Kenntnis des Finanzamts bei Insolvenzverfahren im Falle

Steuern aktuell Online – 52. KW 2015
Steuern aktuell Dezember/Januar 2016
Kenntnis des Finanzamts bei Insolvenzverfahren im Falle des
Wechsels der örtlichen Zuständigkeit
BFH, Urt. v. 18.08.2015, VII R 24/13
veröffentlicht am 02.12.2015
Leitsatz:
Die Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Insolvenzverwalter kann
dazu führen, dass ihm im Rahmen des § 82 InsO eine Berufung auf die Zurechnung des
Wissens
des
ehemals
örtlich
zuständigen
Finanzamts
von
der
Eröffnung
des
Insolvenzverfahrens verwehrt ist.

Sachverhalt
Über das Vermögen von Frau A wurde am 31.01.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Bis einschließlich dem Veranlagungszeitraum 2002 wurde A vom Finanzamt Y veranlagt.
Nach einem Wohnsitzwechsel im März 2013 gab A die Einkommensteuererklärungen für die
Jahre 2003 bis 2006 beim neuen Finanzamt Z ab. Dieses zahlte die Erstattungsbeträge an A
aus.
Das Finanzamt Y hatte Kenntnis von dem Insolvenzverfahren, ob dies allerdings noch vor
dem Wohnsitzwechsel der Fall war, ist nicht bekannt. Ob bzw. wann das Finanzamt Z von
dem Finanzamt Y informiert wurde, ist ebenfalls nicht bekannt.
Im Juni 2008 verlangte der Insolvenzverwalter vom Finanzamt Z die Erstattungsbeträge an
ihn (nochmals) zu zahlen. Zu Recht?

Entscheidung
Grundsätzlich bestimmt § 82 InsO, dass eine Zahlung an den Insolvenzschuldner statt an
den Insolvenzverwalter nur dann befreiende Wirkung hat, wenn das Finanzamt Z keine
Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte. Ob die Kenntnis des
Finanzamts Y auf das neu zuständige Finanzamt übergegangen ist, brauchte aber nicht
entschieden werden.
Denn der Insolvenzverwalter hat seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt, indem er
sich nicht über den Wohnortwechsel informiert hat bzw. bei Kenntnis das neu zuständige
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Finanzamt nicht über das Insolvenzverfahren informiert hat. Auch hat er entgegen seinen
Aufgaben keine Steuererklärungen abgegeben. Somit ist ihm infolge der Verletzung der
Mitwirkungspflichten eine Berufung auf die Kenntnis des Finanzamts verwehrt, die Zahlung
an A erfolgte zu Recht.
Mit
Eröffnung
des
Insolvenzverfahrens
geht
gem.
§ 80 Abs. 1 InsO
die
Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, die auf zur Insolvenzmasse gehörenden
Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über. Die Leistung an den
Insolvenzschuldner selbst kann nach § 82 InsO aber trotzdem befreiende Wirkung haben,
wenn der Leistende zur Zeit der Leistung keine Kenntnis von der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens hatte. Entscheidend ist die positive Kenntnis; fahrlässige – auch grob
fahrlässige – Unkenntnis schließt den Gutglaubensschutz nicht aus.
Auf den ersten Blick konnte das Finanzamt Z nur dann schuldbefreiend an Frau A geleistet
haben, wenn es keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte.
Entscheidend war somit die Frage, ob die Kenntnis des bisherigen Finanzamts im Falle des
Wechsels der örtlichen Zuständigkeit dem neuen Finanzamt zuzurechnen ist. Hier gelten
folgende Grundsätze:
o
Es sind die Rechtsprechungsgrundsätze zu § 173 AO anzuwenden. Es kommt auf
den Kenntnisstand derjenigen Personen an, die innerhalb der zuständigen
Finanzbehörde zur Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind, i. d. R. also der
Vorsteher, der Sachgebietsleiter sowie der Sachbearbeiter. Bekannt sind die Daten
aus
den
Akten
des
Steuerpflichtigen
sowie
die
über
ein
elektronisches
Informationssystem von vorgesetzten Dienststellen zur Verfügung gestellten Daten.
o
Eine am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation muss im Anwendungsbereich des
§ 82 AO sicherstellen, dass ihre ordnungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen
Informationen an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur
Kenntnis genommen werden.
Ob dies allerdings bedeutet, dass das bisher zuständige Finanzamt das neu zuständige
Finanzamt hätte informieren müssen bzw. ob dessen Kenntnis dem neu zuständigen
Finanzamt zuzurechnen ist, brauchte der BFH nicht entscheiden.
Denn auf den zweiten Blick kommt es auf eine mögliche Kenntnis des Finanzamts Z nicht
an.
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Der Insolvenzverwalter hat seine besonderen steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt; er
hat beispielsweise – sollte er Kenntnis vom Wohnsitzwechsel gehabt haben – das
Finanzamt Z nicht von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert oder er hat
– sollte er den Wohnsitzwechsel nicht gekannt haben – keine ausreichenden Vorkehrungen
getroffen, um vom Wohnsitzwechsel der A zu erfahren. Darüber hinaus hat er über mehrere
Jahre
keine
Steuererklärungen
abgegeben
bzw.
er
hätte
zumindest
die
Besteuerungsgrundlagen dem Finanzamt mitteilen müssen, soweit sie die Insolvenzmasse
betreffen.
Die
Verletzung
der
besonderen
steuerlichen
Mitwirkungspflichten
hat
für
das
Steuererhebungsverfahren zur Folge, dass er sich nicht auf eine durch den Wechsel der
örtlichen Zuständigkeit eingetretene Wissenszurechnung beim Finanzamt Z berufen kann.
Die Zahlung an die Insolvenzschuldnerin erfolgte somit befreiend; der Insolvenzverwalter
kann das Geld nicht nochmals vom Finanzamt fordern.
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