Privatrecht I Musterlösung FS13

Rechtswissenschaftliches Institut, Lehrstuhl Ernst
Musterlösung Privatrecht I (Prüfung FS 13)
Vorbemerkungen
–
Vergabe eines Punktes = 1
–
Vergabe eines Zusatzpunktes = 1 ZP
–
Maximalpunktzahl = 102 + 9 ZP
–
Sachgleiche Ausführungen wurden nur einmal bewertet und bei folgendem Auftreten mit „siehe oben“ (s.o) gekennzeichnet.
Aufgabe I
a) A fragt den B: „Versprichst Du mir den Mond?“ B: „Ich verspreche es.“
Die Stipulation hat i.c. eine unmögliche Leistung zum Gegenstand und ist deshalb unwirksam.
1
b) A fragt den B: „Versprichst Du, dass mir 100 geleistet werden?“ B hört ein Kind
schreien und geht nachsehen, ob etwas passiert ist. Später lässt B durch einen Sklaven
einen Zettel zu A bringen, auf den er (B) geschrieben hat: „Ich verspreche es.“
Der Abschluss der Stipulation scheitert vorliegend aus zwei Gründen:
–
einerseits wurde die Antwort nicht unmittelbar abgegeben; und
1
–
andererseits erfolgte die Stipulation i.c. nicht in mündlicher Form.
1
Auch ein weiterer Verpflichtungsgrund ist nicht verwirklicht.
c) A fragt B: „Versprichst Du dem C, dass ihm (C) 100 geleistet werden?“ B: „Ich verspreche es.“
Es handelt sich um den Versuch, das Versprechen für eine dritte Person abzunehmen.
1
Dies war nach römischem Recht nicht möglich.
d) A fragt den B: „ Versprichst Du, dass mir 100 geleistet werden?“ B: „Ich kann 75 fest
versprechen.“
Die Antwort entspricht nicht der Frage; insofern scheint eine Stipulation ausgeschlossen.
Eine Stipulation über 100 ist sicher nicht zustande gekommen; hierfür fehlt ein übereinstimmendes Frage/Antwort-Paar.
1
Die Spätklassische Jurisprudenz lässt die Stipulation über 75 hingegen gelten, weil der
niedrigere Betrag im geringeren enthalten ist.
0.5
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e) A fragt den B: „Versprichst Du, dass mir 100 geleistet werden?“ B: „Von mir aus
sogar 150.“
Die Antwort entspricht auch hier nicht der Frage; insofern scheint eine Stipulation nicht
abgeschlossen. Eine Stipulation über 150 ist sicher nicht zustande gekommen; hierfür
fehlt ein übereinstimmendes Frage/Antwort-Paar und auch eine Antwort, die sich auf
ein „Spondeo“ beschränkt.
1
Die spätklassische Jurisprudenz lässt die Stipulation über 100 gelten; die Entscheidung ist
problematischer als in Aufgabe I Frage d).
0.5
f) A fragt den B: „Versprichst du, dass mir 100 geleistet werden, wenn sich das von Dir
gekaufte Pferd als krank herausstellt?“ B: „Ich verspreche es.“
Es handelt sich um eine bedingte Stipulation, genauer um ein unselbstständiges Strafversprechen. Die Stipulationsform wird vorliegend eingehalten. Die Verpflichtung ist davon
abhängig, dass sich das gekaufte Pferd als krank herausstellt.
2
g) A sagt zu B: „Ich verspreche Dir meine Kuh, wenn Du mir dafür Dein Schaf gibst.“
Eine Stipulation ist vorliegend nicht zustande gekommen. Die Äusserung des A ist nicht
die Anfrage eines Leistungsversprechens. Vielmehr verspricht A selbst etwas. Die Leistung des Schafs ist nicht in gehöriger Form angefragt. Insgesamt ergibt sich keine Stipulation und keine auf Stipulation gegründete Leistungspflicht.
Insgesamt
max. 5
Ein blosser Tauschkonsens vermochte gem. der ganz h.M. der römischen Juristen weiter
auch keine Verpflichtung zu erzeugen (Mindermeinung behandelte ihn als Kauf, danach
verpflichtend).
