pdf 4,7 MB - Allianz Umweltstiftung

Benediktbeurer Gespräche
der Allianz Umweltstiftung 2015
„Die Vergangenheit ist nicht mehr
gestaltbar – es geht um die Zukunft.
Umweltpolitik in Deutschland
1990-2015: Bilanz und Ausblick.“
I N H A L T
DI E B E N E DI KTB E U R E R G E S P R ÄC H E DE R ALLIAN Z
U MWE LTSTI F TU NG
am 30. April 2015 hatten zum Thema: „Die Vergangenheit
ist nicht mehr gestaltbar – es geht um die Zukunft.
Umweltpolitik in Deutschland 1990-2015: Bilanz und Ausblick.“
5
Pater Heiner Heim,
37
Prof. Dr. Matthias Freude,
Vorsitzender des Trägerverbundes
Präsident des Landesamtes für
des Zentrums für Umwelt und Kultur,
Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft
Benediktbeuern
und Flurneuordnung Brandenburg,
Frankfurt/Oder
7
Prof. Dr. h.c. Dieter Stolte,
Vorsitzender des Kuratoriums
Revitalisierung des Ratzengrabens in Biberach
51
Volker Angres,
der Allianz Umweltstiftung,
Ressortleiter Umwelt des ZDF,
Berlin / M ünchen
Mainz
vorher – nachher
11
Dr. Lutz Spandau,
61
Diskussion des Tagungsthemas
89
Abendvortrag
Vorstand der Allianz Umweltstiftung,
Berlin / M ünchen
Ulrike Scharf,
19
Alois Glück,
Bayerische Staatsministerin
Präsident des Zentralkomitees
für Umwelt und Verbraucherschutz,
der deutschen Katholiken,
München
Traunwalchen
101
27
Eberhard Brandes
Geschäftsführender Vorstand
WWF-Deutschland,
Berlin
Impressum
1
D I E
A L L I A N Z
DI E ALLIAN Z U MWE LTSTI F TU NG:
Aktiv für Mensch und Umwelt.
U M W E L T S T I F T U N G
Die Benediktbeurer Gespräche.
Alljährlich treffen sich auf Einladung der
Allianz Umweltstiftung streitbare und neugierige Geister im Kloster Benediktbeuern.
Die Benediktbeurer Gespräche sollen
den Blick weiten für die Fragestellungen
„Mitwirken an einem lebenswerten Dasein
von morgen.
in der Zukunft.“ Diese Maxime für Schutz,
Pflege und Entwicklung von Natur und
Leitmotiv der Benediktbeurer Gespräche ist,
Umwelt hat die Allianz Umweltstiftung in
die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu
ihrer Satzung verankert. Anlässlich ihres
fördern, starre Konfrontationen aufzulösen
100-jährigen Jubiläums im Jahr 1990 über-
und die umweltpolitischen Diskussionen zu
nahm die Allianz mit Gründung der Um­w elt-
versachlichen.
stiftung in einem neuen Bereich gesell­-­
schaftliche Verantwortung.
Mit ihrer Streitkultur haben sich die Be­n ediktbeurer Gespräche zu einem Forum des
Bei allen Projekten bindet die Allianz
kontinuierlichen Neu-, Anders- und Weiter-
Umweltstiftung den wirtschaftenden
denkens entwickelt. Damit tragen sie dazu
Menschen ein. Dabei ist das wesentliche
bei, den Boden für eine nachhaltige Zu­k unft
Neugestaltung des Marienplatzes in Görlitz
Ziel aller Förderprojekte der Schutz des
zu bereiten, denn die kann „in Zeiten, in
vorher – nachher
Naturhaus­h altes unter Berücksichtigung
denen es keine linearen Handlungsanweisun-
der wirtschaftlichen Entwicklung.
gen mehr gibt, nur im kontinu­ierlichen
gesellschaftlichen Lernprozess entstehen“,
Ökologisch und ökonomisch, sozial und
so Dr. Lutz Spandau, Vorstand der Allianz
kulturell – jedes Projekt leistet auf seine Art
Umweltstiftung.
einen Beitrag zur praktischen Umsetzung
eines aktuellen Zukunftsthemas. Denn immer
„Die Vergangenheit ist nicht mehr gestaltbar –
geht es um die Idee des „Sustainable De­-
es geht um die Zukunft. Umweltpolitik in
vel­o pment“, die beispielhafte Realisierung
Deutschland 1990-2015: Bilanz und Ausblick.“
nachhaltigen Wirtschaftens – also um die
war das Thema der neunzehnten Benedikt-
Förderung einer dauerhaft umweltgerechten
beurer Gespräche am 30. April 2015.
Entwicklung, die auch künftigen Generationen ein lebenswertes Dasein ermöglichen
Die Referate und aus ihnen resultierende
soll.
Schlussfolgerungen werden mit diesem
Band der Schriftenreihe „Benediktbeurer
Ausgehend von der Überzeugung, dass
Gespräche der Allianz Umweltstiftung“
grundlegende Umweltfragen nur im gesell-
publiziert.
schaftlichen Konsens zu lösen sind, hat die
Allianz Umweltstiftung ein unabhängiges
Diskussionsforum geschaffen.
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Begrüßung durch Pater Heiner Heim, Vorsitzender des
Trägerverbundes des Zentrums für Umwelt und Kultur
Benediktbeuern.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie noch einmal ganz
herzlich hier im Allianz-Saal des Zentrums
für Umwelt und Kultur Benediktbeuern
und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
darauf warten, mit uns ins Gespräch zu
Besonders begrüße ich alle Gäste, die
kommen. Vorab möchte ich einen Satz des
Naturnahe Gestaltung am Neckar
heute neu hinzugekommen sind; und ganz
französischen Staatsministers Talleyrand
vorher – nachher
besonders die Referenten des heutigen
zitieren: „Man muss die Zukunft im Sinn
Tages. Ich hoffe, Sie hatten gestern einen
haben und die Vergangenheit in den
schönen Abend mit guter Unterhaltung
Akten.“ Ich denke, das ist ein guter Satz
und anschließend eine ruhige, erholsame
für das heutige Thema. Ich wünsche Ihnen
Nacht.
eine angenehme und gute Veranstaltung
und sehr informative und gute Gespräche.
Wir können ja jetzt zur Ermunterung
noch einmal die Stimmübungen machen,
die wir gestern Abend schon gemeinsam
eingeübt haben. Gestern Abend hat uns
die Musikgruppe „Pitu-Pati – ein Schnäpschen einschenken“, wie der Name schon
sagt, musikalisch allerhand scharfen
Schnaps eingeschenkt. Das war wirklich
ein besonderes Erlebnis.
Heute wollen wir uns aber wieder den
Sachthemen zuwenden; und dazu freuen
wir uns auf die Referenten, die bereits
Dankeschön.
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Begrüßung durch Prof. Dr. h. c. Dieter Stolte, Vorsitzender des
Kuratoriums der Allianz Umweltstiftung, Berlin/München.
Meine Damen und Herren, liebe Gäste
der Benediktbeurer Gespräche 2015,
es ist mir eine besondere Freude, Sie als
Vorsitzender des Kuratoriums der Allianz
Umweltstiftung auch in diesem Jahr herzlich willkommen zu heißen.
Seit der sozial-liberalen Koalition nach
Die Allianz Umweltstiftung wurde 1990
1969 wurde Umweltpolitik zu einem eigen-
Wiederbelebung des Kühnauer Sees bei Dessau
anlässlich des 100. Jubiläums der Allianz AG
ständigen Politikbereich mit spezialisier-
vorher – nachher
ins Leben gerufen und feiert demzufolge in
ten Interessengruppen, Verwaltungsinstanzen
diesem Jahr ihren 25. Geburtstag. Dieses
und eigenständigen Verfahrensabläufen.
Jubiläum haben wir auch zum Anlass genom-
Anspruchsvolle Umweltprogramme mit
men, über die letzten 25 Jahre ein Resumée
detaillierten Gesetzgebungsfahrplänen und
unserer Tätigkeit zu ziehen. In diesem
konkreten Zielvorgaben wurden imple-
Kontext ist auch das Thema der diesjährigen
mentiert.
Benediktbeurer Gespräche formuliert worden:
„Die Vergangenheit ist nicht mehr gestalt-
Der steigende umweltpolitische Pro-
bar – es geht um die Zukunft. Umweltpolitik
blemdruck und dessen forcierte Wahrneh-
in Deutschland 1990 – 2015: Bilanz und
mung durch die Bevölkerung sowie die
Ausblick.“
Entstehung grüner und alternativer Parteigruppierungen erhöhten den politischen
Auch wenn wir von Umweltpolitik – als
Stellenwert des Umweltschutzes wesentlich.
nationalem Ressort – erst seit etwa 1970
Der Einzug der neuen Partei „Die Grünen“
sprechen können, existierte sie in den
in den Bundestag sorgte für dauerhafte
Industriestaaten bereits seit mindestens
Präsenz des Themas und veranlasste die
einem Jahrhundert. Gesundheitspolitik,
anderen Parteien zu eigenständigen Umwelt-
Lebensmittelrecht, Gewässerschutz, Müll-
politiken.
beseitigung, Energiepolitik, Lärmschutz
sind seit langem Gegenstand politischer
Einflussnahme und Gestaltung.
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Langsam entwickelte sich über viele
Umweltpolitik ist eine weit gespannte,
der Referenten und die klare Darstellung
Jahre bei den Bürgern eine Sorge um die
viele politische und gesellschaftliche Berei-
der Positionen. Trotz kontroverser Ausgangs-
natürlichen und damit elementaren Lebens-
che betreffende Langzeitaufgabe. Die
basis kommt es in vielen Punkten zu Über-
grundlagen des Menschen. Bereits durch
Entwicklung des umweltpolitischen Instru-
einstimmungen und neuen Erkenntnissen.
die erste Ölpreiskrise im Jahre 1973 wurde
mentariums ist jedoch bis heute nicht abge-
der allgemeine Fortschrittsglaube erschüttert.
schlossen. Wie hat sich dieses Politikfeld
Die Bereitschaft zum Konsens ist gege-
Die Erkenntnis von der Endlichkeit der
verändert? Welche Ziele wurden erreicht,
ben; und ohnehin vorhanden ist das hohe
Ressourcen und den Grenzen des Wachs-
welche nicht?
Potenzial für konstruktive Gespräche und
lebhafte Diskussionen.
tums wurde den Menschen nicht nur in
der Literatur, sondern auch an autofreien
Meine Damen und Herren, ich freue
Sonntagen und bei Tempolimits auf Auto-
mich, hervorragende Fachleute in unserem
Auch dieses Jahr freuen wir uns über
bahnen drastisch vor Augen geführt. In der
Kreis begrüßen zu können, die uns die
die große Resonanz auf das aktuelle Thema
Folge entwickelte sich ein neues Bewusst-
vielfältigen Aspekte unseres heutigen, sehr
der Benediktbeurer Gespräche: „Die Vergan-
sein vom Krisencharakter der Umwelt-
komplexen Themas erläutern werden.
genheit ist nicht mehr gestaltbar – es geht
um die Zukunft. Umweltpolitik in Deutsch-
entwicklung. Wir erinnern uns an das Schlagwort vom Waldsterben, das in den Medien
Sie alle sind Persönlichkeiten mit besonderer
land 1990–2015: Bilanz und Ausblick.“
sensationell aufbereitet wurde: „Erst stirbt
Erfahrung und fachlicher Kompetenz.
Ich bin mir sicher, dass wir wieder viel zu
der Wald, dann der Mensch.“
Ich begrüße
diskutieren haben.
1986, fünf Wochen nach der schweren
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, wurde
H errn Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
bürgermeister von Frankfurt, wurde der erste
H errn Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland,
die Benediktbeurer Gespräche veranstalten
können, die gemeinsam von unserer Umweltstiftung und dem Zentrum für Umwelt und
Umweltminister der Bundesrepublik
Deutschland.
für ihre Gastfreundschaft. Es ist schön, dass
wir hier im Maierhof nun schon zum 19. Mal
dann das Bundesumweltministerium gegründet. Walter Wallmann, der spätere Ober-
Wir danken den Salesianern Don Boscos
Herrn Prof. Dr. Matthias Freude, Präsident
Kultur ins Leben gerufen wurden.
des Landesamtes für Ländliche EntwickEine anspruchsvolle Umweltpolitik ist
lung, Landwirtschaft und Flurneuordnung
Ich darf jetzt den Vorstand unserer
auf eine Verbreiterung ihrer gesellschaft-
Brandenburg und
Umweltstiftung, Herrn Dr. Lutz Spandau,
bitten, in seiner bewährten Art durch
lichen Basis angewiesen. Umweltpolitische
Steuerung vollzieht sich heute stärker
H errn Volker Angres, Ressortleiter
die Benediktbeurer Gespräche 2015
in Kooperationsbeziehungen, oft in einem
Umwelt des ZDF – übrigens das erste
zu führen und wünsche uns allen einen
breiten Netzwerk staatlicher und nicht-
Fachressort dieser Art im deutschen
erkenntnisreichen und diskussions-
staatlicher Akteure. Neben den bekannten
Fernsehen.
freudigen Tag.
zahlreichen Umweltverbänden gibt es
inzwischen ein Netz von umweltorien-
Meine Damen und Herren, die Benedikt-
tierten Wirtschaftsorganisationen.
beurer Gespräche repräsentieren beispielhaft
die hohe Qualität des Engagements der
Allianz Umweltstiftung. Denn diese Veranstaltung zeichnet sich aus durch ihr hervorragendes fachliches Niveau, die Qualität
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
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D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Einführung von Dr. Lutz Spandau, Vorstand der Allianz
Umweltstiftung, Berlin/München.
Meine Damen und Herren,
auf den Benediktbeurer Gesprächen 1999
mit dem Thema „Zwischen Konfrontation
und Konsens: Wie zukunftsfähig ist der
Umweltschutz?“ führte ich Folgendes aus:
„Manch einer beschreibt mit genüss-
Denn mittlerweile halten wir Deutschen
lichem Schauder, wie schlimm es um unse-
uns nicht nur für die globalen Musterschüler
Wiederbelebung des Lustgartens in Berlin
ren Planeten am Ende dieses Jahrhunderts
der Umweltpolitik, wir haben auch mental
vorher – nachher
steht. Seit gut einem Vierteljahrhundert
einen Haken unter die Umweltpolitik insge-
ist uns die Umweltkrise bewusst. Deshalb
samt gemacht. So als habe die Ausrufung der
wurde der Umweltschutz erfunden, wurde
Energiewende sämtliche ökologischen
getagt und angeklagt. Umweltparteien
Probleme gelöst!
etablierten sich und gerieten in die Regierungsverantwortung. Doch gerade jetzt, wo
Welch ein Irrtum!
der Einstieg in eine „ökologische Politik“
sich vom Wunschbild zur Wirklichkeit wan-
Weder ist die Energiewende bereits
deln könnte, macht sich massiv ein gegen-
geschafft – Deutschland hat im Jahr 2013
läufiger Trend bemerkbar. Umwelt sei
fast so viel Strom aus der Braunkohle-
„mega-out“, unken die Medien, „und kein
verbrennung gewonnen wie im Jahr 1990
Thema mehr“.
und damit wesentlich zum Klimawandel beigetragen – noch ist die Natur gerettet.
Das war im Jahr 1999!
Es gibt genügend Probleme bei uns und auf
Wo stehen wir heute? Versuchen Sie doch
der gesamten Welt.
mal, mit Freunden darüber zu diskutieren,
ob sich die Politik genug um die Umwelt
kümmert. Spätestens nach ein paar Sätzen
Die Meere werden weiterhin überfischt, auch bei uns.
werden Sie entweder ein müdes und
mitleidiges Lächeln ernten oder in einer
Die ökologischen Auswirkungen der Debatte über die Energiewende und den
Entwicklung der Ballungszentren durch Strompreis stehen!
die Landflucht sind überall ungelöst.
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Die Landwirtschaft bereitet, speziell in 13
„Wenn ich groß bin, gibt es kein einziges
Tatsache ist weiterhin, dass die Umwelt-
Klimaschutzpolitik lässt sich aber nur
den Industrieländern, nach wie vor große grünes Fleckchen mehr. Da tät’ ich lieber tot
politik in den vergangenen 25 Jahren viel
durch Langzeitpolitik realisieren.
ökologische Probleme.
sein.“ Die Zukunftsvorstellung des 11-jähri-
mehr positive Ergebnisse bewirkt hat als
gen Clemens bündelt, was Kinder heute über
andere Politikbereiche. Dies kann aber kein
Wie kann demzufolge eine moderne,
den Zustand der Natur lesen, sehen, hören.
Grund zum Ausruhen sein. Damit zukünf-
zukunftsgerichtete Umweltpolitik gestaltet
Mutter Natur, früher gerne als dralles Weib
tige Maßnahmen zum Schutz unserer
werden?
dargestellt, wird zur schwindsüchtigen
Umwelt auch von der Bevölkerung akzep-
Patientin. Und die Campaigner klappern
tiert werden, müssen diese Maßnahmen viel
Lassen Sie uns darüber, entsprechend
mit den Spendentöpfen.
eingehender mit positiven Assoziationen
unserem Thema „Die Vergangenheit ist nicht
belegt werden.
mehr gestaltbar – es geht um die Zukunft.“,
Die Umweltprobleme der (Massen-)
Mobilität sind ungelöst.
Und das weltweit größte Problem bleibt die Armut, durch die viele Menschen aus 1
nackter Not gezwungen sind, die Natur mit den Experten diskutieren und neue Wege
zu plündern und die Umwelt zu ver-
„Rettet die Robben!“, „Rettet die Wale!“,
schmutzen.
„Der letzte Elefant ist schon geboren.“
Dies umso mehr, da Umweltpolitik einen
Es ist immer Großalarm, immer ist es fünf
Querschnittbereich darstellt.
Wie kommt es, dass wir uns für diese
Lieber Herr Glück, mit der Umwelt-
vor zwölf!
Probleme nicht mehr interessieren?
konzipieren.
Was wiederum viele thematische Über-
thematik sind Sie in Ihrem gesamten Leben
Können Sie sich noch an das Ozonloch
schneidungen mit anderen Politikfeldern
unmittelbar oder mittelbar verbunden. Sie
Ich denke, die in der Vergangenheit gepre-
erinnern? Früher harmlose Sonnenstrahlen
einschließt. Für die Umweltpolitik sind
sind auf einem Bauernhof im Landkreis
digten ökologischen Untergangsszenarien
mutierten zur tödlichen Gefahr! Kinder und
dies vor allem die Wirtschaftspolitik nebst
Traunstein aufgewachsen und haben den
haben viel mit unserem heutigen vermeint-
Alte sollten im Sommer, der zur gefährlichs-
der Landwirtschaftspolitik, die Energie-
Beruf des Landwirtes erlernt.
lichen Desinteresse zu tun.
ten Jahreszeit geworden ist, das Haus nicht
politik, die Verkehrspolitik, die Städtebau-
mehr verlassen.
und Siedlungspolitik. Da die Ursachen
Nach Ihrer Wahl in den Bayerischen
unserer Umweltprobleme häufig in die
Landtag 1970 waren Sie von 1974 bis 1986
Wer erinnert sich noch an das Wald-
Zuständigkeit dieser Gebiete fallen, verlan-
Vorsitzender im Parlamentsausschuss für
„Ein Planet wird verheizt“, schreibt
sterben? Der Wald gehörte in den 1990er-
gen diese Bezüge von den Akteuren der
Landesentwicklung und Umweltfragen und
die Berliner Zeitung am 10.10.1997 und
Jahren auf die Intensivstation! „Das dra-
Umweltpolitik ein hohes Maß an Interdiszi-
von 1986 bis 1988 Staatssekretär im Staats-
nennt auch gleich entsprechende Daten:
matische Sterben“ kommentierte der Stern
plinarität, dazu Kommunikations-, Über-
ministerium für Landesentwicklung und
40 Jahre – dann ist das Erdöl alle. 60 Jahre –
mit der Überschrift „Und plötzlich ist der
zeugungs- und Durchsetzungsvermögen
Umweltfragen.
dann ist der Hahn beim Erdgas zu.
Wald weg!“
sowie Kompromiss­b ereitschaft.
Hier ein paar Beispiele:
Auch während Ihrer Zeit als Vorsitzender
120 Jahre – dann sind die Weltvorräte an
Stein- und Braunkohle erschöpft. Spätes-
Heute, fast zwei Jahrzehnte nach der
Weiterhin ist Umweltpolitik ein Lang-
der CSU-Landtagsfraktion von 1988 bis 2003
tens dann heißt es „sich warm anziehen“.
großen Waldpanik, wächst in Deutschland
fristbereich. Damit ist gemeint, dass ein-
und als Präsident des Bayerischen Landtages
mehr Wald als zuvor.
mal getroffene oder auch versäumte
von 2003 bis 2008 blieben Sie der Umwelt-
Entscheidungen sich langfristig auswirken,
thematik treu.
Auch Greenpeace hat schlechte Nachrichten und will mit dem Report „Zeit-
Sind es der Pessimismus, Dogmatismus
und diese Auswirkungen häufig erst mit
bombe Klima“ rechtzeitig Alarm schlagen:
und Fundamentalismus, die der Umwelt-
großer Zeitverzögerung deutlich werden.
So bestellte Sie die Kanzlerin in die Ethik-
„Unsere Dokumentation von mehr als 500
bewegung ihre Dynamik genommen
Wahltermine in der Politik oder Quartals-
kommission „Sichere Energieversorgung“
Überschwemmungen, Dürren, Stürmen,
haben? Hinzu kommen die Erfolge des
zahlen in der Wirtschaft begünstigen die
und in den Rat für Nachhaltige Entwicklung
Waldbränden, Temperaturrekorden, Koral-
praktischen Umwelt- und Naturschutzes:
Konzentration auf kurzfristige Politikmuster
der Bundesregierung.
lensterben, schmelzenden Gletschern
Manche Flüsse, Wälder und Tierarten
und benachteiligen Themen, bei denen
sowie die Ausbreitung von Schädlingen und
erholen sich in einer nicht erwarteten
Auswirkungen politischer Entscheidungen
Seuchen belegt, dass die Zahl extremer
Geschwindigkeit.
über viele Jahre oder Jahrzehnte in die
Wetterlagen dramatisch zunimmt.“ So
Greenpeace.
Zukunft berücksichtigt werden müssen.
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Campaigner = Aktivist, Vorkämpfer
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Auch in Ihrer heutigen Funktion als
führenden Vorstandes des World Wide
Präsident des Zentralkomitees der deutschen
Fund for Nature (WWF) Deutschland. Auf
Katholiken, zu welchem Sie 2009 gewählt
die Frage, ob der WWF zu industriefreund-
wurden, spielt die Umweltthematik im
lich sei, antwortete Brandes, ich zitiere:
Kontext der Bewahrung der Schöpfung eine
wichtige Rolle.
„Die Herausforderungen, die wir in
Umwelt- und Naturschutz haben, sind so
Bei der Gründung des ersten Bayerischen
gewaltig, dass wir sie nur mit den Ver-
Umweltministeriums 1970 führte der dama-
antwortlichen gemeinsam lösen können.
lige Bayerische Ministerpräsident Alfons
Die Wirtschaft muss sich bewegen, und wir
Goppel aus: „Die Bedrohung unserer Lebens-
helfen gerne – bei ernst gemeinten Versu-
grundlagen durch die zunehmende Techni-
chen. Die Wirtschaft muss Teil der Lösung
sierung unserer Welt und den unkontrollier-
werden.“ Soweit das Zitat.
ten Egoismus der Einzelnen lässt es nicht
zu, den Umweltschutz heute noch von den
Nun hat sich in den vergangenen Jahren
Ministerien gesondert unter den verschie-
nicht nur die Wirtschaft, sondern es haben
denen Teilaspekten wahrzunehmen. Die Bün-
sich auch die Umweltverbände bewegt.
delung des Umweltschutzes in einem
Auf der Seite der Unternehmen ist die Ein-
eigenen Ministerium sei notwendig.“ Soweit
sicht gewachsen, dass die Bewahrung unserer
der ehemalige Bayerische Ministerpräsident
Umwelt mehr als ein wichtiger Imagefaktor
Öffnung des Elstermühlgrabens in Leipzig
Alfons Goppel.
ist, während die Umweltverbände zunehmend
vorher – nachher
die ökonomischen Notwendigkeiten anerLieber Herr Glück, teilen Sie diese Position
kennen.
noch heute? Oder fordert die nachhaltige
Bewahrung unserer Umwelt neue, interdiszi-
Die Auseinandersetzungen über den Weg
plinäre Strukturen?
zur Bewahrung unserer Umwelt werden bei
Weitem nicht mehr so scharf geführt wie
Wir freuen uns auf Ihre Ausführungen und
früher, ja zum Teil werden sie überhaupt
begrüßen Sie herzlich bei den Benediktbeurer
nicht mehr geführt.
Gesprächen der Allianz Umweltstiftung.
Sind Wachstum und die Bewahrung
Eberhard Brandes ist geschäftsführender
unserer Umwelt noch Widersprüche? Oder
Vorstand der Umweltstiftung WWF Deutsch-
halten wir mittlerweile die Kluft zwischen
land. In dieser Funktion verantwortet er
einem wünschenswerten Umweltzustand
die Geschäftspolitik, die Strategie und die
und der weniger rosigen Realität ökologisch
Ausrichtung des WWF.
wie ökonomisch aus?
Nach einer erfolgreichen Karriere in
Wie wird der WWF in Zukunft ticken? Wo
der freien Wirtschaft übernahm der Diplom-
liegen die wichtigsten zukünftigen Ziele, und
Betriebswirt und passionierte Umwelt-
mit welchen Methoden sollen diese erreicht
schützer 2006 die Position des geschäfts-
werden?
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Wir freuen uns sehr auf Ihre Ausführungen
Auf diesen Nationalparkprogrammen wurde
Bei diesen Gesprächen führte Volker
Sie waren weltweit auf allen großen
und begrüßen auch Sie sehr herzlich bei den
1990 das sogenannte Brandenburgische
Angres Folgendes aus, ich zitiere: „Ich denke,
Umweltkonferenzen der letzten Jahrzehnte.
Benediktbeurer Gesprächen der Allianz
Konzept der Großschutzgebiete in Branden-
es ist richtig, der Begriff Umweltschutz ist
Aber: Müssen Sie Ihre Position aus dem
burg aufgebaut und 1992 die Landesanstalt
mega-out. So wie er in den 70er- und 80er-
Jahre 1999 überhaupt verändern, oder ist
für Großschutzgebiete gegründet, dessen
Jahren entstanden ist, wird das zu Recht
sie nach wie vor uneingeschränkt gültig?
Prof. Matthias Freude ist Biologe, war
Aufbau und Leitung Prof. Freude übertragen
im politischen Raum und auch in der Presse
lange Präsident des Landesamtes für Umwelt,
wurde. Das Landesamt für Großschutz-
kritisiert. „In“ ist aber die Suche nach trag-
Wir freuen uns sehr, Sie 16 Jahre nach
Gesundheit und Verbraucherschutz Bran-
gebiete wurde dann in das Landesumwelt-
fähigen Konzepten, nach der vielzitierten
Ihrer ersten Mitwirkung heute wieder bei
denburg und ist seit dem 1. Januar 2015
amt Brandenburg integriert, zu dessen
nachhaltigen Entwicklung. Um gesellschaft-
den Benediktbeurer Gesprächen begrüßen
Präsident des Landesamtes für Ländliche Ent-
Präsident wiederum Prof. Freude bestellt
liche Prozesse also geht es, die uns alle
zu können und sind gespannt auf Ihre
wicklung, Landwirtschaft und Flurneuord-
wurde.
ein Stück in Richtung Zukunft bringen –
Ausführungen.
Umweltstiftung.
nung Brandenburg.
verstanden im positiven Sinne.
Meine Damen und Herren, Sie sehen,
Lieber Matthias Freude, wo stehen wir
Matthias Freude war gemeinsam mit Prof.
heute, 25 Jahre nach den Nationalparkpro-
Und da scheint es so zu sein, dass die
wir haben uns wieder bemüht, ein vielseiti-
Succow, Prof. Knapp und Prof. Jeschke
grammen? Was konnte umgesetzt werden,
Ökologie wichtige Impulse setzen kann und
ges Programm zu konzipieren, um interes-
Mitbegründer des Nationalparkprogramms
was ist nicht eingelöst, was ist verloren-
uns alle weiterbringt. Und möglicherweise
sante Positionen zu erfahren. Vielleicht gelingt
der DDR.
gegangen? Sind die Ziele und Visionen der
ist diese Idee, Ökologie eben nicht als irgend-
es uns, etwas alten Ballast abzuwerfen, um
Wendejahre umgesetzt worden?
wie belasteten Umweltschutz klassischer Art
Platz für das Neue in unseren Köpfen zu
zu verstehen; sondern als Impulsgeber, als
schaffen.
