Wer trägt die Kosten mangelhafter

Wer trägt die Kosten
mangelhafter Baumaterialien?
– Umfang der Mängelhaftung und Regress –
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Wer trägt die
Kosten mangelhafter
Baumaterialien?
– Umfang der Mängelhaftung und Regress –
Fachtagung des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz in Kooperation mit
der Forschungsstelle für Verbraucherrecht an
der Universität Bayreuth
vom 23. und 24. Februar 2015 in Berlin
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Vorwort
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Vorwort
Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Juni 2011
wird diskutiert, wie der kaufrechtliche Nacherfüllungsanspruch
ausgeweitet werden soll. Nach dieser Entscheidung ist der Verkäufer
von Sachen, die ihrer Bestimmung gemäß eingebaut werden, auch für
die notwendigen Aus- und Einbauleistungen verantwortlich, wenn
die Sachen mangelhaft sind. Die Entscheidung des EuGH ist zur
EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ergangen und bindet Deutschland
daher nur für Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern.
Es steht uns aber frei, entsprechende Regelungen auch für Verträge zwischen Unternehmern
vorzusehen. Genau das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, um den Interessen vieler
Handwerker und Bauunternehmer besser Rechnung zu tragen. Denn nach geltendem Recht
befinden sich diese in einer schwierigen Situation: Sie sind nach dem Werkvertrag mit dem
Kunden zum Ausbau des mangelhaften und zum Einbau mangelfreien Materials verpflichtet.
Von dem Baustoffhändler, der ihnen das Baumaterial verkauft hat, können sie dagegen nach
geltendem Kaufvertragsrecht nur die Lieferung des neuen Baumaterials verlangen. Die Ausund Einbaukosten müssen sie so in der Regel selbst tragen.
Wir wollen daher – so steht es im Koalitionsvertrag – dafür sorgen, dass Handwerker und
andere Unternehmer nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen bleiben,
die der Lieferant oder Hersteller zu verantworten hat. Eine Regelung zugunsten der Hand­
werker und Bauunternehmer würde als „Kehrseite“ aber die Verkäufer stärker belasten. Diese
können den Fehler des Materials, das sie von einem Großhändler bezogen haben, nämlich oft
selbst nicht erkennen. Wenn wir also die Handwerker und Bauunternehmer besser stellen,
dann müssen wir uns auch über die Rechtsstellung der Verkäufer Gedanken machen.
Es gibt viele mögliche Lösungen, mit denen wir dem Verbraucherschutz wie den Interessen von
Unternehmen gleichermaßen gerecht werden: Neue Regressvorschriften gehören genauso dazu
wie Haftungsbegrenzungen bei unverhältnismäßig hohen Aus- und Einbaukosten. Wer aber
am Ende für sie aufkommen muss, darauf gibt es keine leichte Antwort und alle Seiten – Handwerker, Verkäufer, Zwischenlieferanten und Hersteller – haben hier berechtigte Belange. Ich
habe daher am 23. und 24. Februar 2015 zu einer Fachtagung „Wer trägt die Kosten mangelhafter Baumaterialien?“ in das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingeladen. Anlässlich dieser Veranstaltung haben wir die Frage der Aus- und Einbaukosten und die
Möglichkeiten einer gesetzlichen Umsetzung umfassend und intensiv diskutiert. Die Beiträge
der Teilnehmer und die fachliche Diskussion anlässlich dieser Fachveranstaltung werden meinen Mitarbeitern und mir eine wertvolle Hilfestellung bei der Erarbeitung eines Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrecht­
lichen Mängelhaftung leisten, den wir noch in dieser Legislaturperiode vorlegen werden.
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Vorwort
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Dieser Tagungsband enthält einen Abdruck der auf der Fachveranstaltung gehaltenen Referate. Allen Teilnehmern und Referenten spreche ich an dieser Stelle noch einmal meinen Dank
für Ihre Beiträge und die lebendige und offene Diskussion aus.
Mit freundlichen Grüßen
Heiko Maas
Bundesminister der Justiz
und für Verbraucherschutz
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Inhaltsübersicht
I. Eröffnung der Tagung..................................................................................................................................... 9
Staatssekretär Gerd Billen
II. Einführung zum Thema............................................................................................................................... 15
Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel
III. Verbraucherschutz bei Folgekosten mangelhafter Baumaterialien de lege lata............... 20
Prof. Dr. Michael Jaensch
IV. Möglichkeiten der Ausgestaltung einer legistischen Umsetzung der
EuGH-Rechtsprechung zu den Aus- und Einbaukosten...................................................................... 33
Prof. Dr. Florian Faust
V. Bestehende Regresswege für den Werkunternehmer, den Verkäufer und
den Lieferanten...................................................................................................................................................... 49
RA beim BGH Prof. Dr. Ralph Schmitt
VI. Modelle einer Ausweitung der Regressmöglichkeiten................................................................. 67
Prof. Dr. Markus Artz
VII. Schlusswort..................................................................................................................................................... 73
Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel
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Kapitel I
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I.
Eröffnung der Tagung
Staatssekretär Gerd Billen*
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste!
Zu unserer Fachtagung “Wer trägt die
Kosten mangelhafter Baumaterialien?“
möchte ich Sie herzlich begrüßen.
Für Millionen Menschen in Deutschland hat der Hausbau eine enorme Bedeutung, oft eine
emotionale, immer eine ökonomische, manchmal eine existenzielle. Das gilt zum einen für
alle, die sich ein Haus bauen – ein Akt, der zu einem vollendeten Leben – so heißt es – ebenso
dazu gehört wie einen Baum zu pflanzen und eine Familie zu gründen. Es gilt aber auch für
alle, die mit dem Hausbau oder mit den Baustoffen ihr Geld verdienen.
Mit dem Bau von Häusern, von Straßen, Gleisen, Kanälen und anderen Bauwerken werden in
Deutschland jährlich rund 90 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Der Umsatz der Baustoffindustrie liegt bei knapp 30 Milliarden Euro. Für riesige Summen werden hierzulande täglich Bau­
materialien hergestellt, verkauft und verbaut. Fast 800.000 Menschen in Deutschland haben
darüber eine Beschäftigung.
Es geht also um viele Arbeitsplätze und hohe Summen, wenn wir uns hier mit den rechtlichen
Rahmenbedingungen für dieses Gewerbe befassen. Damit die beteiligten Unternehmen ihre
Preise und ihre Investitionen sicher kalkulieren können, brauchen sie eine verlässliche Grundlage. Dazu gehört auch eine klare Antwort auf die Frage dieses Symposiums, wer die Kosten
mangelhafter Baumaterialien trägt. Deswegen wollen wir heute und morgen intensiv nach
Wegen suchen, wie das Recht an dieser Stelle verbessert werden kann.
Um was geht es genau? Lassen Sie mich zu Beginn einen Fall skizzieren, mit dem wir es hier
typischerweise zu tun haben: Ein Handwerker wird mit Arbeiten an einem Haus beauftragt.
Er schließt mit dem Hauseigentümer einen Werkvertrag ab. Wandfliesen sollen verlegt oder
ein Dach mit Ziegeln eingedeckt werden. Die Baumaterialien kauft der Handwerker bei einem
Baustoffhändler und verbaut sie wie gewünscht im Haus seines Kunden. Nach einiger Zeit
treten an den Baumaterialien aber Mängel auf: Die Glasur der Fliesen platzt ab, die Dachziegel
sind nicht frostresistent. Eine Reparatur ist nicht möglich, also bleibt nur der Austausch von
Fliesen oder Ziegeln.
*
Der Verfasser ist Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.
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Kapitel I
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Rechtlich völlig klar ist, dass der Handwerker als Käufer der Baumaterialien von dem Baustoffhändler die Lieferung neuer, mangelfreier Fliesen oder Ziegeln verlangen kann.1
Seinem Kunden – dem Hausbauer – bei dem er das Material eingebaut hat, schuldet er jedoch
mehr: Er hat sich ja mit dem Werkvertrag zur Herstellung eines mangelfreien Werkes verpflichtet. Nun muss er „nacherfüllen“ und ihm die mangelhaften Baumaterialien aus- und
die neuen, mangelfreien Baumaterialien einbauen2.
Das wirtschaftliche Interesse des Handwerkers ist klar: Er möchte die Kosten für diesen Ausund Einbau an den Baustoffhändler weiterreichen.
Nach dem geltenden Recht geht das nur über einen Schadens- oder Aufwendungsersatzanspruch. Der wird aber oft daran scheitern, dass der Baustoffhändler den Mangel nicht zu vertreten hat3. Wenn der Mangel etwa auf einem Fabrikationsfehler beruht, trifft den Händler
häufig keine Schuld. Solche Fehler kann er oft nicht erkennen.
In all die Fragen, die mit diesem Fall verbunden sind, ist Bewegung gekommen durch eine
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juni 2011, die Sie alle kennen. Das Urteil
war Anlass, das Problem im Koalitionsvertrag aufzugreifen und die Weichen neu zu stellen.
Bevor ich darauf eingehe, wie die Weichen gestellt werden, möchte ich aber kurz auf die rechtliche Entwicklung eingehen. Wenn wir uns die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
und die Gesetzesänderungen zum Kaufvertragsrecht in der Vergangenheit anschauen, wird
nämlich deutlich: Es gab in dieser Frage ein ständiges Hin und Her. Und für jede mögliche
Lösung gibt es gute Argumente:
Vor der Schuldrechtsreform – also grob gesprochen im letzten Jahrtausend – gab es einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz von Aus- und Einbaukosten. Wer mangelhafte
Dachziegeln verkaufte, musste nicht nur einwandfreie nachliefern. Die Kosten der Eindeckung
eines Daches mit den fehlerhaften Ziegeln sah der BGH 1983 als „Vertragskosten“ an. Der Käufer
der Ziegel konnte „wandeln“ und sich auch diese „Vertragskosten“ nach § 467 Satz 2 BGB alter
Fassung ersetzen lassen. Diese weite Auslegung begründete der BGH damit, dass der Verkäufer
durch die Lieferung der mangelhaften Sache den Grund für die Wandelung gelegt habe.
Mit der Schuldrechtsreform von 2002 wurde § 467 Satz 2 BGB dann gestrichen – und damit
fiel auch der verschuldensunabhängige Ersatz der Vertragskosten. Die Gesetzesbegründung ist
hier eindeutig: Im Falle der Rückabwicklung eines Kaufvertrags könne die Rückgewähr der
Leistungen verlangt werden. Andere Nachteile, die darüber hinausgehen, müssten dagegen im
Rahmen eines Schadensersatzanspruchs geltend gemacht werden – und damit eben verschuldensabhängig. Entsprechend entschied der BGH 2008, dass der Verkäufer mangelhafter Parkettstäbe zwar neue ohne Fehler liefern muss. Er sei aber ohne ein Verschulden nicht ver-
1§ 439 Abs. 1 BGB
2§ 635 BGB
3§ 437 Nr. 3 i.V.m. §§ 284, 280, 276BGB
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pflichtet, sie auch noch auf eigene Kosten zu verlegen. Der Anspruch auf Nacherfüllung könne
nicht weiter reichen als der ursprüngliche Anspruch auf Lieferung der Kaufsache.
Erneut in die andere Richtung ging im Jahr 2011 dann der Europäische Gerichtshof. Aus der
EU-Verbrauchsgüterkaufrichtlinie leitete der EuGH ab: Wer Mangelware liefert, ist auch verpflichtet, sie entweder selbst auszubauen und die Ersatzsache einzubauen oder aber die Kosten
dafür zu tragen. Die Richtlinie räume dem Verbraucher schließlich die „unentgeltliche“ Herstellung des vertragsgemäßen Zustands ein. Das schütze den Verbraucher auch vor finanziellen
Lasten, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer von vornherein ordnungsgemäß
geliefert hätte.
Der EuGH hat so die Rechte der Verbraucher gestärkt. Er sieht aber auch die Lage der Verkäufer
und räumt ihnen ein, den Austausch zu verweigern, wenn die dafür erforderlichen Kosten
die Reparaturkosten bei Weitem übertreffen würden. Dann hat nach dem Prinzip der relativen
Unverhältnismäßigkeit die Reparatur Vorrang. Ist die Reparatur dagegen ausgeschlossen,
könnten zu hohe Austauschkosten nach dem Prinzip der absoluten Unverhältnismäßigkeit
auf einen angemessenen Betrag reduziert werden – auch das sei nach EU-Recht möglich.
Der BGH ist dem EuGH mittlerweile gefolgt, allerdings nur soweit es um Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern geht. Wir haben es hier ja schließlich mit der Auslegung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zu tun. Für Verträge zwischen Unternehmen bleibt
der BGH bei der alten Linie: kein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Aus- und Einbaukosten nach Lieferung mangelhafter Ware. Begründet hat der BGH das wieder mit dem Ziel
der Schuldrechtsreform, den Nacherfüllungsanspruch nicht weiter reichen zu lassen als den
ursprünglichen Erfüllungsanspruch.
Das ist aus meiner Sicht gut nachvollziehbar: Der Wille des deutschen Gesetzgebers wird nur
so weit zurückgedrängt, wie das europarechtlich erforderlich ist. Die ausdifferenzierte Rechtsprechung geht aber auf Kosten der Rechtsklarheit: Obwohl dieselbe Vorschrift einschlägig ist,
nämlich § 439 BGB, umfasst der Nacherfüllungsanspruch bei Kaufverträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern die Aus- und Einbauleistungen – bei den übrigen Kaufverträgen
aber nicht.
Die heutige Rechtslage geht außerdem sehr zu Lasten der Handwerker und Bauunternehmer.
Der Ausbau von mangelhaftem Baumaterial und der Einbau von einwandfreiem Ersatzmaterial
kann sehr teuer sein. Man denke etwa an einen Handwerker, der in ein Einfamilienhaus neue
Fenster einbaut. Stellt sich erst nach dem Einbau heraus, dass diese nicht richtig dichten, muss
er sie ausbauen, mangelfreie Fenster beschaffen und sie dann wieder einbauen. Von seinem
Lieferanten wird er nach geltendem Recht aber meistens nur die Fenster ersetzt bekommen. Auf
den Kosten für den Ausbau und den erneuten Einbau der Fenster bleibt er sitzen. Diese Kosten
können seinen Werklohn bei weitem übersteigen.
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In solchen und ähnlichen Fällen wollen wir die Handwerker und Bauunternehmer entlasten.
Im Koalitionsvertrag4 heißt es dazu:
„Im Gewährleistungsrecht wollen wir dafür sorgen, dass Handwerker und andere Unternehmer nicht pauschal auf den Folgekosten von Produktmängeln sitzen bleiben, die der Lieferant
oder Hersteller zu verantworten hat.“
Im Rahmen dieser Fachtagung möchten wir mit Ihnen diskutieren, wie wir den Auftrag aus
der Koalitionsvereinbarung am besten umsetzen können.
In der Podiumsdiskussion gleich im Anschluss werden die Belange und die Nöte der verschiedenen betroffenen Akteure deutlich werden.
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Die Interessen der Verbraucher wird Herr Mauel vertreten,
Für die Handwerker wird Frau Dr. Schreiner streiten,
Herr Dr. Schröder wird darstellen, was die Letztverkäufer bewegt und
Herr Hölker wird uns über die Situation der Baustoffhändler insgesamt aufklären.
Aber es geht hier nicht nur um einen wirtschaftlichen Ausgleich. Wir müssen immer genau
wissen, was rechtlich möglich ist – und was nicht.
Deswegen wird gleich auch Professor Pfeiffer hier vorne sitzen, der das Vertragsrecht kennt
wie sonst kaum jemand und zwar sowohl das deutsche als auch das europäische. Moderiert
wird die Diskussion von Herrn Huff, weil wir wissen, dass es kein Thema gibt, mit dem er sich
nicht auskennt. Und weil er als Journalist, Anwalt, Pressesprecher und Verbandsvertreter
selbst am besten weiß, wie wichtig es ist, immer auch die andere Seite zu hören.
Ihnen allen danke ich herzlich, dass Sie heute hier sind und uns mit Ihrem Wissen und Ihren
Argumenten auf unser Thema einstimmen.
Morgen werden uns dann vier Vorträge weitere Orientierung geben. Nach diesen Vorträgen
sind wir dann optimal informiert für die Diskussion über mögliche Lösungen.
Ich möchte dieser Diskussion nicht vorgreifen, aber schon jetzt einige Aspekte nennen, die wir
aufgreifen sollten.
Wir wissen: Jede Regelung, die Handwerker und Bauunternehmer entlastet, würde als „Kehrseite“ die Verkäufer von Baumaterialien stärker belasten. Wir sollten uns deswegen genau
überlegen, welche neuen Kosten sich für die Verkäufer ergeben würden, wenn das Recht geändert wird.
4Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 25
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Es geht hier um hohe Summen und enorme Risiken. Wir sollten daher auch der Frage nachgehen: Wie können diese Risiken eventuell abgefedert werden? Können sich die Unternehmen
dagegen versichern? Oder gibt es für die Verkäufer allein die Möglichkeit, ihr Risiko über die
Preise umzulegen?
Für Aus- und Einbaukosten, die den Kaufpreis um ein Vielfaches übersteigen, sollten wir über
die Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung nachdenken. Im immer wieder diskutierten
„Paradebeispiel“ spielt ein kleiner defekter Dichtungsring die Hauptrolle. Es kostet den Verkäufer
möglicherweise nur ein paar Cent, einen neuen Dichtungsring nachzuliefern, den Handwerker
aber ein kleines Vermögen, die Mauer wieder aufzuklopfen, um ihn auszutauschen.
Der EuGH hat hier ja bereits Lösungen vorgeschlagen. Sie sind ein guter Ausgangpunkt für
unsere Debatte: Wenn eine Reparatur nicht möglich ist und Aus- und Einbau unverhältnismäßig viel kosten würde, könnte der Anspruch zum Beispiel auf einen „angemessenen Betrag“
beschränkt werden. Wir sollten uns auch darüber Gedanken machen, ob und wie der Gesetzgeber konkretisieren könnte, was „angemessen“ ist. Dann können die Verkäufer die Risiken
besser einpreisen und auch leichter Versicherungen gegen diese Risiken abschließen.
Oft wird Baumaterial schon fehlerhaft hergestellt. In diesen Fällen müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, wie Letztverkäufer und Zwischenhändler ihre Aufwendungen über
Regressvorschriften in der Lieferkette weiterreichen können. Vorschriften, die Unternehmern
den Regress erleichtern, gibt es ja bisher nur, wenn der letzte Käufer in der Vertragskette ein
Verbraucher ist5. Die besonders strenge Mängelhaftung, die Verbraucherinnen und Verbraucher schützt, soll der Letztverkäufer dann nicht allein tragen müssen. Ist der Endabnehmer
aber kein Verbraucher, sondern ein Unternehmen, dann gibt es bislang keinen erleichterten
Regress. Er müsste erst geschaffen werden.
Wirtschaftlich hat eine Regresskette viele Vorteile. Den Verkäufern in der Vertragskette wird
es leichter fallen, ihre Verpflichtungen aus der Mängelhaftung zu erfüllen. Sie können sich ja
darauf verlassen, dass sie ihrerseits einen Regressanspruch gegen ihren Lieferanten haben. Die
Regresskette ist auch deswegen sachgerecht, weil sie dort endet, wo der Mangel entstanden ist
– beim Hersteller nach Fabrikationsfehlern, beim Zwischenhändler nach Fehlern, die etwa
durch eine falsche Lagerung entstanden sind.
Der Haken ist: Was wirtschaftlich so überzeugend ist, wirft schwierige juristische Fragen auf.
Das beginnt schon mit dem richtigen Standort neuer Regressvorschriften. Der Untertitel 3
„Verbrauchgüterkauf“ würde nicht mehr passen, weil der letzte Käufer in der Vertragskette
auch ein Unternehmer sein kann.
5§§ 478, 479 BGB
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Und es geht weiter mit der Frage, ob die Regressvorschriften auch in Zukunft zwingend
anwendbar sein sollen – also vertraglich nicht abdingbar6. Der Letztverkäufer ist ja seinerseits
nicht zwingend Ansprüchen des Käufers aus Mängelhaftung ausgesetzt, wenn er an einen
Unternehmer verkauft.
Für zwingende Regressvorschriften spricht jedoch, dass die Verkäufer ihre NacherfüllungsAufwendungen in der Lieferkette möglichst bis zum Verursacher des Fehlers weiterreichen
können sollen. Die Regresskette wäre aber in vielen Fällen unterbrochen, wenn der Regress
durch Vertrag eingeschränkt werden könnte.
Das sind nur einige Aspekte. Sie zeigen: Wir werden hier heute und morgen intensiv beraten
müssen, um unser Ziel zu erreichen – eine Lösung zu finden, die die Interessen der Verbraucher und der beteiligten Unternehmer berücksichtigt und in einen gerechten Ausgleich bringt.
Ich freue mich auf eine lebendige und offene Diskussion und wünsche uns allen viele Ideen,
neue Anregungen und gute Gespräche.
Vielen Dank!
6§ 478 Abs. 4 BGB
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Kapitel II
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II.
Einführung zum Thema
Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel*
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
als Direktor der Bayreuther Forschungsstelle für Verbraucherrecht, die an der Konzeption sowie an der Vorbereitung dieser gestern Abend so gelungen eröffneten Tagung
mitgewirkt hat, freue ich mich, Sie hier
heute Morgen begrüßen zu dürfen. Unsere
Tagung folgt dem Konzept, zunächst – am
gestrigen Abend – den politischen Rahmen
und die Interessenlagen abzuklären und uns
dann – heute Morgen – im Rahmen des
Fachgesprächs mit den einzelnen Sachfragen, der technischen Umsetzung von Entscheidungen
zu diesen Sachfragen und den Kriterien für die zu treffenden Entscheidungen zu befassen.
Einführend sei noch einmal betont – und so ist der heutige Vormittag auch organisiert –, dass
wir zwei, und genau genommen eigentlich drei, Ebenen zu unterscheiden haben: Grob vereinfacht ist der Ausgangspunkt – jedenfalls unserer rechtlichen Überlegungen – der Vertrag am
Ende der Kette, sei es ein Verbrauchervertrag oder ein Vertrag zwischen Unternehmern, sei es
ein Kaufvertrag oder ein Werkvertrag. Sodann ist das primäre Rückgriffsverhältnis, also das
Verhältnis zwischen dem Anbieter (dem Handwerker oder dem Verkäufer) und dessen Lieferanten in den Blick zu nehmen, und schließlich die Frage, ob auch in der weiteren Rückgriffskette etwas zu tun ist.
Die Zahl an Stellschrauben zu unseren Sachfragen ist ungewöhnlich hoch. Dabei ist es wichtig,
tatsächlich zunächst die maßgebenden Sachfragen zu entscheiden, bevor man die technische
Einordnung diskutiert. Wenn man nämlich sofort über die technische Gestaltung etwa „Verschuldensprinzip“ und „Schadensersatz“ diskutiert, dann wird erfahrungsgemäß der Blick auf
die eigentlich dahinter liegenden Sachfragen und deren Entscheidung verstellt. Hidden policy
decisions, versteckte, in dogmatischen Feinheiten verschlüsselte Sachentscheidungen, vermeiden moderne Rechtssetzung und Rechtswissenschaft daher.1
*Der Verfasser ist Professor an der Universität Bayreuth und Direktor der Forschungsstelle für Verbraucherrecht,
Bayreuth.
1Dazu Schmidt-Kessel, Die Sprache (oder die Sprachen?) des Europäischen Privatrechts – ein Plädoyer für einen
Binnenmarkt der Privatrechtsdogmatiken, FS Blaurock, S. 401 ff.
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Kapitel II
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1. Sachfragen
In der Sache geht es – wenig überraschend – um Geld: Es geht um die Frage einer kostenmäßigen
Risikozuweisung, und zwar nicht nur der Mangelhaftigkeit der Materialien, die hier in den
Mittelpunkt gestellt ist, sondern auch der weiteren begleitenden Risiken, Prozessführungslasten,
Beweisnachteile etc., mit denen hier zu rechnen ist. Letztlich geht es auch nicht allein um den
Baubereich; Bau and beyond sind hier Thema und daher wird zumindest zu erörtern sein, ob die
zu findende Lösung nicht über diesen Bereich hinaus zu erweitern sein wird – die Schwierigkeiten bei der Auslegung von § 438 I Nr. 2 BGB gemahnen hier zur Vorsicht. Die damit angesprochen
Sachfragen werden hier nach den drei bereits erwähnten Verhältnissen gegliedert:
1.1. Der Vertrag am Ende der Kette
Um den Referenten nicht vorzugreifen, sind die verschiedenen Sachfragen zum letzten Kettenglied hier nur stichwortartig aufzuzählen:
Wie steht es mit der Beweislast für das Vorliegen des Mangels? Bestehen Entlastungsmöglichkeiten hinsichtlich der Kosten der Mangelbeseitigung? Und ist insoweit nach B2B und B2CVerträgen zu unterscheiden? Kann der Vertragspartner des Letzen in der Kette Ansprüche
dadurch kanalisieren, dass er eine zweite Andienung vornimmt, und hat umgekehrt der
Letzte in der Kette – sei er Verbraucher oder Unternehmer – einen Anspruch darauf, dass der
Vertragspartner diese Leistungen in Natur auch erbringt oder durch Erfüllungsgehilfen
erbringen lässt?
Ferner, wo liegt die Schwelle, ab deren Erreichen eine Unzumutbarkeit der Aufwendungen für
die Mängelbeseitigung vorliegt? Diese Schwelle entscheidet möglicherweise, genau genommen
– je nach Konstruktion – über Zweierlei: Sie behandelt die Grenze der zu übernehmenden
Kosten, aber sie behandelt möglicherweise auch die Frage, wie lange ein Anspruch in Natur
respektive Recht zur zweiten Andienung tatsächlich besteht.
1.2. Das primäre Regressverhältnis
Auch die Sachfragen für das primäre Regressverhältnis können hier nur stichwortartig angerissen werden:
Soll es einen Regress ohne Entlastungsmöglichkeit geben? Gibt es im Regressverhältnis eine
Andienungsmöglichkeit? Wie steht es im Regressverhältnis mit der Beweislast? Wie wird im
Regressverhältnis – zunächst im primären Regressverhältnis – die Expertise des Rückgreifenden berücksichtigt, wie Fehler des Rückgreifenden (etwa beim Vertragsschluss, bei Unterlassung von Rügen nach § 377 HGB oder ähnlichen Vorschriften oder auch bei der eigenen Ver­
arbeitung)? Welchen Umfang soll der Rückgriff haben und inwieweit soll er dispositiv sein?
Und schließlich: Soll der Rückgriffsgegner vorrangig auf den Hersteller oder auf einen anderen
Verursacher der Mangelhaftigkeit verweisen dürfen, etwa im Wege einer Abtretung oder im
Wege eines Direktanspruchs (vielleicht nach Vorbild der französischen action directe)?
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Kapitel II
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1.3. Die weitere Regresskette
Sind die Entscheidungen hier, also in dem weiteren Rückgriff der Rückgriffsgegner gegen ihre
Vorgänger, in der idealistischen Welt, die wir gestern schon als rein idealistisch und praxisfern beschrieben bekommen haben, die aber natürlich die Ausgleichsmechanismen zwischen
allen Beteiligten in dieser Kette mit steuern würde, also, ist hier dieselbe Ausge­staltung wie
im primären Regressverhältnis erforderlich? Haben wir möglicherweise andere Spielregeln
hinsichtlich Disposivität und AGB? Haben wir die Möglichkeit eines direkten Durchgriffs auf
den Verursacher?
2. Technische Fragen
Auch die technischen Fragen, die sich uns nach Entscheidung dieser Sachfragen stellen, sind
alles andere als einfach, vor allem, weil sie regelmäßig versteckte rechtspolitische Entscheidungen in sich tragen, die es ja zu vermeiden gilt.
Das beginnt schon mit der Ausgangsfrage: Soll für den Nacherfüllungsanspruch hinsichtlich
der Aus- und Einbaukosten die Erfüllung oder der Geldanspruch der Ausgangsfall sein? Soll
es sich bei Geldansprüchen im Ausgangsverhältnis wie im Rückgriffsverhältnis um Aufwendungsersatz- oder Schadensersatzansprüche handeln? Soll der in Anspruch Genommene den
Anspruch durch eine zweite Andienung – auch hinsichtlich des Aus- und Einbaus – kanali­
sierend in Grenzen halten können?
So gelangt man auch zu einer Grundfrage des Schuldrechts, die man ob ihres beinahe religiösen Charakters schon eine Gretchenfrage nennen kann: Wie steht es mit dem Verschuldensprinzip, das mir die eigentliche Wurzel unseres technischen Problems zu sein scheint? Soll es
beschränkt werden oder gar ganz abgeschafft? Es gibt ja auch Stimmen in der Literatur, die
diese merkwürdige deutsche Insellösung des Verschuldensprinzips, die für das Vertragsrecht
niemand außerhalb wirklich versteht, in Frage stellen. 2 Oder ist vielleicht eine Differenzierung
sinnvoll, wie wir sie mit der Differenzierung zwischen verschuldensunabhängigem Aufwendungs- und verschuldensabhängigem Schadensersatz bereits für den Rückgriff nach Verbrauchsgüterkauf auf dem Tisch haben?
Wie soll schließlich die Unzumutbarkeitsschwelle technisch organisiert sein? Eine Frage, die
wieder von der technischen Ausgestaltung des Ausgangsrechts abhängt. Geht es „nur“ um Geld
und nicht auch um den Übergang von der Durchsetzung in Natur respektive dem Recht zur
zweiten Andienung zum Geldanspruch? Ist sie leichter auszugestalten, wenn man beide Fragen
miteinander verknüpft?
2Vgl. Schmidt-Kessel, Standards vertraglicher Haftung nach englischem Recht – Limits of Frustration, BadenBaden 2003, 505 ff. et passim. sowie Schneider, Abkehr vom Verschuldensprinzip? – eine rechtsvergleichende
Untersuchung zur Vertragshaftung (BGB, Code civil und Einheitsrecht), Mohr 2007, 479 ff. et passim.
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3. Kriterien und Gesichtspunkte
Kurz ist hier noch auf die Kriterien einzugehen, die vom Vorabend her die Diskussion beeinflussen werden:
Da sind zunächst die harten Bindungen durch das Unionsrecht, über deren Reichweite gelegentlich Unsicherheit herrscht; insbesondere lässt sich füglich darum streiten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der nationale Gesetzgeber auch die Entscheidungen des EuGH
in nationales Recht umzusetzen hat.
