Werben & Verkaufen /// www.wuv.de Nr. 30 /// 20. Juli 2015 /// 7,70 € Das perfekte Versprechen von Mediaagenturen Volle Drohung Foto: W&V/Thomas Dashuber Einschüchterungsversuche, bevor diese Titelgeschichte überhaupt erschienen ist: Manch eine Mediaagentur wirkt besonders nervös, wenn man über sie und ihre Geschäftspraktiken recherchiert. So wurde W&V angedroht, dass etliche Mediaagenturen ihre Abos kündigen würden. Auch die Stornierung von Anzeigen wurde unverblümt per Telefon ausgesprochen. Mediamanager haben unsere Informanten verraten wollen, wobei sie irgendwelche Namen gestreut haben. Dieses Verhalten hat uns überrascht. Und enttäuscht. Aber es sagt viel aus über eine Zunft, die sich so gern als offen und transparent bezeichnet und die behauptet, sie sei unabhängig beratend unterwegs, immer im Sinne ihrer Kunden. Vielleicht kommt die Nervosität einiger Mediaagenturen nicht von ungefähr. Denn das, was W&V-Redakteurin Judith Pfannenmüller alles herausgefunden hat, dreht einem die Socke im Schuh um. Demnach zahlen Medien Millionenbeträge an einige Mediaagenturen, um an Werbeaufträge zu kommen. Wie Saftorangen werden gern mal TV-Vermarkter ausgepresst. Selbst mancher Werbekunde muss draufzahlen, wenn er aufgeklärt werden will: Je mehr Transparenz, desto mehr Kosten. Klar, dass bei solchen Recherchen die eine oder andere Mediaagentur eine Drohkulisse aufbaut. Schadet aber allen. 3 Dinge … die Sie in diesem Heft überraschen werden Als Nationalspieler der deutschen Hockeymannschaft fährt er 2016 zu den Olympischen Spielen: Moritz Fürste, Sportmarketingdirektor bei Thjnk. Seite 54 In Deutschland gibt es 1,3 Millionen Menschen weniger als gedacht. Laut Mikrozensus. Seite 13 Auch Top-Designer outen sich als Minion-Fans: Stefano Gabbana und Domenico Dolce. Seite 12 Jochen Kalka, Chefredakteur [email protected] W&V 30-2015 | 3 "... dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." Das Geschäftsgebaren von einigen Mediaagenturen treibt die seltsamsten Blüten. Es hat sich ein System entwickelt, das zulasten von Medien funktioniert. Es ist ein oft intransparentes System, das nicht immer im Sinn der Werbekunden sein kann. Es geht um jede Menge Rabatttricks, getarnt als Serviceleistung D as ist heute Realität im Mediabusiness: „Frag nicht, was das Medium für deinen Mandanten tun kann, frag, was das Medium für dich tun kann.“ So stellt sich die Situation nach zahlreichen Gesprächen mit Auditoren, Vermarktern, Agenturen und großen Werbekunden dar. „Was gibt’s du mir, wenn ich bei dir buche?“ Das ist die Frage, mit der Medien wieder und wieder von Mediaagenturen konfrontiert werden. Natürlich gibt es auch Agenturen, die sich nicht auf diese Praktiken einlassen. Aber: Ohne Extrazuwendungen macht heute kaum ein Medium mehr ein gutes Geschäft mit einer Mediaagentur. Das gilt für alle Gattungen, aber vor allem für Onlinemedien und Fernsehsender. Wer Umsatzwachstum will, muss der Agentur oft gute Gründe geben, gebucht zu werden, geldwerte Gründe. Alte Werte wie Reichweite erzeugen, oder eine passende, attraktive Zielgruppe für die Kampagne eines Kunden haben, reichen als Begründung allein nicht mehr unbedingt aus. Acht Jahre nach den 216 Mio. Euro schweren Kartellstrafen für die Vermarkter von ProSieben und RTL wegen illegaler Rück- TEXT: Jud i th P fa nne nmü l l e r, T homa s Nöt t i ng vergütungen für Mediaagenturen herrscht wieder Überdruck im deutschen Mediamarkt. Und er ist schlimmer als jemals zuvor. Medien werden zuweilen ausgepresst wie Saftorangen: