richard siegal - Festspielhaus St. Pölten

FEST/SPIEL/HAUS/
ST/POELTEN/
RICHARD SIEGAL/
BAYERISCHES
STAATSBALLETT:
MODEL
16 JAN 2016
www.festspielhaus.at
Programm / Model 3
Richard Siegal . Bayerisches Staatsballett:
Model
Eine Produktion der Ruhrtriennale
Samstag 16. Jänner 2016, 19.30 Uhr
Festspielhaus St. Pölten, Großer Saal
Österreich-Premiere
Dauer: ca. 1 Std. 30 Min. (inkl. Pause)
Künstlergespräch mit Richard Siegal und Eva-Elisabeth Fischer
18.30 Uhr, Kleiner Saal
„Was uns stärker macht, tötet uns auch. Darum ist
Tanz zugleich die passendste und die unwahrscheinlichste aller Kunstformen, um die Erfahrung von
Zeitlosigkeit oder Ewigkeit auszudrücken.“
Richard Siegal
Künstlerische Leiterin Festspielhaus St. Pölten: Brigitte Fürle
Programm und Besetzung / Model 5
Richard Siegal . Bayerisches Staatsballett:
Model
Metric Dozen
Richard Siegal Choreografie
Lorenzo Bianchi Hoesch Komposition
Alexandra Bertaut Kostüme
Gilles Gentner Licht
Katharina Christl Ballettmeisterin
Katharina Christl, Jonah Cook, Caroline Geiger, Katherina Markowskaja,
Mylène Martel, Kévin Quinaou, Nicha Rodboon, Corey Scott-Gilbert, Diego
Tortelli, Zuzana Zahradníková Tanz
Nicha Rodboon in "Model"
Model
Richard Siegal Choreografie, Bühne und Video
Lorenzo Bianchi Hoesch Komposition
Alexandra Bertaut Kostüme
Tobias Staab Dramaturgie
Gilles Gentner Licht
Jean-Philippe Lambert Programmierung LEDs
Caroline Geiger Ballettmeisterin
Katharine Christl, Jonah Cook, Dustin Klein, Nicholas Losada, Katherina
Markowskaja, Kévin Quinaou, Nicha Rodboon, Corey Scott-Gilbert, Diego
Tortelli, Zuzana Zahradníková Tanz
Roman Fliegel Technischer Produktionsleiter Andreas Dietmann Beleuchtungsmeister Beata Berger Tonmeisterin Julia Rautenhaus Kostüme Touring Miria
Wurm Künstlerische Produktionsleiterin Monique Stolz Tour Manager
Eine Produktion der Ruhrtriennale in Koproduktion mit dem Bayerischen
Staatsballett, dem Festspielhaus St.Pölten und dem Muffatwerk München.
In Zusammenarbeit mit C.I.C - centre chorégraphique national montpellier
languedoc-roussillon.
6 Model / Einführung
Einführung / Model 7
Tanz das Individuum
von Eva-Elisabeth Fischer
Der amerikanische Choreograf Richard Siegal braucht einen festen
Stand und muss dabei flexibel sein. Und dies nicht nur, weil er selbst
Tänzer ist, sondern weil er keinen festen Standort hat. Sein 2005 gegründeter loser Zusammenschluss von Denkern und Künstlern „The
Bakery“ nennt als Adressen Berlin und Paris. Diese Plattform von Tänzern, Musikern, bildenden Künstlern, Architekten und Softwareentwicklern agiert aber in gewisser Weise virtuell und ermöglicht so die
internationale Vernetzung von Ideen und Denkanstößen, aus denen
Siegal, selbst intellektueller Vordenker, dann als inspirierter Handwerker kleinere oder größere Brötchen backt.
Ein Teigbatzen als schiefes Bild für eine flüchtige Kunst wie den Tanz?
Mag sein. Aber Genie kann sich nur entfalten auf sicherem Fundament,
Kunst hat, wie man weiß, erst einmal mit Können zu tun, eine falsch
dosierte Zutat – die falsche Besetzung, das falsche Timing, der falsche
Platz, zum Beispiel – und das schön Ausgedachte misslingt. Wie ein
Teig einen warmen, zugfreien Platz zum Gehen, braucht der Tanz erst
einmal einen geschützten Raum, um sich zu entfalten. Mittlerweile
weltweit als innovativster, als aufregendster Tanzschöpfer seiner Generation begehrt, bekommt ihn Richard Siegal von seinen Auftraggebern
gestellt oder muss ihn sich suchen. Freien kreativen Raum genießt er
in München in der Muffathalle als Künstler in Residenz. Ebendort wird
am 1. April ein zweiteiliger Abend in Kooperation mit dem Bayerischen
Staatsballett aufgeführt. Im vergangenen Jahr konnte er in den großzügigen Probenräumen des Staatsballetts in Ruhe seinen dreiteiligen
Abend „Portrait Richard Siegal“ erarbeiten. München, das wurde für
ihn mehr als eine künstlerische Wahlheimat – allerdings von ungewisser Dauer und bisher nur auf Zeit.
