Beziehungen aufbauen

Beziehungen aufbauen
Klasse:
Vorbemerkungen
“The quality of teacher-students-relationships is the keystone of all other aspects of
classroom-management. Teachers who had high-quality relationships with their students had
31 procent fewer discipline problems”(Marzano, 2003).
Auch Wong and Wong (2004) betonen die Bedeutung guter L-S-Beziehungen: „When you
look at truly effctive teachers you find caring, warm and loveable people” (Wong and Wong,
2004).
Auf die Frage, was ihn an der Hattie-Studie am meisten überrascht, nennt Helmke (2013) die
Bedeutung der L-S-Beziehung. „Die Wahrnehmung der L-S-Beziehung aus Schülersicht
steht von allen 138 Variablen der Hattie-Studie auf Rang 11“. Er ergänzt: „Alle
Forschungsbefunde zeigen, wie wichtig Freundlichkeit, Unterstützung und Respekt sind“
(Helmke, 2014).
Aber, um einem Missverständnis vorzubeugen: Eine gute L-S-Beziehung herstellen bedeutet
nicht, das eine L alle ihre SuS “lieben” und “sympathisch” finden muss. Sondern eine von
Wertschätzung und Respekt getragene professionelle Beziehung, die auch Grenzen setzt.
Gute Beziehungen zu ihren SuS erreicht die L durch wertschätzendes, einfühlendes und
faires Handeln. Dabei steht sie immer auf einer Bühne. Alles, was sie tut und sagt, strahlt
aus, und wird von allen SuS beobachtet und bewertet. Das bedeutet: Wenn sich eine L
gegenüber einem S wertschätzend verhält, dann fühlen sich alle SuS der Klasse entspannter –
wenn sie sich hingegen auch nur einem einzigen S gegenüber abwertend, tedelnd oder
kritisierend verhält – dann fühlen sich alle SuS unwohl und gehen innerlich auf Distanz zu
ihrer L. Dieses ständige beobachtet und beurteilt werden ist einer der Gründe dafür, dass der
Lehrerberuf so anspruchsvoll ist.
Natürlich gibt es auch „belastete“ L-S-Beziehungen. Das ist normal. CM ist aber kein Ersatz
für gute-L-S-Beziehungen, sondern basiert darauf. Es fördert sie aber auch gezielt. Denn
wenn es im Klassenzimmer rund läuft, entwickeln sich leichter gute L-S-Beziehungen, weil
die L weniger kritisieren und ermahnen muss.
Die Lehrperson als Vorbild
Das ein Lehrer Vorbild ist, ist nicht neu. Allerdings kann er seine Vorbildfunktion nur dann
zur Geltung bringen, wenn seine Schüler ihn auch als erstrebenswertes Vorbild ansehen. Und
wenn das erst mal nicht der Fall sein sollte? Dann kann er trotzdem vieles tun. Er kann
nämlich zum erstrebenswerten Vorbild werden, in dem er seine Schüler höflich,
wertschätzend und anerkennend behandelt. Und in dem er dich um eine gute Beziehung zu
allen Schülern seiner Klasse bemüht – eine Mamutaufgabe.
Bei diesen Schülern ist der Aufbau einer guten Beziehung besonders
wichtig:
-
mit besonders „herausforderndem“ Verhalten
-
mit sehr schwachen schulischen Leistungen
in der Klasse isolierte, ängstliche, depressive SuS
deren E der Schule gegenüber besonders kritisch sind
die in der Klasse eine besonders positive Position haben.
Gute Beziehungen vom ersten Tag an – kein Zufall
Beziehungen sind nicht statisch, sondern dynamisch. Liebes-Beziehungen können sich in
Scheidungskämpfe entwickeln und schlechte Beziehungen müssen nicht ewig schlecht
bleiben – wenn wir uns darum bemühen.
Fallbsp.: „Sie sind nicht mein Fall“, so der Kommentar eines 15-jähigen zu seinem L. Der
L. wusste, dass sich sein S für ägyptische Ausgrabungen interessierte und bat ihn, einen Input
in darüber zu gestalten. Er nutzte die Vorbereitungszeit gezielt, um seine Beziehung zu
diesem S zu verbessern. Und tatsächlich zeigte sich der S im Anschluss daran deutlich
kooperativer und nah, sogar den L vor Kritik seiner Mitschüler in Schutz.
Positive Lehrer-Schüler-Beziehungen sind das Ergebnis kleiner wertschätzender Schritte.
