Fragen zum Kinderheim Steig - Kinderheime in der Schweiz

Innerrhoden
AV/Mittwoch, 5. August 2015
5
Fragen zum Kinderheim Steig
Die Aktenlage zum Heimalltag in der «Stääg» ist dürftig
Aufgrund eines Zeitungsberichts wollte Grossrat Martin Breitenmoser in der
Märzsession des Innerrhoder Grossen
Rates von der Standeskommission wissen, ob die Geschichte des Kinderheims
Steig je aufgearbeitet wurde.
Monica Dörig
Im Frühling weckte ein Artikel in der
Appenzeller Zeitung die Aufmerksamkeit
mancher Leser. Aus Rom wurde berichtet, dass das Appenzeller Zwillingspaar
Erika Betschart und Oskar Brülisauer
den Papst besuchen wollten. Eingeladen
hatte sie Guido Fluri, der die Wiedergutmachungs-Initiative für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen lanciert hat.
Das Begehren verlangt für Betroffene
eine Entschädigung in der Höhe von 500
Millionen Franken, ausserdem wird eine
Aufarbeitung des dunklen Kapitels der
Schweizer Sozialgeschichte verlangt. Der
Zuger Unternehmer war selber fremdplatziert und im Heim. Seine beiden Begleiter verbrachten ihre ganze Kindheit,
von den ersten Lebenstagen bis zum Ende
der obligatorischen Schulzeit, im Kinderheim Steig bei Appenzell, das damals von
Ingenbohler Schwestern geführt wurde.
Sie wurden beide – wie wohl zahlreiche
andere Kinder während des 130-jährigen
Bestehens der Einrichtung – missbraucht Die Aktenlage zum ehemaligen Kinderheim Steig ist dürftig. Neben Dokumenten, die Schutzfristen unterstehen, gibt es nur Weniges aus dem Heimalltag, wie etwa Haushaltbücher. (Bild: Monica Dörig)
und misshandelt. Die Folgen davon beeinträchtigen noch heute ihr Leben.
sagten sowohl Sandro Frefel als auch An- wird es einige Zeit dauern, bis Resultate Betroffenen haben das Recht und die Öf- Rahmen der wöchentlichen Generalaudifentlichkeit hat die Pflicht», sagte er im enz. Der Besuch beim Pontifex im Frühtonia Fässler. Eine neutrale Sicht da­r auf vorliegen.
Keine Protokolle zum Heimalltag
gebe es nicht. Das Kinderheim wurde Sandro Frefel präzisierte, dass es sich um Grossen Rat. Man sollte auf die Betrof- ling (der vom Schweizer Fernsehen beIn der Innerrhoder Grossratssession vom 1982 geschlossen. (Heute beherbergt die eine vergleichende Forschungsanlage zu fenen zugehen und etwas unternehmen gleitet wurde) hat aus Zeitmangel nicht
30. März 2015 stellte der Appenzeller «stääg» nach Um- und Erweiterungsbau- behördlich angeordneten Fremdplatzie- bevor sie «Ansprüche stellen» und «der geklappt. Laut Erika Betschart ist die
Grossrat Martin Breitenmoser die Frage, ten ein Wohnheim und eine Werkstätte rungen handle. Exemplarisch werden da- Kanton mit dem Rücken zur Wand» stehe. nächste Reise in den Vatikan im Septemob die Geschehnisse im Kinderheim je- für behinderte Erwachsene.) Die letzten bei zwei Heime in kleinen Kantonen verber geplant. Die Geschwister Brülisauer
Geschenk für den Papst
mals aufgearbeitet wurden, ob es denkbar «Zöglinge», die Gewalt und Missbrauch glichen: das im ländlichen katholischen
und Guido Fluri wollen Papst Franziskus
sei, dass die Betroffenen eine öffentliche erlebt haben wie die Geschwister Brülis­ Innerrhoden betriebene Kinderheim Auch Papst Franziskus war auf die An- ein reichverziertes Kruzifix mit einem
Entschuldigung oder allenfalls eine finan- auer, sind meist über 60 Jahre alt; die Steig und eine städtische reformierte Ein- liegen der ehemaligen Heim- und Ver- Knochensplitter des Hl. Franz von Assisi
richtung in Basel. Martin Breitenmoser dingkinder in der Schweiz aufmerksam überbringen – ein Geschenk im Namen
Zeit drängt also.
zielle Entschädigung erhalten könnten.
Frau Statthalter Antonia Fässler antwor- Es scheint auch keine Berichte über geht es hingegen darum, die Geschichte geworden – durch einen Brief von Guido der Schweizer Opfer von Willkür und Getete, eine systematische Aufarbeitung des Kon­trollen des Heims durch Vormund- der «Stääg» proaktiv anzugehen: «Die Fluri und seine Bitte um ein Treffen im walt in kirchlichen Einrichtungen.
