Verbesserte Ansprechrate, jedoch keine Auswirkung auf Überleben

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SAKK-NEWS
Medical Tribune · Onkologie  Hämatologie · 8. Jahrgang · Nr. 4 · September 2015
Präoperative Chemoradiotherapie beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium IIIA/N2
Verbesserte Ansprechrate, jedoch
keine Auswirkung auf Überleben
BERN – Eine Standardoption in
der Behandlung des nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium IIIA/N2 ist eine neoadjuvante
Chemotherapie gefolgt von einer
Operation. Die Studie SAKK 16/00
hat untersucht, ob das Behandlungsergebnis verbessert werden
kann, wenn die Patientinnen und
Patienten zusätzlich eine neoadjuvante Radiotherapie erhalten. Ein
positiver Effekt auf das eventfreie
Überleben oder das Gesamtüberleben konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.
Frühere Studien haben gezeigt,
dass eine komplette Resektion des
Tumors und das Downstaging der
mediastinalen Lymphknoten von
N2 zu N1 oder N0 zu den entscheidendsten Faktoren bei der
Behandlung des nicht kleinzelligen
Lungenkarzinoms im Stadium IIIA/
N2 gehören. Eine zusätzliche neoadjuvante Radiotherapie könnte
sich theoretisch auf beide Faktoren
positiv auswirken. Die Hypothese
der Studie SAKK 16/00 war daher,
dass das Hinzufügen einer Radiotherapie vor der Operation das lokale Ansprechen und die komplette
Resektionsrate verbessern und damit das eventfreie Überleben und
das Gesamtüberleben verlängern
könnte.
Neoadjuvante Radiotherapie
erhöht das Ansprechen
In die Phase-III-Studie wurden
232 Patienten eingeschlossen. Diese wurden 1 : 1 randomisiert: Die
eine Patientengruppe erhielt eine
Chemoradiotherapie mit drei Zyklen neoadjuvanter Chemotherapie
(Cisplatin 100 mg/m2 und Docetaxel 85 mg/m2) gefolgt von einer Radiotherapie mit 44 Gy während drei
Wochen. Die andere Patientengruppe erhielt die gleiche alleinige Che-
motherapie. Anschliessend wurde
der Tumor in beiden Behandlungsarmen operativ entfernt. Der primäre Endpunkt war das eventfreie
Überleben (EFS).
Die Ansprechrate auf die Chemoradiotherapie (CRT) betrug
60,7 % gegenüber 43,5 % bei der
alleinigen Chemotherapie (CT)
(p = 0,012). 83,2 % aller Patienten
konnten operiert werden. Die komplette Resektionsrate betrug bei der
CRT-Gruppe 90,9 %, bei der CTGruppe 80,9 %. Das mediane EFS
war bei der CRT-Gruppe 12,8 Monate verglichen mit 11,6 Monaten
im CT-Arm (p = 0,67). Das mittlere Gesamtüberleben (OS) mit
CRT betrug 37,1 Monate, mit CT
26,2 Monate (p = 0,94). Patienten
mit mediastinalem Downstaging zu
ypN0/1 oder kompletter Resektion
wiesen die besseren Behandlungsergebnisse auf. Die Toxizität der Chemotherapie war erheblich, 92 % der
Patienten konnten die drei Zyklen
Chemotherapie jedoch beenden.
Induktionschemotherapie
vor Op. reicht aus
Dies ist die erste abgeschlossene
Phase-III-Studie, welche eine neoadjuvante Radiotherapie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom im
Stadium IIIA/N2 untersucht hat.
