Nr. 5 /2015 Unterversicherung von Sachrisiken: Die Deckungslücke schliessen 01 Zusammenfassung 03Einleitung: Bestimmung der Unterversicherung globaler Sachrisiken 05Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? 15Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung 21Was bedeutet Unterversicherung ? 29Umgang mit Unterversicherung 38 Fazit 39 Anhang Zusammenfassung Die Deckungslücke bei Naturkatastrophenrisiken betrug in den letzten zehn Jahren durchschnittlich USD 127 Milliarden. Die Unterversicherung von Sachrisiken1 stellt eine globale Herausforderung dar. Ein Grossteil der Deckungslücke ist auf das nicht versicherte weltweite Naturkatastrophenrisiko zurückzuführen, welches in den letzten 40 Jahren stetig zugenommen hat. Gemäss den sigma-Daten von Swiss Re betrug der wirtschaftliche Gesamtschaden aus Naturkatastrophen im letzten Jahrzehnt durchschnittlich rund USD 180 Milliarden pro Jahr. Davon waren 70% (USD 127 Milliarden oder USD 1,3 Billionen im gesamten Zehnjahreszeitraum) nicht versichert. Erdbeben, Überschwemmungen und Stürme sind die grössten Gefahren, besonders in Gebieten mit einer hohen Bevölkerungsdichte und einer starken Konzentration von Sachwerten. Der modellierte mögliche Schaden, der durch Naturkatastrophen entsteht, beträgt USD 153 Milliarden. Allerdings vermögen historische Daten nicht alle wichtigen Katastrophenszenarien vollständig zu erfassen. Durch die Modellierung von möglichen künftigen Ereignissen lassen sich die erwarteten nicht versicherten Sachschäden durch Naturkatastrophen auf USD 153 Milliarden pro Jahr schätzen. Absolut gesehen machen die USA, Japan und China den grössten Teil der weltweiten Deckungslücke aus (USD 81 Milliarden). In den Schwellenländern sind durchschnittlich 80 bis 100% der wirtschaftlichen Schäden nicht versichert. Die erwarteten Verluste sind in absoluten Zahlen zwar weniger hoch, können aber dennoch die wirtschaftlichen Ressourcen in diesen Ländern erheblich vermindern. Ein Benchmarking über verschiedene Länder hinweg lässt auf eine weitere Deckungslücke bei allgemeinen Sachschäden in Höhe von USD 68 Milliarden schliessen ... Für das breitere Spektrum der Sachrisiken – einschliesslich Feuer-, Einbruch- und Wasserschäden – sowie der Betriebsunterbrechungsrisiken lässt sich die Unterversicherung anhand der Differenz zwischen Best-Practice-Ländern und Ländern mit einer tieferen Versicherungsdurchdringung schätzen (Prämien in % des Bruttoinlandprodukts (BIP)). Die Versicherungsnachfrage wird in der Regel durch wirtschaftliche Faktoren bestimmt, während die Korrelation mit Risikofaktoren wie die Exposition gegenüber Naturkatastrophen schwach ist, und viele Hochrisikogebiete eine tiefe Deckung aufweisen. Eine globale Vergleichsbewertung der Versicherungsdurchdringung über verschiedene Länder hinweg zeigt weltweit eine Deckungslücke von USD 68 Milliarden bei allgemeinen Sachrisiken an. Unter den Ländern mit der grössten Unterdeckung im Verhältnis zum BIP sind viele wachstumsstarke Länder. Hier häuft die rasch wachsende Mittelklasse neuen Reichtum an, während die Versicherungsnachfrage dieser Entwicklung hinterherhinkt. ... und somit auf eine globale Unterversicherung von Sachrisiken in Höhe von insgesamt USD 221 Milliarden. Fasst man die Modellierungsdaten für Naturkatastrophen und die wirtschaftliche Vergleichsbewertung der Sachversicherungsmärkte zusammen, ergibt sich eine globale Unterversicherung von Sachrisiken in Höhe von USD 221 Milliarden in Bezug auf erwartete Schäden. Im Vergleich dazu wird das weltweite Prämienvolumen der Sachversicherung auf USD 413 Milliarden in 2014 geschätzt. Zu den Ursachen der Unterversicherung gehören Unterbewertungen, Ausschlüsse und Herausforderungen in Bezug auf die Versicherbarkeit sowie Risikowahrnehmung und -verhalten von Konsumenten und Unternehmen. Die Unterversicherung lässt sich in verschiedene Kategorien aufteilen: vollkommen unversichert, versichert gegen bestimmte Risiken, versichert mit Einschränkungen bei den Versicherungsbedingungen (Selbstbehalte, Ausschlüsse) und versichert mit unterbewerteten Sachwerten. Bestimmte Risiken – beispielsweise in Zusammenhang mit extremen Naturkatastrophen, Terrorismus, Internetkriminalität oder Rückwirkungsschäden – können die Versicherbarkeit infrage stellen. Beim einzelnen Konsumenten können Faktoren wie Risikowahrnehmung, mangelndes Versicherungswissen, Erschwinglichkeit, Vertrauen auf staatliche Hilfe nach einer Katastrophe, fehlendes Vertrauen in die Versicherer und eine komplizierte Geschäftsabwicklung den Abschluss einer angemessenen Deckung verhindern. Dies ist vor allem in neuen Märkten der Fall. 1 Unter Sachrisiken werden in dieser Publikation Risiken für Gebäude und deren Inhalt – einschliesslich Feuer-, Einbruch- und Wasserschadenversicherungen – sowie das damit zusammenhängende Betriebsunterbrechungsrisiko verstanden. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 1 Zusammenfassung Die Schliessung der Deckungslücke im Bereich der Sachversicherung ist eine wichtige Herausforderung für die Gesellschaft. Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor ist entscheidend. 2 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Die Schliessung der Deckungslücke erfordert von den Versicherern und vom Staat spezifische Massnahmen, damit sich Kaufverhalten und Marktstrukturen verändern. Wenn die Versicherer ihr Fachwissen gezielt anwenden und sich auf jene Konsumenten konzentrieren, die überhaupt nicht oder ungenügend versichert sind, können sie massgeblich dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit der Haushalte und Unternehmen gegenüber Sachrisiken zu stärken. Produkt- und Vertriebsinnovation sowie Massnahmen im Umgang mit der Risikokumulation werden entscheidend sein, um die Gesellschaft dabei zu unterstützen, die Risiken besser zu bewältigen. Daneben sind Daten zu erheben und analytische Instrumente zu entwickeln, um die Risikoexposition besser zu verstehen. Gleichzeitig müssen die Regierungen, um die Risikoexposition zu verringern, ein starkes Regulierungsumfeld schaffen, Baustandards einführen und umsetzen sowie die Risikominderung fördern. So können öffentlichprivate Partnerschaften eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, bei einer eingeschränkten Versicherbarkeit von Risiken die Deckungslücke zu schliessen. Einleitung: Bestimmung der Unterversicherung globaler Sachrisiken Die Sachversicherung deckt hauptsächlich Schäden an Gebäuden und deren Inhalt bei Brand, Naturgefahren und anderen Risiken. Eine Deckung ist in unterschiedlichen Formen sowohl für Wohn- als auch für Gewerbeimmobilien verfügbar. Die Deckungslücke ist die Differenz zwischen versichertem Schaden und Gesamtschaden. Sachrisiken versichern Die Sachversicherung umfasst hauptsächlich die Deckung für Schäden an Gebäuden und deren Inhalt wie Möbeln oder Maschinen. Sie schliesst in der Regel eine Feuerversicherung mit ein, die Schäden infolge von Brand, Blitzschlag und Explosion deckt. Weitere Risiken, die üblicherweise gedeckt sind, sind Sturm, Diebstahl, Vandalismus und Wasserschäden, die nicht durch eine Überschwemmung verursacht werden. Zu den Risiken, die nicht immer in der Deckung eingeschlossen sind, gehören Überschwemmungen, Erdbeben, Tsunamis und Terrorakte. Bei Gewerbeversicherungen kann die Police auch das Betriebsunterbrechungsrisiko, also Einkommensverluste infolge eines versicherten Ereignisses, decken. Die Deckung von Brandschäden ist die wichtigste Komponente einer Standardversicherung für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Für beide Segmente ist eine breite Palette an Policen verfügbar. Dazu gehören Policen, die nur spezifische Risiken decken (z. B. Brand, Blitzschlag, Explosion und Sturm), modulare Policen mit optionaler Zusatzdeckung (z. B. Überschwemmung, Betriebsunterbrechung) sowie Policen für Mehrgefahrenrisiken, die auch bestimmte Haftpflichtrisiken mit einschliessen. Deckungslücke und Unterversicherung Die Begriffe «Deckungslücke» und «Unterversicherung» werden oft synonym verwendet, vor allem im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung. Im Zusammenhang mit Sachrisiken gibt es einen feinen Bedeutungsunterschied – nämlich dann, wenn zu beurteilen ist, ob eine Versicherungsdeckung genügend oder angemessen ist. Die Deckungslücke bei Sachschäden wird definiert als der nicht versicherte Teil der Schäden durch ein bestimmtes Ereignis, namentlich die Differenz zwischen wirtschaftlichem Gesamtschaden und versichertem Schaden. Es kann kostengünstiger sein, einen Teil des Risikos einzubehalten. In der Regel ist die optimale Höhe des Risikotransfers nicht 100%. So vermeiden es die Versicherer, eine Deckung für häufig vorkommende Schäden anzubieten, weil dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Auf Seiten der Versicherungskunden spielt die Risikoneigung und -tragfähigkeit eine Rolle: Manchmal bevorzugen es Konsumenten, private Unternehmen und öffentliche Stellen, einen Teil der Risiken selbst zu tragen, um Prämien zu sparen. Dies kann eine kostengünstigere Art des Risikomanagements sein, als die maximale Deckung zu kaufen. Unterversicherung ist gleichbedeutend mit dem Erwerb einer Deckung, die unter dem wirtschaftlich vorteilhaften Niveau liegt. Der Begriff Unterversicherung kann daher definiert werden als die Differenz zwischen der Versicherungsdeckung, die wirtschaftlich vorteilhaft ist – diese kann eine bewusst gewählte Selbstversicherung beinhalten– und der tatsächlich erworbenen Versicherungsdeckung.2 Bei der Sachversicherung sind zwei Hauptrisikobereiche zu betrachten: das Risiko von Naturkatastrophen und allgemeine Sachrisiken. Die Deckungslücke bei Naturkatastrophen wird durch die Differenz zwischen versicherten Schäden und Gesamtschäden berechnet. Vorgehen zur die Bestimmung der Unterversicherung Dieser Bericht befasst sich mit zwei Hauptrisikobereichen im Zusammenhang mit der Sachversicherung. Der erste Bereich umfasst das Risiko von Naturkatastrophen, also Ereignisse wie Erdbeben, Überschwemmungen, Hurrikane und alle anderen Naturgefahren, die oft schwere Schäden an Sachwerten verursachen oder gar Menschenleben fordern. Der zweite Bereich sind die allgemeinen Sachrisiken wie Brand, Wasserschaden, Betriebsunterbrechung, Einbruch usw. Bei diesen vielfältigen Risikovariablen lässt sich das angemessene Versicherungsniveau nicht von einem rein theoretischen Standpunkt aus bestimmen. Dieser Bericht verwendet vielmehr pragmatische Methoden, um den Umfang der Unterversicherung von Sachrisiken in der heutigen Welt zu bewerten. Zuerst wird die weltweite Deckungslücke zwischen versicherten und nicht versicherten Sachschäden durch Naturkatastrophen geschätzt. Naturkatastrophen machen einen grossen und deutlich sichtbaren Anteil an der weltweiten Unterversicherung aus. Die Deckungslücke wird dabei anhand der Schäden in der Vergangenheit und mit Hilfe probabilistischer Modelle der erwarteten Schäden geschätzt. 2 The Global Insurance Protection Gap – Assessment and Recommendations, The Geneva Association, November 2014. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 3 Einleitung: Bestimmung der Unterversicherung globaler Sachrisiken Mit einem Benchmarking- Ansatz wird die Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken bewertet. Anhand der Durchdringung (Prämien in% des BIP) für Sachrisiken erfolgt danach eine Schätzung der erwarteten (oder potenziellen) Versicherungsdurchdringung jedes Landes, und zwar gestützt auf einen Best-Practice-Vergleich mit anderen Ländern. Die erwartete Versicherungsdurchdringung wird dann mit der effektiven Durchdringung verglichen, um daraus das Ausmass der Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken eines bestimmten Landes abzuleiten. Rechnet man schliesslich diese Unterversicherung jedes Landes zu der von Naturkatastrophenszenarien bestimmten Deckungslücke hinzu, ergibt sich der geschätzte Umfang der globalen Unterversicherung von Sachrisiken in der heutigen Welt. Oder anders gesagt: die Deckungslücke der tatsächlich erworbenen Versicherung im Verhältnis zu demjenigen Betrag, der wirtschaftlich vorteilhaft wäre. Anschliessend befasst sich die Studie mit den Ursache der Unterversicherung und mit Wegen, diese Deckungslücke zu verringern. Abbildung 1: Bestimmung der Unterversicherung von Sachrisiken Deckungslücke bei Naturkatastrophen Methode Schäden in der Vergangenheit Geltungsbereich Alle Naturgefahren Schäden Indikatoren Probabilistische Schadenmodelle Benchmarking der Sachversicherungsdurchdringung Sturm, Überschwemmung, Alle Sachrisiken Erdbeben Erwartete Schäden Prämien; Schadenäquivalent Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting 4 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? In vielen Märkten besteht eine erhebliche Deckungslücke bei Sachschäden durch Naturkatastrophen. Die Deckungslücke bei Naturkatastrophen hat sich in den letzten 40 Jahren stetig ausgeweitet. Abbildung 2: Schäden durch Naturkatastrophen: versicherte gegenüber nicht versicherten Schäden, 1975 bis 2014, in USD Milliarden, zu Preisen von 2014 Weltweit besteht eine erhebliche Deckungslücke bei Sachschäden durch Naturkatastrophen. Gemäss den sigma-Daten von Swiss Re betrugen die wirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen im letzten Jahrzehnt durchschnittlich rund USD 180 Milliarden pro Jahr. Davon waren 70% (USD 127 Milliarden oder USD 1,3 Billionen im gesamten Zehnjahreszeitraum) nicht versichert. Prospektive Daten von Swiss Re Cat Perils bestätigen den Umfang der Unterversicherung von 70%, wenn auch mit einer grossen Bandbreite bezüglich Gefahren und Regionen. Gestützt auf prospektive Naturkatastrophenszenarien wird der gegenwärtig zu erwartende weltweite Gesamtschaden auf rund USD 217 Milliarden pro Jahr geschätzt. Dies bedeutet eine aktuelle Unterversicherung von rund USD 153 Milliarden. Die weltweite Deckungslücke bei Naturkatastrophen hat in den letzten 40 Jahren stetig zugenommen Die Deckungslücke bei Sachschäden durch alle Katastrophenereignisse hat im Laufe der Zeit zugenommen. Abbildung 2 zeigt die versicherten und nicht versicherten Schäden durch Naturkatastrophen zwischen 1975 und 2014. Der wirtschaftliche Gesamtschaden entspricht der Summe der versicherten und nicht versicherten Schäden.3 Wenn der wirtschaftliche Gesamtschaden durch Katastrophen weiter steigt, nimmt auch die Deckungslücke bei Sachschäden zu. Es sei denn, es werden Massnahmen zu einer deutlichen Erhöhung des Schutzes ergriffen, entweder durch Versicherung oder durch Risikominderung. 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 1975 1980 1985 Nicht versicherte Schäden Versicherte Schäden 1990 1995 2000 2005 2010 Gleitender Zehnjahresdurchschnitt (versicherte Schäden) Gleitender Zehnjahresdurchschnitt (wirtschaftliche Schäden) Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting und Cat Perils 3 Der wirtschaftliche Gesamtschaden umfasst alle finanziellen Schäden, die direkt einem Ereignis zugeordnet werden können, d. h. Schäden an Gebäuden, Infrastrukturen, Fahrzeugen usw. Der Begriff beinhaltet auch Schäden infolge einer Betriebsunterbrechung als direkte Folge des Sachschadens. Siehe sigma 2/2015, Natur- und Man-made-Katastrophen 2014, Swiss Re. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 5 Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? Die Immobilienwerte nehmen zu, was eine höhere Risikoexposition mit sich bringt, .... Durch die steigenden Immobilienwerte erhöhen sich die potenziellen Schäden. In den USA steigt der Wert von Wohn-, Gewerbe- und Industrieimmobilien rascher an als das BIP und die Inflation. Die versicherten Sachwerte erhöhten sich zwischen 2012 und 2014 um 9%. Insgesamt beträgt der Wert der in den USA versicherten Immobilien heute mehr als USD 40 Billionen; und der Wert aller versicherten Gebäude, einschliesslich ihres Inhalts, wird auf über USD 90 Billionen geschätzt.4 ... insbesondere in Gegenden, die Naturgefahren ausgesetzt sind. Die Urbanisierung hat zu einer stärkeren Grundstücksentwicklung in Städten auf der ganzen Welt geführt. Dadurch haben sich die Konzentration von Sachwerten und somit auch die Risikoexposition weltweit erhöht. Besonders hoch ist diese Risikokumulation in Küstenstädten, die einem Hurrikanrisiko ausgesetzt sind. So machen die Küstenregionen in New York, Florida und Texas fast USD 11 Billionen der Risikoexposition bzw. über 12% der Gesamtexposition in den USA aus.5 Auch in den Schwellenländern lässt der Urbanisierungstrend die Immobilienwerte deutlich ansteigen. Die Deckungslücke in den letzten vier Jahrzehnten auf 0,19% des weltweiten BIP angestiegen, da die Risikoexposition stärker zugenommen hat als die Versicherungsdurchdringung. Die Deckungslücke in % des BIP veranschaulicht, wie sich Katastrophenschäden auf die Wirtschaft auswirken. Abbildung 3 stellt den Zehnjahresdurchschnitt der versicherten und nicht versicherten Naturkatastrophenschäden weltweit in % des weltweiten BIP in den letzten vier Jahrzehnten dar. Der wirtschaftliche Gesamtschaden durch Naturkatastrophen hat sich von 0,09% (im Zeitraum von 1975 bis 1984) auf 0,27% (im Zeitraum von 2005 bis 2014) des BIP erhöht. Gleichzeitig hat der nicht versicherte Anteil von 0,07 auf 0,19% des weltweiten BIP zugenommen. Abbildung 3: Versicherte und nicht versicherte Naturkatastrophenschäden weltweit in % des BIP, 1975 bis 2014 0,30% Un 0,25% Ins 0,20% 0,19% 0,15% 0,17% 0,10% 0,05% 0,00% 0,11% 0,07% 0,02% 1975–1984 0,05% 0,05% 1985–1994 1995–2004 Versicherte Schäden 0,08% 2005–2014 Nicht versicherte Schäden Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting und Cat Perils 4 Increasing Concentrations of Property Values and Catastrophe Risk in the US, Karen Clark & Co, April 2015. 