Oliver Weiss
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Gehirn und Geist
titelth em a
We r b e psyc ho lo g i e
Die Macht der Marken
Ob Prada, Porsche oder Rolex: Mit dem richtigen Label erscheint ein Produkt
automatisch begehrenswert. Doch was genau macht Marken attraktiv?
Um Käufer zu gewinnen, appellieren Werber vor allem an deren Gefühle.
Text: Mi r iam B e rg e r ] I l lu strati o n e n : O l iver Weis s
K
alt ist es draußen. Am liebsten
Psychologe und Neurowissenschaftler Brian
S ER I E IM Ü B E R B LIC K
würde ich meine Füße einfach un-
Knutson von der Stanford University in Kalifor-
ter der Bettdecke lassen. Stattdes-
nien zeigen, dass eine Kaufentscheidung auf
sen beeile ich mich, zur Arbeit zu
mehreren voneinander unterscheidbaren Pro-
Die Welt der
schönen Dinge
kommen, friere an Haltestellen,
zessen im Gehirn beruht. Die Forscher präsen-
warte an Bahnhöfen. Ein Kaffee wäre jetzt gut.
tierten den Teilnehmern ihrer Studie Fotos an-
Nehme ich den vom Bahnhofskiosk? Gehe ich in
sprechender Konsumprodukte, etwa eine edel
die Bäckerei? Zum Italiener? Nein, lieber zu Star-
aussehende Schachtel Pralinen. Nach ein paar Se-
bucks. Das gönne ich mir. Da kostet ein Becher
kunden blendeten sie auch den Preis der Ware
Kaffee zwar fast vier Euro, aber … tja, was eigent-
ein. Wiederum ein paar Sekunden später sollten
lich? Was macht Starbucks so anziehend für
die Probanden per Knopfdruck entscheiden, ob
mich, dass ich gut und gerne das Doppelte für ei-
sie das Produkt kaufen würden. Währenddessen
nen Kaffee bezahle?
maßen die Wissenschaftler per funktioneller
Der Neuropsychologe und Marketingberater
Christian Scheier hat darauf eine einleuchtende
­Magnetresonanztomografie (fMRT) die Hirnaktivität der potenziellen Käufer.
Antwort: »Marken, die uns ansprechen, aktivie-
Beim Anblick von interessanten Produkten
ren das Belohnungssystem im Gehirn«, sagt er.
war insbesondere der Nucleus accumbens aktiv,
Und das passiere nicht etwa nach rationalem Ab-
eine Ansammlung von Nervenzellen tief im In-
wägen der Vor- und Nachteile, sondern nahezu
neren des Gehirns. Dieses Gebiet wird als wich-
automatisch. Starke Marken lösen ein unmittel-
tiger Teil des Belohnungssystems angesehen
bares »Das will ich haben!« aus. Warum, sei uns
und seine Aktivität gemeinhin als Zeichen für
meist nicht bewusst.
positive Erwartungen gewertet. Sobald das Pro-
Wo viel Geld zu verdienen ist, wird auch viel
dukt aber mit einem hohen Preis versehen wur-
geforscht. Ein ganzer Forschungszweig – das
de, regte sich im Kopf der Probanden die Insula –
Neuromarketing – beschäftigt sich seit den
eine andere wichtige Region der Emotionsregu-
1990er Jahren mit den unbewussten Vorgängen
lation. Sie ist normalerweise aktiv, wenn wir uns
im Gehirn des Verbrauchers. 2007 konnte der
ekeln oder Schmerz erwarten.
Teil 1: Wie Werbung wirkt
• Die Macht der Marken
• »Unternehmen profi­
tieren von unserem Spiel­trieb« (S. 41)
• Spuren im Unbewuss­
ten (S. 44)
Teil 2: Die Vermessung
des Schönen
Max-Planck-Direktor
David Pöppel über Ästhe­
tik (GuG 4/2015)
Teil 3: Das Auge isst mit
Produktdesigner nutzen
die Wechselwirkung der
Sinne (GuG 5/2015)
Einmal Kaffee mit Urlaub, bitte!
Erfolgreiche Marken verleihen dem Produkt eine
Bedeutung, die über seine eigentliche Funktion
hinausgeht. Allein das macht einen schnöden Becher Kaffee in unseren Augen wertvoller.
