DOSSIER Auf der Slow Food Messe gekocht Innereien – Köstlichkeiten mit Respekt J »Markt des guten Geschmacks« in Stuttgart gab es in diesem Jahr einen besonderen Kurs, der Innereien gewidmet war, die im Schlachtbetrieb oft als Abfall enden. Hans-Werner Rodrian hat aufmerksam zugeschaut. 66 Herz und Nierenzapfen Jürgen hat mittlerweile das Entbeinmesser ausgepackt und zerteilt den Rinder-Schlag. Denn jetzt sollen die Innereien verarbeitet werden. Und da sind einige Überraschungen sicher. Für die erste sorgt der Boss. Georg Schweisfurth lässt sich das »geschierte« (parierte) Rinderherz reichen und sagt mit einem Ton, der keine Widersprüche zulässt: »Da machen wir jetzt ein Carpaccio draus.« Für den Innereien-Neuling mag das unerwartet klingen, aber Herz ist bestes Muskelfleisch. Schweisfurth spricht’s, schneidet das Stück in feine Scheiben und widmet sich dann einer köstlichen Fotos: Slow Food Archiv In der Kochwerkstatt auf dem ürgen hat einen Schlag. Genauer gesagt sogar drei. Jürgen Körber (rechts mit Mütze) ist der Metzgermeister bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten. Und von dem Ökogut im Osten Münchens hat er drei »Schläge« zur Slow-Food-Kochwerkstatt mitgebracht: Schlag nennen bayerische Metzger die frisch ausgenommenen Innereien, solange sie noch zusammenhängen. Jürgen erklärt es ganz sachlich: »Das ist alles Innere vor dem Zwerchfell.« Zwei Lamm-Schläge baumeln also dunkelrot vom Gaggenau-Rahmen in der Schauküche der Stuttgarter Messe herunter, den Rinderschlag hat Jürgen besser nicht mehr dran gehängt: »Das sind schließlich deutlich über 25 Kilo.« Ein halber Zentner Tier, der normalerweise bestenfalls zu Hundefutter wird, oft aber einfach als Schlachtabfall in der Tonne landet. »Da denke ich oft drüber nach«, gesteht Jürgen. Und ist sich mit der Slow Food Vorsitzenden Ursula Hudson einig: Wenn wir Menschen schon das Fleisch von Tieren essen, dann sollten wir wenigstens das ganze Tier verwenden und nicht die Hälfte in den Abfall werfen. Genau darum geht es auch Georg Schweisfurth, Geschäftsführer des Biohotels Gut Sonnenhausen und Mitbegründer der Herrmannsdorfer Landwerkstätten: »Wir wollen dem Verbraucher die Möglichkeit geben und bieten deshalb in unseren Filialen sämtliche Innereien an - auch, wenn sie dann oft keiner kauft.« Gemeinsam mit Simon Tress hat er ein Buch zum Thema geschrieben (siehe Buchtipp Seite 64). Und zusammen mit Jürgen Körber und Ursula Hudson ist er auf der Slow Food Messe angetreten, für den Verzehr von Innereien zu werben. Denn der geht rasant zurück. 1984 aß jeder Westdeutsche im Durchschnitt noch 1,5 Kilo Innereien. 30 Jahre und diverse Skandale später waren es gerade mal noch 150 Gramm. Slow Food | 05/2015 SF_05_15_50-73.indd 66 28.09.15 15:42 GANZ ODER GAR NICHT ZWEIERLEI VOM RINDERHERZ – CARPACCIO UND KURZGEBRATEN Entdeckung auf der Messe: Carpaccio vom Rinderherz. Carpaccio – Zutaten für 4 Personen: 200 g Rinderherz, 30 ml Weißweinessig, 30 ml Apfelsaft, 30 ml Distelöl, Salz, Pfeffer aus der Mühle, grobkörniger Senf nach Geschmack, Fleur de Sel, Brunnen- oder Bachkresse zum Dekorieren. • Für das Carpaccio das Rinderherz in dünne, feine Scheiben, gegen die Faser aufschneiden und auf 4 Tellern fächerartig verteilen. (Tipp: Lassen Sie sich