Geldpolitik: Das verständliche Zögern der Fed

Geldpolitik:
Das verständliche Zögern der Fed
Düsseldorf, 25. September 2015
Dr. Norbert Häring
Nach fast sieben Jahren Nullzinspolitik hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) auch am vergangenen Donnerstag
entschieden, die schon länger in Aussicht gestellte Zinswende erneut zu verschieben. Das Votum des geldpolitischen
Ausschusses fiel überraschend deutlich aus. Nur Jeffrey Lacker, Chef der Fed Richmond, stimmte für eine
Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte - alle anderen Mitglieder votierten für die Verschiebung der Zinswende. FedChefin Janet Yellen begründete das Zögern mit den Risiken durch die Probleme Chinas und mit der voraussichtlich
noch länger niedrigen Inflation.
Sowohl die Inflation als auch der Arbeitsmarkt in den USA entwickeln sich äußerst ungewöhnlich. Warum das so ist,
erschließt sich erst auf einen tieferen Blick.
Je nachdem, auf welche Art der Inflationsberechnung man schaut, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Zwar war die
Inflationsrate mit 0,2 Prozent im August sehr niedrig. Das liegt aber vor allem an den gesunkenen Energiepreisen. Diese
sind kein Problem für die Wirtschaft und haben weder etwas mit der Geldpolitik zu tun, noch sind sie von dieser
beeinflussbar.
Wenn man auf die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel
schaut - eine Größe, die Notenbanken besonders betonen - dann ist schwerer zu verstehen, warum die Federal Reserve
die Zinswende hinauszögert. Mit 1,8 Prozent liegt dieses Inflationsmaß voll im normalen Bereich.
Auch ein Blick auf die Arbeitslosenquote liefert keine gute Erklärung für das lange Zögern. Diese hat sich seit dem
Höhepunkt der Krise vor fünf Jahren auf wenig über fünf Prozent fast halbiert.
Jakob Fiedler, Volkswirt bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank findet die Erklärung eine Ebene tiefer in den
Statistiken. Das betrifft sowohl die Inflationsentwicklung als auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit.
Fiedler rechnete aus, was die Preise wirklich treibt - und kam zu einem erstaunlichen Befund, der nichts mit höheren
Preisen für Güter und Dienstleistungen zu tun hat. Dieser Preistreiber sind die Mieten und die unterstellten
hypothetischen Kosten für selbst genutztes Wohneigentum. Sie steigen derzeit mit gut drei Prozent pro Jahr. Rechnet
man sie heraus, so wird aus einer zuletzt gemeldeten Kerninflationsrate von 1,8 Prozent eine von nur noch 0,9 Prozent.
Das bedeutet, „die Preise von Gütern und Diensten, die noch produziert werden müssen, steigen mit weniger als einem
Prozent pro Jahr", sagt Fiedler. Gleichzeitig stiegen aber die Preise der Nutzung schon vorhandener Kapitalgüter in
Wohnungsform mit drei Prozent pro Jahr. Auch der Ökonom der Deutschen Bank, Darren Gibbs, betont in einer
Datenanalyse: „Die Kosten des Wohnens sind der Haupttreiber der Inflation."
Dass die Mieten und mit ihnen die unterstellten Kosten der Eigennutzung steigen, liegt daran, dass das billige Geld, das
die Notenbank in die Finanzmärkte pumpt, Vermögenspreise antreibt, also neben den Kursen von Aktien und Anleihen
auch die Immobilienpreise. Im Landesdurchschnitt steigen die Immobilienpreise mit rund sieben Prozent pro Jahr, in
Metropolregionen oft deutlich stärker.
Aber warum steigen die Löhne und damit die Kosten und Preise für Güter und Dienste nicht stärker, wenn die
Arbeitslosigkeit so stark sinkt und auf einem recht niedrigen Niveau angelangt ist?
Fiedler sieht einen großen Teil der Antwort im Vergleich der Entwicklung der Arbeitslosenquote und der
Beschäftigung. Während die Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren um knapp fünf Prozentpunkte gefallen ist, stieg
die Beschäftigungsquote derer im besten Erwerbsfähigenalter von 25 bis 54 Jahre nur um zwei Prozentpunkte auf gut
77 Prozent. Als die Arbeitslosenquote die letzten Male 2008, 2005 und 2001 wie derzeit bei 5,1 Prozent gelegen hatte,
war die Beschäftigungsquote in diesem Kern-Altersbereich mit jeweils rund 80 Prozent um fast drei Prozentpunkte
höher als derzeit. „In den letzten 30 Jahren sind Beschäftigungsentwicklung und Entwicklung der Arbeitslosigkeit nie
so stark auseinandergelaufen wie derzeit", sagt Fiedler. Er schließt daraus, dass viele der Arbeitslosen einfach die
Jobsuche aufgegeben haben, weil sie keine Hoffnung mehr haben, einen auskömmlich bezahlten Arbeitsplatz zu finden.
Druck auf die Lohnkosten gab es jedenfalls in den letzten fünf Jahren nicht. Inflationsbereinigt sind die
Durchschnittlöhne kaum gestiegen und entwickelten sich damit schwächer als der ebenfalls geringe Anstieg der
Produktion je Beschäftigten.
In der volkswirtschaftlichen Forschungsabteilung der US-Notenbank scheint die Kunde vom Immobilienmarkt als
Inflationstreiber erstaunlicherweise noch nicht angekommen zu sein - oder man spricht nicht darüber. So ist in einem im
Mai von der Notenbank veröffentlichten Arbeitspapier „The Passthrough of Labor Costs to Price Inflation", für das
Jeremy B. Rudd mitverantwortlich zeichnet, kein Wort von der Wohnkomponente in den Verbraucherpreisen zu lesen.
Dabei wären sie offenkundig geeignet, die gelockerte Verbindung von Lohnentwicklung und Inflationsentwicklung zu
erklären, über die die Autoren rätseln. Rudd ist Berater der Notenbank und war schon stellvertretender Staatssekretär im
Finanzministerium. Eine E-Mail-Anfrage des Handelsblatts beantwortete Rudd nicht.
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Immerhin hat die Federal Reserve Bank of St. Louis Anfang September in einem Blogbeitrag darauf hingewiesen, dass
die Wohnkosten im Gegensatz zu den Preisen der meisten übrigen Bestandteile des Warenkorbs kräftig steigen,
allerdings ohne Hinweis auf die große Bedeutung, die das für die Entwicklung der gesamten Inflationsrate hat.
Immerhin machen die Wohnkosten fast ein Drittel des Indexes aus.
Fasst man die Informationen von Arbeitsmarkt und Inflationsrate zusammen, so ergibt sich das Bild einer schwachen
Lohnentwicklung, einer gewachsenen stillen Reserve unterbeschäftigter oder nicht-beschäftigter Arbeitnehmer und
einer sehr schwachen Inflationsentwicklung.
Unter diesem Blickwinkel ist das lange Zögern der Notenbank bei der Abkehr von der Nullzinspolitik gleich viel
verständlicher.
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