Nationaler Gedenktag für verstorbene DrogengebraucherInnen Trauergedenken für die verstorbenen Drogenkonsumenten in Frankfurt am Main 2015 Begrüßung: Liebe Angehörige, liebe Freunde und Freundinnen, liebe Betreuerinnen und Betreuer und Trauernde. Auch ich begrüße Euch herzlich. Für diejenigen von Euch, die mich nicht kennen: Mein Name ist Nulf Schade-James und ich bin Pfarrer an der Friedenskirche im Gallus. Wir haben uns versammelt, um noch einmal die Trauer zu teilen und uns dabei gegenseitig halten. Wir lesen die Namen unserer Verstorbenen und bitten wir um Gottes Segen, weil wir hoffen, dass Gott uns alle umfasst, die Lebenden und die Toten. Votum So geschehe und geschieht dieses Zusammenkommen im Namen Gottes, der Quelle, dem Ursprung und dem Ziel unseres Lebens. Im Namen Jesu Christi, der Mensch an unserer Seite Im Namen Heiligen Geistes, der Kraft, über den Menschen, die alle verbindet, Tote und Lebende. Amen Gebet Lebendige, wir denken zurück an das, was hinter uns liegt, was wir in unserem Herzen tragen. Wir haben, Freunde und Freundinnen, Töchter und Söhne verloren, Brüder und Schwestern, Menschen, die uns lieb und wichtig waren, die wir begleitet haben und uns um sie gesorgt. Dieser Verlust schmerzt noch immer. Abschiede prägen unser Leben. Und manchmal ist es so als würden wir fallen. Gott, aus dir strömt unser Leben, zu dir fließt es wieder zurück. Geboren werden und irgendwann sterben, kommen und gehen, Unser Leben bewegt sich immer zwischen diesen beiden Polen. Manchmal ist unser Herz müde davon, manchmal sehnen wir uns danach, ausbrechen zu können. Die wieder zusehen, die wir loslassen mussten, das aufhalten zu können, was auf uns selbst zukommt. Schließe uns alle ein in deine Liebe, in deinen Trost, in deine Verheißung. Amen Liebe Angehörige, liebe Freunde und Freundinnen, liebe Betreuerinnen und Betreuer und Trauernde. Vor ein paar Jahren sang ich Euch an dieser Stelle ein Lied. Es ist ein Lied das wie kein anderes hierher passt. Deshalb singe ich es heute wieder. 1.Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein bessrer Tag, durch all die dunklen Küchen und wo grau ein Werkshof lag, beginnt plötzlich die Sonne unsere arme Welt zu kosen und jeder hört uns singen, Brot und Rosen 2.Wenn wir zusammen gehen kämpfen wir auch für den Mann, weil unbemuttert kein Mensch auf die Erde kommen kann, und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch, wollen wir mehr, gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch. 3.Wenn wir zusammen gehen, gehen unsre Toten mit, ihr unerhörter Schrei nach Brot, schreit auch durch unser Lied, sie hatten für die Schönheit, Liebe, Kunst, erschöpft nie Ruh’ Drum kämpfen wir ums Brot und woll’n die Rosen dazu. 4.Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein bessrer Tag, die Frauen, die sich wehren, wehren aller Menschen Plag, zu ende sei, dass kleine Leute, schuften für die Großen, her mit dem ganzen Leben, Brot und Rosen, Brot und Rosen. Seit vielen Jahren singen wir dieses Lied auch in unseren Gottesdiensten. Das ist für manche sicherlich überraschend, denn Brot und Rosen ist nicht unbedingt ein Kirchenlied, es ist ein Lied aus der Arbeiterbewegung und wurde zuerst einmal auf politischen Veranstaltungen gesungen. Was ist das für ein Lied, das in so unterschiedlichen Welten zu Hause ist? Es ist in den USA entstanden, in Massachusetts, einem Bundesstaat an der Ostküste. Während eines Streiks 1912 von Textilarbeitern wurde das Lied gesungen. Die meisten Streikenden waren Frauen, eine ihrer Parolen war „Bread and Roses“, „Brot und Rosen“. Es ist also ein Gewerkschaftslied, ein Frauenlied und offensichtlich auch ein Lied, das wir gerne in