Myeloperoxidase – ein neuer Marker zur Erforschung

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Entzündungsmarker
Myeloperoxidase – ein neuer Marker
zur Erforschung von Entzündungen?
JÖRG FLEMMIG 1 , ANNA LEICHSENRING 2 , FRANZISKA LANGE 2
1 INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE PHYSIK UND BIOPHYSIK, MEDIZINISCHE FAKULTÄT,
UNIVERSITÄT LEIPZIG
2 ENTZÜNDUNGSMODELLE UND IMMUNDIAGNOSTIK, FRAUNHOFER-INSTITUT
FÜR ZELLTHERAPIE UND IMMUNOLOGIE (IZI), LEIPZIG
Neutrophilic granulocytes, the most abundant immune cell type in the
blood, are essential for the initiation as well as for the regulation and
termination of acute inflammatory reactions. Thereby the enzyme
myeloperoxidase (MPO) formed by these cells could be a key player.
Thus a newly developed method for the quick purification of neutrophilic
granulocytes from blood samples and a subsequent activity staining for
MPO is presented which may contribute to a better understanding of the
(patho-)physiological role of this enzyme.
DOI: 10.1007/s12268-015-0640-5
© Springer-Verlag 2015
ó Entzündungen stellen physiologische
Reaktionen des Immunsystems auf exogene
oder endogene Reize dar und haben das Ziel,
den Auslöser zu lokalisieren und zu neutralisieren, aufgetretene Gewebsschädigungen
zu reparieren und die normale Homöostase
des Organismus wiederherzustellen. Letzteres
beinhaltet auch die Beendigung der akuten
Immunreaktion. Störungen in der Entzündungsterminierung können zu chronischen
Immunreaktionen sowie zu überschießenden
(Allergien) bzw. fehlgeleiteten (Autoimmunerkrankungen) Entzündungen führen.
nen wiederkehrende Krankheitsverläufe entstehen. Das chronische allergische Asthma
gehört mit weltweit rund 235 Millionen
Betroffenen zu den häufigsten Krankheiten
überhaupt. Trotz intensiver Forschung ist es
bis heute nicht möglich, Asthma zu heilen.
Auch Autoimmunkrankheiten sind gekennzeichnet durch eine übersteigerte Immunreaktion, die sich allerdings anders als bei Allergien gegen körpereigene Komponenten richtet. Entsprechend wird das Immunsystem hier
mehr noch als bei Allergien ständig stimuliert, und eine chronische Entzündung resultiert. Prominente Beispiele sind die rheumatoide Arthritis (chronische Gelenksentzündung), die multiple Sklerose (Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems) und
Colitis ulcerosa (chronische Darmentzündung). Ursächliche und kurative Therapiemöglichkeiten stehen auch für diese Erkrankungen momentan nicht zur Verfügung.
Begründet ist dies auch in der Tatsache, dass
die molekularen Pathogenesemechanismen
mancher dieser Krankheiten noch nicht voll-
Allergien und
Autoimmunerkrankungen
Bei Allergien richtet sich das Abwehrsystem
gegen eigentlich harmlose Stoffe aus der
umgebenden Umwelt, mit denen unser Körper konfrontiert wird, und beginnt, diese zu
bekämpfen. Bekannte Beispiele für Allergene sind Tierhaare, Pollen oder auch Hausstaubmilben. Allergische Reaktionen treten
daher oft in Körperbereichen auf, die mit der
Außenwelt in direkter (z. B. Haut, Atemwege)
oder indirekter (z. B. Verdauungstrakt) Verbindung stehen. Durch regelmäßigen Kontakt
des Immunsystems mit den Allergenen kön-
BIOspektrum | 07.15 | 21. Jahrgang
˚ Abb. 1: Myeloperoxidase (MPO) wird von neutrophilen Granulozyten gebildet, welche bei Entzündungen aus dem Blut ins Gewebe migrieren. Dort trägt das Enzym durch HOCl-Bildung zur
Pathogenbekämpfung bei. Aber auch z. B. bei der Apoptose und Phagozytose der Immunzellen bei
der Entzündungsterminierung spielt die chlorierende MPO-Aktivität eine Rolle.
