DIE THEATERGEMEINDE MAINZ SCHAUT ZU DER PROZESS Ob es - wie derzeit Mode - immer sinnvoll ist, berühmte, nicht für das Theater geschriebene Literatur bühnenmäßig zu bearbeiten, darüber lässt sich streiten. Wenn das Mainzer Staatstheater dies nun mit Franz Kafkas Roman Der Prozess getan hat, lassen sich dabei durchaus eigene Wege erkennen, die das Unterfangen rechtfertigen. Die Geschichte des Josef. K., der ohne den Grund zu kennen, plötzlich verhaftet wird, und dem nun der Prozess gemacht werden soll, steht für den der modernen Bürokratie ausgelieferten Menschen. Die Regie setzt weniger auf das Sprechtheater, vielmehr rückt sie - unterstützt vom Bühnenbild Optik und Bewegung mit tänzerischen Elementen in den Focus. Und das führt zu beeindruckenden Bildern, die den Zuschauer knapp zwei Stunden (ohne Pause) in den Bann ziehen. Franz Kafkas schon 1915 entstandener, aber erst zehn Jahre später veröffentlichter Roman Der Prozess zählt zu den Schlüsseltexten der literarischen Moderne. Es geht hierin um die Abhängigkeit des Individuums von anonymen Mächten, die Undurchsichtigkeit der bürokratischen Hierarchien, die Konfrontation des Menschen mit einer ihm feindlich gesinnten Welt, in der alles irgendwie zum Gericht gehört. Der Bankangestellte Josef K. wird verhaftet; ein undurchschaubarer Apparat macht ihm den Prozess. Ohnmächtig zappelt er in den Fängen der Justiz, erfährt aber nie das Warum. Am Ende wird er schuldig gesprochen und stirbt. Die Regie hat das Stück als körperbetontes Theater und surrealen Bilderreigen angelegt. Josef K.s Arbeitsumwelt in der Bank wird mittels einer endlos wirkenden Reihung von Mitarbeitern auf rollenden Bürostühlen als ständiger tretmühlenartiger Bewegungsablauf dargestellt. Seine Kollegen sehen mit ihren streng gescheitelten blonden Haaren alle aus wie K. selbst – ein gesichts- und namenloses Heer von Angestellten, die sämtlich in Grau gekleidet sind. Grau sind auch die Justizbeamten, die im Gericht auf K. eindringen . Ebenso wirken die Frauen, mit denen K. verkehrt, wie geklont. Den passenden Rahmen für die Geschehnisse formt das durch zusätzliche Licht- und Video-Effekte akzentuierte Bühnenbild, ja man kann es als den eigentlichen Star der Inszenierung betrachten. Nach und nach schieben sich mehrere verschieden große und wie eingerahmt aussehende Guckkastenbühnen nach hinten auseinander und wieder zusammen. Der Weg in den Untergang beginnt und endet im kleinsten und engsten dieser Kästen. Mal flimmern Paragrafen, die sich bedrohlich vergrößern und das Gericht symbolisieren, über die Ränder, mal sind es Zahlenkolonnen, die für die Bank stehen. Der Regie ist auf diese Weise die Umwandlung von Kafkas Text in Seelenbilder gelungen. Es ist folglich nicht die reale Welt, die hier gezeigt wird, sondern vielmehr ein von Ängsten, Trieben, Sehnsüchten und Schuldgefühlen beherrschtes Inneres – Josef K. begegnet seinem eigenen Ich, das unaufhaltsam dem Untergang entgegen treibt. Diese Sichtweise macht Kafkas Roman bildlich begreifbar. Wenn z. B. kurz vor seinem Ende Josef K.s Körper als zuckendes, sich windendes, wie gefesselt wirkendes Etwas erscheint, wird die von Kafka beschworene Verkettung des Individuums in das Unentrinnbare umso sinnfälliger vor Augen geführt. Bei all dieser Bildhaftigkeit kommt aber auch die gesprochene Sprache nicht zu kurz. Oktober 2015 Johannes Kamps Theatergemeinde Mainz
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