Lösungsskizze - Anwaltsblatt Karriere

Examen
Klausur Strafrecht
(Erstes Examen)
Dieses Heft von Anwaltsblatt Karriere hat eine Studierenden-Redaktion erstellt.
Daher gibt diesmal keinen Original-Aktenvortrag aus dem zweiten Staatsexamen,
sondern eine Original-Strafrechtsklausur aus dem ersten Examen. Anders als sonst,
geht es nicht darum, die Anwaltsperspektive einzunehmen. Es genügt, die Probleme
des Klausurfalls zu erkennen und durch saubere juristische Argumentation im Gutachtenstil zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist schwierig genug, zumal es gerade
im Strafrecht viele Streitstände gibt, die präsentiert werden können. Die OriginalKlausur aus dem Bereich Strafrecht hat das Gemeinsame Justizprüfungsamt der
Länder Berlin und Brandenburg zur Verfügung gestellt.
Sachverhalt:
T betritt eine Spielhalle in der Absicht, in unlauterer Weise zu
Geld zu kommen. Er geht zur Kasse, an der die Angestellte A
sitzt, und gibt vor, Geld für die Spielautomaten wechseln zu
wollen. Als A die Kasse öffnet, greift T blitzschnell hinein und
entnimmt – bevor A überhaupt reagieren kann – der Kasse
200 Euro in Scheinen. Das Geld steckt T sofort in seine Jackentasche. Sodann läuft T zur Eingangstür. Die Tür lässt sich jedoch nicht öffnen, da hierfür, was T nicht wusste, ein Knopfdruck seitens der A erforderlich ist, durch den der Schließmechanismus der Tür betätigt wird. Als T dies bemerkt, dreht
er sich zu A um, greift in seine Jackentasche und fordert A lautstark auf, die Tür zu öffnen, andernfalls werde er von seiner
unter der Jacke befindlichen Pistole Gebrauch machen und A
erschießen. Tatsächlich hat T keine Waffe dabei, allerdings will
er mit dem erbeuteten Geld unbedingt fliehen. Vor lauter
Aufregung versteht A die Worte des T nicht, erkennt aber, dass
T unbedingt hinaus will. Da A mit der Situation überfordert ist,
betätigt sie den neben der Kasse befindlichen Knopf, so dass T
die Tür öffnen und fliehen kann.
Bearbeitervermerk:
1. Der Sachverhalt ist nicht darzustellen.
2. Ggfs. erforderliche Strafanträge sind gestellt.
Zugelassene Hilfsmittel:
a) Schönfelder, Deutsche Gesetze (Loseblattsammlung)
b) Sartorius, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze
(Loseblattsammlung)
c) Trojahn, Gesetze über die Berliner Verwaltung oder
v. Brünneck/Wolff/Dombert, Nomos Texte Landesrecht Brandenburg
Problemschwerpunkte:
·
·
·
Abgrenzung Betrug/Diebstahl
Wahrnehmung der Drohung im Rahmen des räuberischen
Diebstahls
Falsche Verdächtigung und Einwilligung
Lösungsskizze
A. Erster Tatkomplex: Das Geschehen in der Spielhalle
Aufgrund der Täterbeschreibung der A und der in der Spielhalle befindlichen Videoaufzeichnungen fällt der Verdacht schnell
auf den vorbestraften T. Als T zur Beschuldigtenvernehmung
geladen wird, bespricht er sich mit seinem bislang unbestraften Zwillingsbruder B. Nach längerer Diskussion ist B damit
einverstanden, dass T ihn (den B) als Täter benennt. T erklärt
daher in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung nach
ordnungsgemäßer Belehrung, dass der ihm täuschend ähnlich
aussehende B die Tat in der Spielhalle begangen habe, woraufhin die Polizei gegen B ein Ermittlungsverfahren einleitet.
Prüfen Sie gutachterlich die Strafbarkeit des T nach dem Strafgesetzbuch!
I. Strafbarkeit des T gem. § 263 Abs.1 StGB
T könnte sich wegen Betruges gem. § 263 Abs.1 StGB strafbar
gemacht haben, indem er A gegenüber vorgab, Geld für die
Spielautomaten wechseln zu wollen, A daraufhin die Kasse öffnete und T 200 Euro aus dieser entnahm.
· Täuschung (+): T hat A gegenüber nur vorgespiegelt, Geld
wechseln zu wollen.
· Irrtum bei A durch Täuschungshandlung (+).
· Vermögensverfügung der A (-): Öffnen der Kasse durch die
A nicht ausreichend, erst die Entnahme des Geldes durch T.
Ergebnis: § 263 Abs. 1 StGB (-).
Anmerkung: Vertretbar erst Diebstahl zu prüfen und dort
Abgrenzung zum Betrug vorzunehmen.
anwaltsblatt karriere / 69
examen
e
examen
II. Strafbarkeit des T gem. § 242 Abs.1 StGB
T könnte sich wegen Diebstahls gem. § 242 Abs.1 StGB strafbar
gemacht haben, indem er in die Kasse der A griff, dieser 200
Euro entnahm und das Geld sofort in seine Jackentasche steckte.
· Fremde bewegliche Sachen (+): Geldscheine sind fremd für T.
· Wegnahme (+): Griff in die Kasse, Entnahme der 200 Euro
und Verstauen in der Jackentasche (Gewahrsamsenklave);
Diebstahl muss nicht heimlich erfolgen.
· Vorsatz und Zueignungsabsicht (+).
· Keine Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe ersichtlich.
