leben 17 Ein Mosaik der mediterranen Kulturen F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TA G S Z E I T U N G , 1 3 . M Ä R Z 2 0 1 6 , N R . 1 0 Die tunesische Mode steht beispielhaft für die Chancen in einem Land der Umbrüche – und für dessen Probleme. Ein Besuch in Tunis. Von Katharina Pfannkuch H emingway liebte Couscous, Andy Warhol ebenfalls. Frida Kahlo bevorzugte Hummus, und Simone de Beauvoir hatte eine Schwäche für Baklava. Diese Vorlieben großer Intellektueller und Künstler für tunesische Kulinarik dürften zwar in keinem Geschichtsbuch verbürgt sein, aber als Stickereien und Prints sind sie das Markenzeichen von Lyoum, einem Modelabel mit Sitz in Tunis. 2011 gründeten die Französin Claire Ben Chaabane und ihr tunesischer Mann Sofiane Ben Chaabane ihre Firma. Deren tunesischarabischer Name bedeutet übersetzt „heute“ und ist Programm: Die Designs von Lyoum sind zeitgemäß, global und zugleich voller Referenzen an die tunesische Kultur. Natürliche Materialien und Farben dominieren in dem hellen Showroom mit den weiß getünchten Wänden und der großen Fensterfront in La Marsa, einem Vorort von Tunis. Wer Neonfarben und Glitzerpailletten sucht, ist hier falsch. Zum Interview erscheint Sofiane Ben Chaabane selbstverständlich in einem seiner eigenen Entwürfe: „Gainsbourg loved Mechouia“ steht auf seinem weißen Sweatshirt aus grobgewebter Baumwolle. Inspiriert vom 100-jährigen Jubiläum der Tunis-Reise von August Macke, Paul Klee und Louis Mouillet, überlegten er und seine Frau 2014, was die Maler in dem kleinen Mittelmeerland jenseits von Motiven und Farbenpracht entdeckten – und was sie wohl gerne aßen. „Die Küche eines Landes eröffnet schließlich dessen Kultur“, erklärt der 36-Jährige. Von den Spekulationen über Macke und Co war der Weg zu Gedankenspielen über andere Künstler und Intellektuelle nicht weit. Und so kam Hemingway zu seinem Couscous, Klimt zu Kebab und das DesignerPaar zu seinem Markenzeichen. „They Loved Tunisian Food“ nannten sie ihre erste Kollektion für Erwachsene, die ihnen den textilen Durchbruch verschaffte. Schon nach zwei Wochen war die erste Charge ausverkauft. Seit die Entwürfe online zu haben sind, wächst der Kundenstamm auch in Europa. Claire lässt sich entschuldigen, sie steckt mitten in den letzten Vorbereitungen der Frühlingskollektion. „Couscous Pop“ heißt sie und soll schon in wenigen Tagen in den Boutiquen hängen. Diesmal stehen Musiklegenden im Fokus: John Lennon etwa, Kurt Cobain, aber auch die Ägypterin Umm Kulthum. Und noch etwas stellt Sofiane gleich zu Beginn klar: „Wir sind keine gelernten Modedesigner.“ Das Paar lernte sich während des Studiums an einer Pariser Grande Ecole kennen, später arbeiteten beide im Marketing: er bei Saatchi & Saatchi, sie beim französischen Textilgiganten Vivarte. 2011 erlebten sie die Revolution in seiner Heimat Tunesien aus der Ferne mit und zögerten nicht lange: „Wir wollten einen Beitrag zum Neuanfang leisten“, erzählt Ben Chaabane. Der Umzug nach Tunis war beschlossene Sache. Nach so langer Zeit in Frankreich sei es für ihn eher ein Aufbruch ins Ungewisse gewesen als eine Rückkehr, genau wie für seine Frau. „Die arabischen Umbrüche waren ja eine globale Erfahrung und Inspira- „Gainsbourg loved Mechouia“: Mit seiner Frau dichtet Sofiane Ben Chaabane Künstlern und Intellektuellen allerlei tunesische Vorlieben an. tion.