Alltags in der «Stääg» gebe es nicht. Der schaftsbehörden oder andere VerantHeimalltag sei nicht aktenkundig. «Bevor wortliche aus jener Zeit zu geben. Sandro
der Kanton eine Entschuldigung ausspre- Frefel weiss von einem aktenkundigen
chen oder über Entschädigungszahlun- Vorfall 1948: Einige Waisenkinder waren
gen befinden kann, sind die laufenden aus dem Heim weggelaufen. Die ArmenArbeiten auf Bundes- und später auf Kan- kommission liess daraufhin von externer
(mo) Seit dem 1. August 2014 erhalten
tonsebene abzuwarten», sagte sie später Stelle eine Expertise über den HeimallOpfer von fürsorgerischen Massnahtag erstellen. Es wurden einige Verbesauf Nachfrage.
men laut Anordnung des Bundes das
Auch Landesarchivar Sandro Frefel bestä- serungen vorgeschlagen, zum Beispiel
Recht auf Akteneinsicht. Diese bestand
tigte auf Anfrage die dürftige Aktenlage. bessere Betreuung durch mehr Personal,
in Appenzell Innerrhoden und in vielen
Es existieren Namenslisten mit Eintritts- abwechslungsreichere Mahlzeiten, sowie
andern Kantonen schon zuvor – «für
und Austrittsdaten. Diese unterstehen bei der Strafpraxis und im baulichen Besämtliche staatlichen Bereiche mit Bewegen sensibler Personendaten einer reich. Einiges davon sei in den Fünfzigertroffenen», präzisierte Sandro Frefel.
Schutzfrist von 90 Jahren. Bei den we- jahren umgesetzt worden.
«Die Archive wollen nichts verbergen»,
nigen Verwaltungsakten zur «Stääg» gilt
sagte er anlässlich eines Augenscheins
Dissertation in Arbeit
eine Schutzfrist von 30 Jahren – wie für
im Landesarchiv. Sie seien offen und
sämtliches nicht veröffentlichtes Archiv- Laut Auskunft von Sandro Frefel wurde
versuchten, Betroffenen unkompliziert
gut des Kantons. «Das sind im Schweizer das Angebot zur Akteneinsicht im Inzu helfen; sie beschaffen Akten und
Vergleich übliche Fristen, die primär die nerrhoder Landesarchiv lediglich von
begleiten Interessierte bei der DurchBetroffenen schützen sollen», erklärt etwa drei Personen genutzt. Auch Erika
sicht. Die Archivare hätten aber auch
Sandro Frefel. Über die Vorgänge im Betschart wollte die Akten nicht sehen.
die Pflicht, Opfer zu schützen, indem
Heim gibt es seines Wissens keine Proto- Frefel fügte hinzu, etwa die Hälfte der
sie ihre Daten vertraulich behandeln,
kolle – er vermutet, dass nie etwas doku- Familien der Heimkinder sei nicht in Inergänzte er. Mit der Unterstützung bei
mentiert wurde. Auch die Nachfrage im nerrhoden wohnhaft gewesen, sie hatten
der Suche nach der Vergangenheit wolArchiv von Ingenbohl habe nichts zutage lediglich das Innerrhoder Bürgerrecht;
le er den Betroffenen vermitteln, «dass
gebracht.
die Kinder wurden daher hier untergestaatliches Wirken anders aussehen
Im Innerrhoder Landesarchiv gibt es bracht – wie früher auch verarmte oder
kann, als sie es in ihrer Kindheit und
neben den geschützten Dokumenten nur kranke Menschen ins «Armenhaus» ihres
Jugend erlebt haben».
Alltägliches wie beispielsweise akkurat Heimatorts kamen.
Der Landesarchivar wurde von der
geführte Haushaltsjournale des Heims, Zum Zeitpunkt der Frage von Grossrat
Standeskommission 2013 als Ansprechdie ein bisschen etwas über den Heim­ Breitenmoser lag der Gesetzesentwurf
person benannt für Opfer von fürsorgealltag aussagen.
des Bundesrats – ein indirekter Gegenrischen Massnahmen, die Akteneinsicht
Eine Schutzfrist von 90 Jahren besteht vorschlag zur Wiedergutmachungsinitiawünschen, und wurde beauftragt, eine
auch für Vormundschaftsakten, die Be- tive – noch nicht vor, weshalb sich AntoÜbersicht zu erstellen über Akten, die
richte über die Entwicklung der Heim- nia Fässler nicht darauf beziehen konnte.
ehemalige Bewohner des Kinderheims Betroffene erhalten auf Wunsch Einsicht in die Akten der Vormundschaftsbehörde. (Bild: mo)
kinder und Jugendlichen enthalten könn- Sie erwähnte in der Antwort auf Martin
Steig interessieren könnten.
ten.
Im April vergangenen Jahres wurde ein digkeit beim Runden Tisch des Bundes steller in ihrer Kindheit untergebracht
Breitenmosers Anfrage eine Dissertation
nationaler Soforthilfefonds geschaffen, liegt, wissen wir nicht, ob jemand aus waren. Der Runde Tisch macht sich über
im Rahmen eines Nationalfondsprojekts
Informationen nur von Zeitzeugen
zum Thema. Die Standeskommission
welcher mit freiwilligen Beiträgen von der Innerrhoder Bevölkerung sich dort die Auszahlung von Soforthilfe hinaus
Kantonen, Städten, Gemeinden, priva- gemeldet hat», erklärte Antonia Fässler dafür stark, das dunkle Kapitel aufzuLaut Protokoll der Grossratssitzung wies hat dafür Akteneinsicht gutgeheissen.