Zwischen 90 und 100 Mio. Euro leiten allein TV-Vermarkter jährlich an Extravergütungen in die Taschen der Mediaagenturen zurück, rechnen Branchen-Insider vor. Online- und Printmedien sind dabei nicht mitgerechnet. Medien zahlen Millionen an Mediaagenturen Um die 5 Mio. Euro Extrarabatte soll beispielsweise Sport 1 jährlich an die Agenturen zahlen, an die 14 Mio. RTL II. 7 bis 8 Mio. Euro sollen die Agenturen bei Discovery und Disney für sich herausholen, Sky soll auf etwa 3 Mio. Euro kommen. Am besten verdienen die Agenturen an den großen Sendergruppen: Jeweils an die 25 Mio. Euro sollen sie sich ihr Umsatzwachstum jährlich kosten lassen. Es sind Zahlen, die niemand offiziell bestätigen würde. TV-Verkäufer tauschen sie im Markt untereinander aus. Sie seien realistisch, bestätigen mehrere Quellen gegenüber W&V. Es hat sich ein System etabliert, das verhärtet ist wie ein überstrapazierter Muskel. Es ist ein System, das zu Lasten der Medien funktioniert. Aber auch zu Lasten derjenigen Kunden, die ihrer Agentur blind vertrauen, weil ihnen Kompetenz, Wille oder schlicht das Geld für eine ausreichende Kontrolle fehlt. Manch Agentur, die eigentlich Dienstleister sein soll für ihre Werbekunden, um deren Werbegelder treuhänderisch nach der strategisch klügsten und gleichzeitig effizientesten Methode in den Medien zu platzieren, ist zu einer eigenständigen Renditemaschine mutiert, mit eigenen Interessen, die sich nicht mit denen ihrer Kunden decken müssen. Nur noch etwa 20 Prozent ihres Umsatzes verdienen die großen Networks mit den Honoraren ihrer Auftraggeber – wenn man eine Honorarvergütung von 1,5 Prozent zugrundelegt, wie sie derzeit im Markt üblich sein soll. Den weitaus größeren Teil erwirtschaften Mediaagenturen, weil sie mit lukrativen Trading-Geschäften selbst als Großhändler von Medieninventar auftreten, also als Vermarkter. Einen anderen Teil, weil sie sich oft nicht nur von den Kunden, sondern auch von den Medien bezahlen lassen. W&V 30-2015 | 15 Bislang bündeln Networks das Werbevolumen ihrer Agenturmarken in ihren Einkaufsholdings und erwirtschaften so Extrarabatte von den Medien. Nicht immer werden diese Rabatte an Kunden weitergereicht. Doch wissen inzwischen einige Werbekunden, dass sie auch die Einkaufsholdings der Networks in die Verträge mit ihrer Agentur einschließen müssen. Nur so bekommen sie Zugriff auf den mit ihrem Geld erwirtschafteten Anteil an diesen Bündelungsrabatten. Neue Methoden zur Legalisierung von Kickbacks Das setzt Agenturen unter Druck. Ihre Networks haben hohe Renditeforderungen, die sie erfüllen müssen. Also haben einige neue Methoden gefunden, wie sie den Rückfluss an Extravergütungen von den Medien so gestalten können, dass der Kunde abermals davon nichts mitbekommt. Ein ganzes Arsenal an Werkzeugen soll für einen geschmeidigen Cashflow bei der Agentur sorgen. So „vergessen“ Medien, der Agentur Werbeschaltungen in Rechnung zu stellen, die Agentur jedoch rechnet sie ordnungsgemäß mit dem Kunden ab, kolportieren Insider. Oder: Medien sollen bezahlen, wenn sie in den Räumen der Agentur präsentieren dürfen – die Anwesenheit des Geschäftsführers gibt es gegen Aufpreis. Und die Group M ließ sich 2014 etwas einfallen, was viele zunächst für einen Witz hielten: Die Medienvermarkter sollen Werbespots auf den PC-Bildschirmen der Agenturplaner buchen und dafür bezahlen. Medien buchen Workshops, die sie nicht brauchen. Sie geben Wettbewerbsanalysen bei 16 | W&V 30-2015 Medien müssen schon zahlen, wenn sie bei einer