Der Preis ist nur die halbe Wahrheit

Hotel&Nachrichten
Progros-Trendstudie „Einkauf in der Hotellerie 2012/2013“
Der Preis ist nur
die halbe Wahrheit
Preise sind nur dann vergleichbar, wenn auch das Produkt vergleichbar ist. Aber in einem Hotel geht viel über Individualität.
Strukturierte Einkäufe sind deshalb ein Weg, um im Dschungel
der Angebote das richtige Produkt zu einem fairen Preis zu finden. „Ist der Preis die ganze nackte Wahrheit?“, fragte auch
Progros-Chef Jochen Oehler bei Vorstellung der Trendstudie
„Einkauf in der Hotellerie“. Eine Veranstaltung der Einkaufsgesellschaft beleuchtet das Thema aus vielen Blickwinkeln.
I
ndividualität um jeden Preis – unter diesem Vorwand werden elementare Kosten
senkende Maßnahmen der Beschaffung
vernachlässigt. „Es finden viele individuelle
und unstrukturierte Einkäufe statt“, bemängelt
etwa Professor Christian Buer das Einkaufsverhalten speziell im Gastgewerbe. Unter seiner Leitung hat die Hochschule Heilbronn die aktuelle
Progros-Trendstudie „Einkauf in der Hotellerie“
durchgeführt. Diese liegt nun in der vierten
Auflage vor und wurde während der Veranstaltung Top Supply 2013 vorgestellt. Die Studie ist
nach Angaben des Auftraggebers die „einzige
umfangreiche Bestandsaufnahme des repräsentativen Einkaufsverhaltens in der Hotellerie“.
Buer bilanziert: „Wir waren erstaunt, wie wenig
systematisiert der Einkauf durchgeführt wird und
wie stark dieser auf den Preis reduziert wird“.
Der Studie liegen die Antworten von 73 Hotels
und Hotelketten zugrunde.
Einkauf und Materialverwaltung ist eine Arbeit,
deren Zeitaufwand in vielen Hotelbetrieben oft
unter schätzt wird.
10 Hotel&Technik 03-2013
Professor Christian Buer bei der Vorstellung der Progros-Trendstudie „Einkauf in der Hotellerie“: „Es finden viele individuelle
und unstrukturierte Einkäufe statt“.
In der Trendstudie „Einkauf in der Hotellerie
2012/2013“ kommen wichtige Erkenntnisse ins
Blickfeld. Vor allem, dass immer noch häufig
planlos eingekauft wird. Einkäufe der Abteilungen werden nicht abgesprochen, Spontankäufe
sind an der Tagesordnung, Rechnungsprüfung
eher die Ausnahme als die Regel. So wird von
einer Hausdame eines Berliner Hotels berichtet,
die ein jährliches Einkaufsvolumen von 500.000
Euro verantwortet, ohne dass sie jemals eine
Schulung gehabt hätte. Ihr stehen dann Verkäufer gegenüber, die jährlich mehrere Tage lang
fortgebildet werden, damit sie dem Käufer auch
ja das richtige Gefühl zu geben, den heißesten Einkaufs-Deal getätigt zu haben. ProgrosGeschäftsführer Jochen Oehler: „Es geht nicht
darum, Verkäufer niederzubügeln. Aber es geht
um Chancengleichheit, es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe.“
Planloser Einkauf
Individualisierung und ein unvergleichbares Angebot ist ein hehres Ziel im Hotelbereich. Doch
häufig klappt es nicht so recht, relevante Bereiche von jenen zu trennen, die für diese Alleinstellung nun wirklich nicht wichtig ist. Wer sich mit
Müllsäcken und Fensterreiniger differenzieren
will, macht offensichtlich einen Fehler. In der Hotellerie sind 80 Prozent wiederkehrende Produkte. „Die sind planbar und super geeignet für Ausschreibungen. Das sorgt für einen umfassenden
Marktüberblick und für messbare und vergleichbare Daten. Einzelproduktvergleich bringt in der
Regel nichts, da fallen viele immer wieder drauf
rein, das bringt am Ende des Tags nur Chaos“,
sagt der Progros-Chef, der mit seiner Einkaufs-
gesellschaft 700 Hotels und Hotelketten betreut.