Die ersten wichtigen Schritte zur Beziehungsaufnahme und –gestaltung gestaltet die L mit
der ersten Begegnung mit ihren SuS. Damit dieses zarte Pflänzchen gut weiter wächst, bieten
sich, vor allem in Bezug auf die in der Spalte oben genannten SuS, folgende Überlegungen
nach dem ersten Kontakt an:
- Welche sympathischen und liebenswürdigen Eigenschaften zeigt der Schüler?
- Gab es schon Situationen, in denen der Schüler positiv auf mich reagiert hat?
Welche? Wie kann ich diese vertiefen?
- Was könnte ich in den nächsten Tagen tun, um eine Beziehung zu ihm aufzubauen?
- Was braucht der S, um sich in der Schule wohl zu fühlen und erfolgreich zu sein?
Beispielsweise Anerkennung, Erfolgserleben, sich dazugehörig fühlen?
- Gab es besondere Schwierigkeiten? Wie könnte ich diese in Zukunft abfedern oder
vermeiden?
- Zeigte der Schüler Ansätze zu Verhalten, durch das ich mich in Zukunft verletzt,
enttäuscht, verärgert, gekränkt oder genervt fühlen könnte? Und wenn „ja“, was kann
ich tun, damit es nicht so weit kommt?
Gute Beziehung zu den SuS aufbauen: Die wichtigsten Schritte
Natürlich wissen Sie schon lange, was die wichtigsten Schritte beim Beziehungsaufbau zu
den SuS sind - aber in der Hektik des Alltags geht dieses Wissen manchmal verloren:
- In ihrem Innersten wollen es 99 Prozent aller SuS in der Schule gut machen – auch
wenn es manchmal ganz anders aussieht. Niemand verhält absichtlich
unangemessen– auch SuS mit „schwierigem“ Verhalten nicht. Berücksichtigen dass
ungünstige Familienverhältnisse SuS enorm belasten können, bildungsferne E ihre
Kinder oft nicht optimal auf die Schule vorbereiten und fördern können und dass auch
unsere Anlagen eine fundamentale Rolle dabei spielen, welches Verhaltensrepertoire
uns zur Verfügung steht
- Achten Sie auf die positiven und liebenswürdigen Seiten Ihrer S, vor allem der S, die
eher „schwierig“ sind, „provozieren“ usw. Immer mehr L notieren sich diese in Ihrer
Schülerkartei, um auch positive aber flüchtige Eindrücke, die im Alltag schnell
untergehen, zu fixieren.
- Lenken Sie Ihren Aufmerksamkeitsfokus auf das, was die SuS schon alles gut
machen und können
-
Besser häufige und kurze Kontakte pflegen, statt einmal im Monat ein langes
Gespräch führen; denn für viele SuS, bei denen der Kontaktaufbau schwierig ist, ist ja
typisch, dass sie eher wortkarg sind
- Geben Sie Lob, schenken Sie ein Lächeln. Nach Good und Brophy soll Lob
differenziert sein und echt sein – während hingegen alltägliche Floskeln an den SuS
erstens „abprallen“ und sich zweitens schnell abnutzen. Konsequenz:
Keine Lobinflation – schon gar nicht oberflächliches Lob
Alters- und entwicklungsgemäss loben: Bei älteren SuS eher beiläufig, oder
schriftlich im Heft, oder im Rahmen eines kurzen Einzelgesprächs
- Sprechen Sie die SuS mit Namen an und zeigen Höflichkeit, wie „danke“ und „bitte“.
- Zeigen Sie Anerkennung für angemessenes Verhalten, Anstrengungsbereitschaft,
Lernfortschritte. Beachten Sie die Individualnorm, d.h. bei „schwachen“ SuS kleine
Schritte beachten und rückmelden
- Geben Sie allem auch Lob an die ganze Klasse.
Um hier konsequent zu bleiben, haben immer mehr L dafür eine Erinnerungskarte. Diese
legen sie in unregelmässigen Abständen auf ihrem Pult. Das hilft dabei, dran zu bleiben.
Mehr unter: App: Eichhorn, C.: „Classroom-Management - Beziehungen aufbauen“.
Im: Appstore Apple und Google Playstore.
