Ein göttlicher Hintern - Stuttgarter Antiquariatsmesse

DONNERSTAG, 14. JANUAR 2016
23
Feuilleton
NUMMER 10
Lego-Schwenk
dank Ai Weiwei
Ein göttlicher Hintern
Billund Nach einem Streit mit dem
chinesischen Künstler Ai Weiwei
will Lego bei Großbestellungen
künftig nicht mehr nach dem Verwendungszweck für die Bausteine
fragen. „Wir werden die Kunden
aber bitten, klarzustellen, dass der
Lego-Konzern
die
konkreten
Projekte
nicht
gutgeheißen hat
oder
unterstützt“, erläuterte
ein
Unternehmenssprecher am
Mittwoch.
Im
Ai Weiwei
Herbst hatte der
Spielzeughersteller eine Lieferung
an Ai Weiwei für ein Kunstwerk in
Australien mit Hinweis auf den politischen Charakter des Projekts abgelehnt. Damit hatten die Dänen
weltweite Proteste ausgelöst. Fans
hatten den chinesischen Regimekritiker daraufhin mit Legostein-Spenden förmlich überschüttet. (dpa)
Bert Brecht Verzückt vom Augsburger Auftritt der Tänzerin Gertrud Leistikow
greift der junge Dichter zur Feder. Die Original-Handschrift steht jetzt zum Verkauf
Annie Leibovitz’
Bitte an Merkel
London Die gefeierte US-Fotografin
Annie Leibovitz wünscht sich sehnlich eine Deutsche vor die Linse ihrer Kamera: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ohne ein Merkel-Porträt
fehle ihrer Sammlung von Bildern
einflussreicher Frauen „vielleicht
die heute wichtigste Frau der
Welt“, sagte die
66-Jährige
im
BBC Radio 4 anlässlich einer Ausstellungseröffnung in London.
Sie habe auch
Annie Leibovitz
schon sehr nachdrücklich versucht, einen Termin
zu bekommen, sagte Leibovitz, aber
die Kanzlerin habe gerade schließlich keine leichte Zeit. „Ich respektiere, dass sie keine Interviews geben will und sich nicht fotografieren
lassen will, weil sie anderes zu tun
hat.“ (dpa)
JAHRESBILANZ
Trotz Charlotte Link ein
Minus für den Buchhandel
entdeckt und daraufhin 2012 im
Brecht-Jahrbuch veröffentlich worden. Es lautet:
VON RÜDIGER HEINZE
Augsburg Am 16. April 1918, noch
tobte der Erste Weltkrieg, begab
sich der 20-jährige Bert Brecht in
den Ludwigsbau von Augsburg,
diesen heute nicht mehr existierenden, 1500 Plätze umfassenden Festund Konzertsaal. Was ihn anlockte,
worüber er letztlich auch in Glut
und Verzückung geriet, war eine
Frau. Genauer: eine Tänzerin, die
32-jährige Gertrud Leistikow.
Ihre Auftritte hatten bereits in
west- und osteuropäischen Großstädten für erhebliche Zuschauerzahlen gesorgt – und auch der Augsburger Ludwigsbau war 1918 nicht
ohne Grund ausverkauft. Zum einen
war Gertrud Leistikow eine Hauptvertreterin des seinerzeit modernen
Ausdruckstanzes (1914 wurde sie in
Ascona neben Mary Wigman in Rudolf von Labans Truppe engagiert);
zum zweiten eilte ihr der Ruf einer
gewissen Freizügigkeit und Grotesk-Darbietung voraus – wobei die
damalige Freizügigkeit, zumindest
in der Öffentlichkeit, gewiss eine
andere war als die heutige.
Aber unterschwellige bis gewagte Erotik darf man bei den
Aufführungen der Leistikow als
gesetzt annehmen, allein die Titel
ihrer Tanz-Nummern weisen
schon in diese Richtung: etwa
„Faunstanz“, „Frauenliebe und
Leben im Orient“, „Maskentanz
des Haremswächters“, „Gottesanbeterin“.
Fraglos besaß Gertrud Leistikow,
die später in den Niederlanden zahlreiche Tanzschulen eröffnen sollte,
Appeal. Und dieser blieb dem
20-jährigen, in Saft und Kraft steckenden Bert Brecht, der bekanntermaßen kein Kostverächter war,
nicht verborgen. In den Tagen, da
sein Drama „Baal“ Gestalt annahm,
kurz vor seiner Musterung am 1.
