Paraplegie Juni 2015 - Schweizer Paraplegiker

Juni 2015 | Nr. 154
paraplegie
Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
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Beflügelt auf Achse
Michel und Kornelia Torny sind ein gutes Gespann
Atmen erlernen | Gewinnen ist Kopfsache | Alexandra Helbling
PORTRÄT
Herr der Räder
und Motoren
Einmal Töff-Fan, immer Töff-Fan. Ein tragischer Unfall mit dem Gabelstapler liess Michel Torny aus
Ecublens (VD) nicht auf seine Leidenschaft verzichten. Heute fährt der 59-Jährige in seiner umgebauten
Strassenmaschine aus, am liebsten mit seiner Frau Kornelia im Seitenwagen.
Text: Mathias Haehl | Fotos: Walter Eggenberger
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ichel Torny liebte Motoren und
Spritztouren schon immer. Nicht
nur als Automechaniker-Lehrling bei Mercedes-Benz, wo er mit den Sternkarossen
erste Ausfahrten unternahm. Bald fand er
seine Passion mit Motorrädern. Die grossen
Brummer hatten es ihm angetan, im Speziellen die bequeme Honda-Maschine Goldwing.
«Auf diesen Maschinen fährt es sich wie auf
einem Sofa, solche Töff-Ausritte beflügeln
richtiggehend», sagt er mit einem Strahlen
in den Augen.
Auf dem «Goldflügler» trug es ihn jeweils
durch halb Europa, mitunter bis nach Syrien,
wenn es galt, eine neue Maschine zu testen
und einzufahren. Als ihm ein Arbeitskollege
zuflüsterte, wie wunderbar schön die Landschaften und Häuser Ungarns seien, war dem
damals 29-Jährigen klar: «Da wollte ich unbedingt hin.» Die sommerliche Töff-Fahrt 1984
sollte sein Leben verändern – zum Guten.
Der Weg ins Glück
Auf einem ländlichen Campingplatz lernte
er die zwei Jahre jüngere Kornelia kennen,
eine «echte Wienerin», wie Michel Torny sagt,
die wie er dort Ferien machte. Heute seine
Frau, erinnert sie sich: «Mich interessierte
zunächst nur Michels Riesentöff – doch
dann verguckte ich mich in seine stets lachenden Augen.» Nach ein paar Tagen musste sie
zurück. Sie fragte: «Kennst du Wien?» Er:
«Nein.» Sie: «Dann zeig ich es dir!» Schon fuh-
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ren sie los, er auf seiner Goldwing, sie im alten
VW-Käfer. Bis dieser seinen Geist aufgab und
sie auf den Sozius von Michel umstieg. Dass
sie 31 Jahre später immer noch gemeinsam
durch Städte und Landschaften fahren sollten, stand damals noch in den Sternen.
Fernbeziehung, Nahbeziehung, Familie
Damals bei Genf wohnhaft, konnte der
Romand sich nicht recht vorstellen, im
deutschsprachigen Raum zu leben, und Kornelia hatte eben als Stationsschwester in
einem grossen Wiener Krankenhaus Karriere gemacht. So führte das Paar während der
ersten fünf Jahre eine Fernbeziehung. Aber
was zusammengehört, kann man nicht trennen. Kornelia fand 1989 durch das Schweizerische Rote Kreuz in Bern einen interessanten
Arbeitgeber und eine neue Herausforderung.
Zwei Jahre später bereicherte Tochter Cindy
das Leben des Paares. Gemeinsam nahm die
junge Familie Wohnsitz in Ecublens (VD),
einem Vorort von Lausanne.
Machtlos gegen 1,5 Tonnen
Räder und Motoren waren in Michel Tornys Berufsleben immer wichtig. Und weil
er etwas übrig hatte für weite Reisen, fragte
er sich, noch bevor er seine Frau kennenlernte: «Weshalb nicht als Lastwagenchauffeur arbeiten?» Gesagt, getan, 9 Jahre lang.
