17.10.2015 17.10.2015 Erfolgreiches Lernen von Schülerinnen und Schülern – aber wie!? Prof. Dr. Michael Schratz Die längste Entfernung in der Welt … … von einem Policy Paper (Erlass, wissenschaftliche Botschaft …) bis zu den Schüler/innen im Klassenraum. 1 17.10.2015 "Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht" Johann Wolfgang von Goethe “Ein System kann nur sehen, was es sehen kann, es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Es kann auch nicht sehen, dass es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann.” Niklas Luhman (1927-1998) 2 17.10.2015 PROFESSIONALITÄT ist Wissen, das tiefer geht Grafik: unbekannt Schule im Spannungsfeld gestern morgen heute Gesellschaft Zukunftsperspektive SCHULE Bewahrung Schule als Ort von Reproduktion • Qualifizierung • Sozialisierung • Subjektwerdung Veränderung Vergangenheitsperspektive Schule als Ort von Transformation 3 17.10.2015 Unterrichts-und Schulentwicklung als Bildungsauftrag für Schulleitung 3 Dimensionen von Schulbildung Qualifizierung Menschen mit Wissen, Fähigkeiten und Haltungen befähigen Sozialisierung Einführung von “Neuen” in eine bestehende Ordnung – (Neue können sowohl Kinder, Menschen mit unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen sein) Subjektwerdung Agency & menschliche Freiheit – der Mensch zu werden, der man sein kann Biesta (206, 2010) 3 Dimensionen von Schulbildung Kompetenzorientierung Qualifizierung Wissen, Fertigkeiten, Haltung & Werte Sozialisierung Inklusion demokratische Werte Zusammenleben Subjektwerdung agency - Bewusstheit über die eigene Wirkmächtigkeit Biesta (2010, 206) 4 17.10.2015 Sozialisierung Lehrerinnen und Lehrer müssen fähig sein, situativ zu erfassen, was in der jeweiligen Lernsituation notwendig ist und dazu die unterschiedlichen Dimensionen entsprechend ausbalancieren, um Neues entstehen zu lassen. Biesta (2012, 7) Von Bildung und Erziehung wird es wesentlich abhängen, ob die heranwachsenden Generationen den Ansprüchen, Herausforderungen und Belastungen gewachsen sein werden, mit denen sie in der Welt von morgen konfrontiert sind. Wassilios Fthenakis http://www.fthenakis.de/c2/ 5 17.10.2015 Was ist in Zukunft der Wert dieses Themas/dieser Sache für die SchülerInnen? In 5 Jahren? In 10 Jahren? In 20 Jahren? Langfristiger Blick: Was ist der bildende Sinn? Foto: dt. Schulpreis 2013 6 17.10.2015 Wissensaudit wissen nicht wissen Wir wissen, was wir wissen Wir wissen nicht, was wir wissen Lernen Nicht-Wissen über unser Wissen Was wir der Schüler/innen Wir wissen, was wir nicht wissen Wir wissen nicht, was wir nicht wissen Schratz & Westfall-Greiter (2010), 155 Was wir wissen nicht wissen Wir wissen bereits eine Menge, nämlich … Wir wissen mehr, als uns bewusst ist: Wissen Nicht-Wissen über unser • … dass Wertschätzung und Beziehung, aber auch gezielte Rückmeldungen besonders wichtig sind. • … welche Voraussetzungen und Gelingensbedingungen für das individuelle Lernen bedeutsam sind. • … gemeinsame Absprachen zur individuellen Unterstützung der Schüler/innen erforderlich sind. • … dass wir ein differenziertes Verständnis über den Zusammenhang von Lehren und Lernen benötigen. Uns fehlt das Wissen darüber … • Selbstwertgefühl und Wertschätzung der vorhandenen Kompetenzen aller (L/L, S/S, Eltern) sind der Schlüssel, um die verschlossenen Türen zu unserer gemeinsamen Leistungsfähigkeit zu öffnen. • Wir benötigen Zeit und Raum zur Reflexion, um das uns Unbekannte zu klären und für unsere Arbeit nutzbar zu machen. Lernen der SchülerInnen • … wie unsere Schüler/innen wirklich lernen, um sie in ihrer Vielfältigkeit und ihren unterschiedlichen Motivationslagen fördern und fordern zu können. • … wie