Predigt

Predigten von
Pilgerpastor Bernd Lohse
Christvesper 2015
Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.
Sie erzieht uns zu einem Lebensstil, der Gott achtet und nicht gierig ist.
Damit wir verantwortungsbewusst handeln können solange wir in dieser Welt leben und Gott die
Ehre geben. (Titus 2,11-12)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
„Sie haben Waffen und sind sehr böse“, sagt der etwa 4 Jahre Junge dem TV-Reporter ins Mikro. „Wir müssen jetzt umziehen,“ fährt er fort und schaut ängstlich zu seinem Vater.
„Nein“, antwortet der mit ruhiger, freundlicher Stimme: „Paris ist doch unsere Heimat und
bleibt das auch.“
Und dann zeigt er seinem Kind all die Blumen am Place de la Republique und all die GedenkKerzen.
„Sie haben Waffen, aber wir haben Blumen und Kerzen“.
„Und die Blumen beschützen uns?“ fragt der Junge.
„Ja“, sagt der Vater und aus dem ernsten Gesicht des Kindes wächst ein beruhigtes Lächeln.
„Wir haben Blumen und Kerzen“.
Diese Szene vom Tag nach den Attentaten von Paris vergesse ich nicht.
Sie enthält so viel weihnachtlichen Geist.
Sie haben Waffen, wir haben Blumen und Kerzen.
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Die heilsame Stärke des Zerbrechlichen, die ermutigende Lebenskraft der Liebe, die soviel stärker sein kann als die Gewalt der Attentate.
Und so bin ich geneigt, am Weihnachtsfest 2015 zu predigen: Sie haben falsche Pässe, Sprenggürtel und Kalaschnikows, aber wir haben das Kind in der Krippe.
Zerbrechlich und gefährdet ist dieses Kind, so wie alle Menschenkinder.
So wie Tayler und Yagmur und du und ich…
Aber in der Zerbrechlichkeit ähneln sich alle Menschenkinder, so martialisch, angeberisch, abgebrüht sie auch daher kommen mögen.
Das ist Gottes Sprache: er kommt nicht in Rüstung, nicht im Königspalast in diese Welt, auch
nicht in einem bis an die Zähne bewaffneten Raumschiff, sondern leise und unscheinbar in einem neugeborenen Menschenkind in einem Winkel der Welt.
Geliebt und behütet von Vater und Mutter (und Ochs und Esel)
Nicht Angst und Schrecken sind seine Sprache, sondern das Lächeln eines Neugeborenen, das
unsere Herzen erreichen will.
Gott ist Mensch geworden, damit wir menschlich werden.
Das ist die Mitte unserer Religion, unserer kostbaren und schönen Religion, in der die Idee der
Menschlichkeit zuhause ist.
Die Menschlichkeit und das Ziel des Friedens ist einer der Grundpfeiler unserer Kultur geworden und wir ahnen heute: welch kostbares Gut!
Das dürfen wir nicht aus Angst oder Überforderung aufs Spiel setzen.
Weihnachten ist das Fest, das uns immer wieder erinnern an unsere kulturellen und geistlichen
Wurzeln.
Auch heute 2015! Und ich staune: 11 000 Menschen haben sich aktiv in der Hilfe für Flüchtlinge engagiert; (mehr als aktive Sportler).
Unser Land gibt ein besonderes Beispiel von weihnachtlichem Geist und damit sind wir ein
Leuchtturm im Meer der Zeitgeschichte.
Gott ist Mensch geworden, unter uns Menschen erschienen als „heilsame Gnade“.
Was wollte er mehr, als das wir uns verwandeln lassen zu Mitmenschlichkeit und Liebe – wir
haben es immer nötig.
Denn eine Kultur wird meistens nicht von außen bedroht, sondern von innen; nicht die Fremden nehmen uns die Kultur, sondern wir selbst haben sie längst schon verachtet oder unwichtig
genommen.
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Und stattdessen alles Mögliche zu Kulturgütern erhoben, was man kaufen, herzeigen, besitzen
kann.
Und nun kommen Fremde und suchen in Europa „Frieden“ und „Hoffnung“, die beiden großen
weihnachtlichen Gaben Gottes.
Bei uns! Weil ihnen unser Land als Hoffnungsschimmer vorkommt.
Fürchten wir sie nicht, die Fremden. Vielleicht können sie uns etwas schenken: den Blick auf
unsere wahren Schätze in Europa.
Sie erinnern uns an unsere christlichen Werte und die Schönheit unserer Kultur.
Weihnachten 2015 – das ist ein ganz besonderes Fest.
Die Brüchigkeit der Welt ist uns bewusst geworden und das macht Angst.
Und gleichsam inmitten der Brüchigkeit wird eine Besinnung erkennbar:
Besinnung auf Wesentliches, auf den anderen, den guten Geist, der uns miteinander verbindet.
Gott unter uns in Form „heilsamer Gnade“.
Den Text des Jahres, der diesen heilsamen Geist Gottes widerspiegelt, hat für mich ein Franzose
verfasst, Antoine Leiris
Mitten in den großen Schock von Paris hinein, schreibt Antoine Leiris einen Brief an die Terroristen, die seine Frau getötet haben:
"Ihr bekommt meinen Hass nicht.
Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines
Lebens, der Mutter meines Kindes, aber ihr bekommt meinen Hass nicht. Ich weiß nicht, wer ihr
seid und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet,
uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine
Wunde in sein Herz gerissen haben.
Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr
darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz
nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass
ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit
opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.
Ich habe sie heute morgen gesehen. Endlich, nach Nächten und Tagen des Wartens. Sie war genauso schön wie am Freitagabend, als sie ausging, genauso schön wie damals, als ich mich vor
mehr als zwölf Jahren hoffnungslos in sie verliebte. Selbstverständlich frisst mich der Kummer
auf, diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu, aber er wird von kurzer Dauer sein. Ich weiß, dass
sie uns jeden Tag begleiten wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen wiedersehen
werden, zu dem ihr niemals Zutritt erhalten werdet.
Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. Ich will euch
jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht. Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen."
nicht bekommen – Antoine Leiris
Ein Brief wie die Weihnachtsbotschaft Gottes.
Unter uns ist Gottes heilsame Gnade erschienen in einem Kind in einer Krippe… Und dieses Kind hat
auch heute noch die Kraft, die Welt zu verwandeln.
Nichts fürchten die Gewalttäter, Angstmacher und Hasser mehr als die Liebe.
Zu Recht – die Liebe ist das Stärkste. Und sie ist wahr!
Frohe Weihnachten.
Amen