8 Imam Mal Hoffnungsträger, mal Brandstifter NORDWESTSCHWEIZ DONNERSTAG, 26. NOVEMBER 2015 Wie berechtigt ist die Angst? Ein Winterthurer Prediger soll im Dienste des IS stehen. Welche Rolle Imame spielen und wie richtig ihre Ausbildung in der Schweiz wäre VON DANIEL FUCHS Rund 180 Imame sind in den Schweizer Moscheen tätig. Einer von ihnen ist A.E., bekannt aus «Weltwoche» und Sonntagszeitungen. Gemäss Recherchen soll er in der Winterthurer An’Nur-Moschee nicht nur radikales Gedankengut verbreitet, sondern im Dienste des IS Schweizer Dschihadisten für den Krieg in Syrien rekrutiert haben. Im Interview mit dem OnlineNewsportal «Watson» wehrte sich A.E. gegen die Vorwürfe, räumte aber ein, hin und wieder in seine Heimat Libyen zu reisen. In Libyen hatte er gegen Diktator Gaddafi für die Einrichtung eines Islamischen Staats «mit demokratischen Mitteln» gekämpft und war Mitglied der al Kaida-nahen Libyan Islamic Fighting Group gewesen. Später hat der Mann in der Schweiz Asyl erhalten. Viele Fragen bleiben offen, darunter auch die, weshalb ein Kämpfer einer radikal-islamischen Organisation in der Schweiz Asyl bekommt. Und: warum einer wie er Imam wird. Der Verdacht: Hassprediger Klar ist: Imame stehen unter Generalverdacht, eine Rolle im weltweiten IS-Terror zu spielen. Muslimenvereine, Sozialarbeiter, Forscher und andere Experten weisen immer wieder auf die Vorteile einer ImamAusbildung in der Schweiz hin. Den Moscheevereinen mangelt es an ausgebildetem Personal, und so kommen viele der Imame häufig aus dem Ausland, besonders aus Ägypten oder aus der Türkei. Sie würden weder die hiesigen Verhältnisse, geschweige denn Sprachen kennen, so das Credo. Andere wiederum weisen Imamen beim Thema Radikalisierung eine untergeordnete Rolle zu. So etwa die Islamforscherin von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) Miryam Eser-Davolio, die in ihrem Forschungsprojekt mit Rückkehrern aus dem IS-Gebiet gesprochen hat. In der heute erschienenen Ausgabe des «Beobachters» sagt sie, Schweizer Dschihad-Reisende radikalisierten sich vor allem via Internet. Moscheen und Imame hätten wenig damit zu tun. Anders ist es bei der Prävention: Können Imame Jugendliche vor der Radikalisierung schützen oder sie zurück in die Gesellschaft holen? Im Gespräch mit der «Nordwestschweiz» nach den Attentaten in Paris wies die ZHAW-Forscherin Eser auf ein «Die Imame sind nicht das Allerheilmittel.» Hansjörg Schmid Leiter des Schweizer Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg wichtiges Problem hin: Aus Sorge um ihren Ruf würden Moscheevereine Jugendliche häufig ausschliessen, die sich radikalisiert haben. Das sei aber gerade falsch, denn dort könnten die Jugendlichen doch noch von ihrem Weg abgebracht werden. Imame können dabei eine wichtige Rolle übernehmen. Laut Eser ist es entscheidend, wie eng die Imame und Moscheevereine mit den Behörden zusammenarbeiteten. Das ist von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich: An einem Weiterbildungsangebot der ZHAW zum Thema Radikalisierung, das sich kürzlich an Imame richtete, nahmen gerade einmal sieben Imame teil. Alle kamen sie aus dem Kanton St. Gallen. Die Lösung: Integrieren und Bilden Weiterbildungsangebote für Imame, Lehrer, Sozialarbeiter bietet seit einem Jahr auch die Universität Freiburg an. Der Leiter Hansjörg Schmid ist nicht etwa Islamwissenschafter, sondern katholischer Theologe. Er warnt davor, in Imamen das Allerheilmittel zu sehen. Schmid sagt: «Viele Jugendliche gehen gar nie in die Moschee, verbringen aber viel Zeit im Internet.» Dort seien Kontrolle und Prävention viel schwieriger. Moschee und Imam seien nicht die einzigen möglichen Berührungspunkte mit radikalem Gedankengut. «Junge Muslime haben mehr soziale Bezugsfelder: Wichtiger sind oft Freunde, die Familie, die Schule und die berufliche Integration.» Es brauche gute Angebote in der Schule und in der Berufsbildung. Stimme dort alles, sei die Gefahr einer Radikalisierung viel geringer. Schmid ist dafür, dass sich Imame in der Schweiz weiterbilden. Eine Ausbildung der Imame kann die Universität nicht bieten: «Dort wird auch nur katholische oder evangelische Theologie gelehrt, die Ausbildung zum Pfarrer erfolgt in den Landeskirchen.» Letztlich sei zentral, dass Imame gut qualifiziert und in der Schweiz integriert sind. «Auch dass sie die Sprache sprechen. Das ist wichtig für die Seelsorge in Spitälern oder Gefängnissen und letztlich in Moscheen.» Schmid weist gerne auf Länder wie Österreich und Deutschland hin. Auch dort bilden Unis keine Imame aus. Aber sie bieten Studiengänge zur islamischen Theologie an. Im Juni soll auch an der Universität Freiburg ein Weiterbildungskurs zum Thema Radikalisierung stattfinden. Wird in den hiesigen Moscheen nicht nur gebetet? ALESSANDRO DELLA