Gute Beziehung zu den SuS aufbauen: Was Sie noch tun können
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Gezielt Erfolgserlebnisse ermöglichen – vor allem bei den SuS mit einer negativen
Schulkarriere und vielen Misserfolgserlebnissen
An den Hobbies, Zielen, Träumen, an dem was die SuS emotional besonders bewegt,
ankoppeln; wie z.B. bei älteren SuS Beauty und Mode (wie z.B. dass Priscilla ein
neues Tatoo hat), neue Technologien, bei Jungen Kraftsport (wie z.B. dass Mohamed
in den Karate-Verein eingetreten ist) und ähnliches
Kurze neutrale, entspannte Einzelkontakte;
Geschichten über Positives wieder aufnehmen, vertiefen und weiter führen; kurze
Notizen über Positives und Persönliches der SuS sofort nach der Unterrichtsstunde
anfertigen, um daran unkompliziert anknüpfen zu können; zum Beispiel, „schön
Lendita, dass du gestern immer richtig gut aufgestreckt hast, als du etwas sagen
wolltest – und dann richtig gut warten konntest, bis du dran kamst“; Frau Graf hat mit
Lendita abgemacht, dass sie sie im Kreis fragen wird, wie sie das so gut geschafft hat;
auch wenn Lendita dann nur sagt, „ich hab`s einfach gemacht“ hat Frau Graf dem
positivem Verhalten ihrer Schülerin einen würdigenden Rahmen gegeben und ihre
Beziehung zu ihr vertieft – und die positive Stimmung strahlt auf die ganze Klasse
aus
SuS Verantwortung übergehen (Regelchef usw.)
SuS um einen kleinen Gefallen bitten; z.B. einen S der sich mit i-phones auskennt um
Hilfe bitten
Neue SuS in der Klasse willkommen heissen
Fragen, Anliegen, auch kleine Sorgen der SuS ernst nehmen (z.B. dass der Hamster
einer S krank ist); evtl solche Ereignisse in einer Extra-Kartei notieren, um daran im
nächsten Gespräch anknüpfen zu können
Die Haltung vermitteln, dass Probleme bewältigt werden können und dass sich jeder
SuS verbessern kann - schulisch und sozial, wenn er sich darum bemüht; und dem S
dabei Unterstützung anbieten; d.h. auch seine Selbstwirksamkeitsüberzeugung
fördern
SuS auf ihre emotionale Befindlichkeit ansprechen; also wenn sich ein SuS unwohl
fühlt, gereizt ist usw.; versuchen, ihn daraufhin anzusprechen und Unterstützung
anbieten. Z.B.: „Geht es dir heute nicht gut?“ „Hast du dich über etwas geärgert?“
„Kann ich etwas für dich tun?“
- Auf die eigne Balance achten, d.h., möglichst auch dann gelassen und höflich bleiben,
wenn es in der Klasse turbulent wird, wie z.B. bei Übergangssituationen, wenn ein S
provoziert usw. - und Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen
- Nach Absprache mit dem S seine Eltern anrufen und ihnen davon berichten, was ihr
Kind Gutes geschafft hat; oder Fotos oder kurze Filmsequenzen anfertigen, die die
SuS bei angemessenem Verhalten, dem Einhalten der Regeln usw. zeigen und z.B.
den Eltern senden, in der Klasse aufhängen oder am Elternabend zeigen;
- Feedback aus der Klasse darüber einholen, wie sich die SuS fühlen; kümmern Sie
sich dann vor allem auch um diese SuS; fragen Sie sie auch, „was braucht es, dass du
dich in der Klasse wohl fühlen kannst…“ Und dann, „lass uns doch mal zusammen
überlegen, was du tun kannst, um dich wohler zu fühlen…“
Anderes:
Unterricht an den Bedürfnissen der Schüler ankoppeln. Fast alle SuS
wollen:
-
soziale Kontakte, Freundschaften haben, sich dazugehörig fühlen
aktiv sein können
sich mit ihrem Wissen und Können einbringen und stolz darauf sein können
Anerkennung und Wertschätzung von ihrem Lehrer erfahren
Kompetenzerfahrungen erleben – z.B. durch den konsequenten Einsatz von Förderplänen
Selbstwirksamkeit erfahren, also zu erleben, wichtige Bereiche ihres Lebens in ihrem
Sinne beeinflussen zu können
- interessanten Unterricht erleben; d.h. für den L: Mit Schwung unterrichten; eher kurze
Unterrichtsphasen und Abwechslung in den Methoden; anspruchsvolle und spannende
Aufgaben stellen; Ersatzprogramm parat haben, falls die Schüler signalisieren, dass sie
sich langweilen
- Freude erleben, sich wohl fühlen
- Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit erfahren: Kein Schüler schätzt es, wenn
er schon beim Betreten des Klassenzimmers angepöbelt wird oder wenn er sich gegenüber
aggressiven Mitschülern, von seinem Lehrer nicht geschützt fühlt; ein klar strukturierter
Unterricht mit regelmässigen, vorhersehbaren Abläufen gibt den Schülern Sicherheit und
beruhigt sie.