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W I S S ENS CHAFT · S PECIA L : M OLE KULARE DIAG NO STI K
¯ Abb. 2: Zur Bestimmung der Aktivität der
Myeloperoxidase (MPO) reichen kleinste Blutproben menschlichen oder tierischen
Ursprungs. Durch hypotone Lyse werden die
Erythrozyten aus der Probe entfernt. Anschließend erfolgt die Zugabe des HOCl-spezifischen
Fluoreszenzfarbstoffs APF. Bei der durchflusszytometrischen Analyse können so MPO-positive
und -negative Blutzellen differenziert werden.
ständig geklärt sind. Entsprechend beschäftigt
sich die aktuelle immunologische Forschung
vor allem mit den Vorgängen in der Initialphase von Entzündungen sowie mit den Vorgängen bei der Terminierung akuter Immunreaktionen, da an diesen beiden Stellen Fehlregulationen bei Allergien und Autoimmunreaktionen vermutet werden.
Neutrophile Granulozyten und
Myeloperoxidase
In der Anfangsphase einer Entzündung wandern zuerst Granulozyten aus dem Blut in das
betroffene Gewebe ein (Abb. 1). Dieser häufigste Immunzelltyp im Blut gehört zum angeborenen Immunsystem und trägt durch Aufnahme von Pathogenen sowie durch Freisetzung zytotoxischer Komponenten zur unspezifischen Bekämpfung von Fremdorganismen
bei. Daneben tragen die Zellen in der Anfangsphase der Entzündung durch Freisetzung von
Botenstoffen (z. B. Zytokine) auch wesentlich
zu einer Aktivierung des erworbenen Immunsystems (z. B. B- und T-Lymphozyten) bei und
sind für die Regulation und Terminierung von
Entzündungsreaktionen verantwortlich. Dabei
scheint das in neutrophilen Granulozyten (der
häufigsten Granulozytenart) vorkommende
Enzym Myeloperoxidase (MPO) eine wesent-
liche Rolle zu spielen: Dieses Enzym besitzt
die unikale Eigenschaft, Chlorid (Cl–) zu hypochloriger Säure (HOCl) zu oxidieren. Die Bildung von HOCl wird als „chlorierende Aktivität“ des Enzyms bezeichnet. HOCl besitzt
z. B. bakterizide Eigenschaften, weshalb die
physiologische Rolle der MPO klassischerweise nur mit der initialen Immunabwehr
gegen Pathogene in Verbindung gebracht wurde. Neuere Untersuchungen haben jedoch
gezeigt, dass die HOCl-Produktion durch MPO
auch bei der Bildung antientzündlicher Botenstoffe sowie der zellulären Entzündungsterminierung beteiligt ist (Abb. 1, [1]). Tatsächlich wurden bei MPO-defizienten Mäusen
schwerere Krankheitsverläufe bei chronischen Entzündungen festgestellt [2]. Die vielseitige regulatorische Rolle der MPO sowohl
bei der Initialisierung von Immunreaktionen
als auch bei der Beendigung akuter Entzündungsreaktionen macht dieses Enzym zu
einem interessanten Marker für die Erforschung der Entstehung unkontrollierter
und/oder chronischer Immunreaktionen.
Erforschung akuter und chronischer Entzündungen liefern. Entsprechend haben wir eine
Methode entwickelt, mittels eines spezifischen Fluoreszenzfarbstoffs (AminophenylFluoreszein, APF) gezielt die HOCl-Produktion der MPO zu erfassen und von anderen
Enzymprodukten zu differenzieren. Wie in
Abbildung 2 dargestellt, haben wir dieser
MPO-Aktivitätsfärbung eine rasche und effiziente Blutaufreinigung vorangestellt, um die
MPO-positiven Zellen in den Proben anzureichern [3]. Dabei wurde die Methode für die
Anwendung kleinster Blutproben (50 bis
100 Mikroliter) adaptiert, um mit Kleintiermodellen für Entzündungserkrankungen
arbeiten zu können. So können etwa bei Ratten Blutvolumina in dieser Größenordnung
wiederholt abgenommen werden, wodurch
Veränderungen in der chlorierenden MPOAktivität im Krankheitsverlauf verfolgt werden können. Dies ist etwa bei der Untersuchung chronischer Entzündungsprozesse
wichtig, die in ihrer Ausprägung oft einen
periodischen Verlauf aufweisen.
Erfassung der MyeloperoxidaseAktivität
Tiermodelle in der
Entzündungsforschung
Die Erfassung der chlorierenden MPO-Aktivität könnte also einen wichtigen Beitrag zur
Auch heutzutage bieten Tiermodelle meist die
einzige Möglichkeit, das komplexe Zusam-
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˘ Abb. 3: Die Anwendung der Methode in einem Mausmodell für allergisches Asthma zeigte, dass bei den erkrankten Tieren im Gegensatz zur
gesunden Kontrolle die relative Anzahl der neutrophilen Granulozyten
(prozentualer Anteil aller erfassten Blutzellen; violett) anstieg. Andererseits war die chlorierende MPO-Aktivität (gemessen in relativen Fluoreszenzeinheiten, r. E.; grün) in diesen Zellen herabgesetzt, was auf eine
Inaktivierung des Enzyms unter entzündlichen Bedingungen hindeutet.
