Der geteilte Held - Universität Bayreuth

Universität Bayreuth
SS 2008
PS „Mittelalterrezeption im Computerspiel: Assassin’s Creed“
Dozenten: Dr. Nicole Müller, PD Dr. Ralf Schlechtweg-Jahn
Arbeitsgruppe: Stephan Max
Der geteilte Held - Desmond Miles und Altair, oder:
Merkmale eines modernen Helden
Obgleich es etliche Computerspiele gibt, die uns verschiedene Perspektiven auf den Handlungsverlauf anbieten, ist das Spiel Assassins Creed doch anders. Denn eigentlich ist es vom Gameplay her
fast wie „Tombraider“ oder ein bisschen wie die „Gothic“- Serie, doch da ist etwas ungewohntes,
etwas, das den Spieler stutzen lässt. Da ist noch Desmond Miles, gefangen in dem Labor von Abstergo Industries. Man kann nicht einfach das Spiel beginnen und bekommt die Geschichte erzählt,
von dem heiligen Land und Altair, von Richard Löwenherz und Jerusalem. Und das, obwohl die
Herstellerfirma Ubisoft doch nur damit Werbung gemacht hat.
Mehr noch, man kann das lästige Tutorial und die langwierigen Erklärungen auch nicht einfach
wegdrücken, ja Desmond Miles kann sich nicht einmal schnell bewegen. Der Spieler muss sich mit
dieser Figur, ihrer Situation auseinandersetzen und spätestens, wenn man auf dieser Bahre liegt und
in die computeranimierten Augen der weiblichen Hauptrolle sieht, merkt man auf.
Irgendetwas muss Desmond Miles doch können? Warum? Ganz einfach, weil er der Held ist, die Figur die wir steuern und weil es Lucy Stillman gibt, die Frau, die sich in den Helden verliebt.
Natürlich ist dieses Denkmuster ein Vorurteil, doch eines das man gerne hat. In den modernen Zeiten der Popkultur hat man dieses Wissen einfach. Der Held bekommt die Frau, der Held kann sich
wehren, er ist nahezu unsterblich und er ist ein Rebell, hart im Nehmen und er erhält immer den
Respekt, der ihm zusteht.
Es macht uns Spaß solchen Figuren zuzusehen und dass, obwohl wir schon in etwa wissen, wie die
Geschichte ausgeht. Bei der Analyse eines Computerspiels stößt man unweigerlich auf die Frage
nach dem Helden. Was macht ihn besonders? Wie wird seine Besonderheit dargestellt? Und Assassins Creed bietet dem Spieler nun zwei Helden an.
Doch was macht diese Figuren zum Helden? Was sind die Zeichen dafür, dass diese Figur so anders
ist als der Rest der Umgebung, dass wir ausgerechnet ihre Geschichte erleben wollen?
Im folgenden sollen die typischen Merkmale eines modernen Popkulturhelden aufgezeigt werden
und analysiert werden, inwieweit „Assassins Creed“ auf sie eingeht. Obgleich es kaum möglich
sein wird, eine übergeordnete Systematik herauszuarbeiten, denn dafür ist der Umfang der produzierten Texte längst zu groß geworden, gibt es doch zumindest einzelne Elemente, die häufig gleich
oder ähnlich gestrickt sind.
Im Folgenden werden drei Moderne Popkulturhelden ausgewählt, um ein Vergleichsmodell herzustellen und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.
Als erstes Matthew Fox in seiner Rolle als Dr. Jack Shephard aus der Fernsehserie „Lost“, um eine
Figur aus der Serienproduktion zu haben, aber auch weil Beruf und persönliche Entwicklung der
Figur einen wichtigen Teil der Narration ausmachen und so deutlicher Bezüge hergestellt werden
können.
Die zweite Figur ist Orlando Bloom in der Rolle des Balian aus dem Film „Königreich der Himmel“, weil die Thematik eng an dem Handlungsstrang Altairs in „Assassins Creed“ liegt und der
Film maßgeblich an der Produktion moderner Mittelalterbilder beteiligt ist.