Das „Nationalparkprogramm der DDR
als Baustein für ein europäisches Haus“ ent-
Die Schaffung von fünf Nationalparks auf
Motor zum Hervorbringen neuer tragfähiger
stand 1989 und 1990. Es enthielt zunächst
einen Streich hat zur Gründung weiterer
Konzepte, die von der Politik und auch
Lassen Sie uns daher keine Zeit verlieren,
fünf Nationalparke – Vorpommersche Bodden-
Nationalparks in Deutschland angeregt, zum
von den Medien überhaupt noch nicht ent-
lassen Sie uns einsteigen in die Benediktbeurer
landschaft, Jasmund auf Rügen, Müritz,
Beispiel der Nationalparks Kellerwald-Eder-
deckt wurden.“
Gespräche der Allianz Umweltstiftung 2015:
Hochharz und Sächsische Schweiz – sechs
see, Eifel und Schwarzwald.
Biosphärenreservate – Südost Rügen, Schorf-
„Die Vergangenheit ist nicht mehr gestaltSo weit Volker Angres im Jahr 1999.
in Deutschland 1990-2015: Bilanz und
heide, Spreewald, Mittlere Elbe, Rhön und
Wenn Sie heute Bilanz ziehen, müssten
Vessertal – sowie 16 Naturparke. Damit
Sie doch zufrieden sein. Ist alles gut? Wir
Lieber Volker Angres, wo stehen wir 16
wurden rund 500.000 Hektar oder 4,5 Prozent
freuen uns, von Ihnen zu erfahren, inwie-
Jahre später? In vielen Ihrer Beiträge beklagen
des DDR-Territoriums als geschützte Gebiete
weit Hoffnungen, Erwartungen, Ziele und
Sie, dass es keine konsequent an Nachhaltig-
via Einheitsvertrag in das vereinte Deutsch-
Visionen der Wendejahre bis 1990 um-
keitszielen ausgerichtete Umweltpolitik
land übernommen. In den Folgejahren wurde
gesetzt werden konnten.
gibt. Naturschutz, Bodenschutz, Gewässer-
noch der Nationalpark Unteres Odertal
schutz, Klimaschutz und Luftreinhaltung
ausgewiesen, der Naturpark Schaalsee wurde
Meine Damen und Herren, den Jour-
werden mehr oder weniger unabhängig von-
zum Biosphärenreservat, und unweit des
nalisten Volker Angres, der Leiter der ZDF-
einander betrieben und stehen additiv neben-
Biosphärenreservates Vessertal entstand der
Umweltredaktion ist, kennen langjährige
einander. Solange ein konkretes, in sich
Nationalpark Hainich.
Besucher der Benediktbeurer Gespräche von
schlüssiges umweltpolitisches Zielsystem fehlt,
den Gesprächen im Jahr 1999 mit dem
ist eine Umweltpolitik, die sowohl ökolo-
Über das Nationalparkprogramm wurde
Thema „Zwischen Konfrontation und Kon-
gisch effektiv als auch ökonomisch effizient
das viel zitierte „Tafelsilber der Deutschen
sens: Wie zukunftsfähig ist der Umwelt-
ist, nicht möglich.
Einheit“ gesichert. Es wurde auch als „grünes
schutz?“
Wende-Wunder“ bezeichnet.
bar – es geht um die Zukunft. Umweltpolitik
Ausblick.“
V O R T R A G
A L O I S
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Vortrag von Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees
der deutschen Katholiken, Traunwalchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
vom dänischen Philosophen Sören
Kierkegaard stammt die Erkenntnis „Leben
kann man nur vorwärts, das Leben verstehen nur rückwärts.“ Diese Lebenserfahrung kann uns auch für das heutige Thema
hilfreich sein.
Der nächste Schritt war bis in etwa Mitte
der 1970er-Jahre die Weiterentwicklung des
Naturerlebnispfad in Isny im Allgäu
Die Umweltpolitik hat sich in verschiedenen
vorher – nachher
Etappen entwickelt:
Naturschutzdenkens zur Ökologie.
Beispiel: Eine bedrohte Tierart kann durch
1 970 war in Deutschland der Start für
Jagdverbot nicht wirksam geschützt werden,
eine bewusste Umweltpolitik. Der Impuls
wenn der Lebensraum und die Nahrungsmit-
war das Europäische Naturschutzjahr
telkette nicht vorhanden sind. Wir entdeck-
1970.
ten die Systemzusammenhänge in der Natur.
In der Öffentlichkeit war dies der Türöffner
1 970 wurde in Bayern das neue Minis-
für das ökologische Denken.
terium für Landesentwicklung und Umweltfragen gegründet – wahrscheinlich weltweit
In den Folgejahren entwickelte sich der
das erste Ministerium dieser Art. Und
Technische Umweltschutz. Impulse waren
damit wurde ja auch eine Aussage getrof-
die Abfallproblematik und die Gewässer-
fen, ein Signal gesetzt.
verschmutzung. Später kamen die ChemieUnfälle hinzu.
Die weitere Entwicklung der Umweltpolitik
erfolgte immer wieder in Etappen. Jede neue
Ab Mitte der 1970er-Jahre wandelte sich
Entwicklungsphase war eine Reaktion auf
die weiter verbreitende Umweltbewegung
eine aktuelle Entwicklung, genauer gesagt,
vor allem in eine Protestbewegung; in
auf einen aktuellen Leidensdruck.
eine insgesamt gesellschaftskritisch eingestellte Bewegung, die zu einer Sammel-
Zu Beginn war die Umweltpolitik vor allem
bewegung für die verschiedenen Formen
Naturschutzpolitik. Naturschutz, ähnlich
des Protests wurde:
dem Denkmalschutz.
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gegen die bürgerliche Lebensform,
getroffen. Mehr noch: Das „Waldsterben“
gegen das Wirtschaftswachstum und
wurde fortan zum Motor für einen neuen
die damit verbundenen Folgen,
Stellenwert, für eine neue Bedeutung und
für die Frauenrechte,
Akzeptanz der Umweltpolitik in Deutsch-
für den Frieden in der Welt.
land!
Dies, um Ihnen nur einige Beispiele zu
Thesen zur aktuellen Lage und zum Ausblick:
nennen.
1. These
Im selben Maße wie die Umweltbewe-
Wir leben in einer Zeit mit rasanter
gung zur gesellschaftskritischen Bewegung
Beschleunigung zu einer immer spürbarer
wurde, galt sie gleichzeitig im bürgerlichen
werdenden weltweiten Schicksalsgemein-
Lager, in der Wirtschaft – bei den Arbeit-
schaft. Im Bereich der Ökonomie, der
gebern ebenso wie bei den Arbeitnehmer-
Ökologie, des Zusammenlebens der Kultu-
organisationen – als unpopulär und wurde
ren, in praktisch allen Lebensbereichen
zum Teil gar als Bedrohung empfunden.
werden die wechselseitigen Abhängigkeiten
immer dichter. Die Welt wird immer mehr
Dynamik und Schärfe brachten die Aus-
zu einer Schicksalsgemeinschaft. Ganz
einandersetzungen um die Kernenergie, in
besonders gilt dies für alle Aufgaben im
Bayern vor allem um die Wiederaufberei-
Bereich der Ökologie.
vorher – nachher
tungsanlage in der Oberpfalz; außerdem die
Serie von Unfällen in Chemie-Unternehmen.
Die Grenzen nationaler Umweltpolitik, ja
Umweltpolitik wurde zunehmend zum
selbst europäischer Umweltpolitik, werden
Kampfthema.
zunehmend deutlicher. Exemplarisch dafür
ist die Klimapolitik.
Ein entscheidender Schritt war der
Wechsel der Umweltpolitik aus der „Repa-
2. These
raturabteilung“ in die „Planungsabteilung“.
In allen wichtigen Aufgabenbereichen
Beispielgebend dafür die Verordnungen
dieser Vernetzungen sind durchgreifende
fürs Auto, für Schadstoffreinigung und
Fortschritte nur in internationaler Zusam-
Großfeuerungsanlagen.
menarbeit erreichbar. Was bei uns aber
keinesfalls als Entschuldigung für passives
Es begann die Integration der Umwelt-
Verhalten gelten darf. Deutschland muss
politik in die verschiedenen Fachpolitiken
auch in der Umweltpolitik mehr Verantwor-
und Fachgebiete. Dies war eine entschei-
tung in der Welt übernehmen! Drängender
dende Etappe! Gleichwohl blieb die Umwelt-
Testfall dafür ist die Klimapolitik!
politik in weiten Kreisen der Bevölkerung
unpopulär, ganz besonders im bürgerlichen
Für diese Aufgaben gilt, mehr denn je, der
Bereich.
Slogan aus der Umweltbewegung: „Global
denken und lokal handeln!“ Beides ist
Eine entscheidende Veränderung kam
1980/81 mit dem „Waldsterben“. Mit diesem
neuen Begriff wurde die Seele des Deutschen
Neue Lebensräume für den Fischotter
gleichermaßen wichtig.
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3. These
wie China, Indien und Brasilien zeigen
6. These
Das Leitbild Nachhaltigkeit ist globalisie-
Nach wie vor ist es so, dass wir alle Auf-
uns ebenso, wenngleich in anderer Weise
Unsere heutige Art zu leben ist nicht
rungstauglich, weil es auch in anderen Kul-
gabenstellungen, die wir mit unserer Kate-
die Grenzen des Wachstums auf.
zukunftsfähig. Weder ökonomisch, ökolo-
turen und Religionen als ganzheitliches
gisch noch durch die zunehmenden
Prinzip beheimatet ist. Und: Dieser Maßstab
gorie des Messens und Zählens erfassen,
in ihrer Bedeutung auch früher erkennen
5. These
Anforderungen an die Menschen. Unsere
ist übergreifend geeignet für die Beurteilung
können. Weiter völlig unterbewertet sind die
Worin liegt nun der entscheidende Unter-
heutige Art zu leben macht immer mehr
ökologischer, ökonomischer, politischer
Veränderungen im Naturhaushalt. Deshalb
schied zur Debatte um die Grenzen des
Menschen krank, und immer mehr Men-
und sozialer Entwicklungen. Somit wirkt
war es von Anfang an so, dass es der Natur-
Wachstums in den 1970er-Jahren: Damals
schen spüren die Sackgassensituation.
Nachhaltigkeit auch stabilisierend für das
schutz mit seinen Anliegen und deren
war dieses Thema für die überwältigende
Durchsetzung viel schwerer hatte als der
Mehrheit der Bevölkerung eine rein theore-
7. These
Völker und ist dadurch wiederum geeignet,
Technische Umweltschutz.
tische Debatte. Schließlich spürte man ja
Eine dauerhaft tragfähige Lebenskultur
als umfassende Orientierung zu gelten.
Zusammenleben der Generationen und
keine Wachstumsgrenzen, sondern erlebte
braucht andere Leitbilder als die unserer
Beispiel: Die Veränderungen in der Arten-
im Gegenteil ein wirtschaftliches Wachs-
Wachstums- und Konsumgesellschaft. Das
8. These
vielfalt und die Bedeutung der Biodiversität
tum, das den meisten Menschen völlig neue
Leitbild für die Welt von morgen, für
Den beschwerlichen Weg zu einer sol-
für die Zukunft des Lebensraumes Erde sind
Perspektiven sozialer Durchlässigkeit,
den notwendigen Fortschritt und den Weg
chen Veränderung werden wir nur mit einer
nicht geringer als alle Anliegen und Auf-
verbunden mit beruflichem und gesellschaft-
zu einer zukunftsfähigen Lebenskultur heißt
starken ethischen Motivation bewältigen
gaben des Klimaschutzes. Sie werden aber
lichem Aufstieg vermittelte. Heute kennen
Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet
können. In einer Welt der Cleveren, in einer
weit weniger erkannt.
die Menschen diese Grenzen, wenn vielleicht
vor allem längerfristig denken und somit
Welt, in der vor allem jene bestaunt und
nicht aus Grenzerfahrungen im privaten
Zukunftsverantwortung übernehmen.
bewundert werden, die mit möglichst wenig
Hier haben wir ein großes Problem mit
Lebensbereich, so doch durch Freunde,
unserer modernen Kultur, in der – wie auch
Bekannte, Nachbarn und Kollegen, aus den
in anderen Bereichen – nur Gewicht hat,
regionalen, nationalen und internationalen
was wir in Zahlen ausdrücken können.
Nachrichten und täglichen Meldungen über
Anstrengung überall möglichst viel herausDieses Leitbild schließt ein,
d ass die Würde des Menschen im Mittelpunkt steht;
lichen! Deshalb ist die eigentliche und entscheidende Veränderung in unseren ethischen,
in unseren moralischen Maßstäben zwin-
die zunehmenden Krisen in aller Welt.
d ass gerechte Chancen für alle Menschen
4. These
holen, lässt sich Nachhaltigkeit nicht verwirk-
gend notwendig! Das heißt konkret: Der Maß-
Weitere Debatten über die „Grenzen
Gleichwohl wehrt sich die Mehrheit
in unserer Gesellschaft und in allen
stab dafür, was wir als Staatsbürger an
des Wachstums“ führen uns nicht weiter,
gegen notwendige Veränderungen. Zu gern
Erdteilen Ziel und Verpflichtung sind;
politischen Handlungen akzeptieren und was
obwohl diese Grenzen immer drastischer
glaubt sie immer wieder denen, die schein-
spürbar werden. Dies zeigt die Situation in
bare Auswege suchen oder kennen. Und
der gesamten westlichen Welt, in Europa
damit auch jenen, die, wie in der Klimadis-
gestalten, damit auch kommende Genera-
Nutzen für uns. Maßstab dafür muss ebenso
und in Deutschland. Da bringen selbst noch
kussion, beschwichtigende Argumente
tionen wenigstens ähnliche Lebenschancen
sein, wie sich die daraus entstehenden,
so starke Anreize der Geldpolitik nicht
präsentieren, die ihnen versichern, dass in
und Möglichkeiten für die Gestaltung
vorhersehbaren Folgen unseres Handelns
das notwendige Wachstum. Das Wachstum
Wirklichkeit alles ganz anders sei.
ihrer Zukunft haben. Das bedeutet kon-
auf unsere Nachkommen und die Menschen
kret: Kein Leben auf Kosten der Substanz;
in anderen Regionen unserer Erde aus-
in Deutschland liegt ja vor allem im Export
begründet und ist somit überhaupt noch
wir selbst gestalten und leben, sind nicht
d ass wir unser Leben so führen und
Probleme lassen sich nicht lösen mit
mehr nur die Auswirkungen auf uns und der
wirken. Ohne eine derartig tief greifende
d ass wir mit Rücksicht gegenüber der
keine Garantie für unsere Zukunftsfähigkeit –
der Hoffnung, dass die Menschheit früher
weder ökonomisch noch unter anderen
oder später auf jedes neue Problem mit
Schöpfung schonend und effizient unsere
hat Nachhaltigkeit nicht die notwendige
Aspekten. Die ökonomischen und zunehmend
einem neuen technischen Fortschritt, einer
Ressourcen nutzen und einen entspre-
Wirkung. Erreichen wir diese Wirkung
vor allem ökologischen Krisen in den heute
neuen Technologie eine Antwort gefunden
chenden Lebensstil pflegen.
jedoch erst, wenn der Leidensdruck noch
noch so gepriesenen Wachstumsländern
hat. Jetzt gilt es, den Wechsel von der
größer und offensichtlicher wird, haben wir
„Reparaturabteilung“ zur „Planungsabtei-
in vielen Bereichen eventuell keine notwen-
lung“ in einer neuen Dimension zu ver-
digen Korrekturmöglichkeiten mehr.
wirklichen.
Veränderung der gesellschaftlichen Maßstäbe
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Darüber heute zu spekulieren, führt
uns aber nicht weiter. Wichtiger ist vielmehr, das jetzt Mögliche zu tun und
voranzutreiben.
9. These
Dieser Weg verlangt die Bereitschaft zur
Veränderung, braucht Innovationskraft und
tatkräftiges Handeln. Notwendig dazu ist
aber auch die Fähigkeit zur Selbstbegrenzung.
Worauf wollen und können wir verzichten,
weil es nicht so lebenswichtig für uns ist,
jedoch wichtig für die Zukunftschancen anderer Menschen und nachfolgender Generationen? Woher nehmen wir die Kraft, uns
als Volk so zu verhalten wie Eltern, die um
der Zukunft ihrer Kinder willen auf das
eine oder andere weniger Lebenswichtige
verzichten, stattdessen also lieber in die
Zukunft ihrer Kinder investieren?
Errichtung des Mauerparks in Berlin
vorher – nachher
Die Zukunft der modernen Welt entscheidet sich möglicherweise, ja, ich glaube,
wahrscheinlich im Spannungsfeld von
unserer Fähigkeit zur Innovation und unserer
Fähigkeit zur Selbstbegrenzung.
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Vortrag von Eberhard Brandes, Geschäftsführender Vorstand
WWF-Deutschland, Berlin.
Lieber Herr Dr. Spandau, liebe Mitglieder
des Kuratoriums, sehr geehrte Damen und
Herren,
erst einmal herzlichen Dank für die Einladung. Im Namen des WWF möchte ich
der Allianz Umweltstiftung sehr herzlich zu
ihrem 25-jährigen Jubiläum gratulieren. Da
Wo stehen wir eigentlich heute? Der
wir bereits mehrere Projekte gemeinsam
WWF veröffentlicht alle zwei Jahre den
Entwicklung der Kulturlandschaft auf Rügen – Wiederherstellung des Nonnensees
durchgeführt haben, kenne ich die Stiftung
Living Planet Report. Dort erfassen wir den
vorher – nachher
inzwischen aus eigener Erfahrung – und
Zustand der Welt aufgrund ihrer biolo-
freue mich sehr über die stets hervorragende
gischen Vielfalt und nach der Art und Weise
und synergetische Zusammenarbeit. Die
wie wir leben, wie wir die erneuerbaren
Allianz Umweltstiftung habe ich kennen-
Ressourcen unseres Planeten nutzen oder
gelernt als klar und konsequent in der Sache
gar übernutzen. Dabei stellen wir jedes Mal
und trotzdem immer kooperativ und ziel-
fest, dass es mit der biologischen Vielfalt trotz
orientiert, effizient und effektiv. Davon kön-
aller Anstrengungen immer weiter abwärts
nen sich viele NGOs 1 eine Scheibe abschnei-
geht. Zusammengenommen verbraucht die
den. Zunächst einmal möchte ich Ihnen
Menschheit jedes Jahr 50 Prozent mehr
gerne einen kurzen Film zeigen, damit Sie
Ressourcen, als die Erde innerhalb dieses
ein Gefühl dafür bekommen, wie der WWF
Zeitraums regenerieren und damit nachhaltig
„tickt“.
zur Verfügung stellen kann. So zeigt der
Living Planet Index für die vergangenen vier
Der Film hat den Titel We are all
Jahrzehnte einen Rückgang der biologischen
connected. Eigentlich sind wir alle ein
Vielfalt um 52 Prozent. Im Durchschnitt
Teil des großen Ganzen. Das soll auch
hat sich die Anzahl der untersuchten Säuge-
das umfassende Überthema für meine Aus-
tiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und
führungen sein und ich hoffe, wir wer-
Fische damit halbiert.
2
den nachher eine spannende Diskussion
führen.
NGO = non-governmental organization
= nichtstaatliche Organisation
1
Link WWF-Video „We are all connected“:
https://www.youtube.com/watch?v=YTAlLWpm_vc
2
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Was bedeutet das konkret? Nehmen Sie
Ich bin sehr dafür, nicht ideologisch
nur als ein Beispiel von vielen das weltweite
zu diskutieren, sondern sich einfach an
Bienensterben. Es findet gleichzeitig in
den Fakten zu orientieren, das heißt, wir
verschiedenen Ländern statt und wenn man
müssen hier noch dramatisch anders
sich anschaut, wie viele Lebensmittel von
agieren.
der Bienenbestäubung abhängen, bekommt
man vielleicht eine Vorstellung davon, was
Und wir Deutschen sind, trotz aller
das konkret für uns bedeuten kann. Oder
Effizienz-Anstrengungen, leider beim
auch die Wälder unseres Planeten. Sie sind
Umgang mit unseren Ressourcen bei weitem
riesige Kohlenstoffspeicher und Lebensgrund-
keine Vorbilder. Unser ökologischer Fußab-
lage für viele Menschen und Tiere. Auch wir
druck, auch das hat der Living Planet Report
in Deutschland sind von intakten Wäldern
offenbart, ist noch immer viel zu groß.
und ihren Leistungen für uns abhängig. Und
Die Deutschen verbrauchen 2,5-mal so viel
wir sprechen nicht nur über die Versorgung
an natürlichen Ressourcen, wie sie eigent-
mit dem Rohstoff Holz. Allein in den Tropen
lich verbrauchen dürften. Ist das clever? –
sind rund 990 Gigatonnen klimawirksamer
Nein! Wir entziehen uns und unseren
Treibhausgase gebunden, das entspricht
Kindern die Lebensgrundlagen in schwindel-
mehr als dem Tausendfachen der jährlichen
erregender Geschwindigkeit. Würde so ein
Emissionen der Bundesrepublik. Daneben
Unternehmen handeln? – Nein! Es wäre
beherbergen die Wälder vor allem auf der
nämlich relativ schnell pleite.
Wiederbelebung einer Moorlandschaft bei Bad Tölz
vorher – nachher
Südhalbkugel einen Großteil der weltweiten
Artenvielfalt. Doch der Erde droht, das hat
Dieses Verhalten ist also weder ethisch
eine WWF-Studie aus dem Frühjahr 2015
vertretbar, noch ist es ökonomisch sinnvoll.
erst offenbart, in den nächsten 15 Jahren ein
Deutschland muss sich insbesondere in der
erheblicher Waldverlust: Bis zu 170 Mil-
Landwirtschaft und beim Verkehr nachhal-
lionen Hektar – die nahezu fünffache Fläche
tiger ausrichten, ausgewiesene Schutzgebiete
Deutschlands – werden bis 2030 verloren
wirksamer schützen und vor allem die
gehen, wenn die aktuelle Entwicklung nicht
nationale Biodiversitätsstrategie schneller
aufgehalten wird.
umsetzen. Das ist übrigens ein sehr interessantes Papier mit wirklich guten Ansätzen,
Der mit Abstand wichtigste Faktor ist
aber einem entscheidenden Problem.
dabei global gesehen die industrielle Land-
Veröffentlicht wurde diese Strategie kurz
wirtschaft. Insbesondere die Viehhaltung
nachdem ich beim WWF anfing. Inhaltlich
und der Anbau von Palmöl und Soja in
wirklich sehr gut, aber was kommt dabei
riesigen Monokulturen verschlingen riesige
heraus? Kann so ein Konzept erfolgreich
Flächen. Hinzu kommt nicht-nachhaltige
sein, wenn diejenigen, die letztendlich das
Abholzung für die Holz- und Papierproduk-
Papier mit Leben füllen und die praktische
tion und der Abbau von Bodenschätzen
Arbeit leisten müssen – und das sind die
sowie Infrastrukturprojekte in zuvor unbe-
Bundesländer – gar nicht verpflichtend inte-
rührten Gegenden. Das sind einfach Fakten.
griert wurden? Sicher nicht!
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Von herausragender Bedeutung ist auch
Emissionen auskommt. Das hat mehrere
bei den Subventionspolitikern der EU und
in Namibia und Simbabwe bereits vor
die konsequente Umsetzung der Energie-
Effekte. Erstens ist das viel preiswerter, als
in Deutschland noch nicht herumgesprochen.
sechzehn, siebzehn Jahren überlegt hat.
wende. Man beobachtet in der Welt sehr
die meisten denken. Zweitens schafft dies
Noch immer fließt der größte Teil der
Das Konzept der Conservancies kennen
genau, wie wir hierzulande als eine führende
neue Technologien und Innovationen, schafft
EU-Agrarsubventionen in Projekte, die alles
einige von Ihnen wahrscheinlich schon:
Industrie- und Exportnation die Energie-
somit eben auch einen notwendigen Inno-
andere als nachhaltig sind. Eine katastrophal
Man gibt den ursprünglichen Gemeinden
wende umsetzen. Wenn wir diese Heraus-
vationssprung und natürlich eine wirkliche
schlechte Entwicklung. Dennoch macht es
oder Stämmen die Nutzungsrechte ihres
forderung erfolgreich stemmen, hat das
Zukunftsfähigkeit. Ganz entscheidend ist
relativ wenig Sinn, dass wir immer nur mit
Landes wieder zurück – nicht das Eigentum,
weltweite Signalwirkung für die Klimaver-
hier die nächste Generation, die Jugend. Wir
dem Finger auf die Politik zeigen. Denn
sondern die kompletten Nutzungsrechte.
handlungen. Beim Klima hatten wir – ich sag’
wissen, die meisten Menschen über vierzig
letztendlich sitzen wir alle in einem Boot.
Ohne irgendwelche Vorschriften, aber mit
das jetzt mal in Anführungszeichen – einen
ändern Ihr Werte und Einstellungen nur
Und deshalb kommt es darauf an, dass wir
einer fachlichen Begleitung, bei der unter
sehr großen Hype. In der Klimadiskussion
durch persönliche Extremerlebnisse. Das ist
aktuelle Sachverhalte immer an alle Akteure
anderem der WWF und viele andere NGOs
ist von vielen Seiten ideologisiert worden.
jetziger Stand der Erkenntnisse, das gilt
gleichzeitig adressieren: an die Politiker, die
eine Rolle spielen.
Das war in der Sache nicht hilfreich, und es
demzufolge auch, so schade das ist, für die
Unternehmen und natürlich an uns selbst,
war zudem leider in ihrer Dringlichkeit nicht
meisten hier im Haus. Natürlich ist es ent-
die Verbraucher. Es wäre sehr wichtig und
Wozu führt das? In der Folge stellen
hilfreich. Und es hat meiner Meinung nach
scheidend, wie die nächste Generation heran-
hilfreich, wenn wir mit der Lagerbildung
die Menschen beispielsweise fest, dass es
auch dazu geführt, dass so manche die
wächst; wie wir es schaffen, dass diejenigen,
aufhören und wir stattdessen unsere Verpflich-
ihnen mit lebenden Elefanten viel besser
Umweltthemen heute vielleicht ein bisschen
die unsere nächste Generation unterrichten –
tung erkennen würden. Und ich bin über-
geht als mit toten. Denn Elefanten locken
entspannter sehen als früher. Trotzdem stellt
also nicht nur wir als Eltern – dieser Gene-
zeugt, dass dies möglich ist. Diese Erfahrun-
Touristen an und Touristen lassen Geld
sich die Frage: Wo steht Deutschland?
ration die richtigen Werte mitgeben, damit
gen mache ich immer wieder in meinen
im Land. Das Gleiche gilt für andere Berei-
sie die richtigen Vorbilder bekommt und sich
Gesprächen. Als Vorstand des WWF lerne
che. Ein intakter Wald kann die Menschen,
Momentan wird aktuell über das Thema
wiederum dadurch auch Themen wie Foot-
ich, wie Sie sich sicherlich vorstellen
die in und von ihm leben sehr viel besser
Kohle diskutiert. Dabei öffnen sich völlig
prints einprägen – ganz automatisch. Dafür
können, ziemlich viele Menschen kennen
ernähren als degradierte Gebiete. Kon-
neue gesellschaftliche Fronten und es
werden wir jetzt zum Beispiel eine online-
und oft denke ich, das ist jetzt aber mal ein
zepte wie diese sind eine konkrete Lösung.
werden ganz spannende Grundsatzdebatten
gestützte Vorlesung entwickeln.
ganz knackiger Gegner, und dann meint
Etwa zwanzig Prozent der Flächen in
derjenige gleich nach dem ersten Schlagab-
Namibia sind in Conservancies umgewan-
geführt. Haben wir einen Klimaplan? Haben
wir ein Ziel? Und: Führt der Weg, den wir
Und zu guter Letzt, schauen wir uns die
tausch: „Ich wollte nur sagen, ich bin jetzt
delt. Interessant dabei ist, dass die bio-
uns überlegt haben, überhaupt zum Ziel?
Landwirtschaft in Deutschland und Europa
seit zehn Jahren Mitglied im WWF, und
logische Vielfalt hier teilweise größer ist als
Aber worüber sprechen wir? Wir sprechen
an. Wir haben gute europäische Konzepte
eigentlich finde ich ganz toll, was ihr macht“.
über Kosten; über kurzfristige Kosten,
und Ideen, wie eine nachhaltigere Landwirt-
die nicht die Vollkosten darstellen, sondern
schaft funktionieren kann. So haben wir
Letztendlich geht es doch immer darum,
was wir unter Harmonie von Mensch und
zunächst einmal nur Teilkosten sind! Anstatt
zum Beispiel das Projekt „Landwirtschaft für
Lösungen zu schaffen. Dafür steht der WWF.
