Ziach dei` Spur ocha

Mei Hoamatg’fühl
TEXT: RENATE NOCKER
FOTOS: ROLART, MIA KNOLL,
FWT/D. DAHER, SCHRANKING
PRODUCTIONS, PRIVAT
Ziach dei’ Spur ocha
Früher hieß es Tiefschneefahren, heute Freeriden.
Doch ganz egal, wie man es nennt – die Faszination von unverspurten
Hängen ist seit Jahrzehnten die selbe geblieben.
Erste Sonnenstrahlen, funkelnder Schnee, unverspurte Hänge.
Die Skier angeschnallt und der Gipfel in Sicht. Herrlich, diese
Ruhe und die traumhaften Ausblicke. Was für ein unglaubliches
Gefühl von Freiheit! Sepp Pletzenauer (alias „Schimmi“, 85),
Martin Fleckl („Obing Mascht“, 60), Markus Kogler („Kogs“, 38)
und Jakob Ernst („Ernstei“, 18) kennen diese Momente nur zu
gut. Alle vier wohnen in Fieberbrunn und teilen die selbe Leidenschaft. Am häufigsten sind sie im Wildseeloder-Gebiet unterwegs, dem Freeride-Klassiker schlechthin, der vom Fieberbrunner Skigebiet aus zu erreichen ist. Alt und Jung trifft sich im
Gelände, in der Gondel oder beim Einkehrschwung. Gesprächsstoff gibt es genug, und die Erfahreneren haben für die weniger
Jakob Ernst
Erfahrenen meist auch einen Tipp auf Lager. Das unterschiedliche Alter spielt keine Rolle, ganz im Gegenteil – Freeriden verbindet!
Sepp Pletzenauer („Schimmi“) legt die Spur vor
Sepp ist mit seinen 85 Jahren ein Urgestein im Gelände und
kennt nicht nur so ziemlich jeden Zacken in Fieberbrunn und
Umgebung, sondern ist da auch schon überall mit seinen Skiern runtergefahren. „Schimmi“ war einer der ersten Freerider im
Bezirk, wenn nicht überhaupt der Erste. Auch wenn das damals
natürlich noch nicht so bezeichnet wurde.
Viele Erstbegehungen und Erstbefahrungen von verschiedensten Steilhängen und
Rinnen gehen auf sein Konto. In seinen
jungen Jahren bezwang der gelernte Hufund Wagenschmied zahlreiche Gipfel mit
2,10 Meter langen Skiern aus schwerem
Buchenholz. Das Fell bestand damals noch
aus Kuhhäuten, die mehr schlecht als recht
mit Schnallen, ähnlich wie bei einem Gürtel, befestigt wurden.
(Sepp)
„Bei ins
gibts koa
Rinn’,
wo i nit
g’fåhrn
bin“
Dem Sepp war kein Weg zu weit. Von seinem Elternhaus in der
Nähe des Fieberbrunner Fußballplatzes ging er zu Fuß bis zum
Gasthof Eiserne Hand. Dort zog er seine Skier mit den Fellen an,
ging auf den Spielberg und fuhr ihn an der steilen Vorderseite hinunter. Solange im Sommer noch irgendwo ein weißer Fleck auf
den Bergen zu finden war, traf man ihn auch mit dem Fahrrad
oder Motorrad an, die Skier hinten raufgeschnallt, versteht sich.
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Mei Hoamatg’fühl
Die Schatt-Seite des Hörndlinger Grabens, der heuer durch die
Verbindung mit Saalbach für Freerider leichter erreichbar wird,
kennt Sepp natürlich auch. „Då muss ma scho’ a bissl vorsichtig toa“, sagt er, „ma muass guat beinander sei’ und braucht an
guaten Schnee“. Über seine Passion erzählt „Schimmi“, der diesen Spitznamen bekam, weil er schon seit Anfang 40 komplett
weiße Haare hat: „I bin ummadum kemma, überall auf der Welt.
Aber am liebsten bin i då, in Fieberbrunn. Wo i dahoam bin, bin
i dahoam. Die Häng’ bei ins, die Zwoatausender då – då gibts
koa Rinn’ und koa Steilheit, wo i nit g’fåhrn bin. Fieberbrunn is a
Schneeloch. Alles a schöner Pulver. I wår immer früh auf’m Weg.
Dånn hun i då des freie Gelände g’håbt. Koa Mensch då. Und då
hun i hålt mei’ Spur ochag’legt“.