Mediaagentur präsentieren der Agentur in Auftrag. Sie kaufen den Agenturen Studien ab, die sie lieber nicht bestellen würden. Sie vergüten der Agentur, wenn sie am Lastschriftverfahren teilnimmt. Sie zahlen der Agentur Prozente, wenn sie alle Rechnungen auf einmal zahlt, statt sie einzeln zu begleichen. Es kostet extra, wenn die Agentur direkt in die Onlinesysteme des Vermarkters einbucht. Die Agentur bekommt Prozente dafür, dass sie dem Vermarkter mitteilt, wie viel sie voraussichtlich bei ihm buchen wird – „Visibilitätsvertrag“ nennt sich das. Garantiert die Agentur etwa eine feste Buchungssumme, wird es teurer. Planungssicherheit kostet. Die Liste der „Service“-Leistungen ist endlos. Am Ende macht die Dosis das Gift. Beratungsmandate, etwa für „margenorientierte Strategieberatung“, zählen ebenso zum Repertoire wie zusätzliche Sonderrabatte für die Hilfe bei der Umsetzung von Sonderwerbeformen. Batallione von Anwälten auf beiden Seiten feilen an den Dienstleistungsverträgen, bis sie juristisch wasserfest sind. Die Pistole auf der Brust des Vermarkters dagegen steht in keinem Vertrag. Sie ist unsichtbar, aber sie wirkt: Wer die „Services“ der Agentur nicht in Anspruch nehmen will, dessen Chance auf Umsatz vergeht wie AhoiBrause auf der Zunge. So klagen die Vermarkter und müssen sich trotzdem auf das Spiel einlassen. Die Mediaagenturen sehen das anders: „Es sind substanzielle Dienstleistungen, die von den Medien nachgefragt und angemessen vergütet werden“, sagt Klaus-Peter Schulz, Geschäftsführer des Mediaagenturenverbands OMG. Doch die Vermarkter klagen, sie müssten ihr Umsatzwachstum bei der Agentur erkaufen. Es gehe nicht um Leistung, sondern um einen reinen Verteilwettbewerb des Geldes. Sender wie Sport 1 oder Dmax sind trotz stetiger Preissteigerungen inzwischen derart ausgemergelt, dass höchstens noch 15 von 100 investierten Werbe-Euro hängen bleiben. Bei RTL II landen wohl nur noch 27 Prozent vom Bruttovolumen in der Kasse. „Stell dir vor, du bist ein ganzes Jahr lang voll ausgebucht, aber am Ende kommt kein Geld dabei heraus, weil nur einer von zehn Werbespots bezahlt wird. Wie soll man in so einem Spiel mithalten können?“, fragt sich der Geschäftsführer eines kleinen Fernsehsenders. Die Folge ist ein fest zementierter Markt: Die großen TV-Gruppen sitzen dank ihres Vermögens, den AgenturBrokern Umsatz zu verschaffen, fest am Drücker, während andere im Machtspiel mit den Agenturen die Krümel aufsammeln müssen. OMG-Chef Schulz will den Ball flach halten Weil vor allem der Druck auf die Kleinen steigt, kam Peter Christmann auf die Idee, kleinere Sender bei einem neuen Vermarkter, Goldbach Media, zu bündeln. Der ehemalige ProSieben-Vermarktungschef führte Gespräche mit Sport 1, Discovery, Viacom oder Sky. Bislang konnten 15 Sender wie AXN, Animax oder bibel.tv geangelt werden. Es gelte, die unterschiedlichen Rabattniveaus der Sender zu vereinheitlichen. Der eine Sender müsste BEISPIEL WPP: Wie viel Mediaagenturen verdienen – und wie wenig mit Honoraren Umsatzerlöse 2012 Geschätzte Erlöse aus Honoraren 283,5 Mio. € ca. 46 Mio. € entspricht ca. 16 % Mediaagenturen sind die Cash-Kühe der großen Werbekonzerne. Doch ihr Geld verdienen sie schon lange nicht mehr mit Honoraren, sondern aus Geschäften mit Medien. In ihrem letzten veröffentlichten deutschen Geschäftsbericht beziffert die WPP-Holding den Anteil ihrer MediaTöchter Group M, Mediacom, Mindshare, Maxus und MEC an den Konzernumsatzerlösen auf 27 Prozent. Das entspricht einer Summe von 283,5 