Ferner stellt sich die Frage der wirtschaftlichen Belastungen der Anspruchsgegner, aber auch
derjenigen, denen man den Anspruch verweigert, welche möglicherweise Geschäftsmodelle in
Frage stellt. Dabei wird man freilich festhalten müssen, dass auch das Versprechen der geschuldeten Qualität Teil dieses Geschäftsmodells sein sollte (und nach den gesetzlichen Wertungen
ist) und man sich hier fragen kann, ob Geschäftsmodelle, die auch implizieren, dass bestimmte
Qualitätsdefizite nicht an den Ort der Verursachung zurückgespielt werden, eigentlich gewollt
sein können.
Einen wichtigen Gesichtspunkt treffen auch die immer wieder gestellten Fragen nach der
Risikonähe und nach dem Vermeidungspotential. Dort ist zu hören, dass der Handel ganz
furchtbar weit von Mangel und Risiko entfernt sei, und der verarbeitende Handwerker ganz
furchtbar nahe dran. Man könnte dieses Argument aber auch umdrehen und darauf verweisen, dass der Handel näher am Hersteller ist als der Kunde des Handels.
Interessant wäre es auch gewesen – aber das verbietet die Kürze der Veranstaltung – zu schauen, wie es um die Erfahrungen des europäischen Auslands bestellt ist. So beschränkt das österreichische Recht von vorn herein den Regress nicht auf Kaufverträge im letzten Kettenglied.
Außerdem hat Thomas Pfeiffer Andeutungen in der Richtung einer chaine de contrats3 – also
einer französischen Lösung – gemacht, wenngleich ohne gesetzlichen Anspruchsübergang
sondern unter Vorschlag eines Abtretungsmodells. Ferner ließe sich nach dem Motto
„In England und USA ist alles besser“ ja durchaus auch fragen, warum man überhaupt dem
Verkäufer eine Entlastungsmöglichkeit für solche Mängel gibt, die bei Vertragsschluss schon
vorlagen. Zu fragen ist aber umgekehrt auch danach, ob der vereinbarte Preis die erforder­
liche Risikoprämie enthält, eine Frage, die schon verschiedentlich angeklungen ist und überwiegend von Seiten der Anspruchsgegner verneint, von Seiten der Anspruchsteller bejaht
wurde.
Schließlich ist noch auf einen Effekt aufmerksam zu machen, den die Organisation des Rückgriffs auf den Verbraucherschutz im ersten Glied hat. Je einfacher und je rechtssicherer der
Regress ausgestaltet ist, desto eher ist der Verbraucher geschützt, weil er nicht oder weniger
mit dilatorischen Praktiken der Unternehmerseite rechnen muss.
3Dazu aus deutscher Perspektive etwa Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine
Bedeutung in internationalen Vertragsketten, Berlin 2001; Freitag, Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht, Tübingen 2000; Schley, Das französische Produkthaftungsrecht und die bei grenzüberschreitenden Vertragsketten im deutsch-französischen Rechtsverkehr­
auftretenden Probleme, Berlin 2001.
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In diesem Sinne haben wir die Tagung zweiteilig konzipiert: Zunächst wird es um den Umfang
und die Kosten der Nacherfüllung gehen, also um die Frage nach Art und Umfang einer legistischen Umsetzung der Fliesenentscheidung des EuGH4 und der nachfolgenden Entscheidungen
des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs.5 Erst im zweiten Teil wird es dann um die Fragen
des Rückgriffs wegen der erweiterten Nacherfüllung gehen und insbesondere darum, ob die
Privilegien der §§ 478, 479 BGB auf andere Verträge am Ende der Kette als Verbrauchsgüterkäufe ausgedehnt werden sollen.
4EuGH, 16.06.2011, Rs. C-65/09 und C-87/09 – Weber und Putz.
5BGH, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 = NJW 2012, 1073 (Fliesenfall); BGH, VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135 = NJW
2013, 220 (Kunstrasen-Granulat); BGH, VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337 = NJW 2014, 2183 (Aluminium-Profilleisten).
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III.
Verbraucherschutz bei Folgekosten mangelhafter
Baumaterialien de lege lata
Prof. Dr. Michael Jaensch*
1. Das Problem
Kauft der Verbraucher mangelhafte Baumaterialien oder werden diese zur Herstellung eines vom Verbraucher bestellten
Werks verwendet, kann er Nacherfüllung
verlangen. Im Kaufrecht ist seit der Schuldrechtsreform umstritten, ob der Verkäufer
im Rahmen der Ersatzlieferung die mangelhafte Sache aus- und die neugelieferte
Sache wieder einbauen muss.1 Die Frage, ob
von der Nacherfüllung auch deren Folgekosten umfasst sind, wird für das Kaufrecht grundsätzlich verneint, 2 hingegen für das Werkvertragsrecht grundsätzlich bejaht.3 Als Folgekosten kommen vor allem die Kosten für den
Ausbau der mangelhaften und den Einbau der mangelfreien Sache, aber auch sonstige Veränderungen der Kaufsache in Betracht, wie z. B. Aufbau, Anstrich oder Lackierung der Kaufsache
sowie Installation von Software auf dem gekauften Rechner. Der EuGH hat entschieden, dass
der Aus- und Einbau oder die Übernahme der hierdurch entstandenen Kosten im Anwendungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie mit der Nacherfüllung geschuldet ist.4
Die Zuordnung der Folgekosten hat erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeit des Verbrauchers, Schadensersatz zu verlangen. Sofern die Folgekosten nicht als Teil der Nacherfüllung
geschuldet sind, können diese nur aufgrund der mangelhaften Leistung als Pflichtverletzung
geltend gemacht werden. Der Anspruch scheitert in der Regel am Vertretenmüssen des Mangels, da der Schuldner die Sache nicht selbst hergestellt hat und nach herrschender Ansicht
Verkäufer, Werklieferer und Werkunternehmer nicht gemäß § 278 BGB für das Herstellerverschulden einzustehen haben. Ob diese Auffassung im Lichte von § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB noch
aufrechterhalten werden kann, ist umstritten.
* Der Verfasser ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin.
1 T hürmann, NJW 2006, 3457 ff.
2BGHZ 177, 224 Rn. 18 f. (Einbau); BGH, NJW 2009, 1660 Rn. 20 (Ausbau).
3OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 463, 464; LG Halle, BeckRs 2008, 9845; Palandt/Sprau, BGB, 74. Auflage 2015,
§ 635 Rn. 6; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2013, § 635 Rn. 2; MüKo/Busche, BGB, 6. Auflage 2012,
§ 635 Rn. 12; zum alten Recht s. BGH, NJW 1963, 805, 806; BGH, NJW 1972, 1280, 1282; BGHZ 96, 221, 225,
OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273, 274.
4EuGH, Weber u. Putz, verb. Rs. C-65 und C-87/09, Slg. 2011, I-5257 Rn. 62.
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2. Ansprüche aufgrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie5
Im Kaufrecht gehen die Regeln zur Gewährleistung mit Ausnahme des Schadens- und Aufwendungsersatzes auf die Vorgaben der Richtlinie zurück.
Gemäß der Vorgabe nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie kann der Verbraucher die unentgeltliche
Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Alternativ steht ihm ein Anspruch auf Kaufpreisminderung oder auf Vertragsaufhebung zu. Der Anspruch auf Nachbesserung oder
Ersatzlieferung ist aufgrund Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie vorrangig, sofern dieser nicht
unmöglich oder unverhältnismäßig ist. In überschießender Umsetzung dieser Vorgaben
gewähren die §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB für alle Kaufverträge dem Käufer einen Anspruch
auf Nacherfüllung, deren Kosten gemäß § 439 Abs. 2 BGB der Verkäufer zu tragen hat. Im
Rahmen der Nacherfüllung kann der Käufer nach seiner Wahl Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen. Das Wahlrecht entfällt, sofern einer Art der Nacherfüllung Einwendungen
nach §§ 275 Abs. 1 bis 3, 439 Abs. 3 BGB entgegenstehen. Bestehen diese Einwendungen auch
gegen die andere Art, entfällt der Nacherfüllungsanspruch oder er ist nicht durchsetzbar. Der
Vorrang der möglichen und nicht unverhältnismäßigen Nacherfüllung ergibt sich aus dem
Fristerfordernis des Rücktritts- oder Minderungsrechts, §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, 326 Abs. 5,
440 Satz 1, 441 Abs. 1 BGB.
3. Anspruch auf Nacherfüllung
3.1. Kaufrecht
a) Umfang des Nacherfüllungsanspruchs
Der Nacherfüllungsanspruch modifiziert den primärrechtlichen Erfüllungsanspruch6 auf
Lieferung der Kaufsache dahingehend, dass der Käufer stattdessen Nachbesserung oder Ersatzlieferung verlangen kann. Der Umfang des Nacherfüllungsanspruchs kann nach Auffassung
des BGH somit grundsätzlich nicht weiter reichen als der des Erfüllungsanspruchs.7 Er umfasst
zwar gemäß § 439 Abs. 2 BGB die Kosten der Nacherfüllung, um die Vorgabe von Art. 3 Abs. 4
der Richtlinie umzusetzen, gemäß der die Nacherfüllung unentgeltlich zu erfolgen hat. Nicht
erfasst sind hingegen Kosten, die infolge der mangelhaften Lieferung entstanden sind. Letztere
können nur im Wege des verschuldensabhängigen Schadensersatzes liquidiert werden. Kosten,
die im Rahmen der Ersatzlieferung durch den Ausbau der mangelhaften Sache und den Einbau
der nachgelieferten Sache entstehen, sind lediglich insoweit vom ursprünglichen Erfüllungsanspruch gedeckt, als dieser sich auf die Lieferung der mangelfreien Sache beschränkt und
nicht den Aus- und Einbau miteinbezieht.
5Richtlinie 1999/44/EG vom 25. Mai 1999, Abl. EG vom 07. Juli 1999, L/171, S. 12 ff. (im Folgenden: die Richtlinie).
6RegBegr., BT-Drs. 14/6040, 221.
7BGHZ 177, 224, Rn. 18 f. (Einbau); BGH, NJW 2009, 1660 Rn. 20 (Ausbau).
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Die Vorlagefragen, ob diese Auffassung gegen das Gebot der Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung gemäß Art. 3 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie verstoße,8 bejahte der EuGH, sofern der Verbraucher
die Sache gutgläubig eingebaut hat. 9 Der BGH setzt die Vorgaben um, indem er die Aus- und
Einbaukosten für Verbrauchsgüterkaufverträge dem Umfang des Ersatzlieferungsanspruchs
nach § 439 Abs. 1 BGB hinzufügt und entscheidet sich somit gegen eine entsprechende Ausdehnung der Kostenzurechnungsnorm von § 439 Abs. 2 BGB.10 Eine überschießende Umsetzung auf
sonstige Kaufverträge lehnt er ab, da nicht angenommen werden könne, dass der Gesetzgeber
einen derart weitreichenden Eingriff in das deutsche Leistungsstörungsrecht befürwortet
hätte.11 Die gespaltene Auslegung von § 439 Abs. 1 BGB wird von der Lehre uneinheitlich beurteilt.12 Für den Nachbesserungsanspruch wird hingegen unabhängig von der Richtlinie davon
ausgegangen, dass dieser die Kosten des für die Reparatur notwendigen Ausbaus umfasst.13
b) Kostenersatz bei Leistungsverweigerung
Der Anspruch aus § § 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB ist nicht durchsetzbar, sofern der Verkäufer die
Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 BGB berechtigt verweigert. Dabei stehen dem Verkäufer
zwei unterschiedliche Verweigerungsrechte zu, die neben der Einrede bei faktischer Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 BGB stehen. So kann der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art der
Nacherfüllung verweigern, wenn diese im Verhältnis zur anderen Art mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist (relative Unverhältnismäßigkeit). Die Einrede steht ihm aber auch
bei unverhältnismäßigen Kosten der anderen Art der Nacherfüllung zu (absolute Unverhältnismäßigkeit).
Für die Abwägung nach § 439 Abs. 3 BGB können keine starren Prozentsätze vorgegeben
werden,14 da es neben dem Wertvergleich auch auf die Bedeutung des Mangels und die Möglichkeit ankommt, auf die andere Art der Nacherfüllung zurückgreifen zu können. Relative
Unverhältnismäßigkeit ist bejaht worden, wenn die Kosten der Reparatur die der Neulieferung
oder umgekehrt um zehn bis 30 Prozent übersteigen.15 Absolute Unverhältnismäßigkeit wurde
angenommen, wenn die Nacherfüllungskosten 200 % des mangelbedingten Minderwerts oder
den Wert der Kaufsache um 50 Prozent (sog. 150 %-Grenze)16 oder den Verkehrswert des
Grundstücks in mangelfreiem Zustand übersteigen.17
Demhingegen schließt Art. 3 Abs. 3 Satz 2, dritter Spiegelstrich sowie Eg 11 der Richtlinie den
Anspruch des Verbrauchers auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur bei relativer Unverhältnismäßigkeit aus. Der Widerspruch zur Richtlinienvorgabe wurde früh erkannt18 und als
Lösung vorgeschlagen, § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB zumindest für Verbrauchsgüterkaufverträge
8BGH, NJW 2009, 1660 ff. (Ausbaukosten); AG Schorndorf, ZGS 2009, 525 ff. (Einbaukosten).
9EuGH, Weber u. Putz, verb. Rs. C-65 und C-87/09, Slg. 2011, I-5257 Rn. 62.
10BGHZ 192, 148 Rn. 25.
11BGHZ 195, 135 Rn. 14 ff. (Granulat).
12Dafür z. B. Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244; Förster, ZIP 2011, 1493, 1500; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489, 493 f.;
Keiser, JuS 2014, 961, 965; dagegen z. B. Schmidt, GPR 2013, 210, 220; Augenhofer/Appenzeller/Holm, JuS 2011,
680, 681, 684; Faust, JuS 2011, 744, 748; Rodemann/Schwenker, ZfBR 2011, 634, 639.
13
Skamel, Nacherfüllung beim Sachkauf, 2008, 117; Lorenz, NJW 2009, 1633, 1636.
14BGHZ 200, 350 Rn. 41 (Hausschwamm).
15
LG Ellwangen, NJW 2003, 517; LG Hagen, NJW-RR 2012, 117, 118; Tiedtke/Schmitt, DStR 2004, 2060, 2063.
16
BGH, NJW 2009, 1660 Rn. 15; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Auflage 2014, Rn. 830.
17
BGHZ 200, 350 Rn. 41 ff. (Hausschwamm).
18 P feiffer, ZGS 2002, 217 ff.
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richtlinienkonform derart restriktiv auszulegen, dass nur Fälle erfasst werden, die knapp
unter der Grenze der faktischen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 BGB liegen.19 Die Vorlage­
frage des BGH, ob der Verkäufer die Übernahme der Ein- und Ausbaukosten bei absoluter
Unverhältnismäßigkeit verweigern könne, 20 wurde vom EuGH zwar verneint. Er überlässt es
aber den Mitgliedstaaten, dem Verkäufer zu gestatten, den Käufer auf einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der angemessenen Kosten zu verweisen. 21 Der BGH beschränkte daraufhin § 439 Abs. 3 BGB für Verbrauchsgüterkaufverträge im Wege der teleologischen Reduktion
dahin­gehend, dass im Falle absoluter Unverhältnismäßigkeit der Verkäufer den Käufer auf
einen verschuldensunabhängigen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der angemessenen
Ein- und Ausbaukosten verweisen könne. 22 Woraus sich der Anspruch konkret ergeben soll
(§ 439 Abs. 1, 23 224 oder 325 BGB) bleibt unklar. Feste Grenz- oder Richtwerte zur Bestimmung
der Angemessenheit gibt der BGH nicht vor; zur Beurteilung zieht er die Bedeutung des Mangels und den Wert der Sache im mangelfreien Zustand heran und gelangte im konkreten Fall
zu einer 50%-Grenze. 26 Für die entstehenden Kosten kann nach der Rechtsprechung des BGH
auch ein Vorschuss verlangt werden. 27 Aus der Natur des Erstattungsanspruchs wird gefolgert,
dass der Käufer den Mangel tatsächlich beseitigen muss, um die Kosten anteilig zu erhalten. 28
Dies wird begrüßt, da ansonsten aus dem Nacherfüllungsanspruch systemwidrig ein Schadensersatzanspruch würde. 29 Allerdings wäre es europarechtlich durchaus zulässig, die Richtlinienvorgaben im Wege des Schadensersatzes umzusetzen.
Will der Käufer den Mangel nicht beseitigen, kann er die angemessenen Kosten als Schadensersatz statt der Leistung verlangen. 30 Der Anspruch ist zwar im Gegensatz zum Erstattungsanspruch verschuldensabhängig, jedoch wird dem Verkäufer die Exkulpation in der Regel nicht
gelingen.
Die vom BGH vertretene teleologische Reduktion lässt sich auf sämtliche Fallgestaltungen der
Nacherfüllung übertragen und ist nicht auf die Aus- und Einbaukosten beschränkt. Eine überschießende Umsetzung der europäischen Vorgaben lehnt der BGH wiederum ab. 31
c) Aus- und Einbaupflicht bei bösgläubigem Verbraucher
Der EuGH nimmt eine Pflicht des Verkäufers zum Aus- und Einbau nur an, sofern der Käufer
die mangelhafte Sache gutgläubig eingebaut hat.32 Der BGH hat diese Einschränkung der
19
P feiffer, ZGS 2002, 217, 219.
20
BGH, NJW 2009, 1660 ff.
21
EuGH, Weber u. Putz, verb. Rs. C-65 und C-87/09, Slg 2011, I-5257 Rn. 74 ff.
22
BGHZ 192, 148 Rn. 49; gegen die teleologische Reduktion Kaiser, JZ 2013, 346, 347.
23
Vgl. BGHZ 192, 148 Rn. 14, wonach der Nacherfüllungsanspruch auf einen Kostenerstattungsanspruch
beschränkt sei.
24
Für § 439 Abs. 2 BGB sprechen sich aus Kaiser, JZ 2013, 346, 348; dies., JZ 2011, 978, 986; Stöber, ZGS 2011, 346, 350;
Eisenberg, BB 2011, 2634, 2638.
25
Kaiser, BauR 2013, 139, 149; vgl. BGHZ 192, 148 Rn. 43, 53, der Kostenerstattungsanspruch sei ein Minus zum
Leistungsverweigerungsrecht.
26
BGHZ 192, 148 Rn. 54, angemessene Kosten bis zu 50% des Werts der mangelfreien Sache.
27
BGHZ 192, 148 Rn. 49.
28
Kaiser, JZ 2013, 346, 348; vgl. dies., JZ 2011, 978, 986 f.; Gsell, ZJS 2012, 369, 372; vgl. Höpfner, JZ 2012, 473, 476.
29
Kaiser, JZ 2013, 346, 348; a. A. DAV, Stellungnahme zu § 474a RefE, Nr. 78/2012, 12 unter Nr. 11.
30
Im Einzelnen hierzu s.u.
31
BGHZ 192, 148 Rn. 35; vgl. ferner BGHZ 200, 350 Rn. 37 (Hausschwamm).
32
EuGH, Weber u. Putz, verb. Rs. C-65 und C-87/09, Slg. 2011, I-5257 Rn. 56 f.
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Nacherfüllungspflicht bisher nicht übernommen; wozu er im Übrigen nicht verpflichtet ist,
da das nationale Recht ein höheres Schutzniveau für Verbraucher herstellen darf, Art. 8 Abs. 2
der Richtlinie. Bis zu einer Gesetzesänderung besteht die Umsetzungsmöglichkeit durch
§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Baut der Verbraucher in Kenntnis des Mangels die Sache ein,
verletzt er seine Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB, sodass er dem Verkäufer nach
§ 280 Abs. 1 BGB die Aus- und Einbaukosten zu ersetzen hätte. Daher ist ihm gemäß dem
dolo-agit-Einwand nach § 242 BGB verwehrt, vom Verkäufer den Aus- und Einbau zu verlangen.33
3.2. Werkvertragsrecht
Nach überwiegender Ansicht umfasst der werkvertragliche Nacherfüllungsanspruch gemäß
§§ 634 Nr. 1, 635 Abs. 1 und 2 BGB die zur Mangelbeseitigung erforderlichen Vor- und Nach­
arbeiten.34 Es wird sich aber auch für eine zum Verbrauchsgüterkauf parallele überschießende
Auslegung im Werkvertrag ausgesprochen.35 Andere nehmen hingegen die restriktive Hand­
habung des kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruchs außerhalb von Verbrauchsgüterkaufverträgen zum Anlass, den werkvertraglichen Nacherfüllungsanspruch zu beschränken. 36
Allerdings hat sich mit der Schuldrechtsreform das Kaufrecht am Werkvertragsrecht orientiert
und nicht umgekehrt; so läge es näher, vom werkvertraglichen Nacherfüllungsanspruch auf
Neuherstellung auf den Umfang des kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruchs zu schließen. 37
Da das Werkvertragsrecht nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ist die bereits
im Kaufrecht zweifelhafte gespaltene Auslegung nicht ins Werkvertragsrecht zu übertragen. 38
In der Tat lässt sich die Übernahme von Aus- und Einbaukosten im Werkvertrag leichter
begründen, da der werkvertragliche Erfüllungsanspruch erfolgsbezogen ist. Sofern der primärrechtliche Erfüllungsanspruch auf Herstellung des Werks auch dessen Einbau einschließt,
obliegen die Kosten der Nacherfüllung als zum Zwecke der Nacherfüllung erforderliche Aufwendungen dem Werkunternehmer. Wenn die Folgekosten bei der Verwendung mangelhafter
Baumaterialien Teil des primärrechtlichen Erfüllungsanspruchs sind, können diese vom
Besteller im Rahmen des verschuldensunabhängigen Nacherfüllungsanspruchs vom Werkunternehmer verlangt werden. Die Parteien entscheiden somit, welche Folgekosten vom werkvertraglichen Erfüllungsanspruch erfasst sind. Zudem sieht das Werkvertragsrecht im Gegensatz zum Kaufrecht einen verschuldensunabhängigen Kostenerstattungsanspruch nach §§ 634
Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB vor. Daher ist der Besteller, im Gegensatz zum Käufer außerhalb des
Verbrauchsgüterkaufs, nicht allein auf einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch angewiesen, um seine Mangelbeseitigungskosten erstattet zu bekommen.
33 Höpfner, JZ 2012, 473, 475.
34
OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 463, 464; LG Halle, BeckRs 2008, 9845; Palandt/Sprau, BGB, 74. Auflage 2015,
§ 635 Rn. 6; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2013, § 635 Rn. 2; MüKo/Busche, BGB, 6. Auflage 2012,
§ 635 Rn. 12; zum alten Recht s. BGH, NJW 1963, 805, 806; BGH, NJW 1972, 1280, 1282; BGHZ 96, 221, 225;
OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273, 274.
35
Rodemann/Schwenker, ZfBR 2011, 634, 639; Grobe, NZBau 2012, 347, 349.
36
BeckOK/Voit, BGB, Stand: 01.02.2013, Ed. 34, § 635 Rn. 10; a. A. Kaiser, BauR 2013, 139, 143; unentschieden
Rath/Rath, Festschrift F. Quack, 2009, 197 ff.
37
Kaiser, BauR 2013, 139, 143.
38
Kaiser, BauR 2013, 139, 143.
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4. Schadensersatz
Schadensersatzansprüche sind nicht Gegenstand der Richtlinie. Dies hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht, Richtlinienvorgaben mit Hilfe von Schadensersatzansprüchen umzusetzen, 39
auch wenn dieser Weg bisher weder vom Gesetzgeber noch vom BGH beschritten wurde.
4.1. Schadensersatzarten
Liefert der Verkäufer mangelhafte Ware, kann der Käufer über § 437 Nr. 3 BGB Schadensersatz
nach den allgemeinen Vorschriften verlangen. Gleiches gilt gemäß § 634 Nr. 4 BGB, sofern der
Werkunternehmer ein mangelhaftes Werk herstellt. Ansatzpunkt ist die Pflichtverletzung
gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB. Deren Gegenstand ist die Schlechtleistung sowie deren unterlassene Behebung.
a) Schadensersatz statt der Leistung
1) Qualitative Leistungsverzögerung: Erbringt der Verkäufer die vom Käufer gewählte Art oder
die einzige nicht mit einer Einwendung nach §§ 275 Abs. 1 bis 3, 439 Abs. 3 BGB behafteten Art
der Nacherfüllung nicht innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist, kann der Käufer
entweder auf die Nacherfüllung bestehen oder stattdessen Schadensersatz nach §§ 437 Nr. 3,
280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen (qualitative Leistungsverzögerung). Bei
einem Werkvertrag obliegt das Wahlrecht über die Art der Nacherfüllung dem Werkunternehmer. Der Besteller kann daher lediglich eine Frist zur Nacherfüllung setzen, ansonsten ist die
Rechtslage gemäß § 634 Nr. 4 BGB gleichlautend.
2) Qualitative Unmöglichkeit: Sind beide Arten der Nacherfüllung mit einer Einwendung nach
§§ 275 Abs. 1 bis 3, 439 Abs. 3 BGB behaftet, erlischt der Nachfüllungsanspruch oder ist nicht
durchsetzbar; stattdessen kann der Käufer nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 und 3 BGB, 283 Satz 1
BGB oder § 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen (qualitative Unmöglichkeit).
Die Ansicht des V. und VII. Zivilsenats, die in der Einrede nach §§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB
einen Fall der qualitativen Leistungsverzögerung sehen,40 widerspricht der Gesetzessystematik, verkennt die Historie und führt zu einem veränderten Bezugspunkt des Vertretenmüssens.41
Gemäß den Vorgaben des EuGH muss dem Verbraucher, der anteilig mit den Aus- und Einbaukosten belastet wird, die Möglichkeit eingeräumt werden, ohne Fristsetzung zurücktreten oder
mindern zu können.42 Der BGH will dies über § 440 Satz 1, 3. Var. BGB erreichen.43 Dem Käufer
wäre demnach die Nacherfüllung unzumutbar, wenn er auf den Kostenersatzanspruch verwiesen wird. Hiergegen spricht, dass der Verkäufer, der den Käufer auf den Kostenerstattungsanspruch verweist, sich vertragskonform verhält,44 § 440 Satz 1, 3. Var. BGB jedoch ein ver39
Vgl. etwa Weber, ZGS 2011, 539 ff.; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489, 497; Pfeiffer, LMK, 2011, 321439; s. hingegen
Kaiser, JZ 2011, 978, 985 „systemisch merkwürdig“.
40
BGH, NJW 2013, 370 Rn. 8; BGHZ 200, 350 Rn. 35 (Hausschwamm).
41
Im Einzelnen hierzu Jaensch, NJW 2013, 1121, 1122; ders. jM 2014, 452, 453 f.
42
EuGH, Weber u. Putz, verb. Rs. C-65 und C-87/09, Slg. 2011, I-5257 Rn. 77.
43
BGHZ 192, 148 Rn. 48; ebenso Faust, JuS 2011, 744, 747 f.; Eisenberg, BB 2011, 2634, 2638; Bauerschmidt/Harnos,
JA 2012, 256, 260.
44
Zutreffend Kaiser, JZ 2013, 346, 349.
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tragswidriges Verhalten (qualitative Leistungsverzögerung) voraussetzt. Da sich das
Verweisungsrecht aus § 439 Abs. 3 BGB ableitet, liegt ein Fall der qualitativen Unmöglichkeit
vor. Das Entfallen des Fristerfordernisses ergibt sich unmittelbar aus §§ 283 Satz 1, 311a Abs. 2
BGB.45 Dies könnte nach einer Umsetzung der europäischen Vorgaben in § 440 Satz 1 BGB
klargestellt werden, sowie es im geltenden Recht für § 439 Abs. 3 BGB der Fall ist.
b) Einfacher Schadensersatz
Schäden, die durch die Schlechtleistung endgültig eingetreten sind, d. h. die nicht durch eine
fristgemäße Nacherfüllung beseitigt werden können, kann der Käufer/Besteller unmittelbar
ohne Fristsetzung nach §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen.46
c) Einordnung von Folgekosten mangelhafter Baumaterialien
Die Einordnung von Folgekosten, wie Aus- und Einbaukosten mangelhafter Baumaterialien, in
das Gefüge des Schadensersatzes nach §§ 280 ff. BGB hängt vom Umfang der Nacherfüllung ab.
Sofern der Ausbau der mangelhaften und der Einbau der mangelfreien Sache im Rahmen der
Nacherfüllung geschuldet ist, fallen diese Kosten für den Gläubiger nicht endgültig durch die
Schlechtleistung an, sondern werden durch eine fristgemäße Nacherfüllung vermieden. Sie
sind daher dem Schadensersatz statt der Leistung (konkret: der Nacherfüllung) gemäß §§ 281
Abs. 1 Satz 1, 283 Satz 1, 311a Abs. 2 BGB zuzuordnen. Aufgrund der EuGH-Rechtsprechung gilt
dies für den Verbrauchsgüterkauf. Gleiches gilt im Werkvertragsrecht, sofern der Aus- und
Einbau (oder sonstige Leistungen) Teil der primären Erfüllungsleistung sind.
Als Schadensersatz statt der Leistung könnte auch der vom EuGH angesprochene Anspruch
auf Ersatz der angemessenen Kosten subsumiert werden, sofern man einen schadensrecht­
lichen Ansatz zur Umsetzung des Urteils wählt. Es ist vorgeschlagen worden, dem Verkäufer
seine Einrede bei absoluter Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB zu belassen, sofern
der Käufer sich nicht bereit erklärt, den unverhältnismäßigen Teil der Kosten zu übernehmen.47 In diesem Fall könnte der Käufer statt der nicht durchsetzbaren Nacherfüllung Ersatz
der angemessenen Kosten nach § 283 Satz 1 BGB verlangen. Der BGH hat diesen Ansatz verworfen. Er hält ihn mit den Vorgaben des EuGH nicht für vereinbar, da dem Verkäufer sein
Totalverweigerungsrecht im Ergebnis belassen werde.48 Allerdings kommt sein Ansatz, dem
Käufer einen Kostenerstattungsanspruch zu gewähren, zum gleichen Ergebnis, sofern dieser
Anspruch voraussetzt, dass der Käufer die Mangelbeseitigung tatsächlich vornimmt.49
Ist der Aus- und Einbau (oder sonstige Leistungen im Zusammenhang mit der mangelhaften
Lieferung) nicht mit der Nacherfüllung geschuldet, sind die aufgrund der Schlechtleistung
entstandenen Kosten endgültig eingetreten und werden nicht durch die Nacherfüllung vermieden. Dies ist aufgrund der gespaltenen Auslegung des BGH für alle Kaufverträge anzuneh45
A bweichend Kaiser, JZ 2013, 346, 349, welche eine ausdrückliche spezialgesetzliche Regelung für erforderlich
hält.