Das Hinzufügen der Radiotherapie
erhöhte zwar die Ansprechrate und
die lokale Kontrolle, konnte aber das
EFS oder das OS nicht wesentlich
verbessern. Eine Induktionschemotherapie gefolgt von einer Operation
bleibt daher eine hinreichende Behandlungsoption für Patienten mit
resektabler Stadium IIIA/N2 Erkrankung. Die Studie wurde im August
im Lancet publiziert.1
1. Pless M et al. Induction chemoradiation in stage IIIA/N2 non-small-cell lung
cancer: a phase 3 randomised trial. Lancet
2015 Aug 11. doi: 10.1016/S01406736(15)60294-X. [Epub ahead of print]
Interview
Interview mit dem Studienleiter
Professor Dr. Miklos Pless
BERN – Die Studie SAKK 16/00 hat
untersucht, ob das Behandlungsergebnis beim nicht kleinzelligen
Bronchialkarzinom im Stadium
IIIA/N2b verbessert werden kann,
wenn Patientinnen und Patienten
zusätzlich zur neoadjuvanten Chemotherapie eine Radiotherapie
erhalten. Ein positiver Effekt auf
das eventfreie Überleben oder
das Gesamtüberleben konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.
Hauptautor der Studie Professor
Dr. Miklos Ple ss, Chefarzt Medizinische Onkologie, Kantonsspital Winterthur, kommentiert das
Ergebnis.
?
Was sind Ihre Schlussfolgerungen aus der Studie?
Prof. Pless: Man muss unsere Studie im Kontext mit der aktuellen Literatur interpretieren: Es gab zwei
grössere randomisierte Studien, die
zeigten, dass eine Operation keinen
zusätzlichen Benefit bringt nach
einer kombinierten Chemoradiotherapie (Intergroup und EORTCStudie). Seither war eigentlich die
Operation im Stadium III kein
Standard mehr. Wir zeigen nun,
dass eine neoadjuvante Radiotherapie die Resultate nicht verbessert
bei Patienten mit neoadjuvanter
Chemotherapie und Operation. Es
gibt daraus drei Schlussfolgerungen:
1. Die einzige mögliche Interpretation der Daten ist, dass es wenig
bringt, zwei lokale Therapien zu
kombinieren. Entweder beschränkt
man sich auf Operation mit Che-
Prof. Dr.
Miklos Pless
Chefarzt Medizinische Onkologie
Kantonsspital
Winterthur
Foto: zVg
motherapie (egal ob adjuvant oder
neoadjuvant) oder man führt eine
kombinierte definitive Chemoradiotherapie durch. 2. Unsere Studie
zeigt, dass die Chirurgie eine mögliche Standardtherapie darstellt.
3. Die Resultate der SAKK-Studien
im Stadium III (SAKK 16/96; 16/00
und 16/01) waren sehr erfolgreich.
Insgesamt wurden über 360 Patienten neoadjuvant mit der Kombination Cisplatin/Docetaxel behandelt
und das 5-Jahres-Überleben liegt
bei fast 40 %: Das sind weltweit herausragende Ergebnisse.
?
Wie geht die Forschung in diesem Bereich nun weiter?
Prof. Pless: Wir glauben nicht, dass
wir mit einer Modifikation der
Chirurgie oder der Chemo- und
Radiotherapie einen entscheidenden Durchbruch erzielen werden.
Die Hoffnungen ruhen darum auf
der Immuntherapie. In der nächsten SAKK-Studie, SAKK 16/14,
geleitet von Dr. Sacha Rothschild,
werden wir unser Standardschema Cisplatin/Docetaxel mit
MEDI4736, einem PD-L1-Hemmer, kombinieren. Damit möchten
wir eine immunologische Kontrolle
des Tumors erzielen und so versuchen, die Langzeitergebnisse noch
einmal zu verbessern.
?
Worin liegt der Vorteil der
Durchführung einer solchen
Studie in einer Organisation wie
der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK)?
Prof. Pless: Es ist klar, dass eine
solch komplexe multidisziplinäre
Studie nur multizentrisch möglich ist. Nur eine akademische
Forschungsorganisation wie die
SAKK hat das Interesse und die
Geduld, solch schwierige Projekte
durchzuführen. Radiotherapiestudien sind für Pharmaunternehmen
nicht sehr interessant und auch
die lange Dauer der 16/00-Studie
(> 10 Jahre Rekrutierung) ist abschreckend. Umso höher schätzen
wir die Unterstützung der Firma
Sanofi, die das Projekt über all
die Jahre mitgetragen hat. Der erfolgreiche Abschluss dieser Studie
ist eine ausserordentliche Leistung der SAKK, eine japanische
(WJTOG9903) und eine französische (IFTC-0101) kooperative Studie sind wegen schlechten Accruals
abgebrochen worden, und sogar
die amerikanische Intergroup
(RTOG 0412) musste aufgeben.
