WBT2016Vortrag_Durner

Prof. Dr. Dominik Durner
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Phenolische Reife – Bedeutung, Bewertung und Einfluss auf die Eigenschaften von Rotweinen
DLR Rheinpfalz, Weincampus Neustadt, Prof. Dr. Dominik Durner
Weine definieren sich über ihr Aroma, ihre Farbe, ihren Geschmack. Dabei spielt Alkohol eine
wichtige Rolle, bei weitem aber nicht die alleinige. Reifeparameter, die sich nicht am Mostgewicht, sondern an anderen, qualitätsbestimmenden Traubeninhaltsstoffen orientieren, sind
gleichermaßen bedeutsam. Die Entwicklung der Aromareife und der phenolischen Reife von
Trauben hängt bekanntlich nicht mit der Zunahme des Mostgewichts oder der Abnahme der
Säure zusammen, was im Extremfall zur Folge hat, dass aus einem hohen Mostgewicht ein
unreifer Wein und aus einem niedrigen Mostgewicht ein reifer Wein entstehen kann. Durch
weinbauliche oder phytosanitäre Eingriffe, Fäulnisbefall oder klimatische Schwankungen wiegen die Entwicklungsunterschiede zwischen Mostgewicht und aromatischer bzw. phenolischer
Reife sogar noch stärker, womit alternative Reifeparameter – über das Mostgewicht und die
Säure hinausgehend – unentbehrlich werden.
Neben der physiologischen Reife, die in der Biologie den Entwicklungszeitpunkt beschreibt,
ab dem eine Frucht in der Lage ist, auszukeimen, wird immer öfter der Begriff phenolische
Reife ins Spiel gebracht. Sie ist ebenfalls als ein biologisches Phänomen zu begreifen, allerdings orientiert sich die phenolische Reife an den sensorisch und chemisch messbaren Entwicklungen von Beeren, die folglich auch die Sensorik des Weines beeinflussen. Am besten
kann die phenolische Reife anhand der Farbe der Kerne beurteilt werden. Die Verholzung und
dabei die Farbumwandlung von Kernen ist ein wichtiges Indiz für den Reifeprozess. Inzwischen existieren für unterschiedliche Rebsorten und Weinbauregionen Farbtabellen, anhand
derer die phenolische Reife von Trauben abgeschätzt werden kann. Neben gleichmäßig
durchgebräunten Kernen sind das leichte Herauslösen der Kerne aus dem Fruchtfleisch, ein
verholztes Stilgerüst, ein leichtes Trennen der Beeren vom Stilgerüst oder die fehlende Elastizität von Beeren wichtige Kriterien für eine hohe phenolische Reife.
Messung der phenolischen Reife
Trotz der guten Kenntnisse unserer Winzer, die zweifellos verstehen, die phenolische Reife im
Wingert sensorisch zu beurteilen, stellt sich aus Sicht eines nachhaltigen Qualitätsmanagements die Frage, warum bislang keine objektiv analytischen Methoden zur Bestimmung der
phenolischen Reife zum Einsatz kommen. Während es selbstverständlich ist, Zucker und Säuren zu messen, bleibt die gleichermaßen wichtige Phenolreife von Trauben meist Gegenstand
der subjektiven Einschätzung. Ähnlich wie Zucker und Säuren kann zwar sensorisch abgeschätzt werden, wie weit die Phenolreife fortgeschritten ist, welche Phenole in der Beere vorliegen, in welcher Konzentration sie vorliegen und wie gut sie extrahierbar sind, kann mit Auge
und Zunge nicht bestimmt werden. Dabei ist es aber kein Hexenwerk, bereits vor 25 Jahren
wurde von Yves Glories eine einfache photometrische Methode beschrieben, wie die phenolische Reife von Trauben einfach gemessen werden kann. Um ein möglichst vollständiges Bild
zu erhalten, schlug der Oenologieprofessor aus Bordeaux zwei Parameter vor. Zum einen wird
die Extrahierbarkeit von Anthocyanen bestimmt, indem rote Trauben vermahlen und bei niedrigem und hohem pH-Wert über mehrere Stunden mazeriert werden. Danach wird die rote
Farbe der beiden Extrakte gemessen und ins Verhältnis gesetzt. Der zweite Parameter beschreibt den Anteil an unreifen Kerntanninen in Trauben, indem mittels UV-Licht bei 280 nm
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der Phenolindex der beiden Extrakte ermittelt wird. Inzwischen haben Weinchemiker den Ansatz von Yves Glories aufgegriffen und die Methode optimiert. Es werden zeitlich verkürzte,
instrumentell vereinfachte oder auf weiße Rebsorten anwendbare Methoden diskutiert, die auf
der ursprünglichen Bestimmung der Phenolreife von Glories beruhen.