46
Vgl. BGH, NJW 2010, 2426, Rn. 13; Lorenz, NJW 2005, 1889, 1891; Tiedtke/M. Schmitt, BB 2005, 615, 617;
Döll/Ryback, Jura 2005, 582, 586; Gerhardt, Jura 2012, 251, 252.
47
Faust, JuS 2012, 456, 458; ders., JuS 2011, 744, 747; Jaensch, NJW 2012, 1025, 1028; zuvor bereits Staudinger/
Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 439 Rn. 49; Kirsten, ZGS 2005, 66, 74.
48
BGHZ 192, 148 Rn. 38; ebenso Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 439 Rn. 111.
49
Gsell, ZJS 2012, 369, 372.
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men, die nicht Verbrauchsgüterkaufverträge sind. Gleiches gilt im Werkvertragsrecht, sofern
der Aus- und Einbau (oder sonstige Leistungen) nicht Teil der primären Erfüllungsleistung
sind. Die hierdurch entstehenden Kosten sind als einfacher Schadensersatz ohne Fristsetzung
nach § 280 Abs. 1 BGB zu liquidieren.50
4.2. Schadensumfang
Der Geschädigte (hier: Käufer, Besteller) kann vom Schädiger (hier: Verkäufer, Werkunternehmer) im Rahmen des Schadensersatzes Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB verlangen.
Bei der Verletzung einer Person oder Beschädigung einer Sache ist der Geschädigte nach § 249
Abs. 2 BGB befugt, statt Naturalrestitution eine Entschädigung in Geld zu verlangen. Der
Geschädigte ist so zu stellen, als wäre der Schaden nicht eingetreten. Daher hat der Schädiger
auch die Folgekosten zu ersetzen.
a) Aus- und Einbaukosten
Zu den wesentlichen Folgekosten bei Lieferung mangelhafter Baumaterialien gehören die
Aus- und Einbaukosten, sofern diese nicht Teil der primären Leistungspflicht sind, wie z. B.
beim Werkvertrag gemäß Vertragsinhalt oder beim Verbrauchsgüterkauf aufgrund europäischer Vorgaben. Folgekosten sind nach §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB ohne Fristsetzung
zu liquidieren. Sind die Kosten hingegen Teil der Nacherfüllungspflicht, können sie nur nach
Ablauf einer angemessenen Frist gemäß §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1
Satz 1 BGB ersetzt verlangt werden.
b) Körper und Gesundheit
Zu den vom Schädiger nach §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zu übernehmenden Folgekosten gehören auch Körper- und Gesundheitsschäden, die nach altem Recht als Mangelfolgeschäden zu ersetzen waren.51
c) Schadensersatz in Geld, § 251 BGB
Statt Naturalrestitution kann der Gläubiger (Käufer, Besteller) Schadensersatz in Geld verlangen, sofern beide Arten der Nacherfüllung unmöglich sind, § 251 Abs. 1 BGB analog. Stehen
dem Nacherfüllungsanspruch Einwendungen nach §§ 275 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB
entgegen, hat der Schuldner eine entsprechende Ersetzungsbefugnis nach § 251 Abs. 2 Satz 1
BGB analog. Es wird nicht das Wiederherstellungsinteresse, sondern nur noch das Wertinteresse
geschützt. Zur Ermittlung der Unverhältnismäßigkeit i. S .v. § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB sind die
Kriterien von §§ 275 Abs. 2, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB heranzuziehen, die dem Nacherfüllungsanspruch entgegenstehen, um zu vermeiden, dass der Gläubiger über den Schadensersatz mehr
verlangen kann, als der Schuldner im Rahmen seiner primären Leistungspflicht zu erbringen
hätte.52
50
BGHZ 200, 337 Rn. 29 (Profilleisten); Ostendorf, GWR 2014, 237; anders noch BGHZ 195, 135 Rn. 11 (Granulat);
BGHZ 177, 224 Rn. 28 f. (Parkettstäbe).
51
H . A., RegBegr., BT-Drs. 14/6040, 225; Lorenz, NJW 2002, 2497, 2500; a. A. nach Wegfall der Nacherfüllungsmöglichkeit als Schadensersatz statt der Leistung, BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014, Ed. 34, § 437 Rn. 60 ff.
52
BGH, NJW 2013, 370 Rn. 12, für § 635 Abs. 3 BGB; BGHZ 200, 350 Rn. 34 (Hausschwamm), für § 439 Abs. 3 BGB;
das Gleiche gilt für § 275 Abs. 2 BGB, s. Jaensch, jM 2014, 452, 454 f.
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Grundsätzlich entfällt mit § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB jeglicher Affektionszuschlag, da kein Anreiz
zur Aufbringung unverhältnismäßiger Kosten gegeben werden soll, an denen sich der Schuldner beteiligen muss. 53 Aufgrund der EuGH-Vorgaben hat zumindest im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs etwas anderes zu gelten. Sofern der Verbraucher vom Verkäuferunternehmer
die Erstattung der angemessenen Kosten verlangen kann, kann er diese auch im Rahmen des
Schadensersatzes geltend machen;54 der Affektionszuschlag bleibt insofern bestehen. Dies gilt
unabhängig von der Frage, ob der Ersatzanspruch in § 439 BGB oder in § 283 BGB verortet wird.
4.3. Vertretenmüssen, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB
Im Gegensatz zur Garantiehaftung, die insbesondere im Common Law vorherrscht, gilt im
deutschen Schadensersatzrecht das Verschuldensprinzip. Die Schuldrechtsreform hat insofern
eine Abschwächung und eine gewisse Anpassung an internationale Standards gebracht, als das
Verschulden nicht mehr vom Gläubiger dargelegt und bewiesen werden muss, sondern nunmehr durch die Pflichtverletzung indiziert wird. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB kehrt die Beweislast
für das Vertretenmüssen zulasten des Schuldners um.
a) Grundsatz
Sowohl die Schlechtleistung als auch die nicht fristgerecht erbrachte oder nach §§ 275 Abs. 1
bis 3, 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB einwendungsbehaftete Nacherfüllung indizieren das Vertretenmüssen. Es obliegt dem Verkäufer oder dem Werkunternehmer darzulegen, dass er den
Mangel oder die nicht erfolgte Mangelbeseitigung nicht zu vertreten hat.
1) Allgemeines Kaufrecht: Ein Verkäufer, der die Sache nicht selbst hergestellt hat, hat den
Mangel nicht zu vertreten, sofern er ihn nicht erkennen konnte; insbesondere trifft ihn keine
Untersuchungspflicht.55 Schadensersatzansprüche wegen der mangelhaften Lieferung aus § 437
Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB scheitern daher in der Regel, sofern dem Verkäufer nicht das Verschulden
Dritter nach § 278 BGB zugerechnet werden kann. Der Käufer erhält somit die Folgekosten der
mangelhaften Lieferung nicht ersetzt. Hingegen wird der Entlastungsbeweis wegen der unterlassenen Nacherfüllung in der Regel nicht gelingen. Daher führen in der Praxis nur die Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 280, 281 Abs. 1, 283 Satz 1, 311a Abs. 2
BGB zum Erfolg.
2) Verbrauchsgüterkauf: Im Verbrauchsgüterkauf ist der Aus- und Einbau mit der Nacherfüllung geschuldet. Daher können die hierdurch entstehenden Kosten als Schadensersatz statt
der Leistung ersetzt verlangt werden. Eine verschuldensunabhängige Haftung besteht jedoch
nicht, auch wenn dies zuweilen suggeriert wird.56 Das Vertretenmüssen bezieht sich hier auf
das Ausbleiben der Nacherfüllung, wofür dem Verkäufer ein Entlastungsbeweis in der Regel
aber nicht gelingen wird. Daher kann der Verbraucher vom Verkäuferunternehmer die Ausund Einbaukosten auch im Rahmen des Schadensersatzes statt der Leistung liquidieren.
53
BGHZ 115, 375, 380; vgl. auch BGH, NJW 2007, 2917 Rn. 8; MüKo/Oetker, BGB, 6. Auflage 2012, § 251 Rn. 43;
Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 251 Rn. 10; Erman/Ebert, BGB, 13. Auflage 2011, § 249 Rn. 83;
a. A. OLG München, NZV 1990, 69.
54
Vgl. obiter BGHZ 200, 350 Rn. 37 (Hausschwamm).
55
BGH, NJW 1981, 1269, 1270.
56
Siehe z. B. Schmidt, GPR 2013, 210, 220; MüKo/Grundmann, BGB, 6. Auflage 2012, § 278 Rn. 31.
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3) Werkvertrag: Gehört bei einem Werkvertrag der Aus- und Einbau (oder sonstige Leistungen)
zum primären Erfüllungsanspruch, sind diese Leistungen im Rahmen der Nacherfüllung
geschuldet. Die so entstehenden Kosten können als Schadensersatz statt der Leistung geltend
gemacht werden, wobei vermutet wird, dass der Werkunternehmer die fehlende Nacherfüllung zu vertreten hat. Der Anspruch wird in der Praxis daher in der Regel Erfolg haben.57
Ist der Aus- und Einbau (oder sonstige Leistungen) hingegen nicht geschuldet, können die
Folgekosten nur als einfacher Schadensersatz geltend gemacht werden. Sofern der Mangel des
Werks auf die Verwendung mangelhafter Baumaterialien zurückzuführen ist, die der Werkunternehmer von Dritten erworben hat, hat er den Mangel jedoch nur dann zu vertreten, sofern
er bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt den Mangel hätte erkennen können. 58
Der Schadensersatzanspruch scheitert daher in der Regel, sofern dem Werkunternehmer nicht
das Verschulden Dritter nach § 278 BGB zugerechnet werden kann.
b) Haftung für Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB
Der Verschuldensgrundsatz führt im allgemeinen Kaufrecht dazu, dass der Verkäufer, der die
Sache nicht selbst hergestellt hat, Ersatzansprüchen aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB aufgrund
von Folgekosten wegen der mangelhaften Lieferung nicht ausgesetzt ist. Gemäß der h. A. kann
dem Verkäufer ein Verschulden des Herstellers für den Mangel auch nicht gemäß § 278 BGB
zugerechnet werden, da sich der Verkäufer nicht des Herstellers zur Erfüllung seiner Lieferverpflichtung bedient.59 Das Gleiche gilt für den Lieferanten des Werkunternehmers60 oder des
Werklieferers.61 Hiergegen wenden sich Teile der Literatur, da der Verkäufer gemäß §§ 433 Abs. 1
Satz 2, 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB, welcher Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie umsetzt,62 im Zweifel auch zur
Herstellung verpflichtet sei.63 Anderenfalls könne sich der Gläubiger (Ver­käufer, aber auch
Werkunternehmer) qua Delegation an Dritte von seiner Haftung entlasten.64 Hiermit werde der
Sinn und Zweck von § 278 BGB verfehlt. Denn derjenige, der aus der Arbeitsteilung nutzen zieht,
habe auch deren Risiken zu tragen.65 Ferner sei nach dieser Ansicht der Verkäufer (aber auch der
Werkunternehmer) aufgrund §§ 437 Nr. 3, 634 Nr. 4, 311a Abs. 2 Satz 2 BGB dazu verpflichtet,
sich über die Qualität der gelieferten Sache zu vergewissern; durch Delegation könne er sich
dieser Pflicht nicht entledigen.66 Für Aus- und Einbauschäden habe der Verkäufer aufgrund der
Weber/Putz-Entscheidung bereits unabhängig vom Verschulden des Mangels einzustehen.
Konsequent wäre es demnach, für Folgeschäden das Herstellerverschulden dem Verkäufer
zuzurechnen.67
57
BeckOK/Voit, BGB, Stand: 01.02.2013, Ed. 34, § 635 Rn. 10; missverständlich insofern BGHZ 200, 337 Rn. 37
(Profilleisten); hierzu Jaensch, jM 2014, 406, 408.
58
BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014, Ed. 33, § 437 Rn. 85.
59
BGHZ 177, 224, 235 Rn. 29; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 278 Rn. 13; Lorenz, NJW 2013, 207 f.;
MüKo/Ernst, BGB, 6. Auflage 2012, § 280 Rn. 61.; im Grundsatz ebenso BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014,
Ed. 34, § 437 Rn. 86; a. A. Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreicht, BGB, 9. Auflage 2014, § 278 Rn. 21;
MüKo/Grundmann, BGB, 6. Auflage 2012, § 278 Rn. 31; Schroeter, JZ 2010, 495, 497 ff.; Peters, ZGS 2010, 24, 27;
Weller, NJW 2012, 2312, 2315.
60
BGHZ 200, 337 Rn. 37 (Profilleisten); BGH, Urt. v. 09.02.1978 – VII ZR 84/77 juris Rn. 10 f.
61
BGHZ 200, 337 Rn. 33 ff. (Profilleisten); BGHZ 48, 118, 121.
62
MüKo/Grundmann, BGB, 6. Auflage 2012, § 278 Rn. 31.
63
Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreicht, BGB, 9. Auflage 2014, § 278 Rn. 21; MüKo/Grundmann, BGB,
6. Auflage 2012, § 278 Rn. 31; Weller, NJW 2012, 2312, 2315.
64
Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreicht, BGB, 9. Auflage 2014, § 278 Rn. 21; vgl. Ostendorf, GWR 2014,
237; kritisch Witt, NJW 2014, 2156, 2157 f.
65
MüKo/Grundmann, BGB, 6. Auflage 2012, § 278 Rn. 3.
66
Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreicht, BGB, 9. Auflage 2014, § 278 Rn. 21.
67
MüKo/Grundmann, BGB, 6. Auflage 2012, § 278 Rn. 31.
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§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB legt jedoch nur die Pflicht zur mangelfreien Leistung, nicht aber die
hierbei zu beachtende Sorgfaltspflicht fest.68 Auch der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, der
Verkäufer schulde weiterhin nicht die Herstellung der Sache, sodass der Warenhersteller nicht
der Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist.69 Somit gebührt der h. A. der Vorzug.70 Aus der Richt­
linie kann nichts Gegenteiliges entnommen werden, da diese den Schadensersatz nicht regelt.71
Auch ist der Vergleich zur Weber/Putz-Entscheidung nicht überzeugend.72 Dem Urteil ist keine
Aussage zum Schadensersatz, sondern nur zur Ausdehnung des (Nach-)Erfüllungsanspruchs
zu entnehmen. Der hierauf aufbauende Schadensersatzanspruch erfordert unverändert ein
Verschulden, doch bezieht sich dieser auf die Nichterfüllung der Nacherfüllung und nicht auf
den Mangel.
Richtigerweise ist für die Zurechnung nach § 278 BGB beim Umfang der Primärverpflichtung
anzusetzen,73 der im Zweifel durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln ist. Dies gilt
gleichermaßen für den Kauf-, Werk- und Werklieferungsvertrag. Übernimmt der Verkäufer
lediglich die Verpflichtung, die Sache (mangelfrei) zu liefern und tritt erkennbar als Weiterverkäufer auf, bedient er sich nicht des Herstellers zur Erfüllung seiner Verpflichtung. Verpflichtet
sich der Werklieferer hingegen zum Verkauf der von ihm herzustellenden Ware74 und delegiert
die Herstellung ganz oder teilweise an einen Dritten, so hat er für das Verschulden des Dritten
nach § 278 BGB einzustehen. Entgegen der Auffassung des BGH75 führt daher die weitgehende
Gleichstellung des Werklieferungsvertrags mit dem Kaufvertrag gemäß § 651 Satz 1 BGB nicht
pauschal dazu, dass das Herstellerverschulden nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden
kann.76 Mit § 651 BGB verweist das Gesetz nur für die Rechtsfolgen (hier: die Gewährleistungsrechte) auf das Kaufrecht. Die Leistungsverpflichtungen lässt es unberührt.77 Diese legen allein
die Vertragsparteien fest. Sofern der Werklieferer neben seiner Lieferverpflichtung auch Herstellerpflichten übernimmt, kann er sich zu deren Erfüllung eines Vorlieferanten bedienen,
dessen Verschulden bei der Entstehung des Mangels er sich sodann nach § 278 BGB zurechnen
lassen muss. Gleiches gilt bei der Verschuldenszurechnung für die vom Werkunternehmer
übernommenen Leistungsverpflichtungen.
c) Rechtsvergleichende Überlegungen zum Verschuldensprinzip
Im internationalen Vergleich konkurriert das deutsche Verschuldensprinzip mit der Garantiehaftung (z. B. strict liability im Common Law). So folgt auch das UN-Kaufrecht grundsätzlich
dem Prinzip der Garantiehaftung (Art. 45 Abs. 1 lit. b), 61 Abs. 1 lit. b) CISG), sieht aber in
Art. 79 Abs. 1 CISG ähnlich dem nordischen Kaufrecht eine Beschränkung vor.78 Demnach
68
BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014, Ed. 34, § 437 Rn. 86; MüKo/Ernst, BGB, 6. Auflage 2012, § 280 Rn. 61.
69
RegBegr., BT-Drs. 14/6040, 210.
70
Lorenz, NJW 2013, 207; ders., LMK 2014, 359378.
71
MüKo/Ernst, BGB, 6. Auflage 2012, § 280 Rn. 61.
72
Vgl. Keiser, NJW 2014, 1473, 1475, „sehr hohe Abstraktionsebene“.
73
MüKo/Ernst, BGB, 6. Auflage 2012, § 280 Rn. 61; BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014, Ed. 34, § 437 Rn. 86;
Klees, MDR 2010, 305, 306.
74
Z . B. eine Weberei beauftragt mit einem Produktionsschritt für den zu liefernden Stoff einen Dritten, s. SchmidtKessel, in: Prütting/Wegen/Weinreicht, BGB, 9. Auflage 2014, § 278 Rn. 21; oder ein Autohersteller lässt ein
Einzelteil von einem Dritte produzieren, s. BeckOK/Faust, BGB, Stand: 01.08.2014, Ed. 34, § 437 Rn. 86.
75
BGHZ 200, 337 Rn. 33 ff. (Profilleisten)
76
Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2013, § 651 Rn. 10 f.; Medicus/Peters, Bürgerliches Recht, 24. Auflage
2013, Rn. 805; MüKo/Busche, BGB, 6. Auflage 2012, § 651 Rn. 5.
77
Keiser, JuS 2014, 961, 966.
78
Vgl. §§ 27, 40 des Kaufgesetzes von Finnland, Norwegen und Schweden.
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kann sich der Schuldner entlasten, sofern er beweist, dass die Ursache für die Nichterfüllung
(einschließlich Schlechterfüllung)79 außerhalb seines Einflussbereichs lag, unvorhersehbar und
unabwendbar war. Das deutsche Recht hat sich dem im Zuge der Schuldrechtsreform durch
§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB angenähert, indem es hinsichtlich des Vertretenmüssens eine Beweislastumkehr vorsieht. In § 278 BGB wird indes eine Möglichkeit gesehen, das Verschuldensprinzip zur angemessenen Risikoverteilung zwischen Hersteller, Verkäufer und Käufer de lege
ferenda flexibel auszugestalten.80
5. Rücktritt
Tritt der Käufer/Besteller wirksam zurück, hat er die empfangene Leistung zurückzuerstatten.
Eine Rücknahmepflicht des Verkäufers/Werkunternehmers besteht nur, sofern die zurückzugebende Sache den Schuldner (Käufer/Besteller) übermäßig belastet.81 Der Schuldner ist über
die Regeln zum Annahmeverzug hinreichend geschützt. 82 Allerdings trifft den Gläubiger
(Verkäufer/Werkunternehmer) keine Pflicht, das eingebaute Baumaterial auszubauen. Denn
das Material ist gemäß §§ 946, 93, 94 Abs. 2 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks
geworden, sodass der Schuldner weder gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB analog zur Rück­
gewähr, noch zum Wertersatz aufgrund § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB analog verpflichtet ist.
Ohne Pflicht zur Rückgewähr oder Wertersatz des Schuldners kann es keine Ausbaupflicht
des Gläubigers geben.83 Nichts anderes gilt für den Anwendungsbereich der Richtlinie, die den
Rücktritt nur rudimentär regelt.84
6. Zusammenfassung
Aufgrund der vom BGH vertretenen gespaltenen Auslegung des Kaufrechts stellen sich die
Ansprüche des Käufers und Bestellers für Folgekosten mangelhafter Baumaterialien wie folgt dar:
1. I m Kaufrecht ist zwischen Verbrauchsgüterkaufverträgen und sonstigen Kaufverträgen
zu unterscheiden.
a) Bei Verbrauchsgüterkaufverträgen kann der Verbraucher die Übernahme der Folgekosten
(insbesondere den Aus- und Einbau) im Rahmen der Nacherfüllung verlangen. Die Einrede
der absoluten Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB ist dem Verkäufer verwehrt. Er kann den Verbraucher stattdessen auf einen verschuldensunabhängigen Anspruch
auf Erstattung der angemessenen Kosten verweisen. Die Folgekosten kann der Verbraucher
auch als Schadensersatz statt der Leistung geltend machen. Das Vertretenmüssen des Verkäufers bezieht sich dabei nicht auf den Mangel, sondern auf die ausgebliebene Nacherfüllung; den Entlastungsbeweis wird der Verkäufer in der Regel nicht erbringen können.
79
H . A., s. Schlechtriem/Schwenzer, CISG, 6. Auflage 2013, Art. 79 Rn. 6, m. w. N.
80
K lees, MDR 2010, 305, 308.
81
JurisPK-Faust, BGB, 7. Auflage 2014, § 346 Rn. 34.
82
Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 346 Rn. 95; BeckOK/Schmidt, BGB, Stand: 01.11.2014, Ed. 34, § 346 Rn. 32.
83
Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 346 Rn. 96; Thürmann, NJW 2006, 3457, 3461.
84
Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 346 Rn. 96; a. A. Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 346 Rn. 5;
Höpfner, ZGS 2009, 270, 277.
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b) Im allgemeinen Kaufrecht werden Folgekosten nicht durch die Nacherfüllung geschuldet
und können nur als einfacher Schadensersatz geltend gemacht werden, was in der Regel am
Vertretenmüssen scheitert. Dieses bezieht sich auf den Mangel. Sofern der Verkäufer schlicht
als Weiterverkäufer auftritt, hat er den Mangel nicht zu vertreten. Für Herstellerverschulden
hat er nicht nach § 278 BGB einzustehen.
2. I m Werkvertrag hängt der Ersatz der Folgekosten vom Umfang des vertraglich verein­
barten Erfüllungsanspruchs ab.
a) Sind die Leistungen (z. B. Aus- und Einbau) Teil des Erfüllungsanspruchs, sind die Folgekosten mit der Nacherfüllung geschuldet und können als Schadensersatz statt der Leistung geltend gemacht werden. Das Vertretenmüssen bezieht sich auf die ausgebliebene Nacherfüllung.
Der entsprechende Entlastungsbeweis wird dem Werkunternehmer in der Regel nicht gelingen.
b) Anderenfalls sind die Folgekosten nicht im Rahmen der Nacherfüllung geschuldet und
können nur als einfacher Schadensersatz geltend gemacht werden. Für die dem Werkunternehmer oder Werklieferer zugelieferten mangelhaften Baumaterialien hat er nicht einzustehen. Ein Herstellerverschulden ist ihm nicht nach § 278 BGB zuzurechnen.
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IV.
Möglichkeiten der Ausgestaltung einer legistischen
Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung zu den Aus- und
Einbaukosten
Prof. Dr. Florian Faust*
1. Einführung
Mit seinem Urteil in Sachen Gebrüder
Weber und Putz1 sorgte der EuGH für einen
wahren Paukenschlag: Er setzte sich über
das Votum des Generalanwalts2 hinweg
und entschied, dass der Verkäufer bei
Verbrauchsgüterkäufen im Rahmen der
Ersatzlieferung die mangelhafte Sache
aus- und die ersatzweise gelieferte Sache
einbauen oder die entsprechenden Kosten
tragen muss und dass er die Nacherfüllung
normalerweise nicht wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit verweigern darf. Der BGH hat
dem in zwei sorgfältig begründeten Urteilen3 Rechnung getragen und das deutsche Kaufrecht
insofern richtlinienkonform ausgelegt und fortgebildet. Dies genügt freilich nicht zur ordnungsgemäßen Umsetzung der VerbrGüterKRL 4, da das Gebot klarer und bestimmter Richt­
linienumsetzung eine gesetzliche Regelung erfordert5. Eine solche wurde 2012 in einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums6 vorgeschlagen, der sich auf ein Gesetz zur
Umsetzung der VerbrRechteRL7 bezog. Der Vorschlag fand jedoch keinen Eingang in das
Gesetz, weil die Bundesregierung weiteren Klärungsbedarf sah.8 Dieser Klärung ein Stück
näher zu kommen ist das Ziel dieses Beitrags. Anders als im Referentenentwurf wird dabei
* Der Verfasser ist Professor an der Bucerius Law School, Hamburg.
1
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 ff. (Gebr. Weber und Putz).
2
Schlussanträge des Generalanwalts Mazák vom 18.5.2010, Rs. C-65/09, Slg. 2010, I- 5260 ff. (Gebr. Weber) und
Rs. 87/09, Slg. 2010, I-5280 ff. (Putz).
3
BGH, Urteil vom 21.12.2011, Az. VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 ff.; BGH, Urteil vom 17.10.2012, Az. VIII ZR 226/11,
BGHZ 195, 135 ff.
4
R ichtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten
des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171, S. 12 ff.
5
EuGH, Urteil vom 19.9.1996, Rs. C-236/95, Slg. 1996, I-4467 Rz. 12 ff. (Kommission/Griechenland); EuGH,
Urteil vom 10.5.2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3558 Rz. 20 f. (Kommission/Niederlande).
6
Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 19.9.2012, abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/17_wp/VerbraucherrechteRL/refe.pdf
;jsessionid=72B9E9CFC5FC0D9FAB1248D498FBFBBF.2_cid344?__blob=publicationFile.
7
R ichtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der
Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie
97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 304, S. 64 ff.
8
Siehe Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 17/12637, S. 87 (92 f.); Gegenäußerung der Bundesregierung,
BT-Drucks. 17/12637, S. 95 (99).
Seite 34
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nicht erstrebt, das EuGH-Urteil gleichsam 1:1 umzusetzen, weil dadurch keine vollständige
Richtlinienkonformität – und auch keine in sich stimmige Regelung – erreicht würde.
2. Der Umfang der Nacherfüllung
2.1. Vornahmepflicht oder Kostenersatz
Nach Ansicht des EuGH schreibt die VerbrGüterKRL nicht vor, auf welche Weise der Verbraucher von den Kosten für den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der ersatzweise gelieferten mangelfreien Sache zu entlasten ist: Der Verkäufer kann entweder den Aus- und Einbau
selbst vornehmen oder dem Verbraucher die dafür anfallenden Kosten ersetzen. Die erste
Frage bei der Umsetzung des EuGH-Urteils ist also, ob der Umfang der vom Verkäufer zu
erbringenden Nacherfüllung i. S. v. § 439 Abs. 1 BGB entsprechend festzulegen ist oder ob dem
Käufer lediglich ein Anspruch auf Kostenerstattung einzuräumen ist. Als Anspruchsgrundlage
für einen Kostenerstattungsanspruch würde sich § 439 Abs. 2 BGB anbieten, der nach Ansicht
des BGH dem Käufer einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für einen zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Transport gibt, sofern der Verkäufer diesen Transport nicht selbst vornehmen muss9.
M. E. sollte der Verkäufer verpflichtet sein, den Aus- und Einbau selbst vorzunehmen. Nur dies
entspricht – wie auch der BGH hervorgehoben hat10 – der Systematik des deutschen Gewährleistungsrechts, das Sekundärrechte des Käufers prinzipiell davon abhängig macht, dass eine
Frist zur Nacherfüllung erfolglos verstrichen ist, und dadurch dem Verkäufer ein „Recht zur
zweiten Andienung“ einräumt. Der Verkäufer soll also die Möglichkeit haben, eine Ersatzpflicht in Geld dadurch zu vermeiden, dass er selbst den Mangel behebt. Im Hinblick auf den
Aus- und Einbau kann nichts anderes gelten. Hinzu kommt, dass der Verkäufer häufig den
Aus- und Einbau günstiger wird bewerkstelligen können als der Käufer, weil er entweder keine
Fremdfirmen einschalten muss oder bessere Konditionen erhält. Schließlich ist es auch deshalb sinnvoll, nicht zwischen Vornahme und Kostentragung zu trennen, weil der Käufer, der
den Aus- und Einbau auf Rechnung des Verkäufers vornähme, keinen Anreiz hätte, sich besonders um Kostenminimierung zu bemühen.
Nimmt der Verkäufer den Aus- und Einbau vor, muss ihm der Käufer freilich nicht nur erneut
Zugriff auf die Kaufsache gewähren, sondern auch Zutritt zu den entsprechenden Räumen.
Anders als bei der Auswahl eines Werkunternehmers wird er dies bei Vertragsschluss kaum
bedenken und deshalb der diesbezüglichen Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers allenfalls geringe Bedeutung zumessen. Doch spricht dies nicht entscheidend gegen eine
Aus- und Einbaupflicht des Verkäufers. Denn der Verkäufer muss den Aus- und Einbau auf
jeden Fall fachgerecht durchführen. Verfügt er selbst nicht über die entsprechende Qualifika­
tion, muss er Fremdbetriebe als Erfüllungsgehilfen einschalten; maßgebliche Bedeutung
kommt insofern den Vorschriften der Handwerksordnung zu. Zwar hat der Käufer keine Möglichkeit, an der Auswahl dieser Erfüllungsgehilfen mitzuwirken, doch ist er dadurch hinrei-
9
BGH, Urteil vom 13.4.2011, Az. VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 Rz. 37.
10
BGH, Urteil vom 21.12.2011, Az. VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rz. 41, 43.
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chend abge­sichert, dass der Verkäufer für eigenes Auswahlverschulden und nach § 278 BGB für
Verschulden der zugezogenen Erfüllungsgehilfen haftet. Der Käufer hat den Vorteil, dass er
– anders als im Fall einer bloßen Kostentragungspflicht des Verkäufers – den Aus- und Einbau
nicht organisieren und sich im Fall mangelhafter Vornahme der Arbeiten nicht mit dem betreffenden Handwerker auseinandersetzen muss, sondern sich an den Verkäufer halten kann. Dass
der Käufer ihm fremden und nicht von ihm ausgewählten Personen Zutritt zu seiner Wohnung
oder anderen Räumen gewähren muss, bedeutet für ihn zwar eine gewisse Beeinträchtigung, ist
ihm jedoch zuzumuten. Auch bei Werkverträgen hat der Besteller typischerweise keinen Einfluss darauf, welche Personen seine Räume betreten, da der vom Besteller beauftragte Werkunternehmer in der Regel die Arbeiten nicht selbst durchführt, sondern Arbeitnehmer11 einsetzt.