Das Einkaufsvolumen lag 2012 bei 150 Millionen
Euro. „Prozesskosten steigen bei jedem neuen
Lieferanten. Treu sein lohnt sich, fremd gehen
nicht“, verrät Oehler. Progros hat mit dieser Methode gut gewirtschaftet und schüttet in diesem
Jahr einen Rekord-Bonus an Hotels aus, die von
dem Eschborner Unternehmen im Einkauf betreut werden. Insgesamt erhalten die Hotels aus
dem Jahr 2012 eine Rückvergütung auf getätigte
Einkaufsumsätze von 1,6 Millionen Euro.
Prozesskosten beachten
Einkaufen kostet Zeit! Jochen Oehler erinnerte
daran besonders in einer Zeit, in der Mitarbeiter schwieriger zu rekrutieren sind. Mitarbeiter
können wirkungsvoller dort eingesetzt werden,
wo sie direkt dem Gast dienen. Ein zentralisierter Einkauf spare nicht nur Geld, sondern auch
Arbeitskräfte ein, vor allem, wenn er strukturiert
vonstatten gehe. Die so genannten Prozesskosten übersteigen dabei den Warenwert häufig.
Die Zukunft liegt deshalb nach den Worten von
Professor Buer auch einer systematisierten Prozessanalye. Das bedeutet, dass eine Vollkostenerfassung aller Einflussfaktoren stattfindet. Eine
vor zwei Jahren von der Hochschule Heilbronn
durchgeführte Primärerhebung in einem FünfSterne-Hotel hatte ergeben, dass ein einziger
Einkaufsprozess pro Bestellung im Bereich Speisen und Getränke 39 Euro kostet. Der Wert je
Bestellung lag bei dieser Untersuchung bei 303
Euro. Der Vergleich mit einer Branche, die sich
in Sachen Einkauf wesentlich besser aufgestellt
hat, ergibt folgendes Bild: In der Maschinenbauindustrie kostet ein Einkaufsprozess durch-
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schnittlich zwar 110 Euro, dabei werden aber
im Schnitt Einkaufsvolumen in Höhe von rund
120.000 Euro ausgelöst.
E-Procurement kommt
„Da liegt das Einsparpotenzial!“, sagt Buer. Unabhängig von der Studie ist Buer davon überzeugt, dass neben dem Bewusstseinswandel die
zunehmende Technologisierung der Bestellung
im Bereich eines E-Procurements „alle in unserer
Trendstudie ermittelten Defizite von Rechnungskontrolle, Einkaufsverhandlungen und Warenwirtschaftsoptimierungen in den kommenden
Jahren kompensiert werden.“ E-Procurement
(elektronische Beschaffung) sei nicht nur ein
Bestellprozess. Die heute noch manuell standardisierten Bestell- und Ablaufprozesse werden automatisiert, sodass sich der Einkäufer auf
die Kerntätigkeit der Prozessoptimierung über
Preis, Verfügbarkeit gemäß der Nachfrage im
Hotel konzentrieren sowie gemeinsam mit dem
Bedarfsträger die Qualität bestimmen könne.
Es gibt Luft nach oben
Buer rät auch dringend zur Trennung zwischen
Bedarfsträger und Einkäufer. Warum? Ein guter
Koch muss noch lange kein gute Einkäufer sein.
Nicht nur deshalb gebe es immer noch Luft nach
oben. 25 Prozent der Befragten, so das Ergebnis
der Progros-Studie, schauen ihre Rechnung erst
gar nicht an. Zwei Drittel machen keine Ausschreibung, 38 Prozent messen ihren Einkaufserfolg nicht. Und von den 38 Prozent, die den
Einkaufserfolg messen, kennt nur die Hälfte den
Grund dafür, warum sie so erfolgreich einkaufen.
Die Studie habe bestätigt, dass zu viele individuelle und unstrukturierte Einkäufe stattfinden,
sagte Professor Buer. Gerne werde über Wein
und Champagner philosophiert und nicht über
die Potenziale zur Einsparung, die nicht ausschließlich im Einkaufspreis begründet seien.
„Wir waren erstaunt, wie wenig systematisiert
der Einkauf durchgeführt wird und wie stark dieser auf den Preis reduziert wird.“
Lieferkette kostet Geld
Nicht nur die Preise sind demnach wichtig, sondern auch andere Parameter wie die Qualität.