Mio. Euro. In Deutschland zahlen Werbekunden ihren Mediaagenturen durchschnittlich einen Honorarsatz von 1,5 Prozent bezogen auf das Kundennetto-Buchungsvolumen. Das wären im Fall von WPP gerade mal 46 Mio. Euro oder 16 Prozent. Fragen zu ihren Erlösen ließ die Group M unbeantwortet. Quelle: WPP-Geschäftsbericht, eigene Berechnungen mehr geben als bisher, der andere weniger, um der Solidarität willen. Dazu müsste man an das Versprechen glauben, zusammen am Ende für alle mehr Umsatz herausholen zu können. Doch niemand weiß, ob sich das Risiko lohnt, wenn man im Spiel mit den Agenturen am Ende weiter das schwächste Glied bleibt. Die Mediaagenturen finden, all dies entspreche den Mechanismen eines hochkompetitiven Marktes, in dem auf allen Seiten ein harter Wettbewerb um Konditionen herrsche. Sie sehen keinen Interessenskonflikt darin, einerseits als unabhängige Mediaberater ihrer Kunden auftreten zu wollen, sich dabei aber gleichzeitig von den Medien bezahlen zu lassen. Sie finden es selbstverständlich, als „eigenständige Wirtschaftsstufe“ zu agieren, und sie finden, dass es ihre Sache ist, was sie dank ihres Verhandlungsgeschicks mit den Medien als On-Top-Vergütung aushandeln. Alle normalen Mengen- und Naturalrabatte würden sie ja ordnungsgemäß an den Kunden weitergeben. OMG-Verbandschef Klaus-Peter Schulz will den Ball flach halten: „Die Themen sind doch in den letzten fünf bis zehn Jahren hinreichend zwischen Medien, Kunden und Agenturen diskutiert worden.“ Schulz findet, alles habe sich zum Besseren verändert: „Für die Kunden ist dadurch erheblich mehr Transparenz entstanden, die Geschäftsbeziehungen wurden spürbar verbessert, Misstrauen abgebaut.“ Regelmäßige Auditings sind für den Verbandsmann selbstverständlicher Ausdruck einer eingespielten, vertrauensvollen Beziehung. Mit der Wahrnehmung der Kunden mag sich diese Sichtweise nicht unbedingt decken. Für sie ist Transparenz alles andere als ein Streitthema von gestern. „Dieses Geld wird dem Kreislauf entzogen“, sagt der Mediachef eines Unternehmens, will aber nicht genannt werden. Es sei eine Schräglage entstanden, die schon viel zu lange toleriert werde. Der Werbekundenverband OWM setzt das Thema wieder auf die Agenda und will Kunden über Agenturverträge stärker aufklären. Auch international gibt es Aufklärungsbedarf: Der amerikanische Verband World Federation of Advertisers (WFA) hat die neuen, zeitgenössischen Kickback-Kanäle erst kürzlich für seine Mitglieder in einem umfangreichen Papier aufgelistet. Wirtschaftsprüfer wittern ihre Chance „Das Geschäft ist in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren noch einmal deutlich intransparenter geworden“, sagt Stephen Broderick, Geschäftsführer der britischen Buchprüfer Firm Decisions, die in Großbritannien globale Markenartikler betreuen und nun im deutschen Markt für Kunden aktiv werden. Viele Kunden überprüfen zwar genauer, ob die Rechnungen ihrer Agentur stimmig sind. Doch so bekämen sie keinen Einblick in die Geschäfte, die inzwischen zusätzlich zwischen Agentur und Vermarkter ablaufen. Die Intransparenz manch einer Agentur hat sich in Bereiche verlagert, an die normale Mediaauditoren mit ihren Mitteln nicht mehr herankommen. Um den Nebel rund um die Serviceverträge zu lüften, haben einige große Markenartikler inzwischen Wirtschaftsprüfer ins Boot geholt. Sie genießen eine besondere Vertrauensstellung, weil sie ein öffentliches Amt ausüben und einer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Deswegen können sie einen