wir eine fehlerfreundliche Kultur schaffen. • … wie sich unsere eigenen Lehrersozialisation auf die neuen Anforderungen auswirkt. • … was unsere Schüler/innen in ihrer Zukunft überhaupt brauchen werden. Wir suchen Zugang zu unseren blinden Flecken … Blick in die Praxis anderer Systeme: • gegenseitige Unterrichtsbesuche • Konfrontation mit Vignetten als „Klangkörper des Lernens“ (Schratz, Schwarz & Westfall-Greiter 2012) • Exkursionen zu innovativen Schulen • Arbeiten mit Szenarientechniken, Aufstellungen … 7 17.10.2015 “Teaching as a subversive activity” Postman & Weingartner (1969) “Teaching is impossible.” Shulman (1983) Die Lehrperson soll … „… die Schüler dort abholen, wo sie gerade stehen.“ Didaktische Orientierung im Unterricht „… schülerorientiert arbeiten.“ „… den Schüler in den Mittelpunkt setzen.“ „… kompetenzorientiert unterrichten“. 8 17.10.2015 LERNEN LEHREN Unterricht INPUT OUTPUT Umsetzung Ergebnissicherung Unterrichtsvorbereitung Inputsteuerung 17 Warum können sie1 sich nicht ändern? John Hattie 1 Lehrpersonen, Bildungspolitiker, Lehrerbildner und oft auch Eltern (S. 296) 9 17.10.2015 Was wirkt? “Wenn man die Brille der Lehrperson so ändern kann, dass sie das Lernen mit den Augen ihrer Lernenden sieht, wäre dies schon einmal ein exzellenter Anfang.“ (S. 297) „Das Lernen mit den Augen ihrer Lernenden sehen“ John Hattie “See the seeing” Claus Otto Scharmer “lernseits von Unterricht” Michael Schratz 10 17.10.2015 Woher wissen wir was Schüler & Schülerinnen wie lernen ? 21 „The trouble with learnin‘ is that it‘s always about somethin‘ that you don‘t know.” Dennis the Menace 11 17.10.2015 „Lernen ist das Persönlichste auf der Welt. Es ist so eigen wie ein Gesicht oder wie ein Fingerabdruck. Noch individueller als das Liebesleben.“ Heinz von Förster (1999) 12 17.10.2015 Sensibilität für entstehnde Zukunft Professionsbezogene Reflexivität Musterwechsel und Musterwechsel: Lehren vom Lernen her denken! “next practice” Zielbild wünschenswerter Zukunft Entwicklungsoffene Perspektive Von good practice zur next practice Entwicklung von next practice Musterwechsel Kreative Störung Kritische Instabilität best practice good practice Prozess der Neuorientierung 13 17.10.2015 lernseits lehrseits Unterricht 2 Seiten einer Münze LERNSEITS LEHRSEITS zwei Seiten einer Münze 14 17.10.2015 Unterricht lehrseits lernseits Die Aufgabe für die Schüler/innen ist im Fokus Die Auseinandersetzung der S/S mit der Sache/ der/den Person/en ist im Fokus Unterricht PERSONALISIERUNG INDIVIDUALISIERUNG Aufmerksamkeit auf gelingender Umsetzung von Planung . Aufmerksamkeit auf entstehender Zukunft. (C.O. Scharmer) 15 17.10.2015 Ein Blick lernseits des Geschehens Zur Erfassung von Phänomenen des Lernens haben wir die räumliche Metapher “lernseits” (Schratz, 2009) geprägt, die auf die Merkmale “diesseits” und “jenseits” anspielt, um aufzuzeigen, was im Unterricht als subjektives Ereignis für jede/n Einzelne/n, Lehrpersonen ebenso wie Schüler und Schülerinnen, im Möglichkeitsraum Schule geschieht. (Schratz, Westfall-Greiter, & Schwarz, 2014) 16 17.10.2015 Heute gibt es in der Mathe-Stunde ein Laufdiktat mit vier verschiedenen Problemen, welche die beiden Lehrpersonen im Zimmer aufgehängt haben. Nach der Erklärung geht es los. Die Schüler und Schülerinnen laufen hin und her zu den Aufgaben, versuchen sich die Informationen zu merken, und das Problem in ihrem Heft bei ihrem Arbeitsplatz zu lösen. Manche bleiben im Stehen, damit sie schneller sind und rasen hin und her, andere arbeiten langsamer. Ein Schüler hat zufällig mit einer schwierigen Aufgabe angefangen und ist bereits mehrmals hin und her gelaufen. Er ist angespannt und sagt verzweifelt, dass er es nicht kann. Sein Frust steigt, er scheint paralysiert zu sein, kurz vor dem Explodieren. Eine Lehrerin versucht ihn zu beruhigen und zu ermutigen. „Aber das kann ich nicht!