5 Ibid. 6 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Erdbeben machen den grössten Teil der nicht versicherten Schäden aus, gefolgt von Überschwemmungen und Stürmen. Die relative Bedeutung der drei weltweit grössten Naturgefahren – Stürme, Überschwemmungen und Erdbeben – in der Deckungslücke bei Naturkatastrophen hat sich im Laufe der Zeit kaum verändert. Einzelne Ereignisse weisen erhebliche Abweichungen bei den unversicherten Schäden auf, aber seit 1975 ist der durchschnittliche Anteil der unversicherten Schäden stabil geblieben bei rund 55% im Fall von Stürmen, 86% bei Überschwemmungen und 90% bei Erdbeben.6 Abbildung 4: Unversicherte Schäden durch Naturkatastrophen in % der wirtschaftlichen Schäden, nach Regionen, 1975 bis 2014 100% 80% 60% 40% 20% 0% Westeuropa Stürme NordAmerika Japan Ozeanien Überschwemmungen Asiatische Latin Schwellen- Amerika länder Erdbeben Bemerkung: basierend auf Ereignissen, deren versicherte und wirtschaftliche Schäden bekannt waren und die USD 500 Millionen überstiegen (zu Preisen von 2014) Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Die Deckungslücke ist je nach Region ... Der Anteil der unversicherten Sachschäden infolge von Naturkatastrophen ist je nach Region unterschiedlich. In der Regel ist die Lücke in Industrieländern kleiner als in Schwellenländern, wo 80 bis 100% der wirtschaftlichen Schäden nicht versichert sind. Da der Wert der Immobilien in den Schwellenländern sich mit dem rasanten Wirtschaftswachstum erhöht hat, hat der Anteil der Schwellenländer an der Deckungslücke ebenfalls zugenommen. ... und Gefahr unterschiedlich. Die Deckungslücke bei Sturmschäden liegt zwischen 51 und 65% des Gesamtschadens in reifen Märkten. Bei Überschwemmungen sind zwischen 59 und 87% der Schäden nicht versichert. Bei Erdbeben ist die Spannweite noch höher: Sie reicht von 21 bis 96% – und dies, obwohl verheerende Erdbeben seltener und geografisch konzentrierter vorkommen als wetterbedingte Ereignisse, weshalb sie einfacher vorhersehbar sind und zu tieferen Jahresprämien versichert werden könnten. Seit 1975 gab es in Westeuropa elf Erdbeben mit wirtschaftlichen Schäden in Höhe von USD 500 Millionen oder mehr. Sie ereigneten sich alle in Italien oder Griechenland, also in Ländern mit einer sehr tiefen Versicherungsdurchdringung. 6 Diese Darstellung weist alle Schäden einer Katastrophe der dominierenden Gefahr zu, da die verschiedenen Datenquellen keine Aufsplittung zulassen. So werden die Hochwasserschäden durch den Hurrikan Katrina zur Kategorie Sturm gezählt. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 7 Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? Die historische Sicht zeigt Vergangenheitstrends, sie erfasst aber nicht die unterliegende Risikoexposition. Welche Länder weisen die grösste Deckungslücke bei Naturkatastrophen auf? Die rückwärtsgerichtete Sicht erlaubt eine erste nützliche Schätzung der Deckungslücke bei Sachschäden. Sie ist aber insofern eingeschränkt, als sie nicht das gesamte unterliegende Risiko erfasst. Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit wie starke Hurrikane oder Erdbeben treten vielleicht während mehreren Jahrzehnten nicht ein und erscheinen somit auch nicht in den jüngsten historischen Daten. So gab es in Florida in den letzten zehn Jahren keinen starken Hurrikan, aber das Risiko von Sachschäden durch Hurrikans ist dort dennoch sehr hoch. Zudem können die Meldungen über die wirtschaftlichen Schäden verzerrt sein. Es gibt auch Einschränkungen in Bezug auf die Messung und Meldung von wirtschaftlichen Schäden. Die Schätzungen des wirtschaftlichen Gesamtschadens nach einer Katastrophe stammen aus verschiedenen Quellen und können verzerrt sein. Um beispielsweise Unterstützung von der Federal Emergency Management Agency der USA zu erhalten, muss der Gouverneur eines Staates eine bundesstaatliche Katastrophenerklärung für einen oder mehrere Bezirke beantragen, die vom USPräsidenten zu genehmigen ist. Dies verleitet dazu, höhere Zahlen, basierend auf einer breiteren Definition der Schäden, zu nennen, um mehr Unterstützung von aussen zu rechtfertigen. Mittels Simulationen können die erwarteten künftigen Schäden für verschiedene Gefahrenarten modelliert werden. Deshalb wird die historische Sicht idealerweise mit einer modellierten prospektiven Sicht ergänzt. MultiSNAP, das Naturkatastrophen-Risikomodell von Swiss Re, kann die erwarteten Schadenverteilungen für die drei grössten Gefahren – Erdbeben, Stürme und Überschwemmungen – ermitteln. Diese Wahrscheinlichkeiten lassen sich, zusammen mit den geschätzten Marktportfolios verwenden, um den gesamten, den versicherten und den nicht versicherten Schaden pro Jahr, der durch die einzelnen Gefahren in einem bestimmten Land verursacht wird, zu schätzen. Im Rahmen der Recherchen für diese Studie und gestützt auf diese Simulationen, wurden die erwarteten Schäden in 30 ausgewählten Ländern berechnet (siehe Abbildung 5). In absoluten Zahlen machen die USA, Japan und China den Grossteil der weltweiten Deckungslücke bei Naturkatastrophen aus. In absoluten Zahlen machen die USA, Japan und China den grössten Anteil an der weltweiten Deckungslücke aus. Hier betragen die erwarteten unversicherten Schäden pro Jahr über USD 81 Milliarden (mehr als zwei Drittel der gesamten Deckungslücke von USD 120 Milliarden in den Beispielländern). Das Erdbebenrisiko macht den grössten Teil der Deckungslücke in den USA und in Japan aus, während das Überschwemmungsrisiko fast die Hälfte der erwarteten unversicherten Schäden in China umfasst. Die Bedeutung dieser drei Länder in absoluten Zahlen beruht nicht nur auf der natürlichen Exposition, sondern auch auf der Bevölkerungszahl, der Grösse des Landes und den betroffenen Sachwerten. 8 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Abbildung 5: Erwartete versicherte und nicht versicherte Schäden durch Naturkatastrophen Jährlich erwartete Naturkatastrophenschäden versichert nicht versichert USA Japan China Mexiko Italien Taiwan Türkei Philippinen Indonesien Deutschland Kanada Indien Chile Niederlande Brasilien Grossbritannien Frankreich Australien Kolumbien Belgien Schweiz Portugal Österreich Israel Hongkong Neuseeland Südafrika Polen Tschechische Rep. Dänemark 25 Versichert: Nicht versichert: 20 15 Erdbeben Erdbeben 10 5 0 5 10 USD Milliarden Hochwasser Hochwasser 15 20 25 30 35 Sturmschäden Sturmschäden Bemerkung: Nähere Angaben zu den einzelnen Ländern sind im Anhang ersichtlich. Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting und Non-Life Risk Transformation Die weltweite Deckungslücke bei Naturkatastrophen wird auf USD 153 Milliarden geschätzt. Um die probabilistische Bewertung der weltweiten Deckungslücke bei Naturkatastrophen zu vervollständigen, sind die potenziell unversicherten Schäden der nicht berücksichtigten Länder zu schätzen. Eine einfache Hochrechnung basierend auf dem BIP 7 ergibt einen geschätzten Betrag der unversicherten Schäden weltweit von USD 153 Milliarden pro Jahr. Diese Schätzung dient als Obergrenze für die gesamte Deckungslücke bei Sachschäden durch Naturkatastrophen weltweit. Der modellierte wirtschaftliche Gesamtschaden schliesst einige öffentliche Infrastrukturen und Gewerbeimmobilien mit ein, für die möglicherweise eine teilweise Selbstversicherung bevorzugt wird. Der Grossteil der modellierten Deckungslücke würde jedoch nicht in diese Kategorie fallen und kann deshalb als Unterversicherung betrachtet werden. Zudem sind Gefahren wie Hagel, Dürre, Tornados, Schlammlawinen und Vulkanausbrüche im probabilistischen Modell nicht berücksichtigt, weshalb die Deckungslücke grösser sein könnte. 7 Bei der Hochrechnung wurde der Anteil des weltweiten BIP im Verhältnis zum BIP der Summe der modellierten Länder verwendet. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 9 Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? Viele Länder könnten bei einem schweren Erdbeben einen erheblichen wirtschaftlichen Gesamtverlust im Verhältnis zu ihrem BIP erleiden. Abbildung 6: Schadenszenario bei einem 250-JahresErdbeben, wirtschaftlicher Gesamtschaden in % des BIP Welche Gefahren tragen besonders zur Deckungslücke bei Naturkatastrophen bei? Erdbeben Viele Länder würden bei einem starken Erdbeben hohe Schäden erleiden. Abbildung 6 zeigt den erwarteten Schaden in % des BIP bei einem Erdbeben in einer Stärke, wie es nur alle 250 Jahre erwartet wird (ein «250-Jahres-Erdbeben»). Obwohl dieser Schaden in absoluten Zahlen in US-Dollar nicht der grösste ist, könnte ein solch starkes Erdbeben in Ländern wie Taiwan, Chile, der Türkei und den Philippinen verheerende wirtschaftliche Folgen haben und einen erheblichen Anteil des Volksvermögens, einschliesslich der Industrieanlagen, vernichten. 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% Südafrika Deutschland Indien Australien China Belgien Österreich Kanada Schweiz USA Portugal Kolumbien Israel Italien Indonesien Mexiko Neuseeland Japan Philippinen Chile Türkei Taiwan 0% Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting und Non-Life Risk Transformation Viele Länder mit einem hohen Erdbebenrisiko weisen eine tiefe Versicherungsdurchdringung auf. Tabelle 1: Versicherungsdurchdringung (Prämien in % des BIP) in ausgewählten Ländern, 2014 Die Versicherungsdurchdringung ist in den Ländern mit hohem Erdbebenrisiko sehr unterschiedlich, wie Tabelle 1 zeigt. So ist die Durchdringungsrate in Bezug auf Erdbebenschäden an Gewerbebauten in Chile und Neuseeland am höchsten, in Japan, Kalifornien, Mexiko und in der Türkei dagegen bedeutend tiefer. Bei Wohnimmobilien ist die Versicherungsdurchdringung bei Erdbeben am höchsten in Neuseeland, aber recht tief in anderen Hochrisikoländern wie Mexiko und Italien. Chile Neuseeland Kalifornien Mexiko Japan Türkei Italien Schadenund Unfallversicherer Sachversicherung Gewerbeimmobilien 1,43% 2,20% 2,90% 0,84% 1,83% 1,09% 1,89% 0,53% 1,30% 0,71% 0,14% 0,37% 0,23% 0,36% 0,48% 0,85% 0,32% 0,11% 0,16% 0,15% 0,17% Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting 10 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Wohnimmobilien Erdbebenschäden an Gewerbeimmobilien Erdbebenschäden an Wohnimmobilien 0,05% 0,44% 0,39% 0,02% 0,20% 0,08% 0,19% 0,28% 0,22% 0,02% 0,03% 0,02% 0,03% 0,07% 0,03% 0,15% 0,04% 0,00% 0,05% 0,04% 0,01% Eine obligatorische Erdbebendeckung und eine Sensibilisierung für das Erdbebenrisiko können zu einer höheren Versicherungsdurchdringung führen. Verschiedene Faktoren tragen zu den grossen Unterschieden bei der Versicherungsdurchdringung in den erdbebengefährdeten Regionen bei. In Neuseeland sind rund 90% aller Wohnimmobilien gegen Erdbebenschäden gedeckt, weil die Earthquake Commission (EQC) den Einschluss einer Erdbebendeckung in den Feuerversicherungspolicen zwingend vorschreibt.8 Obligatorische Versicherungsprogramme werden manchmal durch Katastrophen ausgelöst. Ein Beispiel dafür ist die Gründung der EQC nach einem starken Erdbeben im Jahr 1942. In der Türkei führte die Regierung nach den zwei grossen Erdbeben von 1999 die obligatorische Erdbebenversicherung für Wohnimmobilien innerhalb der Gemeindegrenzen ein. Insgesamt ist die Deckung noch relativ gering, aber die Versicherungsdurchdringung dürfte mit der zunehmenden Sensibilisierung ansteigen. Einige Länder haben auch die Erdbebendeckung mit einer vorteilhaften Versicherungsregulierung erhöht. Regulatorische Unterstützung ist entscheidend für die Erdbebenversicherungsbranche. In Chile, dem drittgrössten Sachversicherungsmarkt in Lateinamerika, hat ein günstiges Regulierungsumfeld, das die Bildung von Schwankungsrückstellungen vorschreibt, zu einer stärkeren Beteiligung internationaler Versicherer beigetragen. Private Versicherungen sind dort ein wichtiger Bestandteil des Erdbebenrisikomanagements, insbesondere bei Gewerbeimmobilien. Die Versicherungsdurchdringung kann jedoch tief sein, wenn die Konsumenten staatliche Unterstützung nach einer Naturkatastrophe erwarten. In Italien ist die Versicherungsdurchdringung hingegen tief. Obwohl sich hier in der Vergangenheit immer wieder Katastrophen ereigneten, darunter mehrfache Erdbeben, sind nur wenige Wohnimmobilien gegen Erdbebenschäden versichert. Bis heute ist die Katastrophenversicherung nicht obligatorisch. Nur rund 44% der italienischen Immobilien in Privatbesitz sind überhaupt versichert, wobei erhebliche Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien bestehen. Schätzungen zufolge schliessen nur 3 bis 4% der bestehenden Feuerversicherungen eine Erdbebendeckung ein.9 Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass die Regierung nach einer Katastrophe umfassende Hilfsmassnahmen, einschliesslich Sanierung und Wiederaufbau, anbieten wird. Somit haben Privatpersonen wenig Anreiz für den Kauf einer Versicherungsdeckung. Doch da die Staatshaushalte zunehmend unter Druck geraten, muss sich die Wahrnehmung in Bezug auf die staatliche Unterstützung ändern. Überschwemmungen sind die häufigsten Katastrophenereignisse, und sie haben an Intensität zugenommen. Überschwemmungen Hochwasser ist die am häufigsten auftretende Naturkatastrophe. In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der registrierten Überschwemmungen stark angestiegen (siehe Abbildung 7).10 Auch die Schwere der Überschwemmungen hat zugenommen, da die Immobilienwerte in exponierten Gebieten rasch ansteigen. Die Häufigkeit und die Schwere von Überschwemmungen werden durch verschiedene Faktoren verstärkt: Klimaveränderung, Abholzung, Trockenlegung von Sumpfgebieten, Grundstücksentwicklung in exponierten Zonen und mangelnden Unterhalt der Infrastruktur. Hinzu kommt, dass die rasche Urbanisierung (die in Schwellenregionen besonders stark ist) und die wirtschaftliche Entwicklung die bestehende Infrastruktur für das Hochwassermanagement in vielen Ländern einer Belastungsprobe unterziehen. 8 Weitere Informationen zu den obligatorischen Versicherungen: siehe Seite 34. 9 The natural catastrophe protection gap in Italy: time for action, Swiss Re, Juni 2015. 10Dabei handelt es sich um Ereignisse, die einen der folgenden Schwellenwerte überschreiten: 20 Tote oder Vermisste, USD 48,8 Millionen unversicherte Schäden oder USD 97,6 Millionen wirtschaftlicher Gesamtschaden. Sämtliche Schäden sind inflationsbereinigte Werte von 2014. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 11 Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? Abbildung 7: Zahl der schweren Überschwemmungen weltweit, 1975 bis 2014 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Das Risikobewusstsein im Hinblick auf Überschwemmungen ist in der Regel tief, obwohl das Hochwasserrisiko weit verbreitet ist. Wie bei Erdbeben ist der Grossteil des Risikos bei Überschwemmungen nicht versichert. Das Überschwemmungsrisiko wird oft unterschätzt, obwohl Überschwemmungen häufig vorkommen. Viele Bewohner sind sich nicht darüber bewusst, dass auch an Orten, die nicht in Flussnähe liegen, erhebliche Sachschäden entstehen können. Seltene, aber heftige Ereignisse wie starke Regenfälle können sich jederzeit ereignen. So wie 2011, als die Überschwemmung in Kopenhagen einen Gesamtschaden von USD 1,1 Milliarde verursachte. In der Regel ist das Risikobewusstsein in Bezug auf Flussüberschwemmungen am höchsten, aber diese Gefahr ist nicht immer leicht zu versichern. Generell besteht zwar ein Risikobewusstsein im Hinblick auf Flussüberschwemmungen, allerdings ist es schwierig, sich gegen diese Art von Gefahr zu versichern, weil die Risikoexposition sehr asymmetrisch ist. So sind relativ kleine überbaute Gebiete entlang von Flussufern einem hohen Überschwemmungsrisiko ausgesetzt, denn der Fluss tritt hier alle 1 bis 20 Jahre über die Ufer. Urbane Gebieten, die weiter von einem Fluss entfernt sind zwar viel weniger häufig von Überschwemmungen betroffen, dennoch können Schäden aus einem solchen Ereignis wegen der starken Konzentration der Immobilienwerte hoch ausfallen. Die Überschwemmung in Thailand im Jahr 2011 hat gezeigt, dass die versicherten Schäden aus einem solchen Ereignis so hoch sein können wie bei einem Erdbeben. Die Überschwemmung in Thailand im Jahr 2011 war das teuerste (nicht im Zusammenhang mit einem Hurrikan stehende) Hochwasserereignis in der Geschichte der Versicherungswirtschaft. In der Liste der 40 teuersten Katastrophen gemäss der sigma-Statistik belegt dieses Ereignis den elften Rang. Der versicherte Schaden betrug USD 15 Milliarden, was mehr als dem Doppelten der gesamten Nichtlebenprämien Thailands entspricht. Dieser Fall hat gezeigt, dass versicherte Schäden durch Überschwemmungen so hoch sein können wie Schäden durch ein Erdbeben oder einen tropischen Wirbelsturm. Die Versicherungsdurchdringung hinsichtlich Hochwasserschäden an Wohn- und kleinen Gewerbebauten in Thailand war mit rund 1% sehr tief. Der wirtschaftliche Gesamtschaden wurde auf USD 46 Milliarden geschätzt, und zwei Drittel der Schäden waren nicht versichert. Aufgrund der höheren Versicherungsdurchdringung bei grossen Gewerbeimmobilien entfiel der allergrösste Teil der versicherten Schäden auf Gewerbeversicherungen. Einige Länder haben obligatorische Versicherungsprogramme für Überschwemmungsrisiken eingeführt. In einigen Ländern wurden obligatorische staatliche Versicherungsprogramme eingeführt, um entsprechende Versicherungsabschlüsse zu fördern. In Westeuropa sind dies Frankreich, Belgien, Dänemark, Island, Norwegen, Spanien und die Schweiz. In den USA bietet das National Flood Insurance Program (NFIP) seit 1968 eine freiwillige Hochwasserversicherung über ein bundesstaatlich gestütztes Programm an. Dieses Programm hat die Erschwinglichkeit verbessert, aber aufgrund von massiven Sturmflutschäden ist es seit einiger Zeit finanziell nicht mehr tragbar. Die Vor- und Nachteile von obligatorischen Programmen werden weiter unten erläutert. 