Phenolischer Reifeverlauf
Die Entwicklung des Anteils extrahierbarer Anthocyane und des Anteils unreifer Kerntannine
in einem Spätburgunder (Jhg. 2009, Klon Mariafeld, Duttweiler Kreuzberg) ist zusammen mit
dem Mostgewichtsverlauf in Abb. 1 dargestellt. Während das Mostgewicht im Zeitraum von
15. September bis 17. Oktober stetig von 80 auf 102 °Oe zunahm, machte die „Anthocyanreife“
den entscheidenden Sprung Ende September. Spätestens ab dem 11. Oktober war die
Anthocyanreife wieder rückläufig, was vermutlich auf die einsetzende Degradierung der
Anthocyane durch einsetzende Botrytis und nicht auf eine minder gute Extrahierbarkeit der
Anthocyane zurückzuführen war. Ebenfalls um den Monatswechsel nahm der Anteil unreifer
Kerntannine im Spätburgunder stark ab, was mit dem Farbumschlag der Kerne einherging.
Mostgewicht
Extrahierbare Anthocyane
Unreife Kerntannine
120
Anteil extrahierbarer Anthocyane und
unreifer Kerntannine
70%
Mostgewicht (°Oe)
100
60%
80
50%
40%
60
30%
40
20%
20
0
10. Sep
10%
20. Sep
30. Sep
10. Okt
0%
20. Okt
Abb.1: Reifeverlauf eines 2009er Spätburgunders anhand des Mostgewichts, des Anteils
extrahierbarer Anthocyane und des Anteils unreifer Kerntannine (n = 3; 95 %iges
Konfidenzintervall).
Die in Abb. 1 dargestellten Verlaufskurven machen deutlich, dass sich die Anthocyanreife und
die Kerntannin(un)reife im Spätburgunder ganz anders entwickelten als das Mostgewicht.
Diese Beobachtung lässt vermuten, welches Potential in diesen beiden Parametern liegt. Eine
Lese am 27. September würde einen eher farbschwachen Rotwein mit unreifen Tanninen und
einen potentiellen Alkohol von 12,5 % vol. hervorbringen. Bereits ein Woche später – der potentielle Alkohol wäre nur leicht gestiegen – lassen die Kurven einen deutlich farbintensiveren
Wein mit reifer Tanninstruktur vermuten. Eine spätere Lese in der zweiten Oktoberhälfte hätte
womöglich zur Folge, dass die Farbstabilität der Weine nicht mehr so hoch wäre, da die maximal mögliche Anthocyanausbeute bereits überschritten war.
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Einfluss der Ertragsreduzierung auf die phenolische Reife
Um das vorgestellte Konzept der phenolischen Reife zu validieren, wurden in einer Mußbacher
Cabernet Sauvignon Anlage die beiden Parameter „Extrahierbarkeit von Anthocyanen“ und
„Anteil unreifer Kerntannine“ in Abhängigkeit von Maßnahmen zur Ertragsreduzierung untersucht. Die nachfolgende Abb. 2 zeigt die Reife der Trauben am 15. September und am 12. Oktober 2009 für Weinbergsabschnitte ohne Ertragsreduzierung (Ertrag: 11 t/h) und Abschnitte,
in denen die Trauben kurz vor Traubenschluss halbiert wurden (Ertrag: 6,5 t/h). In beiden Regimen, ertragsreduziert und nicht ertragsreduziert, stiegen in dem 4-wöchigen Zeitraum das
Mostgewicht und die Anthocyanreife an, der Anteil unreifer Kerntannine nahm ab. Beim näheren Vergleich der beiden weinbaulichen Varianten wird deutlich, dass die Extrahierbarkeit der
Anthocyane im ertragsreduzierten Wingert bereits am 15. September auf einem deutlich höheren Niveau lag, was auf eine stärkere Konzentration der Anthocyane hindeutet. Die Entwicklung der Kernreife schien nicht von der Traubenhalbierung betroffen zu sein, auch anhand der
optischen Kontrolle wurden keine Unterschiede in der Kernfarbe zwischen ertragsreduziertem
und nicht ertragsreduziertem Weinbergsabschnitt festgestellt.
