Schluss mit unnötiger Tötung von Küken

Panorama
Zürichsee-Zeitung
Freitag, 18. März 2016
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Schluss mit unnötiger Tötung von Küken
TIERSCHUTZ Millionen
männlicher Küken werden
jedes Jahr getötet, weil ihre
Aufzucht sich nicht lohnt.
Ändern könnte sich das
durch eine neue Methode,
welche die Bestimmung des
Geschlechts bereits im Ei
ermöglicht.
Wie flauschige gelbe Bällchen
sehen die Küken aus, die aufgeregt piepsen und durcheinanderwuseln. Doch kaum aus dem
Ei geschlüpft, geht für die Hälfte
von ihnen das Leben jäh zu Ende.
Jährlich werden in der Schweiz
2,4 Millionen Küken getötet,
nur weil sie Männchen sind. Der
Grund: In der Zucht von Legehennen braucht man nur Weibchen.
Die Männchen sind nutzlos. Sie
taugen weder zum Eierlegen noch
für die Fleischproduktion. Denn
Rassen, die auf das Legen optimiert sind, setzen nicht schnell
genug Fleisch an. Deshalb werden die Männchen vergast.
Doch mit der massenhaften Tötung männlicher Küken könnte
nun bald Schluss sein – dank Forschenden der Universitäten Dresden und Leipzig. Sie haben ein
Verfahren entwickelt, mit dem
sich das Geschlecht eines Hühnerembryos schon im Ei bestimmen lässt. Bis 2017 wollen sie den
Prototyp eines Geräts fertigstellen, das die Geschlechtsbestimmung automatisch vornimmt.
Kein Schmerzempfinden
«Männliche Küken müssten dann
gar nicht erst ausgebrütet werden», sagt Projektmitarbeiter Gerald Steiner von der Technischen
Universität Dresden. Stattdessen
könnte man die Eier schon lange
vor dem Schlüpfen aussortieren
– nach nur drei Tagen Bebrütung.
«Das hat einen entscheidenden
Vorteil», sagt Steiner. Zu diesem
Zeitpunkt spürt der Hühnerembryo noch keinen Schmerz, weil
das Nervensystem nicht voll ausgebildet ist. Hingegen haben sich
bereits Blutgefässe entwickelt, in
denen Blutzellen des Embryos
zirkulieren.
Dies nutzen die Forschenden,
um das Geschlecht zu bestimmen. Denn die Zellen enthalten
die komplette Erbinformation,
einschliesslich der Geschlechtschromosomen. Da die männlichen Geschlechtschromosomen
etwas grösser sind als die weiblichen, enthalten die Zellen der
männlichen Embryonen mehr
Erbmaterial. Das lässt sich mithilfe der sogenannten RamanSpektroskopie messen.
Frisch geschlüpfte Küken: Zum Eierlegen taugen später nur die Weibchen, deshalb werden die Männchen gleich am ersten Lebenstag vergast.
Um sie anwenden zu können,
schneidet zunächst ein Laser
ein etwa ein Zentimeter grosses
Loch in die Eierschale (siehe Grafik). Anschliessend bestrahlt ein
Gerät den Embryo mit Infrarotlicht, welches von den Blutzellen gestreut wird. Ein Computerprogramm analysiert das Streuungsmuster und erkennt, ob es
sich um ein Männchen oder ein
Weibchen handelt. Nun können
die männlichen Eier aussortiert
werden. Weil sie schon einen Embryo enthalten, darf man sie zwar
nicht mehr für die Lebensmittelherstellung nutzen. Aber: «Eine
Verwendung der chemischen Bestandteile für die Industrie ist
denkbar», sagt Steiner.
Tests erfolgreich
Aus Eiern mit weiblichen Embryonen sollen hingegen später
Legehennen schlüpfen. Deshalb
wird das Loch in der Schale wieder verschlossen – mit einer Art
Klebstreifen, wie er etwa auch in
der Chirurgie Verwendung findet.
«Das verhindert, dass Keime eindringen oder das Ei austrocknet»,
sagt Chemiker Steiner.
Dass sich trotz dieser Prozedur
noch gesunde Küken entwickeln,
konnten die Wissenschafter in
Versuchen mit mehr als 1000
GESCHLECHTSBESTIMMUNG IM EI
Spektroskopie
An den Blutzellen gestreutes Infrarotlicht wird
analysiert und so das Geschlecht bestimmt.
Öffnen
Verschliessen
Per Laser wird ein kleines Loch
in die Kalkschale geschnitten.
Das Loch in der Kalkschale
wird wieder verschlossen.
Verwertung,
z.B. für die chemische Industrie
Eier werden ausgebrütet
Eiern belegen. Daraus schlüpften
nur wenige Prozent weniger Küken als aus unbehandelten Eiern.
Auch scheint die Geschlechtsbestimmung zuverlässig zu funktionieren: Aus 30 Eiern, die ausschliesslich mithilfe der neuen
Methode sortiert wurden, sind
vor wenigen Tagen die ersten
Küken geschlüpft. «Bis jetzt alles Weibchen», freut sich Steiner.
Die Methode sollte möglichst
rasch in kommerziellen Brütereien zum Einsatz kommen, fordert
der Agraringenieur Cesare Sciarra
vom Schweizer Tierschutz: «Das
wäre eine enorme Verbesserung
gegenüber der heutigen Praxis.»
In den meisten Brütereien werden männliche Küken mit Kohlendioxid vergast, wodurch der Tod
innerhalb weniger Sekunden eintreten sollte. Doch in der Realität
sähe es manchmal anders aus, sagt
Sciarra. Wenn beim Umgang mit
den Geräten Fehler gemacht werden, dauere der Todeskampf länger. Zudem sei es ethisch verwerflich, die Tiere aus wirtschaftlichen
Gründen auszubrüten, nur um sie
hinterher zu töten.