Sicherheit am Berg – ein großes Thema für Martin Fleckl
Der Obinghof von Familie Fleckl befindet sich direkt an der Piste. Daher ist es naheliegend, dass Martin schon immer viel mit
den Skiern unterwegs war. Als 12jähriger ging er mit seinem Vater die erste Skitour. Damals gab es nur den Einser-Sessellift bis
Streuböden. Wenn man auf den Lärchfilzkogel oder noch weiter
hinauf wollte, mussten die Felle aufgezogen und die Skier angeschnallt werden.
Das Skifahren und Tourengehen fasziniert Martin bis heute. Er
ist Bergführer und Bauer im Sommer und Diplomskilehrer und
Skiführer im Winter. „Mascht“ bringt jede Menge Erfahrung mit
und ist ein alter Fuchs im Gelände. Dass der Hörndlinger Graben
erschlossen wird, ist seiner Meinung nach ein wichtiger Schritt
in die Zukunft und super ideal für Freerider, aber „die steilen
Hänge sind zum Aufpassen“, sagt er. „Durch den neuen Lift wird
das Gebiet mehr befahren und der Schnee dadurch mehr komprimiert, was für die Sicherheit wichtig ist“. Wie viele Skitage der
„Gånz
ausschließen
kånn ma’ die
Gefahr am
Berg nit“.
60-Jährige wohl schon in seinen
Beinen hat, ist schwer zu schätzen. Im Winter ist Martin sicher
fünf bis sechs Tage die Woche mit
seinen Gästen unterwegs. Heuer geht es erstmals in Richtung
Saalbach, da werden die Fahrten
im Gelände sicher nicht weniger.
(Martin)
„Die Jungen sand die echten Freerider, mia sand hålt g’rad no eichi
g’schnoit, mit de breiten Ski“, erzählt er. Als er vor etwa zehn
Jahren eine Gruppe mit Kärntnern und Wienern übernahm, allesamt ausgestattet mit Freeride-Skiern, fuhr auch er erstmals
mit solchen Brettern. „Des håt mi sehr fasziniert, und åb då is
dånn so richtig losgånga“, erzählt Martin, für den die Sicherheit
im Gelände ein großes Thema ist. „Erfahrung is wichtig, des dauert Jahre, und man lernt nie aus. Wenn ma’ sich nit auskennt,
sollt’ ma’ sich besser an Bergführer nehma. I will då nit g’scheit
sein, denn gånz ausschließen kånn ma’ die Gefahr am Berg nit.
Mit dem Alter wird ma generell no a bissl vorsichtiger, hun i des
G’fühl.“
Markus Kogler – checkt die Lage bei Freeride-Events
Als Sohn eines Skischulleiters wird dem gebürtigen Hochfilzener
das Skifahren quasi mit in die Wiege gelegt. In seiner Kindheit
und Jugend fuhr er Rennen im Bezirks- und Landeskader. „Mit
sehr mäßigem Erfolg“, lacht Markus, „der Benni Raich war mir
einfach immer zu schnell“. Während der Skilehrer-Ausbildung
kommt er so richtig auf den Geschmack, was das Fahren im
Gelände anbelangt. Die gesamte Ausbildung inklusive Diplomprüfung zog er rasch durch. „Kogs“ hat sein Hobby zum Beruf
Martin Fleckl
Sepp Pletzenauer, ca. 1948
„Schimmi“ mit Hanspeter
Lechner, 1980
Martin Fleckl mit
Johann Egger (†),
1978
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Markus Kogler
Jakob Ernst, ein junger Freerider, der noch viel vor hat…
Was so faszinierend am Freeriden ist, beschreibt Jakob am treffendsten: „Man hat einen Widerstand unter den Skiern, und
doch ist der Schnee so weich“. Für den 18jährigen zählt auch
„der Adrenalinkick, wenn man sich einen Felsen raussucht zum
Runterspringen“. Ein Draufgänger ist der Schüler der HIB Saalfelden aber nicht. Ihm ist die Verantwortung beim Freeriden
sich selbst und seinen Freunden gegenüber, sehr wohl bewusst.
„Niemals alleine ins Gelände“, lautet eine der wichtigsten Freeride-Regeln, an die sich Jakob auch hält. Er schätzt es, dass seine
Eltern diese Freizeitaktivität relativ locker sehen und ihm voll
und ganz vertrauen. „Der Papa geht selber oft Touren“, erzählt
er, „viel mehr, als ‚tat’s aufpassen‘, sagt er nicht. Wenn die Eltern
auch im Gelände unterwegs sind, wissen sie, was ihre Kinder
draufhaben, und dann passt das schon“. Skifahren gelernt hat
Jakob schon mit drei Jahren. Bereits mit neun war er mit seinem
Vater im Tiefschnee neben der Piste unterwegs, weil man da das
Skifahren am besten lernt. Dann kam die Zeit, wo ihn das Schanzei-Springen fasziniert hat, und mit
ungefähr 12 nahm ihn der Papa auf
die erste „Seehäusl-Runde“ mit.