Vorliegend ist jedoch an eine Verpflichtung aus Innominatrealkontrakt (do ut des) zu
denken. Eine diesbezügliche Vereinbarung liegt an sich vor. Eine Verpflichtung entsteht
indessen erst, wenn entweder A seine Kuh oder B sein Schaf leistet. Wenn dies der Fall
ist, kann bei Ausbleiben der „Gegenleistung“, entweder auf Rückgewähr des Hingegebenen oder auf Wert der nicht erbrachten Gegenleistung geklagt werden.
h) A fragt den B: „Versprichst Du, dass mir die 100 geleistet werden, die mir C versprochen hat?“ B: „Ich verspreche es.“
Die Stipulation ist gültig. Es handelt sich um eine Bürgschaftsstipulation. B wird zum
Solidarschuldner neben C.
2
Total I:
16 Punkte
Aufgabe II, Frage a)
aa) Sachverhaltskonstellation, bei welcher G mittels Pfandverwertung 1'500 erzielt.
Anspruch des S gegen den G auf Auszahlung von 500 als superfluum gestützt auf die
actio pigneraticia (directa)
2
S könnte gegen G einen Anspruch auf Anzahlung des superfluum (i.c. 500) mittels der
actio pigneraticia (directa) geltend machen. Für einen solchen Anspruch müssen folgende
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Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Zunächst muss es zum Abschluss eines Pfandvertrages gekommen sein. Als Realkontrakt setzt die Entstehung des Pfandrechts neben Eigentum des Verpfänders an
der Pfandsache einen Konsens und Übergabe der Sache an den Pfandgläubiger
sowie eine zu sichernde Forderung (Akzessorietät) voraus. Diese Voraussetzung
sind i.c. allesamt erfüllt.
2
–
Ein Anspruch auf Herausgabe der 500 als superfluum gestützt auf die actio pigneraticia (directa) setzt weiter voraus, dass es zu einer Versteigerung der Pfandsache
gekommen ist. Diese Voraussetzung ist i.c. ebenfalls erfüllt.
1
–
Schliesslich muss die Pfandverwertung einen Überschuss über den Schuldbetrag
erzielt haben. I.c. erzielt G aus der Pfandverwertung 1'500. Die gesicherte Forderung (i.c. Darlehensforderung) entspricht hingegen nur 1'000, womit ein superfluum von 500 erzielt wird.
1
Fazit: S kann vom G gestützt auf die actio pigneraticia (directa) 500 als superfluum herausverlangen.
1
Anspruch des S gegen den G auf Rückzahlung der gezahlten 1'000 aufgrund der condictio indebiti
1
S könnte gegen G einen Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten 1'000 aufgrund einer
condictio indebiti haben. Die condictio indebiti ist die Klage auf Rückforderung einer
irrtümlich erbrachten, nicht geschuldeten Leistung. Für die Geltendmachung einer condictio indebiti müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Eine datio (Eigentumsübertragung): Durch die Vermischung der Münzen in G’s
Geldkasse erlangt G i.c. Eigentum an den Münzen.
2
–
Eine Leistungserbringung sine causa: Bevor der Sklave des S zahlte, hatte G bereits das Pfand verwertet. Der vereinnahmte Erlös wird (automatisch) mit der
Schuld des S verrechnet, womit im Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den
Sklaven des S kein Schuldgrund mehr bestand.
2
–
Einen Irrtum über das Bestehen des Schuldgrundes: Beim Zahlungsvorgang war
dem S (sowie seinem Sklaven) nicht bekannt, dass die Schuld bereits getilgt war.
1
Fazit: S kann gestützt auf die condictio indebiti die gezahlten 1000 von G herausverlangen.
1
Anspruch des S gegen den G auf Bezahlung des zweifachen, bzw. vierfachen Sachwertes des vom Sklaven angebotenen Geldes gestützt auf die actio furti
1
Dem S könnte gegen G ein Anspruch auf Bezahlung des vierfachen Sachwertes des vom
Sklaven angebotenen Geldes (1'000) gestützt auf die actio furti wegen Annahme des Geldes durch den G zustehen. Für einen solchen Anspruch müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Fremde Sache: Die Münzen des S waren für den G fremd.
1
–
contrectatio: Darunter fällt jedes unrechtmässige „Anfassen“ der fremden Sache.
Ein solches ist i.c. in der Annahme der Münzen zu erblicken.
1
–
Bereicherungsabsicht: G weiss, dass ihm das Geld nicht gebührt und nimmt es
dennoch an.