12 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Von allen Hochwasserereignissen verursachen Flussüberschwemmungen die meisten Schäden. Überschwemmungsrisiko: Eine vielschichtige Gefahr Weltweit gesehen verursachen Flussüberschwemmungen die meisten Sachschäden. Solche Ereignisse können dazu führen, dass Tausende von Quadratkilometern Land für Wochen unter Wasser liegen. Sogar angrenzende Gebiete, die scheinbar unversehrt sind, können durch den steigenden Grundwasserspiegel beeinträchtigt werden. Das Wasser kann in Keller einsickern und ganze Gebäude destabilisieren oder gar zerstören. Sintflutartige Regenfälle können verheerende Überschwemmungen verursachen – auch in Gegenden, die weit von einem Fluss entfernt sind. Die übliche Ursache der meisten Hochwasserereignisse sind heftige Regenfälle. Kurze, aber heftige Niederschläge (sintflutartige Regenfälle) in einem kleinen Gebiet können zu einer lokalen Ansammlung von Wasser und somit zu einer Überschwemmung führen. In Berggebieten ist das grösste Risiko eine Sturzflut. Diese ereignet sich, wenn kleine Gewässer sehr rasch anschwellen und plötzliche Überschwemmungen verursachen, oft kombiniert mit Erosion und Schuttablagerungen. Ebenso kann lockerer Boden mit Wasser gesättigt werden, wodurch sich zerstörerische Schlammlawinen lösen können. Zudem können Dämme, Deiche und Abwasserkanäle, die gefährdete Grundstücke schützen sollen, selbst ein Überschwemmungsrisiko darstellen, wenn sie aufgrund extremer Wetterbedingungen oder wegen Konstruktionsmängeln brechen. Küstengebiete sind auch einem Überschwemmungsrisiko ausgesetzt, vor allem in Regionen, in denen starke Stürme oder Tsunamis auftreten. Ein erhebliches Überschwemmungsrisiko besteht auch in Küstengebieten. Zu den vielfältigen Ursachen gehören Spring- und Sturmfluten, Eisstaus, Lahars (vulkanische Schlammlawinen) und Tsunamis. Letztere kommen weniger häufig vor, sie sind aber umso verheerender. Die Ursachen von Überschwemmungen sind von Region zu Region unterschiedlich. In den USA, einer der Regionen mit dem höchsten Hurrikanrisiko, sind rund 90% der versicherten Hochwasserschäden auf Sturmfluten zurückzuführen. Flussüberschwemmungen machen hingegen nur einen kleinen Teil aus. Das Sturmrisiko ist in reifen Märkten besser versichert als andere Gefahren, da es in Standardfeuerversicherungen eingeschlossen ist. Einige Länder mit der grössten Risikoexposition weisen eine tiefe Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken auf. Stürme Das Sturmrisiko ist häufiger versichert als das Erdbeben- und Überschwemmungsrisiko, denn es ist in der Regel in einer Standardfeuerversicherung abgedeckt – und diese haben in den meisten reifen Märkten eine hohe Beteiligungsquote. In Schwellenländern hingegen sind immer noch 80 bis 90% der Windschäden unversichert, weil Feuerversicherungen nicht weit verbreitet sind. In gefährdeten Gebieten kommen zudem hohe Selbstbehalte zur Anwendung. So reichen die Selbstbehalte in hurrikangefährdeten Gebieten in den USA in der Regel von 1 bis 5% des Versicherungswerts. In Gebieten mit besonders hohem Sturm- oder Hurrikanrisiko können sie bis zu 15% betragen. Viele Länder haben eine hohe Risikoexposition in Bezug auf Stürme. Die USA, China, Japan, Taiwan, Mexiko, Grossbritannien und die Philippinen haben ein Schadenszenario bei einem Jahrhundertsturm von über USD 10 Milliarden. Die grösste Risikoexposition im Vergleich zur Grösse ihrer Wirtschaft weisen Taiwan, die Philippinen und Hongkong auf, gefolgt von Mexiko. In allen diesen Märkten, die einem hohen Sturmrisiko ausgesetzt sind, liegt die Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken bei unter 0,2%. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 13 Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen? Abbildung 8: Schadenszenario eines Jahrhundertsturms, wirtschaftlicher Gesamtschaden in % des BIP, in ausgewählten Ländern 6% 5% 4% 3% 2% 1% Indien Deutschland Schweiz Österreich Frankreich Niederlande Australien China Japan Belgien Dänemark Grossbritannien USA Mexiko Hongkong Philippinen Taiwan 0% Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting und Non-Life Risk Transformation Von einem Hurrikan ausgelöste Sturmfluten erhöhen das Schadenpotenzial bei Katastrophenereignissen. Stürme stellen nicht nur wegen den Windschäden ein erhebliches Risiko dar, sondern auch wegen den Hochwasserschäden durch Sturmfluten. Hurrikans sind für einige der schwersten Hochwasserschäden verantwortlich. Für das NFIP in den USA waren diejenigen Jahre am schlimmsten, in denen starke Hurrikane auftraten. In diesen Jahren überstiegen die Forderungen die Prämieneinnahmen. Da Windschäden – im Gegensatz zu Hochwasserschäden – in der Regel über eine herkömmliche Wohngebäudeversicherung gedeckt sind, haben Sturmflutschäden bei vielen Versicherten für Verwirrung gesorgt und zu Rechtsstreitigkeiten über Schadenforderungen nach einem starken Hurrikan geführt. Ausschlussklauseln bei Mitursächlichkeit, die eine Deckung ausschliessen, wenn eine nicht gedeckte Ursache zum Schaden beiträgt, könnte die Versicherten daran hindern, Forderungen für Windschäden geltend zu machen, wenn sie nicht über eine Hochwasserversicherung verfügen. Das Thema solcher Schadenforderungen erhält nach grossen Katastrophen oft viel Aufmerksamkeit in den Medien und schadet dem Ruf der Versicherungsindustrie. Zum Teil bestehen staatlich geförderte Windschadenpools, aber sie sind nicht immer finanziell nachhaltig. In einigen Gegenden unterstützen staatlich geführte Pools den Versicherungsmarkt im Bereich der Sturmschäden, beispielsweise in Hochrisikostaaten wie Texas, Louisiana und Florida. Diese sollen vor allem in Hochrisikogebieten eine Versicherung gegen extreme Schäden, die von den lokalen Behörden nicht bewältigt werden können, anbieten. Dies geschieht über eine Risikoteilung und ein staatliches Sicherheitsnetz. Solche Pools sind jedoch nicht immer finanziell nachhaltig, weil einerseits das Risiko von extremen Hurrikanen zunimmt und andererseits der politische Druck von Hochrisikobezirken mitunter dazu führt, dass die Preise unter dem versicherungsmathematisch fairen oder risikobasierten Niveau liegen. Durch die jüngsten Verluste sah sich die Texas Windstorm Insurance Association veranlasst, eine Zwangsverwaltung zu erwägen; und der Citizens-Pool von Florida überträgt zurzeit mehr Risiken in den privaten Versicherungsmarkt. 14 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung Die Sachversicherungsprämien betrugen 2014 weltweit USD 413 Milliarden. Wie gross ist der Markt? Die Sachversicherungsprämien betrugen 2014 weltweit rund USD 413 Milliarden, dies entspricht 25% des gesamten Schaden- und Unfallversicherungsgeschäfts. Die Industrieländer machten USD 353 Milliarden aus oder 86% der Sachversicherungsprämien weltweit. Die USA sind der grösste Markt ... Die USA sind bei Weitem der grösste Sachversicherungsmarkt mit einem Prämienvolumen von USD 176 Milliarden im Jahr 2014 bzw. 43% des Gesamtmarktes weltweit. Davon entfallen USD 82 Milliarden auf Wohnimmobilien und USD 94 Milliarden auf Gewerbebauten (einschliesslich landwirtschaftlicher Gebäude). Die USA weisen auch die grösste Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken auf (Prämien: 1,0% des BIP). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die USA einem hohen Risiko von Naturkatastrophen ausgesetzt sind und die US-Bürger und -Unternehmen eine hohe Bereitschaft zum Kauf von Sachversicherungen zeigen. In Kanada beliefen sich die Sachversicherungsprämien 2014 auf USD 16 Milliarden. Damit ist Kanada der sechstgrösste Sachversicherungsmarkt weltweit. Die Versicherungsdurchdringung war mit 0,90% ebenfalls hoch. ... während in Westeuropa die Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken von Land zu Land variiert. Die grössten Sachversicherungsmärkte in Westeuropa sind Frankreich, Grossbritannien und Deutschland, gefolgt von Spanien, Italien und der Schweiz. Die Versicherungsdurchdringung ist sehr unterschiedlich und reicht von 0,36% in Italien bis zu 0,81% in der Schweiz. Diese Abweichungen lassen sich grösstenteils durch den Umfang der obligatorischen Versicherung erklären. So ist in der Schweiz die Gebäudeversicherung in den meisten Kantonen obligatorisch. In Frankreich und Spanien ist das Naturkatastrophenrisiko in einer obligatorischen Versicherung abgedeckt.11 In Grossbritannien ist bei Immobilien, die über eine Hypothek finanziert werden, ein umfassender Schutz gegen Sachrisiken erforderlich. In Italien ist hingegen eine hohe Anzahl Wohn- und kleiner Gewerbeimmobilien vor allem im Süden nicht versichert. Japan weist eine tiefe Versicherungsdurchdringung auf, obwohl das Land einem hohen Risiko von Naturkatastrophen ausgesetzt ist. Japan ist der fünftgrösste Sachversicherungsmarkt weltweit, mit einem Prämienvolumen von USD 16,9 Milliarden im Jahr 2014. Ein bedeutender Anteil der Sachversicherungen wird – ausser von der Gewerbeversicherungsbranche – von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit wie von Zenkyoren und Zenrosai angeboten. Dennoch ist die Versicherungsdurchdringung bei Wohn- und Geschäftsimmobilien angesichts des hohen Erdbeben- und Sturmrisikos in Japan mit 0,38% des BIP relativ tief. Die Schwellenländer machen einen kleinen Anteil am weltweiten Prämienvolumen im Sachversicherungsbereich aus. China ist der grösste Markt. Der grösste Schwellenmarkt ist China, wo sich die Sachversicherungsprämien 2014 auf USD 12 Milliarden beliefen. Gleich darauf folgen Brasilien und Russland. Die durchschnittliche Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken in den Schwellenländern beträgt 0,21% und liegt damit deutlich tiefer als in den Industrieländern (0,77%). Die Spannbreite ist jedoch weit: von 0,07% in Indien bis 0,53% in Chile (aufgrund der für Hypothekeninhaber erforderlichen Erdbebenversicherung) und 0,88% in Südafrika. In bevölkerungsstarken Ländern wie China, Indonesien und Indien ist die Versicherungsdurchdringung tief. In Indien und Indonesien leben viele Menschen in ländlichen Gebieten und haben einen beschränkten Zugang zu Versicherungen. Aber auch in China, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung in städtischen Gebieten lebt, ist die Nachfrage ebenfalls tief; die Versicherungsdurchdringung beträgt gerade einmal 0,12%. 11 Die Sachversicherung (d. h. Feuerversicherung) selbst ist nicht zwingend, sie muss aber mit einer entsprechenden Deckung von Naturgefahren abgeschlossen werden. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 15 Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung Tabelle 2: Sachversicherung und BIP, 2014 Prämien und BIP (USD Milliarden) Prozentuale Anteile Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 Industrieländer Vereinigte Staaten Frankreich Grossbritannien Deutschland Japan Kanada Australien Spanien Italien Schweiz Niederlande Schweden Belgien Österreich Dänemark Schwellenländer China Brasilien Russland Südafrika Polen Türkei Mexiko Indien Chile Argentinien Thailand Tschechische Republik Indonesien Kolumbien Philippinen Welt Sachversicherung Total Schaden- und Unfallversicherung* BIP Sachversicherung/ Total Schaden- und Unfallversicherung 353 176.4 24.8 23.1 23.0 16.9 16.0 10.7 9.4 7.7 5.7 4.9 4.4 3.4 3.3 3.3 60 12.4 7.8 4.4 3.1 2.2 2.2 2.0 1.5 1.4 1.4 1.1 1.1 1.0 0.9 0.4 413 1 280 564 78 70 89 81 49 32 29 41 18 21 9 15 11 10 330 122 30 20 9 8 9 11 11 4 11 6 11 6 6 1 1 610 46 450 17 430 2 848 2 946 3 865 4 440 1 789 1 468 1 407 2 149 708 869 567 533 437 341 30 940 10 114 2 180 1 884 351 559 800 1 281 2 089 258 528 374 216 890 380 280 77 390 28% 31% 32% 33% 26% 21% 33% 33% 32% 19% 31% 24% 47% 23% 29% 32% 18% 10% 26% 22% 34% 28% 25% 19% 13% 37% 12% 19% 10% 17% 14% 32% 26% Sachversicherung/BIP 0.76% 1.01% 0.87% 0.78% 0.60% 0.38% 0.90% 0.73% 0.67% 0.36% 0.81% 0.57% 0.77% 0.65% 0.76% 0.98% 0.19% 0.12% 0.36% 0.23% 0.88% 0.40% 0.27% 0.16% 0.07% 0.53% 0.26% 0.30% 0.49% 0.11% 0.23% 0.15% 0.53% * Ohne Krankenversicherung. Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Naturkatastrophen sind Risiken mit einer hohen Visibilität, aber eine Unterversicherung ergibt sich auch aus anderen Gefahren: den allgemeinen Sachrisiken. 16 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt die allgemeine Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken Naturkatastrophen machen einen Grossteil der Sachrisiken aus und erhalten die grösste Aufmerksamkeit in den Medien. Eine Unterversicherung ergibt sich jedoch auch aus weniger offensichtlichen, aber nicht weniger bedeutenden Ereignissen. Im vorliegenden Bericht werden diese als allgemeine Sachrisiken bezeichnet. In den Industrieländern ist die Unterversicherung von Nichtkatastrophenrisiken hauptsächlich auf nicht (oder schwer) versicherbare Risiken oder Unterbewertungen zurückzuführen. Diese können dazu führen, dass der Wert der versicherten Sachwerte tiefer ist als der Wiederbeschaffungswert. In den Schwellenländern trägt insbesondere die geringe Zahl der Versicherungsabschlüsse zur Unterversicherung bei. Da diese nicht versicherten Schäden in den Statistiken nicht systematisch erfasst werden, ist ein anderer Modellierungsansatz nötig. In diesem Zusammenhang werden die wirtschaftlichen Einflussfaktoren der Versicherungsnachfrage betrachtet, um den Umfang der Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken zu beurteilen. Frühere Recherchen zeigen, dass das Einkommen ein wichtiger Einflussfaktor für die Versicherungsdurchdringung ist. Die Versicherungsdurchdringung ist ein häufig verwendeter Indikator für die Versicherungsnachfrage. Sie wird als gebuchte Bruttoprämien in % des BIP ausgedrückt. Empirische Analysen der Einflussfaktoren für die Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken zeigen: Die unterschiedliche Nachfrage nach Sachversicherungen liegt in der wirtschaftlichen Entwicklung begründet. Die Entwicklungsländer sind stärker unterversichert. So waren weniger als 1% der geschätzten Schäden, die das Erdbeben in Nepal im Jahr 2015 verursacht hat, durch eine Versicherung gedeckt. Im Gegensatz dazu waren bei der Erdbebenserie 2010/2011 in Neuseeland 73% der Schäden gedeckt. Wer über ein höheres Einkommen verfügt, kann sich eher eine Versicherung leisten. Personen mit höherem Einkommen können sich im Durchschnitt eher eine Versicherung leisten und verfügen über mehr Vermögen, das sie schützen möchten. Die Versicherungsnachfrage erhöht sich mit dem BIP pro Kopf, in Abhängigkeit von anderen Faktoren. Doch verschiedene BIP-Niveaus gehen mit verschiedenen Zuwachsraten bei der Versicherungsdurchdringung einher. Dabei handelt es sich um die klassische S-Kurve, die bei früheren Versicherungsdaten beobachtet wurde. Die S-Kurve zeigt: Bei wachsendem BIP pro Kopf nimmt die Versicherungsdurchdringung in Ländern mit mittleren Einkommen am stärksten zu. In Ländern mit hohem Einkommen beginnt die Versicherungsdurchdringung stagnieren in dem Ausmass, wie das BIP pro Kopf steigt. Die Durchdringungsrate steigt in Schwellenländern mit mittlerem BIP pro Kopf viel stärker an. In diesen Märkten nimmt die Versicherungsdurchdringung mit steigendem Einkommen und Wohlstand am stärksten zu, nachdem das Niveau der untersten Mittelklasse erreicht worden ist. Angesichts der rasch anwachsenden Mittelklasse in Schwellenländern – die zu immer mehr Wohlstand und Reichtum kommt – zeigt die S-Kurve, dass die Möglichkeit zur Erhöhung der Versicherungsdurchdringung in Ländern mit mittlerem Einkommen am grössten ist. Die Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken korreliert nicht mit den erwarteten Schäden durch Naturkatastrophen. Abbildung 9: Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken nach Ländern (2014) gegenüber erwarteten Schäden in % des BIP Versicherungsdurchdringung und erwartete Schäden durch Naturkatastrophen Eigentlich müsste ein hohes Naturkatastrophenrisiko die Versicherungsnachfrage erhöhen, aber dieses Risiko korreliert nicht mit der Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken, wie Abbildung 9 zeigt. Viele Schwellenländer, die einem hohen Naturkatastrophenrisiko ausgesetzt sind, beispielsweise China, Indien, die Türkei, die Philippinen und Thailand, weisen in der Tat eine unterdurchschnittliche Durchdringungsrate auf. 1,2% Erwartete Katastrophenschäden in % des BIP 1,0% 0,8% 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% 0,0% 0,2% 0,4% 0,6% 0,8% 1,0% 1,2% 1,4% Sachversicherungsprämien in % des BIP Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 17 Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung Ein S-Kurven-Modell wurde verwendet, um einen Best-Practice-Vergleich für die Versicherungsdurchdringung bei allgemeinen Sachrisiken zu bestimmen. Die Best-Practice-S-Kurve zeigt höhere Durchdringungsraten als die geschätzte S-Kurve. Tabelle 3: Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken (2014) gegenüber Konsum pro Kopf Bewertung der Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken Anhand des S-Kurven-Modells wurde ein Best-Practice-Vergleich für die Versicherungsdurchdringung in 45 ausgewählten Ländern berechnet. Das Modell basiert auf dem privaten Konsum pro Kopf. Dies ist die wirtschaftliche Grösse, bei der das Verhalten am stärksten mit der Versicherungsdurchdringung in den betrachteten Ländern korreliert. Die modellierte Kurve stellt die durchschnittliche Beziehung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Versicherungsdurchdringung dar, aber die besser versicherten Länder setzen den Massstab für eine gute Versicherungsabdeckung. Als annäherungsweise, aber konservative Schätzung wurde für den Best-PracticeVergleich die Differenz zwischen dem obersten Quartil und dem Medianwert in jedem der drei Konsumbereiche verwendet, um die S-Kurve auf ein höheres Niveau zu bringen. Dieser Ansatz ergänzt die probabilistischen Modelle in Bezug auf Naturkatastrophen, die weiter oben erläutert wurden. Unterversicherung von Naturkatastrophenrisiken reduziert die Benchmark-Berechnungen und ist deshalb zusätzlich zu diesen Ergebnissen zu berücksichtigen. In den Schwellenländern ist die Bandbreite der Versicherungsdurchdringung grösser als in den entwickelten Märkten. Deshalb wurde die Spannweite zwischen dem obersten Quartil und dem Medianwert für Länder mit tiefem, mittlerem und hohem Einkommen separat berechnet. Der Aufschlag für die Länder mit einem höheren Konsum beträgt 0,08%, für Länder mit mittlerem Konsum 0,14% und für Länder mit geringem Konsum 0,06%. Die modellierte Vergleichskurve wurde durch einen Aufschlagfaktor angehoben, der durch eine Glättung zwischen den für die drei Einkommensgruppen errechneten Spannweiten hergeleitet wurde. Siehe dazu die gestrichelte Kurve in Abbildung 10. Die Daten, die den Berechnungen zugrunde liegen, sind in Tabelle 6 im Anhang ersichtlich. Konsum pro Kopf (in USD) Aktuelle Durchdringung (Sachversicherungsprämien in % des BIP) Median Oberstes Quartil Spannweite Durchdringung des modellierten Vergleichs Median; in % des BIP Deckungslücke in USD Milliarden Hoch (> 25 000) 0,76% 0,84% 0,08% 0,80% 18,1 Mittel (10 000–25 000) 0,36% 0,50% 0,14% 0,60% 29,4 Tief (< 10 000) 0,22% 0,28% 0,06% 0,28% 25,8 Insgesamt: 45 Länder 73,5 Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Länder unterhalb der angehobenen S-Kurve gelten als unterversichert. 