Natur verstehen. Und diese Lösungen
dass wir bei allem, was wir tun, lieber
Artenvielfalt“ gestartet. Ziel ist es die Vielfalt
Und dafür unternehmen wir eine ganze
ehen weiter.
gleich eine Vollkostenrechnung erstellen,
der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in
Menge. Das beginnt bei Zweckverbänden
die sämtliche – auch die Umweltbezogenen
Agrarräumen nachweislich zu erhöhen.
mit kleinen Gemeinden am Schaalsee.
Nehmen wir ein weiteres konkretes
– Wirkungen in die Preise integriert.
Doch für so etwas braucht es Partner. Über
Das setzt sich fort mit einem ganz großen,
Beispiel: Unsere größte Firmenkooperation
in den Nationalparks; weil es uns dort auch
vorbildlich gelungen ist, das darzustellen,
40 Betriebe des Anbauverbandes Biopark
sogar sehr großen Konstrukt in Branden-
führen wir mit EDEKA durch. In Deutsch-
In dem sogenannten „Modell Deutschland“
beteiligen sich. Und das ganze wird nicht
burg, wo wir mit dem dortigen Landesamt
land hat EDEKA inklusive seiner Tochterge-
hat der WWF mit verschiedenen Instituten
nur von EDEKA sondern auch durch das
zusammensitzen, um gemeinsam mit vielen
sellschaften und auf ganz unterschiedlichen
ausgerechnet, dass es nicht nur zwingend
Land Mecklenburg-Vorpommern unterstützt.
verschiedenen anderen Organisationen groß-
Ebenen insgesamt einen Marktanteil von
notwendig, sondern absolut sinnvoll ist, wenn
Wir haben also auch die Politik ins Boot
flächig die Natur zu schützen. Und das
ungefähr dreißig Prozent.
Deutschland im Jahr 2050 fast ohne CO 2-
geholt. Doch leider hat sich die Bedeutung
geht weiter bis zu international weg-
von Biodiversität und Nachhaltigkeit
weisenden Konzepten, die sich der WWF
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Natürlich gibt es da nicht immer und
richtsfach? Ich glaube, hier ist es zwin-
überall Zielgleichheit, das ist ganz klar.
gend notwendig, dass wir Kompetenzzentren
Wir haben uns am Beispiel Fisch heran-
haben, die hoffentlich noch viel mehr Einfluss
getastet und festgestellt, wie überaus
bekommen.
sinnvoll diese zielgerichtete Zusammenarbeit ist. Während unserer sechsjährigen
Wir haben im vergangenen Jahr ein Politik-
Kooperation für die Eigenmarken konnten
barometer veröffentlicht. Das war sehr
wir alle wesentlichen Themen durch-
spannend. Dazu haben wir mit der Leuphana
gehen. Und wenn sich eine Firma wie
Uni in Lüneburg eine Umfrage durchgeführt,
EDEKA verpflichtet, in dieser Zeit zu 100
quer durch alle Ministerien und auf unter-
Prozent nachhaltiges Palmöl zu verarbeiten,
schiedlichen Hierarchiestufen. Die Erkennt-
zu 100 Prozent recycelte Faserstoffe für
nisse daraus waren in ihrer Deutlichkeit –
Papier etc. einzusetzen und zu 100 Prozent
überraschend ist vielleicht der falsche Aus-
nachhaltig gefangenen Fisch anzubieten,
druck – besser gesagt, äußerst erschreckend.
kann das zu sehr positiven Resultaten führen:
Es gibt viele Mitarbeiter, gerade in der
So ist beispielsweise nirgendwo sonst der
mittleren Führungsebene vieler Ministerien,
Anteil von nachhaltig produziertem und
die sagen „Wir haben hier stehen: Umwelt-
gefangenem Wildfisch so hoch wie in Deutsch-
schutz soll integriert werden, doch im
land. Das ist ein sensationelles Ergebnis!
Tagesablauf findet es kaum statt“. Soweit die
Naturnahe Gestaltung am Neckar
vorher – nachher
erste Aussage. Oder „Ich würde mich viel
Letztendlich kommt es doch immer
mehr dafür einsetzen, wenn mein Chef das
darauf an, ob man irgendwann in den Ver-
auch wirklich innerhalb der Budgetgespräche
handlungen eine Zielgleichheit findet. Und
durchsetzt“ und dergleichen Aussagen mehr.
da können NGOs, wenn sie wirklich ihre
Rolle richtig verstehen, als Berater und
Da ist sie also wieder, die Implementie-
Herausforderer entscheidend sein. Ich zeigte
rungsfrage: Es ist ganz viel vorgesehen, doch
es vorhin schon am Beispiel eines WWF-
in den täglichen Abläufen sieht es häufig
Mitglieds auf. Dieser Mann ist gleichzeitig
anders aus. Deshalb bin ich auch eher davon
Unternehmer. Wir stellen immer wieder
überzeugt, dass wir weniger ein Konzeptpro-
fest: Umweltschützer sitzen eigentlich über-
blem, sondern vielmehr ein Implementie-
all. Die Frage ist, finden wir sie? Und: Wie
rungsproblem haben. Wir überlegen uns viele
treten wir ihnen gegenüber auf? Dabei
Dinge, sehr viele gute Konzepte, aber mit
ist es immer wieder ganz erstaunlich, wen
der Realisierung klappt es dann nicht so recht.
man so alles öffnen kann, wenn man ideolo-
Ich glaube, wenn wir über den Politikbereich
giefrei und ehrlich über langfristige persön-
sprechen, kommen wir einfach nicht darum
liche Werte und Ziele spricht. In diesem
herum: Umweltschutz muss nicht nur
Zusammenhang ist auch die Frage entschei-
Chefsache sein. Umweltschutz muss endlich
dend, die Sie gestellt haben, Herr Spandau:
als interdisziplinäre Herausforderung und
Wohin führt uns eigentlich diese Konzen-
Notwendigkeit begriffen und behandelt wer-
tration von Umweltthemen auf ein Ministe-
den. Das fängt schon im Studium an.
rium, auf einen Studiengang, auf ein Unter-
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Wenn ich jetzt mit Freunden meines
Ihnen hat sich seinen CO 2-Abdruck ange-
Damit das Bild von Politik, Unternehmen
Sohnes spreche, er ist gerade 18 geworden,
schaut, hat sich ein Ziel gesetzt fürs nächste
und allen Menschen rund wird, muss sich
und ich sie dann frage, was sie denn
Jahr und dabei definiert, was er unternehmen
natürlich auch die Zivilgesellschaft und, als
studieren, kommt als Antwort „Ich studiere
will, um dieses Ziel exakt wie geplant zu
deren Vertreter, die NGOs weiter entwickeln.
Umwelt“, „Ich BWL“, und „Ich VWL“.
erreichen? Genau das aber müssen wir tun.
Wir müssen uns deutlich professionalisie-
Gleichwie. Entscheidend ist, Biodiversität
Für uns, für jedes Unternehmen und auch
ren, also noch zielorientierter, viel effizienter
muss endlich in all den unterschiedlichen
jede Politik-Aktion müssen Ziele exakt so
und effektiver arbeiten; und wir alle müssen
Fachrichtungen verankert werden, vom
hinterlegt sein. Wir als Deutsche haben eine
daran arbeiten, dass wir dabei noch viel
Ingenieurswesen bis zu den Wirtschafts-
besondere Chance oder eine besondere Fähig-
mehr Menschen mitnehmen.
wissenschaften. Anders kommen wir meiner
keit, Organisationsrahmen oder Programme
Meinung nach nicht weiter.
für die Herausforderungen der Zukunft zu
Abschließend möchte ich noch eine Bemer-
entwickeln. Das ist eine tolle und gute Errun-
kung loswerden, die auch ein bisschen selbst-
genschaft.
kritisch ist. Ich finde es immer inspirierend,
Schon während meines BWL-Studiums
mit ganz vielen Menschen zusammen zu
habe ich gelernt, dass die Sache mit dem
Bruttosozialprodukt eigentlich ein ziemlicher
Ich glaube auch, wir dürfen auf keinen
sein, die gleiche Werte teilen, und mit denen
Unsinn ist. Das ist jetzt ungefähr dreißig
Fall vergessen, was Sie angesprochen haben,
man Erfahrungen austauschen kann. Aber
Jahre her. Die Frage ist, was hat sich seither
Herr Spandau: die Vorbildrolle Deutschlands.
die eigentliche Kernfrage, denke ich, ist eine
getan? Wenn ich aktuell mit Professoren in
Wir sind zum wiederholten Mal in einer
andere. Wie holen wir die ab, die Umwelt-
Universitäten spreche, dann sagen die
BBC-Umfrage offiziell zum beliebtesten Land
schutz zurzeit überhaupt nicht auf dem
„Wir haben auch schon drei, vier Modelle
der Erde gewählt worden. Erstaunlich, aber
Bildschirm haben? Umweltschutz steht im
entwickelt; die liegen zwar alle vor, aber
es ist so. Das ist eine Verantwortung, eine Ver-
Moment hinter Finanzkrise, Wirtschaftskrise
eigentlich wird keines richtig umgesetzt“.
pflichtung, und dem sollten wir nachgehen.
und Ukraine-Krise. Die Prioritäten verschie-
Das ist absolut bedauernswert, weil wir damit
Wir machen beispielsweise eine sehr gute
ben sich und es stellt sich die Frage, wie wir
nach wie vor in eine völlig falsche Zielrich-
Entwicklungspolitik.
Menschen zurückgewinnen. Wir wissen,
das Thema ist ein tiefes inneres Bedürfnis,
tung gehen. Wir brauchen ein ehrliches Bild
über ehrliche Kosten. Wir brauchen die
Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung
und wir wissen, es ist sehr emotional und
Integration aller Kosten, was uns dann hof-
berichten, dass mich – wenn ich auf Konfe-
überhaupt nicht sortiert. Deshalb testen wir
fentlich dazu bringt, die richtigen Prioritäten
renzen bin – jeder meiner Kollegen fragt:
derzeit eine neue Kampagne mit dem Motto
zu setzen. Das Ganze darf nicht dazu führen,
„Kriegt ihr die Energiewende hin? Schafft ihr
„I am Nature“ und versuchen damit einen
dass wir dabei völlig vergessen, worum es
das? Schafft ihr das mit dem Kohleausstieg?“.
ganz anderen Ansatz, mehr Menschen für
eigentlich geht. Denn hier geht es in letzter
Das Gleiche hören wir von Regierungs-
unser Thema zu begeistern. Wir wissen noch
Konsequenz ja um das Leben an sich.
vertretern aus vielen anderen Ländern.
nicht genau, was dabei herauskommt. Aber
Natürlich dann auch zu sensiblen Themen:
wir lassen uns darauf ein. Und glücklicher-
Einen weiteren Aspekt, der in unserer
Wie geht ein industrialisiertes, hoch ent-
weise, auch das kann ich an dieser Stelle schon
Kultur vermeintlich immer vorhanden ist,
wickeltes Land wie Deutschland mit der Rück-
sagen, waren die ersten Reaktion nach drei
sehen wir viel zu wenig: die konsequente
kehr von großen Beutegreifern – also bei-
Wochen überwältigend. In einem Jahr kann
Zielorientierung. Wenn wir ein Ziel defi-
spielsweise dem Wolf – um? Heißen wir sie
ich Ihnen sicher mehr darüber berichten.
nieren – ob als Unternehmen, als Politiker,
als Teil der Wildnis wirklich willkommen?
als eigenständiger Mensch – treffen wir dann
Oder anders gefragt: Wie lassen wir das zu,
wirklich alle dafür notwendigen Maßnahmen?
so ganz tief in unserem Herzen?
Ich frage mal ganz provokativ: Wer von
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Vortrag von Prof. Dr. Matthias Freude, Präsident des
Landesamtes für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und
Flurneuordnung Brandenburg, Frankfurt/Oder.
Meine verehrten Damen und Herren,
bevor ich vor vier Monaten zum Thema
„Landschaft“ abgedriftet bin, habe ich
20 Jahre das Landesumweltamt geleitet.
Ich weiß also auch ein wenig darüber,
Wir beginnen mit einem wunderbaren
was sich im Naturschutz und im sonstigen
Vogel, eigentlich dem wunderbarsten Vogel
Wiederbelebung einer Moorlandschaft bei Bad Tölz
Umweltschutz getan hat; aber auftragsge-
von ganz Deutschland – zumindest von Ost-
vorher – nachher
mäß beschränke ich mich hier auf die
deutschland. Die Großtrappe, an der man
Fragestellung, was in den letzten 25 Jahren
eigentlich exemplarisch die ganze Geschichte,
bei uns passiert ist. Als Naturschutz-
die wir jetzt hören werden, erzählen
professor fühle ich mich ohne Bilder halb
könnte.
nackt, deshalb bin ich meine alten Vorlesungen durchgegangen.
Es ist verrückt: Die Vorlesungen von
vor 25 Jahren hatten fast die gleichen
Fragestellungen wie heute. Ich wollte es
nicht glauben, bis gestern Nachmittag,
als ich mit dem Kollegen Prof. Haber an
einem Tisch saß und dieser sagte: „Was
hat sich denn in den 25 Jahren von den
Inhalten her getan? Ja fast nichts!“
Gut, die Begriffe sind jetzt andere. Das
Wort Nachhaltigkeit, beispielsweise, gab
es damals noch nicht.
Ich habe mir viel Mühe gegeben, die
Unterschiede herauszuarbeiten, und diese
möchte ich Ihnen jetzt präsentieren.
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Den Umweltschutz übrigens – mit sauberer
In Deutschland hat sich eine Menge
regelrecht zur Mode geworden – mit
vor Kurzem noch nicht sagen können;
Luft und sauberem Wasser – lasse ich weg.
getan. Im letzten Oktober wurde der 104.
allen Schwierigkeiten, die daraus resultieren.
und das ist mir ein Herzensanliegen, das
Hier haben wir zum Teil dramatisch gute
Naturpark in Deutschland ausgerufen.
Ich habe mich näher damit befassen müs-
können Sie mir glauben. Hat das für
Entwicklungen. Bleiben wir bei dem, wo es
Ein tolles Erlebnis; vor allem, wenn Natur-
sen, weil wir so etwas selbst einmal in Auf-
die ganz normalen Allerweltsarten etwas
nicht ganz so positiv aussieht. Das National-
erleben mit Tieren kombiniert ist.
trag gegeben haben. Und ich glaube sogar
gebracht? Ein Kollege hat das mit viel
vieles von dem, was drinsteht. Obwohl, mit
Aufwand untersucht und herausgefunden:
Meine erste These – Herr Glück hat
solchen Zahlen ist das ja immer etwas schwie-
In den Großschutzgebieten in Ostdeutsch-
war es fast überall weiß, mit der Wende ist
ja neun Thesen vorgetragen, ich versuche
rig; wenn man sie nicht selbst gefälscht
land haben sich die Allerweltsarten, die
dann passiert, was Sie hier sehen.
es auch mal mit neun – wir haben eine
hat. Sie kennen das alles.
wir alle kennen, beispielsweise die Grauam-
parkprogramm in den neuen Bundesländern
wurde bereits angesprochen. Vor der Wende
Menge Flächen unter Schutz gestellt. Unter-
mer oder die Feldlerche, im Vergleich zur
these: Es stellt sich die Frage, was steckt
Normallandschaft deutlich besser entwickelt.
drin. Eines hat sich eindeutig verändert in
Ich finde das persönlich sehr wichtig, dass
den letzten 25 Jahren, nämlich die Informa-
die seltenen Arten – wir haben die Top 12
tion. Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger, was
aus Brandenburg aufgelistet, angefangen
bringt uns denn Naturschutz eigentlich, rein
vom Wachtelkönig über den Seggenrohrsän-
materiell betrachtet? Ich lasse das mit der
ger bis zum Schreiadler – sich in den
Bewahrung der Schöpfung weg, denn damit
Großschutzgebieten natürlich angesiedelt
erreichen wir nicht jeden. Wohl aber, wenn
haben oder erhalten geblieben sind. Für die
man mit Arbeitsplätzen kommt, mit der
hat es natürlich etwas gebracht; aber eben
absolut heiligen Kuh in Deutschland. Wenn
auch für die „Normalarten“, oder wie immer
Sie sich einmal diese Zahlen ansehen:
Aber wenn man hier die Gesamtbesucher-
wir diese nennen möchten.
zahl von zwanzig Prozent in die Rechnung einbezieht, und das hat das BfN 1 vor
Ein Bild was die meisten, zumindest aus
sieben Jahren gemacht, dann wird die ganze
den westlichen Bundesländern, vor 25 Jahren
Was ist daraus geworden? Zumindest im
Geschichte schon glaubhafter. Sie sehen,
als absolut einzigartig und besonders emp-
Brandenburgischen haben sich diese Flächen
was hier unten steht: Das reicht zwar nicht
funden hätten: Hier sehen wir den deutschen
ganz schön gefüllt; auch mit Tieren, und auf
an irgendeinen deutschen Autobauer heran.
Wappenvogel fliegen. Den gibt es mittlerweile
die kommen wir noch einmal zurück, denn
Aber immerhin ist das doch eine Zahl, die
wieder in einem großen Teil von Deutsch-
es sind besondere Tiere.
kann und soll man nicht wegdiskutieren.
land. Der Adler ist also sozusagen im Aufwind.
Spannend bleibt es allzumal. Wenn wir jetzt
Und er ist natürlich immer ein beliebtes
nach zehn Jahren die neueste Rechnung
Thema in der öffentlichen Wahrnehmung.
aufstellen, sehen wir, diese Zahl ist bereits
im Wattenmeer so und so viele Arbeits-
bemerkenswert höher.
plätze, im Nationalpark Müritz so viele und
im jüngsten Nationalpark in Brandenburg
Zweite Botschaft: Es spricht sich all-
immerhin nach nur sieben Jahren so viele
mählich herum, dass Natur auch einen Wert
Arbeitsplatz-Äquivalente. Eine prima
hat und dass man durch Naturschutz Werte
Sache, so etwas spricht sich herum. Auch
schaffen und erhalten kann. Herr Dr. Spandau
ein Punkt, von dem ich vor 25 Jahren noch
hat vorhin gefragt, „Was ist denn aus unse-
nicht geglaubt hätte, dass der mal die Köpfe
ren Großschutzgebieten geworden, haben
erreicht. Und dass man immer versucht,
die etwas gebracht?“ Ich habe es selbst bis
alles ökonomisch umzurechnen, das ist ja
in den letzten sechs, acht oder zehn Jahren
1
BfN = Bundesamt für Naturschutz
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Der Naturschutz hat sich mit dem Sym-
Aber Artenschutz und Naturschutz, das
schon seit über 30 Jahren bohren, zu ver-
gab es überall. Vielleicht nicht überall
bol des Adlers im Aufwind bewegt, da muss
bringt auch Probleme. Gerade, was den Biber
danken. Das ist die Geschichte, bei der ich
ganz so dramatisch, aber ähnlich. Dann gibt
ja alles in Ordnung sein. Die Zahlen sprechen
betrifft: Das Problem kennen Sie ja auch in
eingangs meines Vortrags meinte, die Vor-
es folglich immer Menschen, die das auch
für sich: Seeadler haben sich verdreifacht,
Bayern sehr wohl, keine Frage. Und die
lesung hat sich kaum verändert. Warum? Weil
erkannt haben, und somit hat man dann
Fischadler und Kraniche vervierfacht. Wir
Probleme mit dem Wolf kommen dort schon
die Vergangenheit nicht mehr gestaltbar
Verbündete.
sind mit dem Zählen gar nicht mehr nachge-
auch noch. Damit haben wir in Brandenburg,
ist. Das ist Teil dieser Veranstaltung, und bei
kommen. Bei uns kann man heute die
ich weiß wovon ich rede, schon seit zwölf
deren Überschrift kam das ja auch zum
Meine These Nummer fünf lautet, dass
Jahren zu tun.
Tragen.
man sich mit derartig großen, übergreifen-
Kraniche, anders als noch vor 25 Jahren,
überall am Wegrand stehen sehen. Ich biete
den Problemen Verbündete suchen sollte.
heute eine Adler-Exkursion an und garan-
Jetzt kommt die zweite Seite der
Von 1900 bis jetzt, was hat sich getan
Verbündete, die im Zweifelsfall mehr Power
tiere Ihnen drei Adlerarten – überhaupt kein
Medaille. Ich habe mir aus unseren Statis-
mit unseren Wiesenvögeln oder Vögeln der
haben als der Naturschutz, der ja im Regelfall
hinten runterfällt. Man nutzt zum Beispiel
Problem. Dazu fahren wir einfach raus in
tiken die dramatischsten vierzehn Jahre
Feuchtgebiete? Vom Seggenrohrsänger, dem
die Uckermark; das ging ja damals auch
herausgesucht. In nur vierzehn Jahren haben
seltensten Vogel Deutschlands, gab es im
im Falle der EU die Wasserrahmenrichtlinie,
noch nicht.
wir beim Brachvogel 50 Prozent minus zu
letzten Jahr noch drei singende Männchen –
doch das geschieht noch viel zu wenig.
verzeichnen, die Rebhühner haben in vier-
von ehemals 30.000, die noch vor hundert
Damit meine ich solche Synergieeffekte,
Aber ist das alles? Ist überall der Natur-
zehn oder fünfzehn Jahren gar um 80 Pro-
Jahren lebten. Diese Entwicklung läuft in
dass man gemeinsam etwas tun kann, und
schutz verantwortlich für diese positive Ent-
zent abgebaut.
einer unglaublich dramatischen Geschwindig-
dann bei unangenehmen Entscheidungen
keit ab; und wir müssen sagen, wir sind
nicht nur den Naturschutz vorschiebt,
dabei gewesen.
sondern vielleicht auch mal Kollegen bemüht,
wicklung? Natürlich nicht. Es sind andere
Bedingungen, die mit dem Naturschutz als
Stellen Sie sich mal vor, wenn das so
Einheit gewirkt haben, damit es diesen wirk-
weitergeht. Am letzten Freitag ist der Brut-
lich bemerkenswerten Anstieg der Arten
vogel-Atlas von Deutschland erschienen,
Können wir wirklich nichts gestalten?
sehr wichtig, Probleme gemeinsam anzuge-
gibt. Jetzt kommt das Problem.
ein unglaublich wertvolles Werk. Mehr als
Doch, natürlich – ein kleines bisschen kön-
hen und gemeinsam umzusetzen. Das ist
4.000 ehrenamtliche Zähler haben daran
nen wir noch gestalten. Vielleicht ein biss-
vielleicht eine ganz wichtige These.
gearbeitet. Ich bin begeistert, wenn ich da
chen an der Vergangenheit reparieren. Das
reinschaue. Aber man sieht, die Entwicklung
Brandenburger Gewässernetz umfasst heute
Kommen wir zur nächsten These:
ist überall in Deutschland gleich. Schlimmer
30.000 Kilometer Fließgewässer. Das ist
Wir haben bei über 4.000 selten gewor-
noch: Wir exportieren unsere EU-Landnut-
Rekord in Deutschland, und ich war ganz
denen Arten recherchiert, warum sie
zung in einer unglaublichen Geschwindig-
stolz darauf. Aber dann haben wir uns ange-
denn eigentlich seltener geworden sind.
keit nach Osten. Natürlich läuft die Entwick-
sehen, wie groß denn dieses Gewässernetz
Das Resultat: Bei aquatischen und ter-
lung in Polen, Weißrussland, Ukraine ganz
vor 200 oder 300 Jahren war? Es war viel
restrischen Arten gibt es keinen Unter-
genauso. Wenn ich die Zahlen von August und
kleiner! Eine Veränderung, die man sich fast
schied; es kam immer das Gleiche heraus.
September letzten Jahres vergleiche, dann
gar nicht mehr vorstellen kann. Dass so etwas
Der wichtigste Grund ist die Intensivierung
sind in EU-Europa während der vergangenen
nicht nur zu Veränderungen in der Vogelwelt,
der Landwirtschaft, durch die zu viele
20 Jahre 300 Millionen Vögel aus der Agrar-
sondern in der gesamten Landschaft führt,
Nährstoffe, Stickstoff und Schadstoffe
landschaft verschwunden.
das bleibt heute keinem mehr verborgen.
eingebracht werden. Das Thema Industrie
Wenn ich so etwas sehe, dann sehen das doch
kommt überhaupt nicht vor. Selbst
Wir wissen, in Deutschland haben wir
auch Natur- und Umweltschützer, die Land-
unser liebstgehasstes Kind, das Auto, ist
Sehen Sie hier die drei Arten auf der
gerade einmal 80 Millionen Vogel-Brutpaare,
wirte oder zum Beispiel die Wasser- und
dabei nicht berücksichtigt. Und die direkte
zweiten Folie: den Biber, den Fischotter und
alle 300 Arten eingerechnet. Damit ergibt
Bodenverbände. Und dann sieht das auch die
Entnahme rangiert an letzter Stelle.
sich ein unglaublicher Verlust. Und diesen
gesamte EU. Denn diese Entwicklungen gab
haben wir dem dicken Brett, an dem wir
es ja nicht nur im Osten Deutschlands, die
den Wolf. Auch das Erfolgsgeschichten.
die mit Wasser zu tun haben. Ich finde es
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Der Klimawandel wird dramatisch über-
ein zentrales Thema, und ich bin froh,
schätzt; zumindest im Moment beim Arten-
dass dieses Thema gerade jetzt von der
rückgang. Also bohren wir am falschen
EU aufgegriffen wird. Wir müssen unsere
Brett, oder wir bohren zu langsam, oder wir
Stickstoffeinträge herunterfahren! Ein
fürchten uns – so meine These – vor dem
ganz wesentlicher Punkt, der viel zu wenig
Falschen. Ja, wir sind Meister darin, uns vor
bekannt ist. Und das sagen nicht nur die
dem Falschen zu fürchten. Und in diesem
Naturschützer; viele andere denken ähn-
Falle sieht man das Problem in der Landschaft
lich.
auch nicht. Stickstoff sieht man nicht.
Vor ein paar Jahren haben bedeutende
Geo- und Klimaforscher, die sich mit dem
Klimawandel beschäftigen, gefragt, was
denn die wichtigsten Probleme in der
Menschheitsgeschichte wären. Und womit
wir denn selber Probleme hätten. Das Allerwichtigste sei der Verlust der Artenvielfalt
und zu viel Stickstoff in der Landschaft,
haben die Forscher festgestellt. Erst als dritten Problemfaktor haben sie den Klimawandel genannt. Dazu kann ich nur sagen,
Rekonstruktion des Seifersdorfer Thals bei Dresden
merken Sie sich diese Bilder – Bilder, die
vorher – nachher
man auch propagieren sollte. Also sich
nicht vor dem Falschen fürchten, sondern
wichtige Themen in Umlauf bringen.
Hier oben sehen wir eine sehr arten-
Dass man hier etwas tun kann und muss,
reiche Wiese mit etwa 140 Arten. Darunter
wissen Sie alle.
ein Saatgras-Grünland, das sieht genauso
schön bunt aus. Nun fragen Sie mal auf der
Auch mit unseren Kaufentscheidungen
Straße oder Studenten in der Vorlesung
können wir ein bisschen Naturschutz oder,
nach dem Unterschied. Beides ist doch grün,
genauer gesagt, Umweltschutz betreiben.
wo soll denn da das Problem sein? Antwort:
In manchen Großschutzgebieten gibt es
Im Saatgras-Grünland sind sieben Pflanzen-
wirklich mehr als 50 oder 60 Prozent Öko-
arten drin.
Landbau. Das geht, es funktioniert und
die Gebiete leben davon – beispielsweise
Wenn man weiß, dass hierzulande an
mit Regionalmarken. Positive Beispiele
jeder Pflanzenart sieben Tierarten hängen,
zeigen, „Landschaft schmeckt!“. Dazu gab
ergibt sich daraus ein Saatgras-Grünland
es sogar einmal eine tolle Kampagne. Man
mit 50 Tierarten. Eine artenreiche Wiese
kann das gar nicht oft genug erwähnen.
hingegen hat 1.000 Arten. Und somit
weiß man auch, warum so viele Tiere verhungern. Sie verhungern einfach! Das ist
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Ich finde es wichtig, positive Bei-
Andererseits: Wann hat es „von oben“
Und wenn Sie jetzt diese Tiere noch
spiele, nämlich Artenschutzprojekte, zu
jemals so viel Rückendeckung gegeben?
einmal anschauen, die hier als Haartiere
zeigen. Die meisten dieser geschützten
„Von oben“ haben fast alle so einen
mit ihren großen Augen in die Landschaft
Arten wären ohne unser Eingreifen in
Antrag gestellt. Das finde ich bemerkens-
gucken, dann illustriert das gleich noch
den letzten 25 Jahren ausgestorben. Man
wert. „Von oben“, also von der Politik,
einen Punkt. Prof. Klaus Töpfer hat ja gesagt,
kann etwas tun und das auch noch mit
würde es gedeckt sein. Es hakt aber an der
„Hätte man mir es nicht erklärt, hätte ich
Öffentlichkeitsarbeit erklären. Vielleicht
Umsetzung. Das haben wir heute schon
es verstanden“, und ich denke, mit solchen
bringt das noch ein paar Punkte für mehr
dreimal gehört. Ich bin doch tatsächlich
Bildern erklärt sich vieles ganz von selbst.