Deshalb sind für einen freischaffenden Künstler wie ihn zusätzliche
temporäre Fixpunkte künstlerisches Überlebensmittel. Im vergangenen Sommer residierte er drei Wochen in Deutschlands äußerstem
Westen, um bei der Ruhrtriennale sein jüngstes Stück „Model“ in Koproduktion mit dem Bayerischen Staatsballett und dem Festspielhaus
St. Pölten herauszubringen. Das neue Jahr beginnt für Richard Siegal
nun also erstmals in Österreich, eben in St. Pölten, wo „Model“ im
Festspielhaus über die Bühne geht und Richard Siegal darüber hinaus
eine dreiwöchige Residenz antritt, während der er ein neues Stück
beginnen wird. Solche Aufenthalte sind ihm wichtig. Denn er ist nicht
allein an den Tänzern interessiert, mit denen er arbeitet. Er will gern
genau wissen, wo er ist, wie es sich jenseits des Ballettsaals in einer
Stadt lebt und wie deren Bürger ticken, aus denen sich schließlich ein
großer Teil seiner Zuschauer rekrutiert. Das Publikum wird bei ihm
ganz selbstverständlich auch immer wieder zum Teil einer Aufführung,
am stärksten bei den interaktiven „Co- Pirates“, wo sich Tänzer und
Zuschauer unentwirrbar in einer wilden Tanzparty mischten, aber
auch bei „Civic Mimic“. In diesem eindrücklichen Stück Tanzarchitektur als Parabel für die Vielfalt einer urbanen Gesellschaft, konnten die
Zuschauer einen Laufsteg auf fragilen Trägern umrunden und sich damit ihre Perspektive der in wechselnden Konstellationen defilierenden
Tänzer wählen.
Die Tanzkompanie als Gesellschaftsmodell zu begreifen, ist sicherlich
nicht neu. Das klassische Ballett in seinen hierarchisch gestaffelten
Strukturen spiegelt den höfischen Absolutismus unter Ludwig XIV.,
dem Sonnenkönig, zur Zeit seiner Entstehung wider. Knapp 400 Jahre
später präsentiert Richard Siegal seine Ensembles als ein mögliches
Ideal menschlicher Koexistenz. Er choreografiert gleichberechtigte,
selbstbewusste Individuen mit unterschiedlichem ethnischen und kulturellem Hintergrund auf der Basis einer gemeinsamen Übereinkunft:
Sie tanzen, egal ob auf nackter Sohle oder auf Spitze, einen hochdynamischen Freestyle, der meist, aber längst nicht immer auf einem
vom Richard Siegal entwickelten theoretischen Fundament basiert. Er
nennt es die „If/then“-Methode. Sie erscheint einerseits als ein hochkomplexes Denkkonstrukt logischer, aber nicht berechenbarer Bewegungsfolgen, andererseits aber auch eine denkbar simple Angelegenheit, dieses „Wenn, dann“, das es jeweils neu zu erproben und im Einzelnen auf seine Bühnentauglichkeit zu überprüfen gilt: Wenn ich ein
Glas Cola umstoße, läuft die Flüssigkeit über die Tischkante auf den
Boden. Wenn ich auf einem Bein stehe und den Torso vorneige, verliere ich die Balance, und so weiter. Welche Bewegungskombinationen
die Tänzer dann jeweils zu tanzen haben, gleicht der Rasanz aggressiv
angestoßener Billardkugeln. Denn Siegal, selbst sieben Jahre lang, von
1997 bis 2004, ein Turbo-Tänzer bei William Forsythe, setzt auf Tempo, auf Drive. Einpeitscher, Motor ist die jeweilige, meist Computergenerierte Musik von oftmals gehöriger Lautstärke. „Es ist die Musik,
die der Auslöser dafür ist, meinen Körper bewegen zu wollen. Sie ist
der Schlüssel zum Tanz, der Hauptimpuls“, sagt er, und erläutert seine
Vorliebe für elektronische Musik: „Das ist die Musik, die die Libido der
Tänzer und des Publikums entzündet, die aufregend ist für mich.“
Richard Siegal, in einem bildungsbürgerlichen Haushalt in Peterborough, New Hampshire, aufgewachsen, choreografierte bereits als
