Das Reich Gottes annehmen wie ein Kind

Evangelische Hoffnungskirchengemeinde Berlin-Pankow
PREDIGT im Gottesdienst am 18.10.2015 in der Hoffnungskirche
(Textgrundlage: Mk 10,13-16)
von Pfarrer Matthias Motter
Liebe Gemeinde,
manches ist es wert, in Stein gemeißelt zu werden. Das dachten sich wohl auch die Erbauer
dieser Kirche.
Sechs Worte stehen in den Stein gemeißelt auf dem Taufstein hier in unserer
Hoffnungskirche: Lasst die Kindlein zu mir kommen.
Worte, die Jesus spricht – so erzählt es das Markus-Evangelium. Und bei den vielen Taufen,
die wir hier in unserer Kirche feiern dürfen, da erklingen diese Worte auch immer wieder.
Eine kleine Geschichte ist es, die uns der Evangelist Markus überliefert.
Und sie brachten Kinder zu Jesus, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.
Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen:
Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht; denn solchen ist das Reich Gottes.
Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht
hineinkommen.
Und er nahm sie in seine Arme, legte die Hände auf sie und segnete sie.
Es ist wunderbar Verantwortung für ein Kind zu tragen. Es ist aber auch nicht immer leicht,
diese Verantwortung zu tragen. Machen wir es richtig? Was wird einmal aus diesem Kind?
Wie zerbrechlich das Leben ist, wird uns vielleicht angesichts des Anfangs und des Endes des
Lebens am deutlichsten bewusst. Wie angewiesen wir sind auf etwas, das unsere eigene
Macht und Möglichkeit übersteigt.
Vergiss es nie: Dass du lebst war eines anderen Idee, und dass du atmest, sein Geschenk an dich.
Du bist gewollt kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur. So singen wir es oft mit den
Konfirmanden.
Vergiss es nie. Eltern haben das nicht vergessen. Und deshalb werden Kinder getauft. Eltern
bringen ihre Kinder zu Jesus, so wie es auf unserem Taufstein steht. Und bei jeder Taufe wird
der Name des Täuflings genannt.
Es gibt zwei Arten von Namen, hat der Theologe Fulbert Steffensky einmal gesagt.
Es gibt zwei Arten von Namen, den Indianernamen und den Taufnamen. Den Indianernamen
bekomme ich, wenn ich mich namhaft gemacht habe. Wenn ich also scharf spähen gelernt habe,
nennt man mich Adlerauge. Wenn ich schnell laufen gelernt habe, nennt man mich springender
Hirsch. Der Indianername ist ein schöner Name, weil er die Stärken des Menschen ehrt. Aber
wehe, wenn es nur ihn gibt! Wehe, wenn man nur erkannt wird, wenn man sich selber kenntlich
gemacht hat! Wehe, wenn man nur angesehen wird, wenn man sich selber ansehnlich gemacht
hat! In einer solchen Gesellschaft könnte man nicht Kind sein, nicht alter Mensch, nicht Kranker,
nicht Behinderter und nicht Sterbender. Das Schönste, was uns das Christentum lehrt, ist die
Überzeugung, dass wir nicht sind, weil wir uns verdient haben. Wir sind, weil wir schon vor aller
eigenen Liebenswürdigkeit geliebt sind. Unser Name ist schon in die Hand Gottes geschrieben, ehe
wir uns namhaft gemacht haben.
(Fulbert Steffensky in einer Bibelarbeit auf dem Kirchentag 2005 in Hannover)
In der Geschichte aus dem Markus-Evangelium wollen die Jünger den ungeregelten Zugang
zu Jesus verhindern. Aber Gott stellt keine Bedingungen. Nicht Leistung und auch nicht Alter
zählt. Und dann ist da dieser Satz: Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt
wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.
Man kann diesen Vers auf zwei Weisen lesen.
Die eine Lesart: wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie ein Kind etwas annimmt, der wird nicht
hineinkommen.
Die andere Lesart: wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie man ein Kind annimmt, der wird
nicht hineinkommen.
Und ich bin der Überzeugung, dass diese zweifache Lesemöglichkeit keine Nachlässigkeit des
Evangelisten ist.
Es stecken in diesem Zweifachen vielmehr die zwei Grundinhalte unseres Glaubens.
Hören wir den Vers so: wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie ein Kind etwas annimmt, der
wird nicht hineinkommen, bleibt die Frage, was das heißt?; wie nimmt ein Kind etwas an?
Eltern und Großeltern wissen das wohl sehr gut: Ein Kind empfängt, bekommt von denen, die
für es da sind, das, was es zum Leben braucht – Nahrung, Kleidung und liebevolle
Zuwendung. So sollte es zumindest sein. Und unser Entsetzen dann, wenn es nicht so ist, ist
gut und zeigt, wie es eben um Gottes Willen sein sollte: Das Kind bekommt, einfach weil es
da ist, weil es als Mensch von Anfang an diese unbedingte und unverlierbare Würde hat.
Und so, wie das Kind das, was ihm gegeben wird, annimmt und daraus lebt – so dürfen wir
das annehmen und daraus leben, was in den Evangelien mit dem Begriff Reich Gottes
umschrieben wird. Königsherrschaft Gottes könnte man wörtlicher übersetzen und das
kommt dem vielleicht näher, was darin gemeint ist: Ein Dasein unter der alles umfassenden
guten Macht Gottes.
Dieses Dasein ist Gottes Geschenk.
Und das sollen wir – und das ist nun die zweite Leseweise – annehmen, wie man ein Kind
annimmt. Wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie man ein Kind annimmt, der wird nicht
hineinkommen.
Das ist die ungewohntere Lesart. Das Reich Gottes, die Macht Gottes, das große Geschenk
Gottes an uns – verglichen mit einem Kind. Klein, hilfsbedürftig.
Aber wie wir uns manchmal die Verantwortung für ein Kind nicht aussuchen, sie nicht nach
Belieben annehmen und ablegen können – so ist es mit dem Reich Gottes, mit diesem
Geschenk. Es ist uns anvertraut! Ob wir wollen oder nicht. Aber der Gott, der sich uns
bedingungslos und liebend zuwendet, traut uns zu, Verantwortung für seine gute Herrschaft
zu übernehmen. Mit dem Bild der Macht Gottes als Kind, ist diese Lebensmacht geradezu auf
unser Mittun, unsere Mitverantwortung angewiesen. Das ist der Anspruch, dieser eine Inhalt
unseres Glaubens, dem der andere, der Zuspruch unbedingt vorausgeht.
Erst die liebevolle Zuwendung Gottes macht uns wirklich frei und stark, Verantwortung zu
übernehmen.
Und dazu gibt es jeden Tag und bei jedem von uns viel Gelegenheit.
Und wie schön, wenn wir das Wunderbare der Lebensmacht Gottes, des Reiches Gottes
schon jetzt in dieser Welt spüren und spüren: wir können mitwirken, dass dieses Wunderbare
spürbar bleibt und wächst.
Wie gut aber auch, dass wir uns gerade wenn das Wunderbare verborgen bleibt, wenn das
Leben dunkel ist, immer wieder hineinwerfen können – wie Kinder – in die Arme unseres
Gottes.
Und er nahm sie in seine Arme, legte die Hände auf sie und segnete sie.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.