deutlich tieferen Einblick in die Bücher der Agenturen nehmen. Die Wirtschaftsprüfer folgen den Geldströmen, nicht nur denen zwischen Kunde und Mediaagentur, sondern auch denen zwischen Agentur, Vermarkter und Medium. Sie werden von misstrauischen Kunden beauftragt, Licht ins komplexe Vertragsgeflecht zu bringen und neue Dienstleistungsideen der Agenturen offenzulegen. Sie prüfen, ob vertraglich vereinbarte Leistung und Gegenleistung zwischen Agentur und Medium in angemessenem Verhältnis stehen und ob es einen Bezug zu den Spendings der Kunden gibt. Die Prüfer von Price Waterhouse Coopers (PWC) beispielsweise haben sich im Mediabusiness mittlerweile einen Namen gemacht: „Die Nachfrage unter großen Unternehmen ist in den letzten zwei Jahren deutlich gestiegen“, sagt Jari Sengera, Verantwortlicher für den Bereich Media Audit bei PWC. Die Zahl der Serviceverträge zwischen Vermarktern und Agenturen nehme zu, stellt Sengera fest. Und mit der Anzahl der Verträge verlagere sich auch der Geldfluss zwischen Medien und Agenturen. Die erfindungsreichen Agenturen sind den Kunden dabei immer einen Schritt voraus: „Es ist ein Hase-und-IgelSpiel“, sagt ein Werbekunde, der nicht genannt werden will. Kunden kapitulieren vor der Komplexität Die andere, große Intransparenz-Spielwiese ist hinlänglich bekannt: Durch das Trading haben Agenturen ein unerschöpfliches Rendite-Reservoir erschlossen. Dabei kaufen sie Mediainventar von den Vermarktern zu Spottpreisen ein, bündeln es, reichern es mit Daten an, und verkaufen es für ein Vielfaches an ihre W&V 30-2015 | 17 Im deutschen Mediageschäft herrscht erneut Rabattüberdruck. Wie konnte es dazu kommen, nur acht Jahre nach den Kartellstrafen für RTL und ProSiebenSat.1? Zuerst versuchten die globalen Medianetworks die Bündelungsrabatte einzubehalten, die sie mit den Werbegeldern ihrer Kunden über ihre Einkaufsgesellschaften bei den Medien erwirtschaften. Inzwischen haben Werbekunden aber begonnen, sich vertraglich Zugriff auf ihren Anteil an den Bündelungsrabatten zu sichern. Also versuchen die Agenturen, neue Wege zu finden, um an ihr Geld zu kommen. Dadurch ist das Geschäft in den vergangenen fünf Jahren noch einmal deutlich intransparenter geworden. Ein Teil der Bündelungsrabatte wird also verschleiert – eine neue Form von Kickbacks? Kickbacks ist das falsche Wort, das wäre ja Betrug. Die Agenturen reizen lediglich die gesetzlichen Spielräume aus, um ihre Einkünfte zu maximieren, indem sie zum Beispiel Serviceverträge mit den Vermarktern schließen. So lässt sich die Agentur vom Vermarkter vergüten, wenn der nur noch eine Gesamtrechnung ausstellen muss, statt verschiedene Posten einzeln in Rechnung zu stellen – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen. Die Kunden stellen plötzlich fest, dass sie weniger Rabatte von der Agentur zurückbekommen, obwohl sie das gleiche Volumen investiert haben wie im Vorjahr. Unsere Hauptarbeit besteht darin, die Verträge der Kunden so auszugestalten, dass diese Spielräume für die Agentur enger werden. Mit normalem Auditing kommen Sie doch da gar nicht heran. Etwa 60 bis 70 Prozent der Kunden prüfen, ob die Rechnungen ihrer Agentur stimmig sind, darin sind die Deutschen sogar sehr sorgfältig. Viele glauben, das genüge. Rechnungen 18 | W&V 30-2015 Der Londoner Finanzauditor Stephen Broderick kennt die globalen Mediamärkte. Nun fahndet er in Deutschland nach den neuen Tricks der Agenturen Stephen Broderick Der gebürtige Londoner ist CEO der global tätigen Finanzauditorenfirma Firm