Junge mit Bruder und Schwester Tanzshows im elterlichen Wohnzimmer. Als musikalische Vorlagen dienten freilich nicht wummernde
Katharina Christl in "Metric Dozen"
8 Model / Einführung
10 Model / Einführung
Bassbeats, sondern was die Plattensammlung der Eltern hergab und
die Kinder inspirierte: Leonard Bernsteins „Westside Story“, „Saturday
Night Fever“ von den Beegees und speziell der Soundtrack von
„Alexis Sorbas“. Die Mutter nahm ihn immer wieder in die Oper mit
und entzündete so seine Liebe zum Belcanto, aber auch der politisch
aufrührerische Folkie Pete Seeger mit seine Weavers gehörten zu Richard Siegals Favoriten. Peterborough war also keineswegs ein Synonym für Hinterwäldlertum, sondern vereinte offenbar die Vorzüge der
Provinz. Dorthin zogen etliche kunstsinnige Leute aus Boston, Chicago
und New York, Stadtflüchtlingen, die in den Sechzigerjahren die hektischen Metropolen gegen die Beschaulichkeit der Provinz eintauschten.
Peterborough übrigens diente Thornton Wilder als Vorlage für sein
berühmtes Bühnenstück „Unsere kleine Stadt“.
Trotz Siegals frühem Interesse speziell am Theater fiel seine Entscheidung, Berufstänzer zu werden, ziemlich spät. Und dies nicht nur, weil
diese Wahl für einen Mann seinerzeit immer noch „grenzwertig“ war,
wie er es nennt. Sein großer Bruder war Tänzer geworden, durch ihn
erfolgte Siegals Tanz-Initiation. Er nahm ein Jahr Auszeit nach der
Highschool und folgte dem Bruder nach New York, hatte Unterricht
bei Mary Anthony, einer Mary-Wigman-Schülerin, die ihn heiß aufs
Tanzen machte. Dennoch ging er zunächst aufs College, studierte Französisch und Religionswissenschaften. Dort habe er „im Tanz dilettiert“
bei Albert Reed, einem Tänzer bei Merce Cunningham, bei Leonore
Latimer von der Limon Company und Eileen Passlow.
Rabbiner werden oder Tänzer, das waren seine extrem gegensätzlichen
Optionen. Siegal fühlte sich wohl in den Tänzerkreisen, in den Schulen,
Einführung / Model 11
die er besuchte, fühlte sich aufgehoben und motiviert. Er bekam von
seinen Lehrern die Unterstützung, die er sich wünschte. Am College
empfand er einen Konkurrenzdruck, dem er sich nicht aussetzen wollte. Aber den Ausschlag, Tänzer zu werden und irgendwann sein eigenes
Werk zu beginnen, gab letztlich etwas Anderes: „Ich fühlte ein enormes
Potenzial in mir, das sich unter den richtigen Umständen und mit den
richtigen Leuten entfalten konnte.“ Richard Siegal hatte mit Anfang
20 bereits gelernt, seinen Gefühlen zu vertrauen. Er absolvierte seine
Lehrzeit bei Igal Perry, einem Israeli, Gründer einer Institution in New
York, die Perry Dance hieß. Ein anderer Lehrmeister war die JoffreyTänzerin Jane Miller. „Ich habe mich auf Ballett und die klassische
Technik konzentriert. Es war eine rein emotionale Entscheidung, nicht
auf die Universität zurückzugehen“, sagt Siegal. Und während er selbst
Tanz studierte, dachte er stets daran, seine eigenen Stücke zu machen,
das Handwerk von der Pieke auf zu lernen, das aus ihm einen Choreografen machen würde. In den Jahren bei William Forsythe im Ballett
Frankfurt, in der Forsythe Company verfeinerte er jene Strategien,
mit einer untereinander kommunizierenden Truppe von Tänzern Gedanken in Bewegung zu organisieren. Und schließlich trug Forsythes
raffinierte Improvisationstechnik als zeitgemäße Emanzipation von
der danse d’ecole dazu bei, auf der Basis der eigenen vielfältigen körperlichen und mentalen Erfahrung als Tänzer auch einen eigenen mitreißenden Stil als Choreograf zu entwickeln – Nervenkitzel pur.