Arbeitsplätze, für die Attraktivität der
der Dritte, der das wiederholt. Unser
Genau darum geht es: Menschen heranzu-
Landschaft und mehr Tourismus. Das ist
Problem ist ein Umsetzungsproblem. Ja,
führen, Kinder, Jugendliche. Ab vierzig,
wichtig, und das muss ich auch nicht
wir haben viel im Kopf.
haben wir auch gerade alle gelernt, ab vier-
weiter unterfüttern.
zig klappt das ja bloß noch über Großereig-
Hier geht es darum, wie wir das vermitteln. Herr Brandes hat das bereits erwähnt,
Wir haben vor 25 Jahren bereits das
nisse. Ich habe letztens 79 Wisente in der
Wenn ich Lachs, Stör oder den Auer-
und ich sehe das mindestens so kritisch
Gleiche in den Vorlesungen gesagt. Bei
Döberitzer Heide, das liegt zwischen Potsdam
hahn nenne, oder die Adler und die Groß-
wie er. Ich finde es toll, wenn die Bundes-
uns hängt es daran, was wir daraus machen.
und Berlin, gesehen … 79 Wisente! Die sind
trappen, das versteht jeder. Aber mit
regierung ein Programm zur Erhaltung der
Ein wesentlicher Punkt ist aber in den
auf mich zugedonnert! Ich dachte nur,
dem Erfolg kommen auch Probleme, Wolf
biologische Vielfalt startet. Vor acht Jahren
letzten 25 Jahren dazu gekommen, und das
„Mein Gott!“.
und Biber zeigen das. Wir müssen ver-
hat die Europäische Union in Göteborg
ist das private Engagement. Das sage ich
suchen, damit umzugehen. Bei uns werden
beschlossen, dass wir in Europa kein Tier
jetzt nicht, weil ich hier bei der Allianz
Das ist ein Naturereignis, das würde
bedauerlicherweise auch einige Arten
mehr aussterben lassen. Ein toller Beschluss!
Umweltstiftung bin und weil der Vertreter
mich überzeugen. Warum also nicht solche
aussterben, was leider ebenso in anderen
Da hätten Sie mal sehen sollen, wie die
einer anderen NGO vor mir als Redner
Beispiele? Irgendwann in 20 Jahren gibt es
Ländern noch passieren wird. Was also
Kollegen, die etwas davon verstehen, darüber
dran war. Das sage ich, weil ich es genauso
vielleicht noch einen Wisent oder einen
hat sich in den letzten 25 Jahren getan?
gelächelt haben. Natürlich ist das nicht
meine. In meinem Bundesland gibt es
Stör, den ich präsentieren kann. Dann habe
Vor 25 Jahren hatten wir für Pelzmantel-
geglückt, weil wir mit so einem Beschluss
mittlerweile mehr Naturschutzflächen in
ich etwas, das ich nicht nur als Professor
futter noch 200.000 Hamsterfellchen
die Direktverantwortlichen nicht erwischen.
privater als in staatlicher Hand. Auch welt-
oder als Präsident erzählen kann, dann habe
weit geht in diesem Punkt richtig was ab.
ich etwas, was wirklich wirkt. Und das
aus dem Osten, genauer gesagt aus Brandenburg, auf die Kölner Rauchwarenmesse
Auf fünf Prozent der Fläche im Wald
Und ich halte das, was die Privaten ein-
ist die Hoffnung: Ein bisschen sind wir auf
exportiert. Heute ist der Hamster dort ver-
wollen wir eine naturnahe Entwicklung.
bringen können – ob das jetzt Stiftungen
dem Weg.
schwunden. Eine ganz schwierige Kiste.
Wildnis, das Wort ist bereits gefallen:
oder Einzelpersonen sind, meistens sind
Auf zwei Prozent der Flächen in Deutsch-
es ja Stiftungen – für einen unglaublichen
Meine Damen und Herren, Sie haben es
Einer der wenigen neuen Begriffe,
land wollen wir die Entwicklung von Wild-
Wertzuwachs. Diesen Beitrag empfinde
gesehen: Licht und Schatten. Ich glaube, es
die mir sehr sympathisch sind, ist die bio-
nis realisieren. Wir sind noch weit weg
ich als so wertvoll für den Naturschutz, dass
gibt ein wenig Licht; wahrscheinlich sogar
logische Vielfalt. Wir sprechen hier von
davon. Ich weiß, wie die Verantwortlichen,
ich es kaum beschreiben kann. Ich denke,
etwas mehr, als ich normalerweise sehe. Das
48.000 Tieren in Deutschland. Die Pflanzen
die es wirklich nicht leicht haben in den
das ist ein Weg der Zukunft. Ich sage gar
ist, glaube ich, ein kleiner hoffnungsvoller
können Sie selber erleben und sehen. Wir
Ländern – irgendwie gehöre ich ja selbst
nicht, dass ich das so gut finde, denn eigent-
Abschluss. Danke fürs Zuhören!
können natürlich nicht über 48.000 Tiere
dazu – ich weiß, wie süffisant die dann
lich wäre das eine Staatsaufgabe. Aber
reden, hier brauchen wir Flaggschiffe. Wir
geguckt und gedacht haben: ,Redet ihr nur,
wenn es der Staat nicht schafft, dann bitte
brauchen kleine Hamster, brauchen Haar-
die Praxis wird euch eines Besseren
besser so. Es ist ein Weg, der eine sehr gute
tiere mit großen Augen, die niedlich sind
belehren’. Leider ist das nicht ganz falsch.
Zukunft haben wird.
und die man nicht aussterben lassen darf.
Das ist auch eine Schlussfolgerung, und
das wäre dann meine achte These.
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D I E B E N E DI K TB E U R E R G E S P R ÄC H E
D E R AL L IAN Z U MWE LTSTI F TU NG 2015
„DI E VE RGANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R
G E STALTBAR – E S G E HT U M DI E Z U KU N F T.
U MWE LTPOLITI K I N DE UTSC H L AN D
1990-2015: B I L AN Z U N D AU S B LIC K.“
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„DI E VE RGANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R
G E STALTBAR – E S G E HT U M DI E Z U KU N F T.
U MWE LTPOLITI K I N DE UTSC H L AN D
1990-2015: B I L AN Z U N D AU S B LIC K.“
D I E B E N E DI K TB E U R E R G E S P R ÄC H E
D E R AL L IAN Z U MWE LTSTI F TU NG 2015
V O R T R A G
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„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Vortrag von Volker Angres, Ressortleiter Umwelt des ZDF,
Mainz.
Auf erschreckende Weise darf oder muss
ich Ihnen im Folgenden aufzeigen, dass sich
tatsächlich in einigen Bereichen so gut wie
nichts geändert hat. An anderen Stellen aber
schon. Ob und wie das nützlich ist, das
können wir nachher besprechen.
Fünf Thesen möchte ich Ihnen präsentieren.
Stoßstange an Stoßstange, im Verkehr aus-
Es sind Thesen, die aus meiner ganz persön-
genutzt. Aber was heißt hier Verkehr? Eigent-
Entwicklung der Kulturlandschaft auf Rügen – Sanierung des Schloßparks Pansevitz
lichen Ansicht Schlüsselfragen adressieren.
lich ist Lima ein Riesenparkplatz, auf dem
vorher – nachher
Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständig-
sehr viele Autos stehen und bei Gelegenheit
keit, egal ob wissenschaftlicher, politischer
ab und zu ein Stückchen weiterfahren.
oder welcher Art auch immer.
Die Erklärung für diese Situation ist einfach:
Die Stadtausdehnung beträgt mehr als 60
Im vergangenen Dezember wurde ich vom
Kilometer: nur Stadt, nur Hütten, nur wildes
ZDF nach Lima geschickt, um dort von der
Bauen. Das kann nicht gut gehen. Die Taxi-
20. Weltklimakonferenz zu berichten. Wenn
fahrer bauen sich bereits häufig einen
man in dieser Stadt aus dem Hotel kommt,
Käfig um ihren Fahrerplatz – für alle Fälle.
dauert es keine 30 Sekunden, bis man ein
Beispielsweise für Personen, die mit einer
komisches pelziges Gefühl auf der Zunge
Pistole ins Auto steigen könnten. Etliche
hat. Im Rachenraum fängt es an zu brennen
andere Beobachtungen, auch aus vielen ande-
und zu jucken; es entsteht ein Hustenreiz,
ren Städten, ließen sich hinzufügen. Aber die
der sich wahrlich nur sehr schwer unter-
Lima-Fakten reichen völlig aus für meine
drücken lässt. Atemwegserkrankungen und
erste These.
Lungenkrebs sind in Lima weit verbreitete
Krankheitsbilder. Die Hauptursache dafür ist
Die heißt: Bezogen auf Umweltstandards
der mörderische Verkehr. Nur wer schon
klagen wir in Deutschland auf ganz hohem
einmal in Kairo war, kann ungefähr nachvoll-
Niveau. Entscheidend ist aber, woran wir
ziehen, wie es in Lima zugeht. Verkehrsregeln,
Umweltqualität und damit die Wirksamkeit
wenn es sie denn überhaupt gibt, werden
von Umweltpolitik messen.
nie eingehalten. Die Autofahrer setzen diese
außer Kraft. Jeder Millimeter Platz wird,
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Wäre ich Umweltminister, würde ich
Artenvielfalt als auf dem Land. Doch
sagen: „Schauen Sie mal, wie viele Vorschrif-
nicht, weil es den Vögeln in der Stadt so
ten und Gesetze wir hier haben: Abgas-
gut gefällt. Nein, unsere Städte sind mittler-
vorschriften für Autos, Fabriken, Kraftwerke
weile Rückzugsgebiete für viele Tierarten.
und sogar für Wohnhäuser, Filter überall.
Weil sie da draußen vergiftet werden. Immer
Der Schwefel ist weg, ebenso der Feinstaub.
noch – von der Landwirtschaft, weil diese
Ohne grüne Plakette darf gar kein Auto mehr
trotz Precision Farming viele Felder mit
in die Innenstädte. Trinkwasser ist streng
Chemie überfrachtet. Weil es die Landwirt-
kontrolliert. Kläranlagen haben wir jede
schaft bis heute nicht gelernt hat, im Ein-
Menge, allesamt hoch effektiv. Gefährliche
klang mit der Natur zu wirtschaften. Wie es
Stoffe sind weitgehend verboten. FCKW
Prof. Haber festgestellt hat, bringt jeder
ist verboten – die Erfolgsgeschichte über-
auch noch so kleine Eingriff in den Boden
haupt. Auch auf europäischer Ebene gibt es
dessen Balance durcheinander.
bald keine gefährlichen Stoffe mehr. Und
überhaupt: „Gentechnik, nein danke! …“
Was haben wir unseren Mooren ange-
Jedenfalls, solange TTIP nicht kommt.
tan? Einmalige Ökosysteme mit einmaligen
Pflanzen und Tieren. Wie oft habe ich
Deutschland ist Meister im technokra-
gesagt, die Moore sind ein gewaltiger CO 2-
tischen Umweltschutz. Sie haben es vorhin
Speicher. Wer sie trockenlegt, wird Millio-
schon gehört, 1970 wurde hier in Bayern
nen Tonnen CO 2 ernten – viel mehr als
Erweiterung des Mainuferparks in Frankfurt
das erste Umweltministerium gegründet.
beispielsweise die Heizungen unserer
vorher – nachher
1974 dann das Umweltbundesamt, die aller-
Wohnungen produzieren. Dann die Flüsse,
erste wissenschaftliche Umweltbehörde
die Lebensadern unseres Landes: Wer hat
europaweit.
nur diese Idee gehabt, sie alle möglichst
gerade und tief zu machen? Wie viele Jahr-
Deutschland hat Maßstäbe gesetzt
hunderthochwasser sollen den Menschen
und am 6. Juni 1986 das Bundesumwelt-
denn noch zugemutet werden? Warum
ministerium gegründet. Im April 1986 war
werden ausgerechnet die hochsensiblen Ufer-
Tschernobyl. Ob es da irgendeinen Zusam-
regionen zerstört, die Übergänge zwischen
menhang gibt? Actio und reactio. Später
Land und Wasser, die für die Entwicklung
werde ich darauf zurückkommen. Das ist
der Arten doch so unerhört wichtig sind?
der eine Maßstab: Umweltpolitik, gemes-
Wieso kann das nicht endlich aufhören: die
sen an der Menge der Vorschriften.
Landverschwendung, das ständige Zubetonieren von Flächen. Wie viele Hektar sind
Der andere Maßstab: Umwelt, gemes-
es: 80 oder 100 pro Tag? Vollkommen egal.
sen an ihrem vermeintlichen Zustand. Wäre
Wenn Deutschland irgendwann nur noch
ich Biologieprofessor, dann würde ich fragen:
eine riesige Betondecke hat, lässt sich das
„Seht ihr denn nicht?“ In unseren Städten
gut sauber halten.
gibt es doch mittlerweile mehr gefiederte
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Dass immer weniger Fläche für Natur,
sich. Bauend auf die große Einsicht in
aber auch für die Landwirtschaft zur Ver-
die systemischen Zusammenhänge. Können
fügung steht, hat natürlich eine dynamische
Sie sich noch erinnern, wie die deutsche
Komponente. Beispielsweise müssen Land-
Autoindustrie gejammert hat? Als es um die
wirte demzufolge immer mehr Erträge aus
Einführung des Katalysators ging, hieß es,
den verbleibenden Flächen herauswirt-
das sei viel zu teuer. Das würde die gesamte
schaften.
deutsche Autoindustrie-Elite in den Ruin
treiben. So die damaligen Klagen im Einheits-
Ein Teufelskreis, der mich zu meiner
ton aus Wolfsburg, Stuttgart, München
zweiten These führt. Umsetzen können wir
und Ingolstadt. Das Witzige damals war,
viele tolle Einzelmaßnahmen. Doch das
dass alle Hersteller bereits Autos mit
systemische Denken, die Überlegung, wie
Katalysatoren produzierten. Nämlich für
alles mit allem zusammenhängt und die sich
den kalifornischen Markt. Das amerika-
daraus ergebenden politischen Konzepte
nische Umweltland Kalifornien hatte damals
fehlen nach wie vor völlig in der Umweltpo-
strengste Abgaswerte. Ohne Katalysator am
litik. Das dürfte dann ziemlich nahtlos an
Auspuff wäre kein deutsches Auto dort
meinen Vortrag von 1999 anschließen. Nicht
auf den Markt gekommen. Das haben die
systemisch. Wobei sich freilich die Frage
meisten vergessen. Der Kat wurde dann bei
stellt, woran das liegt; und wer möglicher-
uns gesetzlich verordnet – indirekt, über
weise ein Interesse hat, eben nicht syste-
entsprechende, vorgeschriebene Abgasnor-
Errichtung des Mauerparks in Berlin
misch über Umwelt und die Folgen nachzu-
men, aus denen sich die Industrie bis heute
vorher – nachher
denken.
– und ich empfinde das als einen hübschen
running gag – ständig herausmogeln will:
aktuell durch die Betrachtung des Flottenverbrauchs eines Herstellers unter überproportional hoher Anrechnung von Elektroautos. Ähnliches Taktieren und ähnliche
Rausmogel-Tendenzen können Sie auch in
anderen Branchen entdecken.
Was mich zu meiner dritten These verleitet. Freiwillige Selbstverpflichtungen hören
sich zwar gut an, aber nur strenge Gesetze
bringen die gewünschte Wirkung. Übrigens
etwas, was sich seit 1999 unverändert beob-
Über die Luftverschmutzung in Lima
achten lässt. Vielleicht brauchen wir ja
hatte ich ja anfangs schon berichtet. Kaum
ein Gesetz zur Einführung von Elektroautos.
einer kann sich erinnern, dass es bei uns
E-Autos sind im Kurzstreckenbetrieb unschlag-
auch mal so war. Was die Politik dazu brachte,
bar: Der Fahrpreis pro Kilometer ist extrem
unter anderem die Autoindustrie zu bitten,
niedrig; für den, der eigenen Solarstrom tankt,
die Abgase durch geeignete technische Maß-
liegt er bei null.
nahmen zu reduzieren. Freiwillig versteht
56
V O R T R A G
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A N G R E S
57
E-Autos machen keinen Dreck und
über 100 Kilometer pro Stunde errei-
ventionieren. Beispielsweise unter dem
dann zu Autostahl. Die Umweltauswirkun-
fahren so leise, dass für ein wahrnehmbares
chen konnte. Karosserie aus Leichtmetall,
Druck noch ausstehender Klimaschutzmaß-
gen sind katastrophal, die Arbeitsbedingun-
Fahrgeräusch elektronische Soundchips
zwei Elektromotoren mit je 34 PS.
nahmen.
gen der Bergleute in den Minen sorgen
eingesetzt werden müssen, damit Fußgänger
Camille Jenatzy, ein belgischer Ingenieur
die Autos überhaupt hören.
und Automobilrennfahrer hat das E-Auto
Bei uns gibt es eine merkwürdige Auffas-
nicht sagen, welches Fahrzeug besonders
konstruiert. Erfolg hatte er damit nicht,
sung. Nämlich die Überlegung, wann eigent-
umweltfreundlich ist. Eine allumfassende Öko-
weil leider genau in diesem Moment das
lich ein Auto umweltfreundlich ist. Die aller-
bilanz ist mir nicht bekannt. Die sogenannte
Petroleum- und Benzin-Zeitalter aufkam.
meisten sagen, 5 Liter Sprit auf 100 Kilo-
Lieber-Vorkette wird von der Autoindustrie
Das kommt uns auch heute ein bisschen
meter, das ist schon ziemlich gut; ein CO 2-
bisher nicht betrachtet.
bekannt vor. Wohl weniger das Reichweiten-
Ausstoß von 100 Gramm pro Kilometer oder
Argument als vielmehr der hohe Preis, der
ein bisschen weniger, dann ist das Auto
Fehlt das systemische Denken, dann
die meisten vor dem Kauf heutiger Elektro-
umweltfreundlich, perfekt. Abgesehen davon,
haben wir zum Beispiel ein Flüchtlings-
autos zurückschrecken lässt. Dabei wäre
dass die im offiziellen europäischen Test-
problem. Was wir gerade erleben, die
doch eine interne Mischkalkulation bei den
zyklus gemessenen Werte in der Praxis so
menschlichen Dramen im Mittelmeer, das
Autobauern sicher kein Ding der Unmöglich-
gut wie nie erreicht werden. Bei meinem Auto
ist doch nichts anderes als die Quittung
keit. VW fährt Verkaufsrekorde ein. Den
ist das jedenfalls so. Ich habe diese Werte
für nicht systemisches Denken. Jahrzehnte-
Nobelmarken geht es im Moment blendend.
noch nie geschafft. Als Maßstab sind sie aber
lang haben die reichen Industrienationen
Hier sehen Sie einen Fisker Karma mit
Also warum wird die zukunftsweisende
erstaunlicherweise trotzdem von allen
Afrika ausgebeutet. Rohstoffe, Agrarprodukte,
einem, wie ich finde, sehr interessantem
Elektrotechnik nicht intern bei den Auto-
Regierungen und der EU-Kommission aner-
billige Arbeitskräfte. Nie wurde die ewig
Zubehör auf dem Dach. Henry Fisker,
herstellern quer subventioniert?
kannt. Abgesehen davon, vermisse ich hier
geforderte Entwicklungshilfe in der Größen-
wieder systemische Betrachtungen.
ordnung von 0,7 Prozent des Bruttosozial-
das ist der dänische Automobildesigner, der,
wirklich für Entsetzen. Ich kann ihnen also
vielleicht erinnern sich einige von Ihnen,
Die Antwort ist im Grunde simpel. Sie
den Aston Martin DB9 und den BMW
lautet: Elektroautos würden, wenn sie in
Unsere Autos fallen nicht vom Himmel.
Deutschland liegt bei 0,3 Prozent. Die
Z 8 entwickelt hat. Elektroautos aber sind
hohen Stückzahlen produziert würden,
Bevor sie im Laden stehen, ist doch aller-
Bemühungen, vor allem der Hilfsorganisa-
wirklich ein alter Hut.
selbstredend sämtliche Zulieferketten und
hand passiert. In den Fabriken zum Beispiel.
tionen der Kirchen, der Umweltverbände,
alle Workflows in der Autoindustrie auf
Diese Fabriken brauchen Strom, Wasser,
aber auch der GIZ, der Gesellschaft für
den Kopf stellen. Denn Kolben und Einspritz-
es müssen Mitarbeiter zur Arbeit fahren.
Internationale Zusammenarbeit, Bildungs-
pumpen braucht ein Elektromotor nicht;
Und die Autos benötigen Rohstoffe, Metalle
projekte aufzuziehen, waren und sind ein
auch weder Getriebestrang noch Benzintank.
zum Beispiel, sehr viel Kunststoff, Farben
Tropfen auf den „heißen Stein Afrika“. In
Diese Veränderung würde die Autoindustrie
und Stoffe. Die Umweltauswirkungen,
vielen Ländern Afrikas lassen die politischen
Milliarden kosten. Plötzlich also kann die
etwa bei der Erzgewinnung, gehören unbe-
Strukturen bestimmte Hilfen gar nicht zu.
Industrie systemisch denken. Nämlich dann,
dingt in diese Betrachtungen hinein, wenn
Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es
wenn es um die eigenen Systeme geht. Die
ich zu einem Urteil kommen will, ob ein Fahr-
bei uns und in den anderen Industrienatio-
sollen doch bitte so lange unverändert
zeug umweltfreundlich ist oder nicht. Die
nen starke Interessen gibt, alles so zu lassen,
bleiben, wie sich damit Geld verdienen lässt.
ganze Kette der Produktionsschritte gehört
wie es ist. Denn nur bei großen wirtschaft-
Betrachtungen von Ökosystemen und des
hier hineingerechnet – bis hin zur Entsor-
lichen und sozialen Gefällen zwischen Afrika
Umweltzustandes spielen dabei überhaupt
gung. Wir haben das mal in einer Folge von
und Europa oder auch den USA lassen sich
Das ist ein Geschwindigkeitsrekord-
keine Rolle. Jedenfalls so lange nicht, bis es
planet e. gezeigt. planet e. ist die sonntäg-
im Konsumenten-Massenmarkt große
wagen von 1899 mit elektrischem Antrieb.
dafür Belohnungen gibt. Daher meine
liche Umwelt-Doku-Reihe, die ich im ZDF ver-
Profite erzielen. Wäre Afrika auf Augenhöhe –
Die La Jamais Contente, übersetzt die
Elektroauto-Prognose: Die Industrie wartet
antworte. Die Reise ging damals nach Süd-
wovon der Kontinent sehr weit entfernt ist –
niemals Zufriedene, war das erste Automobil
so lange, bis eine Regierung eines Tages
amerika, dorthin, wo Eisenerz für die deutsche
kämen keine so profitablen Geschäfte mehr
der Welt, das eine Geschwindigkeit von
bereit ist, Elektromobilität massiv zu sub-
Autoindustrie abgebaut wird. Dieses wird
zustande.
produktes eines Geberlandes erreicht.
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A N G R E S
59
Das führt mich zu meiner vierten These:
politisches Handeln, sondern einzig und
fähigeren Anlagen, in smart grids und
Konsequentes systemisches Umweltdenken
allein die eigene Betroffenheit. Oder, wie der
Stromspeichersysteme geflossen. Längst hat
unterbleibt deswegen, weil es nach den
frühere Bundesumweltminister Prof. Klaus
unsere neue Energietechnik das Prädikat
Regeln führender Wirtschaftssysteme die
Töpfer einmal formulierte – wohlgemerkt
„mustergültig‘“.
Profitmargen massiv schmälert.
nach einem Interview, als die Kamera schon
eingepackt war. Zitat: „Es passiert sowieso
Und unser Gesetz zur Einführung der
Also müssen die Regeln, die Belohnungs-
nichts bis zur nächsten Katastrophe.“
erneuerbaren Energien, das EEG, dient
systeme, verändert werden. Eine enorme
Zustande gekommen sind also ein ruck-
vielen anderen Ländern als Blaupause zum
Herausforderung in einem globalen Markt.
artiger Ausstieg aus der Kernenergie
Umstieg. Einzig in Europa kommen die
Genau das haben die, die bisher davon
und der einigermaßen planlose Einstieg in
Dinge nicht wirklich voran. Die Blockade-
profitieren, messerscharf erkannt. Deswegen
die Energiewende. Sehr zum Entsetzen
haltung der Kohleländer verhindert einen
ist TTIP ja so umstritten. Es besteht der
der großen Energieversorger. An der Retour-
funktionierenden Emissionshandel. Und
leider sehr begründete Verdacht, dass genau
kutsche wird ja fleißig gearbeitet: Klagen
genau das ist das System, was zu einer Regel-
diese alten Regeln für die nächsten Jahr-
mit Millionenforderungen als Schadens-
veränderung bei der Generierung von Pro-
zehnte zementiert werden sollen. Eben ohne
ersatz für die atomaren Ausfallzeiten und
fiten führen würde. Denn wer sich umwelt-
ein systemisches Umweltdenken. Womit wir
ein elegantes neues Firmenmodell, welches
konform verhält, hätte danach niedrigere
schon einen ersten Blick in die Zukunft
die Abspaltung der teuren Atomsparte frei
Kosten und wäre wettbewerbsfähiger als
geworfen haben. Ein zweiter folgt auf der
nach dem Vorbild der bad bank vorsieht –
andere.
Stelle. Das Umweltthema mit der größten
wegen der nun kommenden Rückbau-
Bedeutung und der größten Reichweite
phase der stillgelegten Atomkraftwerke.
Alles nun scharf im Blick, möchte ich
ist aus meiner Sicht die Energiewende,
Die Kosten hierfür möchte man doch lieber
einen Aspekt hinzufügen. Einen, der mir
zusammen mit dem ihr zugrunde liegenden
auf uns, die Steuerzahler, abwälzen. Beim
persönlich sehr am Herzen liegt. Bei
Beschluss, aus der Kernenergie auszusteigen.
Umbau unseres Energiesystems wäre doch
uns im Land sterben gerade die Zeitungs-
Die gängige Meinung ist, Fukushima sei
ein systemisches Denken mit allen Beteilig-
redaktionen weg, von der Öffentlichkeit
der Auslöser gewesen. Aber es gab zeit-
ten von Vorteil gewesen. Das ist natürlich
so gut wie unbemerkt. Die Honorare für
gleich parallel eine andere sich anbahnende
blanke Theorie, denn freiwillig hätten
freie Journalisten sind im Keller – zulasten
Katastrophe, zumindest aus Sicht der Bundes-
sich die großen Energieversorger nie und
journalistischer Qualität! In vielen anderen
kanzlerin. Die Landtagswahlen in Baden-
nimmer auf das Feld der Erneuerbaren
Ländern ist überhaupt keine freie Medien-
Württemberg drohten verloren zu gehen. Der
begeben. Einige haben das jetzt bitter bereut
kultur vorhanden. Keine gute Voraus-
Atomausstiegsbeschluss sollte der schwä-
und bezahlen dafür kräftig. Längst produzie-
setzung für die Diskussion systemischer
chelnden CDU Wählerstimmen aus dem
ren Windräder und Photovoltaikanlagen mehr
Ansätze. Demokratisch legitimierte Politik
grün-affinen Lager bringen. Hat, wie Sie sich
Strom als alle unsere Atomkraftwerke.
muss überall auf der Welt mediale Mei-
bestimmt erinnern, nicht geklappt. Was bleibt,
nungsvielfalt schaffen und erhalten. Denn
ist das Schema von actio und reactio. Ähn-
Nicht allen gefällt es, wenn immer mehr
Medien müssen mehr als zuvor Zusammen-
lich wie bei der Gründung des Bundesumwelt-
Windräder Bergkämme besiedeln. Auch das
hänge erklären, kritisch nachfragen und
ministeriums kurz nach Tschernobyl.
ist ein Aspekt einer zu lasch geführten
systemische Aspekte bei Umweltfragen in
systemischen Debatte an dieser Stelle. Längst
den Mittelpunkt der Berichterstattung
These fünf lautet deshalb: Nicht die Ver-
ist die Energiewende zum Forschungsmotor
stellen. Und Medien müssen vor allem eines:
nunft, nicht das Verständnis von umweltsyste-
par excellence geworden. Zig Millionen
Querdenkern und Andersmachern eine
mischen Notwendigkeiten liefert Impulse für
sind in die Entwicklung von immer leistungs-
Bühne geben! Herzlichen Dank.
