Demographische Alterung und deren Auswirkungen

Demographische Alterung und deren Auswirkungen auf
die Gesundheitskosten
1. Problematik der demographischen Alterung
Die Schweiz ist wie die meisten modernen Industrie- und Dienstleistungsstaaten geprägt von
stagnierenden oder nur schwach wachsenden Bevölkerungszahlen. Dies führt zu einer verstärkten
demographischen Alterung.
Das Wachstum der Bevölkerung ist abhängig vom Geburtenüberschuss (Geburten minus Todesfälle), von der steigenden Lebenserwartung und vom Wanderungssaldo (Einwanderung minus
Auswanderung).
1.1 Geburtenüberschuss
Die Problematik der Überalterung ist mit dem eingetretenen Geburtenrückgang der 70er Jahre
(Starker Geburtenrückgang ab 1964 wegen Pillenknick) in Verbindung zu setzen. Die Zahl der Geburten hat sich halbiert und somit auch die Zahl der späteren Eltern. Diese müssten nun im Durchschnitt doppelt so viele Kinder zeugen, um dieses Defizit wieder auszugleichen. Der Trend für die
Zukunft (Grafik 1) zeigt aber Gegenteiliges: Kleinere Familien, mehr kinderlose Paare, mehr Einund Zweipersonenhaushalte und mehr Alleinstehende.
1.2 Steigende Lebenserwartung
Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang der alternden Bevölkerungsstruktur nicht vergessen
werden darf, ist die steigende Lebenserwartung.
Ein Vergleich der Jahre 1900 und 2000 illustrieren den Alterungsprozess der Bevölkerung (Grafik
2): Starker Anstieg der Alten (64 Jahre +) von 5,8% auf 15,4% und der Hochbetagten (80 Jahre +)
von 0,5% auf 4,0%. Der Anteil der Jungen (unter 15 Jahren) sank von 31,0% auf 17,3%. Begründung vergleiche Kapitel 1.1.
Dem. Alterungsprozess und seine Folgen_03-10-15_MFe_def.doc
1
Grafik 1: Die demografische Alterung wird sich fortsetzen
Quelle: BFS
Grafik 2: Weniger Junge, mehr Alte
Dem. Alterungsprozess und seine Folgen_03-10-15_MFe_def.doc
2
1.3 Wanderungssaldo
Der Einwanderungsüberschuss beeinflusst nicht nur das Bevölkerungswachstum, sondern wirkt
sich auch auf die demographische Alterung aus.
Dies ist auf folgende drei Gründe zurückzuführen: Erstens bringen Ausländerinnen mehr Kinder
zur Welt. Zweitens ist ein grosser Teil der Ausländer bei uns im fortpflanzungsfähigen Alter. Und
Drittens verbringen sie ihren Lebensabend oft im Heimatland. Daraus können wir schliessen, dass
der Durchschnittsausländer jünger als der Durchschnittsschweizer ist.
Seit Mitte der 90er Jahre wächst die schweizerische Bevölkerung fast nur noch durch Einbürgerungen.
2. Folgen der demographischen Alterung
2.1 Beiträge versus Leistungen
Die Kosten in der Grundversicherung steigen mit zunehmendem Alter der versicherten Person
(Grafik 3), wobei Frauen in ihrem Leben im Vergleich zu den Männern meist höhere Gesundheitskosten verursachen. Gründe dafür sind Schwangerschaft, höhere Lebenserwartung, etc.
Im Abschnitt von 65 bis 77 Jahren aber gibt es eine Wende. Die Kosten der Männer übersteigen
die der Frauen. Dies ist auf das höhere Herzinfarktrisiko der Männer und seine Folgen zurückzuführen.
Grafik 3: Kosten in der Grundversicherung gemäss Risikoausgleich
Kosten in der Grundversicherung 2001 gemäss Risikoausgleichsstatistik
16000
14000
Kosten Frauen
12000
Kosten Männer
Kosten pro Kopf
10000
8000
6000
4000
2000
0
0-18
19-25
26-30
31-35
36-40
41-45
46-50
51-55
56-60
61-65
66-70
71-75
76-80
81-85
86-90
91+
Alter
Quelle: Risikoausgleich
Dem. Alterungsprozess und seine Folgen_03-10-15_MFe_def.doc
3
Parallel zu den Kosten müssen somit mit zunehmendem Alter der versicherten Person die Leistungen der Krankenversicherer steigen. Markant ist dieser Anstieg insbesondere ab einem Alter
von 60 Jahren. Die Prämien hingegen bleiben über das Alter (fast) konstant (Grafik 4).
Diese Kosten-Beitragsrelation in den verschiedenen Lebensabschnitten zeigt zudem, wie die Jungen (Erwerbstätigen) die Alten solidarisch finanzieren. Beispiel: Ein(e) 91 Jährige(r) zahlt durchschnittlich 3‘012 Franken Prämien, die Leistungen seitens der Krankenversicherer betragen 13‘735
Franken. Ein(e) 30 Jährige(r) zahlt durchschnittlich 2'353 Franken Prämie, die Leistungen seitens
der Krankenversicherer betragen 1'215 Franken. Im Lebensabschnitt von 18 bis 60 Jahren sind die
Prämien also höher als die Leistungen. Ab 60 Jahren ändert sich dieses Verhältnis. Die Leistungen übersteigen die Prämien.
Wenn nun aber die Lebenserwartung weiter wächst wie bisher und dazu die Geburtenhäufigkeit
abnimmt, wird unser System der sozialen Sicherheit, welches in vielen Bereichen mittels Umlageverfahren finanziert wird, aufgrund der sich abzeichnenden Finanzierungslücke zusammenbrechen
(betroffen sind auch die Bereiche AHV, IV, etc., auf welche hier aber nicht näher eingegangen
wird).