1
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–
Handfestigkeit (furtum manifestum oder furtum nec manifestum?): I.c. ist das furtum
manifest, da es sich vor den Augen des Sklaven abgespielt hat.
2
Fazit: Es liegt ein furtum manifestum vor. S kann von G die Bezahlung von 4'000 (vierfacher Sachwert des vom Sklaven angebotenen Geldes) gestützt auf die actio furti verlangen.
1
bb) Sachverhaltskonstellation, bei welcher G mittels Pfandverwertung 1'000 erzielt.
Hier greift zugunsten des S alleine die condictio indebiti. Insoweit gleich wie bei Aufgabe II
Frage a) aa). 1
cc) Sachverhaltskonstellation, bei welcher G mittels Pfandverwertung 900 erzielt.
Hier hat der Versteigerungserlös nicht ganz ausgereicht, um die Schuld des S zu tilgen;
diese ist nach der Versteigerung in Höhe von 100 bestehen geblieben. Insoweit besteht
ein Schuldgrund für die Zahlung des S; daher kann S mit Hilfe der condictio indebiti nur
die ungeschuldeten 900 zurückverlangen.
2
Total II a):
24 Punkte
Aufgabe II, Frage b)
aa) Bei Gutgläubigkeit des K.
Anspruch des S gegen den K auf Herausgabe der Vase (genauer: auf den Sachwert der
Vase) aufgrund der rei vindicatio
1
S könnte gegen K einen Anspruch auf Herausgabe der Vase mittels der rei vindicatio
verwirklichen. Die rei vindicatio ist die Klage des nichtbesitzenden Eigentümers gegen
den besitzenden Nichteigentümer, gerichtet auf Bezahlung des Sachwertes, die aber
durch Herausgabe der Sache selber vermieden werden kann.
Besitz des K: I.c. ist der K (als Nichteigentümer) im Besitz der Vase.
1
Eigentum des S: Gemäss Sachverhalt war S ursprünglich Eigentümer der Vase. Es ist zu
prüfen, ob er das Eigentum an der Vase verloren hat.
1
–
Durch die Verpfändung hat S sein Eigentum an der Vase nicht verloren, da eine Verpfändung das Eigentumsverhältnis unberührt lässt.
1 ZP
–
Es ist jedoch zu prüfen, ob S das Eigentum durch den Pfandverkauf verloren hat.
Klar erscheint zunächst, dass S durch den Abschluss des rein obligatorisch wirkenden Kaufvertrages zwischen G und K sein Eigentum an der Vase nicht verloren
hat.
2
aaa) Es gilt jedoch zu prüfen, ob S das Eigentum an der Vase durch den Eigentumserwerb seitens des K aufgrund einer traditio ex iusta causa verloren hat. Für eine
traditio ex iusta causa müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
1
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–
res nec mancipi: Eine traditio ex iusta causa steht nur für res nec mancipi
offen. Bei der Vase handelt es sich weder um ein Grundstück, noch um einen
Sklaven bzw. um ein Zug- oder Lasttier, weshalb eine res nec mancipi vorliegt.
1
–
traditio: Der Besitz muss an den Erwerber übergangen sein, damit dieser
animo e corpore über die Sache herrschen kann. I.c. hat K die Vase angenommen, womit eine traditio erfolgt ist.
1
–
iusta causa: Eine traditio ex iusta causa bedingt einen gültigen Rechtsgrund.
I.c. ist dies der Kaufvertrag über die Vase zwischen G und K. Bedenken gegen die Gültigkeit dieses Kaufvertrages sind keine ersichtlich. Insb. gilt es zu
beachten, dass der Verkäufer nicht Eigentümer sein muss, um eine Sache
verkaufen zu können.
2
–
Verfügungsbefugnis: Der Veräusserer muss zur traditio ex iusta causa berechtigt sein. G ist nicht Eigentümer, an sich also nicht verfügungsbefugt.
Das Pfandrecht schliesst jedoch die Befugnis ein, das Eigentum an den
Pfandkäufer im Verwertungsfall zu übertragen.
Insgesamt
max. 2
Es stellt sich vorliegend demzufolge die Frage, ob G ein Pfandrecht hatte.