Die dritte Figur ist Lara Croft aus der Spieleserie Tombraider, um ein Computerspiel als Vergleichsbeispiel zu haben und auch, um die Vergleichsrollen noch um eine weibliche Figur zu erweitern.
Der erste Punkt an dem wir einen Helden oder Protagonisten einer Erzählung, sei es Computerspiel
oder Fernsehen, erkennen ist sein Körper. Er sieht gut aus, ist stark und athletisch. Sie sind immer
gut oder zumindest modern und vorteilhaft gekleidet. Sie verfügen über ein natürliches Charisma,
welches irgendwie ansteckend wirkt.
Ob es nun das Schmunzeln eine Harrison Ford in Indiana Jones ist, oder der unterkühlte Charme eine Lara Croft, ja, sogar die harte Verbissenheit eines Matthew Fox in der Rolle des Jack Shephard
ist, wir verstehen sofort, das diese Figur etwas Liebenswertes an sich hat.
Ubisoft wählte mit der Rolle des Altair, respektive des Desmond Miles eine männliche Figur, die
durchaus gutaussehend zu nennen ist. Allerdings lässt sich an diesem Merkmal noch keine Differenzierung zwischen den beiden Figuren vornehmen, da sie identisch sind. Festzuhalten bleibt allein, dass beide Figuren körperbetont gekleidet sind und Desmond moderne und gesellschaftlich
passende Kleidung trägt.
Altairs Kleidung hingegen ist darauf ausgelegt ihn in der Masse des NPCs heraus zu heben und
möglichst schöne Bilder zu produzieren.
Der zweite Punkt, an dem wir einen Protagonisten erkennen, ist die Fähigkeit zu Gewaltanwendung
und extremen Kraftanstrengungen.
Lara Croft ist körperlich fit und nahezu unverwüstlich. Sie klettert auf Gebirge, bekämpft mit zwei
Pistolen alles, vom Tiger bis zum Elitesoldaten und sieht dabei nicht nur immer gut aus, nein, sie
gewinnt auch noch.
Anders liegt die Situation in „Lost“, denn Jack Shephard ist zwar durchaus ebenfalls zu gewaltigen
körperlichen Leistungen in der Lage, doch wird hier die Anstrengung häufig mit einer zunehmenden Verschmutzung der Kleidung und Schweißfilmen im Gesicht und am Körper dargestellt. Dies
verstärkt jedoch immer nur die Vorstellung großer körperlicher Anstrengung. Auch gewinnt die Figur des Jack Shephard längst nicht jeden Kampf, den sie anfängt, doch hat man aufgrund der realistischen Darstellung der Prügeleien in „Lost“ immer das Gefühl, dass Jack sich zu wehren versteht
und seine Verbissenheit und Tatkraft lassen die Figur Jacks doch scheinbar immer noch mit der
Möglichkeit eines späteren Sieges existieren.
Olando Bloom als Balian hingegen verliert nie einen Kampf und ist schlicht unermüdlich, kämpft
mit verbissenem Gesichtsausdruck und doch völlig selbstverständlich gegen eine überwältigende
Übermacht, entgeht sogar dem sicheren Tod bei einem Reiterangriff auf das Heer der Sarazenen.
Einzig dir zunehmende Verwahrlosung der Figur gibt Auskunft über die überstandene Mühsal.
So bleibt zu bemerken das körperliche Anstrengung und deren Folgen, aber auch gefährliche Auseinandersetzungen durchaus nicht nur wesentlicher Bestandteil einer modernen Heldengeschichte
sind, sondern auch deren Darstellung uns Auskunft über die Rolle des jeweiligen Helden gibt. Mag
es bei der Frauenfigur Lara Croft schon die durcheinandergeratene Frisur sein, die uns anzeigt, dass
sie sich in einer Extremsituation befindet, ist es bei männlichen Figuren üblich ihre Kostüme in
möglichst realistischer Manier zu verdrecken und zu zerreißen, um denselben Effekt zu erzielen.