Unreife Kerntannine
Mostgewicht
60%
Mostgewicht (°Oe)
100
50%
80
40%
60
30%
40
20%
20
10%
0
0%
15. Sep
12. Okt
11 t/ha
15. Sep
Anteil extrahierbarer Anthocyane und
unreifer Kerntannine
Extrahierbare Anthocyane
12. Okt
6,5 t/ha
Abb. 2: Reifemessungen bei einem 2009er Cabernet Sauvignon am 15.09. und am 12.10.
mittels Mostgewicht, Anteil extrahierbarer Anthocyane und Anteil unreifer Kerntannine (n = 3; 95 %iges Konfidenzintervall).
Die Gegenüberstellung der Reifeentwicklung anhand der Parameter Mostgewicht, Extrahierbarkeit von Anthocyanen und Anteil unreifer Kerntannine für zwei unterschiedliche Ertragsniveaus zeigt, dass die Messgrößen in keinem Zusammenhang miteinander stehen und eine
Beurteilung der phenolischen Reife unabhängig vom Mostgewicht erfolgen muss.
Einfluss der phenolischen Reife auf die Sensorik von Rotwein
Trotz der hohen Plausibilität der gezeigten Ergebnisse ist fraglich, inwieweit das hier vorgestellte Konzept der phenolischen Reife Anwendung finden kann, um das sensorische Erscheinungsbild der späteren Weine zu prognostizieren. Weder die Extrahierbarkeit von Anthocyanen noch der Anteil unreifer Kerntannine werden momentan flächendeckend zur Beurteilung
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der Traubenreife eingesetzt – in anderen Worten, es liegen nur sehr wenige Jahrgangs-, Rebsorten- und Regionen-übergreifende Daten vor. Um den Einfluss der phenolischen Reife auf
die Sensorik eines Spätburgunders zu verdeutlichen sind in nachfolgender Abb. 3 die Profile
eines Spätburgunders aus den Jahrgängen 2006 (geringe phenolische Reife) 2007 (hohe phenolische Reife) dargestellt. Ein Wingert in Mußbach lieferte bei einem Mostgewicht von 90 °Oe
im durchwachsenen Jahrgang 2006 eine sehr geringe phenolische Reife (Extrahierbarkeit von
Anthocyanen = 35 %; Anteil unreifer Kerntannine = 42 %), im darauffolgenden Jahr 2007 zeigten beide Parameter deutlich bessere Werte. Während bei 90 °Oe die Anthocyane zu 46 %
extrahiert werden konnten, lag der Anteil unreifer Kerntannine bereits bei geringen 18 %. Nach
standardisiertem Ausbau im Versuchskeller des DLR Rheinpfalz wurden die Weine von
22 Prüfern (Jahrgang 2006) bzw. 23 Prüfern (Jahrgang 2007) von einem trainierten Panel
verkostet. Die deskriptive Beurteilung wurde mit Hilfe von Aroma- und Geschmacksstandards
auf unstrukturierten Skalen (0-10) vorgenommen. Alle Weine wurden randomisiert und in zweifacher Wiederholung verkostet. Im Vergleich zum 2006er Jahrgang mit geringer Phenolreife
wurde der 2007er Spätburgunder intensiver in den Attributen Sauerkirsche, Cassis und Menthol beurteilt. Grasig-grüne Noten waren deutlich schwächer wahrnehmbar als im unreifen
2006er Jahrgang. Im Mund machte sich die geringe Phenolreife durch signifikant höhere Intensitäten in den Attributen „grüne Tannine“ und „bitter“ bemerkbar.
Geringe phenolische
Reife
Hohe phenolische
Reife
Bitter *
Farbintensität ***
6
5
4
Trockene Tannine
Farbton
Himbeere
3
2
Grüne Tannine *
1
Sauerkirsche **
0
Adstringenz
Cassis **
Mundgefühl
Methol *
Körper
Gras/Grüne Paprika **
Sauer
Abb.3: Sensorische Profile eines Spätburgunders aus den Jahrgängen 2006 (geringe
phenolische Reife) 2007 (hohe phenolische Reife) (n = 22 bzw. 23 × 2; Skala: 0-10;
Signifikanzangaben: * p ≤ 0,05; ** p ≤ 0,01; *** p ≤ 0,001).
Der Vergleich der sensorischen Profile aus zwei unterschiedlichen Jahrgängen zeigt vermutlich weit mehr als den Einfluss einer geringen und hohen phenolischen Reife, nichtsdestotrotz
kann ein großes Potential abgeleitet werden, das in dem Konzept der phenolische Reife steckt.
Weitere Fragen? Prof. Dr. Dominik Durner, Tel. 0 63 21/6 71-2 27, [email protected]
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