Nicha Rodboon und Corey Scott-Gilbert in "Metric Dozen"
14 Model / Interview
Interview / Model 15
Symmetrie, Disproportion, Exzess
Auszüge aus einem Gespräch zwischen Richard Siegal und Tobias Staab, Dramaturg
der Ruhrtriennale
Ihre Produktion für die Ruhrtriennale 2015 heißt „Model“. Worauf
bezieht sich dieser Titel?
Der Titel ist inspiriert von Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“,
genauer von seiner Subjekt-Objekt-Theorie. Ein klassisches Beispiel
wäre der Sekundenbruchteil, in dem man eine Schaufensterpuppe
mit einem menschlichen Wesen verwechselt. Ich mag das Wort
„Model“ in diesem Fall, weil es das Bindeglietd darstellt zwischen
dem Objekt des Schauens und dem Urteil, das man sich dazu bildet.
Zwischen Erzeugung und Nachbildung, Verhalten und Moral.
Das Stück ringt nicht mit der Frage, was wir sind, sondern damit,
wie wir sein sollten, nach welchem Vorbild wir uns formen sollten.
Neben Sartres moderner Hölle haben sie auch Dantes „Inferno“ – das
erste von drei Büchern seiner „Göttlichen Komödie“ – als Inspiration
für „Model“ angegeben. Im Vergleich zu den theoretischen Diskursen
früherer Arbeiten scheint dieses epische Gedicht ein ganz anderer Ausgangspunkt für eine Choreografie zu sein. Wie fühlt es sich an, mit so
widersprüchlichen Perspektiven zu arbeiten?
Ich habe es noch nie geschafft, nicht auf eine spezifische Art und Weise
zu arbeiten. Ich habe es immer vorgezogen, parallel mit Gegensätzen
zu arbeiten. Das hält meinen Geist flexibel und hilft mir, durch Unterscheidungen zu lernen. Der Gegenentwurf zu diesem Modell wäre
eine Verengung der Perspektive oder einer Ideologie zu folgen.
Ist es tatsächlich Dantes Erzählung, von der Sie ausgehen?
Ich interessiere mich für Dantes wahrhaftige Erfahrung von Angst
und Schrecken. Aus der sicheren, privilegierten Perspektive des 21.
Jahrhunderts staune ich über seine poetische Antwort auf ein Leben
mit der irritierenden Nähe zum ewigen Leiden. Ich glaube, für ihn war
dieser Ort, Inferno, nicht rein metaphorisch, sondern auch tatsächlich
vorhanden als Teil seiner Gegenwart; eine unsichtbare feindliche Welt
direkt unter seinen Füßen, ähnlich wie wir vielleicht über den Mond
Bescheid wissen oder über Sierra Leone, obwohl wir nie dort waren.
Diese Art von Raumerfahrung kann imTheater sowohl beim Zuschauer als auch beim Performer erzeugt werden.
Mit den Mitteln der Choreografie über Inferno nachzudenken beleuchtet auch die Art und Weise, wie wir erzogen werden. Denn obwohl unsere Gesellschaft sich, wie Michel Foucault beobachtet, vom
Körper als dem Hauptschauplatz disziplinarischer Maßnahmen fortentwickelt hat, müssen wir als Tänzer dem Körper moralische Codes
durch Disziplin und Willen auferlegen. Was mich zudem wirklich
interessiert, ist die Frage, inwieweit regelmäßiges Training dem Widerstand überhaupt erst eine Bühne eröffnet. Die Fähigkeit, Dinge wie
körperliche Virtuosität, Tapferkeit oder Sünde zu erfahren, impliziert
die Fähigkeit, auch das jeweils Gegenteilige erleben zu können. Zum
Beispiel ist das Gegenteil der Sünde nicht Tugendhaftigkeit, sondern
die Irrelevanz von Sünde. Alle Tänzer, die ich für die Zusammenarbeit
ausgewählt habe, befinden sich in verschiedenen Stadien des Widerstands gegen die Ausbildung, die sie erhalten haben. Für manche ist
das Teil ihrer ästhetischen Entwicklung. Für alle ist es Teil des Prozesses von Alterung und Verschleiß. Was uns stärker macht, tötet uns
auch. Darum ist Tanz zugleich die passendste und die unwahrschein-
16 Model / Interview
lichste aller Kunstformen, um die Erfahrung von Zeitlosigkeit oder
Ewigkeit auszudrücken.