Dank dem Netzwerk der SAKK
hat die kleine Schweiz damit als
einziges Land diese wichtige offene
Frage beantworten können.
Besten Dank für das Gespräch.
Schweizerischer Nationalfonds anerkennt guten internationalen Ruf und die Leistungen für die Krebsforschung
Hohe Qualität der SAKK im Evaluationsbericht bestätigt
BERN – Das Netzwerk der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für
Klinische Krebsforschung (SAKK)
bewährt sich, um klinische Studien
zum Nutzen der Patientinnen und
Patienten durchzuführen. Dies hält
der Schweizerische Nationalfonds
(SNF) in einem Bericht fest, den er
im Auftrag des Staatssekretariats
für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) erstellt hat.
Der SNF hat zusammen mit einer
internationalen Expertengruppe
evaluiert, wie die SAKK ihre Studienprojekte auswählt und wie diese
gefördert werden. Der resultierende
Bericht anerkennt den guten inter-
nationalen Ruf der SAKK und deren
Leistungen für die Krebsforschung
in der Schweiz, die das Potenzial
haben, die medizinische Praxis zu
verändern.
Der Bericht betont weiter, dass
das Koordinationszentrum der
SAKK in Bern für seine hohe Qualität international anerkannt ist und
eine wichtige unterstützende Rolle
bei der Studiendurchführung hat.
Die Experten stellen zudem fest, dass
die staatliche Förderung der Krebsforschung im internationalen Vergleich eher bescheiden ist. Gleichzeitig zeigt der Bericht Vorschläge auf,
wie die Struktur der SAKK weiter
optimiert werden kann. So empfiehlt
die internationale Expertengruppe,
die Forschungsstrategie der SAKK
weiter zu entwickeln und diese öffentlich zu kommunizieren. Zudem
empfiehlt der Bericht, die Anliegen
der Patientinnen und Patienten vermehrt in die Forschung einzubeziehen, die Selektion von Projekten zu
optimieren und sowohl die Richtlinien als auch das Auswahlverfahren
zu veröffentlichen.
Patientinnen und Patienten
stärker miteinbeziehen
Im zeitgemässen Verfahren ihrer
Forschungstätigkeit bestätigt, prüft
die SAKK, wie die weiterführenden
Vorschläge des Expertengremiums
umgesetzt werden können, und adaptiert das Auswahlverfahren für
Projekte. Die SAKK wird die Patientinnen und Patienten stärker miteinbeziehen und einen Patientenrat
einsetzen. Diese Patientenvertreter
sollen ihr Wissen und ihre Erfahrungen im Umgang mit Krebs in die
Studiendurchführung einbringen
können. Die SAKK evaluiert auch die
derzeitige Struktur und die Aufgaben
des Vorstandes. «Gemäss ihrem Leitbild ist die SAKK als akademisches
gemeinnütziges Forschungsinstitut
der Transparenz verpflichtet: Konsequent alle Forschungsresultate, positive wie negative, werden Fachkreisen
und der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht», betont der SAKK-Direktor
Dr. Peter Brauchli. Künftig sollen
auch die Entscheide des Vorstandes
öffentlich kommuniziert werden,
insbesondere welche Studien der
Vorstand angenommen hat. Dieses
Massnahmenpaket soll es erlauben,
die hohe Qualität der klinischen
Krebsforschung in der Schweiz zu
erhalten und die Öffentlichkeit vermehrt an den Leistungen und Herausforderungen der SAKK teilhaben
zu lassen.
Kontakt:
Dr. Peter Brauchli, SAKK-Direktor, SAKK Koordinationszentrum, Bern, Tel. 031 389 92 96,
[email protected]