das Herz vom Metzger zuvor zurechtschneiden). • Dann eine Vinaigrette herstellen aus Essig, Apfelsaft, Salz, Pfeffer und Distelöl. Eventuell auch noch einen kleinen Löffel groben Senf zu geben. Dieses auf die Rinderherzscheiben dazu geben und marinieren lassen. • Kurz vor dem Servieren mit Brunnenkresse oder Bachkresse dekorieren und mit etwas Fleur de Sel und frischem Pfeffer nachwürzen. Nieren in Cognac, Kartoffeln dazu passen immer. Rinderherz kurzgebraten – Zutaten für 4 Personen: 200 g Rinderherz, Butter und Sonnenblumenöl zum Braten, Salz, Pfeffer. • Für das kurzgebratene Rinderherz den Ofen auf 50 °C vorwärmen und das noch rohe Herz darin etwa 20 Minuten erwärmen. • Danach in einer Pfanne mit Butter und Sonnenblumenöl von allen Seiten anbraten. Bitte nicht durchbraten, das Herz ist am besten wenn es medium gebraten wird! • Als Beilage eignet sich Topinambur und Staudensellerie – wie bei der Kochwerkstatt. Ebenfalls schmeckt sauer eingelegtes Gemüse gut. Alle Rezepte mit Innereien von Detlev Ueter, Gastronomisches Bildungszentrum Koblenz. Auftakt an der Tafel: Rinderbrühe mit Suppengemüse. Marinade mit Essig von eingelegtem Sauergemüse, mit Sonnenblumenöl und viel Zucker und Salz (»Das sind Geschmacksverstärker«). Einen anderen Teil des Rinderherzens hebt er zum Kurzbraten auf und macht ein Frühlingskräuter-Pesto dazu – weil Herz für sich allein doch sehr neutral schmeckt. Jürgen, der Metzger, hat mittlerweile das Nierenfett zur Seite gelegt (»Das ist perfekt, um ein Steak anzubraten«). Nun macht er sich an ein anderes Innereien-Juwel: Im Zentrum des Zwerchfells legt er den Nierenzapfen frei. Auf Französisch heißt der »Onglais«, in Bayern Kronfleisch. Und Jürgen weiß noch von früher: »Das war am Schlachttag das Frühstück des Metzgers.« Als Metzger weiß man natürlich, was gut schmeckt. Der Nierenzapfen sieht fast ein bisschen aus wie Flanksteak und hat ebenfalls eine vergleichsweise grobe Faser, die ihm optisch eine Art Fischgrätenmuster gibt. Quer zur Faser lassen sich daraus wirk- lich schöne Steaks schneiden. »Das Ergebnis schmeckt jedenfalls nicht so langweilig wie ein Filet«, ist sich Georg Schweisfurth sicher. Das gilt besonders, wenn es Detlev Ueter zubereitet. Der Küchenleiter des gastronomischen Bildungszentrums Koblenz und Lehrer der Jeunes Restaurateurs-Eliteklasse hat schon Hunderte von Spitzenköchen ausgebildet. Bei ihm ist gleich klar: Die Nierenzapfen werden sous-vide gegart. Dazu braucht er nicht mal ein Vakuumgerät. Erst pariert er das Fleisch, dann schneidet er die große, mittige Sehne heraus. Vier Rollen werden nun geformt, mit Klarsichtfolie fest umhüllt und bei 60 Grad eine halbe Stunde im Wasserbad gegart. Dann packt Ueter das Fleisch wieder aus und brät es nur ganz kurz an – »für die Röstaromen«. Die Onglais-Abschnitte werden kurz gebraten auf Rosmarin und dürfen dann im Ofen bei 60° weiter ziehen. Slow Food | 05/2015 SF_05_15_50-73.indd 67 67 28.09.15 15:42 DOSSIER RINDERLEBER MIT ÄPFELN UND SÜSSKARTOFFELN Von Detlev Ueter, dem Ausbilder der Jeunes-RestaurateursEliteklassen, kann Ursula Hudson immer noch etwas lernen. Zutaten für 4 Personen: 200 g Süßkartoffeln, Salz, Pfeffer, Butter und Öl zum Braten, 2 Äpfel mit roter Schale, 50 g Zwiebeln, wenig Ingwer, Honig, 400 g