2.2. V
oraussetzungen für eine Erweiterung der Nacherfüllungspflicht
des Verkäufers
Der EuGH hat den Anspruch des Verbrauchers hinsichtlich des Aus- und Einbaus drei Voraussetzungen unterworfen: Der Verbraucher muss die Sache
❙❙ gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck
❙❙ vor Auftreten des Mangels
❙❙ gutgläubig
eingebaut haben. Der deutsche Gesetzgeber ist nicht gehalten, diese Einschränkungen zu
übernehmen, da die VerbrGüterKRL verbraucherfreundlichere Regelungen zulässt (Art. 8
Abs. 2 VerbrGüterKRL). Es ist also zu entscheiden, ob die Einschränkungen ins deutsche Recht
zu übernehmen sind.
a) Verwendung der Kaufsache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck
Die erste Einschränkung, dass die Sache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck
eingebaut worden sein muss, sollte ins deutsche Recht übernommen werden, weil sie dem
Verkäufer zumindest ein Minimum an Kalkulationssicherheit ermöglicht: Er muss nicht
verschuldensunabhängig für den Aus- und Einbau haften, wenn er das aufgrund der Art der
Sache nicht vorhersehen konnte. Umgekehrt handelt der Käufer auf eigenes Risiko, wenn er
eine Sache einbaut, die hierfür nicht bestimmt ist; es ist ihm dann zuzumuten, hinsichtlich der
Aus- und Einbaukosten Ersatz nur im Rahmen von Ansprüchen auf Schadensersatz und auf
Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB) zu erhalten, die ein Vertretenmüssen des Verkäufers voraussetzen. Die Formulierung des EuGH, die auf die Art der Sache und ihren Verwendungszweck abstellt, scheint sachgerecht. Der Verwendungszweck ist dabei – ohne dass
11
Siehe MüKoBGB-Busche, 6. Aufl. 2012, § 631 Rz. 71 f. Umstritten ist, ob auch der Einsatz von Subunternehmern
ohne weiteres möglich ist (so Bamberger/Roth-Voit, BGB, 3. Aufl. 2012, § 631 Rz. 45; Erman-Schwenker, BGB,
14. Aufl. 2014, § 631 Rz. 30) oder der Zustimmung des Bestellers bedarf, die sich freilich aus den Umständen
ergeben kann (so MüKoBGB-Busche, 6. Aufl. 2012, § 631 Rz. 34; Palandt-Sprau, BGB, 74. Aufl. 2015, § 631 Rz. 9;
Staudinger-Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2014, § 631 Rz. 35). Die Zuziehung von Subunternehmern kann im
Rahmen der Nacherfüllung erforderlich sein, da die Nacherfüllung im Werkvertragsrecht nach ganz h. M. von
der ursprünglichen Leistungspflicht nicht umfasste Vor- und Nacharbeiten beinhaltet (siehe Faust, BauR 2010,
S. 1818 [1819 f.]; MüKoBGB-Busche, 6. Aufl. 2012, § 635 Rz. 12 ff.; Staudinger-Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2014,
§ 634 Rz. 34; zweifelnd Bamberger/Roth-Voit, BGB, 3. Aufl. 2012, § 635 Rz. 10).
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dies besonders klargestellt werden muss – nach dem Vertragsinhalt zu bestimmen12; sofern
sich aus dem Vertrag nichts Besonderes ergibt, ist die gewöhnliche Verwendung maßgeblich
(vgl. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB).
b) Gutgläubige Verwendung vor Auftreten des Mangels
Die zweite und dritte Einschränkung – dass die Sache vor Auftreten des Mangels und gutgläubig eingebaut werden muss – überschneiden sich. Die Abgrenzung ist nicht klar. Das Auftreten
des Mangels bezeichnet wohl eine objektive Sichtweise, während die Gutgläubigkeit auf den
konkreten Käufer abstellt. Im Gesetz sollte auf eine solche Doppelung verzichtet werden, da
sie überflüssig ist und Anwendungsprobleme mit sich bringt. Vorzugswürdig ist, allein auf die
Gutgläubigkeit des konkreten Käufers abzustellen, da es um dessen Schutzwürdigkeit geht
und das Gesetz an zahlreichen anderen Stellen diesen Maßstab heranzieht. „Gutgläubigkeit“
muss allerdings konkretisiert werden: Soll dem Käufer nur positive Kenntnis des Mangels, auch
grob fahrlässige Unkenntnis oder sogar jede Fahrlässigkeit schaden? M. E. ist es sinnvoll, denjenigen Maßstab zu übernehmen, den das Gesetz auch in Bezug auf das generelle Bestehen von
Gewährleistungsrechten statuiert, nämlich den Maßstab des § 442 Abs. 1 BGB: Einfache Fahrlässigkeit schadet danach dem Käufer nicht; insbesondere muss er die Kaufsache vor dem Einbau nicht auf Mängel untersuchen. Das ist sinnvoll, weil der Verkäufer bei Sachen, die gemäß
ihrer Art und ihrem Verwendungszweck eingebaut werden, um die Möglichkeit eines Einbaus
und das damit verbundene Risiko weiß und daher die Sache selbst auf Mängel untersuchen
kann, um das Risiko zu minimieren; er wird zu einer solchen Untersuchung in der Regel besser
in der Lage sein als der Käufer. Grobe Fahrlässigkeit schadet dem Käufer dagegen normalerweise, er darf sich also Indizien, die auf die Mangelhaftigkeit hindeuten, nicht verschließen. Eine
Ausnahme gilt nur, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat, weil er dann
nicht schutzwürdig ist, oder wenn er eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat, weil sich der Käufer auf eine solche Garantie verlassen darf. Positive Kenntnis schließlich schadet dem Käufer auf jeden Fall, weil er dann nicht schutzwürdig ist.13 Dieser Maßstab
dürfte mit der VerbrGüterKRL vereinbar sein, da sie dort, wo sie das Bestehen von Gewährleistungsrechten von der Gutgläubigkeit des Käufers abhängig macht, einen der groben Fahrlässigkeit entsprechenden14 Maßstab statuiert: Sie stellt darauf ab, ob der Käufer Kenntnis von der
Vertragswidrigkeit hatte oder vernünftigerweise nicht in Unkenntnis darüber sein konnte
(Art. 2 Abs. 3 VerbrGüterKRL). Die Beweislast für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers sollte – wie im Rahmen von § 442 Abs. 1 BGB15 – der Verkäufer tragen.
2.3. Andere Veränderungen als Einbau
Das EuGH-Urteil in Sachen Gebrüder Weber und Putz bezieht sich auf den Ausbau der
ursprünglich gelieferten mangelhaften Sache und den Einbau der ersatzweise gelieferten
mangelfreien Sache. Doch es sind noch zahlreiche andere Veränderungen der Kaufsache möglich, bei denen sich dasselbe Problem stellt: So kann der Käufer etwa als Bausatz gelieferte
Möbel aufgebaut haben, bevor er ihre Mangelhaftigkeit entdeckt, er kann ein unlackiertes
12
A . A. Referentenentwurf (Fn. 6), S. 107. Ein vergleichbares Problem stellt sich hinsichtlich der bestimmungs­
gemäßen Ingebrauchnahme und des bestimmungsgemäßen Gebrauchs in § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB. Auch dort
wird maßgeblich auf den Vertragsinhalt abgestellt; siehe Faust, in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 346 Rz. 61;
MüKoBGB-Gaier, 6. Aufl. 2012, § 346 Rz. 42; Staudinger-Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 346 Rz. 186 f.
13
Der Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 107 zieht die Grenze ausnahmslos bei grober Fahrlässigkeit.
14
Siehe Begründung des Fraktionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 236.
15
Palandt-Weidenkaff, BGB, 74. Aufl. 2015, § 442 Rz. 6.
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Holzregal lackiert oder auf einem Computer Software installiert haben. In all diesen Fällen
stellt sich dieselbe Frage: Muss der Verkäufer diese Veränderungen im Rahmen der Nacherfüllung aufrechterhalten oder wiederherstellen?16
Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, verschiedene Arten von Veränderungen unterschiedlich zu behandeln. Auch die Gründe, die der EuGH für seine Entscheidung
hinsichtlich des Einbaus gegeben hat, stellen nicht auf dessen Spezifika ab, sondern gelten für
alle Arten von Veränderungen gleichermaßen: Weil die Nacherfüllung unentgeltlich erfolgen
müsse (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 VerbrGüterKRL), müsse der Verbraucher vor finanziellen Belastungen geschützt werden, die er nicht hätte tragen müssen, wenn der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Dem Verbraucher dürften daher weder die Ausbau- noch
die Einbaukosten auferlegt werden, weil ihn erstere gar nicht und letztere nur einmal – aber
nicht zweimal – getroffen hätten, wenn der Verkäufer von vornherein mangelfrei geleistet
hätte.17 Außerdem könne es für den Verbraucher eine erhebliche Unannehmlichkeit i. S. v.
Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 VerbrGüterKRL darstellen, wenn der Verkäufer nicht für den Aus- und
Einbau sorge.18 Ein solch weites Verständnis der Nacherfüllung führe auch dann zu gerechten
Ergebnissen, wenn dem Verkäufer kein Verschulden zur Last falle: „In einem Fall, in dem keine
der beiden Vertragsparteien schuldhaft gehandelt hat, ist es … gerechtfertigt, dem Verkäufer
die Kosten für den Ausbau des vertragswidrigen Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz
gelieferten Verbrauchsguts aufzuerlegen, da diese Zusatzkosten zum einen vermieden worden
wären, wenn der Verkäufer von vornherein seine vertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt hätte, und zum anderen nunmehr notwendig sind, um den vertragsgemäßen
Zustand des Verbrauchsguts herzustellen.“19
Die hier angesprochene „Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes“
ist nach Art. 3 Abs. 2 VerbrGüterKRL Ziel der Nacherfüllung. Den Gründen des EuGH-Urteils
zufolge versteht der EuGH das dahingehend, dass der Verkäufer das Verbrauchsgut nicht nur
in denjenigen Zustand versetzen muss, in dem es sich zum Zeitpunkt der Lieferung hätte
befinden sollen, sondern in denjenigen Zustand, in dem es sich im Zeitpunkt der Nacherfüllung befände, wenn es mangelfrei gewesen wäre. Deshalb hat er entschieden, dass der Verkäufer vom Käufer eingebaute Fliesen wieder einbauen muss (oder zumindest die Einbaukosten
tragen), und deshalb würde er mit größter Wahrscheinlichkeit entscheiden, dass der Verkäufer
das ersatzweise gelieferte Regal lackieren muss, wenn der Käufer das ursprünglich gelieferte
Regal lackiert hatte, oder dass er auf dem ersatzweise gelieferten Computer diejenige Software
installieren muss, die der Käufer auf dem ursprünglich gelieferten mangelhaften Computer
installiert hatte. Die geplante Gesetzesänderung sollte daher keinesfalls auf den Aus- und
Einbau beschränkt werden – die nächste EuGH-Entscheidung, aus der sich die Richtlinienwidrigkeit des deutschen Rechts ergibt, wäre dann vorprogrammiert. Dass der Verkäufer dadurch
im Rahmen der Nacherfüllung weitergehenden Pflichten unterworfen sein kann als im Hinblick auf die ursprüngliche Leistung, ist – wie der EuGH ausdrücklich festgestellt hat 20 – unerheblich.
16Die Regelungen im Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 107 sind ohne Begründung auf den Aus- und Einbau
beschränkt.
17 EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 46 ff. (Gebr. Weber und Putz).
18 EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 53 (Gebr. Weber und Putz).
19 EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 56 f. (Gebr. Weber und Putz).
20 EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 59 (Gebr. Weber und Putz).
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Die Reichweite des verschuldensunabhängigen Nacherfüllungsanspruchs sollte allerdings
nicht überdehnt werden. Es wäre nicht angemessen, den Verkäufer, der verdorbene Eier geliefert hat, zu verpflichten, dem Käufer im Rahmen der Ersatzlieferung nach dem Rezept des
Käufers einen Kuchen zu backen, oder den Verkäufer, der mangelhafte Wolle geliefert hat,
zu verpflichten, im Rahmen der Ersatzlieferung einen Pullover zu stricken; es scheint auch
unwahrscheinlich, dass der EuGH so weit ginge. Die Grenze ist freilich schwer zu ziehen. Es
bietet sich an, insofern auf den Begriff der Verarbeitung zurückzugreifen, da das Gesetz an
diesen Begriff auch an anderen Stellen eine Zäsur im Hinblick auf die rechtlichen Verhältnisse
einer Sache knüpft: Nach § 950 BGB kann die Verarbeitung zu einem Eigentumserwerb kraft
Gesetzes führen, und nach § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB muss der Käufer die empfangene Sache,
soweit er sie verarbeitet hat, im Rahmen des Rücktritts – und auch der Ersatzlieferung (§ 439
Abs. 4 BGB) – nicht zurückgewähren, sondern Wertersatz leisten 21. Unter Verarbeitung werden
dabei – wie sich aus dem Text des § 950 BGB ergibt und auch für § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB
anerkannt ist22 – nur Vorgänge verstanden, durch die eine neue Sache entsteht. Es scheint
angemessen, dass ein Käufer, der aus der Kaufsache – wenn auch entsprechend ihrem Verwendungszweck – eine neue Sache herstellt, nicht vollständig vom Risiko der Mangelhaftigkeit
entlastet wird: Der Erfolg der Verarbeitung bleibt ihm dann nicht erhalten, wenn der Verkäufer
die Mangelhaftigkeit nicht zu vertreten hat23. Hierdurch wird eine sachgerechte Abgrenzung
der Risikosphären von Käufer und Verkäufer erreicht: Veränderungen, die unterhalb der
Schwelle der Verarbeitung bleiben, fallen in den Risikobereich des Verkäufers. Bei darüber
hinausgehenden Veränderungen ist die Entscheidung des Käufers zur Vornahme der Veränderung dagegen so gewichtig, dass der Käufer insofern auf eigenes Risiko handelt.
2.4. Geltung im Fall der Nachbesserung
Die EuGH-Entscheidung in Sachen Gebrüder Weber und Putz bezieht sich ausschließlich auf
die Ersatzlieferung. Bei der Nachbesserung können sich aber dieselben Probleme stellen: Die
Nachbesserung kann den Aus- und Wiedereinbau der Kaufsache erforderlich machen oder
dazu führen, dass Veränderungen, die der Käufer an der Kaufsache vorgenommen hat, verloren gehen, etwa wenn Einzelteile des vom Käufer schon lackierten Regals ersetzt werden oder
die Festplatte des gekauften Computers ausgetauscht wird, auf der der Käufer schon Software
installiert hatte. Es besteht kein Grund, die entsprechenden Risiken bei der Nachbesserung
anders zu verteilen als bei der Ersatzlieferung. Auch der EuGH hat festgestellt, dass die beiden
Arten der Nacherfüllung dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleisten sollen. 24 Die Neuregelung kann daher nicht auf die Ersatzlieferung beschränkt werden, sondern muss auch die
Nachbesserung erfassen. 25
21
Erman-Röthel, BGB, 14. Aufl. 2014, § 346 Rz. 9; Faust, in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 346 Rz. 45; MüKoBGB-Gaier,
6. Aufl. 2012, § 346 Rz. 40; Soergel-Lobinger, BGB, 13. Aufl. 2010, § 346 Rz. 77; Staudinger-Kaiser, BGB, Neubearb.
2012, § 346 Rz. 141.
22 Erman-Röthel, BGB, 14. Aufl. 2014, § 346 Rz. 9; Faust, in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 346 Rz. 44; MüKoBGB-Gaier,
6. Aufl. 2012, § 346 Rz. 40; Soergel-Lobinger, BGB, 13. Aufl. 2010, § 346 Rz. 77; Staudinger-Kaiser, BGB, Neubearb.
2012, § 346 Rz. 141. Siehe auch den Verweis auf § 352 BGB a. F. in der Begründung des Fraktionsentwurfs zum
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 196.
23
Sonst ist der Käufer im Wege des Schadensersatzes abgesichert.
24
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 51 (Gebr. Weber und Putz).
25
Die Regelungen im Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 107 sind ohne Begründung auf die Ersatzlieferung
beschränkt.
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2.5. Geltung für andere als Verbrauchsgüterkäufe
Europarechtlich geboten ist eine Gesetzesänderung nur im Hinblick auf Verbrauchsgüterkäufe,
da die VerbrGüterKRL nur solche Kaufverträge erfasst. Es stellt sich daher die Frage, ob die
Neuregelung auf andere Kaufverträge erstreckt werden soll. Die Ausgangslage ist dabei eine
andere als bei Verbrauchsgüterkäufen, weil § 475 BGB nicht gilt, die gesetzliche Regelung also
dispositiv wäre. Eine gesetzliche Regelung, die den Verkäufer zur Aufrechterhaltung oder
Wiederherstellung von Veränderungen verpflichtet, belastet ihn deswegen weniger als bei
Verbrauchsgüterkäufen. In der Praxis wird eine Abbedingung freilich häufig daran scheitern,
dass der BGH auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine sehr restriktive AGB-Kon­
trolle vornimmt.
a) Verträge zwischen Unternehmern
Nach der Koalitionsvereinbarung soll die Neuregelung auch Verträge zwischen Unternehmern
erfassen. Das ist sinnvoll. Anliegen der Neuregelung ist es, eine angemessene Risikoverteilung
zwischen Verkäufer und Käufer zu erreichen. Es geht darum, welche der gleichermaßen schuldlosen Vertragsparteien die Zusatzkosten tragen soll, die durch die Veränderung der Kaufsache
entstehen. Da diese Zusatzkosten auf einer – wenn auch nicht zu vertretenden – Pflichtverletzung des Verkäufers beruhen, werden sie ihm auferlegt.26 Die Ratio der Neuregelung liegt folglich nicht in verbraucherschützenden Erwägungen27; diese spielen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Im Rahmen der Schuldrechtsreform war es das Bestreben des Gesetzgebers, das
Kaufrecht möglichst einheitlich auszugestalten und Sonderregelungen für Verbrauchsgüterkäufe nur dort zu schaffen, wo spezifischen Verbraucherschutzgesichtspunkten Rechnung
getragen werden muss.28 Da dies hier nicht der Fall ist, sollte die Neuregelung für alle Kaufverträge gelten. Hierfür spricht auch, dass der Käufer normalerweise endgültig mit den betreffenden Kosten belastet würde, während der Verkäufer häufig Regress nehmen kann und im Wege
dieses Regresses die Kosten demjenigen aufgebürdet werden können, der den Mangel zu vertreten hat. Eine Beschränkung auf Verbrauchsgüterkäufe würde überdies dazu führen, dass der
Verkauf bestimmter Waren an einen Verbraucher mit einem wesentlich höheren Risiko behaftet ist als der Verkauf derselben Waren an einen Unternehmer. Eine Einpreisung dieses Risikos
nur bei Verbrauchsgüterkäufen wird meist daran scheitern, dass der Verkäufer kaum mit hinreichender Sicherheit erkennen kann, ob der Käufer als Verbraucher oder als Unternehmer kauft,
und eine Preisdifferenzierung für den Verkäufer daher nicht sinnvoll ist. Eine Beschränkung
der Neuregelung auf Verbrauchsgüterkäufe würde daher dazu führen, dass Unternehmer-Käufer Verbraucher-Käufer quersubventionieren.
26
Vgl. EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 56 f. (Gebr. Weber
und Putz).
27
So ist auch § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB, der auf einer ähnlichen Ratio beruht, nicht auf Verbraucherverträge
beschränkt; siehe Begründung des Fraktionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks.
14/6040, S. 196.
28
Begründung des Fraktionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 242.
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b) Verträge mit einem Verbraucher als Verkäufer
Fraglich ist, ob die Neuregelung auch für Kaufverträge gelten soll, bei denen der Verkäufer
Verbraucher ist, also C2C- und C2B-Verträge. Der Verbraucher-Verkäufer könnte dadurch
erheblich belastet werden. Systematische Gründe sprechen allerdings entscheidend für die
Einbeziehung auch solcher Verträge. Das Gesetz kennt generell keine Schutzvorschriften
zugunsten des Verbraucher-Verkäufers. Schon die Pflicht zur Nacherfüllung kann eine gravierende Belastung des Verkäufers bedeuten, und trotzdem ist auch ein Verbraucher ihr unterworfen. Will der Verbraucher-Verkäufer dieses Risiko nicht tragen, muss er sich entweder
durch eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) oder durch einen Haftungsausschluss absichern. Zwingende Gründe, die (nur) im Hinblick auf Zusatzkosten, die wegen der
Veränderung der Kaufsache anfallen, eine andere Risikoverteilung gebieten, sind nicht ersichtlich. Im Fall von C2C- und C2B-Geschäften werden solche Veränderungen ohnehin selten sein.
Es wäre nicht sinnvoll, wegen solcher Ausnahmefälle neben den Verbrauchsgüterkäufen eine
weitere Sonderform des Kaufvertrags mit speziellen Regelungen zu schaffen.
c) Grundstückskaufverträge
Es sind keine Gründe ersichtlich, die dafür sprechen, die Neuregelung auf bewegliche Sachen
zu beschränken. Sie sollte daher auch für Grundstückskaufverträge gelten.
2.6. Formulierungsvorschlag
Da die Neuregelung für alle Arten von Kaufverträgen gelten soll, darf sie nicht im Rahmen der
§§ 474 ff. BGB erfolgen. Vielmehr ist § 439 BGB zu ändern. Vorgeschlagen wird, die Norm um
folgenden Absatz zu ergänzen29:
Im Rahmen der Nacherfüllung muss der Verkäufer Veränderungen, die der Käufer an der
Kaufsache gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck vorgenommen hat, erhalten oder
wiederherstellen. 2 Dies gilt nicht, soweit die Kaufsache verarbeitet wurde oder der Käufer den
Mangel bei Vornahme der Veränderung kannte. 3 Ist dem Käufer ein Mangel infolge grober
Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, gilt Satz 1 nur, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig
verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat.
1
29
Die vorgeschlagene Formulierung wird den Besonderheiten einer Lieferkette nicht gerecht. Bei dieser stellen sich
besondere Regressprobleme, die durch spezielle Vorschriften zu lösen sind. So spricht etwa einiges dafür, den
Anwendungsbereich von § 478 Abs. 2 BGB zu erweitern und die Norm unabhängig davon anzuwenden, ob am
Ende der Lieferkette ein Verbrauchsgüterkauf steht oder nicht. Der vorgeschlagene Satz 3 lehnt sich an die
Formulierung von § 442 Abs. 1 S. 2 BGB an.
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3. Absolute Unverhältnismäßigkeit
3.1. Kein Leistungsverweigerungsrecht
Nach dem EuGH-Urteil in Sachen Gebrüder Weber und Putz darf der Verkäufer bei Verbrauchsgüterkäufen nicht die Möglichkeit haben, im Falle der Unmöglichkeit einer Art der
Nacherfüllung die andere Art wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit zu verweigern. Der
EuGH hat dies für beide Arten der Nacherfüllung gleichermaßen festgestellt. 30 Das Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers nach § 439 Abs. 3 BGB muss daher zumindest bei Verbrauchsgüterkäufen auf Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit beschränkt werden.
Fraglich ist, ob das zur ordnungsgemäßen Umsetzung der VerbrGüterKRL genügt oder ob
auch § 275 Abs. 2 BGB geändert werden muss. Denn auch dieser ermöglicht dem Verkäufer, die
einzig mögliche Art der Nacherfüllung im Fall der Unverhältnismäßigkeit zu verweigern. Die
VerbrGüterKRL sieht dagegen eine Befreiung des Verkäufers nur im Fall der relativen Unverhältnismäßigkeit oder der Unmöglichkeit vor. § 275 Abs. 2 BGB ist daher nur dann richtlinienkonform, wenn er ausschließlich Fälle umfasst, die unter den Begriff der Unmöglichkeit im
Sinne der Richtlinie fallen.31 Dies setzt voraus, dass dieser Begriff nicht nur Fälle der physischen oder rechtlichen Unmöglichkeit erfasst, sondern auch bestimmte Fälle der faktischen
Unmöglichkeit. Ob das so ist, lässt sich in Ermangelung einschlägiger EuGH-Rechtsprechung
schwer entscheiden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der EuGH den Verkäufer auch dann
einer Pflicht zur Nacherfüllung unterwerfen würde, wenn diese wirtschaftlich völlig unsinnig
ist. So ist es auch nach Ansicht der Europäischen Kommission „nicht ausgeschlossen, dass in
Extremfällen, in denen die einzig mögliche Abhilfe einen Aufwand erfordern würde, der in
einem groben Missverhältnis zum Interesse des Verbrauchers an der Vornahme der Abhilfe
stehen würde, ein Fall der Unmöglichkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie
vorlieg[t]“.32 M. E. sollte deshalb derzeit von einer Regelung, nach der § 275 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die Nacherfüllung bei Verbrauchsgüterkäufen unanwendbar ist, abgesehen werden.
Es fragt sich, ob das Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit bei anderen als Verbrauchsgüterkäufen bestehen bleiben soll. Meiner Ansicht
nach sollte es das nicht. Auch hier kommt der Grundsatz zum Tragen, dass Sonderregeln für
Verbrauchsgüterkäufe nur dort geschaffen werden sollen, wo spezifisch verbraucherschützenden Gesichtspunkten Rechnung getragen werden muss. Das ist hier nicht der Fall. Es ist ohnehin kein Grund dafür zu erkennen, die Grenzen der Leistungspflicht beim Nacherfüllungsanspruch anders zu ziehen als bei sonstigen Erfüllungsansprüchen, für die nur die allgemeinen
Regeln des § 275 BGB gelten. Warum § 439 Abs. 3 BGB insofern eine „niedrigere Schwelle für
die Begründung einer Einrede des Verkäufers“ statuiert33, geht auch aus der Begründung zum
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht hervor. § 439 Abs. 3 BGB sollte daher für alle Kaufverträge auf Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit beschränkt werden. Dementsprechend
30
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 71 (Gebr. Weber und Putz).
31
So schon Faust, in: BeckOK-BGB, Edition 36 (Stand: 1.8.2014), § 439 Rz. 54. A. A. MüKoBGB-Lorenz, 6. Aufl. 2012,
vor § 474 Rz. 18 und Oetker/Maultzsch, Vertragliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2013, § 2 Rz. 216a, die annehmen,
die VerbrGüterKRL überlasse die Definition der Unmöglichkeit dem nationalen Recht.
32
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 65 (Gebr. Weber und Putz).
33
Begründung des Fraktionsentwurfs zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 232.
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sollte im Werkvertragsrecht § 635 Abs. 3 BGB ersatzlos gestrichen werden. Denn die Frage der
relativen Unverhältnismäßigkeit kann sich im Werkvertragsrecht nicht stellen, weil nach § 635
Abs. 1 BGB die Entscheidung über die Art der Nacherfüllung ohnehin beim Werkunternehmer
liegt. Die Grenzen der Erfüllungspflicht werden damit auch im Hinblick auf die Nacherfüllung
allein durch § 275 BGB festgelegt. Dieser bietet durch den Verweis auf den Inhalt des Schuldverhältnisses die Möglichkeit, die Besonderheiten der Nacherfüllung zu berücksichtigen und
in gewissem Ausmaß auch zwischen Verbrauchsgüterkäufen, bei denen dem Verkäufer wegen
der VerbrGüterKRL nur in Ausnahmefällen ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt werden
kann, und anderen Kaufverträgen zu differenzieren.
Vorgeschlagen wird folgende Fassung des jetzigen § 439 Abs. 3 BGB; der neugefasste Absatz
sollte dabei, da es um die Grenzen des Wahlrechts des Käufers geht, unmittelbar auf § 439
Abs. 1 BGB folgen, der dieses Wahlrecht statuiert:
Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275
Abs. 2 und 3 verweigern, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die im Vergleich
mit den Kosten der anderen Art der Nacherfüllung unverhältnismäßig sind. 2 Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die
Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile
für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. 3 Der Anspruch des Käufers beschränkt sich in
1
diesem Fall auf die andere Art der Nach­erfüllung.
Da eine berechtigte Verweigerung beider Arten der Nacherfüllung nach diesem neugefassten
Absatz nicht in Betracht kommt, ist die erste Variante in § 440 S. 1 BGB zu streichen.34 Sofern
– wie vorgeschlagen – im Werkvertragsrecht § 635 Abs. 3 BGB gestrichen wird, ist in § 636 BGB
ebenfalls die erste Variante zu streichen.
3.2. Ausnahme hinsichtlich des Aus- und Einbaus
a) EuGH-Urteil
Im Hinblick auf den Aus- und Einbau bei der Ersatzlieferung (nicht im Hinblick auf die Ersatzlieferung als solche!35) lässt der EuGH die Möglichkeit offen, den Anspruch des Verbrauchers
auf Kostenerstattung auf einen Betrag zu beschränken, „der dem Wert, den das Verbrauchsgut
hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen
ist“, sofern dadurch das Recht des Verbrauchers auf Kostenerstattung nicht „in der Praxis
ausgehöhlt wird“.36 Was der EuGH damit genau meint, ist unklar. Da der EuGH betont, dass das
Recht des Verbrauchers nicht ausgehöhlt werden darf, ist eine Beschränkung des Anspruchs
des Verbrauchers jedenfalls nur in Ausnahmefällen möglich. M. E. kommt sie nur in Betracht,
wenn es für den Verbraucher eine ernstzunehmende Alternative darstellt, die mangelhafte
Sache zu behalten; so war das wohl in dem der EuGH-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, wo Mikroschleifspuren auf den gekauften Bodenfliesen zu Schattierungen führten,
die zwar mit bloßem Auge erkennbar, aber offensichtlich so dezent waren, dass sie erst nach
34
E benso Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 109.
35
Das wird nicht berücksichtigt im Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 108.
36
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 74, 76 (Gebr. Weber und
Putz).
