibe, sondern vielmehr von einem kognitiven Fortschritt in der
Kunst ausgehe. Ziel der Kunstgeschichte ist nach Dantos Hegel-Lektüre57 die
Selbsterkenntnis der Kunst: „Die Kunst endet mit dem Anbruch ihrer eigenen
Philosophie.“58 Im Gegensatz zur Ausdruckstheorie will Danto damit die Kunst
des 20. Jahrhunderts über ihre theoretischen Grundlagen verstehen: Im Vordergrund stehe demnach weniger der Ausdruck von Gefühlen als vielmehr die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Identität der Kunst, die in Form unterschiedlicher Theorien erfolge:59 „Es war, als ob die Kunst […] etwas Begriffliches
sei, aber keinem bestimmten Begriff genüge.“60 Die Kunstgeschichte folgt damit
dem Modell des Bildungsromans, an deren Ende die Entwicklung der Kunst in der
Selbsterkenntnis kulminiert. Mit Hilfe dieses Modells lässt sich, so Danto, schließlich auch die Tatsache erklären, dass die Kunst der jüngsten Vergangenheit für ihre
„Existenz als Kunst mehr und mehr der Theorie bedarf, so daß die Theorie nicht als
55 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 134.
56 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 135.
57 Danto verfolgt damit eine selektive Hegel-Lektüre, indem er – wie anfangs angekündigt – die
Kunstgeschichte aus der Gesamtheit der Hegel’schen Geschichtsphilosophie heraustrennt. Im
Vordergrund steht bei Danto nicht der Weltgeist; stattdessen wird die Kunst zu jenem Subjekt,
das sich seiner selbst bewusst wird. Der Hegel’sche Bildungsroman wird zur Selbstbewusstwerdung eines Subjekts namens „Art“. Vgl. „Warhol“ in: Danto 1990; 1994, S. 335.
58 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 137.
59 So besehen, ist auch Dantos Kunstphilosophie eine erweiterte Ausdruckstheorie, die den Ausdruck nicht auf Gefühle beschränkt, sondern auf geistige Gehalte ausweitet. Vgl. VdG, S. 288298.
60 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 139f.
F5871_Bahlmann.indd 24
18.05.15 16:12
ANDY WARHOLS BRILLO BOXES
25
etwas Äußerliches einer Welt gegenübersteht, die zu verstehen sie bemüht ist.“61
Die zunehmende ‚Theoretisierung‘ der Kunst als ein Mehr an theoretischem Gehalt
im Kunstwerk gehe einher mit der Reduzierung der Gegenstände bis zum Nullpunkt, „so daß es am Ende praktisch nur noch Theorie gibt und die Kunst sich zu
dem blendenden Glanz der reinen Gedanken über sich selbst verflüchtigt hat und
gleichsam nur noch als Objekt ihres eigenen theoretischen Bewußtseins existiert.“62
Hat die Kunst jenes Ende im Sinne der eigenen Selbstbewusstwerdung erreicht, ist
ihre historische Aufgabe nach Danto erfüllt. Sie gehe dann in die posthistorische
Periode über, in welcher es eine einheitliche Entwicklung der Kunst hin auf ein
gemeinsames Ziel nicht mehr geben könne. Die Werke besäßen demzufolge nach
dem ‚Ende der Kunst‘ keine ‚historische Relevanz‘ und somit auch keinen ‚historischen Bedeutungsgehalt‘ mehr. In Anlehnung an Hegels Ausführungen, dass die
Kunst damit „mehr in unsere Vorstellung verlegt“ und eine „Wissenschaft der Kunst
[…] darum in unserer Zeit noch viel mehr Bedürfnis“63 sei, sieht Danto nun das
eigentliche Zeitalter der Kunstphilosophie gekommen. Die Kunstpraxis sei hingegen im endlosen Zeitalter des Pluralismus angelangt:
„Man kann […] jetzt am Morgen ein abstrakter Maler sein, am Nachmittag ein Photorealist und am Abend ein minimaler Minimalist. Oder man schneidet Bilderbögen
aus oder macht, was einem, verdammt noch mal, Spaß macht. Das Zeitalter des Pluralismus ist da. Es spielt keine Rolle mehr, was man macht – das ist es, was Pluralismus bedeutet. Wenn die eine Richtung so gut ist wie die andere, ist der Begriff der
Richtung nicht mehr anwendbar.“64
Die Kunst nach dem Ende der Kunst hat sich somit für Danto von scheinbar jeglicher historischen Verbindlichkeit befreit. Damit sei auch das Ende jener Institutionen der Kunstwelt besiegelt, die – wie Museen, Galerien, private Sammlungen,
Ausstellungen und Kunstjournalismus – auf der Geschichte der Kunst basierten
und das Neue in der Kunst bestimmten.
1.3 Andy Warhols Brillo Boxes
Im Kontext von Dantos kunstphilosophischen Schriften bildet der Aufsatz „Das
Ende der Kunst“ insofern eine Ausnahme, als Danto hier seine These vom ‚Ende
der Kunst‘ nicht in Verbindung mit Andy Warhol, beziehungsweise der Pop Art,
61 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 141.
62 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 141.
63 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 144.
64 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 144f. Dantos Darstellung des Kunstschaffens im posthistorischen Zeitalter ist Marx’ und Engels Vision der kommunistischen Gesellschaft entlehnt, der
zufolge es möglich sei, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe;
ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (Marx/Engels 1932; 1969, S. 33).
F5871_Bahlmann.indd 25
18.05.15 16:12