Dabei kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem er das Eigentum an K übertrug/zu übertragen suchte. Erwerb/Bestand des Pfandrechts setzt voraus:
–
Abschluss eines Pfandvertrages: I.c. erfüllt, siehe oben (Aufgabe II
Frage a) aa).
–
Berechtigung des S: Die Pfandbestellung stellt eine Verfügung dar,
welche beim Verfügenden Verfügungsmacht voraussetzt. S war im
Zeitpunkt der Bestellung des Pfandes Eigentümer der Vase, weshalb
er zur Pfandbestellung berechtigt war.
1
–
Bestand der Forderung: Die Forderung bestand ursprünglich. Sie ist
aber mit der Entgegennahme des Geldes vom Sklaven durch den G
erfüllt worden und damit erloschen. Mit dem Erlöschen der Forderung ist auch das Pfandrecht erloschen, da dieses von der zu sichernden Forderung abhängig ist (Akzessorietät). Es bestand folglich im
massgeblichen Zeitpunkt des Verkaufes der Vasen an K keine pfandgesicherte Forderung mehr.
2
–
Zwischenfazit: Ohne Pfandrecht hatte der G keine Befugnis zur Übereignung der
Vase an den K. Es kam i.c. folglich zu keinem Eigentumserwerb des K durch eine
traditio ex iusta causa.
1
–
Das römische Recht kannte weiter keinen gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten.
bbb) Es gilt weiter zu prüfen, ob S das Eigentum an der Vase durch den Eigentumserwerb seitens des K aufgrund einer Ersitzung (usucapio) verloren hat. Für eine
usucapio müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Seite 5
Ersitzungsfähige Sache (res habilis): Die Vase muss eine ersitzungsfähige
Sache sein. Nicht ersitzungsfähig sind u.a. gestohlene Sachen (res furtivae).
I.c. stellt sich die Frage, ob die Vase möglicherweise furtiv, d.h. Objekt eines
furtums ist. Es muss folglich geprüft werden, ob im Verkauf der Vase durch
den G an den K ein furtum an der Vase seitens des G zu erblicken ist.
1 ZP
1
1
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–
Furtum bedeutet jedes unrechtmässige Anfassen (contrectare) einer fremden
Sache in der (bösen) Absicht, den Vorteil der Sache oder ihres Gebrauches an
sich zu bringen. Folglich müssen folgende Voraussetzungen geprüft werden:
–
Fremde Sache: Als Pfandgläubiger erhielt G kein Eigentum an der
Vase, womit die Sache für ihn i.c. fremd war (Pfandrecht war ohnehin
bereits erloschen).
2
–
contrectatio: I.c. hat G die Vase dem K übergeben, womit die Tatbestandsvoraussetzung der contrectatio erfüllt ist.
2
–
Bereicherungsabsicht: G wusste, dass er die Vase nicht mehr verkaufen durfte; folglich gegeben.
2
–
Zwischenfazit: Indem die Vase geleistet wurde, beging G an ihr ein furtum. Die
Vase war somit nicht mehr ersitzungsfähig.
–
Vertretbar, wenngleich unrichtig, wäre die Überlegung, dass ein furtum, das mit dem Besitzerwerb
des Ersitzenden zusammenfällt, gleichsam zu spät kommt, um der Sache für die damit beginnende
Ersitzung die Ersitzungsfähigkeit zu nehmen.
1 ZP
Fazit: K muss die Vase an S, der unverändert deren Eigentümer ist, herausgeben.
1
Anspruch des S gegen den G auf Bezahlung von Schadenersatz (Interesse) wegen
Nichtrückgabe der Vase aufgrund der actio pigneraticia
1
S könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz (Interesse) wegen Nichtrückgabe
der Vase aus der actio pigneraticia haben. Ein solcher Anspruch setzt Folgendes voraus:
–
Den Abschluss eines Pfandvertrages. I.c. erfüllt, siehe oben (Aufgabe II a) aa).
–
Die Verletzung einer Vertragspflicht: Erlischt die zu sichernde Forderung so erlischt auch das Pfandrecht und den vormaligen Pfandgläubiger trifft eine Pflicht
zur Herausgabe der Pfandsache. Indem G die Vase an den K veräussert, verletzt er
vorliegend seine Herausgabepflicht.
