MENSCHEN MENSCHEN Dieselbe Berufung: Doris Hochstrasser (l.) und Karin Koch in ihrem Bestattungsinstitut in Wohlen. Familienunternehmen: Karl Koch mit dem Sargwagen in den Zwanzigerjahren. «Wir erweisen den Toten DIE LETZTE EHRE» Sie sind mehr als Bestatterinnen. Die Schwestern DORIS HOCHSTRASSER und KARIN KOCH begleiten die Hinterbliebenen bei ihrer Trauer und helfen ihnen, den Verlust besser zu verkraften. Text Fabienne Eichelberger Fotos Gabi Vogt A ls Kind war es für Doris eine Mutprobe, tote Menschen anzu schauen. Mit ihren Kameraden öffnete sie langsam den Schieber des Sar ges, blickte in das eingefallene Gesicht eines Verstorbenen – und rannte krei schend davon. Ihre jüngere Schwester Ka rin fürchtete sich noch stärker vor Toten: Sie machte einen grossen Bogen um sie. Die Schwestern aus Wohlen AG kamen in frühester Kindheit immer wieder mit Verstorbenen in Kontakt. Ihre Eltern Karl und Elsa Koch führten ein Bestattungs institut, das Karls Eltern vor etwa hundert Jahren gegründet hatten. Heute leiten Doris Hochstrasser, 60, und Karin Koch, 49, den Betrieb mit Liebe und Herzblut. Im Buch «Die Bestatterinnen – Gestorben wird im mer», erzählen sie aus ihrem privaten und beruflichen Alltag. «Der Tod soll kein Ta buthema bleiben, er gehört zum Leben, und jede Familie wird mit ihm konfron tiert», sagt Doris Hochstrasser. 14 Schweizer Familie 40/2015 Dass sie das Geschäft einst überneh men werden, daran dachten die Schwes tern lange nicht. Für ihre Vorfahren han delte es sich beim Bestattungswesen nur um einen Nebenerwerb. Die Haupt einnahmequelle der Eltern und Grosseltern war die Landwirtschaft. Elsa und Karl be trieben zudem ein Transportgeschäft. Die Zugpferde spannten sie auch vor den Sarg wagen. Über diese Arbeit wurde mit den acht Kindern nicht gesprochen. Auch nicht, als Peter starb. Karin war fünf, Doris sechzehn Jahre alt, als ihr Bru der – damals siebenjährig – von einem Auto überfahren wurde. «Peters Tod war schrecklich. Vielleicht hatte ich darum später Mühe mit toten Menschen», sagt Karin. Ihr habe die Gelegenheit gefehlt, den Verlust des Bruders zu verarbeiten. Niemand erklärte den Kindern, warum Peter nicht mehr zurückkommt und wo er nun ist. Das bereitete auch Doris Mühe. «Ich verstand nicht, weshalb ein so kleines Kind sterben musste.» Die eigenen Ängste abbauen Genauso wenig, wie mit den Kindern über den Tod gesprochen wurde, gab es damals – Anfang der 70er Jahre – eine Betreuung der Angehörigen. Der Tod war aber noch gut sichtbar: Mit Trauerzügen durchs Dorf wurde den Verstorbenen die letzte Ehre ➳ «Der Tod soll kein Tabuthema bleiben, er gehört zum Leben, und jede Familie wird mit ihm konfrontiert.» Doris Hochstrasser Schweizer Familie 40/2015 15 MENSCHEN MENSCHEN LESERANGEBOT Engel halten Totenwache: Aufbahrungsraum (l.) und Ruheoase im Garten. Das Buch «Die Bestatterinnen» jetzt bestellen! Als Leserin oder Leser der «Schweizer Familie» erhalten Sie das Buch zum Preis von 27.90 statt 36.90 Franken. «Die Bestatterinnen – Gestorben wird immer» von Doris Hochstrasser-Koch/ Karin Koch Sager, 192 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Wörterseh Verlag. Die Räume des Bestattungsinstituts Koch sind hell und farbig gestaltet. «Die Menschen sollen Hoffnung verspüren, wenn sie bei uns sind», sagt Karin Koch. «Gingen uns die Schicksale nicht mehr nahe, würden wir den Beruf aufgeben.» «Die Bestatterinnen», das ist ein Buch, das zwar in vielerlei Hinsicht vom Tod handelt, viel eher aber vom Leben. Denn durch ihre Arbeit kamen die beiden Schwestern zu Einsichten, die ihr Dasein positiv beeinflussen. Die Frauen entwickelten in der Bestattung neue Ansätze und machten aus einem negativ besetzten Beruf eine positive Berufung. BITTE SENDEN SIE DEN TALON AN: Wörterseh Verlag, «Schweizer Familie»Aktion, Im Langstuck 14, 8044 Gockhausen. Internetbestellung via www.schweizerfamilie.ch/leserangebote ✁ Jeder Schritt ihrer Tätigkeit ist ein Abschiednehmen. Denn die Schwestern wissen, dass hinter jedem Tod ein persönliches Schicksal steckt. Bestelltalon _____ Anzahl Exemplare «Bestatterinnen» à 27.90 statt 36.90 Franken (inkl. MwSt., Porto und Verpackung) Vorname/Name Strasse/Nr. PLZ/Ort Telefon Datum/Unterschrift 16 Schweizer Familie 40/2015 erwiesen, Witwen trugen mehrere Monate schwarz. Spätestens seit den 80ern verzich tet man in der westlichen Welt aber gröss tenteils auf diese Rituale, der Tod ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Alles muss schnell gehen – auch das Sterben. Dieser Entwicklung wollen Doris Hochstrasser und Karin Koch entgegen wirken. Sie selbst lernten erst im Erwach senenalter, mit dem Tod umzugehen. Dank vieler gemeinsamer Gespräche konnten die Schwestern ihre Ängste ab bauen. 