“ Tatsächlich war 2011 fast die ganze Welt per Smartphone live dabei, als Präsident Ben Ali aus dem Amt gejagt wurde. Die beiden brachen ihre Zelte in Paris ab, gingen mit ihren zwei Kindern nach Tunis und gründeten dort ihre Firma. Wenn Ben Chaabane das erzählt, klingt es ganz selbstverständlich, ausgerechnet im postrevolutionären, politisch und wirtschaftlich fragilen Tunesien einen beruflichen Neuanfang zu wagen. Und das auch noch in einer Branche, in der man weder viel Erfahrung noch Kontakte vor Ort hat. Wie also schafften es die Marketingexperten aus Paris zu Modedesignern in Tunis? „Wir merkten schnell, dass es hier kaum Kindermode in guter Qualität gab. Diese Beobachtung machten wir als Kunden und als Eltern“, erklärt Ben Chaabane. Sofort kam der Pragmatiker in ihm zum Vorschein: „In dieser Region der Welt gelten Kinder als kleine Könige, sie werden gerne ausstaffiert. Das haben wir genutzt.“ Lyoum begann mit einer Kinderkollektion, ganz aus Baumwolle, ohne kitschige Motive und grelle Farben. Auch die Entscheidung, von Anfang an ausschließlich in Tunesien zu produzieren, in kleinen Manufakturen in Sousse etwa, sei ein Mix aus Pragmatik und Überzeugung, so Ben Chaabane: Denn so leisten sie einen Beitrag zur strauchelnden tunesischen Wirtschaft und umgehen gleichzeitig lange Lieferzeiten und komplizierte Logistik. In Tunis kannte die Neudesigner anfangs natürlich niemand. Dieses Problem lösten sie mit einer – für Tunesien – neuen Idee: Sie integrierten ein kleines Bistro in ihre Boutique. „Die Leute kaufen nicht jeden Tag Kleidung, aber sie trinken jeden Tag Kaffee“, erklärt Ben Chaabane das simple Erfolgsrezept ganz unprätentiös. Mittlerweile sitzt er am Schreibtisch des Büros, nur eine große Glasscheibe trennt es vom Verkaufsraum. Immer wieder winkt er Kunden zu, die in den Laden kommen. Die Atmosphäre ist familiär, aber nie aufdringlich. „Das hier war übrigens damals die Küche“, sagt er plötzlich lachend. Nur zwei Salzstreuer – vergessen zwischen Stoffmustern und Polaroids von Modeshootings – lassen erahnen, dass hier einst Thymian-Tarte und Erdbeer-Ricotta-Muffins zubereitet wurden. „Ich bin zwar auch kein gelernter Gastronom“, sagt Ben Chaabane, der selbst hinter dem Tresen steht, und lacht wieder, „aber das Bistro war die beste Idee, die wir je hatten.“ Zielgruppenerschließung heißt das nüchtern im Marketingsprech, aber dem heutigen Vollzeitdesigner ist anzumerken, wie viel Spaß er an dem gastronomischen Experiment hatte. Doch das ist nun Geschichte. Seit 2015 dreht sich bei Lyoum alles ums Kerngeschäft: moderne tunesische Mode, die das „Mosaik der mediterranen Kulturen“, wie Ben Chaabane es nennt, widerspiegelt, dabei aber nie ins Folkloristische rutscht. Eine hübsche kleine Erfolgsgeschichte, wie sie es zu Tausenden gibt, könnte man meinen. Doch angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche, die Tunesien bis heute erlebt, zeigt das Beispiel von Lyoum, dass es hier um viel mehr geht als um schöne Kleider und originelle Ideen. So verspielt etwa die Oberteile mit mädchenhaftem Blusenkragen auf den ersten Blick auch wirken: Die Namen, die sie zieren, transportieren durchaus subtile Botschaften. Frida Kahlo war nicht nur eine große Künstlerin, sondern auch eine Frau, die gegen alle Konventionen rebellierte und zahllose Affären mit Männern und Frauen hatte. Simone de Beauvoir ist bis heute eine der bekanntesten Feministinnen, Andy Warhol bestritt nie seine Homosexualität. In der sich nach außen liberal gebenden, nach innen jedoch oft konservativen tunesischen Gesellschaft kann es Mut kosten, sich mit solchen Namen auf der Brust jenseits bourgeoiser Kreise zu bewegen. „Unsere Kunden sind weltoffen, selbstbewusst und unabhängig. Ihnen ist egal, was andere über sie denken“, bestätigt Ben Chaabane. Gleichzeitig glauben sie – wie er selbst – an die Zukunft Tunesiens und identifizieren sich auf ganz individuelle Weise mit ihrer Kultur. Den opulentorientalischen Stil, die großen Roben und das dramatische Make-up vieler lokaler Modemagazine findet man in LyoumKampagnen nicht. Die setzen auf