Die Idee von Disziplinierung durch Sühne im Sinne der Wiederherstellung eines moralischen Gleichgewichts kommt bei Dante erst im
„Purgatorio“ vor.
Ja, genau. Das Fegefeuer ist ein Gefängnis, die Hölle eine Endstation.
Diese Zeitlichkeit von „Für immer“ ist ein Paradox, das mich fortwährend beschäftigt. Es ist, als würde man sich dabei einer vierten Dimension annähern. Aber diese Begriffe von Ewigkeit, Unendlichkeit …
Vielleicht liegt es daran, dass ich mittlerweile so viel Zeit mit Tänzern
und dem Körper zu tun habe, dass es mir schwer fällt, diese Dinge zu
verstehen. Jeder menschliche Versuch, sich mit dem Ewigen zu befassen, wirft einen auf die eigene Begrenztheit zurück. Deshalb finde ich
es auch problematisch, Dantes Inferno auf der Ebene des Tanzes zu
verhandeln. Wir benutzen stroboskopische Effekte und die Musik ist
sehr körperlich – sie packt den Körper des Zuschauers auf einer viszeralen Ebene.
Um für das Publikum eine andere Zeiterfahrung erlebbar zu machen?
Ja, dem Publikum und auch den Tänzern.
Müssen die nicht permanent die Kontrolle behalten?
Das ist eine interessante Frage. Auf der einen Seite strebt man als
Tänzer danach, seinen Körper zu kontrollieren. Aber es gibt Momente
Interview / Model 17
beim Tanzen, in denen man das Bewusstsein für sich selbst, die eigene
Identität verliert. Kleists Text „Über das Marionettentheater“ ist in
diesem Zusammenhang interessant. Für uns Tänzer ist es nicht möglich, eine Marionette zu werden, weil wir die Erde brauchen, weil es
keine Kraft außer uns selbst gibt, die an uns zieht. Wir sind am Ende
doch die Motoren für unsere Maschinen. Dennoch hat Tanz vor allem
dann Größe, wenn man bei den Tänzern eine unbewusste Kompetenz
wahrnimmt. Ich denke, es gibt ein Verhältnis zwischen dem, was der
Zuschauer sieht und dem, was von der Bühne gesendet wird. Der
Zuschauer spürt einen solchen Zustand und nimmt etwas davon auf.
Vielleicht muss man den Tanz auch vom Tänzer unterscheiden. Der
Tänzer ist über kurz oder lang dem Verfall seines Körpers ausgesetzt.
Schaut man beim Tanz menschlichen Körpern beim Sterben zu?
Ja, aber der Tanz selbst ist davon unabhängig. Tanz ist auch ein
Widerstand gegen den Tod. Ich denke sogar, es gibt kaum einen größeren Widerstand, den man leisten kann. Tanz ist das Gegenteil von
Stillstand.
Dustin Klein in "Metric Dozen"
Biografie
20 Model / Biografie
Der Tänzer und Choreograf Richard Siegal sucht, in Zusammenarbeit
mit KünstlerInnen unterschiedlichster Disziplinen, dem zeitgenössischen Tanz ein neues Gesicht zu geben. Im Jahr 2005 gründete er The
Bakery, eine Plattform mit Sitz in Berlin und Paris, die es Kunstschaffenden aus den Bereichen Tanz, Musik, bildende Kunst, Architektur
und Softwareentwicklung ermöglicht, in einen kreativen Austausch
zu treten und gemeinsam Projekte zu realisieren. Wichtiges Element
dieser Projekte ist die von Siegal entwickelte „If-then-Methode“, die
Choreografien auf logische Gleichungen aus Naturwissenschaft und
Technik zurückführt. Richard Siegal stellte seine innovativen Projekte
auf Festivals in der ganzen Welt vor und wurde hierfür mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem New York Dance and Performance
Bessie Award, dem S.A.C.D. Prize, dem Deutschen Theaterpreis DER
FAUST und dem Münchner Tanzpreis 2013. Er arbeitete als Choreograf für das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe,
das Bennington College (Vermont, USA) und das Baryshnikov Arts
Center (New York City, USA). Zwischen 1997 und 2004 tanzte Richard
Siegal im Ensemble des Ballett Frankfurt. Für die Junior Company
des Bayerischen Staatsballetts hat er The New 45 einstudiert und in
der Spielzeit 2012/2013 mit der Highspeed-Choreografie „Unitxt“
einen Blockbuster für das Staatsballett geschaffen. Sein Stück „Model“
wurde im August 2015 im Rahmen der Ruhrtriennale uraufgeführt.