ten Organisationen und Unternehmen auf Anfrage. In der Appenzeller Zeitung arbeiten – unter anderem «um die geAntonia Fässler darauf hin, dass aus heu- (Für Forschungsarbeiten oder wenn ein
sowie von Privatpersonen geäufnet wur- vom 10. Juli war zu lesen, dass aus der sellschaftliche Anerkennung begangetiger Sicht fragwürdige Erziehungsmetho- legitimes Interesse gegeben ist, kann
de. Der Kanton Appenzell Innerrhoden Ostschweiz 112 Gesuche eingegangen nen Unrechts und erlittenen Leids zum
den bis in die 60er- und 70er-Jahre des die Standeskommission bei Akten mit
hat sich mit einem Beitrag von 10 000 und behandelt worden sind. 64 Geld- Ausdruck zu bringen.»
letzten Jahrhunderts noch weit verbreitet schützenswerten Personaldaten – oder
Franken an diesem Fonds beteiligt. beträge wurden inzwischen ausbezahlt, Am 24. Juni 2015 hat der Bundesrat eine
und entsprechend in den damaligen Un- bei Verwaltungsakten der zuständige
Insgesamt kamen 5,8 Mio. Franken sechs wurden abgelehnt und 42 Antrag- Vorlage für eine umfassende Aufarbeiterlagen nicht negativ vermerkt wurden. Amtsleiter – die Schutzfrist aufheben.)
zusammen. Bis Ende letzten Monats steller warten noch auf den Entscheid. tung der fürsorgerischen ZwangsmassSie verwies auf eine Publikation von alt Man werde abwarten ob die Resultate
konnten in wirtschaftliche Not gerate- Sieben Anträge kamen aus dem Appen- nahmen und Fremdplatzierungen in die
Landesarchivar Hermann Bischofberger der Doktorarbeit den Bedürfnissen Inne Opfer Gesuche für Soforthilfe an den zellerland, fünf Antragssteller erhielten Vernehmlassung gegeben. Diese sieht
und eine Maturaarbeit zum Thema aus nerrhodens nach Informationen zu den
vom Eidgenössischen Justiz- und Poli- finanzielle Unterstützung; zwei Anträge unter anderem auch SolidaritätsbeiGeschehnissen in der «Stääg» entspredem Jahr 2005.
zeidepartement gegründeten «Runden wurden abgelehnt. Die Zahlen sagen je- träge im Gesamtumfang von 300 Mio.
Wegen der mageren Aktenlage könne chen, sagte Antonia Fässler. Andernfalls
Tisch» in Bern richten. «Da die Zustän- doch nichts darüber aus, wo die Antrag- Franken für alle Opfer vor.
man nur durch Interviews mit Betroffe- müsse man prüfen, ob weitere Schritte
nen etwas über die Zustände erfahren, eingeleitet werden sollen. Naturgemäss
Akteneinsicht und Soforthilfe
Innerrhoden
AV/Donnerstag, 6. August 2015
5
Harte Arbeit und wenige Festtage
Der Heimalltag in der «Stääg» war für viele Kinder traumatisierend
2005 hat der damalige Appenzeller
Gymnasiast Matthias Rusch die geschichtlichen Hintergründe und Erinnerungen von ehemaligen Heimkindern
der «Stääg» aus den Jahren 1930 bis
1950 in seiner Matura-Arbeit zusammengefasst.
Monica Dörig
Die heutige Generation könne sich kaum
mehr vorstellen unter welch unglaublicher Armut Familien in Appenzell früher
lebten, welch harter Umgang zum Teil
mit den Kindern gepflegt wurde, schreibt
Matthias Rusch einleitend. Erzählungen
von betagten Nachbarn haben ihn motiviert, die Geschichte der «Stääg» zum
Thema seiner Matura-Arbeit zu machen.
Heute erinnert nichts mehr an das damalige Kinderheim am Rand des Innerrhoder Hauptorts, das 130 Jahre
lang bestand. Für den Verfasser war
es schwierig, Zeugen des Heimalltags
zu finden, die bereit waren über ihre
Kindheit zu reden. Viele Angefragte sagten, sie ertrügen es nicht, nochmals an
die schlimme Zeit erinnert zu werden.
Drei Gesprächspartner hat der Student
schliesslich gefunden. Sie stehen stellvertretend, sind aber nicht repräsentativ
für etwa 200 Buben und Mädchen, die
zwischen 1939 und 1950 im von Ingenbohler Schwestern betriebenen Kinderheim lebten.
Arbeits- und Festtage
Die Mutter von Theres Brülisauer (geboren 1929) hatte bereits sechs Kinder als
sie mit 29 Jahren starb. Ihr kleines Brüderchen starb im Alter von drei Monaten
nach der Einweisung aller Geschwister
ins Kinderheim Steig. Der Vater, ein Taglöhner besuchte seine Kinder jeden Sonntag. «Er war ein guter Vater, ohne seine
Besuche wäre es kaum auszuhalten gewesen, sagt die 86-Jährige heute.
Die Oberin überwachte den Heimalltag,
der von Schulunterricht und Arbeit geprägt war. Sechs Ingenbohler Schwestern
betreuten Buben und Mädchen separat,
eine davon war Lehrerin, eine Köchin
1972 sorgten die Innerrhoder Bäcker am Dreikönigstag für ein Fest im ehemaligen Kinderheim Steig. eine zuständig für die Kleinkinder. Die
Nonnen waren streng. «Wir wurden oft
und nur wegen Kleinigkeiten geschlagen,
mit dem Teppichklopfer oder mit Holzstäben», dikitierte Theres Brülis­
a uer
dem Maturanden. Zehn Kindheitsjahre
verlebte sie in der Steig. Einmal, in der
siebten Klasse wurde sie von der Lehrerin und der Oberin gemeinsam malträtiert: Während die eine das Mädchen an
den Beinen festhielt, schlug die andere
zu. «Für eine ungenügende Lesitung im
Schuluntericht gab es bis zu 24 Tatzen»,
erzählte sie der Schreibenden.