Decisions, die seit 2012 zu der Monitoring- und Media-auditingfirma Ebiquity gehört und nun das Deutschlandgeschäft ausbaut. Er war Finanzchef in diversen Agenturen, beispielsweise bei der Healthcare Group Sudler & Hennessey, die zum Werbekonzern WPP gehört. zu überprüfen ist aber kein Financial Auditing. Es sagt nichts darüber aus, wie Rechnungen zustande gekommen sind, und ob die Agentur Einkünfte und Rabatte erwirtschaftet, die eigentlich dem Kunden gehören. Wenn man die neuen Methoden aufdecken will, braucht man Buchprüfer an der Seite von Mediaauditoren, die sich gut mit dem Agenturgeschäft auskennen. Haben Sie denn Zugriff auf die neuen, kreativen Methoden der Agenturen? Die Einblicke, die wir als Financial Auditors bei der Prüfung bekommen, unterliegen der Geheimhaltung. Aber wir können unser Wissen beim nächsten Kunden für die Vertragsgestaltung nutzen, so dass bestimmte Methoden von vorneherein ausgeschlossen werden. Zum Beispiel welche? Man wird sich in Zukunft auch globale Vermarkter-Deals der Agentur anschauen müssen. Da schließt die Agentur einen weltweiten Volumenvertrag, beispielsweise mit einer der globalen Internetplattformen ab. Sie sagt, „von den 100 Millionen, die ich bei dir investiere, will ich sechs Prozent zurück“. Im lokalen Markt wird dann jeweils mit weniger Rabatt für den Kunden lokal abgerechnet. Im Digitalgeschäft liegen die neuen Rabattmodelle, mit Trading und Programmatic Buying steigen die Möglichkeiten. Da werden immer neue Pakete mit immer neuen Aggregatoren geschnürt, bei denen am Ende keiner mehr weiß, was sie enthalten und wie hoch das Risiko ist. Margen bis zu 60 Prozent sind hier üblich. Der Leidensdruck steigt vor allem bei kleineren Medien und Vermarktern. Sie können nicht mehr mitspielen, wenn immer mehr Rabatte aus ihnen herausgepresst werden sollen. Selbst große Mediengruppen stehen unter Druck. Mediaagenturen ziehen Foto: John Bellingham „Die Agenturen reizen ihre gesetzlichen Spielräume aus“ Volumen ab, wenn Vermarkter nicht auf ihre Rabattforderungen eingehen. In Großbritannien hat Channel 4 beispielsweise 100 Mio. Pfund (144 Mio. Euro) Umsatz eingebüßt, nur weil Group M die Muskeln hat spielen lassen. Das trifft in Deutschland genauso zu. Aber auch die Vermarkter unterbieten sich gegenseitig. Sie gehen zur Mediaagentur und sagen, „buch bei mir mehr Volumen, dann kriegst du noch mehr Rabatt als beim Wettbewerber“. Ein ruinöser Wettlauf. Nischenmarken wie Viacom mit MTV oder VH1 können im Wettbewerb um das Volumen von Group M und Vivaki alleine nicht mehr mithalten. Sie müssen deswegen wie in UK unter das Dach von Sky schlüpfen, um in der Vermarktung eine stärkere Verhandlungsposition zu haben. Die Konsolidierung unter Medienvermarktern wird sich fortsetzen. So wie bei Springer-Funke oder einer möglichen SpringerProSiebenSat.1-Verbindung. In fünf Jahren werden wir es wahrscheinlich nur noch mit drei, vier großen Medianetworks zu tun haben. Die Medien müssen dieser Konzentration von Einkaufsmacht etwas entgegensetzen, sonst werden sie von den Agenturen gegeneinander ausgespielt. Dabei wird es in Zukunft sicher auch zu gattungsübergreifenden Vermarktungsallianzen zwischen Print und TV kommen. Als Mediabroker können Agenturen keine unabhängigen Berater mehr sein. Wie lange wollen Kunden das noch mitmachen? Wenn Agenturen ihr Geschäftsmodell nicht ändern, schießen sie sich als Berater aus dem Markt heraus. Die ersten Kunden fangen bereits an, sich zusätzliche Partner für strategische Beratung zu suchen. Hier