Mai 1918, schreibt er seinem
Freund Caspar Neher nach dem
Augsburger Auftritt der Tänzerin:
Feuilleton kompakt
An die Tänzerin Leistikow
Du bist ein Spuk aus Dämmerschein,
ein Wasserfall im Mondenlicht,
Du bis der Duft von kühlem Wein –
Vielleicht bist das alles nicht.
Du bist ein funkelnd Weidengesicht,
lieblich in Mainacht schwimmend wolkengleich,
du bist vielleicht die Göttin nicht
aber sicher das Licht, das Gottes Stirne streicht.
Du bist ein Seufzer vom Lautenspiel
des Jünglings vor dem Himmeltor.
Ach, wenn man von dir träumen will
kommt immer auch ein Himmel vor!
Bert Brecht
„Nur Körper“: Die Tänzerin Gertrud Leistikow.
„die Leistikow hat gar keine Beine –
nur Körper. Einen göttlichen Hintern – ich schrieb ein Gedicht an sie,
das ich ihr schickte.“
Freilich: Der „göttliche Hintern“
der Leistikow kam in dem erwähnten Gedicht nicht vor – so deutlich,
Foto: Hugo Erfurth/Folkwang Museum
vielleicht auch plump, war Brecht
nur gegenüber seinem Freund.
Gleichwohl atmet sein lyrischer Erguss in Sütterlin-Schrift heftig und
entbrannt. Das Gedicht ist erst vor
wenigen Jahren im Nachlass von
Gertrude Leistikow (sie starb 1948)
Jahrzehntelang verborgen aufbewahrt, kommt Bert Brechts Anbetung der Leistikow in diesen Tagen
auf den Autografen-Markt. Das
Amsterdamer Antiquariat „Die
Schmiede“ bietet es für 9500 Euro
auf der Stuttgarter Antiquariatsmesse an (29. Januar bis 1. Februar).
Mithilfe privater Mäzene hat die
Stadt Augsburg ja schon manches
(Brecht-)Stück, das in die Stadt gehört, heimholen können. Vielleicht
gelingt das auch diesmal.
Übrigens bot Brecht im April 1918
eine eigene Rezension des LeistikowAuftritts den Augsburger Neuesten
Nachrichten an. Diese lehnten den
Druck allerdings ab. Brecht berichtete Caspar Neher den von der Zeitung angegebenen Grund: Beim Verfassen der Rezension habe ihm,
Brecht, die Fantasie offensichtlich
„einen Streich gespielt“.
Der junge Dichter war wohl eine
Spur zu enthusiasmiert gewesen ob
der ausdrucksstarken Körper-Leistungen – und vielleicht auch ob der
Körper-Kurven von Gertrud Leistikow.
Auf dem deutschen Buchmarkt sind
die Umsätze im vergangenen Jahr
erneut geschrumpft. Die Erlöse fielen um 1,7 Prozent, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mitteilte. Das positive Weihnachtsgeschäft konnte die bis November angefallenen Verluste
nicht mehr wettmachen. 2014 hatte
die Branche ein Umsatzminus von
2,2 Prozent eingefahren. Für die
Einzelhändler, die 2014 besser abschnitten als der Onlinehandel, gab
es im vergangenen Jahr einen
Rückschlag. Der Verlust der traditionellen Sortimente lag bei 3,6
Prozent. Meistverkauftes Buch war
„Die Betrogene“ von Charlotte
Link. Platz zwei belegte „Darm mit
Charme“ von Giulia Enders. (dpa)
HAMBURGER KUNSTHALLE
Der künftige Direktor heißt
Christoph Martin Vogtherr
Der Londoner Museumschef Christoph Martin Vogtherr wird neuer
Direktor der Hamburger Kunsthalle. Vogtherr ist seit 2011 Direktor
der Wallace Collection, einem Museum für ältere, insbesondere französische Kunst. Am 1. Oktober
2016 tritt er die Nachfolge von
Hubertus Gaßner an, der in den Ruhestand geht, teilte die Kulturbehörde in Hamburg mit. (dpa)
ARCHITEKTUR
Chilene Alejandro Aravena
erhält den Pritzker-Preis
Der renommierte Pritzker-Preis für
Architektur (100 000 Dollar) geht
dieses Jahr an Alejandro Aravena
aus Chile. Der 48-Jährige „vertiefe
unser Verständnis von wahrhaft
großartigem Design“, hieß es zur
Begründung. Aravenas bekannteste
Bauten liegen auf dem Campus der
Katholischen Universität von Chile
in Santiago, darunter das UC Innovation Center, ein 14 Stockwerke
hoher Monolith mit großen Öffnungen in der Fassade. (dpa)
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