Edle Steine von nebenan

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freizeit&unterhaltung
Touristische
Perle
Gams
Stein ist nicht gleich Stein: ein geschliffenes
Exemplar und seine rohen «Kollegen».
Steinschleifen
Wie alt? Woher? Welche Art?
Ein Dokument gibt Auskunft.
Edle Steine
von nebenan
Steine sind voller Geheimnisse, Schönheit, Geschichten.
Ina Nauer entlockt ihnen ungeahnte Farben, lässt sie erzählen
und gibt ihnen Sinnlichkeit.
lichkeit pur und das pure
Gegenteil von Esoterik.
Der Rhein bringt jeden Tag neue Steine.
TEXT: FRANZ BAMERT
FOTOS: YANNICK ANDREA
V
ordergründig gehts
in dieser Geschichte um Steine. Die
sind einfach da.
Liegen herum, und manchmal wirft man sie in einen
fremden Garten. Oder in eine
Scheibe. Stolpert darüber.
Flucht. Ina Nauer hebt sie
auf, sieht und begreift sie,
schmeisst – nein legt – sie
wieder hin. Oder nimmt
sie heim.
In ihrem Atelier in Gams im
St. Galler Rheintal schaltet
die Frau dann die Schleifmaschine an. In ihren Bewegun-
gen ist nichts Hektisches,
nichts Grobes, alles geht ineinander über. Bis der Stein
die zerklüftete Oberfläche
ablegt, können zwei oder
mehr Stunden verrinnen.
In dieser Zeit gewinnt er seine Form, gibt sein Inneres
preis, verliert alles Rohe.
Seine Farben, Adern und
Äderchen beginnen zu
leuchten. Oftmals in Farben, die noch kein Mensch
beschrieben hat.
Am Schluss liegt er mit glatter Haut, warm und anschmiegsam in der Hand.
Ina Nauers Sanftheit hat ihn
sozusagen entkleidet, ihm
das Raue genommen. Sinn-
«Die Menschen, die mit meiner Hilfe einen Stein schleifen, wollen nicht irgendeinen
Edelstein, der ihr Liebesleben auf Vordermann bringt
oder Computerstrahlen abhält», sagt die Frau. Sie würde
dabei auch gar nicht mitmachen. «Klar wohnt den Steinen eine natürliche Kraft und
Schönheit inne. Aber die
steht für sich selber und hat
nix zu tun mit den Wirkungen, welche viele Menschen
in sie hineinfantasieren und
damit Business machen.» Sie
würde nie so weit gehen, einem Stein eine allgemeingültige Heilkraft oder andere
Wirkung
zuzuschreiben.
«Wenn ich ihnen eine Fähigkeit zuordnen müsste, dann
am ehesten die, dass sie die
Menschen etwas über Langsamkeit lehren.»
Wer aber die Schönheit sucht,
sich eine bleibende, einzigartige Erinnerung erarbeiten
will, ist im Atelier von Ina
Nauer richtig. Über der ganzen Szenerie liegt etwas Magisches. Noch während ich
Das ist keine Fotomontage, sondern
selber einen Stein schleife
und poliere, beginnt er zu
bluten. Rot tropft es in den
Abguss. Steine, die bluten?
Ina grinst, sie kennt das Phänomen: «Nein, du hast keinen Wunderstein in Händen,
es ist simpel und einfach ein
Radiolarit. Der stammt aus
einer Zeit, als das Rheintal
nicht das Tal des Rheins, sondern am Grund des Meers
war.» Das «Blut» stammt von
Skeletten winzigster Einzel-
Ausflugstipps
Schweiz
Coopzeitung online
Sie hat eine ganz besondere Hand
für Steine: Ina Nauer.
FOTO: PHILIPP ZINNIKER
Die Feinarbeit am Schleifstein kann je nach
Stein Stunden dauern.
Weitere Perlen
können Sie
im Internet
entdecken unter:
www.coopzeitung.ch/
perle
Steine schleifen
Erinnerungen an
Gutes
Steine sind Erinnerungen an
Menschen, Orte, Zeiten. Mit
ihrem Wissen und ihren Geräten
hilft Ina Nauer, die Schönheit
eines Steins herauszuarbeiten.
Das dauert in der Regel eine bis
drei Stunden. Am Schluss erhält
der Kunde nicht nur ein Unikat,
sondern auch die persönliche
Geschichte des Steins. Dafür
arbeitet die Steinfrau mit einem
Geologen zusammen. Sie übersetzt die Geschichte des Steins
allerdings aus dem GeologenChinesisch wieder zurück in eine
verständliche Sprache.
Adresse: Rotochen, 9473 Gams.
Kosten: Fr. 35.– pro Stunde.
Anmeldung und weitere Infos:
Tel. 076 304 23 22 oder unter:
ein geschliffener Stein, in dem man sich spiegelt.
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link
www.ein-stein-atelier.ch
ler-Tierchen mit entsprechender Farbe. Mir wird bewusst, welche Preziosen ich
in den Händen halte. Irgendwann vor Jahrmillionen hat
Mutter Erde die Brocken vielleicht in einem Wutanfall aus
sich herausgepresst. Der
Stein, den ich aus dem Rhein
holte, hat Eiszeiten, Saurier
und die allerersten Menschen kommen und gehen
sehen. Er hat sich an anderen
Steinen gerieben, wurde vom
Gletscher weggetragen. Er ist
im Rhein und jetzt zufällig in
meiner Hand gelandet. Zufällig? Wie lange bin ich selber schon auf Erden? Wie
lange noch?
Doch bevor sich meine Gedanken in die grundsätzlichen Fragen des Daseins
verabenteuern, holt mich Ina
ins Hier und Heute zurück.
Gibt Tipps und verrät Tricks,
die das Schleifen einfacher
machen. Meine Finger sind
bei Weitem nicht so geschickt
wie die ihren. Um das Beste
hervorzuholen, verfügt die
Steinfrau über elektrische
Schleifräder mit sechs verschiedenen Körnungen. Eignet sich jeder Stein zum
Schleifen? Und welcher ist eigentlich der Schönste? Ina
Nauer, die sich seit ihrer
Kindheit mit Steinen befasst,
zuckt mit den Schultern: «Es
ist wie bei den Menschen. Je
tiefer du gehst, je besser du
jemanden kennenlernst, je
schöner, wertvoller, sinnlicher, liebenswürdiger ist er.»
Und wie bei den Menschen
ist da manchmal einfach –
nichts. Daher rät die Steineschleiferin ihren Kunden ab
und zu auch, den Stein so zu
lassen, wie er ist. Einfach,
weil er nur an der Oberfläche
interessant ist. Auch das hat
seine Berechtigung.
Unterstützt von Schweiz Tourismus