3_2015
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Au f ei n en B lick
Die Regeln des
»Branding«
1
Erfolgreiche Marken
aktivieren das Beloh­
nungssystem im Gehirn
und beeinflussen so die
Kaufentscheidung.
2
Starke Marken kön­
nen sogar die Wahr­
nehmung verändern: Ein
Produkt mit bekanntem
Label schmeckt Proban­
den besser als das iden­
tische Lebensmittel mit
dem Logo eines unbe­
kannten Herstellers.
3
Die akustische Mar­
kenführung (Audio­
branding) gewinnt in der
Werbebranche an Bedeu­
tung, da wir uns akusti­
schen Reizen schlechter
entziehen können als
visuellen.
Ob wir das entsprechende Produkt kaufen
terschiedlich wahrgenommen wird, liefert die
oder nicht, hänge davon ab, ob wir die erhoffte
Kaffeemarke den Rahmen für das Produkt.
Belohnung oder den schmerzlichen finanziellen
­Starbucks verkaufe zwar eigentlich auch nur
Verlust als stärker empfinden, meint Scheier. So
Kaffee, meint Christian Scheier, die implizite
gesehen gebe es zwei Möglichkeiten, Menschen
Botschaft aber laute: Bei uns ist eine Tasse Kaf-
zum Kauf zu veranlassen: »Ich kann entweder
fee wie ein Kurzurlaub. Und vier Euro für einen
den Schmerz reduzieren oder die Belohnung er-
Kurzurlaub? Das ist nun wirklich nicht zu viel
höhen. Marken tun Letzteres.«
verlangt!
Starke Marken machen Produkte in unserer
Auch für etablierte Produkte lohnt es sich of-
Wahrnehmung also wertvoller. Doch was genau
fenbar, den Markenhebel immer wieder neu zu
hebt Starbucks über andere Kaffee-Hersteller hi-
justieren. So startete die Deutsche Telekom 2008
naus? »Wenn ich Konsumenten frage: ›Warum
ihre Kampagne »Erleben, was verbindet«. »Ein
gehst du zu Starbucks?‹, dann antworten sie in
schönes Beispiel, wie sich durch einen neuen
der Regel: ›Na ja, der Kaffee schmeckt da beson-
Marketingchef das Marketing über die Jahre
ders gut!‹«, so Christian Scheier. Doch das ist
stark verändern kann«, sagt Scheier. »Die Frage
nicht der wahre Grund: Das amerikanische Ver-
lautete: Was wäre für die Telekom ein zeitge-
brauchermagazin »Consumer Reports« veröf-
mäßes Markenversprechen? So entstand der Slo-
fentlichte 2011 die Ergebnisse eines so genannten
gan ›Life is for sharing‹. Die Belohnung besteht
Blindtests, in dem Produkte bewertet werden,
darin, dass wir in unserer hektischen Welt mit
während die Marke verdeckt bleibt. Dabei schnitt
der Marke Telekom dennoch unser Erleben mit-
der Kaffee von Starbucks nicht besser ab als etwa
einander teilen können.«
der halb so teure der Supermarktkette Walmart.
Der Einrahmungseffekt
36
Eine der erfolgreichsten Werbekampagnen
lancierte der Seifenhersteller Dove. Anfang der
1990er Jahre lag der Wert der Marke laut dem
Die Belohnung bei Starbucks ist nicht der Kaffee
amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Da-
an sich, erklären Scheier und sein Kollege Dirk
vid Aaker noch bei zirka 200 Millionen US-Dol-
Held in ihrem Buch »Was Marken erfolgreich
lar. Heute sei Dove geschätzt fast vier Milliarden
macht«. Vielmehr fungiere das Label Starbucks
US-Dollar wert. Aaker ist der Meinung, dass die-
für das Produkt Kaffee wie ein Rahmen für ein
ser Erfolg vor allem einem geschickten Marke-
Bild – wodurch wir den Kaffee anders wahr­­
ting zu verdanken ist. In der langjährigen Kam-
nehmen. In der Psychologie spricht man vom
pagne zeigte der Seifenhersteller immer wieder
»Framing-Effekt« (Einrahmungseffekt), ein Phä-
leicht bekleidete Frauen, die nicht den vermeint-
nomen, das in unserem Alltag regelmäßig eine
lichen Idealmaßen entsprachen, sich aber nichts-
­Rolle spielt.