Ergebnis: § 242 Abs. 1 StGB (+).
Anmerkung: Es kann erörtert werden, ob eine vollendete Wegnahme deshalb ausscheidet, weil die Tür verschlossen ist und T
deshalb objektiv gehindert war, die Räumlichkeit zu verlassen.
III. Strafbarkeit des T gem. § 252 StGB
T könnte sich des räuberischen Diebstahls gem. § 252 StGB
strafbar gemacht haben, indem er A lautstark aufforderte, die
Tür zu öffnen, und drohte, sie andernfalls zu erschießen.
· Bei Diebstahl auf frischer Tat betroffen (+): Diebstahl war gerade begangen und T befand sich noch am Tatort. A hatte
den Diebstahl durch T auch bemerkt.
· Drohung mit Gewalt oder gegenwärtiger Gefahr für Leib
oder Leben (-): hier Drohung; unschädlich, dass T keine
Waffe dabei hatte, lediglich Anschein von Ernstlichkeit
notwendig; aber Zwangslage liegt nur vor, wenn Bedrohter
Drohung wahrnimmt; hier nicht der Fall, daher nur Beeinträchtigung der Willensentschließungs- und -betätigungsfreiheit; a.A. vertretbar.
· Beutesicherungsabsicht (+): T wollte mit dem erbeuteten
Geld fliehen.
· Unmittelbares Ansetzen (+): Aussprechen der drohenden
Worte.
Ergebnis: §§ 252, 22, 23 StGB (+); versuchte Nötigung gem.
§§ 240, 22, 23 StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz
zurück.
Anmerkung:
a) § 250 Abs.1 Nr.1b) StGB kann wegen Scheinwaffe angesprochen werden, aber (-).
b) Bei Drohung (+) kann Bedrohung gem. § 241 StGB geprüft
werden. Konkurrenzverhältnis zu §§ 240, 252 StGB beachten.
V. Strafbarkeit des T gem. § 263 Abs.1 StGB
Durch die Aufforderung, die Tür zu öffnen, könnte sich A eines Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben,
da er in Wahrheit gar keine Pistole mit sich führte.
· Vermögensverfügung (-): Vermögensschaden ist durch Griff
in die Kasse und das Verbergen der Geldscheine in der Jackeninnentasche eingetreten. Öffnen der Tür durch A ohne unmittelbar vermögensmindernde Wirkung.
· Außerdem: Exklusivität von Betrug und Diebstahl, so dass
Wegnahme (s.o.) eine Vermögensverfügung ausschließt.
Ergebnis: § 263 Abs. 1 StGB (-).
Anmerkung: Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs gem. § 123
StGB kann angesprochen werden, aber (-).
B. Zweiter Tatkomplex: Die Beschuldigtenvernehmung
Ergebnis: § 252 StGB (-).
IV. Strafbarkeit des T gem. §§ 252, 22, 23 StGB
T könnte sich wegen versuchten räuberischen Diebstahls gem.
§§ 252, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er A lautstark aufforderte, die Tür zu öffnen, andernfalls er sie erschießen werde.
· Tat ist nicht vollendet, s.o., und Versuch gem. §§ 23 Abs.1, 12
Abs.1 StGB strafbar.
· T bei Diebstahl auf frischer Tat betroffen (+)
· Drohung (+): A wollte mit gegenwärtiger Gefahr für Leib
oder Leben drohen und insb. auch, dass A seine Drohung
wahrnimmt.
70 / anwaltsblatt karriere
T könnte sich wegen falscher Verdächtigung gem. § 164 Abs.1
StGB strafbar gemacht haben, indem er im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung erklärte, B habe die Tat in der Spielhalle begangen.
· Verdächtigen eines anderen einer rechtswidrigen Tat (+):
T erklärte B sei der Täter.
· Verdächtigung objektiv unwahr (+).
· Verdächtigung erfolgte bei der Polizei und damit bei einer
Behörde bzw. bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen
zuständigen Amtsträger (+).
· Handeln wider besseren Wissens (+).
· Absicht ein behördliches Verfahren herbeizuführen (+): Ausreichend, dass der Täter weiß und will, dass ein Verfahren
die notwendige Folge seiner Handlung ist. Direkter Vorsatz
examen
nach herrschender Meinung ausreichend. T ging davon aus.
· Rechtfertigung durch Einwilligung des B (-): Wirksamkeit
der Einwilligung hängt u.a. davon ab, dass Einwilligender
verfügungsberechtigt ist. Geschütztes Rechtsgut in § 164
StGB str.: Rechtspflegetheorie vs. Individualgutstheorie.
Nach h.M. beseitigt Einwilligung des zu Unrecht Verdächtigten die Rechtswidrigkeit nicht; a.A. vertretbar.
C. Gesamtergebnis
· Tatkomplex 1: Diebstahl und versuchter räuberischer Diebstahl (+). Verhältnis von vollendetem Diebstahl und versuchter räuberischer Erpressung str.: Gesetzeskonkurrenz oder
Tateinheit.
· Tatkomplex 2: Falsche Verdächtigung zu Tatkomplex 1 in Tatmehrheit gem. § 53 StGB.
Ergebnis: § 164 Abs.1 StGB (+).
Anmerkung: Strafbarkeit gem. § 145 d StGB (-) aufgrund formeller
Subsidiarität. Strafbarkeit gem. § 187 StGB (-) aufgrund des
Einverständnisses des B.
Die ausführliche Lösungsskizze finden Sie im Internet unter
www.anwaltsblatt-karriere.de
anwaltsblatt karriere / 71