18 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Alle Länder unterhalb der angehobenen S-Kurve gelten als unterversichert, und zwar in einem Mass, das dem Differenz ihrer Durchdringung (angesichts ihres Konsumniveaus) zur neuen Kurve entspricht (siehe Abbildung 10). Im Fall der Niederlande zeigt das S-Kurven-Modell beispielsweise eine modellierte Durchdringungsrate von 0,60% an. Mit einem Aufschlagfaktor von 0,13 beträgt die Durchdringungsrate des modellierten Vergleichs 0,73%. Im Gegensatz zur eigentlichen Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken von 0,57% besteht eine Unterversicherung von 0,16% des BIP oder USD 1,45 Milliarden. Abbildung 10: Versicherungsdurchdringung bei Sachrisiken gegenüber Konsum pro Kopf, nach Ländern, 2014 1,2% Sachversicherungsprämien in % des BIP 1,0% 0,8% Unterversicherung 0,6% 0,4% 0,2% 0,0% 1000 Beispieldaten S-Kurve 10 000 Best-Practice-Vergleich 100 000 Konsum pro Kopf in USD 1000 logarithmische Skala Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Die weltweite Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken wird auf USD 85 Milliarden geschätzt. Rechnet man die Unterdeckungen in den Ländern unterhalb der angehobenen S-Kurve zusammen, ergibt sich eine geschätzte Unterversicherung der allgemeinen Sachrisiken in Höhe von USD 73 Milliarden in den 45 ausgewählten Ländern. Nach einer Hochrechnung, um fehlende Länder zu berücksichtigen, steigt der globale Schätzwert auf rund USD 85 Milliarden an12 – oder (mit einem mit der Deckungslücke bei Naturkatastrophen vergleichbaren Wert ausgedrückt) auf entsprechende nicht bezahlte Schäden von rund USD 68 Milliarden.13 Die Länder, die im Verhältnis zum BIP am stärksten unterversichert sind, sind diejenigen mit mittlerem Einkommen. Zu dieser Gruppe gehören viele wachstumsstarke Märkte, in denen eine rasch wachsende Mittelklasse in den letzten 10 bis 20 Jahren zu erheblichem Wohlstand gekommen ist. Doch das Kaufverhalten in diesen Versicherungsmärkten hinkt nach wie vor hinterher. Dies lässt darauf schliessen, dass noch andere Hindernisse wie Markteintrittshürden und ineffiziente Marktstrukturen zu überwinden sind. Diese Methodik ist nicht perfekt, aber mit ihr lässt sich die Unterversicherung vernünftig einschätzen. Es bestehen Doppelzählungen bei der Berechnung der Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken, denn die Best-Practice-Durchdringung wird auch durch überdurchschnittliche Versicherungsabschlüsse im Bereich der Naturkatastrophen erhöht. Dies scheint jedoch insbesondere in Ländern mit tiefem und mittlerem Einkommen nicht systematisch der Fall zu sein. Ausserdem ist die Schätzung der Vergleichskurve konservativ. Anstatt die S-Kurve in jedem Konsumbereich auf die höchste Durchdringungsrate anzuheben, wurde nur die tiefste Durchdringungsrate vom obersten Quartil verwendet. Es besteht auch eine Unterversicherung im Hinblick auf Risiken, die weder von den probabilistischen Katastrophenmodellen noch von der wirtschaftlichen Vergleichsbewertung erfasst werden. Einige dieser Risiken mit beschränkter Versicherbarkeit werden ab Seite 30 besprochen. Daher scheint dies eine vernünftige Schätzung der Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken zu sein. 12 Bei der Hochrechnung wurde der Anteil des weltweiten BIP im Verhältnis zum BIP aller modellierten Länder verwendet. 13 Um die modellierten Prämienberechnungen mit den Schadenschätzungen vergleichbar zu machen, wurde ein Kostenzuschlag von 25% abgerechnet. Dieser ist tiefer als der übliche durchschnittliche Kostenzuschlag der Schaden- und Unfallversicherer in den einzelnen Ländern, denn die Massnahmen zur Schliessung der Deckungslücke bestehen in einer Kombination aus Neugeschäft (was mit höheren Verwaltungskosten einhergeht) und einem Ausbau der bestehenden Deckungen (was mit geringeren Mehraufwendungen einhergeht). Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 19 Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung Schätzungen zufolge beträgt die globale Unterversicherung von Sachrisiken insgesamt USD 221 Milliarden pro Jahr. Tabelle 4: Zusammenfassung der Schätzwerte in Bezug auf Naturkatastrophen und die allgemeine Unterversicherung Rechnet man schliesslich die allgemeine Unterversicherung zu der von Naturkatastrophenszenarien bestimmten globalen Deckungslücke (USD 153 Milliarden) hinzu, ergibt sich eine globale Unterversicherung von Sachrisiken in Höhe von insgesamt USD 221 Milliarden. Siehe dazu auch länderspezifische Details im Anhang. Deckungslücke Berechnungsbasis Deckungslücke bei Naturkatastrophen Unterversicherung von allgemeinen Sachrisiken Gesamte Unterversicherung Schaden Prämien Schadenäquivalent Schaden 41 51 61 153 18 36 31 85 15 29 24 68 56 80 85 221 0,04% 0,20% 0,09% 0,11% 0,16% 0,56% 0,32% 0,36% USD Milliarden Hohe Einkommen Mittlere Einkommen Tiefe Einkommen Total % des BIP Hohe Einkommen Mittlere Einkommen Tiefe Einkommen Total 0,12% 0,36% 0,22% 0,25% Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting 20 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Was bedeutet Unterversicherung ? Es gibt vier Arten der Unterversicherung. Ein Grossteil der Haushalte ist überhaupt nicht versichert, vor allem in Schwellenländern. Analyse der Gründe für die Unterversicherung Es gibt vier Arten der Unterversicherung, die verschiedene Lösungen bedingen, um die Deckungslücke zu verringern oder zu schliessen: vollkommen unversichert, versichert, aber ohne Deckung bestimmter Risiken, versichert, aber mit Einschränkungen bei den Versicherungsbedingungen sowie versichert, aber mit einer Unterbewertung. Vollkommen unversicher Potenzielle Kunden in dieser Gruppe erwerben überhaupt keine Sachversicherung, weil sie entweder keine Kenntnis davon haben bzw. das Konzept der Versicherung nicht verstehen oder weil sie denken, die Kosten einer Versicherung übersteigen deren Nutzen. In vielen Schwellenländern liegt die Mehrheit der nicht versicherten Risiken bei dieser Gruppe. Allen voran in China, einem der drei Länder mit der grössten gemessenen Deckungslücke bei Sachschäden. Die Gruppe, die gar nicht versichert ist, erwirbt eher eine Motorfahrzeug- oder Feuerversicherung als eine Deckung des Naturkatastrophenrisikos. Die potenziellen Kunden dieser Gruppe benötigen massgeschneiderte Konzepte, um sich vom Kauf einer Sachversicherung überzeugen zu lassen. Das Naturkatastrophenrisiko – insbesondere für sich alleine genommen – eignet sich kaum dazu, das allgemeine Konzept der Versicherung verständlicher zu machen. Denn diese Gefahr ist in den Köpfen der Konsumenten mitunter weit entfernt. Vielmehr sollte der Schwerpunkt auf Risiken gesetzt werden, die bei diesen Konsumenten an erster Stelle stehen (beispielsweise Agrar-, Motorfahrzeug- oder Krankenversicherungen), bevor über den Schutz von Wohneigentum gesprochen wird. Die obligatorische Motorfahrzeughaftpflicht ist für Konsumenten, die zum ersten Mal eine Versicherungsdeckung erwerben, der Einstieg in die Welt der Versicherungen. Die obligatorische Motorfahrzeughaftpflicht hat sich in vielen Schwellenländern als hilfreich erwiesen, um einen breit abgestützten Privatversicherungssektor zu entwickeln. Die Versicherungsgesellschaften haben Vertriebsnetze entwickelt, und Erfahrungen gewonnen im Underwriting von Massenrisiken und bei der Verwaltung von Motorfahrzeugpolicen profitiert. Dies kann Chancen für Verbundverkäufe in anderen Risikosegmenten, beispielsweise dem Sachversicherungsbereich, schaffen. Die zweite Kategorie der Unterversicherung umfasst versicherte Personen, bei denen bestimmte Risiken nicht gedeckt sind. Eine dritte Gruppe ist versichert, aber mit Einschränkungen bei den Versicherungsbedingungen. Dazu gehören beispielsweise hohe Selbstbehalte, aufgrund derer viele Schäden bei einem Katastrophenereignis nicht gedeckt sind. Für diese Gruppe ist eine umfassendere Deckung entweder nicht verfügbar oder nicht erschwinglich. Versichert, aber ohne Deckung bestimmter Risiken Die versicherten Kunden dieser Gruppe haben in der Regel eine Feuerversicherung, aber ihre Deckung schliesst gewisse Naturgefahren wie Überschwemmungen und Erdbeben aus. Diese Gruppe unterscheidet sich insofern grundlegend von der ersten, als sie das Konzept der Versicherung versteht. Die Kunden sind sich aber vielleicht nicht darüber bewusst, dass bestimmte Risiken nicht gedeckt sind. Möglicherweise sehen sie auch zu wenig Nutzen in einer Naturkatastrophenversicherung, oder eine solche Deckung ist schlicht und einfach nicht verfügbar. In diese Kategorie fallen die zwei grössten nicht versicherten Gefahren weltweit: Erdbeben in Japan und Kalifornien. Weitere bedeutende Beispiele sind Überschwemmungen in den Niederlanden und in Kanada sowie Erdbeben und Überschwemmungen in Italien. Versichert, aber mit Einschränkungen bei den Versicherungsbedingungen In diesem Fall verfügen die Versicherten über eine Police, die Naturkatastrophen abdeckt, aber es bestehen Deckungseinschränkungen, da vielleicht die Versicherbarkeit beschränkt ist. Beispiele sind Nebenrisiken eines Naturkatastrophenereignisses wie Betriebsunterbrechungen, Rückwirkungsschäden oder Einkommensverluste. Diese Art der Unterversicherung trägt massgeblich zur allgemeinen Deckungslücke bei. In der Regel ist eine umfassendere Deckung entweder nicht verfügbar, oder sie wird von vielen als unerschwinglich erachtet. Für diese Deckungslücke gibt es zwei bedeutende Beispiele: In Kalifornien sehen die Policen der California Earthquake Authority (CEA) einen Selbstbehalt von 10 oder 15% des Versicherungswerts vor. Der Modellierung von Swiss Re zufolge wären, weil vorwiegend Teilschäden anfallen würden, fast 50% der erwarteten Erdbebenschäden von den Versicherten zu tragen. In Japan decken die Wohngebäudeversicherungen des japanischen Erdbebenversicherungsprogramms nur die Hälfte des Versicherungswerts. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 21 Was bedeutet Unterversicherung ? Ein viertes Segment von unterversicherten Personen ergibt sich aus der Unterbewertung von Immobilien ... ... weil diesen Personen das Bewusstsein oder die nötigen Informationen fehlen oder weil sie negative Ereignisse verdrängen. Die Risikowahrnehmung ist nicht immer eine objektive Messgrösse für das Katastrophenrisiko ... Versichert, aber mit einer Unterbewertung In diesem Fall sind die Risiken gedeckt und die Versicherungsbedingungen entsprechen dem gewünschten Deckungsumfang, aber die Bewertungsgrössen sind zu tief angesetzt. Es gibt vielfältige Gründe für eine Unterbewertung von Wohnund Geschäftsimmobilien. Mangelnde Informationen oder fehlendes Bewusstsein lassen sich durch spezifische Informationskampagnen durch die Versicherer und/oder ihre Vertriebskanäle angehen. Trägheit und mangelnde Bereitschaft, sich mit negativen Ereignissen auseinanderzusetzen, lässt Produkten mit automatischen Summenanpassungen eine bedeutende Rolle zukommen. Dies ist vor allem in einem Umfeld mit hoher Inflation wichtig. Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung zum Erwerb einer Sachversicherung? Risikobewusstsein In einer Gallup-Umfrage zur Risikowahrnehmung aus dem Jahr 2013 war ein Grossteil der Befragten in den meisten Ländern der Meinung, dass sich Naturkatastrophen in 20 Jahren häufiger ereignen werden als heute.14 Dennoch ist die Korrelation zwischen der Risikowahrnehmung und dem effektivem Naturkatastrophenrisiko gering. So bezeichneten nur wenige Befragte in Hongkong ihre Wohngegend als Hochrisikogebiet, im Gegensatz zu vielen Befragten in Italien. Paradoxerweise ist jedoch Hongkong einem stärkeren Naturkatastrophenrisiko ausgesetzt als Italien. ... und kann nicht auf das Kaufverhalten übertragen werden. Eine starke Risikowahrnehmung führt nicht zwangsläufig zu Versicherungskäufen. So gaben 68% der italienischen Umfrageteilnehmer an, ihre Wohngegend sei in der Vergangenheit von einer grösseren Naturkatastrophe betroffen gewesen, und 59% meinten, dass sich eine solche mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut ereignen könnte. Doch nur 44% der privaten Wohnimmobilien in Italien sind versichert.15 Ein geringes Risikobewusstsein führt zu Unterversicherung und tiefen Investitionen in Massnahmen zur Risikoprävention oder -minderung. Wenn das Bewusstsein für wenig wahrscheinliche Ereignisse fehlt oder ihnen zu wenig Bedeutung beigemessen wird, kann dies zu Unterversicherung und einer mangelnden Vorbereitung auf solche Ereignisse beitragen. Recherchen in Bezug auf das individuelle Verhalten während des Hurrikans Sandy in New York im Jahr 2012 haben beispielsweise gezeigt: Lediglich 37% der Hausbesitzer, die Schutzvorrichtungen besassen, brachten diese auch an. Zudem gaben nur 54% der Bewohner, deren Haus weniger als einen Block von einem Gewässer entfernt ist, an, über eine Hochwasserversicherung zu verfügen.16 In Vancouver sind rund 60% der Wohngebäude gegen Erdbeben versichert, in Montreal hingegen nur 4%, obwohl beide Städte einem ähnlichen Erdbebenrisiko ausgesetzt sind. Es ist erwiesen, dass die Versicherungsnachfrage nach Katastrophenereignissen ansteigt, nach einer Weile aber wieder nachlässt. Es ist erwiesen, dass die Versicherungsnachfrage auf Naturkatastrophen reagiert, dieser Effekt mit der Zeit jedoch wieder nachlässt. Vielleicht weil die Erinnerung an das Ereignis verblasst oder weil den Bewohnern, die neu in das Risikogebiet gezogen sind, das Bewusstsein für solche Katastrophen fehlt. In den USA haben Recherchen gezeigt, dass im Jahr nach einer Überschwemmung in den betroffenen Bezirken deutlich mehr Hochwasserversicherungen abgeschlossen wurden, die Abschlussraten aber im darauf folgenden Jahrzehnt stetig abnahmen und wieder auf das Niveau vor der Katastrophe zurückgefallen sind.17 14 150 Years Swiss Re – Risk Perception Survey, The Gallup Organization Europe, 2013. 15 The natural catastrophe protection gap in Italy: time for action, Swiss Re, Juni 2015. 16Meyer, E., Baker, J., Broad, K., Czajkowski, J., und Orlove, B., The Dynamics of Hurricane Risk Perception: Real-Time Evidence from the 2012 Atlantic Hurricane Season, Bulletin of the American Meteorological Society, September 2014, S. 1389–1404. 17 Gallagher, J., Learning about an Infrequent Event: Evidence from Flood Insurance Take-Up in the United States, American Economic Journal: Applied Economics, Juli 2014, S. 206–33. 22 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Das Versicherungswissen der Konsumenten ist entscheidend, wenn es darum geht, die Versicherungsabschlüsse zu unterstützen. Auch gebildete Leute wissen oft nicht, welche Deckung sie haben. Für viele Versicherungskäufer ist bei der Wahl der Police nicht die Deckung, sondern der Preis entscheidend. Die Erschwinglichkeit ist für einkommensschwache Haushalte und in Schwellenländern entscheidend. Auch das Vertrauen der Konsumenten in die Versicherungsanbieter ist ein wichtiger Faktor bei der Kaufentscheidung. Viele Länder haben staatliche Katastrophenhilfemodelle eingeführt ... Kenntnis über Versicherungsprodukte und ihre Verfügbarkeit Das Versicherungswissen der Konsumenten ist eine wichtige Grundlage, um eine Kultur der Absicherung zu schaffen. Selbst gebildete Leute sind nicht unbedingt versiert in Finanzfragen, wie eine Umfrage in acht Ländern aus dem Jahr 2012 gezeigt hat.18 Versicherungswissen erfordert ein Verständnis hinsichtlich spezifischer Komponenten einer Police, dazu gehören beispielsweise die Höhe der Versicherungssumme, das Prämienniveau und das Stellen von Schadenforderungen. Umfragen zeigen jedoch: Auch in Industrieländern kennen die Versicherungskunden ihre Deckung oft nicht. Dieses fehlende Wissen kann bei komplexen Schadenereignissen wie einer starken Sturmflut besonders problematisch sein, wenn die Police zwar Sturmschäden, nicht aber Hochwasserschäden deckt. Bei einer Umfrage unter australischen Hausbesitzern im Jahr 2013 zeigten sich viele der Befragten unsicher hinsichtlich ihrer spezifischen Ausschlüsse. So wussten 45% der Befragten nicht, ob ihre Police das Erdbebenrisiko deckt, und 37% waren unsicher, ob Hochwasserschäden gedeckt sind. Diese Unsicherheit bestand sogar in Hochrisikogebieten: 23% der Hausbesitzer in bekannten Hochwasserzonen waren sich nicht sicher über ihre Versicherungsdeckung. Unterversicherung scheint bei jungen Menschen verbreiteter zu sein: 21% der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren erachteten eine Gebäudeversicherung ausserhalb von Hochrisikogebieten als unnötig, für 28% war eine Hausratversicherung in Wohngegenden mit tiefer Kriminalitätsrate verzichtbar.19 Erschwinglichkeit Die Erschwinglichkeit einer Sachversicherung ist ein entscheidender Faktor bei der Kaufentscheidung. Weltweite Konsumentenumfragen zeigen, dass die Hälfte der Versicherungskäufer ihre endgültige Entscheidung für die eine oder andere Police aufgrund des Preises fällt.20 Die Befragten wählen ihre Policen stets aufgrund der Kosten und nicht aufgrund des Kriteriums einer angemessenen Deckung. Folglich können hohe Prämien vor allem bei teuren Risiken einen wichtigen Faktor für die Unterversicherung darstellen. Die Erschwinglichkeit ist noch bedeutender in Schwellenländern, wo viele Konsumenten es nicht gewohnt sind, Versicherungen zu kaufen. Das Gleiche gilt für einkommensschwache Haushalte sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern. Mit ihrem schmalen Budget müssten sie mitunter ihren Konsum in anderen Bereichen einschränken, um die Versicherungsprämien bezahlen zu können. Vertrauen in die Versicherer Immaterielle Faktoren auf Konsumentenseite spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Es hat sich gezeigt, dass das Vertrauen in die Versicherungsanbieter das Kaufverhalten der Konsumenten entscheidend beeinflusst. Der Konsument will nicht nur sicher sein, einen fairen Preis zu bezahlen, sondern er möchte auch darauf vertrauen können, dass auf seine Schadenforderungen eingegangen wird. Gemäss einer weltweiten Umfrage vertrauen die Konsumenten den Versicherern weniger als Banken und Einzelhändlern.21 Streitigkeiten rund um Schadenforderungen, die in den Medien grosse Beachtung finden, können den Ruf der Versicherer infrage stellen. Dies hat sich insbesondere auch nach Hurrikan Sandy in den USA deutlich gezeigt. Vertrauen auf staatliche Hilfe als Ersatz für eine Versicherung Die öffentliche Hand spielt seit jeher eine wichtige Rolle in der Katastrophenhilfe. So wurden die meisten Schäden aus Naturkatastrophen in Italien nach dem jeweiligen Ereignis vom Staat gedeckt.22 Auch die japanische Regierung übernahm 2011 den Grossteil der Erdbebenschäden in Tohoku, ebenso wie die chinesische Regierung nach dem Erdbeben in Sichuan von 2008 und die türkische Regierung nach dem 18 Dr. Olivia Mitchell on global financial literacy, State Street Corporation, 2013. 