destoweniger in fröhlicher, unbeschwerter Run-
Der Hirnforscher Michael Deppe und sein
de amüsierten. Die Belohnung ist hier nicht das
Team von der Universität Münster beobachteten
Pflegeprodukt selbst, sondern psychologische
den Framing-Effekt zum Beispiel bei Zeitungs-
Ent­lastung, meint Scheier. Die Bilder signali­
schlagzeilen. Die Forscher ließen die Versuchs-
sieren: »Du bist okay so, wie du bist – genau wie
personen 30 erfundene Überschriften nach ihrer
diese Frauen.«
Glaubwürdigkeit beurteilen. Die Schlagzeilen
Kaffee wird zum Kurzurlaub; Telekommuni-
waren dabei in vier verschiedene Zeitungen ein-
kation zum Mittel, sein Leben mit den Liebsten
gebettet. Später sollten die Probanden auch die
zu teilen; und Seife verspricht Befreiung vom all-
Glaubwürdigkeit der Zeitungen einschätzen. We-
gegenwärtigen Schönheitsideal. Starke Marken
nig überraschend erschienen die gleichen Aus­
verbinden ihr Produkt also mit einer emotio-
sagen den Probanden deutlich glaubwürdiger,
nalen Belohnung und verändern damit die Wahr-
wenn sie in einer von ihnen als seriös beurteilten
nehmung ein- und desselben Produkts funda-
Zeitung erschienen.
mental. Das haben Marketingfachleute längst
Genau wie die Zeitung den »Rahmen« für
begriffen: Während es in der Werbung früher vor
die Schlagzeile bildet und diese dadurch un­
allem darum ging, die Einzigartigkeit eines ProGehirn und Geist
Oliver Weiss
dukts herauszustellen, verlege man sich inzwi-
Forscher die Probanden in einen Kernspintomo-
schen oft auf das »Emotional Branding«, resü-
grafen und präsentierten ihnen kurz vor der
miert der Psychologe und Markenexperte Bernd
­Verkostung mal eine Coke-, mal eine ­Pepsi-Dose
Schmitt von der Columbia University in New
oder aber ein neutrales Bild. Allein das Foto
York 2012 in einem Übersichtsartikel.
der Coke-Dose aktivierte Hirnregionen wie den
Emotion schlägt Fakten
­dorsolateralen präfrontalen Kortex ­(DLPFC):
Mit dem »Knopf im Ohr«
bewies ein Stofftier­
produzent aus Giengen
an der Brenz bereits
1904 ein gutes Gefühl
für »Markenzeichen«.
Laut früheren Studien ist er involviert, sobald
Wie stark die Gefühle bei Markenpräferenzen
positive Gefühle unser Verhalten beeinflussen.
mitreden, beweisen zahlreiche Untersuchungen.
Außerdem regte sich der Hippocampus, eine für
Legendär und vielfach wiederholt: der Pepsi-­
das Gedächtnis zentrale Hirnregion. Die Forscher
Coke-Test. Der Psychologe Samuel McClure und
vermuten, dass die Probanden, sobald sie die
sein Team in Houston servierten Versuchsper-
­Coke-Dose erblickten, Kontextinforma­tion über
sonen Pepsi und Coca-Cola in neutralen Gläsern,
die Marke abriefen. Die meisten Menschen ha-
so dass die Teilnehmer nicht wussten, was von
ben »Coca-Cola« wohl einfach als das beste Cola-
beiden sie gerade probierten. Die Präferenzen in
Getränk abgespeichert.
dieser Bedingung hielten sich in etwa die Waage,
Christian Scheier kennt eine Menge solcher
schlugen aber tendenziell eher Richtung Pepsi
Beispiele, etwa bei Waschmittelmarken: »Sobald
aus. Selbst bekennende Coca-Cola-Fans mochten
›Persil‹ draufsteht, finden die Probanden, dass
das Produkt des Konkurrenten mindestens ge-
das Produkt besser riecht. Im Blindtest dagegen
nauso gern.
sind sie nicht in der Lage, verschiedene Wasch-
Eine andere Gruppe bekam zweimal Pepsi,
mittel zu unterscheiden.« Wissenschaftler spre-
eine weitere zweimal Coke – allerdings jeweils in
chen in solchen Fällen von einem Placebo-Effekt.
einem Pepsi- und einem Coca-Cola-Glas. Obwohl
Ein Placebo kann tatsächlich deutliche körper-
die Getränke in den verschiedenen Gläsern völlig
liche und psychische Veränderungen auslösen,
identisch waren, schmeckte den Probanden stets
wenn man daran glaubt.