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Verlegung von ca. 33 m² der Fliesen auffielen. Bei einer solchen Vertragswidrigkeit von geringer Bedeutung (vgl. Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 Gedankenstrich 2 VerbrGüterKRL) scheint es
plausibel, den Käufer vor die Wahl zu stellen, entweder einen Teil der Kosten für den Austausch selbst zu tragen oder die mangelhafte Sache zu behalten und zu mindern. Es ist dagegen
sehr unwahrscheinlich, dass der EuGH dem Verbraucher eine Kostenbeteiligung auch dann
zumuten würde, wenn die eingebaute Sache technisch unbrauchbar ist (es also z. B. zu Absplitterungen an den Fliesen kommt) und deshalb zwangsläufig ausgetauscht werden muss. 37
b) Erste Möglichkeit: Kein besonderes Leistungsverweigerungsrecht
Erwägenswert ist, die vom EuGH statuierte Ausnahme in Anbetracht ihrer unklaren Reichweite überhaupt nicht umzusetzen; europarechtlich ist dies, da es bei Verbrauchsgüterkäufen den
Verbraucher begünstigt, unproblematisch (Art. 8 Abs. 2 VerbrGüterKRL). Nach § 275 Abs. 2 BGB
ist der Verkäufer ohnehin befugt, die Nacherfüllung zu verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Käufers – das
insbesondere von der Bedeutung des Mangels abhängt – steht. Erfordert nur der Aus- und
Einbau einen in diesem Sinne unverhältnismäßigen Aufwand, kann der Verkäufer folglich
nach § 275 Abs. 2 BGB nur den Aus‑ und Einbau verweigern. Entsprechendes gilt für die Erhaltung oder Wiederherstellung sonstiger Veränderungen, die der Käufer an der Kaufsache vorgenommen hat. Der restriktive Maßstab des § 275 Abs. 2 BGB gewährleistet dabei, dass das Recht
des Käufers – wie vom EuGH gefordert – nicht ausgehöhlt wird. Allerdings führt die Unverhältnismäßigkeit des Aus- und Einbaus nach Ansicht des EuGH nicht dazu, dass der Verkäufer
diesen schlechthin verweigern kann; vielmehr wird nur der Kostenerstattungsanspruch des
Käufers auf einen angemessenen Betrag beschränkt. Auch dem lässt sich jedoch im Rahmen
von § 275 Abs. 2 BGB problemlos Rechnung tragen. Denn es entspricht schon jetzt herrschender Meinung, dass der Gläubiger das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners aus § 275
Abs. 2 BGB dadurch abwenden kann, dass er sich bereit erklärt, einen Teil der anfallenden
Kosten zu übernehmen. 38 Im Ergebnis führt das dazu, dass Verkäufer und Käufer jeweils einen
Teil der Kosten des Aus- und Einbaus tragen. Sinnvoll scheint, diese Möglichkeit zur Klarstellung in § 275 Abs. 2 S. 2 BGB aufzunehmen. Formulierungsvorschlag:
Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter
Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem
groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. 2 Bei der Bestimmung
der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat und ob der Gläubiger sich bereit erklärt, einen Teil
der anfallenden Kosten zu übernehmen.
1
37
So schon Faust, JuS 2011, S. 744 (747), und in: BeckOK-BGB, Edition 36 (Stand: 1.8.2014), § 439 Rz. 52. Siehe auch
Referentenentwurf (Fn. 6), S. 108.
38
MüKoBGB-Ernst, 6. Aufl. 2012, § 275 Rz. 86; Dauner-Lieb, in: NomosK-BGB, 2. Aufl. 2012, § 275 Rz. 57; SoergelEkkenga/Kuntz, BGB, 13. Aufl. 2014, § 275 Rz. 147; Staudinger-Caspers, BGB, Neubearb. 2014, § 275 Rz. 99.
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Die Vorgabe des EuGH, dass die dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis nicht aus­
gehöhlt werden dürfen, verbietet nach Ansicht des BGH freilich eine Regelung, nach der der
Verkäufer den an sich geschuldeten Aus- und Einbau völlig verweigern kann, solange sich der
Verbraucher nicht zu einer Kostenbeteiligung bereit erklärt.39 Ich bin nicht dieser Auffassung.
Der Verbraucher wird durch die vorgeschlagene Änderung des § 275 Abs. 2 BGB auf die Möglichkeit hingewiesen, das Leistungsverweigerungsrecht des Verkäufers durch eine Kostenbeteiligung abzuwenden. Er wird zwar mit der Unsicherheit hinsichtlich der Höhe dieser Kosten­
beteiligung belastet, wenn er nach Erhebung der Einrede durch den Verkäufer auf „Aus- und
Einbau Zug um Zug gegen Zahlung einer Kostenbeteiligung in Höhe von x €“ klagen muss40,
doch ist diese Unsicherheit nicht größer, als wenn er die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrags einklagen muss. Die geschilderte Lösung hat erhebliche Vorteile: Erstens wird
der Aus- und Einbau auf jeden Fall vom Verkäufer vorgenommen, der dazu in der Regel billiger
in der Lage ist. Zweitens wird der Verbraucher nicht mit dem Organisationsaufwand und dem
Risiko von Kostensteigerungen belastet; er muss vielmehr nur einen fixen Betrag zahlen und
kann deshalb eine informierte Entscheidung darüber treffen, ob er den Aus- und Einbau gegen
Zahlung dieses Betrags vornehmen lässt oder z. B. mindert41. Schließlich bedarf es keiner komplizierten gesetzlichen Sonderregeln, etwa hinsichtlich einer Vorschusspflicht des Verkäufers.
c) Zweite Möglichkeit: Besonderes Leistungsverweigerungsrecht in § 439 BGB
Nimmt man mit dem BGH an, der Käufer werde unzureichend geschützt, wenn der Verkäufer
den Aus- und Einbau zunächst insgesamt verweigern kann, ist eine Sonderregelung im Rahmen von § 439 BGB erforderlich. Sie sollte sich eng an die Formulierung des EuGH anlehnen,
allerdings – entsprechend dem oben zur Reichweite der Nacherfüllungspflicht Ausgeführten
– erstens davon ausgehen, dass der Verkäufer an sich nicht nur zum Kostenersatz, sondern zur
Vornahme des Aus- und Einbaus verpflichtet ist, und zweitens sonstige Veränderungen mit
einbeziehen. Der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für die von ihm vorgenommenen Arbeiten sollte durch einen Anspruch auf Vorschuss ergänzt werden.42 Vorgeschlagen wird folgende Formulierung:
Der Verkäufer kann die Erhaltung oder Wiederherstellung von Veränderungen verweigern,
soweit sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. 2 Dabei sind insbesondere der Wert
der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Bedeutung der Veränderung zu berücksichtigen. 3 Macht der Verkäufer von diesem Recht Gebrauch, hat er dem Käufer einen angemessenen Teil der Kosten für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Veränderungen zu ersetzen; auf Verlangen hat er dem Käufer hierfür Vorschuss zu leisten.
1
39
BGH, Urteil vom 21.12.2011, Az. VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rz. 38.
40
In JuS 2012, S. 456 (458) und in: BeckOK-BGB, Edition 36 (Stand: 1.8.2014), § 439 Rz. 56 habe ich zu § 439 Abs. 3
BGB die Ansicht vertreten, der Käufer könne dadurch geschützt werden, dass nicht er seine Bereitschaft erklären
muss, sich an den Kosten des Aus- und Einbaus zu beteiligen, sondern umgekehrt der Verkäufer den Aus- und
Einbau nicht schlechthin verweigern darf; vielmehr müsse der Verkäufer sagen, er verweigere den Aus- und
Einbau, sofern sich der Käufer nicht in Höhe von x Euro an den Kosten beteilige. Auf die allgemeine Vorschrift
des § 275 Abs. 2 BGB lässt sich das nicht übertragen, da der Schuldner im Rahmen von § 275 Abs. 2 BGB sonst stets
so vergehen müsste und jeder Prozess, in dem sich der Schuldner auf § 275 Abs. 2 BGB beruft, mit der Frage nach
der Höhe einer eventuellen Kostenbeteiligung des Gläubigers belastet würde.
41
Siehe schon Faust, JuS 2012, S. 456 (458), und in: BeckOK-BGB, Edition 36 (Stand: 1.8.2014), § 439 Rz. 56.
42
So auch Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 108.
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3.3. Recht des Käufers zur sofortigen Geltendmachung von Sekundärrechten
Nach dem EuGH-Urteil in Sachen Gebrüder Weber und Putz muss der Verbraucher sofort
zurücktreten oder mindern können, wenn der Verkäufer seine Verpflichtung hinsichtlich des
Aus- und Einbaus berechtigterweise beschränkt. Denn der Umstand, dass der Verbraucher die
Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des mangelhaften Verbrauchsguts nur erlangen
könne, indem er einen Teil der Kosten selbst trage, stelle für ihn eine erhebliche Unannehmlichkeit dar.43
Ob insofern eine Gesetzesänderung angebracht ist, hängt davon ab, auf welche Weise die
Beschränkungsmöglichkeit des Verkäufers umgesetzt wird (siehe oben 3.2.).
a) Bei Fehlen eines besonderen Leistungsverweigerungsrechts im Hinblick auf
Veränderungen
Folgt die Beschränkungsmöglichkeit des Verkäufers allein aus § 275 Abs. 2 BGB, ist keine Änderung erforderlich. Wenn der Verbraucher das Leistungsverweigerungsrecht nicht durch eine
Kostenbeteiligung abwenden will, kann er hinsichtlich der verweigerten Erhaltung oder Wiederherstellung der Veränderungen nach §§ 283, 326 Abs. 5 BGB ohne Fristsetzung Sekundärrechte geltend machen. Hinsichtlich der „eigentlichen“ Nachbesserung oder Ersatzlieferung, zu
der der Verkäufer verpflichtet bleibt, ist die Fristsetzung nach § 440 S. 1 BGB entbehrlich, weil
eine solche teilweise Nacherfüllung dem Käufer unzumutbar ist; eine Klarstellung in § 440
BGB, die relativ kompliziert wäre, ist m. E. entbehrlich.
b) Bei Bestehen eines besonderen Leistungsverweigerungsrechts im Hinblick auf
Veränderungen
Wird die Beschränkungsmöglichkeit des Verkäufers in § 439 BGB angeordnet, ist eine Klarstellung in § 440 S. 1 BGB problemlos möglich; sie sollte daher erfolgen.44 Formulierungsvorschlag:
1
Außer in den Fällen des § 281 Abs. 2 und des § 323 Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann
nicht, wenn der Verkäufer die Erhaltung oder Wiederherstellung von Veränderungen gemäß
§ 439 Abs. x verweigert oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. 2 …
43
EuGH, Urteil vom 16.6.2011, verbundene Rs. C-65/09 und C-87/09, Slg. 2011, I-5295 Rz. 77 (Gebr. Weber und Putz).
44
E benso Referentenentwurf (Fn. 6), S. 22, 109.
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4. Zusammenfassung der vorgeschlagenen Neuregelungen45
Variante 1:
Kein besonderes Leistungsverweigerungsrecht im
Hinblick auf Veränderungen
Variante 2:
Besonderes Leistungsverweigerungsrecht im
Hinblick auf Veränderungen
§ 275 Ausschluss der Leistungspflicht
[keine Änderung]
(2) 1Der Schuldner kann die Leistung verweigern,
soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter
Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der
Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers
steht. 2 Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen,
ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten
hat und ob der Gläubiger sich bereit erklärt, einen Teil
der anfallenden Kosten zu übernehmen.
§ 439 Nacherfüllung
§ 439 Nacherfüllung
(1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner
Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung
einer mangelfreien Sache verlangen.
(1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner
Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung
einer mangelfreien Sache verlangen.
(2) 1Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art
der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3
verweigern, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen
würde, die im Vergleich mit den Kosten der anderen Art
der Nacherfüllung unverhältnismäßig sind. 2 Dabei sind
insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem
Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu
berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. 3Der Anspruch des Käufers
beschränkt sich in diesem Fall auf die andere Art der
Nacherfüllung […].
(2) 1Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art
der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3
verweigern, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen
würde, die im Vergleich mit den Kosten der anderen Art
der Nacherfüllung unverhältnismäßig sind. 2 Dabei sind
insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem
Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu
berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. 3 Der Anspruch des Käufers
beschränkt sich in diesem Fall auf die andere Art der
Nacherfüllung […].
(3) 1Im Rahmen der Nacherfüllung muss der Verkäufer
Veränderungen, die der Käufer an der Kaufsache gemäß
ihrer Art und ihrem Verwendungszweck vorgenommen
hat, erhalten oder wiederherstellen. 2 Dies gilt nicht,
soweit die Kaufsache verarbeitet wurde oder der Käufer
den Mangel bei Vornahme der Veränderung kannte. 3Ist
dem Käufer ein Mangel infolge grober Fahrlässigkeit
unbekannt geblieben, gilt Satz 1 nur, wenn der Verkäufer
den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie
für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat.
(3) 1Im Rahmen der Nacherfüllung muss der Verkäufer
Veränderungen, die der Käufer an der Kaufsache gemäß
ihrer Art und ihrem Verwendungszweck vorgenommen
hat, erhalten oder wiederherstellen. 2Dies gilt nicht,
soweit die Kaufsache verarbeitet wurde oder der Käufer
den Mangel bei Vornahme der Veränderung kannte. 3 Ist
dem Käufer ein Mangel infolge grober Fahrlässigkeit
unbekannt geblieben, gilt Satz 1 nur, wenn der Verkäufer
den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie
für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat.
(4) 1Der Verkäufer kann die Erhaltung oder Wiederherstellung von Veränderungen verweigern, soweit sie nur
mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. 2 Dabei
sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem
Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Bedeutung
der Veränderung zu berücksichtigen. 3 Macht der Verkäufer von diesem Recht Gebrauch, hat er dem Käufer
einen angemessenen Teil der Kosten für die Erhaltung
oder Wiederherstellung der Verän­derungen zu ersetzen;
auf Verlangen hat er dem Käufer hierfür Vorschuss zu
leisten.
45
Ä nderungen gegenüber dem geltenden Gesetzestext sind kursiv gesetzt, Streichungen durch […] gekennzeichnet.
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(4) Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere
Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu
tragen.
(5) Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforder­lichen Aufwendungen, insbesondere
Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu
tragen.
(5) Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer
Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe
der §§ 346 bis 348 verlangen.
(6) Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer
Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe
der §§ 346 bis 348 verlangen.
§ 440 Besondere Bestimmungen für Rücktritt und
Schadensersatz
§ 440 Besondere Bestimmungen für Rücktritt und
Schadensersatz
1
Außer in den Fällen des § 281 Abs. 2 und des § 323
Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht,
wenn […] die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. 2 Eine
Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten
Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den
sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.
1
Außer in den Fällen des § 281 Abs. 2 und des § 323
Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht,
wenn der Verkäufer die Erhaltung oder Wiederherstellung von Veränderungen ge­mäß § 439 Abs. 4 verweigert
oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist. 2 Eine
Nachbesserung gilt nach dem erfolglosen zweiten
Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den
sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.
5. Ausblick
Die vorstehenden Vorschläge haben den einzelnen Kaufvertrag im Auge und blenden die
Besonderheiten einer Lieferkette aus. Insbesondere Händler werden durch sie erheblichen
zusätzlichen Belastungen ausgesetzt, weil ihnen typischerweise kein Vertretenmüssen zur Last
fällt und sie deshalb nach geltendem Recht die Kosten für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Veränderungen normalerweise nicht tragen müssen. Die Ausweitung der
Nacherfüllung ist deshalb unbedingt mit Regressregelungen zu flankieren, die sicherstellen,
dass die Kosten letztlich dem für den Mangel verantwortlichen Glied der Lieferkette zur Last
fallen.
Im Anwendungsbereich der EuGH-Rechtsprechung wird dies weitgehend durch § 478 Abs. 2
BGB gewährleistet, allerdings mit der Einschränkung, dass die Vorschrift nur für neu her­
gestellte Sachen gilt. Wird die Neuregelung dagegen – wie hier befürwortet – auf andere als
Verbrauchsgüterkäufe erstreckt, drohen empfindliche Regressfallen. Schon jetzt besteht eine
solche Regressfalle für den Werkunternehmer, der schuldlos mangelhaftes Material verwendet.46 Er muss im Rahmen der Nacherfüllung unter Umständen umfangreiche Arbeiten vornehmen, um das versprochene Werk mangelfrei zu machen. Wenn dem Händler, von dem er
das Material bezogen hat, kein Vertretenmüssen zur Last fällt, kann er aber für die Kosten,
die ihm diese Arbeiten verursachen, keinerlei Ausgleich verlangen.
Der Grund dafür, dass § 478 Abs. 2 BGB auf den Unternehmerregress beim Verbrauchsgüterkauf beschränkt ist, liegt darin, dass die Gewährleistungsrechte nur bei Verbrauchsgüterkäufen durch §§ 474 ff. BGB verstärkt und vor allem weitgehend unabdingbar sind. Es ist jedoch
zu fragen, ob wirklich nur dieser Gesichtspunkt eine besondere Regressregelung legitimiert
46
Siehe Faust, BauR 2010, S. 1818 (1823 ff.).
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oder ob es nicht vielmehr darum geht, dem Verkäufer oder Werkunternehmer einen Ausgleich
dafür einzuräumen, dass er einer verschuldensunabhängigen Nacherfüllungspflicht aus­
gesetzt ist, und die Folgen eines Mangels auf denjenigen zu verlagern, der für diesen Mangel
verantwortlich ist. M. E. spricht viel dafür, § 478 Abs. 2 BGB durch eine allgemeine Regressregelung außerhalb der §§ 474 ff. BGB zu ersetzen, die allen Verkäufern und Werkunternehmern
zugutekommt.
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V.
Bestehende Regresswege für den Werkunternehmer,
den Verkäufer und den Lieferanten
RA beim BGH Prof. Dr. Ralph Schmitt*
Erweist sich eine gelieferte und vom Käufer
bereits eingebaute Kaufsache, etwa Baumaterial, als mangelhaft und muss sie deshalb
ausgetauscht werden, stellt sich die Frage,
welche Ansprüche gegen den Verkäufer
und vorgelagerte Glieder der Absatzkette
(Lieferanten i. S. d. § 478 Abs. 1 BGB bis hin
zum Hersteller) gegeben sind. Kann der
Käufer, neben der Lieferung neuen, mangelfreien Materials, auch den Ausbau des
mangelhaften Materials und den Neueinbau
mangelfreien Materials oder die Erstattung
der Aus- und Einbaukosten verlangen?
1. Einleitung
Der Verkäufer kann die Baumaterialien an einen Verbraucher veräußern, der sie selbst einbaut
oder durch einen Dritten einbauen lässt. Diese Fallkonstellation und die dazu ergangene Rechtsprechung sind Gegenstand der vorstehenden Beiträge. Von dem Verkäufer kann aber auch ein
Unternehmer, etwa ein Bauunternehmer oder -handwerker, das Baumaterial erwerben, um es
für seinen Auftraggeber, mit dem er einen Werkvertrag geschlossen hat, einzubauen. Um diese
Fallkonstellation soll es hier gehen. Zu erörtern sind zunächst Ansprüche nach §§ 439 und 478
BGB, sodann Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer und eine mögliche Haftung des
Herstellers. Den Abschluss der Darstellung bilden Regressfallen im Verjährungsrecht und vertragliche Regelungsmöglichkeiten, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Die praktische Relevanz dieser Fragen wird deutlich in dem folgenden Beispielsfall (BGH, Urt.
v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337 – Alu-Profilleisten): Der Kläger, der in seiner Schreinerei Holzfenster mit einer Aluminiumverblendung herstellt, erhielt von privaten Bauherren
den Auftrag zur Lieferung und zum Einbau solcher Fenster für den Neubau ihres Wohnhauses.
Der Kläger bestellte bei der Beklagten, einem Fachgroßhandel für Baubedarf, die von ihr in
einer Liste angebotenen, für die Herstellung der Aluminium-Außenschalen benötigten Profilleisten. Die Beklagte beauftragte ein Pulverbeschichtungswerk mit der Beschichtung der – von
*
Der Verfasser ist Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof und Professor an der Hochschule Pforzheim.
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der Beklagten als Stangenware zur Verfügung gestellten – Profilleisten im bestellten Farbton
und lieferte die Profile an den Kläger, der sie auf die Holzfenster montierte. Wegen Lackabplatzungen an den Aluminium-Außenschalen, die auf den Beschichtungsprozess zurückzuführen
waren, schuldete der Kläger den Bauherren Mangelbeseitigung durch Austausch der Außenschalen an allen Fenstern. Dafür waren insbesondere die teilweise Entfernung und Wiederherstellung des Wärmedämmsystems sowie die Erneuerung des gesamten Putzes notwendig.
Die Kosten überstiegen 40.000 €. Eine Nachbehandlung der Außenschalen an den eingebauten
Fenstern war nicht möglich.
Die Problematik des Rückgriffs wegen Aus- und Einbaukosten ist aber nicht auf die Verwendung mangelhafter Baumaterialien durch Unternehmer im Rahmen von Werkverträgen
beschränkt. Als Massenphänomen nicht minder kostenträchtig ist der Austausch von Zulieferteilen in der Fertigung von Automobilen.1 Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(allerdings zur deliktischen Produzentenhaftung) seien hierzu der Kondensator- und der
Transistor-Fall erwähnt. 2 In beiden Fällen wurden kleine elektronische Bauteile, die jeweils
weniger als 10 Pfennig kosteten, sich aber später als fehlerhaft herausstellten, in Regler eingebaut, die in ABS-Bremssystemen bzw. Zentralverriegelungen Verwendung fanden, die ihrerseits in Kraftfahrzeuge eingebaut wurden. Die Nacharbeiten, bei denen die Kondensatoren
bzw. Transistoren ausgetauscht wurden, sollen 1,6 bzw. 2,3 Mio. DM gekostet haben.
2. Regresswege
2.1. Ausgangslage im Verhältnis Werkunternehmer – Besteller
Der Bauunternehmer oder -handwerker ist seinem Auftraggeber gegenüber bei Verwendung
mangelhaften Baumaterials, das sein Werk mangelhaft macht, zur Gewährleistung verpflichtet. Er muss das mangelhafte Material auf seine Kosten beim Kunden ausbauen, neues Material
beschaffen und das neue Material erneut auf seine Kosten einbauen. Die werkvertragliche
Nacherfüllung umfasst in der Variante der Herstellung eines neuen Werks wegen der Erfolgsbezogenheit des Werkvertrags alle Vor- und Nacharbeiten und damit auch den Aus- und Einbau, § 635 Abs. 1 und 2 BGB.3 Der Werkunternehmer hat für alle Arbeiten aufzukommen, die
zur Vorbereitung der Nacherfüllung und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands
erforderlich sind.4
Schuldet der Werkunternehmer also beispielsweise die Verlegung eines Parkett- oder Fliesenbodens aus von ihm zu beschaffendem Material, so hat er im Falle der (nicht zu beseitigenden)
Mangelhaftigkeit der Parkettstäbe oder Fliesen diese zu entfernen und neues, mangelfreies
Material zu verlegen; die Kosten hat er zu tragen. Die Kosten der Neuherstellung können, wie
unmittelbar einleuchtet, aufgrund dieser „Nebenarbeiten“ erheblich sein. Die Unverhältnismäßigkeit der Kosten, die dem Werkunternehmer nach § 635 Abs. 3 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht gibt, wird indes strenger als nach § 439 Abs. 3 BGB beurteilt und vor allem bei
1
Vgl. die Hinweise von Hohagen, VersR 2014, 1060, 1062.
2
BGH, Urt. v. 12.2.1992 – VIII ZR 276/90, BGHZ 117, 183 (Kondensator); v. 31.3.1998 – VI ZR 109/97, BGHZ 138,
230 (Transistor).
3
Faust, BauR 2010, 1818, 1819; Kaiser, BauR 2013, 139, 142; Witt, NJW 2014, 2156, 2157; einschränkend BeckOKBGB/Voit, 34. Ed., § 635, Rn. 9 f.
4
MünchKommBGB/Busche, 6. Aufl., § 635, Rn. 16.
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geringfügigen Schönheitsmängeln ohne Funktionsbeeinträchtigung bejaht. 5 Unverhältnis­
mäßigkeit ist in aller Regel nur dann anzunehmen, wenn einem objektiv geringen Interesse
des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung ein ganz erheblicher und deshalb in Relation dazu unangemessener Aufwand gegenübersteht.6 Ein Leistungsverweigerungsrecht des
Werkunternehmers griff daher in den Parkett- und Fliesenfällen nicht ein.7
2.2. U
mfang des Nacherfüllungsanspruchs des Werkunternehmers gegen
seinen Verkäufer nach § 439 BGB
Dem Werkunternehmer steht gegen seinen Verkäufer wegen der Mangelhaftigkeit des Bau­
materials ein verschuldensunabhängiger Nacherfüllungsanspruch zu.
a) Dieser Anspruch umfasst in der Variante der Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) nur die
Übergabe und Übereignung mangelfreier Kaufsachen, nicht den Aus- und Wiedereinbau, so
dass auch die Kostentragungsregel des § 439 Abs. 2 BGB nicht eingreift. Zu den Pflichten des
Verkäufers gehört (vorbehaltlich besonderer vertraglicher Vereinbarungen) nicht der Einbau
im Erfüllungsstadium (vgl. §§ 433 Abs. 1, 434 Abs. 2 S. 1 BGB) und grundsätzlich, außerhalb des
Verbrauchsgüterkaufs, auch nicht der Aus- und Wiedereinbau im Nacherfüllungsstadium (vgl.
§ 439 Abs. 1 BGB). Bei dem Nacherfüllungsanspruch aus § 439 Abs. 1 BGB handelt es sich nach
der Konzeption des deutschen Rechts um eine Modifikation des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs; die Ersatzlieferung erfordert daher die vollständige Wiederholung der Leistungen, zu
denen der Verkäufer nach § 433 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB verpflichtet ist, aber auch nicht mehr.8
b) Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union 9 ist zwar eine
richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB geboten, wonach die Nacherfüllungsvariante „Lieferung einer mangelfreien Sache“ den Ausbau und Abtransport der mangel­
haften Kaufsache und den Einbau der Ersatzsache umfasst. Diese Auslegung ist nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber auf den Verbrauchsgüterkauf i. S. d. § 474 BGB
beschränkt und gilt nicht für Kaufverträge zwischen Unternehmern oder zwischen
Verbrauchern:10 Die richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB gehe nicht
weiter als die Richtlinie selbst, beschränke sich also ebenfalls auf den Verbrauchsgüterkauf.
Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung richtlinienfreien Rechts ergebe sich auch
nicht aus einem entsprechenden Willen des nationalen Gesetzgebers. Eine überschießende
Umsetzung der Richtlinie liege zwar vor. Denn der Gesetzgeber habe die gemeinschaftsrecht­
lichen Vorgaben für die Nacherfüllung bei deren Umsetzung in das deutsche Recht nicht in die
Sonderregelungen für den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB), sondern in die für alle Kaufverträge geltenden Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB eingefügt. Eine Ausdehnung der Nachlieferungspflicht im Sinne des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union entspreche aber
nicht dem Willen des deutschen Gesetzgebers, denn dieser habe den Nacherfüllungsanspruch
aus § 439 Abs. 1 BGB als eine Modifikation des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs aus § 433
Abs. 1 BGB angesehen.11 Der Bundesgerichtshof hat sich deshalb auch nicht der zum deutschen
5
Kaiser, BauR 2013, 139, 150.
6
BGH, Urt. v. 10.4.2008 – VII ZR 214/06, NJW-RR 2008, 971, Rn. 16 m. w. N.
7
Kaiser, BauR 2013, 139, 150; vgl. BGH, Beschl. v. 16.4.2013 – VIII ZR 375/11, BeckRS 2013, 15325 (Parkettstäbe).
8
BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 17 f.
9
EuGH, Urt. v. 16.6.2011 – C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269.
10
BGH, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 25 ff.; v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135,
Rn. 16 ff.; Beschl. v. 16.4.2013 – VIII ZR 375/11, BeckRS 2013, 15325, Rn. 3.
11
BGH, Urt. v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135, Rn. 19 ff.
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Recht vertretenen Auffassung angeschlossen, dass der Verkäufer den Käufer im Rahmen der
Nacherfüllung hinsichtlich der Kaufsache so stellen muss, wie er im Zeitpunkt der Nacherfüllung stünde, wenn die Kaufsache mangelfrei gewesen wäre; danach würde der Verkäufer
sowohl den Aus- als auch den Einbau schulden.12 Die Zurückhaltung des Bundesgerichtshofs
ist begründet, denn außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs gilt die Rückgriffsregelung der §§ 478,
479 BGB jedenfalls unmittelbar nicht, so dass der Verkäufer die im Verhältnis zu einem Unternehmer zu tragenden Aus- und Einbauaufwendungen nicht ohne weiteres in der Lieferkette
weiterreichen könnte.
c) Nach § 439 Abs. 2 BGB hat der Verkäufer die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen
Aufwendungen zu tragen. Daraus ergibt sich indes kein Anspruch des Werkunternehmers auf
Übernahme der Austauschkosten: § 439 Abs. 2 BGB wird zwar von der Rechtsprechung in
bestimmten Fallkonstellationen als Anspruchsgrundlage herangezogen.13 Die Vorschrift setzt
allerdings schon in zeitlicher Hinsicht voraus, dass sich der Vollzug des Kaufvertrags bei Entstehung der Aufwendungen noch im Nacherfüllungsstadium befindet,14 und kann nicht dazu
eingesetzt werden, das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung zu unterlaufen.15 Die
Norm betrifft jedenfalls nur diejenigen Aufwendungen, die erforderlich sind, um die gemäß
§ 439 Abs. 1 BGB geschuldete Nacherfüllung durchzuführen, und erweitert nicht den Leistungsumfang der Nacherfüllung über den in § 439 Abs. 1 BGB bestimmten Umfang hinaus.16
Die Kostentragungspflicht des Verkäufers nach § 439 Abs. 2 BGB beschränkt sich daher auf den
Leistungsgegenstand der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB.17 Diese um­fasst außerhalb des
Verbrauchsgüterkaufs aber, wie gezeigt, nicht den Aus- und Einbau.18 Davon abgesehen räumt
das Gesetz dem Käufer, anders als dem Besteller beim Werkvertrag (§§ 634 Nr. 2, 637 BGB), auch
keinen Aufwendungsersatzanspruch im Falle der Selbstvornahme der Mängelbeseitigung ein.
Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz lässt sich daher nicht aus einer analogen Anwendung
von § 637 BGB oder aus den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag herleiten; ferner muss sich der Verkäufer wegen des grundsätzlichen
Vorrangs der Nacherfüllung nicht analog § 326 Abs. 2 S. 2 BGB die Nachbesserungsaufwendungen, die er aufgrund der Selbstvornahme durch den Käufer erspart, auf den Kaufpreis anrechnen lassen.19
d) In einer zur Wandelung nach altem Kaufrecht ergangenen Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof den Verkäufer zwar für verpflichtet gehalten, die vom Käufer auf seinem Hausdach
12
Vgl. BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 439, Rn. 18 f. m. w. N.
