48 Volt reichen für viele neue Konzepte «

INTERVIEW
schäftsführung die Geschicke von Mahle maßgeblich gelenkt. In letzter Zeit hin
zu mehr Elektronik, wie die Zukäufe von Letrika, Amovis und Kokusan Denki nahe
legen. Wie Mahle die Elektrifizierung des Antriebs und Gesamtfahrzeugs künftig
begleiten könnte, erläutert Heinz K. Junker im folgenden Interview.
Herr Professor Junker, sind Behr, Letrika, Amovis und
Kokusan Denki Belege dafür, dass Mahle sich zum Fullliner in Sachen Antrieb entwickeln will? Welche Komponenten könnten da noch hinzukommen?
Fullliner ist etwas zu hoch gegriffen. Wir haben nicht die
Absicht, auch noch Einspritzsysteme, Abgasnachbehandlung oder ähnliches zu machen. Die genannten Unternehmen waren strategische Gelegenheiten, unser Produktportfolio sinnvoll zu erweitern und abzurunden. Die Themen
Thermomanagement, Mechatronik und Elektrik standen
schon lange auf unserer Agenda.
Die Mahle-Tochter Letrika arbeitet an einem Elektroantrieb mit etwa 50 kW Leistung. Ist das eine 48-V-Lösung?
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Nein, das ist ein Antrieb mit Hochvolt-Technik. Allerdings ist
Letrika mit Elektroantrieben auf Niedervolt-Basis bereits bei
Zweirädern, im Freizeitsegment oder kleinen Logistikfahrzeugen in sehr hohen Stückzahlen aktiv. Auch der Antrieb
des Renault Twizy hat ein Letrika-Aggregat mit 48 Volt Betriebsspannung. Besonders im Bereich der großstädtischen
Mobilität erwarte ich in nächster Zeit viele neue Konzepte,
für die 48-Volt-Elektroantriebe sehr attraktiv und ausreichend sein können.
Welches Ziel verfolgen Sie mit der Übernahme von
Kokusan Denki?
Kokusan Denki ergänzt ideal die Aktivitäten von Letrika. Der
japanische Mechatronikspezialist entwickelt und fertigt elek-
© Carl Hanser Verlag, München
Bild: Mahle
Knapp zwei Jahrzehnte hat Prof. Dr.-Ing. Heinz K. Junker als Vorsitzender der Ge-
© Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG, München, www.hanser-automotive.de; Nicht zur Verfügung in Intranet- u.Internet-Angeboten oder elektron. Verteilern
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neue Konzepte «
INTERVIEW
Mahle hat auch einen Range Extender im Portfolio. Wie
sieht es mit seiner Industrialisierung aus?
Unser Range Extender hat bei Kunden und Journalisten
große Begeisterung hervorgerufen. Hauptsächlich ist er für
uns eine Plattform zur Präsentation unserer umfassenden
Engineering-Kompetenz inklusive Integration von Verbrenner
und E-Antrieb. Eine Serienfertigung war nicht unsere Priorität. Kundeninteresse ist allerdings vorhanden, jedoch benötigt das von uns geforderte Geschäftsmodell Kunden, die
über eine lange Laufzeit eine Garantie über gewisse Stückzahlen geben. Sonst lohnen sich die massiven Investitionen
in eine Fertigung nicht. Wir warten das mit Gelassenheit ab.
Wo sehen Sie denn die Marktnische des Range Extenders im Wettbewerb mit 48-Volt-Mildhybrid und Plugin-Hybrid?
Plug-in-Hybride sind besonders für große Fahrzeuge wie
Oberklasse-Limousinen und SUV der bevorzugte Lösungsansatz. Dank einer elektrischen Reichweite von 40 oder 50
Kilometern und unter Berücksichtigung des aktuellen Verbrauchszyklus sind mit einem Plug-in-Hybrid Emissionswerte von deutlich weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilometer
möglich. Allerdings erfordert ein Plug-in-Hybrid konzeptbedingt zwei vollwertige Antriebe, was ihn für kostensensiblere Fahrzeugsegmente zurzeit nicht zur ersten Option macht.