D I S K U S S I O N
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T A G U N G S T H E M A S
61
„ DI E V E R GANG E N H E IT I ST N IC HT M E H R G E STALTBAR –
E S G E HT U M DI E Z U KU N F T. U MWE LTPOLITI K I N
D E U T S C H L A N D 19 9 0 - 2 015 : B I L A N Z U N D A U S B L I C K . “
Abschließende Diskussion der Referenten und Teilnehmer.
’’
Dr. Spandau
Herr Glück, welche Gründe könnten wir
haben, an ein besseres Morgen zu glauben?
Alois Glück
Zunächst einmal glaube ich, haben wir
alle miteinander die Motivation, darauf zu
setzen. Meine Lebenserfahrung sagt mir,
Schutz, Pflege und Entwicklung im Biosphärenreservat Spreewald
vorher – nachher
Neues entsteht nur aus Krisen heraus, egal
vielmehr grundsätzlich ein geeignetes
in welchem Bereich. Deshalb sind Krisen
Prinzip, alle Entwicklungen daran zu messen
immer auch eine Chance; und wenn Krisen
und zu steuern: angefangen bei der Finanz-
sichtbar werden, haben diejenigen die
politik mit der Frage der Verschuldung und
größten Chancen gestaltend zu wirken, die
wofür wir Geld ausgeben, über das System
schon vorher konzeptionell gearbeitet haben.
der Alterssicherung etc. Dann ist für
Die allermeisten fangen dann erst an zu
Menschen nachvollziehbar, dass es danach
denken und zu reagieren.
längerfristig stabil sein muss. Aber in dieser
Hinsicht ist die Zukunft noch offen.
Zunächst haben wir momentan unglaublich viel Verunsicherung durch vielfältige
Dr. Spandau
Krisenerfahrungen. Ohne Verunsicherung
Zum Glück!
gibt es nichts Neues. Vielleicht sind die
Menschen genau so: Wer immer ganz
Alois Glück
selbstgewiss ist, der hat kein Motiv sich zu
Zu den neuen Entwicklungen zählt ja auch,
verändern. Ich glaube, wir leben in einer
dass – ausgelöst von der Finanzkrise – die
Phase, in der neue Entwicklungen eine
Glücksforschung eine Mordskarriere in der
gewisse Chance haben. Gleichzeitig, denke
Volkswirtschaft hat.
ich, brauchen wir andere Leitbilder. Unsere
‘‘
gesamten Anliegen im Umweltschutz werden
Dr. Spandau
keinen Durchbruch bekommen, wenn er
Womit wir wieder beim Thema Human-
nicht integriert wird in ein übergreifendes
ökologie wären.
Leitbild. Für mich ist Nachhaltigkeit nicht
nur ein ökologisches Prinzip, sondern
62
D I S K U S S I O N
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T A G U N G S T H E M A S
’’
63
Alois Glück
Dr. Spandau
Sachbeitrag zum Thema. Tönnies, ein
Weil sich den Ökonomen durch die Finanz-
Wie lang darf denn der Atem sein, wenn
großer Fleischvermarkter, steigt groß in
krise erschlossen hat, dass der Mensch eben
wir an ein besseres Morgen glauben? Wie
das Produkt „vegane Schnitzel“ ein.
nicht nur ein rechnendes Wesen ist; und
wir heute schon festgestellt haben, warten
Wenn das nicht der Hoffnungsschimmer
dass die Entscheidungen der Menschen
wir seit 25 Jahren, dass sich wirklich
für morgen ist, dann weiß ich nicht, was
in bestimmten Bereichen nicht nur, wie man
etwas Nachhaltiges tut. Jetzt höre ich von
noch kommen soll.
immer geglaubt hat, vom jeweiligen Nutzen-
Ihnen, wir sollen weiter warten. Wird das
denken bestimmt ist.
dann wirklich ein besseres Morgen?
Eberhard Brandes
Ich glaube ganz fest daran. Der einfachste
Prof. Dr. Freude
Prof. Dr. Freude
und wichtigste Grund ist, ich bin ein total
Ich bleibe beim Thema Glücksforschung.
Wir sind homo sapiens, seit mindestens
kompromisslos positiver Mensch, ansonsten
Das mit den Krisen sehe ich leider genauso
200.000 Jahren, und homo seit 2,7 Millionen
wäre ich auch nicht beim WWF. Der
wie Sie. Ganz ohne Krisen wird es nicht
Jahren. Gut, wir machen die Welt in einem
zweite, darauf aufbauende Grund ist, ich
gehen, ohne Krisen werden wir nicht weiter-
sagt immer noch ein Drittel des Dorfes, es
atemberaubenden Tempo kaputt. Wir werden
glaube, die meisten Menschen wollen
kommen. Wir alle würden sie uns gerne
wolle mit Umwelt- und Naturschutz nicht
trotzdem Jahrzehnte brauchen, bevor sich
einfach ein zufriedenes, glückliches Leben
ersparen, das wird aber nicht funktionieren.
wirklich etwas zu tun haben.
das Ding drehen wird. Das ist meine persön-
führen, und wir haben sie nicht mitgenom-
liche Einstellung, weil ich gerade in meiner
men. Das sollte auch die Botschaft der
Das mit der Glücksforschung ist die zweite
Chance, die ich sehe – nämlich Glück durch
Das sagt uns auf der anderen Seite, dass
neuen Funktion weiß, wie festgefahren
letzten zwei Minuten meines Vortrages sein:
positive Beispiele zu erleben. Das ist, was
wir immer noch einen verdammt langen Atem
Besitzstandswahrungen sind, und wie schwer
Es liegt an uns, die normalen Menschen,
mich seit 25 Jahren umtreibt: Zeige den
brauchen. Diese Geschichte wird uns noch
es ist, so etwas aufzuknacken. Wenn es mal
bei denen das Thema Umwelt nicht ganz
Leuten, dass es funktioniert! Zeige den
lange beschäftigen, und ich selbst neige hier
wieder, wie 1990, ein Nationalparkprogramm
oben steht, einfach anders mitzunehmen.
Leuten das Beispiel mit den 70 Wisenten, die
eher zur Ungeduld. Das ist manchmal ganz
geben sollte, ist derjenige gut dran, der dann
Wenn man das macht, das können ich und
auf dich zulaufen. Zeige ihnen, was für ein
furchtbar, wenn ich sehe, wie langsam sich
Konzepte parat hat. Ich glaube, wir haben
viele andere sicher aus Erfahrung sagen,
tolles Erlebnis das ist. Zeige, dass die
die Dinge entwickeln … Mein Abschlusssatz
die Konzepte – Volker Angres hat es auch
dann „haben“ wir sie, dann sind sie über-
Landschaft noch schmeckt, und zeige, dass
dazu: Der ehemalige Nationalparkdirektor
schon gesagt – im Prinzip bereits im Kopf.
zeugt. Das dritte Argument ist ein ganz
eine Feldlerche nicht ausstirbt, sondern
aus dem Bayerischen Wald, den wir alle
unglaublich schön singt. Man muss also gute
kennen, Dr. Hans Bibelriether, hat einmal zu
Volker Angres
keit der Menschen überzeugt und davon,
Beispiele rüberbringen. Beispielsweise, wenn
irgendeinem Jubiläum, zu dem ich etwas
Kennen Sie die Glückskekse im chine-
dass der informierte Mensch sich nicht seine
man darüber informiert, dass ein Dorf –
beitragen durfte, gesagt „Wir brauchen ganz
sischen Restaurant? Wenn es ganz blöd
eigene Zukunft zerstören wird. Die Frage ist
übrigens das erste, das sich bei uns Öko-Dorf
viel Geduld“. Bei uns hat es 25 Jahre
kommt, knackt man einen auf und auf dem
nur, wie man ihm alles nahe bringt. All
nennen darf – seit der Wende die durchgängig
gebraucht, bevor die Hälfte derer, die von
Zettel steht „Leider kein Glück gehabt“.
das, was wir hier diskutiert haben, sind eher
jedes Jahr niedrigste Arbeitslosigkeit im
unserer Arbeit und dem Nationalpark
Aber ich weiß drei echte Gründe für eine
systemische Fragen, dazu kommen wir ja
ganzen Land hat. Genauso niedrig wie
profitiert haben und dort zu einem großen
bessere Zukunft. Der erste ist ein rein
bestimmt noch. Wir müssen vielmehr den
Potsdam, niedriger geht es nicht. Dann weiß
Teil auch leben, bereit waren, den National-
privater Grund: Meine drei Kinder sind
Einzelnen ansprechen, dann wird es klap-
ich, so etwas kann man herzeigen.
park überhaupt als solchen zu akzeptieren!
durch die Ausbildung und entwickeln sich
pen, und daran glaube ich fest.
einfaches. Ich bin zutiefst von der Lernfähig-
Die Bayern sind vielleicht besondere Dick-
prima. Ich bin zudem seit 18 Monaten
Wenn Sie aber auf der anderen Seite sehen,
schädel, aber die Brandenburger sind da
Großvater, das finde ich noch viel schöner.
Dr. Spandau
und das ist jetzt das retardierende Moment,
nicht viel besser. Also langer Atem und gute
Der zweite Grund für ein besseres Morgen
Dann gehen wir mal weg von Ihnen als
Sie haben in diesem Dorf fast nur Vollbe-
Beispiele zeigen; doch ganz ohne Katastro-
ist, dass das ZDF den Fernsehrat verklei-
Person. Dass sie ein optimistisch aufgestell-
phen wird es leider nicht gehen.
nern muss und die Politik ein bisschen raus-
ter Mensch sind, habe ich bei verschiedenen
schmeißt. Und der dritte Grund – und das
Gelegenheiten schon mitbekommen.
schäftigte – vor allen Dingen im Ökolandbau
und durch Naturführungen – und trotzdem
ist jetzt der richtige – ist ein wichtiger
64
D I S K U S S I O N
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T A G U N G S T H E M A S
’’
65
Aber ist es nicht so, dass gerade Pessimis-
Menschen ganz anders mitnehmen. Des-
Ebene des politischen Handelns ist
mus, Dogmatismus und auch Fundamenta-
halb ist es unsere Aufgabe – das ist jetzt eine
das Zwingen zur Auseinandersetzung nicht
lismus sowohl der Umweltbewegung als
gewagte These – über die neuen Medien viel
geeignet. Das Neue beginnt immer mit
auch den Umweltverbänden ihre Dynamik
direkter an die Menschen heranzugehen.
Menschen, die an etwas denken, woran man
komplett genommen haben? Wird die
Damit haben wir ganz andere Möglichkeiten.
noch nie gedacht hat. Wir müssen den
ökologische Apokalypse erwartet, verändert
das die Welt einfach nicht.
Menschen Raum geben; wir müssen auch
Dr. Spandau
solche Gruppen in der Gesellschaft akzep-
Das heißt, wir wechseln nur die Methode
tieren, die eine sehr unbequeme Rolle haben.
Ich möchte noch einmal auf Ihren Vortrag
und machen das Gleiche? Es ging aber doch
Eine offene Gesellschaft, in der so etwas
zurückkommen: Wie sollten Umweltverbände
darum, wie die Umweltverbände sich
möglich ist, ist auch eine innovative Kraft.
heute aufgestellt sein, um diesen Vorwurf
aufstellen sollen.
zu entkräften, damit sie fundiert zu einem
besseren Morgen beitragen?
Auf der anderen Seite brauchen wir die
Eberhard Brandes
Umweltverbände, die in der Umsetzungs-
Das erste war die Kommunikation. Der
arbeit konstruktive Aufgaben haben, die
Dr. Spandau
Eberhard Brandes
zweite Punkt: Es ist wichtig, eine Vielfalt
Brücken bauen und die Menschen mitneh-
Wenn Sie von den Menschen sprechen, die
Die erste ganz einfache Regel lautet: Der
von Verbänden zu haben, die unterschiedliche
men. Ich würde nicht sagen, dass die
eine unangenehme Rolle in der Gesellschaft
Wurm muss dem Fisch schmecken – und
Aufgaben erfüllen. Das ist ja heute bereits
Umweltverbände immer das gleiche Strick-
übernehmen: Wer sind diese Menschen und
nicht dem Angler. Das ist eine simple Regel,
so, und das ist sehr sinnvoll. Wir sollten aber
muster haben müssen. Wir brauchen
wo sind sie?
die noch nicht überall eingehalten wird.
unbedingt den Teil der Umweltverbände
durchaus unterschiedliche Rollen. Dadurch
Alles was wir tun und was wir kommuni-
ausbauen, die holistisch arbeiten und wirk-
entsteht ein gesellschaftlicher Prozess. Das
Alois Glück
zieren, muss, damit wir die Menschen auch
lich komplette, systemische Ansätze entwi-
Problem ist meines Erachtens nicht, einzelne
Die gesamte Umweltbewegung ist dafür
erreichen, zu 100 Prozent auf deren Belange,
ckeln, darstellen und druckvoll beeinflussen;
Menschen davon zu überzeugen, was
ein Beispiel. Es hat mit Leuten begonnen, zum
Prioritäten, Lebenswelten zugeschnitten
gleichzeitig dürfen wir aber auch das für
wünschenswert ist und welchen Argumenten
Beispiel mit Herbert Gruhl und anderen, die
sein. Darüber sollten wir also Bescheid
den einzelnen Menschen konkret Greifbare
sie zustimmen. Wir müssen die existenziellen
zum Teil eine sehr undankbare Rolle hatten.
wissen. Das ist relativ einfach und deshalb
und Begreifbare nicht vernachlässigen, so
Fragen lösen können, die wir letztlich an
Kirchlich würde man solche Menschen
können wir das, glaube ich, gemeinsam
dass sich jeder mitgenommen fühlt. Aber das
das Leben haben. Zum Beispiel die Frage um
als Propheten bezeichnen. Also Menschen, die
noch sehr viel besser machen.
ist eine sehr komplexe Frage. Das kann man
die Arbeitsplätze. Hier geht es schließlich
ein gutes Stück voraus sind. Manchmal ist das
schwer in zwei Minuten beantworten.
um die Existenz des Einzelnen. Die Fragen
ein ganz bestimmter Typus Mensch, der
zur Landwirtschaft. Wenn wir einen Lebens-
auch oft schwierig ist. Aber diese Menschen
Und das Zweite ist: Wir brauchen ein
bisschen mehr Zeit, um unsere Botschaft
Alois Glück
mittelmarkt haben, auf dem erbarmungslos
bringen am Schluss etwas Bewegung ins
loszuwerden. Wenn wir diese Zeit bekom-
Wir müssen auf die Gesellschaft und
das billigste Lebensmittel propagiert wird,
Denken. Genauso aber brauchen wir die
men, dann müsste es eigentlich 90 Prozent
letztlich auf die Politik einwirken. Dafür
dazu in jedem Supermarkt die entsprechende
kooperativen Typen. Typen, die zum Beispiel
Zustimmung geben, das ist meine persön-
benötigen wir verschiedene Rollen. In
Werbung mitläuft etc., dann ist die Landwirt-
in der Lage sind, aus der Verbandsarbeit
liche Erfahrung.
bestimmten Situationen brauchen wir
schaft unter einem extremen Rationalisie-
heraus kooperativ mit der Politik zu kommu-
Menschen, die uns zunächst provozieren,
rungsdruck.
nizieren. Wenn ich als Politiker nur Provo-
Dr. Spandau
die uns herausfordern. Das Neue beginnt
Wie viel Zeit haben wir?
gewissermaßen immer mit Außenseitern.
Und auch diese Systemzusammenhänge
Gesprächsbasis mehr für den Menschen. Aber
Diese Entwicklungen werden stets gesteuert
gilt es zu sehen, um darauf antworten zu
es gibt immer wieder Menschen, die neue
Eberhard Brandes
kation erlebe, dann habe ich auch keine
von engagierten Minderheiten, nie von
können. Denn sonst habe ich zwar eine tiefe
Impulse setzen. Wichtig ist, dass diese
Ich meinte Zeit zur Präsentation der
der trägen Mehrheit. Es braucht die Leute,
Sehnsucht, dass etwas anders werden soll
Menschen in der Gesellschaft ihren Platz
Fragen. Wenn wir einmal mehr als die 30
die provozieren. Als Politiker bin ich
in Zukunft, aber ich habe keine Antworten
haben und dass unbequeme Gruppen ihren
Sekunden Snapshot auf dem YouTube-
mehr in der Politik, aber ich war ja ziemlich
auf meine existenziellen Fragen. Hier
Platz haben; weil sich nur so in der Gesell-
Channel bekommen, dann können wir die
lange, 38 Jahre, im Parlament. Für die
müssen wir Zusammenhänge herstellen.
schaft etwas Lebendiges entwickeln kann.
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T A G U N G S T H E M A S
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die Projekte durchführen, eingehen können
werden, und zwar auf einen richtigen Weg.
Nehmen wir ein Unternehmen wie EDEKA.
und sogar müssen. Was an dieser Stelle fehlt,
Deshalb glaube ich auch, dass die kurzfristige
Natürlich gab es da am Anfang Skepsis, aber
ist etwas mehr Transparenz. Wenn wir von
„Ich-hau-drauf“-Mentalität nur eine Frage
mittlerweile herrscht pure Begeisterung, und
der Energiewende reden, müssen wir auch
der Zeit ist, bis diese wieder deutlich ab-
darauf kommt es letztendlich an. Wenn wir
über eine Art von Kulturwende reden. Dass
nimmt. Die Menschen mehr mitzunehmen,
langfristig etwas bewegen wollen, dann nur
man einfach sagen kann „Wie kriegst du
das sehen wir als eine Aufgabe an.
ohne Druck und ohne Gesetze. Und dazu
das denn gebacken?“, damit es nichts Ver-
würde ich gern noch einen Satz loslassen:
botenes ist, sondern sich im Bereich der
Noch einmal kurz zu den Unternehmen:
Ich finde es schwierig, mir eine Welt vorzu-
Normalität bewegt; wenn wir uns also an die
Kooperationen wie die mit EDEKA sind nicht
stellen, in der sich Dinge nur ändern, wenn
Leitplanken links und rechts halten und das
finanz-, sondern zielgetrieben. Für jede
wir auf Verordnungen warten. Natürlich
auch genauso kommuniziert wird. Aus
Kooperation finden Sie im Internet die Ziele,
gibt es andere historische Erkenntnisse –
journalistischer Sicht fehlt mir das. Wenn ich
die Gelder und was wir wann erreicht
nehmen wir die Sklaverei, die nur durch
mir vorstelle, der WWF und die anderen
haben. Wir lassen von externen Prüforgani-
strengste Gesetze abgeschafft wurde – aber
Volker Angres
kommen nicht mehr mit riesigen Enthüllun-
sationen, in diesem Fall von der PwC , einen
ich glaube, inzwischen hat sich die Welt
Das sind bei uns die Andersmacher und
gen auf uns zu, dann haben wir Journalisten
jährlichen Report verfassen. Dieser Bericht
geändert, und wir müssen eine andere Art
Querdenker. Genau das ist die Schnittmenge,
nichts mehr zu berichten. Das wäre auch
steht ebenfalls im Internet, es ist also alles
des Miteinanders finden. Da gibt es zum
bei der wir zusammenkommen. Aber um auf
blöd. Und das ist doch genau der Reaktionis-
völlig transparent. Das Entscheidende, die
Beispiel Unternehmen, die machen Mitarbei-
die Frage einzugehen, wie sich die Verbände
mus an dieser Stelle. Die Medien ticken im
eigentliche Herausforderung ist: Hat man die
ter-Wettbewerbe wie „Wer hat den witzigsten
aufstellen sollen: Ich glaube, Herr Brandes,
Grunde ganz genauso, indem sie eine
Zielkohärenz? Die unterschiedlichen
Slogan für unsere Kooperation?“. Einer hat
die Verbände, nicht nur der WWF, sind in
Katastrophe rausholen: „Der letzte Fisch der
quartals-, jahres- oder strategiebezogenen
mir sehr gut gefallen, der lautete einfach:
einer riesigen Zwickmühle. Die Themen sind
Erde wurde gerade in Hamburg verkauft“.
Unternehmen mit unseren Zielen in Einklang
„Der Panda sei mit dir“. Das ist einfach ein
klar, das haben wir vorhin gesehen. Aber Sie
Wir Leser glauben das und sind oft blöd
zu bringen, das ist die eigentliche Heraus-
bisschen humorvoller. Das ist auch wichtig,
müssen sozusagen immer auf die Pauke
genug, diese Meldung nicht zu recherchie-
forderung. Das erfordert jahrelange Verhand-
nicht immer bierernst und oberlehrerhaft
hauen, um die Spendenfreundlichkeit ihrer
ren. Und schon haben Sie genau diese Welle:
lungen. Wenn man das schafft, so kommt
zu sein, sondern mehr Humor ins tägliche
Mitglieder zu erhalten und die Lust, weiter-
Das stimmt zwar alles gar nicht, aber
man, glaube ich, gut voran. Um sich an
Leben zu integrieren. Dann kommen wir
hin Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Das gilt
irgendwann ebbt das wieder ab. Ich bin
diesem Beispiel noch einmal aufzuhängen:
hoffentlich weiter.
für alle Verbände. Sie haben, um die Projekte
schon ganz froh, Herr Glück, dass Sie nicht
Wie kann man so etwas denn nutzen, um zu
finanzieren zu können, die Not, Kooperationen
gesagt haben, die Journalisten sind die bösen
multiplizieren? Dazu sind unsere Umwelt-
Volker Angres
einzugehen. EDEKA haben Sie vorhin
Menschen unserer Generation. In diesem
verbände viel zu klein. Wir bewegen uns so
Es stellt sich natürlich die Frage, wo für
stellvertretend genannt. Der WWF ist einer
Punkt sind wir wohl schon einen Schritt
um die 500.000 Mitglieder. Das ist ja ein
EDEKA die Motivation lag, das zu machen.
derjenigen; und WWF International, dem das
weitergekommen.
Witz. Ich werde immer von meinem hollän-
Sicherlich nicht, weil sie den WWF so toll
’’
massiv vorgeworfen wird. Auch weil
1
dischen Kollegen mitleidig belächelt, wenn
finden – da hätte ja auch ein anderer Verband
natürlich nicht jede Kooperation astrein
Eberhard Brandes
er sagt: „Wir haben gerade das millionste
auf die Idee kommen können. Sicher auch
funktioniert – das muss man ebenfalls sehen,
Erst einmal zu der Zwickmühle: Natür-
Mitglied, wie viele habt ihr noch mal in
nicht, weil sie plötzlich lauter grüne Mitarbei-
und da muss man kritisch rangehen.
lich ist es heute so, dass man mit dramatur-
Deutschland?“. Wohlbemerkt: eine Million
ter in ihren Märkten haben. Ihre Motivation
gischen Storys kurzfristig mehr Menschen
Mitglieder bei rund 14 Millionen Einwoh-
aus meiner Sicht ist doch, dass sich damit neue
Auf der anderen Seite halte ich es für
erreicht. Meiner oder unserer Auffassung
nern. Oder die Schweiz: 380.000 bei einer
Märkte auftun und sie neue Profite machen
notwendig, dass auch Umwelt- und Natur-
nach, ändert sich aber mit der nächsten
Einwohnerzahl von etwa 8 Millionen
können: zum Beispiel mit der neuen veganen
schutzverbände Kooperationen mit der
Generation das Verhalten, vor allem aber
Menschen. Das sind völlig andere Dimen-
und vegetarischen Bewegung – also beispiels-
Industrie, mit der Wirtschaft, meinetwegen
deren Erwartungshaltung deutlich. Menschen
sionen. Deshalb müssen wir multiplizieren.
weise mit Tönnies. Und darin, da sind wir
auch mit der Politik in Form von Ämtern,
wollen langfristig mehr mitgenommen
beieinander, liegt die große Chance.
PwC = PricewaterhouseCoopers AG,
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
1
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D E S
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’’
69
Da ist plötzlich eine neue, junge Gene-
eine ganz große Aufgabe und vielleicht ein
Prof. Dr. Freude
ration, die sich neu orientiert. Vielleicht
weiteres Thema für eine völlig neue Bildungs-
Ich weiß nicht, ob hier alle so froh darüber
auch, weil die Medien in den letzten Jahren
politik auf allen Bildungsebenen – beim
sind, wenn Wolf und Biber in größeren
jede Menge Schlachthofbilder und andere
Kindergarten angefangen.
Zahlen wiederkommen.
wir alle ziemlich ekelerregend fanden. Zu
Der sich dramatisch ändernde Umgang mit
Dr. Spandau
dieser jungen Generation gehört auch meine
den Medien heutzutage ist aus meiner Sicht
Dann lassen Sie uns jetzt einfach als Natur-
Tochter mit ihren 23 Jahren. Sie erzählt mir,
dabei, völlig außer Kontrolle zu geraten. Und
schützer unter uns sein.
was in der Szene los ist, und wo in Mainz
das geht so schnell, viel schneller noch als
die veganen Bistros, Cafés und Restaurants
die Klimaveränderung, Herr Freude. Da ist
Prof. Dr. Freude
entstehen. Das ist ein Riesentrend und damit
wirklich eine Meta-Ebene, die man erkennen
In Ordnung. Ich weiß auch nicht, ob es
sind wir bei einem Mega-Thema, das Sie ja
muss, und die in ihrer gesamten Bandbreite
alle so gesehen haben, dass es im Osten so
bereits angesprochen hatten und das uns alle
völlig unbearbeitet ist.
viel schlimmer war als im Westen. Ich
Dinge schonungslos gezeigt haben, was
bewegt: Welche Rolle spielen eigentlich die
ein genauso gut funktionierendes NGO-
weiß noch, wie viele Bundestagsabgeordnete
Social Networks, die sogenannten neuen
Prof. Dr. Freude
Wesen, um das wir mindestens ebenso benei-
ich in der Wendezeit führen durfte und
Medien, die eigentlich gar nicht mehr so neu
„Der Panda sei mit dir“, das fand ich sehr
det werden – und um unsere Presse sowieso.
was sie für Riesenaugen gemacht haben,
sind. Internet kann man nicht kanalisieren,
schön. Die Frage war ja, wie man sich
Jetzt habe ich alle drei gelobt, aber genauso
wenn ich denen den See- oder den Schrei-
man kann nur versuchen, Impulse zu setzen.
aufstellen muss, damit man ernst genommen
sieht man uns. Und genau dieses Zusammen-
adler vorgeführt habe – im Osten! Oder wenn
Ich glaube, wenn wir da nicht aufpassen
wird. Ich finde dabei diese Mittlerfunktion
spiel mit der Schnittstellenfunktion noch
ich unseren Besuchern aus dem Westen
und die richtigen Impulse setzen, oder wenn
mit dem Staat so wichtig, der ja beim
ein bisschen mehr auszubauen, das ist doch
nicht weit von Bitterfeld einen der letzten
wir nicht versuchen, das Ganze ein bisschen
Umwelt- und Naturschutz allzumal ziemlich
eine tolle Aufgabe für die Zukunft.
70 Biber gezeigt habe, wo dann allen
zu kanalisieren, dann werden wir als Öffent-
überfordert ist. Ich bin Landesvertreter, sehe
lich-Rechtliche überrannt.
mich also in dieser Mittler- und Übersetzer-
Dr. Spandau
wir ca. 10.000 Biber! Lassen sie uns dieses
ganz gruselig zumute war. Inzwischen haben
funktion zu Menschen, die nie mit dem Staat
Wie genau machen wir das? Lassen Sie
„Hier pfui und dort hui!“ nicht glauben.
Denn diese Verbreitungswelt von Informa-
spielen und sprechen würden. Die Industrie
uns noch einmal hart an diesem Thema dran-
Dem ist nicht so. Auch im Osten ist längst
tionen, Nicht-Informationen, Fälschungen,
haben wir genannt, die würden nicht mit
bleiben. Wenn wir jetzt mal an Osteuropa
nicht alles so schön, wie es sich oft darstellt.
Propaganda, Lügen, Hasstiraden ist nicht
mir reden. Mit Ihnen, Herr Brandes, reden
denken, 25 Jahre zurück. Da haben wir hier
Was zum Beispiel im Osten fehlt, ist ein
kontrollierbar – durch niemanden auf dieser
die sicher sehr viel eher.
immer nur gelernt, wie verheerend der
Netz von vernünftigen NGOs. Es fahren
Umweltzustand in Osteuropa ist, und bei uns
genug Deutsche hin, die versuchen entspre-
Welt, durch keine Institution. Und da ist die
Riesenchance, die man für unser gemeinsames
Der Staat kann nicht die Funktion überneh-
wäre alles so gut. Dennoch überlebten in
chende Netzwerke aufzubauen. Der WWF,
Thema nutzen kann. Das ganz große Risiko
men, wie unser Wissen unter die Menschheit
Osteuropa die Großtiere. Die Wölfe schwim-
wir wissen es alle, ist ebenfalls dabei: um
ist aber, es kann voll daneben gehen: Wenn
gebracht werden kann. Wenn ich unsere Inter-
men heute wieder durch die Oder und
diese Bewegungen zu stärken oder auch um
wir es zulassen, dass Leute, die ganz andere
netseite sehe, die ist peinlich ohne Ende. Sie
richten sich im Westen ein. Die Wildkatzen
unsere Filme zu zeigen. Ich erlebe immer
Absichten haben, die Internetherrschaft
hingegen können alles machen. Sie sind näher
schleichen wieder durch unsere Wälder,
wieder, welche tollen Effekte das auslösen
hinkriegen. Ich denke da an den IS und
dran, Ihnen nimmt man das alles eher ab.