19 The Understand Insurance Research Report, Insurance Council of Australia, Oktober 2013. 20Global Insurance Survey, Ernst & Young, 2014. 21Global Consumer Insurance Survey, Ernst & Young, 2014. 22Siehe The natural catastrophe protection gap in Italy: time for action, Swiss Re, Juni 2015. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 23 Was bedeutet Unterversicherung ? Erdbeben in Izmit von 1999. In Japan und Kanada bestehen klare Entschädigungszusagen des Staates für private Immobilien. Wenn die Erwartungen an die staatliche Katastrophenhilfe hoch sind, bestehen weniger Anreize, eine Versicherung abzuschliessen, was zu einer Verdrängung von privaten Versicherungslösungen führt. ... die Verdrängungseffekte im Hinblick auf die Nachfrage nach privaten Versicherungen haben können. Anhand von Daten des NFIP haben Kousky et al. (2013) herausgefunden, dass eine Erhöhung der durchschnittlichen Beihilfen die durchschnittliche Versicherungsdeckung um einen Betrag reduziert, der höher ist als die Beihilfen; auf die Abschlussraten hatte dies jedoch keine Auswirkungen. Andererseits haben sie herausgefunden, dass staatliche Darlehen sich nicht negativ auf die Versicherungsnachfrage auswirken. Diese könnten somit ein wirksameres politisches Instrument sein als Beihilfen.23 In der Regel ist es für Politiker einfacher Katastrophenhilfe zu leisten als präventive Massnahmen durch zu setzen, Die Gesamtkosten können jedoch höher ausfallen, wenn man bis nach dem Eintritt einer Katastrophe wartet. Anhand verschiedener Daten zu Naturkatastrophen, Staatsausgaben und Wahlergebnissen haben Healy und Malhotra (2009) gezeigt, dass das Wahlvolk die amtierende Regierungspartei für Katastrophenhilfeausgaben belohnt, nicht aber für Investitionen in Katastrophenschutzmassnahmen. Dieser Widerspruch führt zu einem falschen Anreiz für die Beamten, sodass der Staat zu wenig in Katastrophenschutzmassnahmen investiert und so unter Umständen dem Gemeinwohl schadet. Healy und Malhotra schätzen, dass Investitionen in Schutzmassnahmen um ein Vielfaches mehr wert sind als die künftigen Schadenaufwendungen, die es damit zu vermindern gilt.24 Daraus lässt sich schliessen, dass es für die Regierungen effizienter wäre, ihre Mittel auf eine wirksame Risikominderung zu konzentrieren und private Versicherungslösungen für die Finanzierung nach einer Katastrophe zu fördern, statt nach einem tatsächlichen Katastrophenereignis Soforthilfe anzubieten. Einfachheit beim Abschluss und die Interaktion mit dem Versicherer sind ebenfalls wichtige Faktoren für die Kaufentscheidung des Konsumenten. Die Bewertung von Sachwerten unter dem Wiederbeschaffungswert führt zu einer Unterversicherung. Einfacher Erwerb von Versicherungsprodukten Umfragen zeigen, dass auch Einfachheit beim Abschlussein wichtiger Faktor für das Verhalten der Konsumenten beim Versicherungskauf sein kann. Laut einer kürzlich durchgeführten weltweiten Umfrage wählen 50% der Konsumenten ihre Versicherungspolicen aufgrund der Kosten aus. Fast 30% der Befragten gaben die Häufigkeit der Kommunikation mit ihrem Versicherer als wichtiges Kriterium an, während 30% dem Service grosse Bedeutung beimessen.25 Man sagt, Versicherungen werden «verkauft, nicht gekauft», ausser in Fällen, in denen der Staat oder die Bank eine Deckung verlangt. Als abstraktes und nicht greifbares Konzept muss die Versicherung dem Kunden oft individuell erklärt werden. Unterbewertung von versicherten Vermögenswerten Unterbewertung trägt ebenfalls zur Unterversicherung bei. Werden Sachwerte unter ihrem Wiederbeschaffungswert bewertet, decken die Versicherungen nicht den gesamten Schaden. Unterbewertung kann sowohl bei Gewerbe- als auch bei Privatversicherungen vorkommen. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlende Bewertungsfähigkeit, mangelndes Bewusstsein in Bezug auf die Versicherungsdeckung oder eine bewusste Unterbewertung, um Prämien zu sparen. Generell ist der «Versicherungswert» von Gebäuden, Anlagen und Einrichtungen als Wiederbeschaffungswert definiert. Jedoch verwenden in vielen Fällen die Risikomanager buchhalterische Marktwerte oder Buchwerte statt der aktuell bewerteten Wiederbeschaffungswerte. Die Versicherer nutzen hingegen Datenbanken und Modelle von Bewertungsdiensten, um solche Unterbewertungen durch falsches Reporting abzuschwächen. 23Kousky, C., E. Michel-Kerjan und P. Rachky, Does federal disaster assistance crowd out private demand for insurance?, Risk Management and Decision Processes Center, The Wharton School, University of Pennsylvania, Working Paper #2013-10. 24Healy, A. und N. Malhotra, Myopic Voters and Natural Disaster Policy, American Political Science Review, August 2009, S. 398–406. 25Global Consumer Insurance Survey, Ernst & Young, 2014. 24 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Gewerbeimmobilien können selbst in den am besten entwickelten Versicherungsmärkten deutlich unterbewertet sein. Gemäss einer Swiss Re vorliegenden, nicht-veröffentlichten Analyse von CoreLogic, einer im Immobilien- und Finanzbewertungs täigen Firma, wurde für 2014 eine Stichprobe von fast 630 000 Immobilien in den USA und in Kanada durchgeführt. Diese hat ergeben, dass ein grosser Teil der Immobilien unter ihrem Wiederbeschaffungswert versichert ist. Die Daten zeigen, dass vor allem kleinere Gebäude eine grössere Bewertungslücke aufweisen. Immobilien mit einem Deckungslimit unter USD 20 Millionen (95% der Stichprobe) waren durchschnittlich um 26% unterbewertet; Immobilien unter USD 5 Millionen (81% der Stichprobe) um 38%. Die stärkere Unterbewertung von kleineren Gebäuden ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der Buchwert anstatt des Wiederbeschaffungswerts verwendet wurde. Nach Nutzungsart der Immobilien waren Gebäude mit Mietwohnungen durchschnittlich um 14% und Gewerbe- und Industriebauten durchschnittlich um 25% unterbewertet. Laut einer australischen Umfrage sind über 80% der Wohnimmobilien unterbewertet, oft aufgrund von Versäumnissen der Hauseigentümer. Auch Wohnimmobilien können deutlich unterbewertet sein. Die Unterbewertung von privaten Immobilien kann auf ein mangelndes Bewusstsein der Hauseigentümer zurückzuführen sein oder darauf, dass bei der Wahl der Police der Preis und nicht die angemessene Deckung ausschlaggebend ist. Eine Umfrage unter australischen Hauseigentümern hat 2013 ergeben, dass über 80% der Gebäude und deren Inhalt unterversichert sind.26 In den meisten Fällen waren die Gebäude mitsamt Inhalt gemäss der Bewertung der Hauseigentümer versichert, doch ein Drittel dieser Personen haben ihre Police nie aktualisiert, um Neuanschaffungen zu decken. Bis zu 25% der Befragten waren nicht sicher, was ihre Police deckt. Fast die Hälfte räumte ein, die Versicherungsunterlagen nicht sorgfältig gelesen zu haben; und 10% gaben zu, absichtlich einen tieferen Gebäudewert angegeben zu haben, um ihre Prämien tief zu halten. Je nach Ausgestaltung der Police kann die Last der wirtschaftlichen Unterbewertung entweder auf den Versicherten oder den Versicherer abgewälzt werden. Je nach Wortlaut der Police kann die Last der Unterbewertung entweder auf den Versicherten oder den Versicherer fallen. So sahen früher viele Versicherungsverträge in den USA eine Unterversicherungsklausel vor. Gemäss dieser wurden Schadenzahlungen proportional zur Differenz reduziert, wenn der Versicherungswert einer Immobilie zum Zeitpunkt des Schadenereignisses tiefer war als der Realwert. Unterbewertung führte zu geringeren Schadenzahlungen, so dass für den Versicherten ein Anreiz für eine korrekte Bewertung bestand. Die Unterversicherungsklausel findet zwar in vielen Policen in anderen Ländern und bei kleineren Gewerbeimmobilien in den USA nach wie vor Anwendung, doch viele grosse Gesellschaften in den USA kennen diese nicht mehr. Folglich müssen die Versicherer bei einer starken wirtschaftlichen Unterbewertung mit einem unerwarteten Schadenaufwand rechnen. Nicht alle Risiken sind vollständig versicherbar, weil nicht alle messbar sind. Risiken, die die Grenzen der Versicherbarkeit sprengen Versicherbare Risiken haben Unfallschäden zur Folge, die in der Regel messbar sind und deren Höchstschaden überschaubar sind. Die Prämiensätze sind sowohl für den Versicherer als auch für den Versicherten annehmbar, und es besteht eine genügend hohe Versicherungskapazität zur Deckung der Risiken. Für die (Rück-)Versicherer ist es schwierig, Haushalten und Unternehmen eine ausreichende und erschwingliche Deckung für Risiken anzubieten, die ein hohes Serienschadenpotenzial aufweisen und deren Wahrscheinlichkeit schwer zu beurteilen ist. Zu diesen Risiken gehören Naturkatastrophen wie Flussüberschwemmungen (hohe Wahrscheinlichkeit von Serienschäden in risikoreichen Gegenden) und Erdbeben (sehr seltene Ereignisse, ebenfalls hohe Wahrscheinlichkeit von Serienschäden). Es gibt aber auch Man-made-Risiken, die die Grenzen der Versicherbarkeit sprengen. 26The Understand Insurance Research Report, Insurance Council of Australia, Oktober 2013. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 25 Was bedeutet Unterversicherung ? Dem Terrorismusrisiko fehlen viele Eigenschaften, die es versicherbar machen würden. Terrorismusrisiko: Schwierig zu bewerten und zu versichern Terrorismus ist ein bekanntes Beispiel eines Risikos, das die Kriterien der Versicherbarkeit nicht erfüllt. Es fehlen sowohl Vergangenheits- als auch Simulationsdaten für dieses Risiko. Die bestehenden Daten werden von Nachrichtendiensten hauptsächlich als geheim eingestuft. Zudem könnte jeder Versuch, solche Daten zu deklassifizieren, also deren Geheimhaltung aufzuheben, und sie in privaten Märkten zu modellieren, Terroristen zu bewussten Anschlägen veranlassen, um noch unvorhersehbarer zu sein. Terrorismusdeckungen sind unter freien Marktbedingungen nicht sehr verbreitet. Obwohl für die meisten Versicherten eine Terrorismusdeckung in der Regel verfügbar ist, ist sie unter freien Marktbedingungen nicht weit verbreitet. Sie wird generell vom privaten Sektor bereitgestellt, und zwar mit staatlicher Unterstützung. Da das Terrorismusrisiko viele Eigenschaften aufweist, die es schwer versicherbar machen, begrenzen die Versicherer ihre Risikoexposition. Das daraus resultierende begrenzte Versicherungsangebot hat zur Folge, dass eine solche Deckung für einige Versicherte entweder gar nicht zur Verfügung stünde oder unerschwinglich wäre. Die Zahl der von Unternehmen abgeschlossenen Terrorismusversicherungen ist je nach Standort und Art der Unternehmen sehr unterschiedlich. Die Zahl der von Unternehmen abgeschlossenen Terrorismusversicherungen ist je nach Branche, Unternehmensgrösse und Standort sehr unterschiedlich. So dürften Unternehmen in Städten, in denen das Risiko von Terroranschlägen als relativ hoch eingestuft wird, eher eine Terrorismusversicherung nachfragen. Dies schafft ein potenzielles Kumulrisiko für private Versicherer. In den USA reichten die Abschlussraten 2012 von 42% im Chemiesektor bis zu 81% in der Medienbranche und von 57% im Westen bis zu 74% im Nordosten.27 Die durchschnittlichen Abschlussraten nahmen ausgehend von 27% im Jahr 2003 (dem ersten Jahr nach Inkrafttreten des Terrorism Risk Insurance Act) stetig zu, bis 2009 ein stabiles Niveau zwischen 60 und 64% erreicht wurde.28 Betriebsunterbrechungen gehören zu den Risiken, die dem Management am meisten Sorgen bereiten. Eine Deckung für Rückwirkungsschäden und damit zusammenhängende Risiken kann einen gewissen Schutz gegen Schäden in der Lieferkette bieten. Beschränkte Versicherbarkeit des Lieferkettenrisikos sowie von Betriebsunterbrechungen Laut der Global-Risk-Management-Umfrage von Aon aus dem Jahr 2015 liegen Betriebsunterbrechungen auf Rang sieben der Risiken, die den Managern am meisten Sorgen bereiten. In der Chemie- und in der Versorgungsbranche, die aufgrund der volatilen Natur ihres Geschäfts anfällig für Unfälle und Unterbrechungen sind, stuft das Management Betriebsunterbrechungen als zweitgrösstes Risiko ein. Im Nahen Osten und in Afrika – den Regionen, in denen das politische Risiko am höchsten ist – nennen die Befragten das Betriebsunterbrechungsrisiko als viertgrösstes Risiko.29 Gewisse Lieferkettenrisiken sind zumindest teilweise durch eine Versicherung gegen Rückwirkungsschaden («contingent business interruption», CBI) und zugehörige Deckungen wie Serviceunterbrechungen, Stromausfall ausserhalb der Geschäftsräumlichkeiten, dazugehörige Mehrkosten oder Zugangsverweigerung versichert. In den meisten Ländern sind diese Deckungen in beschränktem Umfang in den üblichen Sachversicherungspolicen eingeschlossen. Die CBI-Versicherung deckt mögliche Betriebsunterbrechungen und Sonderaufwendungen des Versicherten, verursacht durch physische Schäden oder Verluste am Standort eines wichtigen Lieferanten von Produkten und Dienstleistungen oder eines Empfängers von Waren und Dienstleistungen (also eines wichtigen Kunden). Das Erdbeben im japanischen Tohoku und die Überschwemmungen in Thailand von 2011 führten zu erheblichen Schadenforderungen grösserer Unternehmen infolge von Betriebsunterbrechungen, die durch Schäden bei wichtigen Lieferanten bedingt waren. Diese Schadenforderungen unterstreichen die Notwendigkeit, das Kumulationspotenzial von CBI-Risiken, insbesondere als Folge von Naturkatastrophen, besser zu verstehen und zu kontrollieren. 27Terrorism Risk Insurance, Marsh & McLennan Companies, 18. September 2013. 282014 Terrorism Risk Insurance Report, Marsh Risk Management Research, April 2014. 29Global Risk Management Report, Aon, 2005. 26 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Das CBI-Risiko liegt in der Regel ausserhalb des Einflussbereichs des Versicherten, und sowohl Natur- als auch Man-made-Katastrophen können globale Schäden verursachen. Die CBI-Versicherung deckt Risiken des Versicherten, die durch die Risikoexposition eines Dritten bedingt sind. Diese Risiken liegen in der Regel ausserhalb des Einflussbereichs des Versicherten. Wie sich in Japan und Thailand gezeigt hat, ziehen Rückwirkungsschäden infolge einer Naturkatastrophe eine grosse Anzahl von Lieferanten und Kunden in Mitleidenschaft, wodurch Schäden in der ganzen Welt entstehen. In der Vergangenheit ging die Versicherungsindustrie davon aus, dass Man-madeSchäden im Zusammenhang mit Rückwirkungsschäden in der Regel eine kleine Anzahl Lieferanten oder Kunden betreffen. Doch 2012 machten die Brand- und Explosionsschäden im deutschen Chemiekonzern Evonik Industries, die zu massiven Betriebsstörungen in der weltweiten Automobilbranche führten, deutlich, dass ein isoliertes Man-made-Ereignis versicherte Schäden auf der ganzen Welt verursachen und sich auf zahlreiche Branchen auswirken kann. Eine CBI-Deckung ist kein Ersatz für das Risikomanagement in der Lieferkette. Einige wichtige Lieferkettenrisiken sind gegebenenfalls nicht durch die CBI-Versicherung gedeckt. Die CBI-Versicherung deckt keine immateriellen oder indirekten Schäden wie Reputationsverlust, Verlust von Kunden, IT-Ausfälle zwischen wichtigen Lieferanten und Kunden oder den finanziellen Ausfall eines Lieferanten oder Kunden. Momentan wird darüber diskutiert, ob die Versicherer eine umfassendere Form der CBI-Versicherung, die auch immaterielle Schäden deckt, anbieten sollen. Bisher haben sich die Versicherten jedoch zurückhaltend gezeigt, wenn es darum ging, die Lieferketten transparenter zu gestalten, um die komplexen Risiken für die Versicherer verständlicher zu machen. Zudem sind die Versicherten nur beschränkt bereit, für die umfassendere Deckung eine höhere Prämie zu bezahlen. Schliesslich beträgt die Versicherungssumme bei einem Rückwirkungsschaden oder bei Mehrkosten – angesichts fehlender Risikodaten sowie mangelnder Transparenz (und somit einer beschränkten Versicherbarkeit) – in der Regel nur einen Bruchteil der Versicherungssumme bei Betriebsunterbrechungen, die für andere Schäden an versicherten Sachwerten angeboten wird. Sie reicht mitunter nicht aus, um das grösste Schadenpotenzial zu decken. Die Kosten der Internetkriminalität werden weltweit auf USD 375 bis 575 Milliarden pro Jahr geschätzt. Europäische und asiatische Firmen sind eher über das Betriebsunterbrechungsrisiko infolge von Internetangriffen besorgt, während sich US-Firmen mehr um die Internethaftpflicht Gedanken machen. Internetrisiken sind komplex und verbreiten sich rasant In jüngster Zeit haben Internetangriffe ebenso zugenommen wie das öffentliche Bewusstsein für solche Risiken. Laut der Global-Risk-Management-Umfrage von Aon aus dem Jahr 2015 nimmt das Internetrisiko bei den Risiken, die den Unternehmen weltweit am meisten Sorgen machen, den neunten Rang ein. Die Kosten der Internetkriminalität werden weltweit auf USD 375 bis 575 Milliarden pro Jahr geschätzt. Die durchschnittlich benötigte Zeit, um einen Internetangriff abzuwehren, ist von 32 Tagen im Jahr 2013 auf 45 Tage im letzten Jahr angestiegen.30 Bei der Deckung von Internetrisiken bestehen erhebliche regionale Unterschiede. In den USA treibt das System der Sammelklagen die Nachfrage nach Haftpflichtversicherungen an. Europäische und asiatische Unternehmen fürchten hingegen eher das direkte Risiko von Datenschutzverletzungen. Dazu gehören Reputationsschäden sowie die Kosten, die durch Betriebsunterbrechungen und die Wiederherstellung von Daten verursacht werden. 