das Getränk im Coke-Glas deutlich besser, auch
So konnten Forscher vom Massachusetts In-
dann, wenn Pepsi drin war. Schließlich legten die
stitute of Technology nachweisen, dass sich der
3_2015
Ausgezeichnet
37
Oliver Weiss
Mit Jingle zum Kult
Coca-Cola nutzte zwar
schon früh Musik in der
Werbung, wechselte
aber lange Zeit von
Kampagne zu Kampagne
die Melodie. Erst Ende
der 1990er Jahre entschied man sich für ein
»Sound-Logo«, das immer
wieder in verschiedene
Songs integriert wird.
Blutdruck von Probanden nach Konsum eines
Preis weckte also eine positive Erwartung an die
vermeintlichen Energydrinks erhöhte, obwohl
Qualität des Produkts.
das Getränk keinerlei blutdrucksteigernde Wirk-
90 Dollar für eine Flasche Wein? Na gut, wenn
stoffe enthielt. Die Versuchspersonen zeigten
wir uns dadurch für einen Abend etwas Luxus
­sogar eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit, so-
­erkaufen können. Vier Euro für Kaffee? Na klar,
fern sie vom Effekt derartiger Getränke im Allge-
wenn damit der Kaffee zur ersehnten Auszeit
meinen überzeugt waren.
verhilft! Bekannte Marken haben ihr implizites
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Hilke Plass-
Image längst in unsere Köpfe gebrannt. Doch die
mann und ihre Kollegen bewiesen 2008 in einem
wenigsten schaffen es, dass Verbraucher gezielt
Experiment, dass auch der Preis als Placebo wir-
nach ihnen suchen. Daher ist es für neue wie
ken kann. Sie ließen ihre Probanden im Hirn-
für etablierte Marken gleichermaßen wichtig,
scanner verschiedene Weine testen und deren
im Alltag der Verbraucher präsent zu sein – und
Geschmack bewerten. Einen Wein verabreichten
das möglichst auffallend. Die Möglichkeiten da-
sie ohne das Wissen der Probanden zweimal –
für sind vielfältig und sprechen im besten Fall
einmal als Billigwein für 10 US-Dollar und ein-
alle Sinne des potenziellen Käufers an, also nicht
mal als Luxusprodukt für 90 US-Dollar.
nur die Augen, sondern zum Beispiel auch die
Bei dem vermeintlich teuren Wein war das
­Belohnungssystem, speziell der orbitofrontale
Kortex, vermehrt aktiv. Diese Hirnregion gilt als
38
Ohren.
Besser mit Musik? Logo!
eine Kontrollinstanz, wenn es darum geht, Infor-
Der Psychologe Michael Oehler ist Professor für
mationen bezüglich ihres Belohnungsgehalts zu
musikalische Akustik an der Fachhochschule
bewerten. Tatsächlich schmeckte der Wein den
Düsseldorf und Präsident der Gesellschaft für
Probanden nach eigener Auskunft besser. Der
Musikpsychologie. Er beschäftigt sich unter anGehirn und Geist
derem mit dem so genannten Audiobranding.
der Universität Mannheim zeigte, bestimmt we-
»Wegschauen ist leicht, weghören nicht. Das
niger die Zufriedenheit mit dem Produkt die
ist der Vorteil von akustischer Markenführung«,
Markentreue. Maßgeblich dafür sind vielmehr
erklärt Oehler. So sei es etwa günstig für eine
demografischen Faktoren und Persönlichkeits-
Marke, über ein akustisch gut wahrnehmbares
merkmale der Konsumenten. Homburg schickte
und wiedererkennbares Logo zu verfügen.
einen Fragebogen an 3000 zufällig ausgewählte
Im Gegensatz zu vielen Unternehmen, die
Menschen, die zwei Jahre zuvor jeweils ein Fahr-
Sounddesign lange als nettes Beiwerk betrach­
zeug einer deutschen Automarke gekauft hatten.
