Käthe Recheis Käthe Recheis mit Farbbildern von Katrin Hornburg Obelisk-Verlag Einmal lebten zwei kleine Bären in einem Wald, der war so groß, dass sie einander noch nie begegnet waren. Einer der kleinen Bären hatte ein braunes Fell. Der andere kleine Bär hatte ein schwarzes Fell. Dieses Buch ist nach den neuen Rechtschreibregeln abgefasst © 2005 by Obelisk-Verlag, Innsbruck-Wien Umschlagentwurf: Katrin Hornburg Alle Rechte vorbehalten Printed in Austria ISBN 3-85197-498-0 5 Dort, wo der kleine braune Bär lebte, gab es einen kleinen Teich. Der kleine braune Bär planschte im Wasser, erschreckte die Frösche – nur zum Spaß und haschte nach Libellen. Erwischt hat er nie eine! Im Wald ringsum wuchsen Büsche voll süßer, saftiger Beeren, die köstlich schmeckten. 6 Nichts aber liebte der kleine braune Bär so sehr, als still im Gras zu sitzen, wenn am Morgen die Sonne aufging und ein strahlend neuer Tag begann. Da war ihm immer so fröhlich zumute. 8 Weil der kleine braune Bär jeden Morgen so früh erwachte, schlief er am Abend immer ein, bevor die Sonne unterging. Der kleine braune Bär hatte noch nie einen Sonnenuntergang gesehen. 9 Nichts aber liebte der kleine schwarze Bär so sehr, als still im Gras zu sitzen, wenn die Sonne unterging, groß und leuchtend rot. Da war ihm immer so feierlich zumute. Dort, wo der kleine schwarze Bär lebte, war auch ein kleiner Teich. Der kleine schwarze Bär planschte im Wasser, erschreckte die Frösche – nur zum Spaß – und haschte nach Libellen, die er nie erwischte. Oder er naschte süße, saftige Beeren. 10 11 So vergingen die Tage. Der kleine braune Bär spielte an seinem Teich, der kleine schwarze Bär am anderen Teich. Weil der kleine schwarze Bär jeden Abend wach blieb, bis die Welt dunkel geworden war, erwachte er am Morgen erst dann, wenn die Sonne schon hoch am Himmel stand. Tag für Tag und Tag für Tag Frösche schrecken, Libellen nachlaufen, die man nie erwischte, und süße Beeren naschen. Tag für Tag und Tag für Tag. Der kleine schwarze Bär hatte noch nie einen Sonnenaufgang gesehen. 12 13 Der kleine braune Bär planschte immer lustloser im Teich. Er wollte nicht mehr Frösche schrecken, wollte nicht mehr nach Libellen haschen. Die Beeren schmeckten nicht mehr. Der kleine braune Bär hielt es am Teich nicht mehr aus. Er beschloss fortzuwandern. Nichts mehr machte ihm Freude. Nicht einmal der Sonnenaufgang! Wie langweilig war das Leben geworden! 14 15 Nichts mehr machte ihm Freude. Nicht einmal der Sonnenuntergang. Wie langweilig war das Leben geworden! Auch der kleine schwarze Bär planschte immer lustloser im Wasser. Wollte nicht mehr Frösche schrecken. Wollte nicht mehr nach Libellen haschen. Die Beeren schmeckten ihm nicht mehr. 16 Der kleine schwarze Bär hielt es an seinem Teich nicht mehr aus. Auch er beschloss fortzuwandern. 17 Der kleine braune Bär wanderte durch den Wald, Er wanderte und wanderte und kam zu einer Lichtung, auf der er noch nie gewesen war. Bäume und Büsche am Waldrand gaben Schatten, die Wiese aber lag im hellen Sonnenschein. Blumen nickten im Gras, roter Klee duftete. Vögel sangen und Grillen zirpten. 18 „Hier ist alles anders als am Teich”, sagte der kleine Bär zu sich, „hier will ich bleiben, für immer. Einen schöneren Platz als diesen gibt es im ganzen Wald nicht.” Wenn er für immer hier blieb, brauchte er - ein Haus! Ein Haus für den kleinen braunen Bären! „Und die Tür muss dort sein, wo die Sonne aufgeht”, sagte der kleine Bär, „damit ich jeden Morgen zuschauen kann, wie ein strahlend neuer Tag beginnt.” Wie aufregend war das Leben geworden und langweilig überhaupt nicht mehr. 20 21
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