Im Festspielhaus St. Pölten arbeitet der Artist in Residence an einer
weiteren Produktion für das deutsche Kunstfestival.
Kévin Quinaou und Séverine Ferrolier in "Metric Dozen"
Richard
Siegal
Pressestimmen / Model 23
Diego Tortelli, Zuzana Zahradníková, Dustin Klein und Katherina Markowskaja in "Model"
„Menschmaschinen unter Dauerdampf“
Stefan Keim, Deutschlandradio Kultur, August 2015, (Model)
Jeder Tänzer kämpft darum, ein Individuum zu sein. Immer wieder
lösen sich einzelne aus der Gruppe, beginnen kraftvolle Soli, werden
aber meist von der Masse wieder aufgesogen, die ihre Bewegungen
kopiert. Arme und Beine fliegen durch die Luft, das Ensemble wirkt
oft wie eine unter Dauerdampf heiß laufende Menschmaschine, in
der jeder funktionieren muss.
Bettina Jäger, Ruhr Nachrichten, August 2015, (Model)
Im Licht von LED-Flächen entfaltet sich ein schön-schreckliches,
40-minütiges Panorama des Kämpfens, des Leidens und der Einsamkeit, brillant getanzt, furchterregend und für den Betrachter anstrengend, aber auch reinigend. Zum Schluss zeigen die Lichtflächen
Worte des Autors Jorge Luis Borges: "Ein Antlitz... wird für die
Verworfenen Hölle sein, für die Erwählten Paradies." Dazu zeigt die
LED-Wand das Gesicht eines friedlich schlummernden Babys. Also:
Es gibt noch Hoffnung.
Vesna Mlakar, Die Deutsche Bühne, April 2015, (Metric Dozen)
25 ins Auge springende Minuten, in denen der Amerikaner in Formationsstrudeln den Mechanismen von Laufsteg und menschlicher
Kommunikation nachspürt. Dabei lässt er die zehn von Alexandra
Bertaut in lacklederne Sweatshirts gekleideten Darsteller oft rückwärts durch den Raum rauschen, bevor diese ihre nackten Beine
durch die Luft schleudern, die Arme heftig wie Scheren auf- und
zuklappen oder butterweich von einer in sich verdrehten Pose in eine
andere flutschen. Das gefällt!
24 Festspielhaus St. Pölten / Kalendarium
Vorschau: Jänner/Februar 2016
Jänner 2016
so 17 18.00 Uhr
Academy of St Martin in the Fields
Großer Saal Musik/Klassik
so 24 16.00 Uhr
Blechsalat im Schloss
Kleiner Saal Musik/Spiel
Februar 2016
mo 01 19.30 Uhr
Großer Saal
Tonkünstler-Orchester Haydn/Bruckner
Musik/Klassik
REFUGEES WELCOME
Flucht ist kein Verbrechen. Hunderttausende Menschen aus
Kriegs- und Krisengebieten suchen Schutz in Europa. Sie sind
auf unsere gemeinschaftliche Unterstützung angewiesen. Niemand flieht grundlos aus seiner Heimat. Wir lehnen daher jegliche Anfeindung Schutzbedürftiger entschieden ab und stehen
für eine offene Gesellschaft ein, die auf Toleranz, Solidarität
und Freiheit gründet. Es ist unsere Pflicht, unseren Mitmenschen in Not zu helfen. Jedem Einzelnen.