In diesen Segmenten sehe ich für einen 48-Volt-Mildhybrid
deutlich bessere Chancen, die Emissionsziele bei ungleich
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Zur Person
Prof. Dr.-Ing. Heinz K. Junker (65) war nach seinem
Studium stellvertretender Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen Aachen mbH.
1986 wurde er zum Hauptabteilungsleiter der Entwicklung bei TRW Ehrenreich in Düsseldorf berufen. Seit
1987 ist Junker auch Lehrbeauftragter für Fahrzeugdynamik an der Ruhr-Universität Bochum, seit 1994 Honorarprofessor. Nach weiteren Stationen bei TRW
wechselte er 1996 als Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO zu Mahle. Zum 1. Juli 2015 übernahm er
den Aufsichtsratsvorsitz der Mahle GmbH und wird
Mitglied im stimmberechtigten Gesellschaftergremium
von Mahle.
www.hanser-automotive.de
geringeren Kosten zu erreichen. Noch vor Jahren hielt ich
persönlich diese Technik eher für ein Nischenprodukt. Allerdings offenbart sich jetzt nach und nach ihr Nutzen zum
Erreichen der CO2-Ziele, sodass ich hier mittelfristig mit
hohen Stückzahlen rechne.
Ein Range Extender ist meiner Ansicht nach für kleinere
batterieelektrische Fahrzeuge optimal, bei denen bezüglich
Reichweite keine Kompromisse gemacht werden sollen. Ein
Stadtfahrzeug also, das am Wochenende auch mal zum
Familienausflug ins Grüne geeignet sein soll.
Wo sehen Sie noch Potenzial für die Elektrifizierung
von Motorsystemen und -komponenten?
Es bleibt abzuwarten, ob eine mechanische Regelung der
Nebenaggregate ausreicht. Vielleicht wäre es besser, elektrisch betriebene Nebenaggregate zu bevorzugen und somit
den Verbrennungsmotor von all diesen Zusatzaufgaben zu
entlasten.
Der 13-kW-Elektroantrieb des Renault Twizy stammt von
der Mahle-Tochter Letrika. (Bild: Renault)
An welche Nebenaggregate denken Sie dabei?
Mit dem Zukauf der Klimasparte von Delphi werden wir
künftig auch Klimakompressoren im Portfolio führen. Damit
schließen wir eine Lücke, die im früheren Mahle Behr-Portfolio vorhanden war. Unsere Kunden fordern berechtigterweise Komplettsysteme inklusive Systemauslegung. Die
Entwicklungsressourcen für die Systemauslegung mussten
wir bereitstellen, ohne aber die Wertschöpfung aus der
Fertigung von Klimakompressoren generieren zu können.
Dieses Missverhältnis haben wir jetzt abgeschafft.
Klimakompressoren sind außerdem ein interessantes Produkt, wenn es in Richtung Elektrifizierung des Antriebsstrangs geht. Bei einem Plug-in-Hybrid ist es definitiv erforderlich, dass der Klimakompressor elektrisch angetrieben wird, bei anderen Hybridvarianten zumindest erwägenswert. W
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führten Hartmut Hammer und
Jürgen Goroncy, freie Mitarbeiter der Hanser automotive.
HANSER automotive 7-8 / 2015
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trische DC-Motoren für ABS- und ESP-Einheiten, bürstenlose Gleichstrommotoren zur Lenkungsunterstützung sowie
weitere Elektromotoren für Pkw, Nutzfahrzeuge und industrielle Anwendungen. Zweites wichtiges Geschäftsfeld sind
Zündungskomponenten, Generatoren und Kraftstoff-Einspritzsysteme für Kleinmotoren, die vor allem in Motorrädern, kleinen Nutzfahrzeugen und Fahrzeugen für den Freizeitbereich zum Einsatz kommen. Der Markt für diese Zwei-,
Drei- und Vierräder ist bereits sehr groß und wird in den
nächsten Jahren weiter wachsen. Letrika und Kokusan
Denki werden als zwei separate Profit Center innerhalb des
Mahle Konzerns geführt. In diesem Wachstumsbereich
„Mechatronik“ streben wir mittelfristig ein Umsatzziel von
500 Millionen Euro an.
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