13
BGH, Urt. v. 13.4.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196, Rn. 37 für Transportkosten, die beim Käufer anfallen,
wenn er die Kaufsache zum Zwecke der Nacherfüllung zum Verkäufer bringt; Urt. v. 30.4.2014 – VIII ZR 275/13,
BGHZ 201, 83, Rn. 10 ff. für Kosten, die der Käufer für ein Sachverständigengutachten zur Feststellung des
Mangels aufwendet; dazu BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 439, Rn. 21 ff.
14
BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 9.
15
Vgl. Hellwege, AcP 206 (2006), 136, 153 ff.
16
BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 23.
17
BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 24.
18
Einen anderen Ansatz (Kostentragungs- statt Leistungspflicht) verfolgt die Rechtsprechung bei einer Ortsveränderung der Kaufsache; vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196, Rn. 37: Ein Verkäufer, der nicht
den Transport der Kaufsache zum Zwecke der Nacherfüllung schuldet, muss nach § 439 Abs. 2 BGB dem Käufer
die Transportkosten erstatten. Krit. BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 439, Rn. 13 a, 19.
19
BGH, Urt. v. 23.2.2005 – VIII ZR 100/04, BGHZ 162, 219, 225 ff.; Staudinger/Matusche-Beckmann, 2013, § 439 BGB,
Rn. 57; NK-BGB/Büdenbender, 2. Aufl., § 437, Rn. 101 f.; a. A. zu § 812 BGB und GoA Erman/Grunewald, 14. Aufl.,
§ 439 BGB, Rn. 11; zu § 326 Abs. 2 S. 2 BGB Lorenz, NJW 2003, 1417, 1418 f.
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provisorisch verlegten mangelhaften Ziegel wieder abzudecken und wegzuschaffen, und dem
Käufer einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung dieser Rücknahmepflicht zuerkannt.20 Auch wenn eine Rücknahmepflicht des Verkäufers im Falle des Rücktritts und bei der
Nachlieferung (vgl. § 439 Abs. 4 BGB) von der herrschenden Meinung zumindest bei einem
schutzwürdigen Interesse des Käufers an der Rücknahme weiterhin bejaht wird, 21 soll sie nach
Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht die darüber hinausgehende Pflicht umfassen, eine
eingebaute Kaufsache wieder auszubauen. 22
e) Von den Aufwendungen für den Ausbau fehlerhaften Materials und den Wiedereinbau
fehlerfreien Materials sind im Übrigen die Kosten für den Ersteinbau zu unterscheiden. Der
nach § 467 S. 2 BGB a.F. im Falle der Wandelung verschuldensunabhängig gegebene Anspruch
auf Ersatz der Vertragskosten, der auch Einbau-, Montage- und Transportkosten umfassen
sollte, 23 ist im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung abgeschafft worden. 24 Solche Kosten
können nur im Rahmen eines Aufwendungsersatzanspruchs nach § 284 BGB25 oder als Schadensersatz neben der Leistung26 verlangt werden.
2.3. Aufwendungsersatz nach § 478 Abs. 2 BGB
Nach der für den Verbrauchsgüterkauf geschaffenen Rückgriffsregelung in § 478 Abs. 2 BGB
kann der Unternehmer beim Verkauf einer neu hergestellten Sache an einen Verbraucher von
seinem Lieferanten Ersatz der Aufwendungen verlangen, die der Unternehmer im Verhältnis
zum Verbraucher nach § 439 Abs. 2 BGB zu tragen hatte, wenn der vom Verbraucher geltend
gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Unternehmer vorhanden war.
Der Anwendungsbereich auch des § 478 Abs. 2 BGB wird durch § 478 Abs. 5 BGB auf die übrigen
Verträge innerhalb der Lieferkette ausgedehnt, wenn an deren Ende ein Verbraucher steht und
im Übrigen an der Lieferkette nur Unternehmer i. S. d. § 14 BGB beteiligt sind. Dadurch soll
verhindert werden, dass der Letztverkäufer die Nachteile eines verbesserten Verbraucherschutzes (vgl. §§ 475, 476 BGB) allein zu tragen hat. 27 Es soll gewährleistet werden, dass die Folgen
eines Sachmangels bis zu dem Unternehmer zurückgelangen, der für diesen die Verantwortung trägt.28 Abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des jeweiligen Rückgriffsgläubigers
sind nach § 478 Abs. 4 BGB nur wirksam, wenn ihm ein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt
wird. § 478 Abs. 6 BGB stellt die Geltung der Rügeobliegenheit des § 377 HGB in der Lieferkette
klar.
20
BGH, Urt. v. 9.3.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104, 109 ff. (als Verzugsschaden).
21
Vgl. BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 439, Rn. 32; Staudinger/Kaiser, 2011, § 346 BGB, Rn. 91 ff.
22
BGH, Vorlagebeschl. v. 14.1.2009 – VIII ZR 70/08, NJW 2009, 1660, Rn. 21; zust. Staudinger/Kaiser, 2011, § 346
BGB, Rn. 96 f.; Lorenz, NJW 2009, 1633, 1635 f. (anders noch ders., ZGS 2004, 408, 410 f.); krit. jurisPK-BGB/Faust,
7. Aufl., § 346, Rn. 35.
23
BGH, Urt. v. 9.3.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104, 108.
24
BT-Drucks. 14/6040, S. 225; dazu BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 26.
25
BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 26, 32.
26
T hürmann, NJW 2006, 3457, 3461; Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634.
27
Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 247.
28
jurisPK-BGB/Ball, 7. Aufl., § 478, Rn. 46.
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§ 478 Abs. 2 BGB ist eine eigenständige, verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlage, nach
der ausnahmsweise der Letztverkäufer von seinem Lieferanten Ersatz seiner Aufwendungen
bei Selbstvornahme der Nacherfüllung erhält. 29 Auf die Voraussetzungen eines (in aller Regel
verschuldensabhängigen, vgl. § 276 BGB) Schadensersatzanspruchs (der daneben bestehen
kann; dazu unten) kommt es insoweit nicht an. Sind Aus- und Einbaukosten als Aufwendungen gemäß § 439 Abs. 2 BGB vom Unternehmer zu tragen, fallen sie auch unter § 478 Abs. 2
BGB.30
§ 478 Abs. 2 BGB lässt sich allerdings für einen Rückgriff des Werkunternehmers in der Lieferkette wegen der von ihm im Zuge der Nacherfüllung nach § 635 Abs. 2 BGB zu tragenden
Aus- und Einbaukosten nicht fruchtbar machen. § 478 BGB erfasst nur den Fall, dass der letzte
Vertrag in der Absatzkette ein Verbrauchsgüterkauf ist:
a) Am Ende der Lieferkette muss ein Verbraucher i. S. d. § 13 BGB stehen, Letztverkäufer muss
ein Unternehmer i. S. d. § 14 BGB sein. Beim Weiterverkauf an einen Unternehmer als Letztkäufer gilt § 478 BGB weder direkt noch analog; in diesem Fall sollen nach der Vorstellung des
Gesetzgebers31 keine vertraglich unvermeidbaren Regressfallen drohen, die eine gesetzliche
Rückgriffsregelung erfordern würden. 32
b) Bei dem Geschäft mit dem Letztabnehmer muss es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. d.
§ 474 Abs. 1 BGB handeln. Gemeint sind Kauf- und diesen nach § 651 BGB gleichstehende
Werklieferungsverträge.33 Auf die Konstellation, dass am Ende der Lieferkette kein Verbrauchsgüterkauf (ggf. mit Montageverpflichtung), sondern ein Werkvertrag steht, ist § 478 Abs. 2 BGB
weder unmittelbar noch – mangels planwidriger Regelungslücke – analog anwendbar, denn
der Gesetzgeber hat sich bewusst darauf beschränkt, die Regressvorgabe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umzusetzen, die nur Kaufverträge erfasst und Dienstleistungsverträge – Werkverträge nach deutschem Recht – nicht einbezieht.34
Maßgebend für die – nicht selten unsichere – Abgrenzung zwischen einem Kaufvertrag mit
(untergeordneter) Montageverpflichtung und einem Werkvertrag ist, ob nach dem Vertrag die
Pflicht zur Übertragung des Eigentums an zu montierenden Einzelteilen oder eine Herstellungspflicht im Vordergrund steht.35 Verträge über die Lieferung und den Einbau von Bau­
29
Vgl. MünchKommBGB/Lorenz, 6. Aufl., § 478, Rn. 33; Gorodinsky, §§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 364.
30
Palandt/Weidenkaff, 74. Aufl., § 439 BGB, Rn. 11; Erman/Grunewald, 14. Aufl., § 439 BGB, Rn. 8; § 478 BGB, Rn. 15;
Staudinger/Matusche-Beckmann, 2013, § 439 BGB, Rn. 91; § 478 BGB, Rn. 58; Keiser, JuS 2014, 961, 963; Gorodinsky,
§§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 417; für eine entsprechende Anwendung von § 478 Abs. 2
BGB Bacher, MDR 2014, 629, 632 f.
31
Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 247; dazu BGH, Urt. v. 5.10.2005 –
VIII ZR 16/05, BGHZ 164, 196, 215.
32
MünchKommBGB/Lorenz, 6. Aufl., § 478, Rn. 14; BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 478, Rn. 5; ausführlich Gorodinsky,
§§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 184 ff.
33
MünchKommBGB/Lorenz, 6. Aufl., § 478, Rn. 8.
34
BGH, Beschl. v. 16.4.2013 – VIII ZR 375/11, BeckRS 2013, 15325, Rn. 5, 9 f.; zust. jurisPK-BGB/Ball, 7. Aufl., § 478,
Rn. 9; Keiser, JuS 2014, 961, 962 f.; Gorodinsky, §§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 240 ff. m. w. N.;
a. A. Schreiner/Pisal, BauR 2011, 571, 576 ff.
35
BGH, Urt. v. 22.12.2005 – VII ZR 183/04, BGHZ 165, 325, 328 f.; v. 22.7.1998 – VIII ZR 220/97, NJW 1998, 3197, 3198;
Beschl. v. 16.4.2013 – VIII ZR 375/11, BeckRS 2013, 15325, Rn. 7; Leupertz, BauR 2006, 1648, 1649.
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materialien (z. B. Türen und Fenster, 36 Parkettstäbe37) werden als Werkverträge angesehen.
Anders dürfte es sich bei der Lieferung und Anbringung eines Hängeschranks oder einer
Markise38 verhalten. Umstritten ist die Einordnung von Verträgen über die Lieferung und
den Einbau einer Einbauküche und die Errichtung einer Photovoltaik-Anlage. 39
Sind herzustellende oder zu erzeugende bewegliche Sachen zu liefern, handelt es sich gleichwohl nicht um einen Werkvertrag, sondern um einen Werklieferungsvertrag, auf den nach
§ 651 BGB, der Art. 1 Abs. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie (überschießend) umsetzt,
Kaufrecht Anwendung findet. Werkvertragsrechtliche Bestimmungen treten nur ergänzend
neben das Kaufrecht, wenn der Vertrag die Lieferung einer nicht vertretbaren Sache zum
Gegenstand hat (§ 651 S. 3 BGB). Für die vertragsrechtliche Einordnung unerheblich ist es
deshalb, wenn die bestellte Sache nach den konkreten Vorstellungen und Vorgaben des
Bestellers hergestellt werden soll.40 Kaufrecht gilt auch dann, wenn die zu liefernden Sachen
zum Einbau in Bauwerke (durch eine andere Person als den Werklieferer) bestimmt sind oder
wenn Gegenstand des Vertrags zugleich Planungsleistungen sind, die der Herstellung vorausgehen, sofern sie nicht den Schwerpunkt des Vertrags bilden.41 Auch die Änderung bzw.
Anpassung zu liefernder beweglicher Sachen hält sich im Rahmen eines Werklieferungsvertrags (§ 651 S. 1 BGB analog).42 Die Änderung von § 651 BGB in der Schuldrechtsreform hat
den Anwendungsbereich des Kaufrechts – und damit die Rückgriffsmöglichkeiten nach § 478
Abs. 2 BGB – ausgeweitet. Vom Werkvertragsrecht erfasst bleiben im Wesentlichen die Herstellung von Bauwerken, die Veränderung einer anderen Sache (so etwa bei Einpassung gelieferter Sachen in ein Gebäude oder bei reinen Reparaturarbeiten) und die Herstellung nichtkörperlicher Werke (z. B. die Planung von Architekten oder die Erstellung von Gutachten).43
2.4. S
chadensersatz statt der Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 und 3,
281 BGB
Damit bleibt ein Rückgriff entlang der Lieferkette im Wege eines Schadensersatzanspruchs zu
prüfen.
Ein Anspruch des Letztverkäufers oder Werkunternehmers gegen seinen Lieferanten auf
Schadensersatz statt der Leistung wegen Aufwendungen für den Austausch, die über die Nachlieferung einer mangelfreien Sache hinausgehen, setzt voraus, dass der Lieferant seinerseits
zum Aus- und Einbau verpflichtet war. Daran fehlt es regelmäßig (vgl. oben 2.2.). Wird eine
36
BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 38; Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., Teil 11, Rn. 83.
37
BGH, Beschl. v. 16.4.2013 – VIII ZR 375/11, BeckRS 2013, 15325, Rn. 8.
38
Beispiel aus der Diskussionsveranstaltung im BMJV am 23.2.2015.
39
Für die regelmäßige Einordnung als Werkverträge: Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4.
Aufl., Teil 11, Rn. 88 f.; bei einer Einbauküche Rudolph, BauR 2012, 557, 568; ebenfalls in diese Richtung, aber mit
europarechtlichen Bedenken BGH, Urt. v. 7.3.2013 – VII ZR 162/12, NJW 2013, 1431, Rn. 18; bei einer Photovoltaikanlage OLG München, Urt. v. 10.12.2013 – 9 U 543/12 Bau, NJW 2014, 867, 868; für die Anwendung von Kaufrecht: BGH, Urt. v. 3.3.2004 – VIII ZR 76/03, NJW-RR 2004, 850 (Solaranlage); Palandt/Sprau, 74. Aufl., § 651 BGB,
Rn. 5 (Einbauküche).
40
BGH, Urt. v. 9.2.2010 – X ZR 82/07, BeckRS 2010, 05468, Rn. 8.
41
BGH, Urt. v. 23.7.2009 – VII ZR 151/08, BGHZ 182, 140, Rn. 15, 19, 25.
42 Rudolph, BauR 2012, 557, 560.
43
Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 268; BGH, Urt. v. 23.7.2009 – VII
ZR 151/08, BGHZ 182, 140, Rn. 21; ausführlich Rudolph, BauR 2012, 557, 561 f., 566 ff.
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mangelhafte Sache geliefert und unterbleibt (trotz Nachfristsetzung) schuldhaft die Ersatzlieferung, kann daraus zwar ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung erwachsen.
Dieser Anspruch ist insbesondere auf den Ersatz der Kosten eines Deckungskaufs gerichtet,44
erfasst jedoch nicht die Kosten des Austauschs, wenn der Aus- und Einbau nicht zu der vom
Verkäufer geschuldeten Nacherfüllung gehört. Die Kosten hierfür wären im Falle der ordnungsgemäßen Nachlieferung ebenso entstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt es daher an der Kausalität des Unterlassens der Nacherfüllung für die Aus- und
Einbaukosten.45 Bei den Aus- und Einbaukosten handelt es sich um über das Erfüllungsinteresse hinausgehende Vermögensnachteile, die nicht über einen Anspruch auf Schadensersatz statt
der Leistung zu ersetzen sind. Der Verkäufer schuldet insoweit keine Nacherfüllung und damit
keine Leistung, an deren Stelle nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB
ein Anspruch auf Schadensersatz treten könnte.46
2.5. Schadensersatz neben der Leistung nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB
Ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung sowohl der Aus- als auch der Einbaukosten besteht
im geschäftlichen Verkehr zwischen Unternehmern daher in der Regel nur dann, wenn der
Verkäufer seine Vertragspflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache verletzt und dies zu
vertreten hat (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 433 Abs. 1 S. 2, 434 BGB).47 Die Aus- und
Einbaukosten sind Folge der Mangelhaftigkeit der Kaufsache und über einen Anspruch auf
Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Einer Fristsetzung nach
§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB (oder ihrer Entbehrlichkeit nach §§ 281 Abs. 2, 440 BGB) bedarf es von
vornherein nicht; sie ist auch nach Sinn und Zweck der Regelung nicht geboten, denn die
mangelfreie Nachlieferung der Kaufsache innerhalb der gesetzten Frist würde nichts an der
Notwendigkeit der Aus- und Einbaumaßnahmen, die der Verkäufer außerhalb des Verbrauchsgüterkaufs nicht schuldet, ändern. Es liegt vielmehr ein endgültig eingetretener, durch Nacherfüllung nicht mehr behebbarer Schaden vor. Dieser ist Gegenstand des Anspruchs auf Schadensersatz neben der Leistung, der mit dem Nacherfüllungsanspruch kombiniert werden
kann.48
Besteht die Pflichtverletzung darin, dass der Verkäufer ursprünglich keine mangelfreie Sache
geliefert hat, ist die Prüfung des Vertretenmüssens hierauf zu beziehen, § 280 Abs. 1 S. 2 i. V. m.
§§ 276, 278 BGB. Ein Verschulden des Verkäufers erst bei der Nacherfüllung – etwa durch
bewusstes Unterlassen einer nach § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB geschuldeten Ersatzlieferung – hilft
dem Käufer insoweit nicht weiter (zudem wäre eine solche Pflichtverletzung auch nicht kausal
für die Aus- und Einbaukosten). Nach der Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB obliegt es
zwar dem Verkäufer, sein fehlendes Vertretenmüssen darzulegen und ggf. zu beweisen. Dies
wird ihm jedoch häufig gelingen:
44
BGH, Urt. v. 3.7.2013 – VIII ZR 169/12, BGHZ 197, 357, Rn. 24 ff.
45
BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 25.
46
BGH, Urt. v. 3.7.2013 – VIII ZR 169/12, BGHZ 197, 357, Rn. 27.
47
BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 29 unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 17.10.2012 – VIII
ZR 226/11, BGHZ 195, 135, Rn. 11 (dort allerdings noch eingeordnet als Anspruch auf Schadensersatz statt der
Leistung, § 437 Nr. 3 i.V.m. §§ 280, 281 BGB; so schon BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224,
Rn. 28).
48 Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634.
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a) Eine verschuldensunabhängige Haftung kommt nur bei Übernahme einer entsprechenden
Garantie in Betracht (§ 276 BGB). In der Übernahme des Beschaffungsrisikos bei Gattungssachen (§ 276 Abs. 1 S. 1 a.E. BGB) liegt nicht zugleich die Übernahme des Qualitäts- bzw.
Beschaffenheitsrisikos.49
b) Ein eigenes Verschulden des nicht mit dem Hersteller identischen Verkäufers dürfte oftmals
zu verneinen sein.
Ist der Verkäufer nicht zugleich der Hersteller, sondern bloßer Händler, hat er keine vertrag­
lichen Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Produktion.50 Er muss lediglich den Hersteller bzw.
Zulieferer sorgfältig auswählen und überwachen51 und die Ware sorgfältig aufbewahren und
ausliefern. Ein eigenes Verschulden ist dem (bloßen) Verkäufer zwar anzulasten, wenn er den
Mangel kennt oder kennen muss (und bis zur Lieferung weder beseitigt noch offenbart). 52 Der
Bundesgerichtshof geht allerdings davon aus, dass den Händler grundsätzlich keine Untersuchungspflicht trifft.53 Eine Untersuchungspflicht gegenüber dem Käufer folgt insbesondere
nicht aus § 377 HGB, der nur die Folgen unterlassener Untersuchung der Ware im Verhältnis
des Verkäufers zu seinem Lieferanten regelt.54
Von demjenigen, der als gewerblicher Verkäufer mit industriell hergestellten Massenartikeln
handelt, wird nicht verlangt, dass er seine Waren auf Konstruktions- und Fertigungsmängel
untersucht.55 Eine Untersuchungspflicht ist nur im Einzelfall unter besonderen Umständen zu
bejahen; entscheidend sind die Untersuchungsmöglichkeiten des Verkäufers, die Fehleranfälligkeit der Kaufsache sowie berechtigte Erwartungen des Käufers, die bei hochwertigen Sachen
und besonderer Sachkunde des Verkäufers eine Untersuchung gebieten können. 56 Eine Untersuchungspflicht besteht insbesondere dann, wenn sich eine entsprechende Verkehrsübung
(Handelsbrauch) gebildet hat, konkrete Anhaltspunkte für Mängel vorliegen, 57 dem Verkäufer
als Fachmann ohne besonderen (technischen) Aufwand das Vorhandensein von Mängeln
erkennbar ist oder der Vertragsabschluss von einer fachkundigen Beratung durch den Verkäufer abhängt.58
c) Die Zurechnung des Verschuldens des Lieferanten bzw. Herstellers richtet sich nach § 278
BGB.
49 Weller, NJW 2012, 2312, 2314.
50
BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 437, Rn. 86.
51
Vgl. Hohagen, VersR 2014, 1060, 1063.
52
Palandt/Grüneberg, 74. Aufl., § 280 BGB, Rn. 19; BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 437, Rn. 76, 82.
53
BGH, Urt. v. 25.9.1968 – VIII ZR 108/66, NJW 1968, 2238, 2239 für einen Treibstoffhändler; v. 18.2.1981 – VIII ZR
14/80, NJW 1981, 1269, 1270.
54
BGH, Urt. v. 16.3.1977 – VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055, 1056.
55
So die Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 210.
56
BeckOK-BGB/Faust, 34. Ed., § 437, Rn. 88; vgl. auch Palandt/Grüneberg, 74. Aufl., § 280 BGB, Rn. 19; MünchKommBGB/Westermann, 6. Aufl., § 437, Rn. 28; Finkenauer, WM 2003, 665, 667.
57
Z . B. bei bekannten Mängeln eines bestimmten Fahrzeugtyps oder vermehrten Rückmeldungen; vgl. MünchKommBGB/Westermann, 6. Aufl., § 437, Rn. 28; Liauw/Wittemeier, NZBau 2015, 140, 142.
58
BGH, Urt. v. 17.6.1994 – V ZR 204/92, NJW 1994, 2947, 2949; zum Gebrauchtwagenhandel BGH, Urt. v. 16.3.1977
– VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055, 1056; v. 11.6.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383, 388 f., 392; v. 14.4.2010 – VIII
ZR 145/09, NJW 2010, 2426, Rn. 29 (Verschulden bejaht bei Kenntnis von Vorschädigung); v. 19.6.2013 – VIII ZR
183/12, NJW 2014, 211, Rn. 24 f. (Verpflichtung nur zu einer „Sichtprüfung“); vgl. auch BGH, Urt. v. 18.6.1969 –
VIII ZR 148/67, NJW 1969, 1708 (bei Ablieferungsinspektion wird Reifendefekt übersehen).
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aa) Kaufvertrag: Nach der von der herrschenden Meinung geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Lieferant des Verkäufers nicht dessen Gehilfe bei der Erfüllung der
Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer; ebenso wenig ist der Hersteller der Kaufsache
Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft. 59 Dass an dieser
Rechtsprechung ungeachtet der seit der Schuldrechtsreform in § 434 Abs. 1 S. 2 BGB geregelten
Pflicht des Verkäufers zur Lieferung einer mangelfreien Sache festgehalten wird, hat der Bundesgerichtshof noch einmal 2014 unter Bezugnahme auf die Begründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bekräftigt: Die Verpflichtung des Verkäufers umfasse nicht die Herstellung der Sache, sondern beschränke sich auf die mangelfreie Verschaffung der Sache; hierzu
bediene sich der Verkäufer nicht des Herstellers.60 Die Rechtsprechung hat aber dann eine
Verschuldenszurechnung angenommen, wenn sich der Verkäufer bei der Erfüllung eigener
Aufklärungspflichten der fehlerhaften Betriebsanleitung des Herstellers bedient.61 Gleiches
gilt für Beschädigungen im Rahmen des Liefervorgangs, wenn bei einem Streckengeschäft die
Kaufsache durch den Lieferanten des Verkäufers unmittelbar an dessen Käufer ausgeliefert
wird.62
Gegen eine „Haftungsentlastung qua Delegation“ der Herstellung63 regt sich seit der Schuldrechtsreform vermehrt Kritik. Es wird angenommen, dass der Verkäufer, der den Kaufgegenstand nicht selbst herstellt, sondern (ggf. über Zwischenhändler) bei einem Hersteller beschafft,
diesen in die Erfüllung seiner Pflichten gegenüber dem Käufer einschaltet, weil der Verkäufer
seine Leistungsfähigkeit sicherstellen muss, um gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB dem Käufer die
Kaufsache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.64 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Produktionsmitarbeiter des Herstellerverkäufers unstreitig als Erfüllungsgehilfen gelten.65 Diesen Einwänden dürfte nicht zu folgen sein: Dass der Verkäufer sich den
Kaufgegenstand beschaffen muss, ändert nichts daran, dass er (anders als ggf. bei § 651 BGB;
dazu sogleich) zur Herstellung nicht verpflichtet ist. Auch aus der Pflicht zur Nachbesserung
gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB folgt nichts anderes.66 Richtigerweise geht es weder beim Herstellerverkäufer noch beim bloßen Händler um die Zurechnung eines Verschuldens im Produktionsprozess. Da die Pflichtverletzung in der Nichtverschaffung einer mangelfreien Kaufsache liegt, ist die Prüfung des Vertretenmüssens gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hierauf zu
beziehen. Von einem Verkäufer, der den Kaufgegenstand selbst herstellt bzw. als Hersteller (vgl.
Art. 1 Abs. 2 lit. d der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) auftritt, ist im Rahmen der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt nach § 276 BGB zu erwarten, dass er Kenntnis von konstruktions- und
59
BGH, Urt. v. 21.6.1967 – VIII ZR 26/65, BGHZ 48, 118, 120; v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 29;
v. 19.6.2009 – V ZR 93/08, BGHZ 181, 317, Rn. 19; v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 31; auch der
Lieferant eines Werkunternehmers ist im Verhältnis zum Auftraggeber nicht dessen Erfüllungsgehilfe, BGH,
Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 37 m. w. N.
60
BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 32; BT-Drucks. 14/6040, S. 210; zust. Palandt/Grüneberg,
74. Aufl., § 278 BGB, Rn. 13; Staudinger/Caspers, 2014, § 278 BGB, Rn. 37 f.; ausführlich Tröger, Arbeitsteilung und
Vertrag, S. 431 ff.
61
BGH, Urt. v. 5.4.1967 – VIII ZR 32/65, BGHZ 47, 312, 316.
62
BGH, Urt. v. 16.6.1971 – VIII ZR 69/70, WM 1971, 1121, 1122 f.
63
PWW/Schmidt-Kessel, 9. Aufl., § 278 BGB, Rn. 21.
64
Weller, NJW 2012, 2312, 2315; Witt, NJW 2014, 2156, 2157; auf die Delegation der Untersuchung auf Mängel
abstellend Schroeter, JZ 2010, 495, 498; rechtspolitische Kritik bei Klees, MDR 2010, 305, 307 f.
65
Peters, ZGS 2010, 24, 25.
66
A . A. PWW/Schmidt-Kessel, 9. Aufl., § 278 BGB, Rn. 21.
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produktionsbedingten67 Mängeln der Kaufsache hat und deshalb die Lieferung mangelhafter
Ware vermeidet. Ein Verkäufer, der sich auf die Warenverteilung beschränkt, unterliegt diesen
gesteigerten Sorgfaltsanforderungen nicht.68
bb) Werklieferungsvertrag: Der Bundesgerichtshof hat in dem eingangs vorgestellten Beispielsfall in einem obiter dictum zum Ausdruck gebracht, dass der Grundsatz, dass sich der
Verkäufer nicht seines Lieferanten als Erfüllungsgehilfen bedient, auch bei einem Werklieferungsvertrag gemäß § 651 BGB gelten soll, wenn der Werklieferer einer herzustellenden oder
zu erzeugenden beweglichen Sache diese durch einen Dritten herstellen lässt. Der Bundesgerichtshof folgt nicht der Argumentation, dass den Werklieferer wie den Werkunternehmer
eine Pflicht zur Herstellung der Sache treffe und damit Dritte, soweit sie zur Herstellung
notwendige Leistungen erbringen, ungeachtet des Vertragstyps – Werk- oder Werklieferungsvertrag – als Erfüllungsgehilfen anzusehen seien. Maßgeblich soll vielmehr sein, dass die
gesetzliche Regelung des § 651 BGB für den Werklieferungs­vertrag nicht auf das Werkvertragsrecht, sondern seit der Schuldrechtsreform uneingeschränkt auf das Kaufrecht verweist,
weil die mit der Einführung des kaufrechtlichen Nacherfüllungsanspruchs vollzogene
Angleichung der Haftung für Sachmängel beim Werkvertrag und beim Kaufvertrag das
Bedürfnis nach einem gesonderten Typus des Werklieferungsvertrags entfallen lässt und es
rechtfertigt, auch Verträge mit einer Herstellungsverpflichtung dem Kaufrecht zu unterstellen.69
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Geltung des Kaufrechts die nach § 651 BGB bei einem
Werklieferungsvertrag denkbare eigene Herstellungsverpflichtung des Werklieferers70 nicht
berührt und er sich zur Erfüllung dieser Pflicht eines Lieferanten als Dritten i. S. d. § 278 BGB
bedienen kann (Beispiel: Ein Schreiner verpflichtet sich, ein Regal zu fertigen und zu liefern;
mit der Herstellung beauftragt er einen Subunternehmer). Durch die vertragstypologische
Zuordnung allein ist daher die Anwendung des § 278 BGB nicht ausgeschlossen. Der Bundesgerichtshof führt zwar in einer ergänzenden Erwägung als Vergleichsfall an, der Hersteller von
Baumaterialien sei auch nicht Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers, der solche Materialien bei der Herstellung des geschuldeten Werks verwende. Dies übergeht jedoch, dass der Werkunternehmer dem Besteller nicht die Herstellung der einzusetzenden Materialien schuldet;
im Rahmen eines Werklieferungsvertrags kann sich die Herstellungsverpflichtung aber gerade
hierauf beziehen. Die Annahme einer eigenen Herstellungspflicht führt daher zur Anwendbarkeit von § 278 BGB.71 Diese einschneidende Konsequenz gibt allerdings in jedem Fall Anlass
zu sorgfältiger Prüfung, ob neben der (kaufrechtlichen) Lieferverpflichtung tatsächlich eine
Herstellungsverpflichtung übernommen worden ist.72
67
Geringere Anforderungen bestehen bei Verwendung eines mangelhaften Vorprodukts; BeckOK-BGB/Faust,
34. Ed., § 437, Rn. 85. Nach der Risikobeherrschung und Integration in Hersteller-Zulieferer-Beziehungen differenziert Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, S. 434 f.