Natürlichkeit, Humor und Gelassenheit. Und auf Models, mit denen die Ben Chaabanes auch privat befreundet sind, zum Beispiel mit der Bloggerin Sabrina Farhani. Seit 2011 bloggt die angehende Ärztin vor allem über Mode und Reisen. „Die Beschäftigung mit Mode hat mich selbstbewusster und mutiger gemacht“, erklärt die 27-Jährige. Tunesien, in den sechziger Jahren als das fortschrittlichste arabische Land in Sachen Frauenrechte gefeiert, verhandelt seit der Revolution auch die Geschlechterrollen neu: Liberale Ideen treffen auf islamistische Vorstellungen. Da bekommen Kleiderwahl und die Entscheidung darüber, wie frau die Haare trägt, schnell eine politische Dimension. Kopftuch-Diskussionen gibt es auch in Tunesien nicht zu knapp. Farhani trägt ihre wilde Lockenpracht meist offen. Neben Lyoum schätze sie die Entwürfe von Mademoiselle Hecy, doch ansonsten sei die tunesische Designer-Szene sehr überschaubar. Für Farhani ist klar: „Kleine Labels brauchen viel mehr Unterstützung.“ Claire und Sofiane Ben Chaabane schafften es aus eigener Kraft, Lyoum zu gründen und zu vergrößern. Sofiane weiß, warum sich viele mögliche Talente genau das nicht zutrauen: „Eigeninitiative, Mut zu Innovation und Vertrauen in die eigenen Ideen wurden unter Ben Ali jahrzehntelang unterdrückt und der Be- völkerung von klein auf regelrecht aberzogen.“ Und dann sei da noch ein anderes, großes Problem: „Tunesien kann sich einfach nicht gut verkaufen.“ Die Modebranche ist dafür ein erschreckend deutliches Beispiel: Tunesien ist nicht nur einer der größten Textillieferanten der EU, sondern auch die Heimat von Designer-Legende Azzedine Alaïa. Die Entwürfe seines Landsmannes Max Azria tragen Weltstars wie Shakira und Nachwuchsmodels wie Gigi Hadid. Der zumindest aktuell noch amtierende Kreativdirektor bei Saint Laurent, Hedi Sli- Foto Katharina Pfannkuch mane, hat einen tunesischen Vater. Auch international erfolgreiche Topmodels hat Tunesien zu bieten: Hanaa Abdessalem war Lancôme-Gesicht, Kenza Fourati gilt als erstes muslimisches Model, das für das jährliche „Sports Illustrated Swimsuit Issue“ vor der Kamera stand. Potential ist also da – doch das Land macht kaum etwas daraus. Auch Sabrina Farhani meint, es müsse noch mehr passieren. Das findet auch Sofiane Ben Chaabane. Deshalb beschreiten er und seine Frau für die „Couscous Pop“-Kollektion jetzt wieder neue Wege: Im Januar luden sie tunesische Musiker für eine Woche nach Hammamet ein, in den Norden Tunesiens. Während gemeinsamer MusikSessions entstanden dort nicht nur Fotos für die aktuelle Kampagne, sondern auch das „Couscous Pop Orchestra“. Das soll in diesem Jahr noch durch Europa touren. „Wir wollen den Menschen ein Tunesien zeigen, das man sonst nicht sieht“, sagt Ben Chaabane. Komplex und innovativ, widersprüchlich und vielseitig sei dieses Tunesien. Das hätte ganz bestimmt so manchem der auf den Shirts zitierten Freigeister gut gefallen. COCA-COLA LIFE JETZT: 50% WENIGER ZUCKER, 50% WENIGER KALORIEN.* MIT STEVIA-EXTRAKT** Coca-Cola Life ist unsere erste kalorienreduzierte Coca-Cola, die einen Teil ihrer Süße einer ganz speziellen Zutat verdankt: Stevia-Extrakt.** Stevia-Extrakt** ist süßer als Zucker, jedoch ohne Kalorien. Einzigartig erfrischender Coca-Cola Geschmack – jetzt mit 50% weniger Zucker und 50% weniger Kalorien.* Mehr Infos unter coca-cola-deutschland.de/coca-cola-life/ **Steviolglycoside *50% weniger Zucker & Kalorien im Vergleich zu herkömmlich gezuckerten Colas in Deutschland Coca-Cola, Coca-Cola Life, Coca-Cola light, Coca-Cola Zero, die Konturflasche und das rote Rundlogo sind eingetragene Schutzmarken der The Coca-Cola Company. Subtile Botschaften auf der Brust: Lyoum-Kampagnenfoto. Foto Ludovic Ismael
© Copyright 2025 ExpyDoc