Reformierte Kirchgemeinde Hasle bei Burgdorf Gedanken am Vierten Advent, dem 20. Dezember 2015: „Alles schenkt Gott mit dem Kind“ Texte: „Alles schenkt Gott mit dem Kind“ (Lied) / Lukas 2,38 Pfr. Hannes Müri Wir haben auf Frieden gewartet – darauf, dass die Menschheit sich endlich besinnt. Wir haben um Frieden gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Wir haben Vergebung erwartet – auf einen gehofft, der Vergangenes sühnt. Wir haben Vergebung erbeten, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Alles schenkt Gott mit dem Kind. Alles schenkt Gott mit dem Kind, mit dem auf der Erde der Himmel beginnt. Alles schenkt Gott mit dem Kind. Wir haben auf Weisheit gewartet – auf Worte, die tief und voll Ewigkeit sind. Wir haben um Weisheit gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Wir haben auf Liebe gewartet – auf einen, der kommt und nicht herrscht, sondern dient. Wir haben um Liebe gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Alles schenkt Gott mit dem Kind... Wir haben auf Heilung gewartet für unsere Herzen, so taub und so blind. Wir haben um Heilung gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Wir haben auf Wunder gewartet – darauf, dass auch einmal der Schwache gewinnt. Wir haben um Wunder gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Alles schenkt Gott mit dem Kind... Wir haben auf Leben gewartet, das uns nicht nur zwischen den Fingern zerrinnt. Wir haben um Leben gebetet, und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind. Alles schenkt Gott mit dem Kind... Text: Manfred Siebald Musik: Manfred Staiger Gesang: Christoph Zehendner und Thea Eichholz-Müller Grosser, geheimnisvoller Gott Ich möchte dir zuerst sagen, dass ich mich wirklich ganz fest freue über das Kind, das Du uns geschenkt hast; das Kind, das Du uns schenkst! Denn dieses Kind ist für mich – und für unzählige Menschen zu allen Zeiten und auf der ganzen Welt – zum Retter geworden, zum Boden unter meinen Füssen, zum verlässlichen Freund, zum Mitleidenden in aller Not, zum Anker im Sturm, zur Liebe in Person, zur Hoffnung über den Horizont hinaus. Wenn ich das sage, wird mir bewusst, dass ich den Mund ziemlich voll nehme. Ich kann mir Situationen in (m)einem Leben vorstellen, in denen das alles wackeln und einstürzen könnte. Ich könnte den Boden unter meinen Füssen verlieren, könnte einmal einsam und verlassen sein, könnte vielleicht zerbrechen an einem schweren Schicksal, könnte die Hoffnung verlieren... Zum Glück erlebe ich das jetzt nicht und kann sagen: „Ich könnte...“ – Wäre es dann trotzdem da, das Kind, das Du uns schenkst? Das Kind, das kein Kind geblieben ist? Die Zeit vor Weihnachten ist ja eine Zeit der Wünsche... Bei unseren Kindern und Göttikindern mit ihren konkreten Wünschen, die man meistens als Geschenk kaufen kann, ist das offensichtlich. – Wie gehst Du eigentlich mit all den Wünschen um, die Dir zugetragen werden? Ich meine jetzt natürlich die Wünsche von uns grösseren Leuten, die man nicht mit Geld bezahlen kann... Nehmen wir die Wunschliste aus dem Lied: Frieden, Vergebung; Weisheit, Liebe; Heilung, Wunder; Leben. – Ja, das sind auch meine Wünsche; die Wünsche von vielen Menschen. Ja, um Frieden habe ich letzthin oft gebetet. Ich wünsche mir so fest, dass der Krieg im Nahen Osten zu Ende ginge und Leute endlich zur Vernunft kämen, wie schwer vorstellbar es auch scheint. Aber dieses Gebet ist noch nicht erhört worden, obwohl Du es bestimmt millionenfach hörst. Kannst Du es überhaupt erhören, Gott? Vergebung habe ich immer wieder nötig. Und zum Glück habe ich sie immer wieder bekommen! Ich habe mich mit Menschen wieder versöhnen können, mit denen ich Krach hatte. Aber manchmal geht mir durch den Kopf, dass ich da und dort etwas anders hätte tun sollen. Ich kann Vergangenes nicht ungeschehen machen, und nun ist es da und lässt sich nicht ändern. Kann ich mir selber vergeben und es in Deine Hand legen? Weisheit könnte ich auch gebrauchen... Du weisst, ich habe dich hin und wieder gebeten, mir zu zeigen, was richtig ist und was wichtig ist – und bin dann doch unsicher geworden, ob ich dich recht verstanden habe. Ich habe um gute Worte für jemanden gebetet – und bin doch mit dem Gefühl zurückgeblieben, ich hätte sie nicht gefunden... Nach Liebe habe ich mich gesehnt. Wie abhängig bin ich davon, angenommen zu sein, verstanden zu sein, für andere besonders zu sein... Ich danke Dir für die Menschen, bei denen ich das erlebe! Nicht wahr, die Liebe ist letztlich ein Geschenk von Dir?! Dann aber immer wieder die Missverständnisse und Reibereien mit anderen und meine Enttäuschung darüber, wie schwer es mir immer wieder fällt, andere anzunehmen, wie sie sind. Ach, Gott... Wenn ich an Heilung denke, dann an meinen Wunsch für die Kranken, die ich kenne. Nicht wenige sind es... Hörst Du ihr Seufzen und ihre Anfragen an Dich? Ich glaube, dass Du sie hörst – und frage mich und Dich im gleichen Atemzug, warum nicht mehr von ihnen gesund werden. Wie damals, als das Kind, das Du uns geschenkt hast, ein erwachsener Mann war und Menschen berührte und heil machte. Wenn wir das doch auch jetzt erleben dürften. Wenn Du Wunder tätest ab und zu, wenn Du offensichtlicher handeln würdest in unserer Welt, wäre das doch auch gut für Dich selbst und Deinen Ruf! Werbung in eigener Sache! Sie könnten dann nicht mehr so gross tun, all jene, die Dich nicht nötig haben und glaubende Menschen für blöd halten. „Wir haben auf Leben gewartet, das uns nicht nur zwischen den Fingern zerrinnt...