Mittelwert und Standardabweichung sind gezeigt.
menwirken verschiedenster Zelltypen und
Mediatoren des Immunsystems, die im individuellen Krankheitsgeschehen akuter und
chronischer Entzündungen eine Rolle spielen, nachzustellen. Mit diesen können sowohl
die Mechanismen der Krankheitsentstehung
und -entwicklung erforscht als auch neuartige Therapieformen und Therapeutika getestet
werden. Für das allergische Asthma und die
rheumatoide Arthritis beispielsweise stehen
Tiermodelle in Maus bzw. Ratte zur Verfügung, die das Krankheitsbild im Patienten
hervorragend simulieren können. So ist es
möglich, nur über den Kontakt mit den
Schleimhäuten der Atemwege eine Allergie
gegen Hausstaubmilben in Mäusen zu induzieren, die bei wiederholtem Kontakt mit dem
Allergen einen chronischen Verlauf nimmt
und viele Merkmale der Erkrankung im Menschen widerspiegelt. Für die rheumatoide
Arthritis steht das Modell der Pristan-induzierten Arthritis (PIA) in der Ratte zur Verfügung, das durch eine akute Phase gekennzeichnet ist, in der die Ratten Symptome einer
Arthritis ausbilden, gefolgt von einer Erholungsphase, in der die Symptome abklingen,
um daraufhin schubweise wiederzukehren.
HOCl-Produktion
durch MPO in Verbindung gebracht [4].
Neueste Forschungsergebnisse aus unserer Arbeitsgruppe
zeigen dagegen, dass
als Reaktivatoren der MPO-Aktivität bekannte Stoffe wie etwa das im grünen Tee vorkommende Flavonoid Epigallocatechingallat
(EGCG) tatsächlich den Verlauf chronischer
Entzündungen im Tiermodell deutlich abmildern können.
ó
matory action of the heme enzyme. Arch Biochem Biophys
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Myeloperoxidase scavenges peroxynitrite: a novel anti-inflam-
Korrespondenzadresse:
Dr. Jörg Flemmig
Institut für Medizinische Physik und Biophysik
Medizinische Fakultät
Universität Leipzig
Härtelstraße 16–18
D-04107 Leipzig
Tel.: 0341-9715772
Fax: 0341-9715778
[email protected]
AUTOREN
Jörg Flemmig
Myeloperoxidase-Aktivität bei
chronischer Entzündung
Die oben beschriebene Methode der Blutaufreinigung mit anschließender Bestimmung
der chlorierenden MPO-Aktivität in den Granulozyten konnte bereits erfolgreich in einem
Tiermodell angewendet werden (Abb. 3): Bei
Mäusen, in denen eine Allergie gegen Haustaubmilben induziert wurde, wurde eine Erhöhung der Granulozytenanzahl im Blut festgestellt. Dies bestätigt eine höhere Aktivität
des Immunsystems in diesen Tieren. Gleichzeitig wurde jedoch eine verminderte HOClProduktion durch die MPO in diesen Zellen
beobachtet. Es kann daher vermutet werden,
dass es unter entzündlichen Bedingungen zu
einer Inaktivierung der chlorierenden MPOAktivität kommt, was wiederum möglicherweise zur Chronifizierung der Entzündung
beiträgt. Tatsächlich werden entzündungsassoziierte Stoffe mit der Inaktivierung der
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Biochemiestudium an der Universität Leipzig, dort 2011 Promotion. Danach Forschungsprojekte im Translationszentrum für Regenerative Medizin (TRM) Leipzig. Seit
2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Physik und Biophysik
der Medizinischen Fakultät in Leipzig.
Anna Leichsenring
Biologiestudium an der Ruhr-Universität Bochum, dort 2008 Promotion. 2009–2011
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig.
Seit 2012 am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig.
Franziska Lange
Biologiestudium an der Universität Leipzig, dort 2006 Promotion. 2006–2008
Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden. Seit 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig, dort seit 2012
Leiterin der Arbeitsgruppe „Entzündungsmodelle und Immundiagnostik“.