Der schönste Tag für Theres Brülisauer
war der Tag der ersten Hl. Kommunion,
wie sie Matthias Rusch berichtete. Am
weiss gedeckten Tisch gab es Kakao und
Kuchen.
Laut den Erzählungen von Betroffenen hat
es auch einfühlsame gute Schwestern im
Heim gegeben. «Aber die blieben nicht
lange...», sagte Theres Brülisauer.
In den zehnwöchigen Sommerferien
mussten die Mädchen stricken, die Matratzen reinigen und das Heim putzen.
Ein Festtag in der Ferienzeit war der
«Bäbelitag»: Dann durften die Kinder als
Belohnung für ihren Arbeitseinsatz mit
(Bild: Museum Appenzell)
selbstgezeichnetem Papiergeld von den
Schwestern Süssigkeiten «kaufen». Echtes Geld, das die Kinder erhielten, zum
Beispiel den Neujahrs-Batzen, mussten
sie abgeben.
schonern. Manches musste auch zur kalten Jahreszeit barfuss gehen – zur Strafe
oder weil keine Schuhe mehr verfügbar
waren. Sie mussten in Zweierreihen gehen, wie eine Sträflingskolonie.
Erst ab den Siebzigerjahren fielen die
Heimkinder nicht mehr durch die Kleidung auf. Schon seit den Fünfzigerjahren
begann sich die Situation in der Steig zu
bessern – auch weil es den Menschen in
Innerrhoden besser ging und nicht mehr
so viele Kinder im Heim platziert wurden.
Manche Dorfbewohner geben zu, dass
sie mitbekommen haben, dass die Kinder von der «Stääg» gepeinigt wurden,
dass sie hungrig waren oder kränklich.
Sie sagen auch, dass sie als Kinder gar
nicht richtig gewusst haben, was es mit
der Steig auf sich habe. Manche glaubten, dass dort die bösen Kinder gefangen
gehalten wurden.
Die Heimkinder wurden als dumm abgestempelt. Wenige konnten eine Ausbildung machen; viele haben im Leben nie
richtig Fuss gefasst. Mancher ehemalige
Heimbewohner leidet noch heute unter
psychischen oder physischen Problemen,
die auf die Behandlung in der «Stääg» zurückzuführen sind. Manche litten ihr Leben lang unter wirtschaftlicher Not und
tun es bis heute.
Der eine oder die andere ältere Dorfbewohnerin erinnert sich, dass sie Mitleid
mit den gleichaltrigen Buben und Mädchen hatten, vielleicht einmal etwas vom
Znüni abgegeben oder für eines Partei
ergriffen haben. Genau hingeschaut haben aber offenbar weder Lehrkräfte noch
Behördenmitglieder oder Mitbürger.
anstrengenden Aufgaben kaum bewältigen konnte.
Theres Brülisauer hat, als ihre Nichten
und Neffen das selbe Schicksal erlitten,
dafür gesorgt, dass sie diese Arbeitsstellen «wo sie es nicht gut hatten», verlassen
Hartes Leben danach
konnten. «Ich habe niemanden gefürchWie Theres Brülisauer erzählen auch an- tet, auch den Vormund nicht, sagt sie
dere Zeugen von drastischen Strafen, die noch heute mit kämpferischer Haltung.
Bettnässer erleiden mussten. Es gab viele
Diskriminiert und abgestempelt
Kinder, die aus Angst ins Bett machten.
Die Massnahmen reichten von verbaler Einen weiteren Grund für die Themenwahl
Erniedrigung, über Essensentzug und für seine Matura-Arbeit nennt Matthias
dem Verbot die Eltern zu sehen, bis zu Rusch im Vorwort: «...weil wir Menschen Quelle: Matura-Arbeit von Matthias Rusch, 2005
anscheinend schnell und gern VergangeUntertauchen im Brunnen.
Theres Brülisauer dichtete, als das Kin- nes vergessen.» Kommt man mit älteren
derheim 1982 geschlossen wurde: «Das Dorfbewohnern ins Gespräch, hört man
Folterhaus wird abgebrochen, mir tun noch einige Anekdoten, zum Schulalltag
nicht mehr weh die Knochen.» Sie sag- beispielsweise. Auch dort waren körperte zu Matthias Rusch, sie habe mit den liche Strafen noch lange an der TagesordKindheitserlebnissen
abgeschlossen; nung. Besonders arg traf es die «Riedler»
«alle müssen sich am Ende selbst vor dem oder die Kinder von der Steig. Auch im
Dorf behandelte man sie abschätzig, sei
Schöpfer verantworten».
