"Blutland" Ukraine: Die Rückkehr der Toten | Manuskript "Blutland" Ukraine: Die Rückkehr der Toten Bericht: Markus Frenzel Wassilij Jakowenko war zwölf – als er mit seinen Freunden Augenzeuge eines grausamen Verbrechens wurde. Wassilij Jakowenko, Augenzeuge „Von hier haben wir alles beobachtet, während einer oder zwei Stunden. Wir hatten große Angst. Sie hätten uns sonst ja auch in die Grube werfen können.“ Aus seinem Versteck sah er – wie 1.290 Juden – Alte, Frauen, Kinder, Babys – regelrecht abgeschlachtet wurden. Wassilij Jakowenko, Augenzeuge „Die Juden sind von der anderen Seite der Straße gekommen und wurden hier hoch auf den Hügel geführt und dann stellte man sie mit dem Rücken zur Grube.“ Im Boden der Ukraine befinden sich noch immer massenhaft Leichen, umgebracht von deutschen Mordkommandos. Und viele der Gräber sind heute, ein Dreiviertel Jahrhundert später, noch immer unentdeckt. Andrej Angrick gilt als einer der renommiertesten Holocaust-Forscher, er geht davon aus, dass noch immer eine gigantische Zahl von Ermordeten gefunden werden kann. Andrej Angrick, Holocaust-Forscher „Wenn wir als Massengrab verstehen 100 Tote, 60 Tote, 250 Tote – dann dürfte sicherlich die Zahl der noch ungeborgenen Massengräber in den Hunderten liegen. (…) Und es kann sein, dass noch 100.000 Menschen nicht geborgen sind.“ Mit verheerenden Konsequenzen – so kommt es seit Jahren zu gespenstischen Szenen. Andrej Angrick, Holocaust-Forscher „Es konnte dann schon sein, dass ein Fuchs gesichtet wurde, der einen Kinderkopf im Maul trug. Oder dass der Hund eines Försters mit einem menschlichen Knochen gesehen wurde.“ Denn die Toten kommen zurück. Ihre oft nur verscharrten Körper legt der Wind frei, Tiere, oder Grabräuber. Und nur noch wenige Leute wissen, wo sich die Mordplätze befinden. Mit Hilfe von „Yahad - In Unum“ wollen wir solche vergessenen Gräber finden. Die Organisation fährt das Land Dorf für Dorf ab. Auf der Suche nach den letzten Augenzeugen. Doch es gibt kaum noch welche. Vera Jurtschenko war ein Mädchen, als die Deutschen ihr Dorf überfielen und es fast komplett auslöschten. Hier wurden keine Juden umgebracht, sondern einfache Bauern. Aus Rache, als die Wehrmacht auf dem Rückzug war. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 "Blutland" Ukraine: Die Rückkehr der Toten | Manuskript Noch heute befinden sich Ermordete inmitten des Dorfes drei Familien, etwa 12 Menschen verscharrt unter Ruinen. Vera Jurtschenko, Augenzeugin „Das ist die Grube. Das war der Keller. Da waren Menschen drin. Und sie warfen Handgranaten hinein. Sie wurden alle getötet.“ Mit einem würdigen Grab hat das hier nichts zu tun. Das sieht auch der Historiker Andrej Umansky so. Andrej Umansky, Yahad – In Unum „Das ist eine typische Situation – dass hier einfach Leute umgebracht worden sind. Man hat die Erde darüber gekippt. Sehr schockierende dass hier direkt daneben die Müllhalde ist und man sieht, da ist gar nichts. Keine Plakette, kein Gedenkstein. Einfach nur Erde drüber und ist nichts. Nur durch diese Frau haben wir erfahren, dass hier überhaupt etwas ist.“ Bisher haben sich nur wenige für die Geschichte des Holocaust auf dem Boden der einstigen Sowjetunion interessiert. Denn lange mussten die Opfer politisch sein. Und so wurde an getötete Kommunisten und Partisanen erinnert. Nur selten jedoch an all die Juden, Sinti und Roma, Geisteskranken. - Julien Chaim Soussan, Rabbiner der Synagoge in Frankfurt am Main, kann das nicht verstehen. Julien Chaim Soussan, Rabbiner Frankfurt „Aus jüdischer Sicht ist es schrecklich, dass es immer noch so viele Gräber gibt, so viele Menschen in der Erde gibt, die eigentlich keine richtige Grabstelle haben, kein Mahnmal, keine Erinnerung an sie. Wir entwürdigen die Ermordeten zum zweiten Mal, indem wir uns nicht ausreichend um sie kümmern.“ Dabei hat Deutschland eigentlich Erfahrung mit dem Gedenken an die Toten – etwa an Millionen von Gefallenen, derer auf riesigen Friedhöfen in der ehemaligen Sowjetunion gedacht wird. Noch heute wird mit extremem Aufwand nach toten deutschen Soldaten gesucht. Was die Opfer der Deutschen angeht – das genaue Gegenteil. Und so hat Yahad – In Unum in den vergangenen Jahren fast 2.000 Massengräber gefunden. Andrej Umansky, Yahad – In Unum „Wenn man sich anschaut, mit welchem Aufwand die Kriegsgräber gesucht werden, aufbereitete werden, dann überrascht es schon, dass man sich auf der Gegenseite kaum um die Massengräber der Juden kümmert.“ Ähnlich sieht es der Politiker Daniel Cohn-Bendit. Sohn jüdischer Emigranten, die einst vor den Nationalsozialisten fliehen mussten. Daniel Cohn-Bendit, Politiker „Ich kann nicht verstehen, dass man einen Unterschied macht zwischen deutschen Soldaten, die jetzt irgendwo rumliegen, und jüdischen Menschen – Ukrainern und wer Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 "Blutland" Ukraine: Die Rückkehr der Toten | Manuskript auch immer – für dessen Tod man verantwortlich ist. Für mich muss beides gemacht werden. Das eine aus nationaler Verpflichtung, das andere aus moralischer Verpflichtung.“ Doch dieser Verantwortung stellt sich Deutschland bislang eher halbherzig. Etwa vier Millionen Euro hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren für die Arbeit privater Initiativen wie Yahad – In Unum bereitgestellt. Für Rabbiner Soussan kann das nur ein Anfang sein. Julien Chaim Soussan, Rabbiner Frankfurt „Es ist ja schön, dass es einzelne private Vereine gibt, die dann auch vom Auswärtigen Amt finanziell unterstützt werden. Aber eigentlich müsste es umgekehrt sein, es ist der deutsche Staat, der die Verantwortung hat, flächendeckend dafür zu sorgen, dass diese Massengräber letztendlich dort vor Ort gefunden werden.“ Vor 75 Jahren hatte Wassilij Jakowenko einen jüdischen Freund. Er ist damals verschwunden. Der alte Mann ist froh, dass es am Massengrab nun ein Mahnmal gibt wo er seiner Gedenken kann. Eigentlich braucht es nicht viel, aber dieses wenige muss man wollen. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3
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