“ sagt er. Sie gibt ihm einen Tipp und sagt ihm leise, er soll es wieder versuchen. Unwillig, geht er wieder zur Aufgabe an der Tafel hin, die Lehrerin verlässt seinen Tisch. Das geht nicht, das geht nicht, das geht nicht. Er kommt zu seinem Schreibtisch zurück und radiert hektisch. Du kannst das nicht, du kannst das nicht, du kannst das nicht. Er schimpft mit sich selber, weil er sich nichts merken kann und marschiert verärgert wieder zur Aufgabe hin. Du kannst das nicht, du kannst das nicht, du kannst das nicht. Du bist zu blöd, du bist zu blöd. Ein Scheiß. Es ist ein Scheiß. 17 17.10.2015 lehrseits lernseits Die Aufgabe für die Schüler/innen ist im Fokus Die Auseinandersetzung der S/S mit der Sache/ der/den Person/en ist im Fokus Unterricht PERSONALISIERUNG INDIVIDUALISIERUNG Aufmerksamkeit auf gelingender Umsetzung von Planung . Aufmerksamkeit auf entstehender Zukunft. (C.O. Scharmer) „Permanente Kontrollen gelten nicht dem, was man ist, sondern dem, was man sein sollte, d.h. sie erzeugen die flexibel angepasste Persönlichkeit … Unter dem Vorwand von Individualisierung und Selbstbestimmung wird ihre Intimität liquidiert.“ (Meyer-Drawe 2009, 208) 18 17.10.2015 Peter H. Reynolds Vom unbewussten zum bewussten Lernen bewusst Vertrauen bewusste Inkompetenz bewusste Kompetenz kompetent Sicherheit Unsicherheit inkompetent unbewusste Kompetenz unbewusste Inkompetenz Zufriedenheit unbewusst nach Howell & Fleischman, 1982 38 19 17.10.2015 Kernideen der lernseitigen Orientierung Lehren vollzieht sich im Lernen anderer. Lernen ist eine Erfahrung, die etwas mit der Person macht: • • • • Verhältnis zur Welt, Aufmerksamkeit, Resonanz, Handlungsoptionen ändern sich. Resonanz … … wahrnehmen von … … eingehen auf … … glauben an … 20 17.10.2015 Resonanz Grundlagen lernseitiger Orientierung (1) Werde ich so wahrgenommen, wie ich bin? (2) Welche Rückmeldung erhalte ich zu meinen Stärken und Schwächen? (3) Wird mir das zugetraut? “Auch ein kleines Widerfahrnis im Leben eines Kindes ist die Erfahrung seiner Lebenswelt. Für das Kind also eine Welterfahrung.” Gaston Bachelard, 1884-1962 21 17.10.2015 Lernseits des Geschehens Lehren und Lernen bestimmen sich gegenseitig, denn je nach Situierung in den jeweiligen Lernräumen sind sie miteinander verflochten und kulminieren (oder auch nicht) in unterschiedlichsten Konstellationen. Der darin enthaltene Überschuss an Möglichkeiten von Interaktionen mit Werkzeugen, Routinen, Strukturen und Menschen bildet die unendliche Pluralität der Lebenswelt ab, die es in der Pädagogik zu nutzen gilt. 22 17.10.2015 Von Bildung und Erziehung wird es wesentlich abhängen, ob die heranwachsenden Generationen den Ansprüchen, Herausforderungen und Belastungen gewachsen sein werden, mit denen sie in der Welt von morgen konfrontiert sind. Wassilios Fthenakis 23 17.10.2015 Biografien von Kindern bieten einen enormen „symbolischen Überschuss“ (Waldenfels, 2000) für die Gestaltung von Bildungsprozessen. Biografien von Schulräumen bieten einen enormen „symbolischen Überschuss“ (Waldenfels, 2000) für die Gestaltung von Bildungsprozessen 24 17.10.2015 Unterricht ist ein responsives Geschehen. Lernseitige Orientierung heißt für Lehrende und Lernende ‚Räume zu geben’ und ‚Räume zu nehmen’, um die Wirkmacht des Möglichen zur Entfaltung kommen zu lassen. Lernseitige Orientierung bedeutet … Leistungsbeurteilung Differenzierung … ein gemeinsames Verständnis von professionellem Handeln zu haben. Rückwärtiges Lerndesign