Isabel Reifenrath: Arrangierte Ehen bei den Ahmadiyya. Wenn Gott

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hr2-kultur | Camino – Religionen auf dem Weg
Arrangierte Ehen bei den Ahmadiyya Wenn Gott und die Familie nur den Besten wollen
von Isabel Reifenrath
Alia Hübsch ist 25 Jahre alt. Sie ist in Frankfurt geboren, hat hier zuerst
Religionswissenschaften und Germanistik studiert, jetzt macht sie gerade ihren Master in
Religionsphilosophie. Sie lacht gerne, vor allem mit ihrer jüngeren Schwester Sanna, mit der
sie sich bis jetzt ein Zimmer im Haus der Mutter teilt. Ihr Verlobter Tahir Chaudry ist auch
Mitte Zwanzig, kommt aus Kiel. Dort hat er Philosophie und Islamwissenschaften studiert.
Er möchte Journalist werden.
Er: Das erste Mal habe ich sie zufällig gesehen, bei meiner Sendung im Offenen Kanal in
Flensburg und was ich da gedacht hab, ja, war sehr angenehm, wie sie geredet hat. Bei
den anderen Gästen war es so, dass, wenn die Kamera anging, dann waren sie andere.
Das war bei ihr nicht so.
Sie: Er hat uns eigentlich gar nicht angeschaut. Er ist auch generell jemand, der Frauen
nicht anguckt, gehört sich auch. Natürlich soll er nur mich anschauen. Als ich
reingekommen bin, da wusste ich einfach, dass Gott ihn für mich bestimmt hat.
Er: Derjenige, der neben mir saß, der meinte zu mir, der war ein zehnjähriges Kind, die ist
total nett, ja und das waren so die ersten Gedanken, die ich so hatte.
Sie: Ich möchte jemanden heiraten, der am besten zu mir passt und Gott weiß, wer am
besten zu mir passt, das habe ich mir immer gewünscht, dann werde ich glücklich werden.
Er: Natürlich spielen noch andere Punkte eine Rolle. Jeder will, dass der Partner schön ist,
alle Dinge aufweist, dass er die gleichen Hobbies hat vielleicht. Aber an erster Stelle war
mir wichtig, damit es langfristig funktioniert, dass das, die Frömmigkeit, die
Rechtschaffenheit da ist.
Sie: Und eine Sache habe ich mir schon gewünscht, dass derjenige die gleichen Interessen
hat.
1.51
Miteinander geredet haben Alia und Tahir bei ihrer ersten Begegnung nicht. Das Treffen
war mehr zufällig. Alias ältere Schwester, Khola hatte sie mit in seine Fernsehsendung
genommen. Allerdings nicht ganz ohne Hintergedanken. Sie hatte ihn und seine Familie
nämlich bereits vorher kennengelernt. Bei einem Besuch in Kiel.
O-Ton: Die ganze Atmosphäre war sehr spirituell, sehr religiös. Und das hat mir
gefallen, die ganze Art offen zu sein und trotzdem den Glauben zu leben. Später habe
ich dann erfahren, er studiert zufällig das gleiche wie Alia und viele Interessen waren
gleich.
In der Ahmadiyya Gemeinde ist man sehr gut vernetzt. In Deutschland gibt es etwa 40tausend Mitglieder.
Die muslimische Glaubensrichtung ist 1880 in Indien entstanden, sieht sich selbst als
Reformbewegung des Islams. Von anderen Muslimen werden Ahmadiyyas aber nicht
anerkannt und sogar verfolgt. Weshalb der Hauptsitz der Gemeinde mittlerweile in London
ist. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist in Hessen als erste muslimische Gemeinde in
Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt worden. Die Gemeinde
gestaltet zum Beispiel auch den Islamunterricht in hessischen Schulen mit.
Khola Hübsch, Alias älteste Schwester, verkuppelt gerne. Bei meinem Besuch tischt sie
ihren drei Töchtern gerade Königsberger Klopse auf.
Atmo
O-Ton: Ich empfinde das nicht als große Verantwortung. Aber es stimmt schon, allein,
dass man den Vorschlag macht. Da muss man schon das Gefühl haben, dass es was
werden könnte. Ich bete dann auch viel für die Paare.
Von einer arrangierten Ehe will sie nicht sprechen, eher von einem arrangierten
Kennenlernen.
O-Ton: Da sind so viele Vorurteile im Spiel. Man verbindet das mit Zwangsehe. Deshalb
versuche ich den Begriff auch zu vermeiden. So schwierig sich zu erklären. Man gilt als
hoffnungslos altmodisch und fundamentalistisch und zurückgeblieben. Aber es ist eben
nicht so.