BELLA/KEYSTONE Einst war er Rapper – als Imam verdammt er Musik Nach den Anschlägen in Paris wächst in Frankreich die Kritik an salafistischen Imamen, die zwar gegen den Dschihad sind – aber Musiktempel wie das «Bataclan» verteufeln. Ihr Star ist Rachid Abou Houdeyfa – ein ehemaliger Rapper. VON STEFAN BRÄNDLE, PARIS «Gehorcht der gute Moslem seiner Frau? Natürlich!», ruft der Imam, und seine dunklen Augen blitzen wie nach einem gelungenen Schelmenstreich. «Wenn sie überfordert ist im Haushalt, muss er ihr selbstverständlich helfen. Nein, wir sagen nicht, die Muslima sei ihrem Mann unterworfen. Das passt uns nicht.» Der Redeausschnitt findet sich auf der Website von Rachid Abou Houdeyfa. Mit seinem rhythmischen «tchatche», dem Akzent der Banlieue-Jugend, sagt der 35jährige Franzose weiter: «Der Polizeipräfekt von Paris hat erklärt, in seiner Stadt habe es in einem einzigen Jahr 800 sexuelle Übergriffe gegeben, mehr als 8000! Ich sage: Schlagt eure Frauen nicht!» Auf eine Null mehr oder weniger kommt es dem Imam offenbar nicht an. Wichtig ist der Effekt: Houdeyfa zeigt dem ganzen Land, dass er nicht der rückständige Gottesprediger ist, als den ihn französische Medien gerne darstellen. Nach den Pariser Terroranschlägen verurteilte der agile Bretone aus einem Immigrantenviertel von Brest (Bretagne) die «Barbaren» und «Terroristen» mit aller Deutlichkeit. Schon immer seien kriminelle Taten im Namen der Religion begangen worden, erklärte er. Heute geschehe das leider im Namen des Islam, weshalb er als Prediger «ohne jede Ambivalenz» klarmachen müsse, dass diese Akte keinesfalls mit dem Islam zu rechtfertigen seien. Twitter, Youtube und Facebook Auch das war eine indirekte Antwort an seine Kritiker. Sie werfen ihm trotzdem eine ambivalente und letztlich gefährliche Haltung vor. Der agile Mann mit Kinnbart und Kahlkopf bedient sich, wie einst die amerikanischen Fernsehprediger, der neuen Medien, um über seine Moschee hinaus bekannt zu werden. Er kommuniziert via Twitter, Youtube und Facebook, wo er 187 000 Anhänger zählt. gerne rappte und von sich sagt, er sei «weder ein Weiser noch ein Mufti», gibt sich viel aufgeschlossener. Auf ebenso eloquente wie vehemente Weise macht er sich über seine Kritiker lustig, wenn sie seine Rückständigkeit anprangern. Musik ist «haram» Imam Rachid Abou Houdeyfa. HO Weniger modern ist sein Diskurs. Houdeyfa, der mit bürgerlichem Namen Rachid El Jay heisst, gehört zum gewaltlosen Flügel der Salafisten und bezieht sich ausdrücklich auf Standpunkte und Quellen, die vor «vierzehn Jahrhunderten» entstanden waren, wie er selber hervorhebt, als wäre das ein unschlagbarer Vorteil. Bekannte Salafisten aus den Pariser Vorstädten predigen mit dem gleichen Argument gegen Feministinnen und Schweinefleisch. Houdeyfa, der früher Nicht mehr zu löschen vermag er allerdings ein Youtube-Video, in dem er Zehnjährige um sich geschart hat und ihnen erklärt, Musik sei «haram», also unzulässig, verboten. Wer auf seinem Telefon oder MP3-Gerät Musikvideos lade und höre, werde in einen Affen oder ein Schwein verwandelt, droht Houdeyfa den Kids. Die staunen zuerst, machen aber bald mit. Auf die Schlussfrage des Predigers, was Musik sei, antworten sie nun wie aus einer Kehle: «haram!» Das Video wurde vor den Pariser Anschlägen aufgenommen. Das Wochenmagazin «L’Obs» stellt dem Prediger dennoch die Grundsatzfrage: «Wo beginnt der Radikalismus?» Schafft Houdeyfa mit seinen Worten nicht den Nährboden für Terroristen, die bewusst einen Konzertsaal wie das «Bataclan» oder die dort aufgetretene Band Eagles of Death Metal zur Zielscheibe machten? Das befürchtet auch die Anthropologin Dounia Bouzar, die in der Pariser Umgebung mehrere Projekte zur «Deradikalisierung» entgleister Banlieue-Kids leitet. Sie hat Hunderte von Lebensläufen von Anhängern der Terrormiliz IS geprüft und festgestellt: «Wenn man im Cache ihrer Computer nachschaut, stösst man bei den frühesten Einträgen meist auf die Videos dieser Imame.» Starprediger wie Houdeyfa sprechen ganz offensichtlich auch Jugendliche an, die für die als altmodisch und verstaubt geltenden Moschee-Rektoren nur Verachtung übrig haben. Bloss verdammen diese Salafisten, selbst wenn sie jeden Terror zurückweisen, ebenfalls die westliche Lebensart – und damit auch die Pariser Bistrokultur, die Ziel der jüngsten Anschläge war. Darüber diskutiert Houdeyfa aber nicht öffentlich, verweigert er sich doch systematisch den Anfragen französischer Medien. Die französische Polizei scheint sich derzeit die Frage zu stellen, auf welcher Seite Houdeyfa wirklich stehe. Im Zuge des nationalen Ausnahmezustandes wurde seine Moschee in Brest am vergangenen Freitag von über hundert Polizisten einer mehrstündigen Hausdurchsuchung unterzogen.
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