1999 übernahmen sie das Geschäft der Eltern. Beiden war klar, dass der Fami lienbetrieb weitergeführt werden musste. «Den Toten die letzte Ehre zu erweisen, ist ein schöner Beruf», sagt Karin Koch. Ein Beruf auch, der durch Fernsehserien wie «Der Bestatter» mit Mike Müller oder «Six Feet Under» an Beliebtheit gewonnen hat. Bei den Bestatterinnen melden sich heute mehr Bewerber als noch vor einigen Jahren. Sie haben aber oft ein falsches Bild des Berufs. «Unser Alltag hat nichts mit Kriminalistik oder Glamour zu tun», sagt Doris Hochstrasser. «Er ist geprägt durch harte körperliche Arbeit und den Anblick von Verstorbenen, die bisweilen unter furchtbaren Umständen zu Tode gekom men sind.» Wichtig ist den Schwestern der Um gang mit den Trauernden. Sie stehen ih nen nicht nur zur Seite, bis alle organisa torischen Angelegenheiten geregelt sind. Um ihnen zu helfen, den Verlust zu verar beiten, absolvierte Doris Hochstrasser eine Ausbildung als Trauerbegleiterin. Der Prozess des Abschiednehmens kann lange dauern. Die Schwestern begegnen oft Leuten, die Schreckliches verarbeiten müs sen. Etwa, wenn ein Kind viel zu früh ge gangen ist oder sich ein junger Mensch das Leben nahm. Das berührt auch die Bestat terinnen. Manchmal fliessen Tränen. «Gin gen uns die Schicksale nicht mehr nahe, würden wir den Beruf aufgeben», sagt Karin Koch. Abstumpfen wollen sie nicht. 24 Stunden erreichbar Ihren Betrieb in Wohlen haben die Schwes tern hell und farbig gestaltet. «Die Men schen sollen Hoffnung verspüren, wenn sie bei uns sind», sagt Karin Koch. 2011 eröffneten sie die neuen Räumlichkeiten, die ans Elternhaus angrenzen. Im Garten errichteten die Schwestern eine Ruheoase mit Pflanzen und Engelsskulpturen. Karin Koch Das Bestattungsinstitut Koch ist 24 Stunden am Tag erreichbar. Ist jemand ge storben, rücken die Schwestern oder ihre Mitarbeiter mit dem Bestattungswagen aus – zu Wohnungen, Spitälern, Altershei men oder an Unfallstellen. Sie fixieren die verstorbene Person auf einer Bahre und transportieren sie in den Kühlraum im Be stattungsinstitut oder in die Rechtsmedizin. Nach einem aussergewöhnlichen Todesfall finden manchmal Abklärungen im Bestat tungsinstitut statt. «Dann sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft und der Amtsarzt dabei. Sie sagen, was wir zu tun haben – wir sind die Handlanger», erklärt Doris Hoch strasser. Sind die Todesumstände geklärt, entscheiden die Angehörigen, ob der Ver storbene aufgebahrt wird. Dazu versorgen die Schwestern den Leichnam hygienisch und machen ihn so zurecht, dass sich den Angehörigen ein natürlicher Anblick bietet. Im Vorbereitungsraum des Bestattungsin stitutes liegen Shampoos, Bürsten, Locken wickler und Schminke bereit. Aber auch Desinfektionsmittel, Puder, der austreten de Körperflüssigkeit aufsaugt, und eine Creme, welche die Haut länger frisch hält. Die Bestatterinnen betten den Verstorbe nen in den Sarg ein und drapieren Blumen um ihn. Im Aufbahrungsraum zünden sie eine Kerze an, ein Engel aus Porzellan be wacht den Leichnam. Die Angehörigen erhalten einen Code, mit dem sie rund um die Uhr Zutritt zum Raum haben. Wie schwierig das Abschiednehmen ist, musste Doris vor vier Jahren erfahren. Ihr Mann Sepp verunglückte tödlich. «Viele dachten, ich könne durch meinen Beruf besser damit umgehen», sagt Doris Hoch strasser. «Doch einen geliebten Menschen zu verlieren, tut immer weh.» Ihr war klar, dass sie Sepp aufbahren will. Auch seine Enkel durften Abschied nehmen. Sie bemalten Sepps Sarg mit En geln und Blumen. Später besuchten sie ihren Grossvater im Aufbahrungsraum. Mussten die Erwachsenen weinen, erklär ten sie den Kindern, weshalb. Anders als ihre Eltern redeten Karin Koch und Doris Hochstrasser mit ihren Nachkommen über den Tod. Doris’ vier zigjähriger Sohn Peter ist auch Bestatter. Seine Kinder zeigen Interesse daran, den ● Betrieb einst zu übernehmen. Schweizer Familie 40/2015 17
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