Nach der fünften Klasse traten die Heim- es beim sonntäglichen Kirchgang oder
kinder damals in die Dorfschule über. Mit auf Pausenplatz und Schulweg, wo sie oft
14 Jahren wurden sie aus der Schulpflicht schlimm getrietzt wurden.
entlassen und zur Arbeit auf Bauernhö- Die Heimkinder waren von Weitem zu erfe oder in Haushalte geschickt. Manches kennen an ihren ärmlichen Uniformen,
Kind war jedoch so schwach, dass es die geflickten Hosen und speckigen Ärmel- Theres Brülisauer. (Bild: mo)
Waisenanstalt Steig: vom Heim für Bettler bis zum Kinderhort
(mo) Vermögende Reisende, die im
19. Jahrhundert das Appenzellerland
besuchten, berichteten, Appenzell Innerrhoden beginne dort, wo man massenhaft von Bettlern belästigt werde.
Vor 1840 lebten mindestens 300 Bettler
dauerhaft im Kanton. Man versuchte der
Lage Herr zu werden mit Massnahmen
wie Arbeitsbeschaffung und der Platzierung von Kindern in Pflegefamilien –
auch um Kurgäste und Hoteliers nicht zu
verprellen. Wer keinen Platz fand, kam
ins Armenhaus und ins Spital (nicht das
heutige Krankenhaus). Kinder mussten
zusammen leben mit verarmten Erwachsenen, Behinderten, psychisch Kranken
und straffällig gewordenen Personen.
Um den unhaltbaren Zustand zu ändern,
wurde 1853 beschlossen, 40 Waisenkinder in die Obhut der Barmherzigen
Schwestern zu übergeben. Dazu wurde
das Steiggut an der Strasse nach Haslen
zur Verfügung gestellt, das die Obrigkeit
im 18. Jahrhundert erworben hatte. Als
Gründer der Waisenanstalt gelten die
Brüder Johann Anton Knill (1804-1878),
bischöflicher Kommissarius und Pfarrer
von Appenzell, und Landesfähnrich Dr.
Johann Baptist Knill (1807-1873).
Arbeitsschule für Mädchen
Die ersten beiden Ingenbohler Schwestern mussten für den Heimbetrieb von
Grund auf alles besorgen und erarbeiten, bis hin zu der Bettwäsche, die sie
selbst nähten. Laut einem Bericht, den
Hermann Bischofberger sel. 2009 in der
Jubiläumsschrift zum 25-jährigen Bestehen der heutigen «stääg» (Werkstätte
und Wohnheim für behinderte Erwachsene) zitierte, waren die Waisen «meistens halbnackt». Laut der Hauschronik
besuchten die Kinder damals die Dorfschule und beschäftigten sich im Heim
mit Weben.
Auch Hermann Bischofberger erwähnte
in der Publikation, dass im Heimalltag
lange Methoden angewandt wurden, die
aus heutiger Sicht nicht akzeptabel wären. Er fügte an, dass laut Fachliteratur
der harsche Umgang mit Schutzbefohlenen damals «allgemein üblich war».
1862 kam eine weitere Schwester als Primarlehrerin in die Steig. Damals lebten
etwa 60 Kinder dort, die aus problematischen Familien stammten, die Mutter
verloren hatten und vom berufstätigen
Vater nicht betreut werden konnten, oder
unehelich geboren waren. Selten waren
sie Vollwaisen. Sie stammten nicht nur
aus dem Kanton, sondern kamen oft aus
Familien mit Innerrhoder Bürgerrecht,
die aber ausserhalb wohnten.
1865 wurde eine Arbeitsschule eingerichtet, die auch die Mädchen aus dem
Dorf besuchten, bis es dort 1880 eine
eigene – ebenfalls von Ingenbohler
Schwestern geführte – gab.
Beitrag zum Einkommen des Heims
Über alle 130 Jahre des Bestehens des
Heims haben die Kinder zum Einkommen der Einrichtung beigetragen. In
den frühen Jahren durch Herstellung
von Spachteln und Bürsten und durch
Handarbeiten, später durch Gemüserüsten für die Konservenfabrik Bischofszell
oder Arbeiten während der zehnwöchigen Sommerferien in Wirtschaften. Einige Mädchen durften (gegen Lehrgeld)
die Handstickerei erlernen. Die zur Steig
gehörende Landwirtschaft, auf der die
Kinder mithelfen mussten, diente vorwiegend dem Eigenverbrauch.
Etliche Eltern bezahlten für die Unterbringung ihrer Kinder Kostgeld.
1936 wurden die Zustände bezüglich
Platz und Schullokal als unhaltbar bezeichnet. Nach den Kriegsjahren beherbergte die mittlerweile Kinderheim genannte Einrichtung bis zu 100 Mädchen
und Buben.
Eine Art Sonderschule
Hort für Gastarbeiterkinder
1972 lebten 60 Kinder im Heim. Die
Schwestern hätten neben den Routineaufgaben auch viel zu tun gehabt mit
Schulproblemen, hielt der Chronist fest.
Sie hätten auch versucht, auf einzelne
Fälle besonders einzugehen.
Die Schwestern hätten sich bemüht, den
Zöglingen ein Heim zu bieten. Das bewiesen ihnen die Rückkehr von Lehrlingen an den Wochenenden «nach Hause
auf die Steig» oder der Besuch vieler
Ehemaliger an Weihnachten. «Man hat
viel Schönes erlebt, aber erst nach und
nach», erinnerten sie sich.
Aber im Grunde waren die fünf bis sechs
Nonnen mit der Betreuung vom wenige
Wochen alten Kleinkind bis zum Lehrling häufig überfordert. Das haben auch
Ehemalige öfters bestätigt. Eine der
Schwestern hat rapportiert: «Die Kinder
wurden oft ganz vernachlässigt.»