sa 13 19.30 Uhr
Tonkünstler-Orchester Trilogia Romana
Großer Saal Musik/Klassik/3D-Projektionen
mi 17 19.30 Uhr
Tonkünstler Plugged-In Emerson, Lake & Palmer Symphonic
Großer Saal Musik/Crossover
sa 20 19.30 Uhr
Carminho Canto
Großer Saal Musik/Fado
do 25 19.30 Uhr
Kammermusik Cuarteto Casals
Kleiner Saal Musik/Klassik
sa 27 19.30 Uhr
Beijing Dance Theater
Großer Saal Tanz
mo29 19.30 Uhr
Tonkünstler-Orchester Symphonie fantastique
Großer Saal Musik/Klassik
Die Betriebe der Niederösterreichischen Kulturwirtschaft: Amphitheater Bad DeutschAltenburg, Archäologisches Museum Carnuntum, Artothek, Bühne Baden, Die Bühne im
Hof, Donaufestival, Egon Schiele Museum, Factory, Festival Glatt&Verkehrt, Festspielhaus
St. Pölten, Forum Frohner, Freilichtmuseum Carnuntum, Grafenegg Sommerkonzerte,
Festival, Advent, Karikaturmuseum Krems, Kino im Kesselhaus, Klangraum Krems
Minoritenkirche, Kulturfabrik Hainburg, Kunsthalle Krems, Kunstraum Niederösterreich,
Landesmuseum Niederösterreich, Landestheater Niederösterreich, MAMUZ Museum
Mistelbach, MAMUZ Schloss Asparn/Zaya, Museum Gugging, Niederösterreichische
Landesausstellung, nitsch museum, Osterfestival Imago Dei, Renaissanceschloss
Schallaburg, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Wachau Kultur Melk, Zeit Kunst
Niederösterreich.
Tipp / Festspielhaus St. Pölten 27
Beijing Dance Theater
Made in China
BEIJING DANCE THEATER/
YUANYUAN WANG
BALLETT AM RHEIN/
MARTIN SCHLÄPFER: "7"
Zum ersten Mal ist das Beijing Dance
Theater in Österreich zu Gast! Seit ihrer
Gründung 2008 wirbelt die Compagnie
die internationale Tanzwelt durcheinander und steht bis heute für eine fabelhafte
Mischung aus modernem Tanz, zeitgenössischem Ballett und chinesischer
Tradition! Den dreiteiligen Abend im
Festspielhaus eröffnet Artist in Residence
und Chefchoreografin der Compagnie
Yuanyuan Wang mit der Uraufführung
ihrer neuesten Kreation, „Le Poison“.
Den Soundtrack dafür lieferte diesmal die
österreichische Band Radian. Energisch
und gleichzeitig wunderbar poetisch wird
es, wenn sich die TänzerInnen nach dem
Stück "Farewell, Shadows" am Ende einer
Märchenerzählung Oscar Wildes widmen.
„Sensibel, verblüffend, virtuos, intelligent
– lässt niemals kalt“ – die renommierte
Zeitschrift tanz hält sich mit Lobeshymnen schon lange nicht mehr zurück und
wählte das Ballett am Rhein 2015 zum
dritten Mal in Folge zur „Kompanie des
Jahres“. Im Festspielhaus kommt das
Ensemble ebenfalls zum dritten Mal mit
dem Tonkünstler-Orchester zusammen.
Für sein Ballett auf Mahlers 7. Sinfonie
folgt Martin Schläpfer seiner seit vielen
Jahren immer weiter entwickelten Dramaturgie einer collagenhaften Verknüpfung
verschiedener Bilder: Gegensätze gehen
organisch ineinander über und lassen so
auf der Bühne eine ganz eigene Energie
entstehen. Ein einzigartiges Hör- und
Seherlebnis ist garantiert!
Samstag 27. Februar 2016,
19.30 Uhr, Großer Saal
Karten EUR 39, 33, 28, 22, 10
Österreich-Premiere
Samstag 09. April 2016,
19.30 Uhr, Großer Saal
Karten EUR 49, 44, 39, 29, 14
Österreich-Premiere
Einführung
18.30 Uhr, Kleiner Saal
Einführung
18.30 Uhr, Kleiner Saal
IMPULSTANZ
SPECIAL
[Trans] Asia
Portraits
Performances / Installations / Movie Nights
6.–14. Februar 2016 / 21er Haus
Information & Tickets
www.impulstanz.com
+43.1.523 55 58
In Kooperation mit
With the support of
the Culture Programme
of the European Union
KUNSTHALLE KREMS FRANZ-ZELLER-PLATZ 3, 3500 KREMS
T +43 2732 908010, WWW.KUNSTHALLE.AT
In Transit:
Movie Nights
hosted by
Photo © Toshio Matsumoto (JP) Funeral Parade of Roses
舞會