Rinderleber, Mehl, 1 – 2 EL gehackte Kräuter. • Die Süßkartoffel schälen und in 0,5 cm dicke Scheiben schneiden. Diese mit Salz, Pfeffer würzen und in einer Pfanne mit etwas Öl und Butter goldgelb braten. Danach warmstellen. • Die Äpfel in mit der Schale in Scheiben schneiden und ebenfalls in der Pfanne braten. Ebenfalls warmstellen. • Die Zwiebeln schälen und längs in Streifen schneiden. Dann in der Pfanne mit etwas Ingwer, Honig, Salz und Pfeffer andünsten. • Zwiebelstreifen auf den gebratenen Süßkartoffelscheiben anrichten, darauf die Apfelspalten legen. Allen hat es geschmeckt... Leber, Nieren und Bries Früher war München bekannt für seine Innereienküche. Vom Euter über die Kutteln bis zu den Nieren: Alles wurde schmackhaft verarbeitet. Heute muss man schon einen guten Metzger haben und auf jeden Fall vorbestellen. Oder man macht im Slow Food Genussführer die letzten Gastwirtschaften ausfindig, wo Kronfleisch und »Saure Lüngerl« noch auf der Karte stehen. Die Kochwerkstatt hat sich jetzt in vier Teams geteilt: An einem Posten entsteht Leber mit Äpfeln und Süßkartoffeln, am zweiten ein schönes Suppenfleisch, dazu kommen zwei andere Höhepunkte der Innereienküche: gebackenes Kalbsbries und Nieren in Cognac. Die Nieren sind eine Spezialität von Angelika Ebner: Die Hauswirtschaftsmeisterin aus Ingolstadt hat sie gut gewässert, schnei68 det dann die Nierenbecken heraus (»das weiße Zeug«). Die kleingeschnittenen Nieren werden in Essigwasser und Mehl sanft gegart (»nicht zu heiß«). Für den Sauceansatz dünstet sie Schalotten, röstet Tomatenmark leicht an und löscht mit einem Spritzer Essig ab. Ein Schluck Cognac und Brühe runden das Gericht ab. Auch das Kalbsbries ist gar nicht schwer: Erst wird eine Zwiebel kalt am Topfboden aufgestellt und mit Knochen angeröstet. Das Bries wirft Detlev Ueter zwischenzeitlich nur ganz kurz mit einem Lorbeerblatt in kochendes Wasser, um es gleich wieder rauszunehmen. So lässt es sich gut mit Semmelbröseln und Petersilie panieren und anschließend mit Butterflocken braten. Als Beilage haben sich Ursula Hudson und Angelika Ebner ein Kartoffelrisotto einfallen lassen: Dabei werden die Kartoffeln mit Schalotten klein geschnitten und angeschwitzt. Erst ganz zum Schluss kommt noch frischer Frühlingslauch oben drauf. Abgeschmeckt wird mit Sahne, Parmesan, Salz und Pfeffer – ein Genuss. Wie früher an Schlachttagen sitzen am Ende dieser Kochwerkstatt alle zusammen an einem langen Tisch und lassen sich das gemeinsam Gekochte schmecken. Es ist ein wunderbares Essen geworden, 15 Leute werden locker satt und die Helfer vom Convivium Stuttgart und vom Verband der Jeunes Restaurateurs d›Europe auch. Das alles gelang ausschließlich aus Rinder-Innereien, die im üblichen Schlachtbetrieb Tag für Tag achtlos bei den Abfällen landen. Eigentlich hat also offenbar nicht Jürgen einen Schlag, sondern die Fleischindustrie. Fotos: Slow Food Archiv Leber auf Kartoffel-Apfel-Zwiebel-Päckchen • Die Leber salzen und pfeffern, mehlieren und in der Pfanne braten. Danach in kleine Stücke schneiden und auf den Kartoffel-Apfel-Zwiebel-Päckchen anrichten. Darüber die gehackten Kräuter streuen. Slow Food | 05/2015 SF_05_15_50-73.indd 68 28.09.15 15:42 Anze
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