Luchse aus Tschechien, Elche aus Polen,
kann. Ob nun von Deutschen oder in
andere, die uns momentan das Leben schwer
Bären aus Kroatien – alle kommen wieder zu
Kooperation mit anderen produziert: Filme
machen. Weil die es nämlich wissen und
In puncto Schnittstelle zur Presse sind wir
uns. Aber das Paradies hatten doch wir hier
zu zeigen, das ist wichtig. Und – da komme
nutzen, dass viele junge Menschen nur noch
in Deutschland nicht schlecht aufgestellt. Ich
im Westen. Was ist denn passiert, dass wir
ich wieder auf mein Lieblingsthema zurück –
im Internet unterwegs sind, keine anderen
bin ja wirklich viel im Ausland unterwegs;
heute so froh sind, dass diese Großtiere aus
positive Beispiele vorführen. Wenn sich
Informationsquellen nutzen und unglück-
wenn wir um etwas beneidet werden, dann
dem Osten jetzt wieder bei uns einwandern,
auch sonst nicht viel herumspricht, so etwas
licherweise jeden Mist glauben, der da zu
ist das unsere einigermaßen funktionierende
wenn wir hier doch früher schon paradie-
spricht sich immer herum!
lesen und in Filmchen zu sehen ist. Das ist
bürokratische Struktur. Wir haben zudem
sische Zustände hatten?
70
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D E S
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’’
71
zu können – was passiert dann bei mir?
Ich erzähle Ihnen dazu kurz eine Geschichte
Erstens hat keiner in Deutschland – das
Am Schluss geht es doch immer um den Ein-
und dann glaube ich, wird mein Standpunkt
weiß ich aus vielen Reaktionen auf unsere
druck, welcher der Beteiligten vertrauens-
klar. Sie alle haben zu Hause wahrscheinlich
Sendung – noch Lust darauf, diese Energie-
würdiger ist. Je komplexer die Sachverhalte,
schon mal Glühbirnen rausgeschraubt und
sparlampen einzuschrauben. Ebenso hat
desto mehr reduziert oder verdichtet sich
dafür Energielampen reingeschraubt. Und
niemand mehr Lust darüber nachzudenken,
die Frage der Gefolgschaft auf die Vertrauens-
das Ganze mit der Angst im Nacken, dass es
ob er jetzt besser mit der Eisenbahn oder
frage: Wem vertraue ich, und inwieweit sind
demnächst keine Glühbirnen mehr geben
mit dem Auto fährt. Das Thema ist durch,
wir als Personen, Institutionen oder Organi-
wird. War’s nicht so? Jetzt erzähle ich Ihnen
weil alle gelernt haben, dass sie verarscht
sationen für die Menschen so erfahrbar, dass
mal den Grund dafür. Alle haben gedacht,
werden. Zum Zweiten: Man muss das alles
sie uns vertrauen und bereit sind, ein Stück
das hätte etwas mit Klimaschutz zu tun. Soll
global angehen. Noch nicht einmal drei
mitzugehen?
ich Ihnen sagen, wie viel CO 2 Deutschland
Prozent vom weltweiten CO 2-Ausstoß gehen
gespart hätte, wenn man über Nacht sämtliche
auf das deutsche Konto; im Moment sind
Was für das Allgemeine gilt, das gilt
Glühbirnen raus- und dafür lauter Energie-
es 2,6 Prozent. Was bringt es denn, wenn
Alois Glück
auch für die Personalführung: Wer Zustim-
sparlampen reingeschraubt hätte? Na gut,
wir hier das Licht ausmachen, sparen, alle zu
Bei der Frage Ost-West müssen wir deut-
mung will, muss Sinn vermitteln. Und weil
heute sind wir bei LEDs, doch das ist wieder
Fuß gehen oder Fahrrad fahren? Zum Thema
lich unterscheiden zwischen dem Bereich
die Vertrauensfrage quer durch alle Insti-
ein anderes Thema. Ich will es Ihnen sagen:
Klimaschutz trägt das nichts bei. Und bei
Technischer Umweltschutz und Naturschutz.
tutionen, Organisationen und gesellschaft-
Beim Austausch der beiden Leuchtsysteme
anderen Sachen kann man das ähnlich hoch-
Beim Technischen Umweltschutz braucht
lichen Gruppen geht und wir gleichzeitig
kommen wir gerade mal auf 0,5 Prozent
rechnen. Mit anderen Worten: Lassen wir
man sich ja nur an die Situation der Luft-
einen Riesenverlust an Vertrauen gegenüber
weniger CO 2! Das ist ein kaum messbarer
doch bitte die kleinteilige Debatte hierzulande,
verschmutzung in der DDR und in anderen
den Institutionen haben, bleibt die Vertrau-
Wert. Obwohl man noch nicht einmal
und versuchen wir stattdessen global zu
Gebieten zu erinnern. Und beim Naturschutz
ensfrage ein Schlüsselthema. Das ist eine
wusste, wie viel die Einsparung durch die
denken. Hier ist eine international aufgestellte
war die dortige Landwirtschaft sehr viel
hochgefährliche Entwicklung, denn wo ich
Umstellung auf Energiesparlampen ausmacht,
WWF-Organisation sehr hilfreich. Es wäre
extensiver als bei uns. Die Flächen, wenn
mitgehe, entscheidet letztlich immer die
hat Brüssel die Verordnung rausgebracht.
nicht schlecht, und ich würde es gerne sehen,
wir mal in die osteuropäischen Länder
Vertrauensfrage.
gehen, sind längst nicht so dicht besiedelt
wenn wir in dieser Richtung mit einer Idee
Der Grund dafür: eine industrie-protektio-
um die Ecke kommen.
wie bei uns, und daher gab und gibt es
Volker Angres
nistische Maßnahme, denn bereits damals
natürlich sehr viel mehr Möglichkeiten, die
Ich wollte nur noch einmal anmerken,
wurden Glühbirnen in China für einen Apfel
Dr. Spandau
Anliegen des Naturschutzes hervorzuheben.
dass diese Ost-West-Betrachtungen meiner
und ein Ei produziert. Da kamen Osram
Das provoziert die Frage, welche Rolle
Im Technischen Umweltschutz hat der
Meinung nach nicht mehr zielführend sind.
und Co. hierzulande einfach nicht mehr mit.
die Medien in der Umweltdebatte besetzen
Osten aufgeholt, insofern gibt es in diesem
Und ich dachte, wir hätten das irgendwie
Also hat man lobbymäßig in Brüssel den
sollen. Wer anderes als die Medien kann
Punkt sicher keinen Unterschied mehr.
überwunden. Gegenseitiges Lernen und von
Antrag gestellt, wie es denn mit Energie-
uns denn Neues von der Glühbirne erzäh-
Ich glaube, in der Kommunikation kommt es
den Erfolgen profitieren, sehr gerne. Aber
sparlampen wäre; das könnten die Chinesen
len? Nirgendwo sonst habe ich davon
immer wieder entscheidend darauf an, dass
andere Betrachtungen taugen nichts. Sie
noch nicht. Damit hätten wir dann erst mal
gehört. Die Vermittlung komplexer Zusam-
Menschen letztlich nur Menschen folgen
haben sicher schon bemerkt, dass ich heute
fünf Jahre Ruhe. Genauso ist es gekommen.
menhänge in der Umwelt werden immer
werden, die ihr Vertrauen genießen. Alle
leicht zynische Anwandlungen habe. So
Und uns wird dann hier erzählt, das sei
komplizierter und vielfältiger; und eigentlich
Sachverhalte – nicht nur in der Ökologie
könnte ich auch feststellen, dass in Deutsch-
Klimaschutz. Mit anderen Worten: Das Stich-
interessieren sich Leser und Zuschauer auch
– sind sehr kompliziert geworden. Dazu ein
land mittlerweile Wölfe auf der Autobahn
wort Glaubwürdigkeit muss dringend in die
nicht dafür. Das ist ein Riesenproblem für all
persönliches Beispiel: Wenn es im Fern-
überfahren werden. So geschehen in Bremen
Debatte aufgenommen werden.
jene, die auf Quote arbeiten müssen.
sehen zu einem komplexeren Sachverhalt
und in der Nähe von Frankfurt. In der DDR
eine Debatte gibt und es sich um ein Thema
wäre das nicht möglich gewesen, denn dazu
handelt, bei dem ich selbst geeignete Kom-
waren die Trabbis zu langsam. Ich wollte das
petenz habe, um die Argumente beurteilen
hier nur mal auf die Spitze treiben.
‘‘
72
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D E S
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’’
73
Aber müssen wir hier nicht auch einmal
der zugrunde liegt. Die Umweltverbände
braucht man natürlich jemand, der diese
über das Feintuning der Medien und der
wissen das, die Politik weiß das im Übrigen
Konzepte bündelt, auf die politische Agenda
Journalisten nachdenken? Was erfahren
auch. Schauen Sie einmal, wie die Politik
nimmt und die Sache wirklich vorantreibt.
wir denn? Ostern tauchen bedenkliche Arz-
sogenannte Katastrophenmeldungen in die
Und da gibt es drei Mechanismen. Einer
neimittel im Ei auf, in den Sommerferien
Medien bekommt, Frau Roth ist da Spezia-
davon funktioniert wie bei der Wilderei-
werden Rückstände in Erfrischungsgeträn-
listin. Genau nach diesem Prinzip. Viele
Krise: Da haben wir es geschafft – der WWF,
ken gefunden, zum Oktoberfest erscheinen
Medien sind zu blöd, dies zu erkennen und
zusammen mit einer anderen Organisation –
bedenkliche Substanzen im Bier, Weih-
lassen sich einfach mitreißen und schreiben
unser Anliegen auf die Ebene des UN-Sicher-
nachten wird von Dioxinen in lila Kerzen
im Sog mit. Ich kritisiere das auch.
heitsrates zu bringen. Wir haben dazu eine
begleitet. Und dann immer sagen, wir
Veranstaltung durchgeführt. Und da hat sich
wollen zu einem Ergebnis kommen. Worin
Alois Glück
die deutsche Regierung, obwohl es hierzu-
liegt denn hier die Rolle der Medien?
Das Schlimme in den Medien ist: Wer ist
lande quasi keine Wilderei gibt und Löwen
gegen wen?
und Elefanten nun einmal in anderen
Volker Angres
Eberhard Brandes
Ländern leben, wirklich hervorragend ver-
Eberhard Brandes
Das kostet erst einmal Geld; und wir sol-
halten. Fakt ist, dass Wilderei ein internatio-
Redaktion eine Schublade mit vergifteten
Noch ein Kommentar zu den Medien.
len unsere Gelder ja möglichst in den Natur-
nales Schwerverbrechen ist, und dass die
Ostereiern, die wir bei Bedarf rausholen.
Sie haben vorhin kurz angesprochen, wie
schutz investieren. Ich habe vorhin zwei
betreffenden Staaten mit Sanktionen belegt
Es sind natürlich die Umweltverbände, die
das Redaktionssterben im Printfeld gerade
Antworten gegeben: Zum Ersten brauchen
und geächtet werden, wenn sie sich nicht
in diesen Momenten genau wissen, wie
aussieht. Ich finde, ein Thema, dem
wir die Medien, und sie sollten eine andere
gesetzeskonform verhalten. Das ist das große
sie ihr Publikum kriegen, und die auch die
man eigentlich nicht nur eine Minute
Rolle spielen. Zum Zweiten sollten wir
Rad, das man drehen muss.
Medienmechanismen sehr gut erkannt haben.
widmen sollte. Wir erleben das ganz direkt.
uns bestimmten neuen Medien, die keine
Das ist selbstverständlich, wenn Ostern ein
Es ist eine Katastrophe in unseren Augen,
neuen Medien mehr sind, widmen. Wir
Auf der anderen Seite gibt es im Bereich
dioxinhaltiges Ei, medial gesehen, Riesen-
wie qualifizierter Journalismus aufgrund
haben z.B. einen eigenen YouTube Channel,
Klima große Vereinbarungen. Wir alle wissen,
erfolg hat. Das sind einfache Mechanismen,
von Zeit- und Finanzdruck allmählich
den wir jetzt quantitativ und ganz anders
was bisher dabei herausgekommen ist. Diese
die es hier gibt. Dass diese nicht zielführend
ausstirbt. Auch weil das Anzeigenvolumen
bespielen werden als bisher. Es sind zwei
Vereinbarungen leben einfach davon, mit
sind, da bin ich sofort dabei; trotzdem wird
mit zunehmender Medienzahl nun einmal
parallele Welten, die man aufbrechen muss.
konkreten Beispielen und Taten voranzugehen
es nicht aus der Welt zu kriegen sein.
nicht steigt. Das wird so dramatisch,
Zudem finde ich das Thema „von lokal zu
und zu zeigen: Ich habe keine Wettbewerbs-
Die Medien werden oft unter Generalver-
dass die Kollegen einfach gar keine Chance
global“ spannend. Das Argument, das Sie
nachteile, und ich habe keine Wohlstands-
dacht gestellt. Es funktioniert doch so: Wenn
haben, sauber zu berichten. Ich habe das
gebracht haben, stimmt natürlich: In jedem
nachteile. Denn diesen Irrglauben gibt es ja
Sie sich einmal eine Stammtisch-Situation
erste Mal eine Pressekonferenz abgebrochen,
deutschen Haushalt liegt der Lichtverbrauch
auch immer noch. Deshalb müssen die poli-
vorstellen, eine Skatrunde. Da treffen sich
weil ich es ablehne, mit Praktikanten über
bei durchschnittlich anderthalb bis drei
tisch Verantwortlichen die Menschen in ihrem
drei Personen und beginnen mit „Wie
hochkomplexe Dinge zu sprechen. Und ich
Prozent. Das ist also nicht die Kerndebatte
normalen Leben mitnehmen. Hier kommt
geht’s?“, „Ich habe Rückenschmerzen“,
glaube, auch darauf sollten wir gemeinsam
zur Lösungsfindung.
Deutschland eine absolute Schlüsselrolle zu.
„Mein neues Auto ist eine Katastrophe,
ein größeres Augenmerk richten.
Natürlich gibt es weltweit Konzepte. Wir
Ich gebe Ihnen recht, die Glühbirne ist
Das klingt fast so, als hätten wir in der
gleich am zweiten Tag Achsenbruch“, und
‘‘
der Dritte fügt noch an „Mir ist die Frau
Dr. Spandau
haben PR, wir haben Greenpeace – wie alle
auch eine persönliche Profilierungsaktion
weggelaufen“. Erst nach einer Weile wird
Heißt das, wir müssen uns in den
anderen auch. Wir haben fertige Konzepte
eines Politikers. Das war nicht wirklich
das Gespräch normal. Man erzählt sich aber
Umweltinstitutionen im Kommunikations-
entwickelt, mit denen man nach Wirtschafts-
zielführend. Entscheidend ist aber, wie sich
immer zuerst die Katastrophen, rein mensch-
bereich professioneller aufstellen? Also
sektoren und Regionen genau deklinieren
die Bundesregierung zum Beispiel beim
lich das Interessanteste überhaupt. Medien
mehr Journalisten in den WWF?
kann, welche Pfade wir gehen müssen, was
Thema Kohlefinanzierung verhält.
erfinden keine Katastrophen, sie verstärken
das kostet und welche volkswirtschaftlichen
Katastrophen. Das ist der Mechanismus,
Vorteile das langfristig bringt. Dazu
74
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Wie kann es sein, dass wir in Deutschland
wir weit von dem entfernt, was wir zu-
weiterhin Kohlekraftwerke bauen und neue
künftig brauchen werden. Ich denke dabei
Kohlefelder erschließen, während wir
auch an Herrn Fischler, der vor 25 und vor
gleichzeitig ackern ohne Ende, um andere
15 Jahren bereits das Gleiche gesagt hat.
Länder davon abzuhalten? Das ist ein Teil
Wir können uns das nicht leisten. Da haben
der KfW, der extern immer noch Kohle
wir ein dickes Brett vor uns: mit vielen
finanziert. Ich finde, das ist ein unmöglicher
Besitzständen, die gewahrt werden sollen
Zustand. Viele Länder schauen sich genau
und – was mindestens genauso schlimm ist
an, wie wir uns verhalten. Deshalb ist es
– mit Lagern, die sich in vielen Fällen
doch unterm Strich sehr wichtig, welche
unversöhnlich oder schwer versöhnlich
gesellschaftlichen Signale wir aussenden.
gegenüberstehen. Übrigens ein ganz schlim-
Warten wir auf die Verordnung, oder sagen
mes Problem: Das fehlende Verständnis, das
wir als Gesellschaft, wir nehmen uns ein
gegenseitige „Glauben wir euch nicht“ oder
Thema wie beispielsweise Lebensmittel-
„Ihr seid Lobbyisten“ – ein ernstes Problem!
verschwendung vor, die ja auch extrem CO2-
75
alle leben“, dann hat man es nicht so leicht.
Projekte gemacht und hätten dafür
Ich erlebe es in meinem jetzigen Amt auch
die Pädagogen und Kultusminister dieser
relevant ist. Oder setzen wir die Verein-
Dr. Spandau
wieder – und ich wiederhole: Das ist ein
Welt und dieses Landes bearbeitet, damit
barungen primär beim Verkehr und bei der
Um noch einmal auf Ihren Vortrag und die
wirklich dickes Brett.
diese Thematik von klein auf, also vom
Energieerzeugung um? Wir sprechen mit so
Frage zurückzukommen: Haben wir Natur-
vielen Menschen, die in ihrer persönlichen
schützer nicht in der Vergangenheit und zum
Volker Angres
gen gekommen wäre, würden wir vielleicht
Veränderungsbereitschaft sehr viel weiter
Teil auch heute noch unsere Proteste an die
Ich habe vorhin im Vortrag gesagt, dass
anders dastehen. Wo muss ich eigentlich
sind, als die meisten Politiker glauben. Diese
falsche Adresse gerichtet? Wir haben immer
wir in Deutschland gut sind in der Umset-
ansetzen, um in der langen Strecke –
Menschen wollen eben nur nicht „verarscht“
auf die Industrie gestarrt, bei jeder Umge-
zung einzelner Projekte. Da gibt es Tausen-
Stichwort Nachhaltigkeit – diese Effekte
werden. Sie wollen, dass man ihnen reinen
hungsstraße, bei jedem Staudamm, bei jeder
de, Zehntausende, Hunderttausende, die
zu haben, die uns jetzt gerade fehlen?
Wein einschenkt.
Bahntrasse, bei jeder Windenergieanlage
wirklich gut sind; gerade im Naturschutz,
Brauchen wir noch mehr Projekte, oder muss
halten wir unsere Schilder hoch. Haben wir
überhaupt keine Frage. Und da arbeiten die
man systemisch überlegen, wo ich reinpiksen
Dr. Spandau
da nicht die Landwirtschaft komplett
Naturschützer, übrigens auch Heerscharen
muss, damit irgendwann später schneeball-
Herr Freude, es ging eben bei Herrn Brandes
vergessen?
von Ehrenamtlichen und Freiwilligen,
artig dreimal so viele Projekte entstehen?
auch um die gesellschaftliche Verantwortung,
Kindergarten an in die Bildungseinrichtun-
ohne deren Mitarbeit und Hilfe es um den
die wir haben, und dass wir die Menschen
Prof. Dr. Freude
Naturschutz ohnehin sehr schlecht bestellt
Dr. Spandau
mehr mitnehmen müssen. Ist der Zustand der
Vergessen nicht. Aber das ist eines der
wäre. Ich habe folgende Erfahrung gemacht:
Hiermit eröffne ich die Publikumsdiskussion.
Umwelt bei uns so gut, dass wir uns erlauben
dicken Bretter, von denen ich gesprochen
Ich habe gesehen, dass sich sehr enga-
können, nur noch über die Energiewende
habe. Worum geht es im Endeffekt? Es geht
gierte Naturschützer – vielleicht aus Ver-
Heike Leitschuh
zu diskutieren?
darum, wie wir als Gesellschaft und jeder
zweiflung, weil es schwierig wird, in der
Ich bin Moderatorin und Autorin für
einzelne Bürger dazu stehen, was in unserer
Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten
nachhaltige Entwicklung. Sie haben alle
Prof. Dr. Freude
Landwirtschaft und Landschaft passiert. Es
oder weil es schwierig wird, auf einer kom-
ein bisschen damit kokettiert, dass man die
Ich glaube, wer sich einige Zahlen aus
gibt Demonstrationen und es gibt Befragun-
munalen, behördlichen Ebene aktiv zu
alten Vorträge hätte vorziehen können, um
meinem Vortrag ein bisschen gemerkt hat,
gen, nach denen sich die Politik richtet
werden – zurückgezogen haben. Im Grunde
heute noch einmal die Situation zu ana-
zum Beispiel die 300 Millionen weniger
oder nicht. Jeder von uns will essen. Jeder
treffen sie sich jetzt untereinander und
lysieren. Ich fand das an einer Stelle nicht
Vögel in der Agrarlandschaft, für den beant-
findet Landwirtschaft extrem wichtig. Wenn
erzählen sich gegenseitig, wie toll ihre
so ganz hilfreich, weil ich glaube, dass man
wortet sich die Frage von selbst. Natürlich
man sich das von der Gegenseite her
Projekte sind. Systemisches Denken. Wenn
sich schon noch einmal angucken muss,
nicht. Im Bereich Luft und Wasser wurde
zunutze macht und behauptet „Liebe Leute,
ich mir vorstelle, genau die gleichen Natur-
dass die gesellschaftliche Veränderung im
sehr viel getan. In der Landnutzung sind
ihr greift hier einen Berufsstand an, von dem
schützer hätten 80 Prozent weniger
Umweltschutz ganz gravierend ist.
76
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77
In den 1970er-Jahren hatten Umwelt-
gar zu. Die Schwierigkeit ist ja immer,
es umgesetzt werden könnte. Wir brauchen
schützer noch lange kein so gesellschaft-
die Dinge in einen Zusammenhang zu brin-
für die nächste Etappe, in der es um mehr
liches Ansehen wie heute, und NGOs
gen. Da möchte ich noch einmal anknüpfen.
als den Umweltschutz als Reparaturbetrieb
wie WWF oder BND hätten überhaupt keine
„Eigenes Ministerium oder nicht“, Zitat
geht, übergreifende Leitideen.
Chance gehabt, mit der Industrie große
Goppel. Natürlich braucht es wieder be-
Projekte aufzusetzen; geschweige denn, die
stimmte Themen für die Ministerien,
Volker Angres
Industrie hätte sich hingestellt und gesagt,
sonst passiert nichts oder zu wenig. Das ist
Herr Glück, da würde ich Ihnen sehr
wir übernehmen Verantwortung für den
in der Familien- und Sozialpolitik genauso
gern recht geben. Allerdings zeigt die Real-
Umweltschutz. Lassen wir einmal Green
wie in der Wirtschaftspolitik.
politik, die wir jeden Tag zur Kenntnis
Washing und Glaubwürdigkeit beiseite, zeigt
nehmen müssen, etwas Anderes. Ich beziehe
doch die Realität, dass vieles, gesellschaftlich
Nur im Umweltbereich haben wir es
das auf den aktuellen Zuschnitt des Bundes-
gesehen, tatsächlich ein großes Stück
natürlich mit einem Querschnittsbereich zu
umweltbundesministeriums. Ausgerechnet
vorangekommen ist. Was mir in der Debatte
tun, der alle Lebensbereiche betrifft. Da
dann, wenn wir eine Energiewende haben,
jetzt noch fehlt, worauf ich gerne eine
wissen, das man in politisches Wissen
ist die Schlüsselfrage der Führungsebenen
die ökologisch und nicht wirtschaftlich
Antwort hätte, ist: Stimmt es, was einige von
transponieren muss. Mich würde interes-
der Staatskanzlei, des Bundeskanzleramts,
motiviert war, wird genau dieses Feld dem
Ihnen gesagt haben, dass wir kein Wissens-,
sieren, wie Sie das sehen.
oder wovon auch immer: Es braucht über-
Umweltministerium weggenommen und
greifende Leitideen. Wir müssen aus der
dem Wirtschaftsministerium zugeordnet.
sondern ein Umsetzungsproblem haben?
Ich bezweifle das an einer Stelle. Von der
Alois Glück
reinen Umweltnische raus, weil es im Kern
Sachlage her mag es so aussehen; aber ich
Deshalb stimme ich Ihrer These, Herr
um sehr viel mehr geht, nämlich darum,
Dr. Spandau
glaube, wir wissen noch viel zu wenig
Angres, „mehr Systemisches und weniger
eine Lebensweise, eine Wirtschaftsweise zu
Vielleicht kann ich ein kleines Zeichen
darüber, wie sich radikale gesellschaftliche
Projekte“, auch nicht zu. Denn Projekte
entwickeln, die auf Dauer tragfähig ist.
der Hoffnung geben. Die Benediktbeurer
Veränderungen vollziehen können und
bringen die konkrete Erfahrung, dass
Dabei geht es nicht mehr nur um den
Gespräche sind ja nur ein Baustein des
müssen.
Engagement sinnvoll ist und dass sich in
ökologischen Bereich. Da ist meines Erach-
Zentrums für Umwelt und Kultur hier in
diesen zunächst begrenzten Bereichen –
tens der Ansatz der Nachhaltigkeit Maßstab
Benediktbeuern. Die Hauptaufgabe liegt vor
Wir haben sozusagen wirklich ein Erfah-
jeder hat nur begrenzte Möglichkeiten –
für alle Bereiche. Ich will ein Beispiel
allem darin, Jugendliche über das Thema
rungsproblem. Ich bedauere es ein bisschen,
etwas verändern lässt. Es ist nicht ein Entwe-
nennen, das mich selbst überrascht hat, als
„Bewahrung der Schöpfung“ genau an das
dass wir so wenige junge Menschen haben,
der – Oder. Es ist eine andere Ebene, die
ich davon gehört habe: Die CDU-Landtags-
heranzuführen, was Sie angesprochen
die sich heute an der Debatte beteiligen,
vielen Details im System in Zusammenhang
fraktion in Niedersachsen hat eine Arbeits-
haben, was auch wieder weitergetragen
weil sie dabei auch enormes Erfahrungswis-
zu bringen – eine konzeptionelle Politik.
gruppe für den Bereich „Zukunft der
werden soll. Wir haben im Jahr mehr
Landwirtschaft in Niedersachsen“ gebildet,
als 30.000 junge Leute, die hier eine Projekt-
Ich stimme Ihnen völlig zu beim gesell-
der stark von Massentierhaltung und
woche verbringen; die im Sinne der Bewah-
auch noch nicht gesprochen: über städtische
schaftlichen Rang, der sich ja völlig verändert
ähnlichen Dingen geprägt ist. Man hat dazu
rung der Schöpfung im Prinzip ganz prag-
Gärtnerei-Projekte, Reparatur-Cafés, Tei-
hat. Ein Beispiel: Ein guter Freund, der
die Umweltverbände, Agrarverbände etc.
matisch angelernt werden; die das Gelernte
lungsmodelle und so weiter – Projekte von
lange Zeit Topmanager bei einem der großen
eingeladen. Und man hat, ausgehend von
mitnehmen, die nach Hause kommen und
und mit jungen Menschen, die mit großer
Konzerne war, der kulturell sehr engagiert
einer gemeinsamen Leitidee bei der Nach-
diese Urban Gardening-Strukturen überallhin
Begeisterung bei der Sache sind. Viele von
ist und Spenden sammelt für die Philhar-
haltigkeit, zu einem gemeinsamen Papier
weiter tragen. Daher mögen die Benedikt-
uns meinen, das seien diese Nitty Gritties,
moniker in München, sagt, dass dies immer
gefunden. Das wäre vorher undenkbar
beurer Gespräche vielleicht etwas darüber
die unsere Gesellschaft nicht verändern
schwieriger geworden ist, weil viele ihre
gewesen. Was nicht heißt, dass jetzt alle
hinwegtäuschen, was hier konkret alles
werden, weil sich das alles im halbprivaten
Spenden jetzt lieber Greenpeace geben. Das
Konflikte ausgeräumt sind. Aber sie haben
passiert. Das ist viel mehr, und das ist für
Sektor abspielt. Doch das bezweifle ich. Ich
bringt öffentliche Wirkung und viel mehr
miteinander gearbeitet. Das ist etwas,
mich mehr als nur ein Silberstreif am
glaube, da entsteht enorm viel Erfahrungs-
Lorbeeren als im traditionellen kulturellen
das prinzipiell im Interesse aller ist – und
Horizont.