Rathausplatz 11, 3100 St. Pölten
www.landestheater.net
Der
Himbeerpflücker
Ballettdirektor: Manuel Legris
Junge Talente des
Wiener Staatsballetts II
von Fritz Hochwälder
1 5. Jänner bis 2. April 2 0 1 6
Vorstellungen am
21. Jänner, 10. Februar 2016
mit Magdalena Helmig, Christine Jirku, Christoph Kail,
Martin Leutgeb, Eva Maria Marold, Reinhold G. Moritz,
Michael Scherff, Tobias Voigt, Raimund Wallisch,
Lisa Weidenmüller, Helmut Wiesinger Regie Cilli Drexel
Künstlerische Leitung:
Manuel Legris
Info: 01/514 44-3670 | Karten: 01/513 1 513 | [email protected]
www.wiener-staatsballett.at | www.volksoper.at
Nikisha Fogo, Trevor Hayden; Foto: Ashley Taylor/Wiener Staatsballett
Kartenvorverkauf:
niederösterreich kultur karten,
Rathausplatz 19, 3100 St. Pölten
T 02742 90 80 80 600
„Point Zero“
Der syrische Tänzer und Artist in Residence Hussein Khaddour im Portrait
„Vitamin Dance for Syria“
Der Film „Point Zero“ (2013), den
Sie auf unserer Website im Bereich
„Artists in Residence“ sehen können,
legt ein berührendes Zeugnis über die
Zerstörung Syriens durch den Bürgerkrieg ab. 2013 verursachte ein Bombenanschlag auch im Ballettsaal des
Theaterinstituts in Damaskus erhebliche Schäden. Der syrische Tänzer und
Choreograf Hussein Khaddour sucht
diesen Ort auf und beginnt inmitten
des staubbedeckten Raumes zu tanzen – die „Utopie“ eines
Neubeginns ... Auf den Probebühnen des Festspielhauses arbeitete Hussein Khaddour zuletzt mit der österreichischen Tänzerin Gloria Benedikt für das gemeinsame Stück „InDignity“, das
beim Europäischen Forum Alpbach uraufgeführt wurde. 2014
hat er gemeinsam mit Nour Barakeh das „Vitamin Dance“ Projekt ins Leben gerufen, ein Workshopangebot für Kinder im
Umland von Damaskus, das jetzt mit Unterstützung des Festspielhauses als „Vitamin Dance for Syria“ weitergeführt wird.
Als Artist in Residence wird Hussein Khaddour auch künftig
mit dem Festspielhaus gemeinsame Projekte realisieren.
In Homs, Syrien geboren, lebt und arbeitet Hussein Khaddour heute in Damaskus.
Bereits mit 12 Jahren begann er mit Breakdance in den Straßen seiner Geburtsstadt. Im
Jahr 2008 zog er nach Damaskus, trat der Sima Dance Company bei und wurde in Ballett
und Modern Dance ausgebildet. 2012 wurde er Mitglied des Higher Institute of Dramatic
Arts Dance Department. Sein 2013 entstandener Tanzfilm „Point Zero“ weckte internationale Aufmerksamkeit. Im März 2015 wurde seine jüngste Arbeit, basierend auf Patrick
Süskinds Roman „Die Taube“, im Damascus Opera House uraufgeführt.
© Hertha Hurnaus
IMPRESSUM
Herausgeber, Verleger und Medieninhaber
Niederösterreichische Kulturszene Betriebs GmbH,
Kultur­be­zirk 2, 3100 St. Pölten, T +43(0)2742/90 80 80,
F +43(0)2742/90 80 81, www.festspielhaus.at.
Für den Inhalt verantwortlich Thomas Gludovatz,
Johannes Sterkl. Künstlerische Leiterin Brigitte Fürle.
Redaktion Julia Dorninger. Fotos Ursula Kaufmann
(S. 4, 22), Wilfried Hösl (S. 9, 12/13, 18, 21), Denislav
Kanev (S. 20), Jiang Han (S. 26), Nour Barakeh (S. 32),
Hussein Khaddour (S. 33). Umschlagbild Ursula Kaufmann.
Produktion Walla Druck Wien. Termin-, Programm- und
Besetzungsänderungen ­vorbehalten. Fotografieren, Ton- und
Videoaufzeichnungen nicht gestattet. Preis des Programmheftes: Euro 2,70
Karten & Info: +43(0)2742/90 80 80 600
[email protected]
www.festspielhaus.at
Eines unserer Clubhäuser.
Ö1 Club-Mitglieder erhalten im
Festspielhaus St. Pölten 10 % Ermäßigung.
Sämtliche Ö1 Club-Vorteile
finden Sie in oe1.ORF.at
Karten & Information
+43(0)2742/90 80 80 600
[email protected]
www.festspielhaus.at