Darüber sprach während der Progros-Veranstaltung Top Supply Christian Helms, CEO der Rungis
Express AG. Bei seinem Unternehmen geht es
um Frischware, die besonderen Anforderungen
entsprechend muss. Er sprach über Lieferketten
(Supply Chains) und darüber, dass besseres
Supply-Chain-Management verhindern könnte,
Information aus
erster Hand: ProgrosGeschäftsführer
Jochen Oehler (rechts)
und Frank Pahlke
(Direktor Kundenservice).
dass 30 Prozent der Lebensmittel nicht verzehrt,
sondern vernichtet werden müssen. „Wenn Supply Chain funktionieren würde, könnten wir 900
Millionen unterernährten Menschen ernähren.“
Oder anders ausgedrückt: Verderbliche Güter
sind unnötig teuer.
Und auch Helms blickte über den Tellerrand und
konstatierte, dass etwa in der Automobilindustrie die Herkunft jeder Schraube dokumentiert
sei. Im Gastgewerbe aber haben die Einkäufer
oft keine Ahnung. Sie wissen nicht, woher die
Ware kommt und welche Kosten in der Liefer-
i
kette entstehen. Nur so sei es möglich, dass sich
beispielsweise verdorbenes oder Pferdefleisch
in die Nahrungsmittelkette mogeln könne. Acht
Prozent einer Kartoffel kriegt der Bauer, den
Rest verschlingt die Lieferkette. Und eine Rose
kann mal bis zum Abend halten, mal zehn Tage. Dies habe aber nichts mit der Intelligenz des
Einkäufers zu tun, sondern mit einer funktionierenden Lieferkette. Und so gibt Christian Helms
in seinem Fazit die nicht mehr überraschende
Antwort: „Der Preis ist nur die halbe Wahrheit.“
Arnulf Hettrich
Zehn Kernaussagen aus der Progros-Trendstudie
„Einkauf in der Hotellerie 2012 / 2013“
Von den Gesamtkosten eines Hotels
25 Prozent der Hotels führen keine
entfallen 29 Prozent auf direkte
Einkaufskosten.
27 Prozent der Lieferanten eines Hotels
decken 80 Prozent des Einkaufsvolumens
ab; 53 Prozent des Einkaufsvolumens
werden über fünf Lieferanten abgewickelt.
Jede einkaufsverantwortliche Abteilung
in einem Hotel führt pro Monat zehn
Lieferantengespräche, von denen 28
Prozent in Protokollen schriftlich festgehalten werden; einen weiterführenden,
kontinuierlichen, systematisierenden
Einkaufsprozess führen lediglich zwölf
Prozent durch. Gängigste Hilfsmittel im
Einkauf sind preislich fixierte Lieferantenverträge, wogegen Warenwirtschaften,
feste Lieferzeiten oder E-Procurement
noch geringere Bedeutung haben.
84 Prozent der Hotels haben dezentrale
Einkaufsstrukturen; bei Hotelketten und
-kooperationen verfügen 44 Prozent
über zentrale Einkaufsstrukturen; eine
Trennung von Bedarfsträger und Einkauf
findet daher nicht oder wenig statt.
43 Prozent der Hotels bieten Weiterbildungsmaßnahmen im Einkauf an
(Vorgängerstudie zehn Prozent).
Zwei Drittel der Hotels haben keine
Einkaufsrichtlinien und führen keine
Ausschreibungen durch.
Rechnungskontrollen durch; 40 Prozent
kennen ihren Einkaufserfolg nicht, weil
sie ihn nicht messen.
Elektronik kommt – Bestellungen per
E-Mail wachsen. Erstmalig löst die
Bestellung per E-Mail das beliebte
Medium Telefon ab. Das Potenzial für
E-Procurement ist erkannt und wird im
Fokus der in den nächsten Jahren zu
optimierenden Einkaufsprozesse sein.
Einkauf ist Aufgabe im Top-Management: Für 87 Prozent aller Betriebe ist
der Einkauf im Top-Management verankert. 2010 sahen lediglich 67 Prozent
der Hoteliers den Einkauf als Aufgabe
des Top-Managements an.
Kostensenkung und Qualitätssteigerung
sind die beiden wichtigsten Kriterien
für Hotels in Zukunft. Zunehmend gewinnen die nachhaltige Beschaffung von
Produkten und Dienstleistungen sowie
die Konzentration von Lieferanten an
Bedeutung. Alle vier Kriterien dürften
für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit
entscheidend sein werden.
Quelle: Progros-Trendstudie
„Einkauf in der Hotellerie 2012/2013“
Hotel&Technik 03-2013 11