Lernseitige Orientierung Kompetenz Differenz/Diversität 25 17.10.2015 http://www.nmsvernetzung.at/mod/page/view.php?id=6332 26 17.10.2015 • Vielfalt wird über eigene Kategorien thematisiert, Spezielle Lerngruppen bekommen Fördermaßnahmen Diversity wird über Differenzierung bzw. Differenz wahrgenommen Policies werden wahrgenommen Einzelne treiben das Thema voran Es „steht ein Problem an“ – z.B. Druck von Außen (Eltern) zur Inklusion, Häufung von bestimmten Aspekten (Kinder mit Migrationshintergrund) usw. … Vielfalt wird zum Thema gemacht (z.B. als Fortbildung oder Päd. Tag.) Möglichkeiten neuer Lern-Rhytmisierung und Schülergruppenzuordung werden probiert Policies und Rahmenvorgaben werden diskutiert und auf ihre Bedeutung für pädagogische Praxis am Standort hinterfragt Lehrmaterial und Unterrichtsmethoden werden in Hinblick auf Lernen für vielfältige Lernbedürfnisse diskutiert und ausprobiert Relevante Diskurse werden im Kollegium thematisiert und in Hinblick auf die schulische Praxis diskutiert Bei spezifischen Herausforderungen werden Interessensgruppen eingebunden (z.B. Migrations-, Gender- oder Behindertenorganisationen etc.) Die Schulleitung stellt Ressourcen zur Verfügung um das Thema zu vertiefen und Teil zur gelebten Pädagogischen Praxis werden zu lassen Teilhabe von SchülerInnen an Entwicklungsprozessen wird gefördert Am Weg • • • • • • • • • • • • • • Ziel-bild erreicht Organisation von Schule ist auf gleichförmiges Handeln ausgerichtet, eventuelle Unterschiede in Schülerpopulation werden als Problem wahrgenommen, Relevante Policies, Rahmenvorgaben und Forschungserkenntnisse werden nicht diskutiert (bzw. sind nicht vorhanden) es gibt keinerlei Arbeitsgruppen, Beauftragte oder InteressenvertreterInnen für Diversity Management …. • Vielfalt ist gelebtes Thema der Schule und wird sichtbar in Schulgestaltung, Curriculum, Rhythmisierung, Feedback Kultur, Teilhabe am Schulgeschehen, Infrastruktur, Sprache, Zusammensetzung im Kollegium • Vielfalt ist Teil der gelebten pädagogischen Praxis und spiegelt sich in Leitbild, Selbst- und Fremdwahrnehmung, in Prozessen der Zusammenarbeit zwischen Teams, zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden, zwischen Schule und Umfeld • Vielfalt wird kontinuierlich in Professionellen Lerngemeinschaften als Handlungsleitend für die pädagogische Praxis reflektiert und weitere Entwicklungsziele für die Schule (als Organisation, für Lehrer/innen und für Unterricht) werden erarbeitet • Kollegium und Schüler/innen sind stolz auf die Vielfalt und erleben diese als Bereicherung, dies wird in ihren Geschichten über die Schule spürbar • …. Zielbild übertroffen Beginnend Noch nicht Diversity • • • • • • • • • • Die Schule gilt als next practice Beispiel Die Schule stellt ihre Erkenntnisse Eltern, anderen Schulen, der Öffentlichkeit zur Verfügung Die Schule ist Teil eines Netzwerkes , Vielfalt und Lernen wird auch wissenschaftlich untersucht Die Schule arbeitet zukunftsorientiert und kennt ihren sozio-demographischen Kontext von morgen … „Jeder von uns rennt umher und tut irgend etwas. Wenn wir gemeinsam darüber nachdenken würden, was wir tun, wie wir es tun und warum wir das tun, dann könnte unsere Schule besser werden.“ (S. 33) 27 17.10.2015 Schulen müssen eine Praxis entwickeln die es allen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, hohe Leistung zu bringen und lohnende Leben zu führen, lang nachdem sie die Schule verlassen haben World Happiness Report 2013 Foto: dt. Schulpreis 2014 © Grafik Werkstatt “Das Original”. www.gwbi.de 28 17.10.2015 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 29
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