30Net Losses: Estimating the Global Cost of Cybercrime, McAfee, Juni 2014. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 27 Was bedeutet Unterversicherung ? Eine wichtige Herausforderung besteht darin, eine Versicherung zu entwickeln, die physische Schäden durch Internetangriffe deckt. Eine aktuelle Herausforderung besteht darin, Produkte für operative Risiken aus Internetangriffen zu entwickeln, die sowohl immaterielle als auch physische Schäden aus Betriebsunterbrechungen decken. Bisher haben sich die Internetversicherungen auf Datensicherheits- und Geheimhaltungsrisiken von Drittparteien konzentriert, die eine sehr beschränkte Deckung des Erstversicherten bieten. Die Policen beschränken sich auf die Deckung von immateriellen Schäden aus Betriebsunterbrechungen, beispielsweise Netzwerkausfälle. Die umfassenderen operativen Risiken aus Internetangriffen und die bereits erwähnten Schwachstellen in der Lieferketten wirken sich auf die aktuelle und zukünftige Produktentwicklung aus. Die Grenzen der Versicherbarkeit können sich mit der Zeit ändern. Verbesserte Modellierung bietet die Möglichkeit, die Versicherbarkeit zu erhöhen, während Änderungen im Risiko sie verringern können. Was im Markt versicherbar ist, kann sich mit der Zeit ändern. Der SONAR-Bericht von Swiss Re listet beispielsweise eine Reihe neuer Risiken auf, die wahrscheinlich an Bedeutung gewinnen werden und wohl noch nicht ausreichend versicherbar sind.31 Die Anwendung hoch entwickelter Datenanalysen kann helfen, einige dieser Einschränkungen beim Underwritingzu überwinden, indem Informationslücken geschlossen werden. Wenn allerdings ein versichertes Risiko in seiner Häufigkeit und Schwere unerwartet stark zunimmt, können die zusätzlichen Schäden erheblich sein und sogar die finanzielle Stabilität eines Versicherers gefährden. In einem solchen Fall kann ein Risiko, das bisher als versicherbar galt, in Zukunft nur schwer oder gar nicht versicherbar sein. Ein Beispiel dafür ist das Terrorismusrisiko. 31SONAR: New emerging risk insights, Swiss Re, Mai 2015. 28 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Umgang mit Unterversicherung Die wirksamsten Massnahmen zur Schliessung der Deckungslücke gehen auf die Ursachen der jeweiligen Unterversicherung ein. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, einer Unterversicherung zu begegnen und die Deckungslücke bei Sachrisiken zu schliessen. Die wirksamsten Massnahmen gehen auf die Ursachen der jeweiligen Unterversicherung ein. Dieser Abschnitt beschreibt einige der Möglichkeiten, eine Unterversicherung in verschiedenen Situationen zu verringern.32 Tabelle 5: Massnahmen, welche die Risikominderung fördern oder die Versicherbarkeit erhöhen Ziele Massnahmen Erschwinglichkeit der Deckung Produktinnovation Mikroversicherung Indexversicherung Produktbündelung Neue Technologien und Vertriebsinnovation Festlegung der Regeln im Versicherungsmarkt durch den Staat Entwicklung des Takaful-Sektors Risikominderung, Baustandards und Zonenordnung Obligatorische Versicherungsprogramme Staatsdeckungen für nicht vollständig versicherbare Risiken Staatliche Versicherungsprogramme Verbesserte Produktgestaltung Agenten Besserer Zugang und Vertrieb Versicherungsindustrie ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Staat Öffentlichprivate Partnerschaften ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ ✓ Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Die Schliessung der Deckungslücke erfordert eine Beteiligung des privaten und des öffentlichen Sektors. Wenn das Katastrophenrisiko wirksam verringert und finanziert werden soll, müssen sich der private und der öffentliche Sektor zusammenschliessen. Der öffentliche Sektor spielt eine wichtige Rolle für die Bereitstellung eines rechtlichen und regulatorischen Rahmens, der die Entwicklung eines privaten Versicherungssektors ermöglicht, während die privaten Versicherer aufgerufen sind, angemessene Risikotransferlösungen zu entwickeln, um diese Risiken wirksam zu absorbieren und zu managen. Länder mit einem gut entwickelten Versicherungsmarkt benötigen kaum staatliche Finanzierungshilfe beim Risikotransfer. In Industrieländern mit einem funktionierenden Versicherungsmarkt ist es kaum nötig, dass der Staat das Naturkatastrophenrisiko aktiv absorbiert. In Ländern, in denen der Versicherungsmarkt noch ungenügend entwickelt ist, muss der Staat eventuell eine aktivere Rolle in der Bereitstellung des Risikotransfers einnehmen. Ausserdem haben die Regierungen allen Grund, ihre Quellen für die Katastrophenfinanzierung zu diversifizieren und nicht nur auf die weit verbreitete Ex-post-Finanzierung zu setzen, sondern auch auf Vorfinanzierungsinstrumente zurückzugreifen. Der Staat spielt jedoch eine wichtige Rolle bei der Risikominderung, zum Beispiel durch die Vorgabe von Baustandards. Die Regierungen spielen eine wichtige Rolle bei der Risikominderung, indem sie Standards einführen und umsetzen, wie etwa Vorschriften für katastrophensicheres Bauen oder Hochwasserschutzmassnahmen, und indem sie Risikodaten bereitstellen, beispielsweise eine Hochwasserkartierung. Mit einer risikobasierten Preisgestaltung kann die Versicherungsbranche Anreize zur Risikominderung schaffen. 32Siehe auch Underinsurance: How to close the gap, The Geneva Association, Mai 2014. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 29 Umgang mit Unterversicherung Produktinnovation kann neue Bereiche der Versicherbarkeit hervorbringen, beispielsweise für Hochwasser ... Produktinnovation Produktinnovation schafft neue Versicherungsmärkte. In den USA haben Lücken in der staatlich unterstützten Hochwasserdeckung Chancen für Produktinnovation eröffnet. So hat National Flood Services, ein Geschäftsbereich des Privatversicherers Affinity Insurance Services, im Juni 2015 private Hochwasserversicherungen als Alternative zum NFIP eingeführt. Dazu gehören höhere Versicherungssummen und geringere Anforderungen für das Underwriting sowie Produkte zur Ergänzung der NFIP-Deckung.33 Solche neuen Produkte könnten massgebend sein für die Befriedigung der Nachfrage in Bereichen, die durch die bestehenden Programme nicht abgedeckt sind. ... und Erdbebenrisiken. Ein weiteres Beispiel der Produktinnovation besteht im Bereich des Erdbebenrisikos. Weltweit gab es immer wieder Innovationen, um dem Katastrophenrisiko in Hypothekenportfolios wirksamer zu begegnen. Dennoch sind die meisten Wohnimmobilien nicht gegen Erdbebenschäden versichert. Bei einem grossen Schadenereignis wären viele Hauseigentümer nicht in der Lage, den entstandenen Schaden zu tragen. Sie könnten zudem ihre Hypothek nicht mehr bezahlen. Infolgedessen wird ein Grossteil des weltweiten Risikos von Erdbebenschäden an Wohnimmobilien effektiv von Hypothekengebern wie Banken getragen. Diese sind in der Regel ebenfalls nicht gegen dieses Risiko versichert. Wenn nun statt den Hausbesitzern den Hypothekengebern eine Erdbebendeckung bereitgestellt wird, kann dies Zusatzgeschäft generieren und die Deckungslücke bei Naturkatastrohen verringern. Internetdeckungen können nun einen Schutz gegen Sachschäden und Rückwirkungsschäden einschliessen. Die Versicherer beginnen, umfassendere Internetdeckungen anzubieten. Dazu gehört auch die Deckung von Sachschäden und Rückwirkungsschäden. Zudem erweitern sie für Kunden den Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der Schadenkontrolle, darunter Risikobewertungsinstrumente, Beratung bei Vertragsverletzungen und Unterstützung bei der Bewältigung von Versicherungsfällen.34 Innovation ist auch nötig im Hinblick auf die Policenbedingungen. Ein einfacher Wortlaut erleichtert die Kommunikation mit dem Kunden. Innovation ist nicht nur bei den Produkten nötig, sondern auch bei den Policenbedingungen. Eine Vereinfachung ist wichtig, damit die Versicherer ihre Kunden erreichen und mit ihnen kommunizieren können. Dabei ist die Produktintegrität zu wahren, und die Policenbestimmungen müssen weiterhin präzise formuliert werden. Bei der Mikroversicherung sind die Produktgestaltung sowie das Vertriebsund Schadensmanagement vereinfacht, damit die Versicherung erschwinglicher wird. Die Mikroversicherung richtet sich an Bevölkerungsschichten, die traditionell vom Zugang zum Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Mikroversicherung Die Mikroversicherung kann einkommensschwachen und schutzbedürftigen Haushalten erschwingliche und effiziente Versicherungsprodukte anbieten. Dabei kommen Prozesse zur Produktgestaltung und zum Vertriebs- und Schadensmanagement zur Anwendung, die sich deutlich von herkömmlichen Versicherungen unterscheiden. Die geringen Deckungsbeträge und Prämien pro Person sowie die innovative Produktgestaltung machen die Mikroversicherung für einkommensschwache Bevölkerungsschichten erschwinglich und für die Anbieter finanziell nachhaltig. Der Vertrieb erfolgt häufig über bestehende Netzwerke, und die Versicherungsdeckung wird manchmal mit anderen Finanz- oder Nichtfinanzprodukten gebündelt.35 Um die Kosten gering zu halten, bedingen Mikrofinanzprodukte auch ein effizientes Schadenabwicklungssystem. Viele Geschäftsmodelle von Mikroversicherungen kennen eine Form der Mitwirkung von Gemeinwesen im Schadenforderungsprozess. Dies verringert die Risiken, verbessert die Überprüfung der Schadenforderungen und erhöht das Konsumentenvertrauen.36 Zur Deckung von Ernteschäden greifen viele Mikroversicherungsprogramme auf Versicherungsprodukte zurück, die auf einem Wetterindex basieren. Indexprodukte senken die Kosten für das Underwriting und die Schadenabwicklung, indem die Forderungen aufgrund von lokalen Wetterparametern und nicht aufgrund der individuellen Schäden bezahlt werden. Mit Innovationen bei der Produktgestaltung und beim Vertrieb lässt sich die Mikroversicherung auf andere Sachwerte erweitern. 33National Flood Services Launches Private Flood Product Suite, www.mynewmarkets.com, 4. Juni 2015. 34Benchmarking Trends: As Cyber Concerns Broaden, Insurance Purchases Rise, Marsh, März 2015. 35sigma 6/2010, Mikroversicherung – Risikoschutz für 4 Milliarden Menschen, Swiss Re. 36The moment of truth: Claims Management in Microinsurance, International Labour Office, 2014. 30 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Es sind Innovationen bei der Mikroversicherung im Gang, um die Deckung von Naturkatastrophenrisiken zu erweitern. Die Indexversicherung vereinfacht das Underwriting und die Schadenabwicklung, um die Kosten zu senken. Eine Bündelung von Versicherungs- und Sparprodukten kann in entwickelten Märkten mitunter die Attraktivität des Produkts erhöhen. Die Bündelung von Versicherungsprodukten kann die Kosten für den Vertrieb und das Underwriting senken. Technologische Verbesserungen können die erwarteten Schäden der Hauseigentümer verringern. Ausserdem sind weitere Innovationen im Gang, um die Mikroversicherung mit Naturkatastrophendeckungen für Haushalte und Kleinunternehmen zu verbinden. Ein innovatives Beispiel ist die Microinsurance Catastrophe Risk Organisation (MiCRO), ein sozial ausgerichtetes Unternehmen, das als Rückversicherer mit Sitz in Barbados eingetragen ist und Mikroversicherungsprodukte zur Deckung von Naturkatastrophenrisiken anbietet. In Zentralamerika führt MiCRO zurzeit innovative Indexversicherungsprodukte ein. Diese werden über bestehende Mikrofinanzinstitute vertrieben und richten sich an die ärmsten und schwächsten Bevölkerungssegmente. Indexversicherung In den Schwellenländern besteht ein wachsendes Interesse an Indexversicherungen für Agrarrisiken. Viele Länder in Asien, Lateinamerika, Afrika und in der Karibik haben im Rahmen eines Pilotprojekts eine Art Indexversicherung im Landwirtschaftsbereich eingeführt. Die Indexversicherung bietet verschiedene Vorteile: Transparenz, tiefe Transaktionskosten, rasche Auszahlungen und Objektivität. Die Indexversicherung beruht auf modellierten Daten. Deshalb kann sie für Märkte entwickelt werden, in denen die Versicherer weder über eine Infrastruktur zur Schadenabwicklung noch über ein Schadenportfolio mit entsprechenden Daten für das Underwriting verfügen. Zu den Nachteilen zählt das Basisrisiko – das Risiko, dass sich ein einzelner Schaden ereignet, der entsprechende Parameterindex Schäden aber nichtausgelöst wird, oder umgekehrt. Laufende Innovationen bei der Indexentwicklung und in der Satellitentechnologie sind nötig, um die Deckung erfolgreich zu erweitern. Produktbündelung Ähnlich wie Lebensversicherungen liessen sich auch Sachversicherungen mit Haushaltsersparnissen verbinden. Diese Option ist im aktuellen Tiefzinsumfeld nicht besonders attraktiv. Das könnte sich jedoch ändern, sobald die Zinsen wieder anziehen. Mit Sparprodukten gebündelte Sachversicherungen gibt es bereits in Japan (diese sogenannten Policen mit Rückzahlung auf Verfall enthalten eine Sparkomponente, um die nominalen Prämienzahlungen bei Verfall zurückzuzahlen) und in Korea (sogenannte Langzeitversicherung). Sie haben in diesen Märkten dazu beigetragen, Gebäude- und Mobiliarversicherungen breiten Kreisen zugänglich zu machen. Um Bauern in ländlichen oder abgelegenen Regionen in Schwellenländern zu erreichen, versuchen die Versicherer, Agrarversicherungsprodukte zu bündeln – entweder in Verbindung mit bestehenden Produkten und Dienstleistungen oder über bereits bestehende Vertriebsnetzwerke. Agrarversicherungen lassen sich beispielsweise mit Kreditprodukten (über Banken oder Mikrofinanzinstitute) oder Betriebsmittellieferanten (über Düngemittel- oder Saatgutvertreiber) bündeln. Die bedeutendsten Vorteile sind tiefere Vertriebs- und Transaktionskosten. Neue Technologien und Vertriebsinnovation Intelligente technologische Geräte können die Versicherbarkeit erhöhen, denn sie verringern die Risiken und ermöglichen eine Reaktion auf drohende Situationen in Echtzeit. Vernetzte Brandalarmanlagen können die Schwere eines Brandes verringern, indem der Hauseigentümer und die Behörden unmittelbar nach Brandausbruch alarmiert werden. Ebenso können vernetzte Einbruchalarmanlagen Diebstahl vermeiden, und Wassermelder können Rohrbruchschäden verringern, wenn die Wasserversorgung schnell ausgeschaltet werden kann. State Farm ist beispielsweise eine Partnerschaft mit dem Sicherheits- und Alarmanlagenanbieter ADT eingegangen, um Heimvernetzungs- und Versicherungslösungen anzubieten. Denn die Installation und Wartung von intelligenten Hausanlagen nur für den Zweck eines günstigeren entsprechenden Versicherungsangebotes wäre unerschwinglich. Eine Partnerschaft mit einem Anbieter von Haussicherheitstechnik ermöglicht dem Versicherer den Zugang zu einer bestehenden Infrastruktur. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 31 Umgang mit Unterversicherung Drohnen und andere intelligente Geräte werden verwendet, um die Bewertung regelmässig zu aktualisieren und die Schadenbeurteilung zu verbessern. Intelligente Geräte sind in Gewerbeimmobilien bereits recht verbreitet – zum Teil deshalb, weil der Wert solcher Immobilien höher ist, aber auch, weil sie auf bestimmte betriebliche Bedürfnisse abgestimmt sind, beispielsweise auf das Risikomanagement in Bezug auf die Betriebskontinuität. Drohnen werden immer häufiger zur Gebäudeüberwachung eingesetzt. Sie könnten die Erfassung von Bewertungsänderungen verbessern und die Schadenfeststellung nach Katastrophen beschleunigen. Die Satelliten- und Mobilfunktechnologie ermöglicht Indexversicherungsprogramme. Um Bauern in ländlichen Gebieten vor klimatischen Unsicherheiten wie Dürre zu schützen, kombinieren Wetterindex-Versicherungsprogramme die Satellitentechnologie mit der Mobilkommunikation. So ist das Ernteversicherungspilotprogramm Kilimo Salama eine Partnerschaft mit den grössten Agrarunternehmen in Äthiopien und Kenia eingegangen, um in jeden Sack Saatgut eine Versicherungskarte zu legen. Wenn die Bauern die auf der Karte aufgedruckte Nummer per SMS übermitteln, erhalten sie umgehend die Nummer ihrer Versicherungspolice. Der Versicherer kann lediglich über die zwei Datenpunkte des GPS-Standorts und des Pflanzdatums den Bauern der lokalen Wetterstation zuordnen. Bei einer bestimmten Anzahl Tage ohne Regen wird direkt eine Zahlung auf das Telefon des Bauern ausgelöst. Damit wird der Aufwand für die Risiko- und Schadenprüfung eliminiert und die Bereitstellungskosten für die Versicherung reduzieren sich erheblich. Fernüberwachung und Fernidentifikation können die Auszahlungen nach einer Katastrophe unterstützen. Technologien zur Fernüberwachung und -identifikation haben die Kosten für die Schadenprüfung gesenkt und die Diebstähle bei Schadenzahlungen verringert. Bei Viehversicherungen in Indien hat IFFCO-Tokio als erster Versicherer erfolgreich Radiofrequenzetiketten zu Identifikationszwecken eingesetzt, um die Zahl der betrügerischen Forderungen einzudämmen. Solche kamen früher, als das Vieh nur über herkömmliche Etiketten identifiziert wurde, häufiger vor.37 Die Regierungen legen den Regulierungsrahmen für den Krankenversicherungsmarkt fest. Deregulierung und Prämiensubventionen können das Problem der Erschwinglichkeit angehen. Die Entwicklung von Produkten, die mit dem islamischen Recht vereinbar sind, kann die Unterversicherung in Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit verringern. Festlegung der Regeln im Versicherungsmarkt durch den Staat Der öffentliche Sektor hat die politische und rechtliche Befugnis, Richtlinien und gesetzliche Bestimmungen festzulegen, die es dem Versicherungsmarkt ermöglichen, Grossschäden zu tragen. Dazu gehören die Bestimmung der Kapital- und Zulassungsanforderungen für die Versicherer, die Schaffung eines Zugangs zu den internationalen Märkten, die Festlegung der Haftung und die Unterstützung von Präventionsmassnahmen. In gewissen Fällen können die Regierungen dabei helfen, die Verfügbarkeit von Risikotransferlösungen für Privatpersonen und Unternehmen zu erweitern. Dies geschieht durch die Einführung von obligatorischen Versicherungsprogrammen, um eine ausreichend grosse «Risikogemeinschaft» zu schaffen. Ausserdem können die Regierungen das Problem der Erschwinglichkeit angehen, wenn sie die Versicherungsprämien für einkommensschwache Haushalte subventionieren. Eine Politik, die die Versicherungssteuern senkt und die Regulierung von Prämiensätzen beseitigt, ist ebenfalls wichtig für die Stützung der Nachfrage nach Sachversicherungen. So hat die Regulierungswelle im EU-Versicherungsmarkt in den 1990er-Jahren den Wettbewerb verstärkt und die Prämiensätze reduziert. Entwicklung des Takaful-Sektors In Ländern mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit lässt sich die Unterversicherung verringern, indem der Zugang zu Scharia-konformen Versicherungslösungen (Takaful) verbessert wird. Die Verfügbarkeit von Takaful-Produkten kann dazu beitragen, Bedenken gegen das Konzept der Versicherung, die in der Scharia oder im islamischen Recht verwurzelt sind, zu beseitigen. 37Annual Report 2013, International Labour Organization, 2014. 32 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Ein positives Regulierungsumfeld ist entscheidend für das Angebot an Takaful-Produkten. Eine erfolgreiche Takaful-Branche setzt einige wichtige Faktoren voraus. Erstens kann ein umfassender und einheitlicher Regulierungsrahmen helfen, faire Voraussetzungen zu schaffen, ohne eine übermässige Corporate Governance und hohe Compliance-Kosten. Zweitens kann es sinnvoll sein, ein Standardmodell für Takaful vorzuschreiben. Daneben ist eine strenge Überwachung und Durchsetzung von Richtlinien unabdingbar, um den Schutz der Policeninhaber und das Vertrauen in die Takaful-Branche sicherzustellen. Letzteres ist in einigen Märkten im Nahen Osten ein wichtiges Thema. Die Entwicklung einer TakafulVersicherungsbranche bedingt auch eine breitere finanzielle Basis der Schariakonformen Kapitalanlagen. Und schliesslich hängt Takaful von der Verfügbarkeit von Scharia-konformen Kapitalanlagen ab. Während Aktien- und Immobilienanlagen allgemein verfügbar sind, ist der Markt für Sukuk (Scharia-konforme Anleihen) auszubauen, damit Takaful-Gesellschaften ihre Verbindlichkeiten und Vermögenswerte aufeinander abstimmen können. Mit einem gut entwickelten Regulierungsrahmen, einer proaktiven Regulierungsbehörde und einem zutiefst islamischen Finanzmarkt ist Malaysia einer der am meisten entwickelten Takaful-Märkte. Die Regierungen spielen eine wichtige Rolle bei der Einführung und Durchsetzung von Standards zur Risikoverringerung. Risikominderung, Baustandards und Zonenordnung Die Regierungen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Standards zur Risikoverringerung einzuführen und durchzusetzen. So haben Bauvorschriften in reifen Märkten wie den USA, Japan, Kanada und Australien die Risiken verringert und die Versicherbarkeit erhöht. Deryugina (2013) fand heraus, dass strengere Bauvorschriften den Betrag, den die Bundesregierung nach einem Hurrikan ausgibt, reduzieren.38 Andere höchst wirksame Bauvorschriften betreffen das Anheben von Gebäuden in hochwassergefährdeten Zonen. Regierungen haben zudem die Möglichkeit, die Bauentwicklung in stark gefährdeten Gebieten durch eine Zonenordnung einzudämmen, oder Anreize zu schaffen, damit die Bewohnerinnen und Bewohner nach einer Katastrophe aus einem stark gefährdeten Gebiet wegziehen. Die Versicherer können die Risikominderung fördern, indem sie deren Nutzen transparent machen. Die Versicherer können eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Investitionen zur Risikominderung zu fördern. Die Prämiensätze können Ex-ante-Anreize für ein besseres Risikomanagement und präventive Investitionen in bauliche Anlagen schaffen. Versicherungsmathematisches und -technisches Fachwissen kann dabei helfen, die relativen Kosten und den Nutzen von Risikominderungsmassnahmen zu messen. Versicherer und Regierungen sind gleichermassen an einer Risikominderung und einem Risikotransfer interessiert. Der öffentliche Sektor und die Versicherungsbranche sind häufig indirekte Partner. Die Versicherer sind nur dann bereit, das Überschwemmungsrisiko zu versichern, wenn die Regierung Hochwasserschutzmassnahmen einführt; und Feuerversicherungen werden nur angeboten, wenn eine Feuerwehr existiert. So hat der australische Versicherer Suncorp in hochwassergefährdeten Gebieten im Norden von Queensland die kommunalen Verwaltungen zum Bau von Deichen angeregt, die das kollektive Risiko und die Kosten von Naturkatastrophen deutlich verringern. In der Stadt Roma haben extreme Unwetter- und Hochwasserschäden zwischen 2005 und 2013 Instandsetzungskosten von insgesamt AUD 500 Millionen verursacht. Nachdem der Deich, der rund AUD 20 Millionen kostete, fertig gebaut war, sanken die durchschnittlichen Versicherungsprämien um 30%. Für einige Hauseigentümer machte die Prämienreduktion gar bis zu 80% aus.39 38Deryugina, Tatyana, Reducing the Cost of Ex Post Bailouts with Ex Ante Regulation: Evidence from Building Codes, Working paper, University of Illinois, 2013. 39What a levee in Roma means for home insurance premiums, Infografik von Suncorp Group, Juli 2014. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 33 Umgang mit Unterversicherung Obligatorische Deckungen sind bei Risiken wie Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit sowie bei der Motorfahrzeughaftpflicht weit verbreitet. Obligatorische Versicherungsprogramme Der Staat kann dabei helfen, die Verfügbarkeit von Risikotransferlösungen auf Privatpersonen und Unternehmen zu erweitern. Dies erfolgt durch die Einführung von obligatorischen Versicherungsprogrammen, um eine ausreichend grosse Risikogemeinschaft zu schaffen. Obligatorische Versicherungen kommen in praktisch allen Ländern zur Anwendung, wenn auch meistens im Rahmen von Sozialversicherungsprogrammen für Risiken wie Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit oder als obligatorische Haftpflichtversicherung (z. B. Motorhaftpflichtversicherung). Bei Sachwerten sind solche Programme jedoch meistens halbobligatorisch. Feuerpolicen sind in der Regel nicht vorgeschrieben, aber sehr verbreitet. Obwohl obligatorische Versicherungsprogramme sich in Bezug auf die Deckung und den institutionellen Aufbau unterscheiden, sind fast alle an eine standardmässige Gebäudefeuerversicherung angefügt. Einige Beispiele von obligatorischen Naturkatastrophen-Versicherungsprogrammen sind in der Tabelle 7 im Anhang aufgeführt. Mit Ausnahme der Schweiz 40 und Islands sind Feuerpolicen nicht obligatorisch. Sie sind in der Regel aber weit verbreitet, weisen doch die meisten europäischen Länder Abschlussraten von 90% und mehr auf. Obligatorische Programme lassen sich somit einfach in bestehende Versicherungsverträge einbauen. Das Prämieninkasso und die Schadenabwicklung können durch die Versicherungsgesellschaften erfolgen, was kostengünstige Lösungen ermöglicht. Für Hauseigentümer in der Türkei ist eine Erdbebenversicherung gesetzlich vorgeschrieben, sie wird aber nicht immer durchgesetzt. Obligatorische Versicherungsprogramme, die nicht mit einer Feuerpolice verknüpft sind, erreichen oft keine breite Abdeckung. So müssen in der Türkei Wohnimmobilien innerhalb der Gemeindegrenzen über eine private Versicherungsgesellschaft im Auftrag des staatlichen türkischen Katastrophenversicherungspools (Turkish Catastrophe Insurance Pool, TCIP) gegen Erdbeben versichert werden. Anfänglich waren die Versicherungsabschlüsse gering, da diese Vorschrift nicht genügend durchgesetzt wurde. Als das neue Katastrophengesetz 2012 in Kraft trat, erhöhten sich die Abschlussraten jedoch deutlich. Denn seither benötigen die Hauseigentümer eine Erdbebendeckung, um an das Strom- und Wassernetz angeschlossen zu werden, eine Hypothek aufzunehmen oder staatliche Wiederaufbauhilfe zu erhalten, wenn ihr Haus durch ein Erdbeben zerstört wird.41 Eine Versicherungspflicht erhöht die Durchdringungsrate und verringert die Negativauslese. In Märkten wie Indien oder den Philippinen ist eine Ernteversicherung obligatorisch für Bauern, die bei Banken oder anderen Finanzinstituten einen Kredit beantragen. Das Gleiche gilt für Brasilien im Hinblick auf Darlehen von Banken, die sich in Staatsbesitz befinden. Obligatorische Agrarversicherungen, beispielsweise solche, die an ein Darlehen gekoppelt sind, bieten mehrfache Vorteile. Sie können von den Bauern, die einen Landwirtschaftskredit benötigen, als Sicherheit verwendet werden. Gleichzeitig tragen sie zu einem stärkeren Risikobewusstsein und einer höheren Durchdringung von Agrarversicherungen bei und verringern durch die breitere Beteiligung die Negativauslese. Sie können auch die Vertriebs- und Transaktionskosten senken. Der grösste Vorteil von obligatorischen Versicherungsprogrammen ist die breite Risikostreuung, wodurch die Policen auch in stark gefährdeten Gebieten erschwing-licher werden. Der wichtigste Vorteil von obligatorischen Versicherungsprogrammen ist, dass sie die grösstmögliche Risikogemeinschaft bilden und die Negativauslese beseitigen. Durch eine begrenzte Differenzierung der Prämiensätze werden die Prämien für die meisten Policeninhaber erschwinglich gemacht. Die grosse Mehrheit der Policen, die ein geringes Risiko decken, dient dann zur Quersubventionierung der Policen, die ein hohes Risiko decken. Mit einer Risikobündelung für verschiedene Arten von Naturgefahren lässt sich die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Versicherungsprogramme verbessern, obwohl die Zusammenfassung von Risiken unter Umständen schwieriger ist, wenn sich die Risikoverteilung zwischen den Regionen stark unterschiedlich ist. 40In den meisten Schweizer Kantonen ist eine Feuerversicherung für Gebäude vorgeschrieben. In 19 Kantonen wird die obligatorische Deckung von staatlichen Monopolversicherern bereitgestellt, in drei Kantonen durch die private Versicherungsbranche. Nur in vier Kantonen sind Feuerpolicen freiwillig. 41 Laut der jüngsten Statistik des TCIP sind 39% aller versicherbaren Gebäude gegen Erdbebenschäden versichert gegenüber 23% im Jahr 2011. 34 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Jedoch: Quersubventionierung reduziert den finanziellen Anreiz zu präventiven Massnahmen. Die Kehrseite besteht darin, dass potenziell ein «systemischer» Moral Hazard entsteht. Da das Schadenpotenzial durch den Versicherungsmechanismus ausgeglichen wird, besteht weniger Anreiz für den Staat und die Hauseigentümer, in Schadenminderungsmassnahmen zu investieren. Subventionierte Prämien, weniger strenge Bauvorschriften und eine Zonenordnung fördern die bauliche Entwicklung in Gebieten, die Hochwasser und anderen Gefahren ausgesetzt sind, und erhöhen somit das Schadenpotenzial. Deutschland ist ein gutes Beispiel für eine freiwillige Lösung, die zu einer höheren Versicherungsdurchdringung geführt hat. Allerdings bedeuten freiwillige Marktlösungen nicht unbedingt tiefe Durchdringungsraten. Am Beispiel der deutschen Versicherungsbranche zeigt sich, dass es durchaus möglich ist, die Durchdringungsrate von Hochwasserversicherungen in Gebieten mit geringer und hoher Risikoexposition zu erhöhen. Den deutschen Versicherern ist es gelungen, auch in nicht hochwassergefährdeten Gebieten das Bewusstsein der Policeninhaber zu erhöhen. Im Jahr 2002 waren weniger als 20% der Wohngebäude gegen Naturgefahren versichert, heute sind rund 38% der Gebäude gedeckt.42 Die Sensibilisierung und Beteiligung der Policeninhaber ist massgeblich für die Weiterführung von freiwilligen Versicherungsprogrammen. Der Fall Deutschland weist zwei wichtige Eigenschaften auf: Einerseits ein Underwriting, das eine risikobasierte Preisgestaltung auch in stark gefährdeten Gebieten ermöglicht, andererseits ist das Risikobewusstsein der Konsumenten selbst in Gebieten, die weit von einem Fluss entfernt liegen, hoch. Die standardmässigen Versicherungsbedingungen der verbundenen Wohngebäudeversicherungen Gebäudeversicherungspolicen hat sich mehrheitlich geändert: Wurde bisher die Deckung von Naturgefahren als Option angeboten, ist sie heute standardmässig in der Police eingeschlossen, mit einer Option zum Ausschluss dieser Deckung. Flood Re bietet eine Rückversicherung für stark hochwassergefährdete Gebäude in Grossbritannien an, und die Prämiensätze sind nach oben begrenzt. Flood Re in Grossbritannien: Dank Innovation bleibt die Versicherbarkeit in stark gefährdeten Gebieten erhalten Flood Re ist ein britisches Versicherungsprogramm für Wohnimmobilien, das im Sommer 2015 eingeführt wurde. Es ersetzt die bisherigen freiwilligen Vereinbarungen zwischen der Regierung und der Versicherungsbranche, die von der Association of British Insurers (ABI) vertreten wird. Flood Re soll eine erschwingliche Hochwasserdeckung für die am stärksten überschwemmungsgefährdeten Immobilien in Grossbritannien bieten.43 Laut Schätzungen sollen rund 1 bis 2% der Privathaushalte, d. h. zwischen 300 000 und 500 000 Häusern, von der angebotenen Prämiendeckelung profitieren. Flood Re übernimmt das Hochwasserrisiko, das die Versicherungsgesellschaften an diesen Fonds übertragen. Flood Re ist ein gemeinnütziger Hochwasser-Rückversicherungsfonds, der von der Versicherungsbranche gehalten und verwaltet wird. Er übernimmt Hochwasserrisiken zu einem fixen vorgegebenen Preis, das heisst, die Versicherer werden die genau die Risiken rückversichern, welche eigentlich einen höheren Preis erfordern würden. Bei einem Hochwasserereignis werden die Versicherer von Flood Re für die Forderungen der rückversicherten Hauseigentümer entschädigt. Zusätzliche Gelder aus einer entsprechenden Abgabe stellen sicher, dass Flood Re zahlungsfähig bleibt. Finanziert wird Flood Re zum einen durch die von den Versicherern abgetretenen Prämien und zum anderen durch eine Abgabe der Versicherer. Diese beruht auf deren Anteil am Versicherungsmarkt für Wohnimmobilien sowie einem formalisierten System zur Quersubventionierung, das noch vor der Gründung von Flood Re eingeführt wurde. Gemäss der ABI bezahlt der Policeninhaber durchschnittlich GBP 10,5 pro Jahr oder 2,2% der Police. Dieses Finanzierungsniveau sollte genügen, um ein Hochwasserereignis zu decken, wie es nur einmal in 200 Jahren vorkommt. Zusätzlich erwirbt der Fonds eine Retrodeckung im Rückversicherungsmarkt. 42Deutschlandkarte: Wer ist wo elementar versichert?, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), 5. Juli 2015. 43The future of flood insurance: what happens next, Association of British Insurers, 30. Juli 2015. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 35 Umgang mit Unterversicherung Wenn diese zusätzliche Abgabefinanzierung versiegt, bietet die britische Regierung Unterstützung. Der Staat kann als Rückversicherer für Risiken auftreten, die im privaten Markt nicht vollständig versicherbar sind. Flood Re ist finanziell unabhängig von der Regierung. Nur bei einer ausserordentlichen Schadenbelastung in der Aufbauphase des Fonds kann Flood Re ein rückzahlbares staatliches Darlehen gewährt werden. Die britische Regierung hat sich ihrerseits bereit erklärt, die Ausgaben für den Hochwasserschutz im Zeitraum von 2015 bis 2016 um GBP 370 Millionen zu erhöhen und das Budget in den darauf folgenden fünf Jahren der Inflation anzupassen. Staatsdeckungen für nicht vollständig versicherbare Risiken In vielen Ländern können die Staaten auch als Versicherer oder Rückversicherer für gewisse Risiken auftreten, um private Versicherungsprogramme zu ergänzen. Staatliche Staatsdeckungen können Versicherungslösungen im privaten Sektor fördern, wenn das Underwriting besonders schwierig ist oder wenn die Höhe eines möglichen Schadens den privaten Sektor überfordert. Dies ist beispielsweise bei einem Terrorereignis oder bei einer extremen Naturkatastrophe der Fall. Für die meisten wetterbedingten und anderen Naturkatastrophenrisiken hat der private Sektor genügend Aufnahmefähigkeit und Fachwissen, um eine Deckung zu gewährleisten. Hier sollte sich die Mitwirkung des öffentlichen Sektors darauf konzentrieren, die Verfügbarkeit von Versicherungsprogrammen zu erweitern – um letztlich einen effizienten Privatversicherungsmarkt zu schaffen. Die meisten Länder, die einem Terrorismusrisiko ausgesetzt sind, kennen staatliche Versicherungsprogramme. Die meisten Staaten, die einem Terrorismusrisiko ausgesetzt sind, verfügen über entsprechende Deckungsprogramme. Dazu gehören die USA, einige europäische Länder (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, die Niederlande, Österreich, Spanien) und Länder in anderen Regionen (Australien, Indien, Israel, Russland, Sri Lanka, Südafrika). Vier Länder (Grossbritannien, Israel, Spanien, Südafrika) hatten bereits vor dem 11. September 2001 solche Programme eingeführt. Auch einige Entwicklungsländer sind einem erheblichen Terrorismusrisiko ausgesetzt, sie verfügen jedoch nicht über entsprechende Programme. Solche Programme werden in der Regel nach einem grösseren Terrorereignis entwickelt ... Die einzelnen Länder haben ein Terrorversicherungsprogramm entwickelt, das ihrer politischen Struktur und ihrer Risikowahrnehmung entspricht. In der Regel werden solche Programme nach einem massiven Terroranschlag eingeführt. Die Ansätze der verschiedenen Länder hinsichtlich der Risikoteilung zwischen dem Staat und dem privaten Versicherungssektor sind vielfältig. ... und spiegeln die politische und historische Situation der einzelnen Länder wider. Am einen Ende des Spektrums liegt Israel, das seit jeher hohe Terrorismuskosten zu tragen hat. Hier werden die Schäden vollumfänglich durch den Staat gedeckt, ohne Beteiligung des privaten Sektors. Am anderen Ende liegt Deutschland mit Extremus, einem privaten Versicherungsunternehmen, das sich im Besitz von führenden deutschen (Rück-)Versicherern befindet. Extremus versichert Terrorismusrisiken über EUR 25 Millionen und ist mit einer Staatsgarantie zur Deckung von Gesamtschäden ausgestattet, die EUR 2 Milliarden übersteigen. Andere Länder wie Frankreich, Grossbritannien, Spanien und die USA haben verschiedene Strukturen für die Risikoteilung durch den öffentlichen und privaten Sektor entwickelt. Staatliche Stellen prüfen neue Formen des Risikotransfers. Staatliche Versicherungsprogramme Die Kosten von Naturkatastrophen, extremen Wetterereignissen, Klimaveränderungen und anderen Risiken stellen eine zunehmende Belastung des Staatshaushalts von Schwellenländern dar. Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu den makroökonomischen Auswirkungen von Naturkatastrophen kam zu dem Schluss, dass Länder mit einer höheren Versicherungsdurchdringung tiefere indirekte Kosten zu tragen haben und sich wirtschaftlich rascher erholen als Länder mit einer tieferen Durchdringungsrate.44 Viele staatliche Stellen und Organisationen des öffentlichen Sektors nutzen zunehmend neue Formen des Risikotransfers. 44Goetz, von Dahlen, Saxena, Unmitigated disasters? New evidence on the macroeconomic cost of natural catastrophes, BIS Working Papers, Dezember 2012. 36 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Die Verbriefung kann die herkömmliche Rückversicherung ergänzen, um zusätzliches Kapital für Wiederaufbau nach einer Katastrophe bereitzustellen. Mexiko hat 2009 mit Hilfe der Weltbank eine Katastrophenanleihe herausgegeben. Indem ein Teil der voraussichtlichen Kosten von Erdbeben- und Hurrikanschäden aus der Bilanz des Staates genommen und in den Kapitalmarkt überführt wurde, hat Mexiko seine finanzielle Anfälligkeit für künftige Katastrophen verringert. Die bedeutendsten Programme wurden von öffentlich-privaten Partnerschaften entwickelt. Die Caribbean Catastrophe Risk Insurance Facility (CCRIF) wurde 2007 als ein von mehreren Ländern getragener Katastrophenhilfefonds errichtet. In dieses Programm, das durch Spenden unterstützt wird, zahlen die teilnehmenden Staaten Prämien ein. Die CCRIF deckt eine Reihe von Ländern ab, wodurch die Risiken diversifiziert und die Prämien entsprechend reduziert werden. Der Pacific Catastrophe Risk Insurance Pilot ist ein weiteres Naturkatastrophen-Versicherungsprogramm für verschiedene pazifische Inselstaaten. Die Weltbank trat als Intermediär auf und platzierte die länderspezifischen Katastrophenversicherungen auf dem internationalen Rückversicherungsmarkt als einzelnen Versicherungsbestand. Anhand von definierten Parametern werden nach einer Katastrophe in einer bestimmten Region die entsprechenden Zahlungen zügig ausgelöst. In Afrika gibt es die Agentur African Risk Capacity (ARC), einen durch Spenden unterstützten Versicherungspool, der die teilnehmenden Nationen gegen das Dürrerisiko versichert. Dabei kommt ein modellierter Schadenindex zur Anwendung, der sich auf Niederschlagsdaten stützt, welche durch Satelliten gewonnen werden. Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 37 Fazit Die Unterversicherung stellt eine Chance dar, in neue Märkte zu expandieren und tiefer in bestehende Märkte vorzustossen. Die Unterversicherung von Sachwerten stellt eine Herausforderung dar. Gleichzeitig bietet sie den Versicherern aber auch Chancen, in neue Märkte zu expandieren und tiefer in bestehende Märkte vorzustossen. Die staatliche Unterstützung bei der Risikominderung und die Kontrolle des Versicherungsmarkts sind entscheidend für den Erfolg. Dieser Bericht stellt verschiedene Schätzungen der Unterversicherung anhand verschiedener Methoden bereit. Dieser Bericht stellt eine Schätzung der globalen Unterversicherung von Sachrisiken bereit – und zwar für Naturkatastrophen basierend sowohl auf historischen Schadendaten als auch auf prospektiven probabilistischen Modellen – sowie für die Sachversicherung im Allgemeinen durch eine Benchmarkbewertung mit Ländern mit einer hohen Durchdringungsrate. Diese Analyse identifiziert die Lücken nach Ländern und Gefahren und arbeitet, die Ursachen für die Lücke in jedem Segment heraus. Die Versicherungsbranche muss Instrumente und Modelle entwickeln, die zur Schliessung der Deckungslücke nötig sind. Die Herausforderung für die Versicherungsbranche besteht darin, sich auf die Bedürfnisse der Konsumenten zu konzentrieren, die ungenügend oder gar nicht versichert sind. Die Schliessung der Deckungslücke bedingt, dass die Versicherungsbranche weiterhin, neu entstehende Risiken und Risikoexpositionen beobachtet und entsprechende Risikomodelle entwickelt. Dies gilt nicht nur für Naturkatastrophen, sondern auch für andere Gefahren, die schwer zu beziffern sind, beispielsweise Terrorismus, Internetkriminalität oder das Lieferkettenrisiko. Ausserdem muss die Branche die erforderlichen Daten und Analyseinstrumente für die Risikomessung und -modellierung entwickeln,. Weitere Innovationen bei Produkten, Prozessen und dem Vertrieb sind nötig, um bisher nicht versicherte Konsumenten und Risiken zu erreichen. Unterstützende politische und andere Massnahmen spielen eine massgebliche Rolle bei der Schliessung der Deckungslücke. Die Versicherer können dies nicht alleine bewältigen. Sie benötigen ein unterstützendes Regulierungsumfeld, Risikoinformationen und – in bestimmten Fällen wie Terrorismus oder Hochwasser – die Mitwirkung des Staates, um die Deckungskapazität zu erweitern. Um das Problem der Unterversicherung von Sachwerten erfolgreich anzugehen, sind koordinierte Anstrengungen und eine innovative Denkweise sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor erforderlich. 38 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Anhang Tabelle 6: Sachversicherungsdurchdringung der einzelnen Länder gemäss Vergleichsanalyse Konsum pro Kopf USD Konsum pro Kopf > USD 25 000 Schweiz Australien Norwegen Vereinigte Staaten Österreich Grossbritannien Kanada Dänemark Schweden Belgien Deutschland Finnland Frankreich Irland Niederlande Sonstige Zwischensumme 53 848 41 118 41 028 40 735 29 872 29 399 29 185 29 114 28 827 28 658 28 595 27 645 26 995 25 408 25 328 BIP pro Kopf USD 86 116 61 146 97 822 54 623 51 429 45 635 50 366 60 681 58 974 47 539 46 973 49 702 42 907 53 218 51 652 Diese Tabelle fasst verschiedene Daten der Modelle zusammen, die in den Kapiteln «Wie gross ist die Deckungslücke bei Naturkatastrophen?» und «Die weltweite Unterdeckung in der Sachversicherung» beschrieben sind. Der Modellierung des gesamten Sachschadens eines Landes aus Naturkatastrophenszenarien sind Grenzen gesetzt. Zudem lassen sich nicht alle Faktoren, die das Angebot und die Nachfrage nach Sachversicherungen in einem Land beeinflussen, mit einem einfachen wirtschaftlichen Vergleichsbewertungsmodell erfassen. Während die länderspezifischen Daten mit Blick auf diese Einschränkungen betrachtet werden müssen, bieten die Modelle wertvolle Informationen. BIP USD Mrd. SachversicherungsModellierte prämien Durchdringung USD Mrd, % des BIP % BIP 708 1 468 498 17 430 437 2 946 1 789 341 567 533 3 865 271 2 848 244 869 689 35 505 5,7 10,7 2,9 176,4 3,3 23,1 16,0 3,3 4,4 3,4 23,0 1,3 24,8 1,1 4,9 6,0 310,6 195 2 149 304 4 440 1 407 290 232 1 416 506 105 258 216 2 670 14 188 1,6 7,7 1,1 16,9 9,4 0,5 0,7 3,0 0,8 0,3 1,4 1,1 7,0 51,6 411 559 1 884 800 752 1 281 2 180 139 328 528 380 10 114 351 374 890 285 2 089 4 357 27 701 77 394 0,6 2,2 4,4 2,2 0,5 2,0 7,8 0,7 0,8 1,4 0,9 12,4 3,1 1,1 1,0 0,4 1,5 8,0 51,0 413,2 0,81% 0,73% 0,59% 1,01% 0,76% 0,78% 0,90% 0,98% 0,77% 0,65% 0,60% 0,48% 0,87% 0,45% 0,57% Unterversicherung von allge- Deckungslücke bei Naturmeinen Sachrisiken (Prämien) katastrophen (Schäden) % des BIP USD Mrd, % BIP USD Mrd, 0,97% 0,91% 0,93% 0,92% 0,81% 0,80% 0,80% 0,80% 0,80% 0,79% 0,80% 0,77% 0,76% 0,74% 0,74% 0,87% 0,15% 0,19% 0,34% 0,00% 0,05% 0,02% 0,00% 0,00% 0,03% 0,15% 0,20% 0,30% 0,00% 0,28% 0,17% 1,1 2,7 1,7 – 0,2 0,6 – – 0,2 0,8 7,8 0,8 – 0,7 1,5 0,06% 0,05% k. A. 0,18% 0,09% 0,03% 0,12% 0,02% k. A. 0,09% 0,06% k. A. 0,03% k. A. 0,10% 0,4 0,7 k. A. 30,9 0,4 0,8 2,1 0,1 k. A. 0,5 2,1 k. A. 0,8 k. A. 0,9 0,05% 18 0,12% 41 0,11% 0,23% 0,08% 0,63% k. A. 0,08% 0,10% k. A. 0,88% k. A. 0,49% 0,03% 0,2 4,9 0,2 27,9 k. A. 0,2 0,2 k. A. 4,5 k. A. 1,3 0,1 Konsum pro Kopf: USD 10 000 bis 25 000 Neuseeland Italien Israel Japan Spanien Hongkong Portugal Südkorea Taiwan Slowakei Chile Tschechische Rep. Sonstige Zwischensumme 24 532 24 386 22 148 21 179 19 740 19 291 18 245 15 074 14 496 11 773 11 634 10 891 43 374 35 825 38 904 34 915 30 156 40 023 22 049 28 377 22 558 19 197 14 502 20 535 0,81% 0,36% 0,36% 0,38% 0,67% 0,18% 0,32% 0,21% 0,15% 0,29% 0,53% 0,49% 0,72% 0,71% 0,67% 0,67% 0,62% 0,61% 0,59% 0,50% 0,49% 0,40% 0,41% 0,38% 0,36% 0,00% 0,35% 0,31% 0,28% 0,00% 0,43% 0,27% 0,29% 0,34% 0,11% 0,00% 0,00% 7,6 0,9 13,1 1,2 0,6 4,1 1,7 0,1 0,26% 36 0,45% 63 0,19% 0,00% 0,11% 0,07% 0,27% 0,17% 0,00% 0,00% 0,03% 0,07% 0,03% 0,13% 0,00% 0,00% 0,11% 0,07% 0,13% 0,8 0,9 0,2 2,6 k. A. 0,02% k. A. 0,42% k. A. 0,41% 0,04% k. A. k. A. 0,07% 0,16% 0,22% k. A. k. A. 0,28% 1,13% 0.08% k. A. 0,1 k. A. 3,4 k. A. 5,2 0,9 k. A. k. A. 0,4 0,6 22,7 k. A. k. A. 2,5 3,2 1,7 31 85 0,22% 0,20% 61 153 Konsum pro Kopf < USD 10 000 VAE Polen Russland Türkei Saudi-Arabien Mexiko Brasilien Ungarn Malaysia Argentinien Kolumbien China Südafrika Thailand Indonesien Philippinen Indien Sonstige Zwischensumme World 9 089 8 868 8 721 8 558 8 451 8 285 8 267 8 129 6 019 5 819 4 723 4 653 3 893 3 405 2 636 2 263 1 322 44 010 14 629 13 065 10 536 25 409 10 766 11 600 14 203 10 943 12 908 7 720 7 406 6 582 6 019 3 514 2 839 1 586 0,15% 0,40% 0,23% 0,27% 0,07% 0,16% 0,36% 0,50% 0,26% 0,26% 0,23% 0,12% 0,88% 0,30% 0,11% 0,15% 0,07% 0,35% 0,34% 0,34% 0,34% 0,34% 0,33% 0,36% 0,33% 0,29% 0,33% 0,26% 0,26% 0,24% 0,26% 0,22% 0,21% 0,20% 0,18% 0,11% 0,11% 2,1 0,6 2,0 2,2 0,0 0,1 0,4 0,1 13,6 Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 39 Anhang Tabelle 7: Beispiele von obligatorischen Naturkatastrophen-Versicherungsprogrammen Land Gedeckte Gefahren Gedeckter Schaden Gedeckte Sachwerte Programmbeschreibung Frankreich Naturgefahren ohne Stürme Sachschäden, Betriebsunterbrechungen Gewerbe- und Wohnimmobilien (einschliesslich Mobiliar) Naturkatastrophen-Versicherungsprogramm des staatlichen Rückversicherers CCR; versichert durch CCR, unlimitierte Staatsdeckung Island Naturgefahren ohne Stürme Direkte Sachschäden Gewerbe- und Wohnimmobilien Neuseeland Erdbeben und andere nicht wetterbedingte Risiken, Versicherung von Wohnland gegen Sturm- und Hochwasserschäden Naturgefahren ausser Frostschäden Direkte Sachschäden Wohnhäuser, Mobiliar und Wohnland Vidlagatrygging Islands (isländischer Katastrophenversicherungsfonds), in staatlichem Besitz und als Versicherungsgesellschaft geführt, rückversichert im privaten Rückversicherungsmarkt Die Earthquake Commission (EQC) versichert nur Wohnimmobilien; die EQC ist durch die internationale Rückversicherungsbranche und eine zusätzliche Staatsgarantie rückversichert Spanien Alle Naturgefahren und Terrorismus Sachschäden, Betriebsunterbrechungen, Personenschäden Schweiz Alle Naturgefahren ausser Erdbeben Sachschäden (direkt und indirekt) Gewerbe- und Wohnimmobilien (einschliesslich Mobiliar) Gewerbe- und Wohnimmobilien Türkei Erdbeben Sachschäden Wohnimmobilien Grossbritannien Überschwemmungen Sachschäden Wohnimmobilien Norwegen Gewerbe- und Wohnimmobilien (einschliesslich Mobiliar) Norwegischer Naturgefahrenpool (Norsk Naturskadepool), verwaltet durch den Versicherungsverband, keine Staatsgarantie, rückversichert im privaten Rückversicherungsmarkt Consorcio de Compensación de Seguros, unlimitierte Staatsgarantie Elementarschadenpool (Naturgefahrenpool), geführt vom Versicherungsverband für die private Versicherungsbranche; für staatliche Monopolversicherer besteht ein öffentlich-rechtlicher Rückversicherer Türkischer Katastrophenversicherungspool (TCIP); rückversichert im privaten Rückversicherungsmarkt Flood Re – ein gemeinnütziger Rückversicherungsfonds, der von der Versicherungsbranche gehalten und verwaltet wird; rückversichert im privaten Rückversicherungsmarkt Quelle: Swiss Re Economic Research & Consulting 40 Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 Neuere sigma-Publikationen 2015 Nr. 1 Gesundheit in Schwellenländern: Versicherungen können helfen Nr. 2Natur- und Man-made-Katastrophen 2014: Massive Schäden durch starke Konvektionsgewitter und Winterstürme Nr. 3Fusionen und Übernahmen im Versicherungswesen: Beginn einer neuen Welle ? Nr. 4 Globale Assekuranz 2014: Zum «Leben» erwacht Nr. 5 Unterversicherung von Sachrisiken: Die Deckungslücke schliessen 2014 Nr. 1 Natur- und Man-made Katastrophen 2013: Massive Schäden aus Überschwemmungen und Hagelstürmen; Haiyan verwüstet die Philippinen Nr. 2 Digitaler Vertrieb von Versicherungen: Eine stille Revolution Nr. 3 Globale Assekuranz 2013: Auf Erholungskurs Nr. 4Schadentrends in der Haftpflichtversicherung: Neue Risiken und Erholung der wirtschaftlichen Einflussfaktoren Nr. 5 Wie sieht die Pflege in Zukunft aus ? Die Suche nach nachhaltigen Pflegelösungen für eine alternde Welt 2013 2012 2011 2010 2009 Nr. 1 Partnerschaften für Ernährungssicherheit in Schwellenländern Nr. 2Natur- und Man-made-Katastrophen 2012: Ein Jahr der extremen Wetterereignisse in den USA Nr. 3 Assekuranz Global 2012: Auf dem langen, beschwerlichen Weg zur Erholung Nr. 4Navigation durch die Welt der Transportversicherungen und der Versicherung für Fluggesellschaften – Neueste Entwicklungen Nr. 5 Urbanisierung in Schwellenländern – Fluch und Segen für die Versicherer Nr. 6 Lebensversicherung – Fokussierung auf den Konsumenten Nr. 1 Profitabilität in der Lebensversicherung Nr. 2Natur- und Man-made-Katastrophen 2011: Rekordschäden durch Erdbeben und Überschwemmungen von historischem Ausmass Nr. 3 Assekuranz Global 2011: Nichtlebenversicherung im Aufwind Nr. 4 Zinsen als Herausforderung und Chance für die Assekuranz Nr. 5 Die Gewerbeversicherung – Ein Markt im stetigen Wandel Nr. 6Rechnungslegungsreform im Versicherungswesen: Ein halb volles oder ein halb leeres Glas? Nr. 1Natur- und Man-made-Katastrophen im Jahr 2010: Ein Jahr der verheerenden und teuren Ereignisse Nr. 2 Assekuranz Global 2010: Prämienvolumen steigt wieder, Kapitalisierung nimmt zu Nr. 3 Die Rolle des Staates im Versicherungsmarkt Nr. 4Produktinnovation in der Nichtlebenversicherung: Von kleinen und grossen Innovationen Nr. 5 Versicherung in den Emerging Markets: Wachstumsfaktoren und Profitabilität Nr. 1Natur- und Man-made-Katastrophen 2009: Katastrophen fordern weniger Menschenleben, Versicherungsschäden sind rückläufig Nr. 2 Assekuranz Global 2009: Leicht sinkende Prämien, aber gefestigte Kapitalbasis Nr. 3 Herausforderungen in der Versicherungsregulierung Nr. 4 Die Folgen der Inflation für die Versicherer Nr. 5 Anlagetätigkeit der Versicherer in einem schwierigen globalen Umfeld Nr. 6 Mikroversicherung – Risikoschutz für 4 Milliarden Menschen Nr. 1 Szenarioanalysen in der Versicherungswirtschaft Nr. 2Natur- und Man-made-Katastrophen 2008: Schwere Schäden in Nordamerika und Asien Nr. 3Assekuranz Global 2008: Sinkende Prämien in den Industrieländern, starkes Wachstum in den Schwellenländern Nr. 4 Die Rolle von Indizes beim Transfer von Versicherungsrisiken an die Kapitalmärkte Nr. 5Gewerbliche Haftpflichtversicherung: Herausforderung für Unternehmen und ihre Versicherer Swiss Re sigma Nr. 5 /2015 41 Herausgeberin: Swiss Re AG Economic Research & Consulting Postfach 8022 Zürich Schweiz Telefon Fax E-Mail +41 43 285 2551 +41 43 282 0075 [email protected] Büro Armonk: 175 King Street Armonk, NY 10504 Telefon © 2015 Swiss Re. Alle Rechte vorbehalten. Diese Ausgabe wurde am 5. August 2015 abgeschlossen. sigma ist in englischer (Originalsprache), deutscher, französischer, spanischer, chinesischer und japanischer Sprache erhältlich. sigma ist unter www.swissre.com/sigma verfügbar. +1 914 828 8000 Büro Hongkong: 18 Harbour Road, Wanchai Central Plaza, 61st Floor Hongkong, SAR Telefon Erkunden und visualisieren Sie sigma-Daten zu Naturkatastrophen und den Weltversicherungsmärkten unter www.sigma-explorer.com +852 25 82 5644 Die Internetversion kann geringfügig aktualisierte Informationen enthalten. Übersetzungen: Deutsch: Französisch: Spanisch: Diction AG ithaxa Communications SARL Traductores Asociados Valencia S.L. 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