Bereich. Daher stimme ich dem ganz und
jetzt lasst uns darüber nachdenken, wie
sen erlangen würden. Und darüber, was
teilweise belächelt wird, haben wir hier
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die Andersmacher und Querdenker zu
„Was habt Ihr da? Gerade sind mal wieder
Menschen gibt, deren Lebensräume
sehen, das ist unser Sendekonzept. Darüber
Geflüchtete ertrunken. Und was wollt Ihr,
am schnellsten bedroht sind; etwa dann,
hinaus darf ich Ihnen sagen, dass die
Blümchenwiese retten? Kommt, bleibt
wenn die Wasserspiegel steigen. Deswegen
Umweltredaktion im Jahr rund 100 bis 130
daheim.“ Das ist die intensive Debatte, die
gibt es ein sehr vielfältiges Engagement,
Beiträge für aktuelle Sendungen des ZDF
wir fast jeden Tag im Haus führen.
jetzt auch wieder mit Blick auf den Klima-
beisteuert. Das sind alles Beiträge, die wir
’’
gipfel in Paris. Gleichzeitig ist es in der
als Umweltredaktion liefern und nicht die
Dr. Spandau
heutigen Gesellschaft natürlich nicht mehr
Kollegen fürs Aktuelle. Dass das alles nicht
Herr Glück, Sie sind übrigens aufgrund
so, dass etwas von Haus aus große Wirkung
reicht, weiß ich auch. Und wenn Herr
Ihrer vielfältigen Lebenserfahrung, die vom
hat, nur weil es die Kirchen sagen. Die
Spandau hier völlig zu recht sagt, dass es
Ministerium über die Führung der Landtags-
junge Generation ist bei umweltpolitischen
noch viel mehr Aktivitäten gibt, dann fällt
fraktion als Landtagspräsident bis hin
Themen sehr stark engagiert – sowohl global
mir immer nur ein Zitat einer früheren
zum Zentralrat der Katholiken reicht, von
als auch in der Verknüpfung mit Umwelt-
Kollegin ein, die immer die 19-Uhr-Sendung
uns eingeladen worden.
politik und den konkreten Umweltprojekten
Hans-Joachim Ritter
geleitet hat. Die hat es auf den Punkt
Ich bin Vorsitzender der Stiftung für
gebracht, als sie gesagt hat, was in der
Alois Glück
Ökologie und Demokratie. Wir sind seit
19-Uhr-Sendung nicht war, hat draußen auch
Ich möchte zunächst eine ergänzende
23 Jahren im Geschäft. Es sind ja nicht
nicht stattgefunden. Dieser Satz ist nicht
Anmerkung zu den Medien machen. An
Dr. Josef Heringer
nur die Journalisten in den Printmedien,
lustig, der ist sehr ernst zu nehmen. An der
solchen Themen wird mir bewusst, wie
Von Saint-Exupéry gibt es den wunderbaren
sondern gerade auch das ZDF undsoweiter.
Skala der Nachrichtenwerte muss man
wichtig die öffentlich-rechtlichen Sender in
Spruch „Wenn Du ein Schiff bauen willst,
Bieten Sie denn den Akteuren, die heute
arbeiten; also an den Entscheidungskriterien,
der Gesamtstruktur der Medien sind. Denn
dann trommle nicht Männer zusammen
angesprochen worden sind, die Plattform,
welches Ereignis Zugang zu einer Nachrich-
hier besteht am ehesten die Chance, solche
um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben
die nötig ist, um diese Wende und die
tensendung oder der ersten Seite einer
Themen zu transportieren. Selbstverständ-
und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die
Sensibilisierung in der Bevölkerung statt-
Tageszeitung findet. Diese sind seit hundert
lich kann man die Zuschauerquoten ein-
finden zu lassen? Sie haben doch gerade die
Jahren festgenagelt, obwohl sie niemand so
fach ignorieren. Aber man hat da auch ganz
Chance und die Gelegenheit im ZDF, dafür
beschlossen hat. Das passiert eigentlich
andere Möglichkeiten, diese Themen zu
ein Forum zu eröffnen. An Sie, Herr Glück,
genauso, wie ich es vorhin mit der Skatrunde
transportieren. Doch jetzt zur eigentlichen
habe ich die Frage: Sie sind ja eingeladen
erklärt habe. Genau nach diesen gefühlten
Frage. Die christlichen Kirchen zählen sicher
worden als Präsident des Zentralkomitees
Kriterien werden die Ereignisse sortiert.
zu den gesellschaftlichen Gruppen, die
der deutschen Katholiken und nicht als
vor Ort. Es gibt ja viel Zusammenarbeit vor
Ort und regional mit den Umweltverbänden.
diesen Themenkreis am entschiedensten
Politiker. Gerade in dieser Eigenschaft haben
Und vielleicht muss man zu einer etwas
mit vorantreiben: sowohl in ihren eigenen
Sie noch nicht gesagt, was Sie für die
anderen Medienkultur kommen, dass auch
Bereichen als auch beim Umweltbeauftragten
Energie- und Klimawende und Nachhaltig-
jene Ereignisse, die nicht ganz oben auf
der Pfarrgemeinden in den Diözesen; bei uns
keit im Sinne der Bewahrung der Schöpfung
der Skala der Nachrichtenwerte vorkommen,
in den Verbänden und auch international.
tun. Wie kann hier ein Ruck durch die
erzählt werden. Also wenn junge Leute ein
Vor allem die kirchlichen Hilfswerke, bei uns
Bevölkerung gehen?
Projekt gestalten und im Rahmen eines
zum Beispiel Misereor, verknüpfen mittler-
Projektes der Allianz Umweltstiftung, einer
weile Entwicklungspolitik ganz eng mit sämt-
Volker Angres
anderen Stiftung oder eines Umweltverbandes
lichen Fragen der Umweltverträglichkeit.
Männer die Sehnsucht nach dem weiten,
Diese Frage beantworte ich Ihnen sofort
etwas durchführen. Es wäre schön, wenn
Dazu zählt letztlich auch die Klimapolitik.
endlosen Meer.“ Wie können die Kirchen, auch
und gerne und überreiche Ihnen diese kleine
wir das hinkriegen würden. Wir arbeiten
Wobei vielleicht manche fragen, was geht
die katholische, und die Religionsgemeinschaf-
Postkarte, das ist unser Sendeformat. Jeden
daran, aber es ist sehr schwierig. Denn wenn
das eigentlich die kirchlichen Hilfswerke an,
ten, die ja in Deutschland noch durch den Islam
Sonntag um 14.45 Uhr können Sie genau das
Sie, auch intern, als Fachredaktion antreten
und ob sie denn wohl nur noch Umwelt-
bereichert werden, wie können die Kirchen
sehen, was ich vertrete. Da sind nämlich
und mit so einem Umweltthema zum Chef
verband seien. Und warum letztlich? Weil
weltweit diese Lust am Wandel weiterhin an
der 19-Uhr-Sendung gehen, dann sagt der:
sie entscheiden, ob es Solidarität mit den
der Bewahrung der Schöpfung festmachen?
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Wir können nicht nur katholisch denken,
Deutschland vor allem die Hilfswerke
politische Debatte losgetreten worden
wir müssen gerade auch die Länder des Islam
sind, die Entwicklungspolitik damit verbin-
sein: Dann sind die Medien sofort da, sind
stärker hereinnehmen, weil von dort die
den – sowohl als Lobbyisten als auch in
aber am nächsten Tag genauso schnell wieder
großen Völkerwanderungen nach Europa
der gezielten Förderung von Bildungsmaß-
weg. Das ist die Grundregel.
kommen.
nahmen; oder beispielsweise auch mit
Anbaustrategien, um diesen Ländern gerecht
Prof. Dr. Schröder
Eine weitere Frage an Herrn Angres:
zu werden. Zum Teil ist das natürlich ein
Ich bin Mitglied im Trägerverbund des
Wie ist es möglich, dass in einer Zeit, die
Konflikt, wenn politisch mehr industrialisierte
Zentrums für Umwelt und Kultur und habe
von Informatik geprägt wird, das Arten-
Landwirtschaft in diese Länder exportiert
eine ganz konkrete Frage. Die hat mit
schutzprogramm, das Steuerpult des Raum-
wird. Nun haben aber die Religionen ganz
systemischen Zusammenhängen zu tun, mit
schiffs Erde, in der Logik unserer Zeitgenos-
unterschiedliche Zugänge. Ich persönlich
Komplexität und mit der von Prof. Freude
sen nicht präsent ist? Wir sind nicht nur
habe keinen Einblick, obwohl ich mich in
so geliebten Feldlerche. Bei den Ursachen,
die Edelweißschützer und die Trappvogel-
anderen Zusammenhängen immer wieder
die er gezeigt hat, über den Artenverlust
schützer, wir müssen die Informationen
damit befasst habe, ob und in welcher Weise
völlig uninteressant. Auf gut Deutsch
in der freien Landschaft, stand der Stickstoff-
des Raumschiffes Erde schützen.
der Umwelt- und Schöpfungsgedanke im
interessiert das keine Sau. Deswegen findet
eintrag ganz oben. Stickstoffeintrag ist so ein
Islam verwurzelt ist. In asiatischen Religio-
es in dem Maße, global gesehen, nicht statt.
abstrakter Begriff. Darunter kann sich
Alois Glück
nen gibt es diesbezüglich sicher mehr
Aber natürlich gibt es Einzelbeispiele: Wir
niemand etwas vorstellen. Auch sehen kann
Wir haben natürlich innerhalb des Natur-
Anknüpfungspunkte. Aber auch da muss
hatten vor einem Jahr „Ausverkaufte Alpen“
man ihn nicht; es sei denn, der Bauer ist
schutzes viele Positionen und Strömungen,
man immer wieder fragen, wo der kulturelle
auf unserem Sendeplatz – eine Dokumentation,
mit der Gülle unterwegs. Die Süddeutsche
die sind nicht ganzheitlich, sondern – ich
Anschlusspunkt liegt. Wir haben weit ver-
in der es exakt um die Fragestellung geht,
Zeitung hat vor wenigen Tagen den Chemiker
sage das einmal ein bisschen zugespitzt –
breitet eine Mentalität zu glauben, dass auch
wie sich das Ökosystem Alpen bei gegebener
Haber gewürdigt, der erfunden hat, wie man
viele haben ihren Fokus ausschließlich auf
in vielen anderen Zusammenhängen alle
Klimaveränderung verändert. Was bedeutet
den Stickstoff aus der Atmosphäre heraus-
der Natur und halten dies für das Wichtigste.
Welt genauso tickt wie wir. Zum Beispiel mit
das sowohl für die Tourismusindustrie – die
kriegt und der dieses industrielle Verfahren
So müssten Schutzstrategien ausschließlich
unserer Art von Rationalität und etlichen
ja ohnehin erheblich zum Artenschwund
zusammen mit Haber-Bosch entwickelt hat.
nach ihrer Lieblingspflanze und ihrer
Dingen mehr: Damit haben wir, etwa im Irak
in den Alpen beigetragen hat – als auch für
Der Stickstoffeintrag ist nicht nur in Bran-
Lieblingstierart ausgerichtet werden. Für
und anderswo, schreckliche Entwicklungen
deren Weiterentwicklung. Thema Schnee-
denburg, sondern auch global ein Riesenpro-
weite Teile der Menschheit jedoch ist die
erfahren. Nur weil viele von uns geglaubt
kanonen, Wasserverbrauch undsoweiter, das
blem. Hat jemand eine Idee, wie man dieses
erste Frage, wie wir jetzt überleben und wie
haben, dass diese Menschen anderswo
war alles drin. Wir zeigen am Pfingstsonntag
Problem in den Griff kriegt?
wir morgen und übermorgen leben. Wir
genauso ticken wie wir.
eine wunderbare Geschichte über ein
zählen hier zu der privilegierten Minderheit,
Storchendorf, ich glaube, es liegt in Branden-
Prof. Dr. Freude
die sich kaum Sorgen machen muss, wovon
Volker Angres
burg. Ich kann das nur empfehlen: ein
Der Vogel, den ich als Erstes genannt hatte,
sie morgen und übermorgen lebt.
Sie haben natürlich völlig recht, aber die
wunderbarer Film, richtig tolle Storchenbil-
die Großtrappe, hat genau damit zu tun.
Antwort ist im Grunde aus dem, was ich
der, und mit Augenzwinkern gemacht; weil
Stickstoff ist eines der am kompliziertesten
Beispielsweise die Problematik der Rodun-
vorhin über die Skatrunde gesagt habe, abzu-
es ja auch Menschen gibt, die sich ärgern,
zu erklärenden Themen, weil grün grün ist.
gen: Für diese Menschen stellt sich nicht die
leiten. Das Thema Artenvielfalt und Arten-
wenn der Storch seine Hinterlassenschaften
Wenn ein Löwenzahn darauf wächst,
Frage, ob sie sich gegenüber den Enkeln und
verlust ist nicht prominent in den Medien
genau auf dem Fahrradsattel platziert. Das
blüht das Grün auch noch. Das verursacht
Urenkeln verantwortlich verhalten, sondern
vorhanden, weil es geräuschlos ist. Die UN-
finden die natürlich nicht so witzig. Nur eine
aber der Stickstoff, der im Überfluss vorhan-
wie sie morgen und übermorgen überleben
Biodiversitätskonvention, die alle zwei
Randbemerkung … Wenn es einen Anlass
den ist. Wir bekommen ihn jetzt allein aus
können. Das ist ganz eng mit der Entwicklung
Jahre verhandelt wird, ist eigentlich ziemlich
gibt, wenn Sie mir ein Thema zurufen, wenn
der Luft, so wie er in den 1960er-Jahren vom
und den Entwicklungsstrategien verbunden.
erfolgreich, gemessen an anderen UN-Kon-
gerade irgendwo die Artenvielfalt akut gefähr-
Bauern auf den Acker geworfen wurde. Es
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es
ventionen wie etwa der Klimakonvention.
det ist, dann können wir darüber gerne
gibt eine Handvoll Pflanzen, die 95 Prozent
heute bei der katholischen Kirche in
Denn da passiert relativ wenig. Da wird ver-
reden. Es muss etwas passieren, es muss sich
aller anderen Pflanzen überwachsen.
handelt, da sind Erfolge für die Medien
jemand aufregen, es muss vielleicht erst eine
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Diese haben keine Chance, weil sie es
50 bis 80 Millionen Euro am Tag – und
Wir haben die Vision von der CO 2-neu-
nicht gelernt haben, mit so viel Stickstoff
hoffentlich werden wir dann munter. Hier
tralen Mobilität. In einem gewissen Umfang
umzugehen. Sie sterben weg. Deshalb
wird sich etwas tun, vielleicht ja von oben.
können Sie die heute schon kaufen. Ingol-
gäbe es auch keine Orchideen mehr, wenn
Der bessere Weg wäre die Einsicht.
stadt, Brüssel, Münster, Neuburg und Neustadt
wir die Orchideenwiesen nicht ständig
sind allesamt Standorte, die 100 Prozent
Dr. Achatz
regenerativen Strom oder Wasserkraftstrom
Herr Angres, Sie haben sich ja in Ihrem
zertifiziert bekommen. Wir geben da Millio-
Da muss man unglaublich viel Aufwand
Vortrag ausführlich mit der Automobilindus-
nen, siebenstellige Beträge aus, alles Mehr-
betreiben, nur weil wir so viel Stickstoff
trie beschäftigt. Ich komme von Audi. Ich
kosten, um das durchzuführen. Wir kriegen
entweder auf den Acker werfen, oder
gebe Ihnen Recht, im Punkt der Einführung
zum Beispiel in Ingolstadt Abwärme von
weil er direkt aus der Luft kommt. Was kann
des Auspuffkatalysators hat sich die Auto-
der Raffinerie, von der MVA, mit Primär-
man dagegen tun? Die EU hat uns aufgetra-
mobilindustrie sicher sehr ungeschickt
energie Faktor null.
gen, etwas zu unternehmen, weil wir eines
verhalten. Das hat sehr komplexe Hinter-
der Länder in der Welt sind, die am meisten
gründe, war aber sicher nicht gut. Aber bei
Das heißt, Sie können ein Auto in Ingol-
Dr. Spandau
Stickstoff verwenden. Wir könnten sagen,
den anderen Punkten sind Sie, glaube ich,
stadt kaufen, das CO 2-neutral gefertigt ist.
Dann fragen wir noch mal: Ist alles gut in
wir machen es wie Dänemark oder andere
sehr schlecht informiert. Die Forderung nach
Sie können dieses Auto aber auch CO 2 -
der Automobilindustrie?
skandinavische Länder und führen eine
systemischem Denken, die Sie stellen, das
neutral fahren. Und da ist wieder das
Stickstoffsteuer ein. Auf so und so viel Land-
findet sehr wohl statt. Natürlich machen alle
systemische Denken. Audi gibt zweistellige
Volker Angres
fläche, die der Bauer bewirtschaftet, kriegt er
Premiumhersteller Ökobilanzen von ihren
Millionenbeträge allein für die Vorkette
Nein. Ich zweifle überhaupt nicht daran,
den Stickstoff zum Normalpreis oder ihn
Produkten. Das heißt bei manchen Produkt-
Treibstoff aus. Das heißt, wo die E-Gasanlange
dass Audi die allergrößten Anstrengungen
sogar subventioniert. Alles was darüber
deklarationen aber anders. Wir bei Audi
steht, wird aus Wasserstoff, der aus Über-
unternimmt, in ihren Werken so umwelt-
hinausgeht, kostet den Landwirt richtig viel
z.B. haben, seit vor über 20 Jahren der A8
schussstrom von den Windrädern generiert
freundlich und nachhaltig wie irgend
Geld. Warten Sie mal die Reaktion darauf ab.
mit seiner Aluminiumkarosse auf den Markt
wird, in Umsetzung mit CO 2 Methan
möglich zu sein. Nicht zuletzt, weil wir uns
Das ist ein No-Go. Ich weiß das, weil ich
kam, eine ganzheitliche Betrachtung: von
erzeugt: CO 2-neutral, was Sie für einen in
in der Audi-Umweltstiftung regelmäßig
bei der Landwirtschaft auch Verantwortung
der Rohstoffgewinnung, vom Bauxit bis hin
Ingolstadt gefertigten Audi g-tron auch
treffen und uns darüber austauschen. Aber
trage. Deshalb spreche ich auch von einem
zum Recycling gemacht, und das findet
nutzen können. Dasselbe gilt für synthe-
wir scheinen unterschiedliche Informations-
„dicken Brett“. Wir müssen unsere Leidens-
natürlich auch heute statt. Mein Hauptberuf
tische Kraftstoffe, die CO 2 aus der Atmo-
quellen zu haben. Wenn wir als Fernsehteam
fähigkeit erhöhen – das heißt, aussterbende
ist es, Ökobilanzen durchzuführen.
sphäre oder aus Kraftwerken binden.
nach Brasilien fahren und dort die Roh-
Wenn wir einen Carbon Footprint nach
stoffquellen ansehen, mit den Minenarbei-
pflegen würden.
Arten und Katastrophen weiterhin durchleben, bis wir so weit sind, dass alle die Fehl-
Ich bewerte Verfahren und Materialien
D- oder ISO-Norm gemacht haben, betrach-
tern in die Schächte steigen, weiß ich nicht,
entwicklung einsehen. Die EU, das ist die
ganzheitlich, also von der Rohstoffgewinnung
ten wir natürlich auch die Kette: von der
wer von Ihnen bei Audi auch schon einmal
zweite Variante, wird uns möglicherweise
bis zur Entsorgung. Das heißt, wir unter-
Aluminium- und Stahlgewinnung bis zum
dort war.
zur Umkehr zwingen, und das ist das
suchen, welche Lackverfahren geeignet sind,
Recycling, inklusive Mitarbeiterverkehr,
Spannende. Dass wir nämlich übergeordnete
welche Folgen das über den ganzen Prozess
Dienstreisen, Roboterherstellung, Energie-
Und wenn dieses Erz nach Deutschland
EU-Instanzen haben, die uns Deutsche
hat, wie sich Bleche, die unter großem
verbrauch im Autohaus und so weiter. Alles
kommt und zu allgemeinem Autostahl
fragen könnten, wo die Musterschüler im
Energieaufwand in der Fertigung umgeformt
wird reingerechnet und zertifiziert. Und
für die deutsche Industrie verarbeitet wird,
Umwelt- und Naturschutz noch ein bisschen
werden, ganzheitlich bewähren, und wie viel,
wir geben Pressemitteilungen heraus, weil
für Audi, BMW und alle anderen, die das
nachzuarbeiten haben. Ich setze große
zum Beispiel CO 2, ab dem ersten Kilometer
wir einer der ersten Premiumhersteller
einkaufen, dann ist da eine Informations-
Hoffnungen darauf, dass Deutschland, wenn
eingespart wird. Wir machen systemisches
waren, die das alles gemacht haben. Aber
lücke.
es jetzt nichts tut, Anlastungsverfahren von
Denken aber auch über den ganzen Produkt-
leider wird das von den Medien nicht immer
der EU bekommt. Das sind im Schnitt
Lebenszyklus am Automobil als Ganzes fest.
so aufgenommen und weiterkommuniziert.
‘‘
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Dass in den einzelnen Werken tolle Dinge
Prof. Dr. Freude
schädigen, tatsächlich geschehen. Das
passieren, das ist völlig unbestritten, und
Es ist nicht bloß die gefallene Milch-
ist eindeutig soziologisch nachgewiesen.
dass Audi ganz vorbildlich mit Power-to-Gas
quote. Was jeder von uns sehen kann, ist
Und dann wurde innerhalb weniger Jahr-
dabei ist, haben wir auch schon berichtet.
zum Beispiel der Energiemais. Quadratkilo-
zehnte, Ende des 19. Jahrhunderts,
Das ist gar nicht der Streitpunkt. Aber wir
meterweise, übrigens auf alten Öko-Land-
1906, der Naturschutz zur Staatsaufgabe
können uns gerne einmal damit auseinander-
bauflächen. Die Frage ist, wie steuern
erhoben. Es wurden die ersten staatlichen
setzen, woran das liegen könnte. Ich bin
wir Landwirtschaft, wie steuern wir Subven-
Naturschutzinstitutionen geschaffen.
nicht daran interessiert, Falschmeldungen in
tionen? Da haben wir noch eine Menge zu
Auch wenn sie hauptsächlich ehrenamtlich
die Welt zu setzen.
tun. Ich habe keine Antwort darauf, weil es
besetzt waren und keinen großen Einfluss
keine Antwort darauf gibt. Die einzige ist:
hatten. Aber das politische Gewicht zeigte
Das wäre ganz fatal. Ich bin sehr daran
Sie können weiter versuchen, Ihre Leute zu
sich schon. Dann hat es bis 1935 gedauert,
interessiert, alle Fakten auf den Tisch zu
überzeugen. Und weiter stolz auf das zu
bis in Deutschland ein erstes landesweites
legen um dann daraus die richtigen Konse-
sein, was Sie bisher erhalten haben. Mehr
Naturschutzgesetz beschlossen wurde.
fällt mir auch nicht dazu ein.
Im Vorspann dieses Gesetzes stand „Dieses
quenzen zu ziehen. Auch wenn Sie sagen,
hergestellt werden. Hier gibt es Berichte,
man kann ein Audi-Auto CO 2-neutral kaufen,
die liegen bei mir auf dem Tisch, die gehen
würde mir das nicht reichen, weil im Sinne
auch an den Vorstand. Es wird sehr wohl
Dr. Spandau
ihren Erscheinungen“. Aber wenn Sie die
von Nachhaltigkeit die anderen Aspekte,
in der Vorkette intensiv nachgeschaut. Dass
Ich möchte die Diskussion über die Zukunft
Paragraphen des Gesetzes durchlesen,
zum Beispiel soziale Gerechtigkeit und
man da etwas verbessern kann, ist klar. Wir
des Naturschutzes durch einen Aspekt berei-
beschränken sie sich nur auf seltene und
dergleichen fehlen und ich habe nicht eine
haben in der deutschen Automobilindustrie
chern und dazu Herrn Prof. Haber bitten, sich
schöne Arten und einen kleinen Ausschnitt
einzige Anzeige von Audi gesehen, wo außer
30 Prozent Fertigungstiefe.
noch einmal zu äußern. In „nodium“, einer
aus der Landschaft, während Wasser, Luft
sehr lesenswerten Zeitschrift des Alumni-Clubs
und Boden überhaupt nicht erwähnt werden.
Benzinverbrauch und CO 2-Ausstoß die Pro-
Gesetz dient dem Schutz der Natur in allen
duktionsverfahren in den Fabriken als Kunden-
Elisabeth Wölfl
der TU München, habe ich Ihre Ausführung
Und damit komme ich auf den Begriff
argument dargestellt werden, unter Abzug
Ich bin hier am Zentrum für Umwelt
„Überlegungen zur Zukunft des Naturschutzes“
„Umwelt“. Als Ende der 1960er-Jahre den
der vielen Wettbewerber, die noch nicht so
und Kultur seit zehn Jahren für den Bereich
gelesen. Da schreiben Sie, „Naturschutz ist
Menschen bewusst wurde, dass auch die
weit sind.