68
Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 24. Aufl., Rn. 806.
69
BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 33 ff.; so schon BGH, Urt. v. 21.6.1967 – VIII ZR 26/65,
BGHZ 48, 118, 121; a. A. Wältermann/Kluth, ZGS 2006, 296, 304.
70
Dazu BeckOK-BGB/Voit, 34. Ed., § 651, Rn. 13 f.; MünchKommBGB/Busche, 6. Aufl., § 651, Rn. 5; Medicus/Petersen,
Bürgerliches Recht, 24. Aufl., Rn. 805; vgl. auch BT-Drucks. 14/6040, S. 268.
71
So auch Witt, NJW 2014, 2156, 2158; Ostendorf, GWR 2014, 237; Keiser, JuS 2014, 961, 966; Liauw/Wittemeier,
NZBau 2015, 140, 142 f.
72
Der BGH hat diese Frage für das listenmäßige Angebot von Standard-Baubedarf in einem Fachgroßhandel
verneint; vgl. Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 18-20.
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2.6. „Durchgriff“ gegen den Hersteller
Die bisherigen Ausführungen betreffen die unmittelbaren vertraglichen Beziehungen zwischen den an der Lieferkette Beteiligten. Danach kann, sofern nicht § 478 Abs. 2 BGB einschlägig ist, der Rückgriff des Letztverkäufers bzw. Werkunternehmers bei seinem Lieferanten
insbesondere daran scheitern, dass den Lieferanten kein Verschulden an dem Sachmangel
trifft und er sich das Verschulden des Herstellers nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen muss.
Abschließend ist deshalb zu prüfen, ob ein unmittelbares Vorgehen gegen den Hersteller möglich ist. Ein Schadensersatzanspruch gegen ihn wird jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht
kommen:
a) Vertragliche und vertragsähnliche Schadensersatzansprüche bestehen regelmäßig nicht.
In Betracht kommt allerdings der konkludente Abschluss eines selbständigen Beratungsvertrags, wenn der Hersteller den Endabnehmer seines Baustoffs, der diesen von einem Zwischenhändler erwirbt, über die Verwendungsmöglichkeiten berät;73 ebenso ist die Übernahme einer
Garantie durch den Hersteller (vgl. § 443 BGB) denkbar. Demgegenüber kann die Herausgabe
einer Gebrauchsanweisung, mit welcher der Hersteller Auskunft über Eigenschaften und
Anwendungsmöglichkeiten seines Erzeugnisses gibt, ohne zusätzliche Umstände nicht als
Ausdruck des Willens des Herstellers gedeutet werden, mit dem ihm unbekannten Endabnehmer einen Auskunftsvertrag zu schließen; die bloße Beifügung einer Gebrauchsanweisung
enthält auch keine Garantieerklärung des Herstellers.74
Weiter entfaltet, wie der Bundesgerichtshof in seiner Leitentscheidung zur bürgerlich-recht­
lichen Produzentenhaftung75 bereits 1968 entschieden hat, der Vertrag zwischen Hersteller
und Lieferant grundsätzlich keine Schutzwirkung zugunsten der anderen Abnehmer, weil die
nachfolgenden Kauf- oder Werkverträge in aller Regel kein durch einen personenrechtlichen
Einschlag gekennzeichnetes Näheverhältnis mit Schutz- und Fürsorgepflichten begründen.76
Ein Käufer kann auch nicht im Wege der Drittschadensliquidation den seinem Abnehmer
entstandenen Schaden zum Gegenstand eines eigenen Ersatzanspruchs gegen seinen Verkäufer
machen.77 Bei der Annahme vertragsähnlicher Bindungen des Herstellers aufgrund Vertrauensschutzes gegenüber anderen Personen als dem unmittelbaren Abnehmer übt die Rechtsprechung größte Zurückhaltung, um die Relativität der Schuldverhältnisse zu wahren und nicht
die im geltenden Haftungssystem bewusst gezogene Grenze zwischen vertraglichem und
deliktischem Bereich aufzuheben; eine so weitgehende Systemänderung soll der Entscheidung
des Gesetzgebers vorbehalten bleiben.78 Eine richterrechtliche Erweiterung bzw. Vermehrung
73
BGH, Urt. v. 19.3.1992 – III ZR 170/90, NJW-RR 1992, 1011 (Empfehlung ungeeigneter Fußboden-Spachtelmasse);
v. 11.3.1999 – III ZR 292/97, NJW 1999, 1540 (falscher Rat des Farbherstellers zur Reinigung des zu streichenden
Metalluntergrunds); Gay, BauR 2010, 1827, 1832 f.
74
BGH, Urt. v. 11.10.1988 – XI ZR 1/88, NJW 1989, 1029, 1030.
75
BGH, Urt. v. 26.11.1968 – VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91, 95 f. – Hühnerpest.
76
A nders unter Hinweis auf die österreichische Rechtsprechung (OGH, Urt. v. 4.2.1976 – 1 Ob 190/75, JBl. 1977, 146)
und § 311 Abs. 3 S. 1 BGB Bien, BauR 2013, 341, 346, 347.
77
BGH, Urt. v. 10.7.1963 – VIII ZR 204/61, BGHZ 40, 91, 99 ff.; v. 26.11.1968 – VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91, 93 ff.;
v. 14.5.1974 – VI ZR 48/73, NJW 1974, 1503; a. A. Jaensch, jM 2014, 406, 408: aus Sicht des Herstellers zufällige
Schadensverlagerung von seinem (keine Herstellungspflicht übernehmenden) Vertragspartner auf dessen
Abnehmer (aber schon die Mangelhaftigkeit selbst stellt einen Schaden des Erstkäufers dar; vgl. BGH, Urt.
v. 28.6.2007 – VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83, Rn. 15); allg. Grundmann/Renner, JZ 2013, 379, 386, die das Kriterium
der Zufälligkeit der Schadensverlagerung durch die Nicht-Kumulation von Vertragsrisiken ersetzen wollen.
78
BGH, Urt. v. 14.5.1974 – VI ZR 48/73, NJW 1974, 1503, 1504 f.; v. 11.10.1988 – XI ZR 1/88, NJW 1989, 1029, 1030.
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der anerkannten Fallgruppen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und der
Drittschadensliquidation ist daher nicht zu erwarten.
b) Gesetzliche Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff. BGB, § 1 ProdHaftG sind zwar denkbar.
Deren Voraussetzungen dürften jedoch nur in besonderen Konstellationen erfüllt sein:
aa) Die Aus- und Einbaukosten als solche stellen bloße Vermögensschäden dar, deren Ersatz
nur im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB79 (oder bei schuldhafter Verletzung einer dem Vermögensschutz dienenden Norm nach § 823 Abs. 2 BGB) verlangt werden kann.
bb) § 823 Abs. 1 BGB erfordert eine differenzierte Betrachtung.
Ausgangspunkt ist, dass der Hersteller aufgrund der deliktischen Produzentenhaftung nur die
von dem fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefahren für die in § 823 Abs. 1 BGB genannten
Rechtsgüter so effektiv wie möglich und zumutbar ausschalten muss, nicht aber dem Erwerber
oder Nutzer ein fehlerfreies, in jeder Hinsicht gebrauchstaugliches Produkt zur Verfügung zu
stellen und so sein Interesse an dessen ungestörter Nutzung und dessen Wert (das Nutzungsund Äquivalenzinteresse) zu schützen hat.80 Dass die mangelhafte Kaufsache beim Ausbau
beschädigt oder zerstört wird, führt daher grundsätzlich nicht zur Anwendbarkeit des Deliktsrechts unter dem Gesichtspunkt einer Eigentumsverletzung. In der Beschädigung oder Zerstörung drückt sich lediglich der Mangelunwert, welcher der Sache von vornherein anhaftete,
aus. Damit ist allein das nur vertragsrechtlich geschützte Nutzungs- und Äquivalenzinteresse
betroffen, nicht das deliktsrechtlich geschützte (nicht stoffgleiche) Integritätsinteresse. Auch
eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz führt dann nicht weiter, denn nach § 1 Abs. 1
S. 2 ProdHaftG muss eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt i. S. d. § 2 ProdHaftG
beschädigt worden sein.
Die Rechtsprechung hat allerdings eine Eigentumsverletzung in den Fällen bejaht, in denen
Schäden an Kraftfahrzeugen, Maschinen, sonstigen Geräten oder Bauwerken dadurch eintraten, dass ein später eingebautes Teil oder eine Zusatzanlage mit Fehlern behaftet war und
infolgedessen Schäden an anderen Teilen des Geräts oder Bauwerks entstanden.81 Eine Eigentumsverletzung hinsichtlich der fehlerfreien Teile liegt deshalb vor, wenn bisher einwandfreie
Teile durch die Verbindung mit fehlerhaften anderen Teilen unbrauchbar und damit wertlos
werden.82 Jedenfalls gilt dies, wenn bei später vorgenommenen Reparaturarbeiten die mangelhaften Teile nur unter Beschädigung oder Zerstörung anderer Teile der durch die Verbindung
entstandenen Gesamtsache ausgebaut werden können.83 Die Schadensberechnung ist auf die
79
Vgl. BGH, Urt. v. 11.10.1988 – XI ZR 1/88, NJW 1989, 1029, 1030: Kenntnis des Herstellers von der fehlenden
Eignung einer Fugendichtungsmasse zur Fensterversiegelung, Vermögensschäden des Bauhandwerkers durch
notwendige Nachbesserungsarbeiten.
80
BGH, Urt. v. 16.12.2008 – VI ZR 170/07, BGHZ 179, 157, Rn. 19.
81
BGH, Urt. v. 12.2.1992 – VIII ZR 276/90, BGHZ 117, 183, 188 f.; v. 27.1.2005 – VII ZR 158/03, BGHZ 162, 86, 96; zust.
(unter Abgrenzung derartiger „Produktionsschäden“ von „Weiterfresserschäden“) MünchKommBGB/Wagner,
6. Aufl., § 823, Rn. 199 ff.
82
BGH, Urt. v. 31.3.1998 – VI ZR 109/97, BGHZ 138, 230, 236 ff. (Transistor).
83
BGH, Urt. v. 12.2.1992 – VIII ZR 276/90, BGHZ 117, 183, 187 ff. (Kondensator).
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ursprünglich fehlerfreien Teile zu beziehen.84 Die Kosten des Ausbaus des mangelhaften Teils
und des Wiedereinbaus eines mangelfreien anderen Teils sind von dem deliktischen Anspruch
nicht umfasst, denn sie betreffen das Äquivalenzinteresse.85
Diese Grundsätze greifen etwa in dem eingangs dargestellten Beispielsfall, in dem ein Baustoff so in ein bestehendes Gebäude eingebaut wurde, dass seine Entfernung zwangsläufig zur
Beschädigung anderer Gebäudeteile führte.86 In einem solchen Fall kann dem Eigentümer des
Grundstücks ein Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller zustehen. 87 Darüber hinaus
kann der Werkunternehmer einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller
haben, wenn er mangelhaftes Baumaterial mit eigenen Sachen so verbindet, dass diese ihrerseits unbrauchbar werden.
3. Verjährungsfragen
Regressfallen drohen unter Umständen auch im Hinblick darauf, dass die Verjährungsfristen
für Gewährleistungs- und Rückgriffsansprüche unterschiedlich lang laufen:
3.1. Rechtslage bei Anwendbarkeit von § 479 BGB
Keine Probleme ergeben sich im Anwendungsbereich des § 478 BGB, wenn in einer Lieferkette
Mängelrechte nach § 437 BGB bestehen oder ein Rückgriff nach § 478 Abs. 2 BGB stattfindet.
Gemäß § 479 Abs. 1 BGB verjährt auch der Aufwendungsersatzanspruch in zwei Jahren ab Ablieferung der Sache, und § 479 Abs. 2 BGB ergänzt diese Regelung um eine „Ablaufhemmung“88:
Die Verjährung der in §§ 437, 478 Abs. 2 BGB bestimmten Ansprüche des Unternehmers gegen
seinen Lieferanten wegen des Mangels einer an einen Verbraucher verkauften neu hergestellten
Sache tritt frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem der Unternehmer die
Ansprüche des Verbrauchers erfüllt hat, wobei die Ablaufhemmung spätestens fünf Jahre nach
dem Zeitpunkt, in dem der Lieferant die Sache dem Unternehmer abgeliefert hat, endet. Diese
Bestimmungen finden nach § 479 Abs. 3 BGB auf die Ansprüche des Lieferanten und der übrigen
Käufer in der Lieferkette gegen die jeweiligen Verkäufer entsprechende Anwendung, wenn die
Schuldner Unternehmer sind.
84
BGH, Urt. v. 31.3.1998 – VI ZR 109/97, BGHZ 138, 230, 234 f.; MünchKommBGB/Wagner, 6. Aufl., § 823, Rn. 200
i.V.m. 197.
85 Terrahe, VersR 2004, 680, 686 f.
86
Vgl. den Sachverhalt in BGH, Urt. v. 2.4.2014 – VIII ZR 46/13, BGHZ 200, 337, Rn. 4: Zum Austausch der mangelhaften Aluprofile musste die Wärmedämmung teilweise entfernt werden. Zur Herstellerhaftung für fehlerhafte
Baumaterialien nach ProdHaftG OLG Stuttgart, Urt. v. 24.9.2009 – 7 U 89/09, NZM 2010, 626, 628: Wasserschäden
an Gebäude aufgrund eines gebrochenen Kugelhahns.
87
Vgl. Wessels, jurisPR-BGHZivilR 13/2014 Anm. 2 unter D. mit Hinweis auf die Möglichkeit der Abtretung des
Anspruchs an den Werkunternehmer im Zuge der Nacherfüllung. Zu einem Rückgriff des Werkunternehmers
beim Hersteller nach § 426 oder § 812 BGB vgl. BGH, Urt. v. 18.1.1983 – VI ZR 270/80, NJW 1983, 812, 814.
88
Ausführlich zur dogmatischen Einordnung Gorodinsky, §§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 594
ff. m. w. N.
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3.2. Rechtslage bei Unanwendbarkeit von § 479 BGB
Erfolgt der Rückgriff, ohne dass § 479 Abs. 2 BGB eingreift, kann es zu Schutzlücken kommen.
Wenn der Letztkäufer als Bauhandwerker oder -unternehmer seinem Kunden gegenüber nach
Werkvertragsrecht gewährleistungspflichtig ist, unterliegen nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB
Arbeiten „bei einem Bauwerk“ einer Verjährungsfrist von fünf Jahren. Bei bloßen Reparaturund Instandhaltungsarbeiten ohne wesentliche Bedeutung für den Gebäudebestand89 beträgt
die Verjährungsfrist nach § 634a Abs. 1 Nr. 1 BGB zwei Jahre. Die Verjährung beginnt nach
§ 634a Abs. 2 BGB jeweils mit der Abnahme.
Für den Rückgriff des Letztkäufers bei seinem Verkäufer, des Händlers bei seinem Lieferanten
und weiter bis zum Hersteller gelten die kaufrechtlichen Bestimmungen der § 438 Abs. 1 Nr. 2
und 3 BGB. Danach verjähren die Mängelansprüche des Käufers „bei einem Bauwerk“ und „bei
einer Sache, die entsprechend ihrer üblichen Verwendungsweise für ein Bauwerk verwendet
worden ist und dessen Mangelhaftigkeit verursacht hat“, in fünf Jahren, im Übrigen in zwei
Jahren. Die Verjährung beginnt nach § 438 Abs. 2 BGB jeweils mit der Ablieferung der Sache.
Die Länge der Verjährungsfristen ist in der Schuldrechtsreform bewusst aufeinander abgestimmt worden; der Bauwerksbegriff ist identisch. 90 Es bleiben gleichwohl Risiken durch den
unterschiedlichen Beginn der Verjährungsfristen innerhalb der Lieferkette, wenn Ware nicht
schnell weiterverkauft werden kann, sondern auf Lager liegt91 (sog. Ladenhüter-Problematik 92).
Gleiches gilt für den Werkunternehmer, der Baumaterialien bezieht und verwendet, wenn die
für den Verjährungsbeginn nach § 634a Abs. 2 BGB maßgebliche Abnahme nicht zeitnah
erfolgt und der Besteller Gewährleistungsansprüche erst in einem Zeitpunkt erhebt, in dem
die Ansprüche gegen den Baustoffhändler bereits verjährt sind. Der Gesetzgeber hat diese
Gefahr für hinnehmbar gehalten, weil die tatsächliche Verwendung der Baumaterialien im
Verantwortungsbereich des Bauhandwerkers liege und nur er das Risiko eines nicht sofort
nach Lieferung erfolgenden Einbaus des Baumaterials überschauen könne. 93 Diese Beurteilung
dürfte indes zu kurz greifen: Das Problem liegt meist nicht in der Zwischenlagerung der Baumaterialien beim Bauhandwerker, sondern in der mitunter erheblichen Zeit, die bei einem
Bauvorhaben zwischen dem Einbau des Materials und der Abnahme vergeht. 94 Hinzu kommt,
dass der Werkunternehmer seine Nacherfüllungsaufwendungen gemäß § 309 Nr. 8 lit. b cc
BGB nicht in AGB auf den Besteller abwälzen kann.
Diese Regressrisiken können durch die Vereinbarung einer längeren Verjährungsfrist für
die kaufrechtlichen Ansprüche zumindest verringert werden. Dies ist auch in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen möglich. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den
Einkaufsbedingungen eines Baumarktbetreibers hält eine moderate Verlängerung der Ver­
jährungsfrist für Mängelansprüche (in concreto: von zwei auf drei Jahre) der Inhaltskontrolle
89
Dazu nur Palandt/Sprau, 74. Aufl., § 634 a BGB, Rn. 17. Die Rechtsprechung ist bei der Annahme von Bauwerks­
arbeiten großzügig; so für die Verlegung eines Fußbodens BGH, Urt. v. 6.11.1969 – VII ZR 159/67, BGHZ 53, 43.
90
Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 227.
91 Weller, NJW 2012, 2312, 2316.
92
Gorodinsky, §§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 461 f.
93
Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 14/6040, S. 227.
94
Vgl. Gorodinsky, §§ 478, 479 BGB: Der Regress des Letztverkäufers, S. 246.
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stand, weil ein Baumarktbetreiber Waren, die er von seinen Lieferanten bezieht, typischer­
weise über einen längeren Zeitraum hin weiterverkauft und deshalb damit rechnen muss, mit
Mängelansprüchen seiner Kunden auch noch nach Ablauf von zwei Jahren seit seiner eigenen
Belieferung konfrontiert zu werden. 95 Die formularmäßige Vereinbarung einer Ablaufhemmung nach Art des § 479 Abs. 2 BGB soll hingegen unwirksam sein. 96
4. Vertragliche Regelungsmöglichkeiten
Eine für einen Bauhandwerker günstigere vertragliche Regelung des Rückgriffs bei seinem
Verkäufer dürfte regelmäßig daran scheitern, dass er wegen fehlender Verhandlungsstärke
eine solche Vereinbarung nicht durchsetzen kann; anders mag es sich bei einem großen Bauunternehmen im Verhältnis zu einem mittelständischen Lieferanten verhalten. 97
Im Übrigen gilt es, wenn eine Vereinbarung nicht individuell, sondern durch Allgemeine
Geschäftsbedingungen getroffen wird, den Anforderungen der §§ 307 ff. BGB zu genügen.
Danach ist eine Vereinbarung, dass der Lieferant wegen Mängeln der Kaufsache verschuldens­
unabhängig auf Schadensersatz haftet, mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
Regelung (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), nämlich dem allgemeinen Grundsatz der Verschuldenshaftung, nicht vereinbar. So hat es der Bundesgerichtshof im Jahr 2005 zu den Einkaufsbedingungen eines Baumarktbetreibers entschieden. 98 Auch eine generelle Regelung in AGB, nach welcher der Verkäufer für die vereinbarte Beschaffenheit der Kaufsache eine Garantie übernimmt
(so dass ihn eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht trifft, § 276 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2
BGB), soll den Verkäufer unangemessen benachteiligen, weil sie ihn ebenfalls dem Risiko einer
unübersehbaren Schadensersatzhaftung aussetze. 99 Der Bundesgerichtshof hat auch eine
Klausel für unwirksam gehalten, durch die der Anwendungsbereich der Rückgriffsregelung
der §§ 478, 479 BGB auf den Weiterverkauf an Unternehmer erstreckt werden sollte, denn das
Gesetz mute die Nachteile der Rückgriffsregelung dem Lieferanten nur um eines verbesserten
Verbraucherschutzes willen zu.100 Im Übrigen lässt sich auch gegen eine solche Klausel einwenden, dass sie in der Sache nichts anderes als die in AGB unzulässige Vereinbarung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs darstellt.101
Es ist daher zumindest fraglich, ob eine Vertragsbestimmung AGB-rechtlich Bestand haben
kann, die zugunsten eines seinem Besteller gewährleistungspflichtigen Werkunternehmers
für die durch fehlerhafte Baumaterialien verursachten Aus- und Einbaukosten einen Aufwendungsersatzanspruch in Ausdehnung von §§ 439 Abs. 2,102 478 Abs. 2 BGB bzw. einen verschul-
95
BGH, Urt. v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, BGHZ 164, 196, 202.
96
Weller, NJW 2012, 2312, 2316 m. w. N.
97
Skeptisch Rodemann/Schwenker, ZfBR 2011, 634, 640.
98
BGH, Urt. v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, BGHZ 164, 196, 210 f. (für Rechtsmängel). Eine verschuldensunabhängige
Haftung kann nur ausnahmsweise wirksam vereinbart werden, wenn sie durch höhere Interessen des AGB-Verwenders gerechtfertigt oder durch Gewährung rechtlicher Vorteile ausgeglichen wird; BGH, Urt. v. 18.3.1997 – XI
ZR 117/96, BGHZ 135, 116, 121 m. w. N.
99
BGH, Urt. v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, BGHZ 164, 196, 211.
100BGH, Urt. v. 5.10.2005 – VIII ZR 16/05, BGHZ 164, 196, 215.
101Hohagen, VersR 2014, 1060, 1062.
102Eine entsprechende Regelung für die Nacherfüllung enthalten die vom Verband der Automobilindustrie e. V.
(VDA) empfohlenen Einkaufsbedingungen von 2002; dazu Küpper, ZGS 2009, 117, 120 f.
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densunabhängigen Schadensersatzanspruch vorsieht.103 Für die Wirksamkeit solcher AGBRegelungen könnte allenfalls angeführt werden, dass bei einer gegenständlichen Begrenzung
des Anspruchs auf Aus- und Einbaukosten (in angemessener Höhe), anders als in dem vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, keine „unübersehbare Schadensersatzhaftung“ droht.
In der Literatur wird ferner vorgeschlagen, dem Verkäufer vertragliche Prüfungspflichten
hinsichtlich der Mangelfreiheit der Ware aufzuerlegen, um ihn bei schuldhafter Verletzung
dieser Pflicht in die Haftung nehmen zu können.104 Alternativ könnte vorgesehen werden, dass
sich der Lieferant – über § 278 BGB hinausgehend – ein Verschulden des Herstellers zurechnen
lässt. Auch derartige Regelungen dürften indes gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB kontrollfähig sein
und könnten Bedenken begegnen, weil sie auf eine Verantwortung des Händlers für die von
ihm nicht geschuldete mangelfreie Herstellung hinauslaufen.
Schließlich könnte sich der Werkunternehmer im Verhältnis zu seinem Verkäufer ausbedingen, dass sein kaufrechtlicher Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB den Ausbau fehlerhafter Baumaterialien und den Einbau fehlerfreier Materialien mit umfasst. Auch
eine solche Vereinbarung erleichtert die Geltendmachung von Ansprüchen, denn Schadensersatz erhält der Werkunternehmer dann schon, wenn der Verkäufer den Aus- und Einbau trotz
Fristsetzung schuldhaft unterlässt (§§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB), und nicht nur bei einem
Verschulden hinsichtlich der mangelhaften Erstlieferung. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung auch eine solche Bestimmung der Inhaltskontrolle unterwerfen
(§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB) und als unangemessene Benachteiligung werten würde, weil sie den
wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung darin sieht, dass der Nacherfüllungsanspruch inhaltlich nicht über den ursprünglichen Erfüllungsanspruch hinausgeht.105
5. Fazit
Die Regresswege für den Werkunternehmer sind de lege lata deutlich eingeschränkt gegenüber
den Möglichkeiten, die sich dem Verkäufer bei einem Verbrauchsgüterkauf bieten, obwohl
beide im Rahmen der Nacherfüllung zum Aus- und Einbau verpflichtet sind. Der Werkunternehmer kann weder den Aus- und Einbau noch die Erstattung der Aufwendungen hierfür
verschuldensunabhängig nach §§ 439, 478 Abs. 2 BGB verlangen. Ihm bleibt nur ein verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch. Häufig wird indes ein Eigenverschulden des Ver­
käufers, sofern er nicht zugleich Hersteller ist, mangels Erkennbarkeit des Mangels nicht in
Betracht kommen, und ein Verschulden des Herstellers oder Lieferanten ist dem Verkäufer
nicht zuzurechnen. Die Voraussetzung des Vertretenmüssens stellt deshalb bei Auseinanderfallen von Hersteller und Verkäufer eine hohe, in vielen Fällen (so in dem eingangs geschilderten Beispielsfall) nicht überwindbare Hürde für einen Regress dar. Direktansprüche gegen
den Hersteller sind nur ausnahmsweise gegeben.
103Verneinend Hohagen, VersR 2014, 1060, 1062; Liauw/Wittemeier, NZBau 2015, 140, 144; allg. F. Graf v. Westphalen,
Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Einkaufsbedingungen, Rn. 43; Christensen in Ulmer/Brandner/Hensen,
AGB-Recht, 11. Aufl., Teil 2, (11) Einkaufsbedingungen, Rn. 5.
104Rothermel, GWR 2012, 527, 530; Liauw/Wittemeier, NZBau 2015, 140, 143; zur Ausweitung der Verkäuferpflichten
vgl. auch Messerschmidt/Hürter, BauR 2009, 1796, 1800 ff.
105BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224, Rn. 17 f.
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Es besteht damit für Verkäufer und Lieferanten ein Anreiz, Herstellungsleistungen auszu­
lagern, um nicht auf Schadensersatz haften zu müssen.106 Der Hersteller seinerseits wird, um
Haftungsrisiken zu minimieren, von Verkäufen an Letztabnehmer absehen. Der Werkunternehmer könnte die Regressbeschränkungen zu umgehen versuchen, indem er das später von
ihm einzubauende Material zunächst aufgrund eines separaten Kaufvertrags an den Verbraucher liefert oder diesen veranlasst, sich das Baumaterial selbst (ggf. vertreten durch den Werkunternehmer) bei einem Händler zu beschaffen.
106Jaensch, jM 2014, 406, 408; Ostendorf, GWR 2014, 237.
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VI.
Modelle einer Ausweitung der Regressmöglichkeiten
Prof. Dr. Markus Artz*
1. Einleitung
Seit der Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren Weber/Putz1 gilt im Bereich
der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie2 ein stark erweiterter Begriff der
Nachlieferung i. S. d. Art. 3 der Richtlinie.
Erfasst ist seither neben der erneuten
Übergabe und Übereignung der Kaufsache
auch der Ausbau der gutgläubig und
bestimmungsgemäß in eine andere Sache eingebauten mangelhaften Sache und schließlich
der Einbau der nachgelieferten Sache in dieselbe. Der Verkäufer ist verpflichtet, selbst den
Aus- und Wiedereinbau vorzunehmen oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und
den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind.
Zwar kann der Verkäufer im Falle der Unmöglichkeit der Nachbesserung die Nachlieferung
nicht wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern, jedoch schließt Art. 3 Abs. 3 nicht aus,
dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen
Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird.
Im Nachgang zum Urteil des EuGH entschied der BGH, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB dahingehend zu erfolgen hat, dass die „Lieferung einer mangelfreien
Sache“ auch den Ausbau und Abtransport der bestimmungsgemäß eingebauten mangelhaften
Sache und den Einbau der nachgelieferten mangelfreien Sache umfasst. 3 Das Verweigerungsrecht des Verkäufers gem. § 439 Abs. 3 BGB besteht nach Auffassung des BGH im Falle der
absoluten Unverhältnismäßigkeit nur darin, den Verbraucher auf die Erstattung eines angemessenen Betrags für die Durchführung des Aus- und Einbaus zu verweisen. Diese auf der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie beruhende Auslegung gilt allerdings nur für das Verbrauchsgüterkaufrecht, nicht jedoch für den unternehmerischen Verkehr.4
*
1
2
3
4
Der Verfasser ist Professor an der Universität Bielefeld.
EuGH, MMR 2011, 648.
R ichtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten
des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, Amtsblatt Nr. L 171 vom 07/07/1999 S. 12-16.
BGH, NJW 2012, 1073.
BGH, VuR 2013, 102.
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2. Probleme des Unternehmerregresses
Die enorme Ausweitung des Nachlieferungsumfangs hat nicht nur Auswirkungen im Verhältnis zwischen Letztverkäufer und Verbraucher, sondern kann sich auch auf die Regressansprüche in der Lieferkette auswirken.
2.1. Unterstelltes Regelungsszenario
Unterstellt wird die Einführung einer gesetzlichen Regelung zur entsprechenden Aus- und
Einbau- bzw. Kostentragungspflicht des Verkäufers, z. B. in §§ 439 Abs. 2 i.V.m. 474 ff. BGB und
einer entsprechenden Einrede des Verkäufers, die den Anspruch des Verbrauchers auf Ausund Einbau auf Kostenerstattung beschränkt. Derart modifizierte Regelungen der Absätze des
§ 439 BGB (i.V.m. §§ 474 ff. BGB) wirken sich über die §§ 478 ff. BGB, insbesondere über § 478
Abs. 2 BGB auch auf die weiteren Stufen der Lieferkette aus.
2.2. Probleme im harmonisierten Bereich der Verbrauchsgüterkaufverträge
a. Kosten, die der Unternehmer „zu tragen hatte“
Regressfähig sind nur Kosten, die, so der Wortlaut des § 478 BGB, der Unternehmer nach § 439
Abs. 2 BGB „zu tragen hatte“. Bereits bisher ist unklar, wonach sich diese Kosten bestimmen.