Grafik 4: Beiträge (Prämien) im Vergleich zu den Leistungen
Beiträge (Prämien) im Vergleich zu den Leistungen
35000
30000
Beiträge (Prämien)
Leistungen
25000
20000
15000
10000
5000
0
5
0-
10
6-
5
-1
11
8
-1
16
0
-2
19
5
-2
21
0
-3
26
5
-3
31
0
-4
36
5
-4
41
0
-5
46
5
-5
51
0
-6
56
Alter
Dem. Alterungsprozess und seine Folgen_03-10-15_MFe_def.doc
5
-6
61
0
-7
66
5
-7
71
0
-8
76
5
-8
81
0
-9
86
0
5
5
00
-9
11
10
-1
6191
96
10
10
Quelle: santésuisse Datenpool
4
2.2 Pflege
Die massive Überalterung betrifft vor allem die Kosten der Pflege. Unter Pflegekosten fallen die
Kategorien Spitex und Pflegeheim.
Versicherte unter 65 Jahren verursachen im Vergleich zu den allgemeinen Krankenkosten unbedeutend wenig Pflegekosten. Ab 66 Jahren steigen die Pflegekosten leicht an und ab 76 Jahren ist
ein starker Anstieg der Pflegekosten zu verzeichnen, d.h. die Leistungen seitens der Krankenversicherer für Pflege steigen um mehr als das Doppelte an.
In der Altersgruppe 86+ machen die Pflegekosten in den Altersklassen etwa die Hälfte der Kosten
aus.
Unterschiede zwischen Mann und Frau (Grafik 5 und 6) sind mit folgenden Gründen behaftet:
Frauen haben höhere Lebenserwartungen als Männer, deshalb verursachen sie im Alter höhere
Pflegekosten. Ein weiterer Grund für die höheren Pflegekosten der Frauen ist, dass Frauen ihre
Männer oftmals zu Hause pflegen (senkt die verursachten Kosten der Männer), was umgekehrt
selten der Fall ist.
Grafik 5: Pflegekosten der Männer im Jahre 2000
Pflege
Bruttoleistungen pro versicherten Mann 2000
18000
Fr. pro Jahr
16000
Spitex Schweiz
Pflegeheim Schweiz
Übrige Leistungen Schweiz
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
91-95 J.
86-90 J.
81-85 J.
76-80 J.
71-75 J.
66-70 J.
61-65 J.
56-60 J.
51-55 J.
46-50 J.
41-45 J.
36-40 J.
31-35 J.
26-30 J.
21-25 J.
19-20 J.
16-18 J.
11-15 J.
06-10 J.
00-05 J.
0
Quelle: santésuisse Datenpool
Dem. Alterungsprozess und seine Folgen_03-10-15_MFe_def.doc
5
Grafik 6: Pflegekosten der Frauen im Jahre 2000
Pflege
Bruttoleistungen pro versicherte Frau 2000
18000
Fr. pro Jahr
16000
Spitex Schweiz
Pflegeheim Schweiz
Übrige Leistungen Schweiz
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
91-95 J.
86-90 J.
81-85 J.
76-80 J.
71-75 J.
66-70 J.
61-65 J.
56-60 J.
51-55 J.
46-50 J.
41-45 J.
36-40 J.
31-35 J.
26-30 J.
21-25 J.
19-20 J.
16-18 J.
11-15 J.
06-10 J.
00-05 J.
0
Quelle: santésuisse Datenpool
3. Schlussfolgerung
Fact ist, dass die Menschen aus diversen Gründen immer älter werden und mit zunehmendem Alter immer mehr Kosten verursachen. Diese Tatsache können auch die Krankenversicherer nicht
ändern. Einsetzen können wir uns hingegen dafür, dass die zum Teil ungenügenden Rahmenbedingungen geändert werden.
Im Bereich der Pflegefinanzierung setzen sich die Krankenversicherer dafür ein, dass ihnen (und
schliesslich auch den Versicherten) nicht die vollen Pflegekosten, sondern nur ein Kostenanteil
aufgebürdet wird. Die Neuregelung der Pflegekosten soll auf der Basis von Beiträgen im KVG
vorgenommen werden. Diese sollen:
1. unabhängig vom Ort der Leistungserstellung und unabhängig von der Dauer der Pflegebedürftigkeit sowohl für Spitex als auch für Pflegeheime zur Anwendung gelangen,
2. in SFr. und nicht als %-Sätze festgelegt werden und differenziert nach Pflegebedarfsstufen
ausgestaltet werden,
3. insgesamt im Ausmass der heutigen Finanzierung festgelegt werden.
Die Krankenversicherer sind überzeugt, dass mit einer solchen Lösung auch die leidige Diskussion
um anrechenbare und nicht anrechenbare Kosten, sowie die zahlreichen Rechtsunsicherheiten in
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Bezug auf unklare Begriffsdefinitionen grösstenteils entfallen werden. Ausserdem könnte mit einer
Beitragslösung sichergestellt werden, dass auch der Staat und die Versicherten selber zur Verantwortung gezogen werden.
Zur Erhöhung der Geburtenrate müssen bessere Rahmenbedingungen für junge Familien und erwerbstätige Mütter (Mutterschaftsversicherung, mehr Krippenplätze, etc.) geschaffen werden. Die
Politiker werden auch hier gefordert sein, die nötigen Massnahmen einzuleiten.
Reine Solidarität mittels Umlageverfahren kann aus ethischer Sicht als gerecht empfunden werden. Gerechtigkeit bedeutet aber nicht immer Effizienz. Umso wichtiger ist es, in solchen Situationen nach effizienten Lösungen zu suchen.
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