Naturschutz angestellt. Wir arbeiten seit
eine Erfindung moderner Stadtmenschen und
Luft immer mehr verpestet und belastet ist,
20 Jahren mit den Landwirten in Benedikt-
dient meistens mehr ihnen als der Natur“.
dass die Gewässer belastet sind mit Schad-
Dr. Achatz
beuern vor Ort und bemühen uns um eine
Können Sie uns das erklären?
stoffen, dass die Pestizidanwendungen Vögel
Vorkenntnisse sind ganz entscheidend.
naturgerechte, standortangepasste, land-
Sie haben gerade Brasilien angesprochen.
schaftsbezogene Landwirtschaft und es ist
Prof. Dr. Dr. Haber
der Begriff „Umweltschutz“ auf. Und es
Das ist das große Thema, was wir inten-
uns gelungen, in den Köpfen der Landwirte
Dieser Satz ist natürlich eine Provo-
wurde eine eigene Verwaltungs- und Politik-
siv bearbeiten, was auch beliebig kompliziert
etwas zu bewegen. Wir haben erreicht,
kation, die zum Nachdenken anregt. Was
schiene eingerichtet, die den Naturschutz,
ist. Es gibt zum Thema Aluminium auf
dass fast alle Landwirte in Benediktbeuern
ist denn Natur? Ist das Vielfalt? Sind das
der ja schon bestand, wenn auch als kleine
Initiative von Audi die Aluminium Stewart-
in der Extensivierung sind. Es gibt nicht
Arten? Ist das Umwelt? Die Begriffe werden
Institutionen, beiseite ließ.
ship Initiative, bei der auch die Herstellung
mehr viel intensiv wirtschaftende Betriebe.
dauernd verwechselt und vermischt. Der
des Rohstoffes Aluminium in den Minen
Sie wissen alle, dass dieses Jahr die Milch-
Naturschutz ist eine Entwicklung, die
Und seitdem wird Umwelt und Natur
betrachtet wird. Man versucht zu deklarieren,
quote wieder gefallen ist, das heißt, es wird
speziell in den deutschsprachigen Ländern,
ständig verwechselt. Natur ist das, was
wo dieses Aluminium herkommt. Diese
wieder auf Masse produziert. Jetzt kommen
in der deutschsprachigen Kultur, beein-
gewachsen ist, sich spontan entwickelt und
Dinge werden sehr wohl betrachtet; und es
viele Landwirte zu mir und fragen, wo
flusst durch die Bewegung der Romantik,
gedeiht und wächst, während Umwelt viel
wird sehr wohl nach Thailand geflogen und
wir es geschafft haben in die Extensivierung
in den Städten entstanden ist, in einer
größere Dimensionen hat. Wir Menschen
geprüft, wie die Verhältnisse in den Fabriken
zu gehen, ob wir wieder in die Intensivie-
gebildeten Bürgerschicht der Städte. Der
haben nicht nur eine natürliche Umwelt,
sind, in denen die Chips für das Automobil
rung getrieben werden. Sie wollen das aber
Naturschutz ist nicht auf dem Lande ent-
wir haben eine wirtschaftliche, wir haben eine
gar nicht. Was sollen wir tun?
standen, wo die Ereignisse, die die Natur
soziale, wir haben eine kulturelle Umwelt.
verstummen lassen undsoweiter, da kam
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Wenn man das durchdenkt – und das
nicht gibt. Es gibt in der ursprünglichen
oder zwei Dingen ergänzen. Veränderungs-
ist meine Erkenntnis aus langer Lebens-
Natur keine Getreidefelder. Das ist etwas
prozesse, wie wir sie heute diskutiert haben,
erfahrung – muss man sagen, dass die
Naturfernes, etwas Künstliches. Das Zweite
sind zäh und total unromantisch. Dennoch
Menschen, seitdem sie in der Evolution
ist: In unserer kulturellen Umwelt ist der
sollten wir immer an ein besseres Morgen
entstanden und auf der Erde sind, sich
Hauptlebensraum der Menschen, der Platz
glauben und uns nicht ständig am Rande des
schrittweise und mit immer größerer
wo wir in unserer Masse leben, die Groß-
Weltuntergangs wähnen. Wie peinlich ist es
Perfektion eine eigene kulturelle Umwelt
stadt. Die Stadt allgemein, heute eben die
eigentlich für uns, dass unsere Nachbarn ihre
geschaffen haben; eine Umwelt, die sie
Metropolis. Und das ist das Künstlichste,
Sprache um Germanismen wie la angst oder
der Natur sozusagen eingepflanzt oder
was es überhaupt vorstellbar gibt auf dem
el waldsterben oder the weltschmerz ergänzt
aufgepfropft haben. Und als die Menschen
Planeten Erde. Und jetzt mal verglichen mit
haben. Aus meiner Sicht ist es da besser,
das geschafft haben, und wir sind ja
dem Ackerbau, der den Boden schädigt;
eine neue Kultur der Nachdenklichkeit zu
noch in diesem Prozess, da wird ihnen auf
der muss es tun, weil sonst keine Pflanze
entwickeln, die auf den bisherigen Erfolgen
einmal – in einer bestimmten Schicht der
ordentlich wächst, die Erträge bringt.
der Vergangenheit basiert. So wie Hubert
Städte, der naturfernsten Einrichtung, die
Zum Beispiel heißt erfolgreiche Armuts-
Weinzierl das hier in seiner Zeit als Vorsit-
wir Menschen überhaupt geschaffen haben –
Aber der Städtebau ist noch viel schlim-
bekämpfung, dass mehr Ressourcen gebraucht
zender des BUND einmal gesagt hat, „Die
bewusst, was sie mit dieser Entwicklung
mer, denn er zerstört auch noch den Boden
werden, damit es ärmeren Menschen besser
Umweltbewegung hat diese Gesellschaft ver-
der ursprünglichen Natur angetan haben.
vollständig. Wenn wir irgendwo ein Neu-
geht: Menschen, die heute in Armut leben –
ändert, wir haben viel erreicht.“ Daran sollten
Ich sehe auch keinen Ausweg aus dieser
baugebiet sehen, da werden große Bereiche
und ich habe viele gesehen auf meinen Welt-
wir ab und zu denken. Ich denke, es ist
Situation.
ausgeschachtet. Der gewachsene Boden
reisen – die lernen, sich der Armut notge-
an der Zeit neu zu bestimmen, was Umwelt-
wird beseitigt und dann ist er weg. Boden ist
drungen anzupassen und bescheiden zu sein.
schutz für unsere Gesellschaft eigentlich
Wir haben erstens unsere Ernährung
die Ressource, die nicht wiederherstellbar
Aber wenn es ihnen dann besser geht, dank
bedeutet.
speziell auf den Ackerbau abgestellt. Das
ist. In der heutigen Diskussion um die
der öffentlichen Hilfe, verlieren die meisten
begann vor 10.000 Jahren, das ist noch gar
Umwelt geht das fast unter oder kommt viel
von ihnen diese Bescheidenheit. Und genau
Es sollte darum gehen, dass wir intelligente
nicht lange her. Kein Ackerbau ist möglich
zu kurz. Wir haben das Internationale Jahr
auf diese Bescheidenheit, die man heute als
ökologische Lösungen für die sich ständig
ohne schädliche Eingriffe in die Böden.
des Bodens. Aber in der Politik spielen ganz
Suffizienz bezeichnet, kommt es an, damit
verändernde, urbanisierte und von Technik
Diese Schäden können wir nicht vermeiden.
andere Dinge eine Rolle: Klima. Der Klima-
wir eine Zukunft behalten.
getriebene Umwelt des 21. Jahrhunderts
Wir können sie nur mildern und dazu habe
wandel, der von den sieben Milliarden
ich schon vor vierzig Jahren vorgeschlagen,
Menschen drei oder vier Milliarden um-
Dr. Spandau
uns weiter entwickeln, können wir uns viel-
den Ackerbau zu differenzieren: in viele
bringt. Dann bleiben immer noch zwei oder
Danke für diese nachdenklich machen-
leicht sogar Ausnahmen gönnen. Zur Ein-
kleine verschiedene Kulturen, die sich in den
drei Milliarden übrig. Und die können nur
den Worte. Herr Prof. Haber wird in diesem
schränkung gehört auch die Ausschweifung.
Schäden, aber auch in den Nutzen gegen-
leben, wenn sie auf fruchtbaren Böden
Jahr seinen 90. Geburtstag feiern. Ich finde
Zum Fasten gehört das Prassen. Wir müs-
seitig ausgleichen können. Das war eine Vor-
Nahrung erzeugen. Das ist die Situation. Wir
es faszinierend – als einer seiner Schüler –
sen also nicht ständig moralisieren. Manch-
wegnahme des Begriffes der biologischen
müssen heute, wenn wir über Artenschutz
heute noch von ihm lernen zu können, und
mal verdient auch der innere Schweinehund
Vielfalt. Und zwar des Aspektes der Öko-
oder Artenvielfalt diskutieren – sicher, jeder
ich finde es genauso faszinierend, dass Sie
Artenschutz.
systemvielfalt, wie man das heute nennt.
hat da sein Spezialgebiet – den Gesamt-
heute noch druckreif sprechen. Vielen Dank.
Und die Artenvielfalt läuft dann sozusagen
zusammenhang beachten. Wir können nicht
Eigentlich waren diese nachdenklich
mit. Das ist das Eine der kulturellen Umwelt:
die Artenvielfalt von heute aufrechterhalten,
machenden Worte eine sehr schöne Zusam-
Wir haben also eine künstliche, naturschä-
wenn gleichzeitig die Menschheit zunimmt.
menfassung unseres heutigen Symposiums.
digende Umwelt zu unserer Lebensgrundlage
Nicht nur an Anzahl, sondern an Ansprüchen.
Sie haben alles noch einmal auf den Punkt
gemacht, die es in der gewachsenen Natur
finden. Und wenn wir darauf aufbauen und
gebracht. Lassen Sie mich das nur in ein
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„ N E U DE N KE N, AN DE R S DE N KE N, WE ITE R DE N KE N. “
Festvortrag der Abendveranstaltung
am 29. April 2015 von Ulrike Scharf,
Bayerische Staatsministerin für Umwelt
und Verbraucherschutz
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„ N E U DE N KE N, AN DE R S DE N KE N, WE ITE R DE N KE N. “
Festvortrag der Abendveranstaltung am 29. April 2015 von
Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Umwelt
und Verbraucherschutz, München.
Sehr verehrter Herr Dr. Spandau, lieber
Pater Heim, verehrte Festgäste, verehrte
Ehrengäste, meine sehr geehrten Damen
und Herren,
ein Vierteljahrhundert, so lange gibt
es das wiedervereinigte Deutschland und
ebenso lange die Allianz Umweltstiftung.
Umso mehr freut und ehrt es mich, beim
19 Jahre hochkarätige Auseinandersetzung
heutigen Abend nicht nur als Festrednerin
mit der deutschen Umweltpolitik, wie auch
zu Ihnen sprechen zu dürfen, sondern
in diesem kurzen Filmbeitrag zu sehen war.
Ihnen ganz herzlich zu Ihrem stolzen Jubi-
Die Liste der Referenten all dieser Jahre
läum gratulieren zu können. Natürlich tue
liest sich geradezu wie ein umweltpolitisches
ich das von Herzen gern, auch im Namen
Who is Who: profilierteste Köpfe aus Umwelt-
unseres Ministerpräsidenten Horst Seehofer.
bewegung und Wissenschaft, aus Politik
In seinem Namen darf ich Ihnen die
und Verwaltung, aus Wirtschaft und Gesell-
Glückwünsche und den Dank der gesam-
schaft. Neu denken, anders denken, weiter-
ten Staatsregierung für Ihre großartigen
denken, das ist ihr Anspruch, den gesell-
Leistungen übermitteln.
schaftlichen Lernprozess zu befeuern, den
eine nachhaltige Zukunft in der Tat braucht.
Das Geburtstagskind ist wahrlich aller
Das gelingt Ihnen in ganz glänzender, ganz
Ehren wert. 1990 waren Sie Pioniere auf
hervorragender Weise. Dazu meinen großen
dem Gebiet der Umweltstiftungen, und
Respekt und meine Anerkennung.
heute, 25 Jahre später, zählen Sie zu den
größten Stiftungen in Deutschland über-
Dann die wegweisenden Umweltschutz-
haupt. Und was für ein Prachtexemplar
und Umweltprojekte der Allianz Umwelt-
von Stiftung das ist, davon konnte ich mich
stiftung deutschlandweit: Allein bei uns in
bereits überzeugen, zum Beispiel im Rah-
Bayern unterstützt sie Projekte mit einem
men der Benediktbeurer Gespräche; und dies
Förderbetrag von 16 Millionen Euro.
wurde gerade von Ihnen, Herr Dr. Spandau,
erwähnt:
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Darunter so spannende Projekte wie das
Umweltpolitik braucht einen langen
Haus der Berge im Nationalpark Berchtesga-
Atem, das ist mir bewusst. Umweltpolitik
den und das Haus am Strom, unser Umwelt-
der Zukunft muss nicht nur Antworten
zentrum an der Donau, Europas Lebensader.
finden auf Klimawandel, auf Artensterben
Dafür ebenfalls meinen ganz herzlichen
oder auf Raubbau; sie muss fähig sein, die
Dank. Übrigens, das Haus am Strom ist auch
Menschen zu überzeugen, sie mitzunehmen
an meiner Stimme schuld. Ich war nämlich
und ihnen intelligentere Alternativen
letzten Freitag dort und habe mich etwas
anzubieten – und zwar zusätzlich zu dem,
verkühlt. Ja, und nicht zu vergessen natür-
was wir schon immer so gemacht haben.
lich die Stiftungsprofessur für Strategie und
Management der Landschaftsentwicklung an
Aktuell, meine Damen und Herren, leben
der TU München. All das ist echte Zukunfts-
7,3 Milliarden Menschen auf der Erde, und
arbeit, ist zutiefst ethisches Handeln für
jede Sekunde kommen zwei neugeborene
unsere Kinder und Enkelkinder. Dafür danke
hinzu. Alle wollen ein gutes Leben, am liebs-
ich Ihnen als Bayerische Umweltministerin
ten nach westlichem Vorbild. Der Umgang
von ganzem Herzen.
mit unseren natürlichen Ressourcen – Atmosphäre, Boden, Wasser, Rohstoffe, biologische
Der Titel des Symposiums „Umweltpolitik
Vielfalt – all das wird dabei für uns zum
in Deutschland 1990 bis 2015: Bilanz und
zentralen Prüfstein zukunftsfähiger Umwelt-
Ausblick“, dieser große Bogen der Benedikt-
politik. Wie schützen wir die natürlichen
beurer Gespräche 2015 ist dem feierlichen
Lebensgrundlagen und lassen zugleich öko-
Anlass mehr als angemessen. Mein Part
nomische Entwicklung und damit auch
dabei ist eher der Ausblick, zumindest ver-
soziales Wohlergehen zu? Wie schaffen wir
suche ich es. Was sind die Herausforderungen,
ein neues Lebens- und Wohlstandsmodell,
mit denen Umweltpolitik in Zukunft kon-
das eine Erde erlaubt, die schon Mitte des
frontiert sein wird? Mittlerweile bin ich, wie
nächsten Jahrhunderts 9,3 Milliarden
eben erwähnt, ein gutes halbes Jahr, exakt
Menschen zu tragen und zu ertragen haben
sieben Monate im Amt. Und wenn ich in
wird? Wir werden dazu umdenken und
dieser relativ kurzen Amtszeit eines über
neue Wege gehen müssen. Wir werden uns
Umweltpolitik gelernt habe, dann dies: Wir
sowohl in unserem Wirtschaften als auch in
wissen viel darüber, was das Richtige wäre
unserem Lebensstil ein Stück weit neu
im Umgang mit unserer Erde, was die
erfinden müssen. Ein Weiter-wie-bisher hat
Vernunft uns gebietet, was unsere ethische
sicher keine Zukunft. Dazu gehört auch, Öko-
Pflicht ist; aber es dann auch zu tun, das ist
logie und Ökonomie konsequent mitein-
oft ein steiler, ein steiniger Pfad. Interessen-
ander zu vereinen.
gegensätze und Beharrungskräfte sind
enorm. Wenn Sie sich hier nur zwei Themen
In Bayern arbeiten wir intensiv daran,
vor Augen führen: den Weg zum klimatisch
einen neuen, einen intelligenten Wachstums-
notwendigen Ausstieg aus der Kohle und den
begriff zu etablieren – Wachstum 2.0, wenn
Weg zum Siegeszug des Elektroautos. Beides
Sie so wollen.
ist gleichermaßen mühsam.
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Für mich ist Wachstum 2.0 smart, res-
Ein Nebenprodukt unserer Klimastrategie
Das ist grundsätzlich richtig. Doch diese
Meine Position dazu ist ganz klar: Ich
sourcenschonend, klimafreundlich; und das
ist zugleich der umwelttechnologische
große erfolgreiche Gemeinschaftsaktion von
halte es nicht für klug, mit hohen Investitio-
nicht nur dem Namen nach, sondern wirk-
Investitionsschub. Wenn Sie sich vor Augen
Vereinen, Verbänden, Umweltbildungsein-
nen und erheblichen Eingriffen in Natur
lich nachhaltig. Somit ist Wachstum 2.0
führen, dass wir 84.000 Beschäftigte und
richtungen, Kommunen und Privatpersonen
und Landschaft auf eine Einkommensquelle
unser großes und erklärtes Ziel. Zum Beispiel
einen Exportanteil von 46 Prozent in der
unter der Federführung unseres Umwelt-
zu setzen, die der Klimawandel in absehbarer
beim Klimaschutz: 2050 wollen wir die Treib-
Umwelttechnologie haben, können wir heute
ministeriums will mehr und will damit mög-
Zeit obsolet machen wird. Mir ist allerdings
hausgas-Emissionen in Bayern auf weniger
schon vom Shootingstar in der bayerischen
lichst viele Menschen erreichen. Dazu haben
auch klar, dass zukunftsfähige Umweltpoli-
als zwei Tonnen pro Kopf und Jahr senken.
Wirtschaft sprechen. Gerade im Klima- und
wir für jede Region ein Veranstaltungs-
tik sich nicht allein auf das Nein-Sagen
Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber aus meiner
Energiesektor reden wir hier von guten
magazin ausgearbeitet – mit fast 7000 Ange-
beschränken kann. Das Nein-Sagen an sich
Sicht erreichbar, ohne dabei die wirtschaft-
Werten. Ökonomie gewinnt also durch Öko-
boten für jede Altersgruppe und jeden Inte-
ist ja schon schwer, aber sich zurückzulehnen
liche Dynamik zu gefährden. Deshalb haben
logie. So verstehen wir in Bayern nachhaltige
ressenbereich. Von April bis Oktober kann
und sich darauf auszuruhen wäre bestimmt
wir im Freistaat Bayern letztes Jahr unser
Entwicklung. Oder so: Bis 2020 wollen wir
man, zusammen mit Experten, auf Streif-
auch falsch. Vor allem, wenn es um Men-
Klimaschutzprogramm „Bayern 2050“ auf-
Bayern zum rohstoff-effizientesten Land der
zügen durch Bayern die Natur erleben: zum
schen geht, die Sorge um ihr Einkommen
gelegt: mit einem Volumen von 170 Millionen
Bundesrepublik machen, zum Land der
Beispiel sportlich oder kreativ, genussorien-
und somit um ihre persönliche Zukunft haben.
Euro im aktuellen Doppelhaushalt. Drei
Kreislaufwirtschaft. Denn intelligentes Wachs-
tiert oder rein wissenschaftlich. Der Start ist
Ob im Wintersport oder im Braunkohle-Berg-
Säulen sind dabei wichtig: die Emissions-
tum bedeutet auch Ressourceneffizienz.
heute. Natur erfahren ist auch ein Beitrag
bau: Wir können mit unseren Anliegen
minderung, die Anpassung und nicht zuletzt
Ich sage an dieser Stelle immer ganz gern
zum sanften Tourismus. Ja, Bayern trägt
sicher nur akzeptiert werden, wenn wir die
auch die Forschung.
dazu, wir brauchen nicht nur die Energie-
Verantwortung für seine wunderschöne Land-
Menschen mitnehmen; wenn wir uns über
wende, wir brauchen auch eine Rohstoff-
schaft und die wertvollen Naturschätze,
sinnvolle Alternativen Gedanken machen
Zuvor haben wir das Jahr des Klimas
wende. Wir wollen die Rohstoffproduktivität
und beides sind ethische Werte an sich und
und somit den Strukturwandel aktiv mitge-
ausgerufen. Ein zentrales Stichwort dabei
gegenüber 1994 verdoppeln, und wir gestal-
schon allein deshalb schützenswert.
stalten. Deshalb werbe ich intensiv für einen
heißt Energieeffizienz. Wir treiben, und
ten den Übergang von der Primär- zur
ich will Ihnen hier nur einige Maßnahmen
Sekundärrohstoff-Wirtschaft. Allein bei der
Biologische Vielfalt ist für eine gesunde
Prägung. Ich denke, das ist möglich. Das
aufzählen, die energetische Sanierung
Abfallverwertung haben wir unsere Quote von
und zukunftsfähige Landwirtschaft unbedingt
Marktpotenzial dafür ist da. Und deshalb
staatlicher Gebäude voran, wir fördern
30 Prozent auf 66 Prozent gesteigert. Also
notwendig. Deshalb nehmen wir für unser
möchte ich, gemeinsam mit unserem Baye-
Projekte der Energietechnologie, der Bio-
auch hier gewinnt die Ökonomie durch
Biodiversitätsprogramm Bayern dieses und
rischen Wirtschaftsministerium und den
Energie, der Energieprogramme, wie
Ökologie. Und das nicht allein durch mehr
nächstes Jahr insgesamt fast neunzig Millio-
Tourismusverbänden, dieser Idee auch wirk-
beispielsweise das Zehn-Häuser-Programm,
Effizienz und Rohstoffsicherheit, sondern vor
nen Euro in die Hand. Von diesem Programm,
lich Nachdruck verleihen. Ich bin überzeugt,
und vor allen Dingen Maßnahmen zum
allem auch durch technologische Innovatio-
das wir im vergangenen Jahr auf den Weg
dass darin die Zukunft für unser Natur- und
kommunalen Klimaschutz. Mit diesen und
nen, die wir damit antreiben.
gebracht haben, wird auch der Tourismus
Reiseland Bayern steckt. Und ich lese das
profitieren. Denn Bayerns Natur und Bayerns
auch daran ab, dass es immer mehr Kommunen genauso sehen.
vielen weiteren Maßnahmen setzen wir
umweltschonenden Tourismus moderner
ein ganz starkes Signal in Richtung Paris.
Ein drittes, besonders einleuchtendes
Landschaften gehören schließlich zu unse-
Als Vorsitzland der deutschen Umwelt-
Beispiel für intelligentes Wachstum – und
ren stärksten Zugpferden. Vor allem in den
ministerkonferenz 2015 ist Bayern mit von
an ihm wird besonders deutlich, was ich
Alpen wird das besonders deutlich. Und doch
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Partie. Schon in den nächsten drei
zuvor mit intelligenten Alternativen gemeint
kommt es gerade hier immer zu Zielkonflik-
uns neu zu erfinden bedeutet, neben intel-
Wochen, Mitte Mai, werden die Umwelt-
habe – ist für mich Naturschutz und Touris-
ten. Da diskutieren wir über Beschneiungs-
ligentem Wachstum auch über unseren
minister der Länder in Bayern zu Gast sein.
mus. Heute auf den Tag genau feiern wir 15
anlagen oder den geplanten Ausbau von
individuellen Lebensstil nachzudenken:
Wir wollen die Gelegenheit unseres Vorsit-
Jahre BayernTourNatur. Bei diesem Begriff
Skiliften. Je mehr der Klimawandel den Win-
von Wohnen und Energieerzeugung bis Kon-
zes nutzen, ein starkes Signal in Richtung
denkt man zunächst vielleicht an Tourismus,
tersport verdrängt, desto härter werden in
sum und Mobilität – also nicht nur über
Klimaschutz und, vor allen Dingen, in eine
an Begegnungen mit der Natur.
Zukunft diese Diskussionen. Und das ist Ihnen
Wachstum 2.0, sondern sicher auch über
Fortschrift des Kyoto-Protokolls beim Welt-
allen sicher auch in diesem Landstrich, im
Lebensstil 2.0.
klima-Gipfel Ende dieses Jahres auszusenden.
Tölzer Land, bekannt.
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Hier erleben wir, derzeit noch weitgehend
Bei uns in Bayern ist zum Beispiel beim
abseits der großen Öffentlichkeit, sehr inte-
Umweltpakt mit der Wirtschaft eine große
ressante Entwicklungen in Teilen unserer
und kooperative Verbindung entstanden –
Gesellschaft. Ich nenne das Stichwort urban
mit freiwilligen Umweltschutzleistungen
gardening: zunehmendes Tauschen, Leihen
einerseits und bürokratischen Erleichte-
und Reparieren statt Wegwerfen. Sozial-
rungen andererseits. Das schafft ein Klima,
ökologische Innovationen stoßen bei immer
von dem die Umwelt profitieren kann, ein
mehr Menschen auf wachsendes Interesse.
Klima, in dem sich gleichzeitig auch
Das hat die Umweltbewusstseinsstudie 2014
Effizienz entwickeln und technologische
gerade erst wieder belegt. Die Erkenntnisse
Innovation gedeihen kann. Oder wenn ich
daraus könnten sich auch für die Umwelt-
an den Vertragsnaturschutz mit unseren
politik lohnen, indem sie sich mehr mit diesen
Landwirten denke: 18.000 bayerische
Phänomenen beschäftigt. Wir könnten
Landwirte bewirtschaften 80.000 Hektar
sehen, ob wir diese Entwicklung fruchtbar
Land; und zwar naturverträglich und in
umsetzen und nutzen können für den Klima-
Kooperation mit uns. Das ist deutschland-
schutz, beim Artenschutz oder für mehr
weit die mit Abstand größte Fläche. Auch bei
Ressourcen-Effizienz – für einen smarten
der Bürgerbeteiligung setzen wir derzeit
Lebensstil der Zukunft, für Nachhaltigkeit,
Maßstäbe. Dabei denke ich an den Energie-
für den Lifestyle, für mehr Möglichkeiten
dialog und, in meinem Verantwortungs-
und Chancen. Vielleicht wäre das ja auch
bereich, an die Flutpolder beim Thema
eines der spannenden neuen Zukunftsthemen
Hochwasser. Hier haben wir nicht nur im
für Ihre Benediktbeurer Gespräche, ohne
Internet und mit Veranstaltungen vor Ort
mich in Ihre Tagesordnung einmischen zu
umfangreich geworben. Wenn ich hier noch
wollen, Herr Dr. Spandau.
einmal für meinen Bereich sprechen darf, so
habe ich zum Beispiel zwölf Standorte
Ja, und das führt mich jetzt zum
besucht und dabei 12.000 Menschen das
vorletzten Punkt: Umweltschutz mit den
Gespräch und den Gedankenaustausch
Menschen. Umweltpolitik der Zukunft
angeboten. Wir binden also die Betroffenen
muss neben inhaltlichen Fragen auch eine
ein; und das auch mittels weiterführender
wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe
Workshops der zuständigen Wasserwirt-
lösen. Wir müssen einen gesellschaftlichen
schaftsämter, die sich darüber hinaus tat-
Wandel organisieren – hin zu einer nach-
kräftig an den weiteren Planungen beteiligen
haltigen Lebens- und Wirtschaftsweise,
werden.
die diesen Namen auch wirklich verdient.
Das aber, meine Damen und Herren,
Zukunftsfähiger Umwelt- und Naturschutz
geht nur mit den Menschen; nicht ohne
darf aber nicht die Gesellschaft spalten und
sie und schon gleich gar nicht gegen sie.
dabei zu ideologischen Kampfinstrumenten
Umweltpolitik der Zukunft ist kooperativ,
mutieren. Damit wären wir sicher auf dem
nicht konfrontativ; sie setzt auf Überzeu-
falschen Weg.
gung, auf Freiwilligkeit, auf Verordnungsrecht, Transparenz und Beteiligung.
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In Bayern erleben wir gerade, wie die
praktische Naturschutzarbeit. Stiftungen
Frage „Nationalpark oder nicht?“ eine ganze
und Verbände repräsentieren einen namhaften
Region entzweit. Ich weiß nicht, inwie-
Teil der Zivilgesellschaft: Ihre Meinung hat
weit Sie hier im Süden Bayerns über dieses
Gewicht, ihr Wort wird gehört, ihre Glaub-
Thema aus dem nördlichen, dem fränkischen
würdigkeit ist in der Regel sehr hoch. Beste
Teil Bayerns, vielleicht durch die Presse,
Voraussetzungen also, um einen wichtigen
informiert sind. Die einen fürchten um ihre
Beitrag zum notwendigen gesellschaftlichen
wertvollen alten Wälder, die anderen um
Lernprozess zu leisten. Politik, Stiftungen
ihren Lebensunterhalt durch die Forstwirt-
und Verbände müssen dabei nicht immer
schaft. Ein Thema, bei dem man ständig das
einer Meinung sein, das wird wohl nicht vor-
Gefühl hat, guter Naturschutz gegen böse
kommen; aber konstruktive Meinungsver-
Wirtschaft; oder guter Naturschutz gegen
schiedenheiten würzen unser Geschäft und
böse Land- und Forstwirtschaft. Mit dieser
bringen alle Seiten ein Stück weiter. Impulse
Einstellung, meine Damen und Herren,
und Kritik von Stiftungen und Verbänden
tun wir uns sicher als Umwelt- und Natur-
stoßen wichtige Entwicklungen an, davon bin
schützer keinen großen Gefallen. Denn in
ich zutiefst überzeugt. Und wenn wir am Ende
einer demokratischen Gesellschaft ist Umwelt
an einem Strang ziehen, uns für eine erfolg-
und Naturschutz auf große Akzeptanz ange-
reiche Umwelt- und Naturschutzpolitik in
wiesen. Ökologie und Ökonomie zu ver-
eine Richtung bewegen, sind wir auf dem rich-
söhnen, das sind meine Leitlinien und das ist
tigen Weg, können die Menschen davon über-
auch der Kern meines Politikverständnisses.
zeugen und sie vor allem auch mitnehmen.
Meine Damen und Herren, wo sehe ich
In diesem Sinne, sehr verehrter Herr Dr.
in diesem Bild die Rolle der Stiftungen und
Spandau, bin ich heilfroh, dass wir in Deutsch-
Verbände? Ich sage ganz klar, am liebsten
land seit nunmehr 25 Jahren die Allianz
als Co-Manager in einem notwendigen gesell-
Umweltstiftung haben. Ihre Leistungen für
schaftlichen Veränderungsprozess. Gesell-
den praktischen Umweltschutz und ihre
schaftliches Change Management wird nur
Beiträge zur umweltpolitischen Debatte sind
funktionieren, wenn wir es möglichst breit
Gold wert. Dafür nochmal meinen ganz
aufstellen; und wenn dabei vor allem die
herzlichen Dank und meine Glückwünsche
gesellschaftlich relevanten Kräfte in eine Rich-
zu diesem stolzen Jubiläum! Ich darf Ihnen
tung ziehen und mitziehen. In Bayern prakti-
für heute Abend noch einmal die besten
zieren wir das sehr erfolgreich am Beispiel
Grüße unseres Ministerpräsidenten übermit-
unserer Bayerischen Klima-Allianz. In Deutsch-
teln und darf Ihnen gratulieren. Ich wünsche
land gibt es heute 1.800 Stiftungen mit dem
Ihnen allen einen festlichen Abend, einen
Schwerpunkt Umwelt. Es war mir bis heute
fröhlichen Abend mit – wie ich gelesen habe –
nicht ganz bewusst, dass es so viele sind. Sie
Konzert und Musik; vor allen Dingen wün-
engagieren sich in einem weiten Feld regio-
sche ich Ihnen für morgen ein erfolgreiches
naler Umwelt- und Naturschutzpolitik, das
und spannendes Symposium. Herzlichen
reicht vom Ressourcenschutz bis zum welt-
Dank.
weiten Arten- und Klimaschutz. Sie fördern
sowohl Umweltbildung als auch die
I M P R E S S U M
R E F E R E NTE N
B E N E DI KTB E U R E R G E S P R ÄC H E
DE R ALLIAN Z U MWE LTSTI F TU NG
Alois Glück
Band 19
Präsident des Zentralkomitees
der Deutschen Katholiken
Herausgeber
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Redaktion
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liche Entwicklung, Landwirtschaft
und Flurneuordnung Brandenburg
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