In den Siebzigerjahren wurden in der
Steig eine Zeit lang auch Gastarbeiterkinder betreut. Das Heim war zu einer
Art Internat oder Kinderhort geworden.
Die Betreuungszahlen gingen zurück,
es gab andere Angebote und der Nachwuchs an Ingenbohler Schwestern fehlte. Im Sommer 1982 wurde das Kinderheim geschlossen.
Wenn man auch die Behandlung der Kinder heute bemängeln mag, so haben die
Schwestern in Appenzell Innerrhoden –
nicht nur in der Steig – Grosses geleistet, vor allem für die Bildung, lobten die
öffentlichen Stellen und die Medien bei
ihrem Wegzug.
Ab 1948 besuchten die Heimkinder die
Schulen im Dorf, nicht zur Freude der
Lehrerschaft und des Schulrates, die
einen «Mehraufwand und Erschwerung des Unterrichts» befürchteten.
Die Steigschule betrachteten sie eher
als Hilfsschule, obwohl die nötige Unterstützung für Kinder mit besonderen
Bedürfnissen nicht geboten werden
Quelle: Hermann Bischofberger in «25 Jahre
konnte. Die Kinder von der Steig waren
Stääg»
den Verantwortlichen kaum wert, gefördert zu werden. So lehnte die Standeskommission, 1912 Aufsichtsbehörde des
Vormundschaftswesens, zum Beispiel
trotz Empfehlung des Pfarrers ab, dass
ein begabter Schüler die Realschule besuchen durfte.
Eine Nonne, die von 1948 bis 1972 in
der Steig arbeitete, berichtete: «Es war
schrecklich für mich als ich hinkam. Es
war alles arm, das Kinderheim war sehr
arm eingerichtet. Es war kein WC da,
keine Spülung. Das erste halbe Jahr war
ganz schlimm. Ich wollte immer gehen.»
Mit einer gewissen Modernisierung
besserten sich die Verhältnisse in den
Fünfzigerjahren. In jener Zeit vollzog
sich auch ein gesellschaftlicher Wandel:
Auf der Steig wohnten keine Halb- oder
Vollwaisen mehr, sondern vornehmlich
Kinder aus «ungünstigen Familienver- Das Kinderheim Steig wurde 1853 von Ingenbohler Schwestern aufgebaut und bis 1982 geführt.
hältnissen».
(Bild von 1913, Museum Appenzell)
Innerrhoden
AV/Samstag, 8. August 2015
5
Unsichtbare seelische Wunden
Nur wenige ehemalige Zöglinge wollen über ihr Leben im Kinderheim Steig erzählen
Vielen Männern und Frauen, die ihre
Kindheit und Jugend im ehemaligen Kinderheim Steig bei Appenzell verbracht
haben, fällt es schwer, über diese Zeit
zu sprechen. Manche haben die traumatischen Erlebnisse bis heute nicht verarbeitet, andere verdrängen sie.
Monica Dörig
Manche Leute im Dorf erinnern sich noch
gut daran wie ihnen als Kind gedroht
wurde: «Wenn du nicht artig bist, kommst
du in die Stääg.» Als Josef Weishaupt
1944 im Alter von fünf Jahren zusammen
mit seinen Geschwistern mit dem Autobus
abgeholt und ins Kinderheim verfrachtet
wurde, packte ihn die nackte Angst.
Seine Mutter war zwei Tage zuvor im
Kindbett gestorben. Die Nonnen sperrten
die verängstigten, weinenden Kinder in
die Waschküche. Die Erinnerung an die
unermessliche Angst habe er sein Leben
lang nicht vergessen, sagt er. Sein Bruder
habe bis heute schwere Albträume und er
trage es kaum, Appenzell zu besuchen,
erzählt er.
Josef Weishaupt kennt man in Appenzell:
Der 75-jährige ehemalige Angestellte der
Appenzeller Bahnen pflegt einige Privatgärten, macht zur Hauptsaison Parkdienst in Wasserauen und ist noch immer
ein leidenschaftlicher Wintersportler.
Der Witwer, der in der Nähe seines Geburtshauses im «Ried» ein gepflegtes
Häuschen mit Garten bewohnt, wirkt
stets fröhlich und kommunikativ. Doch
auch er kennt dunkle Stunden, Tage an
denen es ihm mies geht – wenn ihn die
Erinnerungen einholen. Er habe sich vorgenommen, bald einmal im Landesarchiv
seine Akten einzusehen. Seit einem Jahr
haben Betroffene von fürsorgerischen
Massnahmen das Recht und die Möglichkeit dazu.
Brutaler Heimalltag
Sein Vater arbeitete in der Falkenmühle, es wäre ihm unmöglich gewesen, die
Kinder zu betreuen. Aber wie Josef Weishaupt später erfahren hat, sparte der Vater jeden Tag einen Franken, um die Kinder freikaufen zu können. Damit konnte
er verhindern, dass seine zwei Buben und
die drei Mädchen nach dem 14. Altersjahr verdingt wurden.
Josef Weishaupt glaubt, dass das mit ein
Grund dafür gewesen ist, dass die Oberin
ihnen gegenüber eine grössere Abneigung
zeigte, als gegenüber andern Kindern.
Von seinen «Gspänli» sind einige von einem Tag auf den andern verschwunden.