“ Ich spüre, wie es rinnt, Gott. Dabei möchte ich manchmal so gern jene Momente festhalten, in denen meine Seele gestillt und zufrieden ist; möchte dann, dass die Zeit stehen bleiben würde... Angewiesen bin ich auf das, was gut ist und bleibt. Lieber Gott, was machst Du mit diesen Wünschen, die ja nicht nur ich habe, sondern so viele Menschen nah und fern? – Du hast das Sehnen der Menschen beantwortet, indem Du ihnen das Kind gegeben hast. Jesus hast Du uns geschenkt...! Ich finde die leise Enttäuschung im Lied wieder, die ich auch ein wenig spüre. So viele Wünsche, so viel Sehnsucht, so viele Bedürfnisse, so viele Bitten sind da – „und alles, was Gott uns nun gibt, ist ein Kind.“ Ich war nicht da, damals in Bethlehem. Aber die Erscheinung der Engel muss für die Hirten doch unendlich viel eindrücklicher gewesen sein als dann das Kind selber in der Krippe. Waren sie nicht auch ein wenig enttäuscht, als sie dieses „normale“ Kind sahen? Erst recht die Sterndeuter aus dem Osten: Sie hatten keine Engel gesehen. Was lag näher, als den neugeborenen König im Königspalast zu suchen? Aber er war nicht da, sondern war als Kind von armen Leuten in einem Stall geboren worden. Waren die Sterndeuter da nicht ziemlich verunsichert? Lieber Gott, bitte nimm uns die Verunsicherung, die uns manchmal beschleicht, nicht übel. Sei barmherzig mit uns, die wir dieses Kind anschauen und sein Geheimnis zu ergründen versuchen und ahnen, was für eine Welt sich darin auftut... Danke, Gott, für Dein Geschenk, das wir mit Freuden annehmen wollen, um ein Leben lang immer wieder zu erfahren, ob und wie Dein ganzer Reichtum darin verborgen ist. „... mit dem auf der Erde der Himmel beginnt.“ Bis er ganz da sein wird, dauert es. Bitte, Gott, lass uns in Deinen Anfängen das kommende Ganze sehen und darüber jetzt schon froh werden...! Liebe Gemeinde Ich habe jetzt viele Fragen aufgeworfen. Die einen von Ihnen werden möglicherweise denken, das sei nicht wirklich aufbauend, da sei zu wenig Zuspruch darin. Andere – vielleicht eher Abwesende – würden sagen, ich sei zu wenig kritisch, denn ich spräche Gott als ein grundsätzlich vertrauender Mensch an. Dieses Fragen und dieses Vertrauen trotz leiser Enttäuschung finde ich im Lied, wieder das wir gehört haben. Es ist für mich nicht ein fröhliches Weihnachtslied, sondern ein Adventslied, in dem das Warten und Beten ja ganz zentral ist. Das Lied tut mir gut, ich fühle mich darin zu Hause. Denn oft bin ich so ein „Mensch dazwischen“, hin- und hergerissen zwischen Glauben und Zweifel, zwischen Sorge und Vertrauen. Ich glaube, dass Gott damit umgehen kann und dass er uns so annimmt, wie wir sind. Frederick Buechner schreibt: „Wenn wir sagen: ‚Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben‘, dann ist es eigentlich das Äusserste, das irgendjemand von uns sagen kann – aber Gott sei Dank ist es genug.“1 Oft hilft mir der Glaube von anderen, selber die Augen offen zu behalten für Gott und sein oft noch unscheinbares Wirken. Es ist der Glaube von heutigen Christinnen und Christen genauso wie der Glaube von biblischen Personen: Hirten, Weise; Einfache und Vornehme. Es ist der Glaube eines Simeon, der das Kind, das Gott uns schenkt, auf den Armen seiner Eltern sieht und erkennt, dass er den Retter, den Messias gesehen hat. Es ist der Glaube einer Hanna, die beim Anblick des Kindes Gott lobt und allen Menschen, „die auf die Erlösung Jerusalems warteten“, von diesem Kind zu erzählen beginnt.2 Hanna hat keine Biografie Jesu zu erzählen, sondern sie wird von alten Verheissungen geredet haben und von einer Zukunft voll Licht und Leben, die noch nicht da ist und jetzt doch angefangen hat. Wenn wir auf Frieden und Vergebung, auf Weisheit und Liebe, auf Heilung und Wunder und aufs Leben überhaupt gewartet haben, dann werden wir nicht leer ausgehen. Diese Woche habe ich gelesen: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern sie ist auf dem Weg. An einem stillen Tag kann ich sie atmen hören.“ 3 AMEN 1 “’Lord, I believe; help my unbelief’ is the best any of us can do really, but thank God it is enough.” Lukas 2,25-38 3 “Another world is not only possible, she is on her way. On a quiet day, I can hear her breathing.” (Arundhati Roy, zitiert im WWF Newsletter) 2
© Copyright 2024 ExpyDoc