Der Ausdruck ließe sich zunächst auf sämtliche Kosten beziehen, die dem Unternehmer tatsächlich gegenüber dem Verbraucher im Rahmen der Nacherfüllung entstanden sind. Problematisch sind aber insbesondere Kosten, die auf Kulanzleistungen beruhen. Es kommt immer
wieder vor, dass Nacherfüllungsleistungen erbracht werden, ohne dass endgültig geklärt ist,
ob der Unternehmer gesetzlich zu deren Erbringung verpflichtet war. Grund dafür können
Aspekte der Kundenbindung und der Reputation sein.
Ihrem Sinn und Zweck nach können sich Kosten, die der Letztverkäufer zu tragen hatte, nur
auf das gesetzliche Pflichtenprogramm beziehen.5 § 478 Abs. 2 BGB stellt eine Durchbrechung
des Prinzips der Relativität der Schuldverhältnisse dar, der einen Ausgleich zur Unabdingbarkeit des Verbraucherschutzrechts im letzten Kaufvertrag gem. § 475 BGB ermöglicht.6 Der
Letztverkäufer, der die Kosten der Nacherfüllung nicht durch vertragliche Vereinbarungen mit
dem Verbraucher verringern oder gar ganz vermeiden kann, soll die ihm entstehenden Kosten
jedenfalls an den Unternehmer in der Lieferkette weiterreichen können, auf dessen Leistung
der Mangel der Kaufsache zurückzuführen ist. Es kommt demnach in diesem Fall ausnahmsweise zur Durchreichung der verschuldensunabhängigen Haftung für die Vertragsgemäßheit
der Kaufsache.
Durch die Einbeziehung der Aus- und Einbaukosten und die diesbezüglich bestehende Unverhältnismäßigkeitseinrede des Unternehmers, verbunden mit der Pflicht zur angemessenen
Ausgleichszahlung, wird der Regress noch durch eine Facette erweitert. Die Geltendmachung
der Unverhältnismäßigkeitseinrede gegenüber dem Verbraucher taucht im Verhältnis zum Lieferanten in Gestalt einer Obliegenheit des Unternehmers auf. Der Verkäufer kann von seinem
5
6
Vgl. BT- Drucks. 14/6040, S. 249.
BT- Drucks. 14/6040, S. 247; Witt, NJW 2014, 2156, 2157; MüKo/Lorenz, 6. Aufl. 2012, § 478 BGB Rn. 1.
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Lieferanten nur so viel verlangen, wie er nach den gesetzlichen Vorgaben an den Verbraucher
hätte zahlen müssen. Steht ihm die Einrede der Beschränkung auf Erstattung eines angemessenen Betrags zu, dann besteht seine gesetzliche Pflicht zur Leistung gegenüber dem Verbraucher nur in dieser Höhe. Führt er dennoch überobligatorisch die Nachlieferung durch, kann er
vom Lieferanten nicht den vollen dafür aufgewendeten Betrag erstattet verlangen. Ihm muss
jedoch jedenfalls ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden werden, um seine Kostenrisiken überschaubar zu halten.7
Aus Sicht des Lieferanten erscheint in diesem Zusammenhang auch das Entscheidungsrecht
des Letztverkäufers nicht unproblematisch. Womöglich wäre es für den Lieferanten wirtschaftlicher gewesen, selbst und unmittelbar die Nachlieferung inkl. Aus- und Einbau durchzuführen und nicht zum Kostenersatz herangezogen zu werden.
b. Bestimmung des „gleichwertigen Ausgleichs“ gem. § 478 Abs. 4 BGB
Durch die Einbeziehung der Aus- und Einbaukosten in den Nacherfüllungsanspruch und die
Möglichkeit der Beschränkung dieser Kosten auf einen angemessenen Betrag entsteht eine
enorme Spannweite des möglichen Umfangs des Nacherfüllungsaufwands für den Unternehmer. Vor Auftreten des Mangels im konkreten, bereits eingebauten Zustand, ist es nahezu
unmöglich, abstrakt zu kalkulieren, welche Kosten die Nachlieferung verursachen wird. Nach
§ 478 Abs. 4 BGB kann jedoch in der Regresskette ein vertraglicher Ausschluss des Regresses
vor dem Auftreten des Mangels nur stattfinden, wenn mit dem Verkäufer im Gegenzug ein
„gleichwertiger Ausgleich“ vereinbart wird. Ist die Bestimmung eines solchen Ausgleichs aber
kaum noch möglich, so ist es fraglich, ob künftig überhaupt noch die realistische Möglichkeit
eines abstrakten Regressausschlusses besteht. Jedenfalls trifft den Unternehmer das Risiko,
dass sich die Beschränkung des Regressanspruchs auf die Erstattung eines festgelegten Betrags
später als nicht angemessen erweist. Hier mag man über die Einführung einer Pauschalierung
nachdenken.
Hinzu kommt, dass in der Lieferkette, die durch den Regress zurückverfolgt wird, nicht stets
ein Zuwachs an wirtschaftlicher Kompetenz festzustellen sein wird. Mit anderen Worten: Eine
Kette vom wirtschaftlich übermächtigen Hersteller über einzelne Handelsstufen hin zum
kleinen Unternehmer als Einzelhändler und Letztverkäufer liegt nicht zwingend vor. Darin
liegt vielmehr eine romantische Vorstellung des „kleinen Einzelhändlers“, die in zahlreichen
Branchen die tatsächlichen Marktverhältnisse nicht widerspiegelt.8 Angesichts der potentiell
hohen Summe, die zum Ausschluss des Regressanspruchs als angemessener gleichwertiger
Ausgleich aufgerufen werden muss, werden einzelne Glieder in der Regresskette das damit
einhergehende Risiko nicht eingehen können. Dadurch kann sich im Falle des Regresses eine
ungleiche Lastenverteilung zu Ungunsten desjenigen Unternehmers ergeben, der sich im
Voraus nicht in der Lage sah, einen Regressausschluss zu vereinbaren.
c. Durchsetzbarkeit der Regressansprüche
In der Praxis kommt dem Regress oftmals nicht die Bedeutung zu, die ihm nach der Idealvorstellung der Lastenverteilung zugedacht wird. Insbesondere im internationalen Handel sind
7Vgl. Nietsch, AcP 210 (2010), 722, 731 f.
8Vgl. Nietsch, AcP 210 (2010), 722, 728.
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Regressansprüche oftmals nicht oder nur schwer realisierbar. Für kleine und mittelständische
Unternehmen ist die Realisierung der Ansprüche mit besonders großem Aufwand verbunden.
Verglichen mit dem Anteil, den Materialmängel tatsächlich am Reklamationsaufkommen
ausmachen, ist dieser Aufwand unverhältnismäßig. Die Vorstellung, durch den Regress stets
gerechte Kostenzuweisungen zu erzielen, ist daher in vielen Fällen utopisch.
2.3. Rechtslage außerhalb des Anwendungsbereichs der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
Außerhalb des verbrauchsgüterkaufrechtlichen Anwendungsbereichs wird zum einen eine
Ausdehnung des erweiterten Nachlieferungsanspruchs und infolgedessen auch des erweiterten Regressanspruchs auf den unternehmerischen Verkehr diskutiert, zum anderen gibt es
Stimmen, die eine dem Kaufrecht angepasste Regelung auch im Werkvertragsrecht fordern.
a. Kein Regelungsbedürfnis bezüglich einer erweiterten Nachlieferungspflicht im
unternehmerischen Verkehr
Sowohl der Anwendungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie als auch der ihre Bestimmungen auslegenden EuGH- Rechtsprechung beziehen sich auf Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Aus der in Deutschland erfolgten teilweise überschießenden
Umsetzung der Richtlinie in das allgemeine Kaufrecht des BGB folgt nicht zwangsläufig, dass
sämtliche Vorgaben des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts
ebenfalls überschießend auf das gesamte Kaufrecht angewendet werden müssen. 9 Der EuGH
trifft seine Entscheidungen stets nur für den Anwendungsbereich der Richtlinie.
Der Bundesgerichtshof hat sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob die Erweiterung des
Pflichtenprogramms im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs, also die Einbeziehung von
Aus- und Einbaukosten, auf den unternehmerischen Verkehr geboten ist.10 In seiner außerordentlich systematisch und überzeugend begründeten Entscheidung hat der BGH klargestellt,
dass das deutsche Zivilrecht im Kern von einem abweichenden Verständnis des Pflichtenprogramms ausgeht und Kosten, die in Folge des bestimmungsgemäßen Einbaus mangelhafter
Materialien entstehen, traditionell dem verschuldensabhängigen Schadensersatzrecht zugewiesen sind. Daher spricht sich der BGH zu Recht dafür aus, die Folgen der umstürzenden
EuGH-Entscheidung auf das systematisch vorgegebene Maß zu beschränken und von einer
Ausweitung auf den unternehmerischen Verkehr abzusehen. Das, was auf Grund der Rechtsprechung des EuGH nun für den Verbrauchsgüterkauf des BGB gelten muss, widerspricht der
herkömmlichen Systematik des deutschen Kaufrechts, die von der Vorstellung einer wesentlich engeren Nachlieferungspflicht des Verkäufers geprägt ist.11 Eine Aushebelung des Prinzips
der verschuldensabhängigen Haftung für Pflichtverletzungen für das unternehmerische Kaufrecht ist, wie bereits ausgeführt, unionsrechtlich nicht geboten. Hier sollte am Verschuldenserfordernis festgehalten werden.
9Dazu Kuhn, EuR 2015, 216; Lorenz, NJW 2013, 207, 208; Weiss, EuZW 2012, 733.
10 BGH, VuR 2013, 102.
11 Liauw/Wittemeier, NZBau 2015, 140, 141; zum Problem des Überstrapazierens des gesetzgeberischen Umsetzungswillens Weiss, ZRP 2013, 66, 67; Lorenz, NJW 2013, 207, 208.
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b. Keine Ausweitung der Vorschriften über den Unternehmerregress
Das Regelungsbedürfnis für einen Unternehmerregress in der Lieferkette erwächst im Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufrechts, wie bereits erwähnt wurde, aus der zwingenden
Geltung des Verbrauchsgüterkaufrechts bezüglich des letzten Kaufvertrags gem. § 475 BGB.
Hier soll der Letztverkäufer entlastet werden, den der Verbraucherschutz trifft. Die Grundlage
der Kosten, die dieser gegenüber dem Käufer zu tragen hatte, ergibt sich aus den verbraucherschützenden Vorgaben des Gesetzes.
Eine dementsprechende Situation liegt im unternehmerischen Verkehr nicht vor. Hier besteht
zwar auch ein gesetzliches Pflichtenprogramm. Welche Pflichten aber im konkreten Vertrag
zwischen den Parteien bestehen, lässt sich, anders als beim zwingend geltenden Verbraucherschutzrecht, nicht aus dem Gesetz ablesen, da im unternehmerischen Verkehr Regelungen des
Gewährleistungsrechts grundsätzlich dispositiv sind. Die Vertragsparteien, beide Unternehmer, können individuell frei oder im Rahmen von AGB bestimmen, welche Ansprüche im Falle
der mangelhaften Leistung bestehen. Somit ist das gesetzliche Pflichtenprogramm, das den
Umfang des Regressanspruchs bedingt, hier keine verlässliche und verwertbare Bezugsgröße.
Die Kosten, die der Unternehmer gegenüber dem ebenfalls unternehmerisch tätigen Käufer zu
tragen hatte, sind im dispositiven Bereich nicht objektiv feststellbar. Außerdem kommt § 377
HGB im unternehmerischen Verkehr eine große Bedeutung zu. Es gilt der Grundsatz, dass das
Risiko evtl. Kosten für den Aus- und Einbau einer mangelhaften bzw. nachgelieferten mangelfreien Sache im jeweiligen Schuldverhältnis zu tragen ist.
Die Vorschriften zum Unternehmerregress in §§ 478 ff. BGB stellen Sonderregeln im Annex
zum zwingenden Verbraucherprivatrecht dar und sind nicht zwanglos auf den unternehmerischen Verkehr zu übertragen. Gegebenenfalls sollten sie jedenfalls nicht zwingend wirken.
c. Keine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs auf den Werkvertrag geboten
Parallel zu der Forderung, die neu zu schaffenden Regelungen zur Kostentragungspflicht beim
Aus- und Einbau im Kaufrecht und zum Unternehmerregress auf den unternehmerischen
Verkehr auszudehnen, wird auch erwogen, ähnliche Regelungen im Werkvertrag einzuführen.12 Es geht dabei darum, dass nicht ein Käufer, sei er Unternehmer oder Verbraucher, die
Waren selbst in einen anderen Gegenstand einbaut bzw. einbauen lässt, sondern ein Werkunternehmer Ware kauft und diese zur Erfüllung seiner Pflichten aus dem Werkvertrag mit
seinem Kunden verarbeitet. Auch hier soll, so die vereinzelt erhobene Forderung, der Verkäufer
als Lieferant des Werkunternehmers verschuldensunabhängig für Aus- und Einbaukosten
haften.
Zunächst ist dazu anzumerken, dass es anlässlich der Umsetzung des EuGH-Urteils zum Verbrauchsgüterkaufrecht nicht den geringsten Anlass gibt, Änderungen im Werkvertrag vorzunehmen bzw. hier nachzujustieren. Des Weiteren darf nicht übersehen werden, dass den Werkunternehmer von vornherein ganz andere Pflichten treffen als den Verkäufer von Ware. Ein
Werkunternehmer verpflichtet sich gegenüber dem Besteller, entsprechende Ware einzukaufen und fehlerfrei einzubauen. Gelingt dies nicht, trifft den Werkunternehmer im letzten
Vertrag der Kette die Gewährleistungspflicht aus dem Werkvertrag, während dieser bei Man12So etwa Grobe, NZBau 2012, 347, 347.
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gelhaftigkeit der Ware einen kaufrechtlichen Gewährleistungsanspruch gegen seinen Lieferanten hat. Diesen allerdings verschuldensunabhängig auf die Vornahme von Aus- und Einbau
bzw. entsprechenden Kostenersatz zu erweitern, besteht kein Anlass.13
Der Werkunternehmer hat sich zur Herbeiführung des entsprechenden Erfolgs verpflichtet
und kann sich dieser Pflicht gegenüber dem Besteller nicht durch Verweis auf den Lieferanten
und etwaige Mängel der gelieferten Ware entziehen. Die Regulierung der mangelhaften Leistung hat hier weiterhin im jeweiligen Vertragsverhältnis unter Berücksichtigung des ursprünglichen Pflichtenprogramms zu erfolgen.
3. Fazit
Eine gesetzliche Festschreibung des europäisch indizierten erweiterten Nachlieferungsanspruchs des Verbrauchers im Verbrauchsgüterkauf hat in dem Fall, dass der Letztverkauf von
einem Unternehmer an einen Verbraucher stattfindet über die Vorschriften der §§ 478 ff. BGB
auch Auswirkungen auf den Regress auf der jeweiligen Stufe der Lieferkette. Es können so
immense Aufwendungen i. S. d. § 478 Abs. 2 BGB auflaufen. Ein zwingendes Durchreichen
dieser Kosten ist ausschließlich im Anwendungsbereich des Verbrauchsgüterkaufs gerechtfertigt. Weder im ausschließlich unternehmerischen Verkehr, noch im Werkvertragsrecht ist
eine derartige Regelung notwendig, geschweige denn findet sie dort eine Rechtfertigung.
Innerhalb des Anwendungsbereichs der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sollten Regressansprüche durch eine Obliegenheit des Letztverkäufers begrenzt werden, dem Verbraucher gegenüber
die begründete Einrede der Beschränkung des Nacherfüllungsanspruchs auf die Tragung eines
angemessenen Beitrags geltend gemacht zu haben. Hat er dies nicht getan, so handelt es sich
nicht um eine Aufwendung, die er zu tragen hatte und er kann in der Lieferkette keinen
Regress in vollem Umfang nehmen.
13So auch Witt, NJW 2014, 2156, 2158.
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VII.
Schlusswort
Prof. Dr. Martin Schmidt-Kessel*
Die heutige Tagung hat uns die ganze Komplexität der vor uns liegenden Entscheidungen
deutlich vor Augen geführt. Sie hat diejenige Dynamik entwickelt, die wir uns erhofft hatten.
Sie hat Angriffe auf viele Illusionen bereitgehalten, von denen ich nur die „Unerschütterlichkeit des Verschuldensprinzips“ sowie den Gegensatz einer „Tante-Emma-Romantik“ zur Realität des Handwerks nennen möchte.
Unsere Tagung hat dabei viele Grundfragen des Vertragsrechts berührt, von denen die Frage
nach Grundgrenzen und Reichweite wiederum des Verschuldensprinzips nur die prominenteste
gewesen ist. Als ein weiteres Beispiel möchte ich die Frage nach der Funktion der Rückabwicklung nach Vertragsaufhebung nennen, dem ursprünglich nur eine reine Ausgleichsfunktion im
Wege der Rückabwicklung ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen zugekommen ist,
während wir sie heute auch mit Fragen der Kostentragung und – in anderen Zusammenhängen
– mit Entsorgungsproblematiken verbinden.
Ob es überhaupt eines Eingreifens des Gesetzgebers bedarf, wie eine Reihe von Wortmeldungen hier vorgetragen haben, könnte man mit Blick auf den im Anschluss an die EuGH-Entscheidung entstandene Rechtsprechung des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs durchaus in
Zweifel ziehen. Mit Recht ist hier heute die Frage gestellt worden, ob auch die Auslegung einer
Richtlinie der Umsetzung bedarf, wenn das vom Gerichtshof vorgegebene Auslegungsergebnis
auch mit dem Wortlaut des Umsetzungsrechts erreicht werden kann – wie dies nach der
Rechtsprechung des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs der Fall ist. Aber selbst wenn man die
europarechtliche Umsetzungspflicht verneint, bleiben die gespaltene Auslegung von § 439 BGB
sowie die – recht offenen – Formulierungen des Koalitionsvertrages gute Gründe für politisches und damit legislatives Handeln.
1. Lösungen und Folgeprobleme
Wie unsere Tagung deutlich gemacht hat, geht es bei den Aus- und Einbaukosten um zwei
rechtlich als auch politisch miteinander eng verbundene Fragenkreise: Zum einen stellt sich
die Frage nach Art und Weise sowie Umfang der Umsetzung der EuGH-Entscheidung mit
ihren beiden Grundentscheidungen – Einschluss des Aufwands von Aus- und Einbau in den
vom Verkäufer zu tragenden Nacherfüllungsaufwand sowie die besondere Unzumutbarkeits-
*
Der Verfasser ist Professor an der Universität Bayreuth und Direktor der Forschungsstelle für Verbraucherrecht,
Bayreuth.
Seite 74
Kapitel VII
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schwelle – in das deutsche Recht. Zum anderen haben die EuGH-Entscheidung sowie die
anschließenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs die Folgefragen aufgeworfen, wie mit
den nunmehr erweiterten Kosten der Nacherfüllung im Regresswege nach §§ 478, 479 BGB
umzugehen ist und ob der erleichterte Regress auch dann möglich sein soll, wenn der Schuldner der Gewährleistungsansprüche seine Leistungen unter einem anderen Vertrag als einem
Kaufvertrag erbringt.
Für die beiden Ausgangsprobleme haben wir hier sowohl über die Ausgestaltung möglicher
Umsetzungen als auch über die rechtspolitische Grundfrage diskutiert, wem der erweiterte
Nacherfüllungsanspruch zustehen soll, nur dem Verbraucher-Käufer gegenüber dem Unternehmer-Verkäufer oder jedem Käufer gegenüber jedem Verkäufer. Während die rechtspolitische Grundfrage nach dem personalen Anwendungsbereich des erweiterten Nacherfüllungsanspruchs naturgemäß kontrovers blieb, wobei eine – möglicherweise durch die Zufälligkeiten
des Veranstaltungsbesuchs begründete – fühlbare Mehrheit für einen breiten Anwendungsbereich im Saal vorhanden war, haben sich bei den Einzelheiten der technischen Ausgestaltung
zahlreiche Aspekte ergeben, auf die ich sogleich (2.) noch einmal eingehen werde.
Auch für die Regresssituation ging es
sowohl um technische Einzelheiten wie
auch um die rechtspolitische Grundfrage.
Dabei ist erneut deutlich geworden, dass
diese auch rechtlich nicht unabhängig von
der Ausgestaltung des Anspruchs im
Grundverhältnis ist: Bei der sog. „großen
Lösung“, bei welchem die Erweiterung des
ausgeweiteten Nacherfüllungsrechts auf
sämtliche Kaufverträge stattfindet, ist
zugleich die Grundfrage des Rückgriffs, ob nämlich ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch des Käufers auch in der Kette entsteht, beantwortet. Insoweit lassen sich beide
Fragenkreise nicht voneinander trennen. Dies ist anders im Falle der sog. „kleinen Lösung“,
welche die Rückgriffsmechanismen und -erleichterungen der §§ 478, 479 BGB auf die Regresssituation ausdehnt. Durch diese „kleine Lösung“ kommt es gerade nicht zu einer generellen
Ausweitung des Nacherfüllungsrechts des Käufers, vielmehr beschränkt sich diese auf den
Rückgriff desjenigen Käufers, der – unmittelbar oder über die Lieferkette – aus einem Verbrauchervertrag haftet. Auch zu diesem Fragenkreis waren die Auffassungen naturgemäß geteilt,
wobei die „kleine Lösung“ erstaunlich wenig Gegenstand der Diskussion war, was auch wegen
ihrer offenkundigen Kompromisseignung ein wenig verwundert. Die beiden politischen
Grundrichtungen orientieren sich bislang demgegenüber an den „Maximalforderungen“ einer
durchgehenden Erweiterung des Nacherfüllungsanspruchs unter Einschluss des Regresses
einerseits und einer völligen Verneinung erleichterter Regresswege zur Abwälzung der im
Verhältnis zum Endkunden entstandenen Kosten.
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2. Vertrag am Ende der Kette
Für das Grundverhältnis, also den Vertrag am Ende der Kette und die Ausgestaltung der Nacherfüllung, hat Florian Faust zunächst dafür plädiert, den Nacherfüllungsanspruch auch auf den
Ausbau der mangelhaften Sache und den Wiedereinbau der ersatzweise gelieferten zu erstrecken;
sein Petitum ist also darauf gerichtet, dem Käufer nicht allein die Kostenlast zu nehmen, sondern ihn auch nicht mit der Organisationslast der erweiterten Nacherfüllung zu belasten.
Damit einher ging Fausts Plädoyer für eine Aufrechterhaltung des Rechts zur zweiten Andienung, dem freilich Thomas Pfeiffer mit dem Hinweis auf die häufig fehlende Zumutbarkeit
einer zweiten Andienung in den Räumen des Käufers entgegen getreten ist.
Faust hat hier – unterstützt durch Herrn Frellessen – auch die Frage aufgeworfen und bejaht,
ob die zu findende gesetzgeberische Lösung auch andere Veränderungen der Kaufsache als
ihren Einbau betreffe. Gerade im Blick auf die Richtlinie erschiene mir alles andere als merkwürdig, auch wenn die Beschreibung von Grenzen des Anwendungsbereichs dadurch nicht
einfacher wird. Dasselbe gilt für die ebenfalls von Faust aufgeworfene Frage, ob Grenzen für
den Umgang mit der Kaufsache zu ziehen seien. Davon abgesehen, dass sich diese Frage nicht
für alle Fälle des Umgangs mit der Kaufsache – man denke nur an verfüttertes Getreide – realistischer Weise stellt, wird man hier mit ihm die Grenzen dort zu ziehen haben, wo die Nacherfüllung überhaupt an ihre Grenzen stößt: Wo die Beseitigung der mangelhaften Sache für
den Käufer objektiv sinnlos erscheint, fehlt es zudem bereits an erforderlichen Aufwendungen
für eben diese Beseitigung.
Ein weiterer diskutierter Fragenkreis betraf zwei Ausweitungen der Fliesen-Entscheidung.
Florian Faust hat sich hier für eine Ausweitung auf die Nachbesserung ausgesprochen und
auch hierfür einen entsprechenden Regelungsvorschlag vorgelegt. Während dieser Vorschlag
unwidersprochen geblieben ist, ist insbesondere Markus Artz dem weiteren Vorschlag entgegen getreten, die Ausweitung des Nacherfüllungsrechts auch auf C2C- und C2B-Verträge vorzunehmen. Letztere Erweiterung wäre eine automatische Konsequenz einer schlichten Ausweitung von § 439 BGB, die m.E. jedenfalls nicht zufällig erfolgen sollte.
Breiten Raum hat hier auch die Diskussion um die „amputierte Nacherfüllung“ eingenommen,
bei welcher die vom Europäischen Gerichtshof etwas kryptisch grundgelegte und vom Bundesgerichtshof nicht viel weniger kryptisch umgesetzte Zumutbarkeitsschwelle mit Kostenbeteiligung des nacherfüllungsberechtigten Käufers gemeint ist. Faust hat sich hier für eine
einheitliche Schwelle ausgesprochen, während Frellessen gegen eine solche Einheitlichkeit
plädiert hat. Keinen Widerspruch fand freilich der Vorschlag Fausts, diese besondere Schwelle
auf die besonderen Kosten des Aus- und Einbaus im Rahmen des erweiterten Nacherfüllungsrechts zu beschränken. Für die technische Einkleidung seiner Lösung hat Faust die Verortung
bei § 275 II BGB vorgeschlagen, was nicht nur technisch überzeugt, sondern auch eine vergleichsweise einfache Regelung hervorbrächte, bei der die Regelung der Nacherfüllung einer
Änderung bei § 439 BGB nicht bedarf.
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3. Regressfragen
Wie funktional schon bei der Ersatzfähigkeit der Aus- und Einbaukosten als solche geht es
auch in der Regresskette um Bestand oder Kreation eines verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruchs. Auf diesem Kern der Sachdiskussion wie auch auf mögliche Gefahren eines
solchen Ausgleichsanspruchs wies in der Diskussion hier vor allem Thomas Pfeiffer hin. Dabei
wurde zugleich aber deutlich, dass es nicht um eine allgemeine verschuldensunabhängige
Schadensersatzhaftung für alle Arten von Schäden, sondern allen hier Beteiligten lediglich um
einen auf die Aufwendungen der Mängelbeseitigung begrenzten Anspruch ging.
Vor allem Markus Artz stellte die Frage nach der Legitimation eines § 478 BGB entsprechenden
Ausgleichsanspruchs auch bei anderen Verträgen mit Verbrauchern als Kaufverträgen und
argumentierte weitgehend systematisch mit dem Hinweis, der selbständige Regress sei ein
Sonderfall, der durch die besonders strikte Verkäuferhaftung nach § 475 BGB veranlasst sei.
Pfeiffer hielt dem entgegen, bei anderen Vertragstypen rechtfertige § 309 BGB die Ausweitung
des Regressanspruchs. Die Meinungen blieben hier bis zum Ende geteilt.
Unbeantwortet blieb die von Ralph Schmitt
aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung
der restriktiven AGB-rechtlichen Rechtsprechung zur Erweiterung des Regresses. Allein
mit der Sonderstellung von § 475 BGB lässt
sich das AGB-rechtliche Regressausweitungsverbot der Rechtsprechung wohl nicht
begründen. Letztlich bleibt die Rechtsprechung die Rechtfertigung wohl schuldig.
Weite Teile der Debatte drehten sich um Beschränkungen eines einmal unterstellten Regresses.
Artz plädierte hier für eine Anwendung von § 377 HGB, auch bei einer gegebenenfalls vorgenommenen Ausweitung des Regresses, und wies zudem darauf hin, dass der Regress jeweils
die Mangelhaftigkeit im Regressverhältnis weiter voraussetzen müsse. Hierin fand er ebenso
breite Zustimmung wie in der Forderung, dass sich auch die vom EuGH entwickelte Angemessenheitsschwelle hinsichtlich der Höhe der Nacherfüllungskosten in der Regresskette fortsetzen müsse. Vereinzelt wurde zusätzlich die Frage nach der Versicherbarkeit gestellt und für
die Einführung von Haftungsobergrenzen plädiert.
Für die künftige Entwicklung wurde in der Diskussion dann deutlich, dass sich durch Divergenzen der Senate bei der Vertragstypenbestimmung schon heute gewisse Verschiebungen im
Anwendungsbereich des bestehenden § 478 BGB andeuten. Ralph Schmitt dachte zudem über
eine Neujustierung der Grenzen des Deliktsrechts nach, die auch eine der Grundlagen des hier
diskutierten Regressproblems bilden. Generell entspricht es der Erfahrung, dass sehr unterschiedliche Wertungen bei verwandten Vertragstypen – hier dem Kauf- und dem Werkvertrag –
einen Druck auf eine Neujustierung der Grenze zwischen diesen Vertragstypen entstehen
lassen. Ohne ein Eingreifen des Gesetzgebers wäre wohl eine sukzessive Ausweitung des Kaufrechts zu Lasten des Werkvertragsrechts zu erwarten.
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Deutlich wurde in der Debatte um den Regress schließlich auch, dass die Regressproblematik
nicht unabhängig von der allgemeinen AGB-rechtlichen Debatte verstanden werden kann.
Und so stand am Ende auch die Forderung danach, zumindest das gesetzliche Leitbild so zu
korrigieren, dass eine Ausweitung der Regressansprüche nach § 478 BGB auch auf andere
Regresssituationen AGB-rechtlich möglich würde.
4. Perspektiven
Fragt man nach den Perspektiven auf einen künftigen Gesetzentwurf und die praktischen
Alternativen, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen, so hat sich zunächst die hier vorgenommene Verknüpfung von der Lösung für die Nacherfüllungskosten mit dem Regressproblem als richtig erwiesen. Die Umsetzung ist politisch wie systematisch gerade nicht unabhängig von der Beantwortung der Fragen nach dem Rückgriff. Das ist vor allem dann eine
Selbstverständlichkeit, wenn die Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung auch für B2B-Verträge
geschehen sollte.
Ferner gehört nicht viel Phantasie zu der Prognose, dass der Druck auf eine richterrechtliche
Haftungsverschärfung, etwa durch einen Abbau der Anforderungen an das Vertretenmüssen
oder an die Zurechnung bei der Hilfspersonenhaftung, erheblich steigen wird, wenn der Gesetzgeber nur zugunsten der Verbraucher die EuGH-Rechtsprechung in das BGB übernimmt und
B2B-Verhältnisse sowie der Regress in der Kette nicht angegangen werden. Ein Stillhalten des
Gesetzgebers wird die Problematik daher nicht ent-, sondern verschärfen.
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