unserer Kirche singen. Ist das denn erlaubt? Dürfen wir ein Lied im Gottesdienst singen, in dem nicht einmal das Wort Gott vorkommt? Ich denke ja, und ich habe es gerade auch wieder getan. Denn das Lied handelt von den Sorgen und Hoffnungen von Menschen. Es handelt von Gemeinschaft und der Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren Welt. „Brot und Rosen“ enthält eine tiefe Weisheit über das Leben, über das Leben der Kleinen Leute. Ich glaube, das Lied handelt von religiösen, von christlichen Themen in einer „weltlichen“ Sprache. Brot und Rosen, das war damals eine zentrale Forderung der Streikenden. Die Frauen kämpften natürlich nicht dafür, dass sie am Ende einer Arbeitswoche von ihrem Chef einen Blumenstrauß bekommen. Nein, Brot und Rosen ist viel grundsätzlicher gemeint. Im Lied heißt es dazu: „Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch, wollen wir mehr: gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch!“ Für mich steckt hinter diesen einfachen Worten eine bedeutsame Erkenntnis. Das Leben ist mehr als nur Arbeit, das Leben ist mehr als der tägliche Kampf um das Brot. So wichtig es ist, genug zu essen zu haben; so wichtig es ist, materiell abgesichert zu sein, das ist nicht alles. Oder wie Jesus sagte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ (Mt4,4) Dies wissen die Frauen und darum kämpfen sie um mehr! Sie wollen das Brot, sie wollen materielle Sicherheit für sich und ihre Familien, sie wollen gerechten Lohn für harte Arbeit, das ist die eine Seite. Und auf der anderen Seite wollen sie Rosen. Sie fordern für sich den Freiraum und die Möglichkeiten, die ihre Vorfahren, ihre Großeltern und Eltern nicht hatten. Denn diese hatten vor Erschöpfung und Müdigkeit nie Zeit für die Schönheit, die Liebe und die Kunst. Die Arbeit hat sie aufgefressen, hat ihnen alle Kraft beraubt, so dass nichts übrig blieb für die schönen Dinge des Lebens. Denn der Satz stimmt: Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, er braucht mehr. Es braucht auch Druckräume! Aber zuerst einmal braucht der Mensch Essen und Trinken, sonst ist alles andere nichtig und irrelevant. Und es gibt Situationen da müssen Menschen ihre ganze Energie auf die Erlangung des Überlebens notwendigen richten. So z.B. im Krieg, in Hungersnöten, in Wirtschaftskrisen, in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, auf der Straße. Dann geht alle Kraft und Kreativität, alles Leben allein für den Broterwerb drauf. Und dagegen kämpfen die Frauen. Dagegen singen die Frauen. Denn das Leben ist mehr als nur Arbeit, Schweiß und Bauch. Darum geht es ihnen um Brot und Rosen. Es geht um gesellschaftliche Freiräume. Um Zeit und Raum für die Gemeinschaft. Brot und Rosen bringt dies für mich ganz einfach und ganz überzeugend auf den Punkt. Wir Menschen sind mehr als Arbeitsmaschinen. Wir haben nicht nur materielle Bedürfnisse. Wir haben auch Bedürfnis nach Gemeinschaft und Spiritualität. Wir haben Sehnsucht und Hunger nach Gott, nach Frieden und Gerechtigkeit und vor allem Hunger nach Liebe. Doch wenn das so offensichtlich ist, warum müssen die Frauen dann dieses Lied singen? Warum müssen sie um Brot und Rosen kämpfen und streiken? Die Antwort ist so einfach wie bitter: Sie müssen um Brot und Rosen kämpfen, weil beides ihnen verweigert wird. Die Welt, in der wir leben, ist nicht friedlich und gerecht. Menschen unterdrücken andere Menschen, Männer diskriminieren Frauen, Eltern schlagen ihre Kinder, Arbeitgeber beuten ihre Arbeiter aus. Das war damals in den Textilfabriken in den USA so, und das hat sich seit dem nicht grundsätzlich geändert. Wir Christinnen und Christen haben dafür ein Wort: Wir nennen diesen Zustand der Ungerechtigkeit Sünde. Es ist gegen Gottes Willen, Menschen auszubeuten, zu knechten und sie auf Arbeitsmaschinen zu reduzieren. Gott will nicht, dass sich Menschen über andere Menschen erheben, denn nur Gott ist Gott. Gott will nicht, dass sich Menschen über andere Menschen zum Herrn machen, denn nur Gott ist Herr. Die Frauen aus Massachusetts singen von den Verstorbenen, den Toten, die gelitten haben unter dem Mangel an Brot und Rosen. Sie wollen der Ausbeutung ein Ende schaffen: „Zu Ende sei: dass kleine Leute schuften für die Großen.