teten, hat sich etwa die Deutsche Telekom früh
Knapp 1000 Befragte sandten den Bogen ausge-
damit auseinandergesetzt. Ihr »Logo«, eine ein-
füllt zurück. Wie erwartet waren mit dem Wagen
fache Abfolge von fünf relativ hohen Tönen, ist
zufriedene Kunden insgesamt der Marke gegen-
sehr bekannt und so gestaltet, dass sie sich gegen
über loyaler und gaben eher an, das nächste Auto
andere Geräusche gut durchsetzt. »Selbst wenn
beim selben Händler kaufen zu wollen. Doch war
ich in der Küche bin und die Waschmaschine
der Effekt zum Beispiel bei Männern größer als
läuft, nehme ich wahr, wenn im Wohnzimmer
bei Frauen. Für Letztere spielte die Zufriedenheit
eine Telekomwerbung läuft«, sagt Oehler.
mit dem Produkt für die nächste Kaufentschei-
Andere Geräusche wie der dumpfe Herzschlag
von Audi hätten dagegen vor allem dann einen
Effekt, wenn man wirklich zuhöre. Gerade Fern-
dung keine so große Rolle.
Wie man treue Kunden gewinnt
seh- und Radiowerbung werde aber häufig nicht
Stattdessen war den Frauen die Qualität des per-
bewusst rezipiert. Immer häufiger beziehen Un-
sönlichen Kontakts mit dem Händler wichtiger.
ternehmen daher Erkenntnisse aus der Psycho­
Ältere Menschen legten ebenfalls weniger Wert
akustik und Musikpsychologie bei der Werbung
auf die bisherige Zufriedenheit mit dem Gefährt,
mit ein: Welche Klänge fallen auf? Wann wirkt
wahrscheinlich war es ihnen einfach zu müh-
eine Sprechstimme angenehm? Welche Musik
sam, vor dem Kauf rationale Argumente für
weckt Assoziationen, die den Charakter des Pro-
und gegen eine Automarke zu sammeln. Auch
dukts unterstreichen?
Gutverdiener blieben der gewohnten Marke eher
Die akustische Gestaltung einer Marke be-
treu, selbst wenn sie eigentlich nicht vollkom-
schränkt sich dabei längst nicht auf Werbe­jingles.
men zufrieden waren – vielleicht, weil sie das
Schon im Jahr 1997 konnte der Psychologe Adrian
­finanzielle Risiko eines Fehlkaufs nicht so sehr
North in seiner viel zitierten Studie nachweisen,
schreckte.
dass in einem Supermarkt mehr französische
Schließlich gab es noch Menschen, denen es
Weine verkauft werden, wenn im Hintergrund
einfach Spaß macht, immer wieder etwas Neues
französische Akkordeon-Musik erklingt – und im
auszuprobieren. Teilnehmer, die laut einem Per-
Gegenzug mehr deutscher Wein bei deutscher
sönlichkeitstest diese Eigenschaft besaßen, be-
Blasmusik.
kundeten häufig, die Automarke wechseln zu
Heute verwenden Fluggesellschaften bestimmte Geräusche und Musik in der Wartehalle,
wollen, selbst wenn sie mit dem alten Auto zufrieden waren.
um den Passagieren ein Gefühl von Sicherheit
Bekannt ist auch, dass es eine Verbindung zwi-
und Verlässlichkeit zu vermitteln – ganz im Ge-
schen der Marke und dem Selbstbild des Kunden
gensatz zur »flippigen« Musik in Läden für junge
gibt. Allerdings ist fraglich, ob der Charakter des
Verbraucher, besonders im Modehäusern oder
Labels eher zum Selbstbild des Konsumenten
Elektronikmärkten. Werbung beeinflusst uns, ob
passen muss oder zum Idealbild, also dem, wie er
wir wollen oder nicht, allerdings individuell un-
gern wäre. Die meisten Kosmetikhersteller wer-
terschiedlich.
ben nach wie vor ausschließlich mit einem
Inwiefern wir uns an Marken orientieren und
Schönheitsideal. Wegen des großen Erfolgs der
wie empfänglich wir für ein spezielles Image
Dove-Kampagne vermuteten die Wirtschaftswis-
sind, hängt nämlich auch von uns selbst ab: Wie
senschaftlerin Lucia Malär und ihren Kollegen
der Marketingprofessor Christian Homburg von
von der Universität Bern allerdings, dass es wo-
3_2015
Immer häufiger
beziehen Unternehmen Erkenntnisse aus
der Psychoakustik und Musikpsychologie
bei der Werbung
mit ein. Welche
Klänge fallen
auf? Wann wirkt
eine Sprechstim­
me angenehm?
Welche Musik
weckt Assozia­
tionen, die den
Charakter des
Produkts unter­
streichen?