So war es nicht verwunderlich, dass der
kleine Josef in ständiger Angst davor lebte, einem unbekannten Schicksal ausgeliefert zu sein.
«Das Leben im Heim war brutal», hat
Matthias Rusch Josef Weishaupt in seiner
Matura-Arbeit zitiert. Der damalige Gymnasiast hat 2005 zum ehemaligen Kinderheim (insbesondere in der Zeit zwischen
1930 und 1950) recherchiert.
Wenige Freudentage
Im Heim waren Mädchen und Buben
streng getrennt. Bis er zehn Jahre alt war,
wusste Josef Weishaupt kaum, dass er
leibliche Schwestern hatte. Er habe viel
geweint, erinnert er sich im Gespräch mit
dem «Volksfreund», aber das habe niemanden gekümmert.
Josef Weishaupt ist ein positiver Mensch. Aber er kennt auch dunkle Stunden, wenn ihn Erinnerungen an die Steig übermannen. Selbst auf der jährlichen Sommerwanderung auf den Burgstock mussten die
Kinder streng in Zweierreihen nach Geschlechtern getrennt marschieren – so
wie jeden Tag auf dem Schulweg und zur
Sonntagsmesse. Einmal im Jahr erlebten
die Kinder einen Ausflug mit dem CarUnternehmen Hirn. Und wer Glück hatte,
hiess Josef und wurde zum Namenstag
zum Pfarrer in Haslen eingeladen. In späteren Jahren überraschten zum Beispiel
die Innerrhoder Bäcker die Kinder mit
Dreikönigskuchen, wie eine der sehr seltenen Fotografien von der «Stääg» aus dem
Fundus des Museums Appenzell zeigt.
Es gab wenige freudige Ereignisse im
Kinderheim. Nicht einmal an Ostern oder
Weihnachten durften die Kinder nach
Hause. Einmal im Monat war Besuchssonntag für Eltern. Für seinen Vater seien
diese Tage so schmerzlich gewesen, dass
er immer öfter davor und danach habe
Alkohol trinken müssen, um den Kummer
runterzuspülen, erzählt Weishaupt.
Die einzige Familie
Viele Schicksalsgenossen von Josef Weishaupt kamen als wenige Tage oder Wochen alte Säuglinge ins Heim weil sie
unehelich geboren wurden – lange Zeit
eine Schande im katholischen Innerrhoden. Diese Kinder haben nie eine andere
Familie gekannt als die Ordensschwestern und die Kameraden.
Sie mussten mit allem allein zurecht kommen; über ihre Situtation reden konnten
die Kinder mit niemandem. Mancher der
ehemaligen Bewohner ist überzeugt, dass
ihn das das ganze Leben lang geprägt
und Beziehungen zu anderen Menschen
schwierig gemacht habe. Manche sagen,
der grösste Teil der Heimkinder sei psychisch geschädigt worden.
Dennoch zeigen einige ein Stück weit
Verständnis für die Situation: Die wenigen Ordensschwestern waren mit den fast
50 Kindern überfordert. Die Platzverhältnisse waren sehr beengt, alles äusserst
ärmlich. «Es herrschten diktatorische
Verhältnisse», sagte ein Ehemaliger laut
Matthias Rusch.
«Die seelischen Wunden sind von aus­
sen nicht sichtbar, doch manche dieser
Traumata begleiten einen durchs ganze
Leben», hat einer seiner Interviewpartner gesagt. Er habe schon in der Kindheit
manchmal an Suizid gedacht.
Von den Kameraden gezüchtigt
Die perfiden Strafmethoden in der Steig
bezeichnen manche ehemalige Bewohner als Folter. Zum Beispiel mussten Buben, die etwas ausgefressen hatten, auf
Holzscheite knien und die Arme waagrecht ausstrecken. Darauf musste ein
«Gspänli» die Chromstahlteller schichten. Falls der Bestrafte nachliess, mussten die andern Kinder ihm von unten auf
die Hände schlagen. Half dies nichts,
schlug die Schwester den «Sündern» auf
den Kopf.
Oft musste der Knecht, der den Landwirtschaftsbetrieb der Steig führte, die
Bestrafung anhand eines Zettels von der
Oberin ausführen. Manchmal verschonte
er die Kinder aus Mitleid. Er sagte ihnen, sie sollen greinen und sich Wasser
ins Gesicht spritzen, damit es aussah als
hätten sie Prügel erhalten, erzählt Josef
Weishaupt mit Schalk in den Augen.
Ein Ereignis ist ihm besonders lebhaft
in Erinnerung geblieben: Der Vater hatte
seinen Kindern zur «Chilbi» fünf Tafeln
Schokolade gebracht, die die Nonnen
zuhanden nahmen. Josef stibitzte eine
davon und ass sie auf. Er war der Überzeugung, sie sei für ihn bestimmt. Als die
Schwestern den «Diebstahl» bemerkten,
mussten alle Knaben die halbe Nacht vor
dem Bett knien, bis sich der Übeltäter
meldete. Die Buben die vor Müdigkeit
umfielen, wurden mit einem Stock geschlagen. So bekannte sich Josef zur Tat.