kommen auch klassische Unternehmensberatungen ins Spiel. j u p/tn Wer vertraglich komplett auf Auditingrechte für die Tradingprodukte verzichtet, kann am billigsten einkaufen Kunden weiter. Ähnlich wie bei den Serviceverträgen machen Vermarkter hier oft nur widerwillig mit. Und es ist nicht nur Restplatzinventar, das sie den Agenturen billig zur Verfügung stellen. Obwohl nur wenige Prozent der Werbeflächen über Handelsplattformen der Agenturen abgewickelt werden, ist das Trading für viele Agenturen inzwischen zur Haupteinnahmequelle geworden. „Da wird das große Geld verdient“, sagt Mediaberater Ulrich Bellieno. Es wäre nicht weiter schlimm, bekämen die Kunden dafür die für sie bestmögliche Planung. Doch so ist es in vielen Fällen nicht. Im Plan landet gerne mal, was die Agentur noch auf Halde hat, nicht was für die Kommunikationsstrategie des Kunden am besten ist. Die Folge sind dann schiefe, unsinnige Mediapläne. Media-Koryphäe Thomas Koch hat sich über das Problem bereits wundgeschrieben. Im unübersichtlichen Digitalgeschäft funktioniert Trading besonders gut. Tausende Publisher und Reichweiten-Aggregatoren tummeln sich auf dem Markt. Welches Inventar die Agentur aus welchen Gründen welchem Plan in welcher Menge beimischt, bleibt vor allem für diejenigen Kunden ein Rätsel, die vor der Komplexität kapitulieren und sich entschließen, die Kontrolle über ihre Planung vollends an die Agentur abzugeben. Es gibt aber auch ein paar wenige, gut informierte Kunden. Sie schauen ihren Agenturen auf die Finger und bekommen deswegen nicht nur gute Preise, sondern auch die besten Mediapläne. Sie bauen eigene Abteilungen auf, um den automatisierten Werbeeinkauf selbst abzuwickeln. Sie wissen, was ihre Daten wert sind, und wollen sie nicht an eine Agentur aus der Hand geben, die Cookie-Informationen aus Kampagnen, die sie bezahlt haben, auch an andere Kunden weiterverkauft. Doch da- neben gibt es ein ganzes Heer von Ahnungslosen oder solchen Kunden, die es lieber nicht so genau wissen wollen. Die digitale Spaltung der Gesellschaft zeigt sich auch im Mediabusiness: Die Unwissenden geben die Kontrolle aus der Hand, weil es bequem und vermeintlich billig ist. Es fehlt ihnen an Know-how und an Veränderungswillen. Wie sollen sie ihren Vorstandsvorsitzenden auch erklären, dass sie in den letzten Jahren „Gammel-Media“ (Thomas Koch) im Plan hatten, weil ihre Agentur so clever war. Sie haben billig eingekauft, das Procurement war zufrieden, passt doch alles. Mehr Transparenz kostet mehr Das wissen die Agenturen, und sie sind entsprechend selbstsicher. Sie machen aus der Intransparenz meist gar kein Geheimnis mehr, sondern stricken für Kunden Angebote mit verschiedenen Transparenzstufen. Viel Transparenz ist teuer, mittlere Transparenz ist mittelteuer. Wer dagegen vertraglich komplett auf Auditingrechte für die Tradingprodukte verzichtet, kann am billigsten einkaufen. Es gibt Produkte unterschiedlicher Qualität mit klaren Produktbeschreibungen. „Transparenz ist ein vielschichtiges Wesen, der Kunde muss selbst wissen, welche Aspekte der Transparenz ihm wichtig sind“, sagt ein Ex-Agenturmann. So wie es aussieht, wird niemand die Reset-Taste drücken. Immerhin hätten Kunden die Wahl. Sie könnten entscheiden, was die Agentur für sie tun soll. Aber nur, wenn sie bereit sind, sich tief in das Thema einzuarbeiten. Ansonsten bleibt die Realität im Mediabusiness, wie sie ist: intransparent. j u p @ wu v.de W&V 30-2015 | 19
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