Diese Filmische Technik ist allerdings bislang in Computerspielen noch wenig gebräuchlich und so
verbleiben sowohl Altair, trotz spritzender Blutfontänen, als auch Desmond Miles, trotz offensichtlicher Anstrengung, stets sauber und fleckenfrei.
Bei der Möglichkeit zu Gewaltanwendung und körperlichen Leistungsbereitschaft unterscheiden
sich die beiden Figuren völlig. Altair ist, ähnlich wie Balian oder Lara Croft, in der Lage, gegen
ganze Horden feindlicher Wachen zu bestehen und zu siegen. Ja, im fortlaufenden Spiel steigt die
Schwierigkeit der Kämpfe nicht nur durch stärkere Gegner, sondern auch durch deren zunehmende
Masse.
Auch seine körperliche Leistungsbereitschaft ist enorm. Ähnlich wie Lara Croft kann Altair unendlich lange klettern, laufen und kämpfen, ohne jemals in Ausdauernöte zu kommen, was ihn deutlich
von Desmond abhebt. Dieser ist gar nicht in der Lage zu rennen, kann nicht kämpfen, noch nicht
einmal mit der Faust zuschlagen oder etwas zerstören. Die Fähigkeit zu körperlicher Gewalt ist ihm
schlicht genommen, was auf extreme Art seine Geschichte zu Altairs kontrastiert.
Ebenfalls ein häufig verwendetes Element im Leben des modernen Helden ist die weibliche Nebenrolle. Musste man die Dame im „King Kong“ - Remake von 1976 noch retten, so erfuhr diese Figur
im Laufe der letzten dreißig Jahre eine deutliche Wende. Schon Prinzessin Leia aus den „Star Wars“
Filmen wuchs über das klassische Bild der holden Maid in Nöten heraus und so verwundert es
nicht, das weder die weibliche Hauptrolle der Kate in „Lost“, gespielt von Evangeline Lilly, noch
Prinzessin Sybilla in Königreich der Himmel Figuren sind, die auf Rettung warten. Nein, sie handeln selbstständig und initiieren eigene Handlungsstränge, sind der männlichen Hauptrolle ebenbürtig und auf manchen Gebieten sogar überlegen. Kate zum Beispiel findet sich weit besser als Jack
auf der Insel im Nirgendwo zurecht und Sybilla ist Balian auf dem Feld der Politik weit überlegen,
weil dessen Ehrenkodex ihm im Weg steht. Beide Figuren erwecken des Anschein der Unberechenbarkeit und erzeugen ein neues Frauenbild. Die weibliche Nebenrolle wird zur gleichberechtigten
Partnerin, erhält Plotanteile und eigene Probleme, welche sie nicht zwangsläufig mit dem Helden
teilt.
Wie wichtig Ubisoft die weibliche Nebenrolle war, sieht man schon allein daran, dass die Firma die
Schauspielerin Kirsten Bell verpflichtete, um der Figur Lucy Stillman Körperbau, Gesicht und
Stimme zu leihen.
Diese Figur ist ganz für Desmond Miles da. Altair kommt nicht einmal mit ihr in Berührung und sie
ist ein deutlicher Anknüfungspunkt für den Helden Desmond, denn Lucy gibt sowohl hilfreiche
Ratschläge als auch anderweitige Hilfe. Mit etwas Geschick kann man ihre Geschichte enträtseln
und in ihr eine wichtige Verbündete erkennen. Doch auch ohne Nachforschungen zeigt einem das
Spiel am Ende, als Desmond Altairs Fähigkeit zur Eagle Vision erhält deutlich, dass es sich bei Lucy um eine Verbündete handelt.
Insgesamt weißt Lucy Stillman alle Eigenschaften einer modernen weiblichen Rolle auf. Sie ist
Desmond ebenbürtig, ja sogar ein wenig überlegen, denn sie ist bereits länger im Abstergolabor und
kann ihm anfangs helfen, sich zurechtzufinden. Auch hat sie etwas Einfluss auf auf Demonds weiteres Schicksal.