“ Das Lied durchzieht eine Sehnsucht, eine Vision, die auch wir Christen kennen. Es ist die Hoffnung auf das Reich Gottes, das sich auf unserer Erde in Anfängen zeigt. Es ist die Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, auf das Friedensreich Gottes. Sicherlich haben wir andere Bilder und Symbole für das Reich Gottes als es die Arbeiterbewegung hat. Und sicherlich gibt es auch unterschiedliche Überzeugungen in der Frage, wie wir dahin kommen. Aber es gibt eine entscheidende Gemeinsamkeit: Sowohl Arbeiterbewegung als auch Kirche gehen davon aus, dass etwas anderes möglich ist als das was wir bisher hier auf der Erde haben. Die Arbeiterinnen singen von Brot und Rosen und dem Ende der Ausbeutung. Wir sprechen von Frieden und Gerechtigkeit und wissen, dass Gott uns sein Friedensreich versprochen hat. Frieden und Gerechtigkeit. Unser Gott ist ein Gott des Friedens und der Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass Gott parteiisch ist. Gott ist nicht der alte, weißbärtige Großvater, der für alle seine Enkelkinder ein paar Bonbons übrig hat. Gott ist ein Kämpfer. Gott ist eine leidenschaftliche Kämpferin für das Leben. Gott kämpft für seine Menschenkinder, denen Frieden und Gerechtigkeit verwehrt wird. Gott ist auf Seiten der Armen, der Unterdrückten, der Kleinen Leute. Gott will für seine Erde Frieden und Gerechtigkeit. Zu Gottes Frieden und Gerechtigkeit gehören aber auch die Rosen. Es gehört auch das Trauern um geliebte Menschen dazu, Trauerfeiern, die uns Kraft geben. Unsere Rosen sind das gemeinsame Feiern und das gemeinsame Tragen von Schwierigem und Traurigem. Unsere Rosen sind das hier zusammenstehen und an die zudenken, die gestorben sind. Eine Rose kann auch ein Platz, an dem wir uns besonders wohl fühlen und entspannen. Eine Rose kann auch ein Druckraum sein. Das Lied zeigt uns: Wir brauchen diese Orte, diese Kraftfelder zum Leben wie die Luft zum Atmen. Gerade wenn wir uns für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen, brauchen wir Hoffnungszeichen und Energiequellen. Brauchen wir Brot und Rosen. Amen Zum Gedenken gehört, dass die Namen der Toten genannt werden. Jeder Name, den wir vorlesen, steht für ein Leben. Mit jedem Namen sind Erinnerungen, Erlebnisse, Freude und Glück, vielleicht auch Wut und Zorn, Schmerzen und Trauer, verbunden. Worte und Namen können niemals das Leben eines Menschen erfassen. Das Leben, das, was ein Mensch anderen Menschen bedeutet, ist unendlich mehr, als Worte ausdrücken können. -NamensnennungWenn ihr könnt, dann betet mit mir Gott, wir vertrauen dir all diese Namen an. Lass sie in deinem Buch des Lebens eingeschrieben sein. Wir denken zurück an das, was hinter uns liegt, was wir in unserem Herzen tragen, an Spuren, Erfahrungen, Gefühlen, Trauer und Schmerz, Dankbarkeit und Freude, Verzweiflung und Trost. Hilf uns alles, was uns belastet und bedrückt, was schmerzt und wütend macht, was abgebrochen und unfertig geblieben ist, in deine Hände zu legen. Sei uns nahe, wenn wir jetzt zurückgehen in unseren Alltag, Segne uns, damit wir zum Segen werden für die Welt. Amen Vater Unser Segen
© Copyright 2025 ExpyDoc