Verteuerung befürchtet
Auch aus Sicht von Oswald Burch,
Geschäftsführer der Vereinigung
der Schweizer Geflügelproduzenten Gallosuisse, wäre eine Alter-
Quelle BMEL, Grafik Dissoid.com
iStock
native zur jetzigen Praxis wünschenswert. Allerdings fürchtet er, dass die neue Methode die
Produktion in der Schweiz teurer machen wird. Die Entwickler
aus Deutschland rechnen zwar
nur mit Mehrkosten für die Brütereien von ein bis zwei Eurocent
pro Ei. Doch selbst das würde sich
bei fast 900 Millionen Eiern, die
in der Schweiz jedes Jahr produziert werden, summieren. «Es
darf nicht sein, dass die Produzenten allein auf den Kosten sitzen bleiben», sagt Burch. «Die
Konsumenten müssen bereit
sein, höhere Preise zu zahlen.»
Ob die Praxis der Kükentötung
ohne gesetzlichen Druck ein Ende findet, ist allerdings fraglich. Erst vor wenigen Tagen hat
das Landesgericht Münster eine
Klage der Tierschutzorganisation Peta gegen eine Brüterei abgewiesen. Zwar dürfen laut deutschem Tierschutzgesetz Tiere
nur mit vernünftigem Grund getötet werden. Einen solchen hätten aber die Brütereien, befanden
die Richter. Nun planen immerhin mehrere deutsche Bundesländer, ein Verbot zu erlassen.
Anders ist das in der Schweiz:
Hierzulande gibt es bisher keinerlei Bestrebungen, die Tötung
männlicher Küken zu verbieten.
Claudia Hoffmann
Gruppen geraten öfter in Lawinen als Einzelgänger
LAWINENGEFAHR Auf
Skitouren sind Einzelgänger überraschend sicher
unterwegs. Weit riskanter
verhalten sich dagegen
grössere Gruppen.
Immer wieder werden Skitourenfahrer abseits der Piste von Lawinen verschüttet. 33 Menschen
kamen so im letzten Winter ums
Leben. Und zurzeit ist wieder
Skitouren-Hochsaison. Wie Tourengänger am sichersten unterwegs sind, erforscht Benjamin
Zweifel vom Schweizerischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). Er fand heraus:
Das Risiko, von einer Lawine erfasst zu werden, hängt stark von
der Gruppengrösse ab.
In einer Studie analysierte der
Davoser Forscher rund 540 Lawinenunfälle in der Schweiz und
Italien. Zudem untersuchte er
über 10 000 Tourenbeschreibun-
gen auf dem Webportal Gipfelbuch.ch und befragte Berggänger
nach ihrer Tour.
Das Ergebnis überrascht: Wer
alleine unterwegs ist, gerät nicht
öfter in eine Lawine als Gruppen
von zwei oder drei Leuten. «Die
meisten Einzelgänger sind sich
bewusst, dass sie sich nicht den
kleinsten Fehler erlauben können», erklärt Lawinenforscher
Zweifel. «Deshalb wählen sie ihre
Route vorsichtig und halten sich
von riskanten Hängen fern.»
Riskantes Verhalten
in der Gruppe
Anders grössere Gruppen: Wie
die Studie zeigte, werden Teams
ab vier Personen deutlich öfter von einer Lawine erfasst als
Zweier- oder Dreierteams. Und je
grösser die Gruppe, desto höher
das Risiko. «Unter Gleichgesinnten fühlt man sich automatisch
sicherer», sagt Zweifel. «Darum
Touren abseits der Piste: Je grösser die Gruppe ist, desto grösser
das Risiko, in eine Lawine zu geraten.
Keystone
tendiert man dazu, Gefahren zu
unterschätzen.»
Einen negativen Einfluss haben
auch weitere Aspekte der Gruppendynamik. Zum Beispiel, wenn
die Führungsrolle nicht klar definiert ist – oder sie nicht derjenigen Person zufällt, die am meisten
Wissen über Lawinen mitbringt.
«Das kann zu falschen Entscheidungen führen», so Zweifel. Beispielsweise zum Verzicht auf
Vorsichtsmassnahmen – etwa
einen kritischen Hang nicht zusammen, sondern einzeln hinabzufahren.
Wie es zu Fehlentscheiden
kommt, will nun der Lawinenforscher Jordy Hendrikx von der
Universität Montana in den USA
genauer untersuchen. Mithilfe
einer App namens Skitracks wertet er GPS-Daten von Skitouren
aus, auch aus der Schweiz. Die
Nutzer beantworten zudem direkt nach der Tour einen elek-
tronischen Fragebogen zur Gruppenzusammensetzung und zu den
getroffenen Entscheidungen.
Anhand der ersten 2500 aufgezeichneten Touren hat Hendrikx
bereits entdeckt: Teams, die ausschliesslich aus Männern bestehen, gehen deutlich mehr Risiken ein als gemischte Gruppen.
Frauen beeinflussen also das Verhalten der Gruppe positiv. Die Erkenntnisse aus der Untersuchung
sollen schlussendlich helfen, Tourengänger in Lawinenkursen besser auszubilden – und so Risiken
zu minimieren. Santina Russo
PRODUKTION
Scitec-Media GmbH,
Agentur für Wissenschaftsjournalismus
Leitung: Beat Glogger
Verantwortliche Redaktorin: Claudia Hoffmann
[email protected], www.scitec-media.ch