Gefühle erleben und verstehen

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Schulaufgabe: Selbstwert stärken
Gefühle erleben und verstehen
Christina Krause
In Heft 5/1999 thematisierten wir die „Schulaufgabe: Gesundheit
fördern“. In diesem Schwerpunkt geht es um eine damit eng zusammenhängende Aufgabe: Selbstwertstärkung. Will man sich
„seines Wertes bewusst werden“, muss man auch die eigenen
Gefühle kennen und lernen, mit ihnen umzugehen.
Wir haben in einem Projekt zur Gesundheitsförderung versucht, die Gefühle der
Kinder, insbesondere ihr Selbstwertgefühl,
in den Mittelpunkt zu stellen und dabei
ihren Selbstwert zu stärken. Darüber soll in
diesem Heft berichtet werden, und es sollen
ausgewählte Beispiele der unterrichtlichen
Umsetzung angeboten werden. Es können
natürlich nur Anregungen sein.
Foto: Frank Vinken
K
inder erleben Gefühle intensiv und
spontan. Mehr als Erwachsene sind
sie ihnen ausgeliefert, das heißt, sie
haben weniger Kontrollmechanismen und
weniger Erfahrung, damit umzugehen. Oft
können sie nicht erklären, was mit ihnen
passiert. Die pädagogische Frage, die sich in
diesem Zusammenhang stellt, ist, ob Gefühle entwickelt bzw. verändert – pädagogisch
beeinflusst – werden können. Damit stellt
sich auch die Frage, welche Kompetenzen
notwendig sind, um einerseits die eigenen
Gefühle verstehen und bewältigen und andererseits die Gefühle anderer erkennen
und nachvollziehen zu können.
Es ist schwer – und oft auch nicht erwünscht – über eigene Gefühle zu sprechen. Ja, man soll sie nicht einmal zeigen
(„Hör auf zu heulen“, „Jungen weinen doch
nicht“, „So eine Heulsuse“, „Weichling“).
Manche Eltern wollen, dass ihre Kinder
„stark“ sind, sich durchsetzen lernen und
Erfolg haben. In der Schule steht die kognitive Entwicklung im Mittelpunkt. Wo also
lernen Kinder, ihre Gefühle zu verstehen,
wo lernen sie Mitgefühl, Empathie, Akzeptanz und Zärtlichkeit?
Sie haben ein Recht darauf, Gefühle zu zeigen, sich von ihnen überwältigen zu lassen
und Unterstützung beim Umgang mit der
Macht ihrer Gefühle zu erhalten. Nur so
können sie gesund bleiben: körperlich und
psychisch. Angst macht Bauchschmerzen,
Wut erzeugt Herzschmerzen, Traurigkeit
macht müde, bereitet Kopfweh und Magenschmerzen.
Gesundheit ist immer etwas Ganzheitliches,
die Gefühle gehören dazu. Wir können und
dürfen sie bei der Erziehung unserer Kinder
nicht als selbstverständliche und schicksalhafte Begleiterscheinung betrachten.
Jede Lehrerin kann Geschichten darüber erzählen, wie die Gefühle ihrer Schülerinnen
und Schüler das Unterrichtskonzept durcheinander bringen und zerstören können.
Wenn wir die plötzliche Wut des Kindes
nicht verstehen können oder wollen, sind
wir ihr ausgeliefert und letztendlich hilflos.
aber auch, die eigenen Stimmungen nicht
auf Kosten der anderen auszuleben, sondern damit umgehen zu lernen. Wie wichtig
die Information an die Eltern ist, wurde uns
besonders deutlich, als wir in einem Gespräch von Eltern erfuhren, dass sie befürchten, das Behandeln von Angst und
Angstbewältigung während des Gesundheitstages würde die Angst erst auslösen.
Trotz der Probleme, die während dieser Arbeit mit den Kindern gelöst werden mussten, können wir heute nach fast vierjähriger
Zusammenarbeit mit 20 Schulklassen auf
eine schöne und wichtige Zeit zurückschauen. Unsere wichtigste Erkenntnis: Ein gesundheitsförderndes Klima in der Schule
brauchen alle Kinder, denn es löst positive
Gefühle aus, und positive Emotionen för-
Kinder müssen ihre Gefühle erkennen und damit umgehen
Auch wir könnten viele Geschichten erzählen, die sich im Zusammenhang mit diesen
„Gesundheitstagen“ abgespielt haben. Ein
erster wichtiger Schritt war es zum Beispiel,
den eigenen Körper wahrzunehmen, ihn zu
fühlen und zu akzeptieren. Das fiel einigen
Kindern doch recht schwer. Noch schwerer
war es, über Gefühle zu sprechen und zu
klären, dass wir die eigenen Gefühle und die
anderer akzeptieren sollten. Dazu gehört
dern die Lernfreude und Lernleistung des
Kindes. An den Gefühlen der Kinder und ihrer Lehrerinnen, die sich ebenso wie ihre
Schüler und Schülerinnen über gemeinsame Erfolge freuen, kommen wir nicht
vorbei, wenn wir die Gesundheit fördern
und psychosoziale Kompetenzen zum Umgang mit dem Schul- und Alltagsstress
entwickeln wollen.
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