Er wurde mit auf dem Rücken gefesselten
Händen in eine kleine Dachkammer geworfen. Er konnte sich kaum rühren und
fürchtete, vergessen zu werden. Schliesslich konnte er nach unzähligen Stunden
mit Klopfzeichen auf sich aufmerksam
machen, worauf sein Bruder den Vater
benachrichtigen konnte. Zwei Tage später konnte Josef das Heim verlassen; er
kam zu einer Pflegefamilie. Doch auch
dort herrschte ein hartes Regime, sagt er.
Schlechte Startbedingungen
Wie Josef Weishaupt erzählen auch andere Betroffene von der harten Arbeit, die
sie in der Steig neben dem Schulunterricht leisten mussten. Am frühen Abend
fuhr im Sommer jeweils der Lastwagen
der Konservenfabrik Bischofszell vor und
lud Gemüse aus, das von den Kinderhänden gerüstet werden musste. Sie mussten
beim Heuen, im Stall und im Haushalt
helfen. Für Putzarbeiten, Kleiderflicken
und Ähnliches wurden die Mädchen herangezogen.
Jugendliche wurden während der Schulferien in Wirtschaften und zu Bauern
zum Arbeiten geschickt. Geld erhielten sie keines dafür, vielleicht einmal
Trinkgeld. Aber selbst das durften sie
(Bild: Monica Dörig)
nicht für sich behalten. Zu Weihnachten
gab es ein Geschenk als Lohn: eine Tafel
Schokolade. Für manche Kinder existierten hingegen Sparbüchlein, die von
den Nonnen offenbar getreulich geführt
wurden, wie Dokumente im Innerrhoder
Landesarchiv zeigen.
Im Jahr 1948 wurde der Schulunterricht in der Steig aufgehoben, weil keine
Lehrschwester mehr gefunden werden
konnte. Ehemalige erzählten Matthias
Rusch, der Unterricht im Heim habe vor
allem aus Religion, Singen und Heuen
bestanden. Die ungenügende Schul- und
Allgemeinbildung stand vielen später im
Weg. Eine Berufslehre konnten nur wenige absolvieren.
Noch lange wurden Mädchen und Buben
aus der «Stääg» nach dem 14. Lebensjahr
zu Bauern, in Wirtschaften und Haushalte zum Arbeiten geschickt. Lohn erhielten
auch dort längst nicht alle. Kost und Logis
mussten genügen. Auch an ihren Arbeitsstellen wurden manche von ihnen misshandelt oder gar sexuell missbraucht.
Wenn sie sich hilfesuchend an den Vormund oder andere Stellen wandten, wurde ihnen kaum geglaubt.
Erst mit der Volljährigkeit konnten die
ehemaligen Heimkinder selbst bestimmen, wo sie wohnen und arbeiten wollten. Vielen war es nicht mehr gegönnt, ein
gesundes, erfolgreiches Leben zu führen.
Josef Weishaupt schätzt sich glücklich,
dass er noch immer fit ist, dass er ein
zufriedenes Leben mit Beruf und Familie führen durfte und noch immer darf.
Nur seine verstorbene Frau vermisst er,
und dass er nie Auto fahren gelernt hat,
bedauert er.
Quelle: Matura-Arbeit von Matthias Rusch, 2005.
«Bären» Gonten für «Best of Swiss Gastro-Award» nominiert
Für den diesjährigen Schweizer Publikumspreis «Best of Swiss Gastro» sind
von der Fachjury die Nominationen erfolgt. Auf der Liste der Nominierten figuriert auch das Hotel Bären in Gonten,
das jüngst mit zahlreichen Innovationen
aufgewartet hat.
(Mitg.) Die erste Phase für die «Best of
Swiss Gastro-Awards 2016» ist abgeschlossen. Die Fachjury hat in den acht Kategorien total 214 Betriebe nominiert. In der
Kategorie Fine Dining ist das Hotel Bären
in Gonten nominiert und kann sich Chancen ausrechnen, zu den drei Bestplatzierten in der Kategorie gewählt zu werden
– oder sogar zum «Master Best of Swiss
Gastro 2016», der höchsten Auszeichnung
des Schweizer Publikumspreises. Bis 30.
September 2015 kürt das Publikum ihre
Favoriten in den acht Kategorien. Mittels
Bewertungskarten, welche direkt im Betrieb aufliegen, oder online über www.
bestofswissgastro.ch erfolgt die Bewertung. Die Anzahl der Bewertungen und die
Note des Publikums sowie die Note der
Fachjury ergeben die Gesamtnote für die
Auszeichnungen und Platzierungen an den
Gastroawards. Die Awards werden am 9.
November 2015 verliehen. Einige gewichtige Neuerungen prägen die 12. Austragung
des Schweizer Gastroawards. Ab diesem
Jahr steht die Anmeldung allen innovativen Gastrobetrieben offen, unabhängig
von ihrem Alter. Vereinfacht wurde der
Anmelde- und Bewertungsprozess. Und
neu gibt es die Kategorie «International»
für alle landestypischen Gastronomiebe-
triebe.Das Hotel Bären an der Dorfstrasse
40 in Gonten wurde am 2. April 2015 nach
umfangreichem Umbau wiedereröffnet.
Total verfügt der Betrieb über 120 Sitzplätze und 10 Hotelzimmer. Zur Spezialität
des Hauses gehört das selbst am Knochen
abgehangene Fleisch. Am Sonntagmittag
spielt traditionsgemäss eine Appenzeller
Musikformation auf.
www.baeren-gonten.ch / www.gastroawards.ch