2
–
Das Handeln mit Dolus: I.c. gegeben, da sich G der Tatsache bewusst ist, dass er
zur Pfandverwertung aufgrund des Erlöschens der zu sichernden Forderung nicht
mehr befugt ist. Der genau Haftungsmassstab kann dahin gestellt bleiben.
2
Fazit: S kann von G die Bezahlung von Schadenersatz (Interesse) wegen Nichtrückgabe
der Vase aufgrund der actio pigneraticia verlangen.
1
Anspruch des S gegen den G auf Auszahlung von 500 oder gar 1'500 als superfluum
gestütz auf die actio pigneraticia
Insgesamt
max. 2
Der Verkauf erfolgte nicht als Pfandverkauf aufgrund des Pfandrechts, sondern durch
den G als Nichtberechtigten. Von einem superfluum kann daher keine Rede sein.
Allenfalls in analoger Anwendung (actio utilis) vertretbar, zu begründen damit, dass es
sich noch um eine gleichsam „nachvertragliche“ Verletzung des Pfandrechts handelt.
Anspruch des S gegen den G auf Bezahlung des vierfachen Sachwertes der Vase gestützt auf die actio furti
1
Dem S könnte gegen G ein Anspruch auf Bezahlung des vierfachen Sachwertes der Vase
gestützt auf die actio furti wegen Verkauf der Vase nach Untergang der Pfandschuld
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zustehen. Für einen solchen Anspruch müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
[Hinweis zur Punktevergabe: Die nachfolgenden Voraussetzungen des furtums dürften bis auf
diejenige der Handfestigkeit bereits inzident bei der usucapio in Aufgabe II Frage b) aa) geprüft
worden sein. Die Punkte für das Durchprüfen der Voraussetzungen des furtums wurden nur
einmal vergeben. Die Qualifikation des furtums als furtum manifestum / furtum nec manifestum
wurde dagegen erst in dieser Aufgabe bepunktet.]
–
Fremde Sache: Als Pfandgläubiger erhielt G kein Eigentum an der Vase, womit die
Sache für ihn i.c. fremd war (Pfandrecht war ohnehin bereits erloschen).
2
–
contrectatio: I.c. hat G die Vase dem K übergeben, womit die Tatbestandsvoraussetzung der contrectatio erfüllt ist.
2
–
Bereicherungsabsicht: G wusste, dass er die Vase nicht mehr verkaufen durfte;
folglich gegeben.
2
–
Handfestigkeit (furtum manifestum oder furtum nec manifestum?): I.c. ist das furtum
manifest, da es sich vor den Augen des K abgespielt hat.
2
Fazit: S kann von G die Bezahlung des vierfacher Sachwertes der Vase gestützt auf die
actio furti verlangen.
1
Mögliche Zusatzerwägungen: Gab es eine Möglichkeit, den Verkaufsgewinn (500) bereicherungsrechtlich bei G abzuschöpfen? Im römischen Recht so nicht anerkannt. Es gab keine allgemeine
Eingriffskondiktion. Condictio indebiti setzt datio voraus, an der es fehlt. Geprüft werden könnte
Geschäftsführung oder Auftrag (Anspruch auf Herausgabe des Erlangten), doch handelte G nicht
in der Absicht, ein Geschäft des S zu führen. Römisches Recht erfasst die Geschäftsanmassung
(unechte Geschäftsführung ohne Auftrag; Art. 423 OR) nicht als negotiorum gestio.
2 ZP
Anspruch des K gegen den G auf Rückzahlung des Kaufpreises (oder Interesses) gestützt auf die actio empti.
1
K könnte gegen G einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (oder Interesses)
gesetützt auf die actio empti haben. Dafür wird ein gültiger Kaufvertrag zwischen G und
eine Eviktion vorausgesetzt.
–
Gültiger Kaufvertrag: Bedenken gegen die Gültigkeit des Kaufvertrages zwischen
G und K sind keine ersichtlich (siehe oben Aufgabe II Frage b) aa)).
–
Eviktionshaftung: Der Verkäufer haftet grundsätzlich erst und aufgrund der erfolgten Eviktion, d.h. im Falle eines effektiven Sachverlustes aufgrund prozessualen Unterliegens gegen den wirklichen Eigentümer. Die Eviktionshaftung beruht
darauf, dass der Verkäufer, der nach stattgefundener Eviktion den Kaufpreis behalten will, gegen die bona fides verstossen würde.
