Abstract Cheryce von Xylander Biedermeier

Abstract Cheryce von Xylander
Biedermeier-Psychiatrie
Der
medizinisch
verwaltete
Wahnsinn
lässt
sich
als
eine
moderne
Form
gesellschaftlicher Selbstreglementierung verstehen. Foucaults Untersuchungen zu den
reformpsychiatrischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts ergaben bekanntlich, dass
das traitement moral nach Pinel und Esquirol, mitsamt der neueingeführten
therapeutischen Anwendung von Musik, dem bürgerlichen Aufschwung außerhalb der
Anstaltswelt ebenso dienlich war wie der Ausdifferenzierung von Krankheitsbildern
innerhalb derselben. Ähnliche Entwicklungen konnten für die Heil- und Pflegeanstalten
im deutschsprachigen Raum nachgewiesen werden. Doch in kulturpsychologischer und
kulturanthropologischer Hinsicht dürften die spezifischen Unterschiede von vorrangigem
Interesse die sein, die in der Verbreitung der psychischen Heilkuren auf dem
europäischen Kontinent und darüber hinaus zu beobachten sind. Trotz universellen
Anspruchs wird die Umsetzung der neuen wissenschaftlichen Ausrichtung in die
psychiatrische Praxis von unzähligen Anpassungen an lokale Traditionen und
ideengeschichtliche Idiome begleitet. Von herausragender Bedeutung für den Prozess
der regionalen Adaptierung sind bildende psychologische Grundkategorien, wie etwa
das Gemüt, das in den deutschen Ländern verschiedentlich dazu beitrug, dass sich der
therapeutische Schwerpunkt von der ethisch-moralischen Beeinflussung der Patienten
auf ihre „ästhetische Umerziehung“ (vgl. Kramer [von Xylander] 1998) verlagerte. Zur
fachlichen Ausgestaltung des psychiatrischen Sonderwegs im Geiste des Gemüts
wurden zeitgenössische Philosophen bemüht. Diese prägten maßgeblich und
nachhaltig die in ihrer Charakteristik weitgehend verkannte Epoche des Biedermeier.