Sie sieht es mehr als eine Serviceleistung, die Familie wolle eben helfen. Viele andere
Möglichkeiten jemanden kennenzulernen, hat man als Ahmadiyya Mitglied auch nicht. Ein
Discobesuch oder ein Gespräch mit einem fremden Mann in der Uni sind nicht erlaubt. Sex
vor der Ehe ist verboten. Eine oder mehrere Beziehungen vor der Ehe auszuprobieren geht
nicht.
O-Ton: Das ist schon auch ein romantisches Ideal, den einen Partner fürs Leben zu
finden und dem dann auch treu zu sein.
Wenn nicht die Familie nach dem Partner fürs Leben sucht, dann kann das auch die
Gemeinde
übernehmen.
In
Frankfurt
haben
die
Ahmadiyya
ein
„Büro
für
Heiratsangelegenheiten“. Man gibt ein Foto und einen Steckbrief ab. Der Bildungsgrad
spielt eine große Rolle, natürlich auch die Größe, lang zu sein ist ein klassisches
pakistanisches Schönheitsideal. Dann wird auch dort für einen gesucht. Gerade arbeitet die
Ahmadiyya Gemeinde auch an einem Online-Suchportal. „Paarship“ ausschließlich für
Ahmadiyya Muslime. Alia hat hier zwar auch einen Fragebogen abgegeben, vertraute dem
Vorschlag ihrer Schwester dann aber doch etwas mehr, wenn auch nicht sofort.
Sie: Ich fand die Idee, am Anfang habe ich das alles nicht so ernst genommen. Das lag
daran, dass ich auch schon andere Anfragen hatte, von potentiellen Ehepartnern und
musste überlegen, ob die in Frage kommen – potentielle Ehemänner, hört sich jetzt schräg
an, aber ist so.
Er: Es war auch nicht so, dass wir oder meine Familie sich angeboten hat, weil so läuft
das ja eigentlich. Wenn Interesse besteht, hören sich die Familienmitglieder um.
Sie: Und dann machen wir schon, dann kriegen wir jetzt eine Absage. Und die dachten,
kann doch nicht sein, dass die fragen. Und wir haben ja auch über eine andere Frau
gefragt.
Er: Die Sache ist die, ich hatte es gar nicht so auf dem Schirm zu heiraten. Und deshalb
kam der Anruf und ich wusste nicht, wie ich mich entscheiden soll und habe mich dazu
entschieden, erst mal zu beten.
1.05
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Ein Anruf, der Interesse bekundet von Seiten der Familie Hübsch. Ein kurzer Blick auf sie in
der Fernsehsendung. Er googelt sie im Internet und findet ein paar Blogeinträge online. Das
ist alles, was er hat. Und er weiß, dass sie die zweitjüngste Tochter von Hadayatullah
Hübsch ist, ein deutscher Schriftsteller und konvertierter Imam aus Frankfurt. Seine Bücher
hat er gelesen. Um Sicherheit zu gelangen gehen Tahir und Alia ins Gebet. Bis jetzt haben
die beiden noch kein Wort miteinander gesprochen.
In der Nuur Moschee in Frankfurt – Sachsenhausen treffe ich Abdullah Uwe Wagishauser. Er
ist der Vorsitzende der Ahmadiyya Glaubensgemeinschaft in Deutschland und lebt im
Rhein-Main-Gebiet. Er konvertierte Ende der Siebziger Jahre zum Islam. Manche Familien
sagt er, lassen andere für sich beten, um zur Entscheidung zu kommen. Er hält es aber für
besser, wenn man es selbst tut.
O-Ton: Allah, möge die Entscheidung, die man trifft, entweder unterstützen oder halt
sie stoppen, wenn sie nicht gut für einen ist.
Das Istikhara Gebet spricht man vor dem Schlafengehen, allein und in Ruhe. Entweder auf
Arabisch oder in der eigenen Sprache. Abdullah Uwe Wagishauser liest einen Ausschnitt
vor:
O-Ton: Oh Allah, ich ersuche Gutes aus Dir und erbitte mir Kraft. Du hast Wissen und ich
habe kein Wissen. Oh Allah, es liegt in Deinem Wissen, ob diese Sache gut ist. Wenn sie
also gut ist, dann gewähre sie für mich…
Zwei Rakaat betet man, zwei Durchgänge etwa nach dem eigentlichen Abendgebet. In dem
Moment, in dem man niederkniet und die Stirn auf den Boden legt, bringt man sein
Anliegen hervor.
O-Ton: Die intensivste Phase ist die Niederwerfung, dann wirft man sein Herz vor Allah
aus.
Beim Istikhara Gebet dürfe man alles vorbringen, auch welche Schnürsenkel man nehmen
solle. Wirklich nach allem dürfe man fragen. Allah sei einem so nah wie die Halsschlagader,
näher ginge es nicht. Man bitte Gott um ein Zeichen für die richtige Entscheidung.
O-Ton: Die meisten machen den Fehler und erwarten eine Vision. Das muss man aber
nicht haben. Es geht ums das Gefühl was man am nächsten Morgen hat.