Bis irgendwann zwischen Sizilien und dem
Nordkap alles abgefahren war. Als er sich
mit Kornelia für eine Familie entschied, war
das der richtige Zeitpunkt, um endlich sesshaft zu werden. Er sattelte im Speditionsbetrieb um, wurde Disponent, später Verkäufer. Von einem Chauffeur gefragt, ob er ihm
beim Verladen einer überdimensional grossen Kiste helfen könne, zögerte Torny nicht.
Vermutlich funktionierte die Bremssicherung nicht richtig, der zu beladende Anhänger verschob sich unbemerkt. Bis die Ladebordwand plötzlich nicht mehr richtig auf
der Rampe auflag und fast zwei Meter in die
Tiefe krachte. Der 1,5 Tonnen schwere Gabelstapler darauf kippte auf Michel Torny und
brach seine Wirbelsäule über der Rampenkante. Dieser Tag, der 30. Januar 1992, sollte
seinem ihm vertrauten Leben als Fussgänger
ein Ende bereiten.
In guten wie in schlechten Zeiten
«Ich hatte Glück im Unglück, dass der Gabelstapler mich nicht gleich begrub», staunt der
59-Jährige heute noch. «Und das alles acht
Monate nach der Geburt von Cindy. Wir hatten uns im Leben doch so gut eingerichtet.»
Eine Klage gegen den Fahrer wollte er nicht
anstrengen – was hätte es ihm gebracht ausser juristischem Papierkrieg? «Mein Gehvermögen hätte dies jedenfalls nicht zurückgebracht.» Zu kämpfen hatte er genug während der Reha-Zeit. «Das war hart.» Der Arzt
eröffnete ihm: «Sie sind jetzt Paraplegiker.
Sie werden Ihre Beine nie wieder bewegen
Leidenschaft. Als gelernter
Automechaniker weiss Michel
Torny, was es an der Maschine
zu überprüfen gilt. Der passionierte Goldwing-Fahrer hat die
richtigen Werkzeuge zur Hand.
PORTRÄT
können. Und es kommen noch ganz andere
Probleme auf Sie zu.» Dem Betroffenen war
elend, «am liebsten wäre ich gleich gestorben». Er wollte niemandem zur Last fallen,
und dann musste er mit gefühllosen Beinen
seiner geliebten Kornelia seine innersten
Gedanken eröffnen: «Ich verstehe, wenn du
nicht bei mir bleiben willst.» Doch seine Frau
antwortete: «Wir haben Ja zu einander gesagt
– in guten wie in schlechten Zeiten.»
Spontane Reise nach Nottwil
Die beiden sind noch heute zusammen. Sie
wissen, dass viele Beziehungen der neuen
Belastung nicht standhalten und auseinanderbrechen. Michel Torny litt anfangs nach
dem Unfall an heftigen Schmerzen. Oft aber
auch, weil viele ihn als Menschen mit Behinderung nun anders behandelten, «als hätte
ich nicht nur meine Beine, sondern zugleich
mein Hirn verloren!» Immer wieder gab es
körperliche Rückschläge. «Wir hörten viel
Gutes über das Schweizer Paraplegiker-Zen-
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trum und fuhren 1993 ohne grossen Plan,
im ersten Jahr nach meinem Unfall, spontan
nach Nottwil.»
Mit dem SPZ verbunden
Nachdem sich ein Arzt das Schicksal Tornys
angehört hatte, führte er das Ehepaar stolz
durch die Spezialklinik. Kornelia Torny
erklärt: «Wir waren begeistert angesichts
der Modernität des Hauses und der zuvorkommenden Belegschaft.» Der Paraplegiker
entschied, sich fortan im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) behandeln zu lassen.
So kam es denn auch. Er liess sich in Nottwil die Schulter operieren und war unlängst,
nach einem Oberschenkelbruch, zurück zur
Rehabilitation. Medizinische Checks führen
ihn immer wieder ins schweizweit führende
Zentrum für Schmerzmedizin im SPZ: Als
inkompletter Paraplegiker, dessen Rückenmark nicht vollständig durchtrennt ist, leidet Michel Torny unter chronischen Nervenschmerzen, die er mit starken Schmerzmit-
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teln dämpfen musste. Das geschieht jetzt via
Pumpe, die unter die Haut implantiert wurde;
sie gibt regelmässig ein Medikament in seinen Wirbelkanal ab.