39
Marco Finkenstein
Literaturtipp
Scheier, C., Held, D.: Was
Marken erfolgreich macht.
Neuropsychologie in der
Markenführung. Haufe,
Freiburg 2012
Wissenschaftlich fundierte
Übersicht mit vielen
­spannenden Fallbeispielen
Quellen
Laroche, M.: To Be or not to
Be in Social Media: How
Brand Loyalty is Affected by
Social Media? In: International Journal of Information
Management 33, S. 76 – 82,
2013
Malär, L.: Emotional Brand
Attachment and Brand
Personality. The Relative
Importance of the Actual
and the Ideal Self. In: Journal
of Marketing 75, S. 35 – 52,
2011.
Schmitt, B.: The Consumer
Psychology of Brands. In:
Journal of Consumer Psychology 22, S. 7 – 17, 2012
Weitere Literatur im Internet:
www.spektrum.de/artikel/
1327343
40
möglich sinnvoller ist, dem tatsächlichen Selbst-
Marken überall: hier das Werbeplakat, da die
bild der Verbraucher nahezukommen. Sie be-
eingängige Melodie, die uns nicht mehr aus
fragten Kunden zu ihrer emotionalen Bindung
dem Kopf geht. Es scheint, als wären wir Spiel­
gegenüber den von ihnen präferierten Marken.
bälle einer übermächtigen Werbeindustrie, die
Fazit: Versuchten die Hersteller eher an das Ideal-
sich zunehmend darauf spezialisiert, in unseren
bild ihrer Kunden anzuknüpfen, war die Marke
­Köpfen den Schalter auf Autopilot umzulegen.
weniger erfolgreich, als wenn sie die realen Um-
Womöglich schmuggeln die Hersteller ihre Wer-
stände berücksichtigten.
bebotschaften sogar unbemerkt in mein Gehirn?
»Passt das zu mir?«
Haben Sie noch vage die »wissenschaftliche Studie« im Kopf, bei der der Forscher James Vicary
Allerdings fanden Wissenschaftler heraus, dass
Kinobesuchern während des Films Coca-Cola-
unter bestimmten Bedingungen die Werbung
Werbung im Mikrosekundenbereich – also nicht
mit dem Idealbild doch erfolgreich sein kann –
bewusst wahrnehmbar – präsentierte? Die Zu-
nämlich immer dann, wenn das Selbstwertge-
schauer hätten danach deutlich mehr Coke
fühl der Verbraucher nicht besonders hoch ist.
gekauft! Doch der Autor selbst hat Jahre später
Von der selbstbildorientierten Dove-Kampagne
zugegeben, dass er das Ergebnis bloß erfunden
sollten sich demnach vor allem selbstbewusste
hatte. Laut neueren Studien können »unter-
Konsumentinnen angesprochen fühlen, die sich
schwellige« Botschaften zwar etwas bewirken,
in den gezeigten Frauen wiedererkennen.
aber der Effekt ist begrenzt.
Die Möglichkeiten, eine emotionale Bindung
Werbung habe schon genug damit zu tun, mit
zu den Kunden herzustellen, sind durch das
bewussten Inhalten Eindruck auf den Konsu­
­Internet stark gewachsen. Ein Team um den Wirt-
men­ten zu machen, sagt Musikpsychologe Oeh-
schaftspsychologen Michel Laroche von der Con-
ler: »So beeinflussbar, wie manche vermuten,
cordia University bestätigte 2013, dass es ­einer
sind wir gar nicht.« Marketingexperte Chris­tian
Marke durchaus nützt, sich in sozialen Netzwer-
Scheier sieht das ähnlich: »Neben unserem Auto-
ken wie facebook, MySpace oder Twitter zu posi-
piloten existiert schließlich auch ein Pilot.« Ÿ
tionieren. Die Forscher ließen dazu Follower von
Marken in den Netzwerken einen Fragebogen
ausfüllen. Es kam heraus, dass soziale Netzwerke
die Beziehung und das Vertrauen zur Marke und
zum Unternehmen, aber auch unter den Anhängern stärken – was wiederum einen positiven
Miriam Berger ist Psychologin
und Wissenschaftsjournalistin in Köln.
Inzwischen nimmt sie sich immer
eine Thermoskanne voll Kaffee zur
Arbeit mit.
­Effekt auf die Treue zum Produkt hatte.
Gehirn und Geist