Handelt aber der Verkäufer dolos, kann der Käufer ihn auch schon vor einer Eviktion auf das Interesse (nicht nur auf Rückzahlung des Kaufpreises) in Anspruch
nehmen. G handelte i.c. dolos, da er die Vase in Kenntnis, dass sie bereits ausgelöst
war, verkaufte.
3
Fazit: K kann gegen G die Rückzahlung des Kaufpreises (oder das Interesse) gestützt auf
die actio empti verlangen.
1
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bb) Änderungen bei Bösgläubigkeit des K:
Die Bösgläubigkeit des K hat keinen Einfluss auf seine Verpflichtung, die Vase an S herauszugeben.
Eine Ersitzung seitens des K scheidet hier auch (!) deswegen aus, weil man die causa für ungültig
halten muss und ihm der gute Glaube fehlen würde; darauf kommt es indessen nicht an, da aufgrund der Furtivität der Vase die Ersitzung seitens des K bereits in Aufgabe II Frage b) aa) ausscheidet.
1 ZP
Neuer Anspruch:
Anspruch des S gegen den K auf Bezahlung des zweifachen, bzw. vierfachen Sachwertes gestützt auf die actio furti
1
Dem S könnte gegen K ein Anspruch auf Bezahlung des zweifachen, bzw. vierfachen
Sachwertes der Vase gestützt auf die actio furti wegen Kauf der Vase vom G zustehen.
Für einen solchen Anspruch müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Fremde Sache: Die Vase, welche sich im Eigentum des S befindet, stellt für den K
eine fremde Sache dar.
1
–
contrectatio: K kauft die Vase von G und nimmt sie in der Folge an sich; daher
erfüllt.
2
–
Bereicherungsabsicht: Man könnte sich i.c. fragen, ob der K seine Bereicherungsabsicht mit der Begründung abstreiten kann, er habe ja für die Vase gezahlt. Diese
Argumentation ist denkbar. Richtig ist aber, dass sich K als Hehler am Unrecht
beteiligt, dieser somit mit der Absicht handelte, sich unrechtmässig zu bereichern.
2
–
Handfestigkeit (furtum manifestum oder furtum nec manifestum?): I.c. ist das furtum
manifest, da es sich vor den Augen des G abgespielt hat.
2
Fazit: Es liegt ein furtum manifestum vor. S kann von K die Bezahlung des vierfachen
Sachwertes der Vase gestützt auf die actio furti verlangen.
1
Beachte: Diese actio furti kann zusätzlich und unabhängig von der actio furti, die sich gegen G
richtet, verfolgt werden.
1 ZP
Änderung an der Lösung bzgl.:
Anspruch des K gegen den G auf Rückzahlung des Kaufpreises (oder Interesses) gestützt auf die actio empti.
–
Kaufvertrag zwischen G und K: I.c. wissen beide Seiten, dass eine fremde Sache
unberechtigterweise veräussert werden soll. Solches Handeln wird heutzutage als
Hehlerei qualifiziert. Der Vertrag hat einen widerrechtlichen Inhalt und ist daher
nichtig. Auch nach römischen Recht darf von der Ungültigkeit ausgegangen werden. Damit entfällt die Grundlage der actio empti.
1
3
Wird die Voraussetzung eines gültigen Kaufvertrages bejaht, so könnten folgende Überlegungen angestellt werden:
–
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Eviktionshaftung: Handelt der Verkäufer dolos, kann der Käufer ihn auch schon vor einer
Eviktion auf das Interesse (und nicht nur auf Rückzahlung des Kaufpreises) in Anspruch
nehmen. G handelte i.c. dolos, da er die Vase in Kenntnis, dass sie bereits ausgelöst war,
verkaufte (siehe oben Aufgabe II Frage b) aa)).
2 ZP
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Ein Hehler, der weiss, dass an der Kaufsache durch den Verkauf ein furtum begangen wird,
wird bei einer allfälligen Eviktion von einem Risiko betroffen, dass er sehenden Auges eingegangen ist. Er selbst handelt nicht nach der bona fides.
Eine Eviktionshaftung des G kommt daher nicht in Betracht. [So auch Art. 192 Abs. 2
OR].
Fazit: Die Möglichkeit einer actio empti des K gegen den G scheidet i.c. aus.
1
Total II b):
62 Punkte,
9 ZP
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