Erfüllendes Amt als Präsident
Wäre sie genau so wirkungsvoll, würde
Michel Torny wohl die Musik als Therapie bevorzugen. Sie ist eine weitere Leidenschaft seit Jugendjahren. Der begabte Musiker spielt regelmässig Gitarre, Mundharmonika und Keyboard. «Das sind wunderbare
Entspannungsmomente für mich.» Was er
bei der Musik findet, suchen viele Rollstuhlfahrer im Sport. Glücklicherweise weiss der
Ex-Mechaniker nicht nur über den Kreislauf
von Motoren Bescheid. Michel Torny sorgt
mit Vergnügen dafür, dass der Kreislauf bei
seinen Club-Mitgliedern angeregt bleibt.
Das macht er als langjähriger Präsident des
«Club Fauteuil Roulant Lausanne», einem
der mit rund 150 Mitgliedern grössten von
27 Rollstuhlclubs der Schweiz. Obwohl, wie
er von sich sagt, «ich selber keine Sportskanone bin». Er und Kornelia, die zuständig ist
für den Bereich Kultur und Freizeit, sind vor
allem auf die Leistungen der Curling-Equipen stolz – aber auch ein wenig auf die von
ihnen organisierten Reiseaktivitäten. «Beispielsweise unsere einwöchige Busreise zum
Wissenspark Futuroscope an der französi-
«Ich wollte es mir und
allen zeigen.»
schen Atlantikküste: Wenn die Rollstuhlfahrer abends mit
zufriedenen Gesichtern am Tisch sitzen, sind wir für die
grosse Organisationsarbeit mehr als belohnt.» Auch BridgeNachmittage, Kulturanlässe sowie ein von der Schweizer
Paraplegiker-Vereinigung unterstützter Rechtsdienst gehören zum breiten Club-Angebot. Es sind diese Sport- und Reiseangebote, die nachweislich helfen, das Selbstwertgefühl
und die Integration der Betroffenen zu steigern.
Geschenk des Himmels
Selbstwert und Integration sind zwei Themen, über die sich
Torny die ersten Monate nach seinem Unfall häufig Gedanken machte. Er wusste: «Ich werde es mir und allen zeigen.»
Er wollte weiter ein zufriedenes Familienleben führen und
im Arbeitsprozess bleiben. Heute arbeitet er in einem Teilzeitpensum als Handlungsbevollmächtigter, zuständig für
Verkauf und Kundenbetreuung, bei einem internationalen Transportunternehmen. Und er wollte auch weiterhin
Motorrad fahren. «Jedes Mal, wenn ich an meiner Goldwing
vorbeikam, streichelte ich die Maschine und war überzeugt,
dass ich sie als Paraplegiker nie mehr fahren würde.» Dann
fand er durch einen Freund die richtige Werkstatt und liess
seine Goldwing umbauen: Schalten und Bremsen funktionieren jetzt per Handschaltung. «Es war ein Geschenk des
Himmels, ich konnte wieder fahren.» Michel Torny ergänzt:
«Ein Optimist wird durch einen Unfall ein noch grösserer
Optimist. Und ein Pessimist wahrscheinlich nach einem
Schicksalsschlag ein noch schärferer Negativdenker. Klar,
dass ich mich fürs Positive entschieden habe. Schauen Sie
mich doch an!» Stolz beugt er sich über sein Motorrad, seine
Kornelia strahlt im Beifahrersitz. So sieht Glück aus.
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1 Beruf. Die Strassen dieser Welt blieben sein Metier. Michel
Torny arbeitet in einem internationalen Transportunternehmen.
Sein Chef Pascal Gerspach machte den barrierefreien Arbeitsplatz möglich.
2 Mission. Rollstuhlclub-Präsident Michel Torny und seine Frau
Kornelia planen die Gruppenreisen für ihre Clubmitglieder.
Sie müssen auf die Bedürfnisse der Rollstuhlfahrer ausgerichtet
und deshalb umsichtig vorbereitet sein.
3 Entspannungsmomente. Im Gitarrenspiel findet der begabte
Musiker einen Ausgleich zum Alltag. Die Sammlung in seinem
Übungsraum zählt mittlerweile 15 dieser Saiteninstrumente.
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