Ältere SuS wollen besonders:
- ihre Autonomie einbringen können, d.h. auch mitentscheiden können
- Sinn und Bedeutung finden, in dem was sie tun; ein 15-jähriger Schüler mit
Schulschwierigkeiten, muss wissen, warum es wichtig ist, zu lernen und sich anzustrengen
Beachte dazu die Möglichkeiten des
- Selbstorganisierten und
- Des kooperativen Lernens
Mehr unter: Eichhorn, C.: Chaos im Klassenzimmer. Damit guter Unterricht noch besser
wird. Klett-Cotta
Typische Fehler in der Beziehungsgestaltung
Der Lehrerberuf ist so komplex und auch emotional so anspruchsvoll, dass sich Fehler gar
nicht vermeiden lassen. Ein typischer Fehler ist, einen S vor der Klasse bloss zu stellen, wie
z.B. „Faruk, wie oft muss ich dir noch sagen dass…“ oder „Fatmah, lernst du das denn nie“
oder „Sarah, was ist heute bloss wieder mit dir los“ usw. Klar sind solche Ermahnungen oft
in dem Sinne „erfolgreich“, dass der S der Anweisung kurzfristig nachkommt. Der Preis ist
aber sehr hoch. Nämlich, dass sich der S von seinem L abgewertet und gekränkt fühlt. Und
das hallt bei einigen S sehr lange nach. Und der S kooperiert weniger. Und beklagt sich evtl
zu Hause über seinen strengen Lehrer. Ein Ausweg aus dieser Beziehungsfalle ist, statt den S
zu ermahnen, ihn kurz anzuweisen, was er tun soll (siehe dazu das Arbeitsblatt „Klug
intervenieren“).
Andere Fehler sind:
- Der L nimmt zu spät zu den im Abschnitt „Bei diesen Schülern ist der Aufbau einer
guten Beziehung besonders wichtig“ Kontakt auf
- Er überlässt die Beziehungsgestaltung zu sehr dem Zufall
- Er setzt zu wenig auf kurze Einzelgespräche, die für den S positiven und erfreulichen
Charakter haben
- Er achtet zu wenig auf die positiven und wertvollen Seiten des S und was dieser
schon alles kann und weiss
- Er setzt zu wenig auf echtes Lob, Anerkennung und Wertschätzung
- Er handelt zu wenig vorausschauend, was die Rate unangemessenen Verhaltens des S
erhöht. Er muss dann mehr eingreifen und kritisieren, was die Beziehung weiter
belastet
- Er lässt sich von herausforderdem Verhalten aus der Ruhe bringen, nimmt es
persönlich
- er lehnt den S innerlich ab, was dieser spürt und sich noch unangemessener verhält.
Was tun, wenn man sich mal nicht ganz korrekt verhalten hat?
Bei der extrem hohen Belastung und Komplexität des L-Berufs, kann sich kein L immer
perfekt verhalten – er sollte es auch gar nicht versuchen. Denn mit unrealistischen
Forderungen an sich selbst, setzt man sich nur unnötig unter Druck.
Folgendes könnten Sie tun:
- Gehen Sie einfach davon aus, dass auch Sie sich nicht immer ganz so korrekt
verhalten, wie Sie das selbst möchten
- Bitten Sie Ihre SuS darum, dass sie Ihnen mitteilen, wenn sie sich ungerecht
behandelt oder gekränkt fühlen, oder wenn Sie „genervt“ reagieren
- Sprechen Sie eigene Fehler offen an und entschuldigen Sie sich
Damit fördern Sie die Fehlertoleranz in Ihrer Klasse und sind Vorbild im Umgang mit
Fehlern. Und ganz wichtig: Sie bleiben mit Ihren SuS im Gespräch.
Mehr unter: App: Eichhorn, C.: „Classroom-Management - Beziehungen aufbauen“.
Im: Appstore Apple und Google Playstore.
Nutzen Sie diese Liste um Ihr eigenes Arbeitsblatt zu kreieren! Streichen Sie die Vorschläge, die Sie
für ungeeignet halten und fügen Sie andere hinzu; die für Sie wichtigsten Anregungen können Sie mit
Textmarker hervorheben.
www.classroom-management.ch© Christoph Eichhorn und Klett-Cotta: Erscheint 2016 unter
dem Titel: CLASSROOM-MANAGEMENT – NEUE PERSPEKTIVEN