Heute ist Jakob mit seinen Freunden,
die großteils älter sind als er, vorwiegend in Fieberbrunn unterwegs.
„Man håt an
Widerstand
unter den
Skiern, und
doch ist der
Schnee so
weich“
(Jakob)
gemacht. Alles was er tut, dreht sich um die Themen Sport und
Berg. Fun Connection, Fun Construction und Bergführer im
Sommer – Skiführer, Ausbildner für den österreichischen Skilehrerverband und Sachverständiger für Lawinenunfälle und
Alpinistik im Winter. Durch die Tätigkeit als Sachverständiger
ist Markus für die österreichische Freeride-Serie „Open Faces“
unterwegs, bei der die Fahrer Punkte sammeln, um sich für die
Freeride World Tour zu qualifizieren. Für solche Events begutachtet der 38jährige das Gelände und die Hänge und schätzt
auch eine mögliche Lawinengefahr ein.
Events im Bereich Freeriding sind dem Gründungsmitglied des
Vereins „Snowfever“ seit langem vertraut. Schon seit mehr als
zehn Jahren veranstalten er und fünf weitere junge Burschen aus
Fieberbrunn verschiedenste Freeride-Contests im Ort. Dass die
bekannte Freeride World Tour in der Pillerseetal-Gemeinde Station macht, ist dem Engagement dieser Truppe zu verdanken. Sie
luden den Chef dieser internationalen Sportveranstaltung nach
Fieberbrunn ein, dieser besichtigte den berüchtigten „Wildseeloder“ und fand sofort Gefallen an diesem Berg und Freeridegebiet. Nach einigen Qualifyern findet heuer bereits zum 6. Mal die
internationale Freeride World Tour am 6. März 2016 in Fieberbrunn statt. „Der Wildseeloder ist im oberen Bereich sicher einer
der steilsten Berge bei der ganzen Tour“, erklärt Kogs. „Der Respekt bei den Fahrern ist hoch bei der 70 Grad steilen Flanke, bei
der man die ersten 50 Meter fast nur Luft unterm Belag hat. Heuer befindet sich das Zuschauer-Areal für dieses Event erstmals
bei den Wildalmen, damit die Leute noch näher am Geschehen
dran sind“, verrät er.
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Bis vor wenigen Jahren reizte den
Jugendlichen das Tourengehen mit
sportlicher Betätigung und Gipfelsieg. Jetzt sind ihm kurze Aufstiege
und lange Abfahrten lieber. Das hat
wohl auch damit zu tun, dass „Erns-
Jakob Ernst
Mei Hoamatg’fühl
Jakob Ernst, Sepp Pletzenauer, Markus Kogler, Martin Fleckl
tei“ für die Freeride World Tour trainiert. Ab heuer fährt er nicht
mehr bei den Juniors, sondern bei den Erwachsenen mit. Wenn
es ihm gelingt, sich zu qualifizieren, kann er als Starter bei der
World Tour dabei sein. Als Profi möchte Jakob diesen Sport nicht
ausüben „aber in Kombination mit einem Medizin- oder Sportstudium wäre das eine coole Sache“, verrät der dreifache Österreichische Meister in Judo.
Freeriden verbindet
„Freeriden entwickelt sich immer mehr zur Königsdisziplin im
Skisport“, sagt Markus Kogler. Und nicht nur das. Diese Freizeitaktivität verbindet Generationen und letztendlich auch die
beiden Skigebiete Fieberbrunn und Saalbach-HinterglemmLeogang. „Die Saalbacher haben den Skigebietszusammen-
schluss mit den Bergbahnen Fieberbrunn mitunter auch deshalb forciert, weil sie die Freeride-Kompetenz erkannt haben,
die sich Fieberbrunn aufgebaut hat“, erklärt der 38jährige. „Hier
haben eindeutig wir die Nase vorne. Mit dem neu erschlossenen Hörndlinger Graben gewinnen beide etwa fünf Kilometer
Abfahrten im Gelände dazu, mit einem relativ kurzen Aufstieg,
weil die Lifte ja gleich in der Nähe sind“, so Kogs. „Piste kann
man nur eine bauen, doch für die Freerider schafft man ein riesiges Gelände. Wenn die Leute das erste Mal auf dem Reiterkogel
stehen – dann jammert kein Skeptiker mehr“, ist er überzeugt,
„dann tut sich nicht nur ein grandioses Skigebiet auf, sondern
eine Vielfalt an Freeride-Möglichkeiten, die man wo anders erst
einmal finden muss“.
„Piste kann man nur
eine bauen, doch für die
Freerider schafft man
ein riesiges Gelände“
(Kogs)
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