Soll ich ihn oder sie heiraten? Ausschlaggebend für die Entscheidung ist das Gebet. Nicht
das, was die Eltern sagen. Nicht die Rahmenbedingungen. Die müssen vorher schon
stimmen. Entscheidend ist das Gebet.
Tahir erinnert sich beim Beten an einen Traum, den er fünf Jahre zuvor hatte, in dem Alias
Vater ihm begegnete.
O-Ton: Ich kann mich gar nicht an das Gesicht erinnern, nur den Vater habe ich
gesehen, den kannte ich ja durch die Bücher, die er geschrieben hat. Er hat mich zu sich
gerufen und hat mir dann gesagt, das ist meine Tochter.
Und auch Alia träumt:
O-Ton: Dann habe ich geträumt, dass ein Vogel in unser Haus geflogen kommt und das
ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Ein weißer Vogel mit blauen Ornamenten auf
dem Federkleid und er hatte so eine Ausstrahlung, so ein Licht, ich habe einfach
gespürt, dass das ein Wesen sein muss, das Gott sehr, sehr nah sein muss.
Beide entscheiden sich füreinander.
Atmo//Kaffeetisch-Atmo
Bei Alia zuhause treffen sich beide mit ihren Familien zum ersten Mal. Es gibt Kakao und
Nusskuchen. Die Familien lernen sich kennen. Natürlich beginnt alles mit Smalltalk, aber es
wird auch abgeklärt, ob es in Ordnung ist, dass Alia vielleicht noch promovieren möchte und
nicht sofort Kinder kriegen will. So werde später niemand enttäuscht. Nicht nur Alia und
Tahir denken über die Entscheidung zu heiraten nach, auch die Familien prüfen, ob sie die
Verbindung eingehen wollen.
Er: Ich muss sagen, also bei dem Treffen; ich konnte mir nicht vorstellen, dass das was ich
erlebt habe, die andere Seite ähnlich oder noch stärker erlebt hat, dass es wirklich so ist.
Das hat mich dann auch noch mal überzeugt.
Sie: Ich habe mir schon überlegt, welche Fragen ich stellen soll. Und Fragenkatalog hört
sich krass an. Aber ich habe ihm einmal eine Frage gestellt, hast Du eigentlich eine
Katzenhaarallergie, da hat er nein gesagt. Aber er mag keine Katzen. Das hat er mir nicht
gesagt.
Er: Als sie mich gefragt hat, wie stehst Du denn zu Katzen, da habe ich gesagt: Lieber eine
gute Frau mit Katze als eine schlechte Frau ohne.
Sie: Wir saßen da glaube ich schon fast eine Stunde alleine und die anderen waren dann
auch so, kamen, was habt ihr denn so lange alleine beredet. Das ist schon nicht normal,
aber das war uns dann egal.
Er: Ich wurde bei dem Treffen dann gefragt, ob wir genügend Sicherheit haben diese
Verbindung einzugehen. Wir hatten genug Sicherheit und haben das dann einfach
beschlossen.
1.42
Alia und Tahir sind ab diesem Zeitpunkt verlobt. Ab jetzt schreiben die beiden sich
regelmäßig Briefe, schicken sich Geschenke. Er lebt weiter bei Kiel und studiert zu Ende. Sie
wohnt weiterhin bei ihrer Familie in Frankfurt. Ein Jahr später, sehen sich die beiden wieder,
bei ihrer standesamtlichen Hochzeit im Frankfurter Römer. Nur die Familien sind dabei,
danach gehen sie essen. Alia und Tahir dürfen sich im Restaurant kurz zurück ziehen und
alleine miteinander sprechen. Zusammen unter einem Dach zu schlafen ist immer noch
undenkbar. Für die beiden aber eine Selbstverständlichkeit. Sex vor der Ehe hätten sich die
beiden gar nicht vorstellen können.
Er: Das ständige Ausprobieren ja, dass ich schon früh damit anfange und dass ich so viel
ausprobiere bis ich heirate, dann möchte ich doch einfach eine Steigerung. Das kann ein
Mensch doch nicht. Wenn man es nur wegen dem Genuss tut, das kann nicht glücklich
machen. Wenn man glaubt, dass man dadurch zufrieden und glücklich wird, das ist nicht
so.
Sie: Auch bei mir in der Klasse ist es dann oft so gewesen, dass man dann halt gefragt
wurde, na, willst Du auch einen Freund haben, hattest Du schon einen Freund? Wie ist das
denn? Das kommt immer auf. Das ist normal. Das liegt auch in der Natur. Aber dass man
dann auch das Selbstbewusstsein hat zu sagen, nein, ich hab keinen Freund und ich will
auch keinen!
Er: Es wird zu viel hineinprojiziert in einen Akt, der dazu gedacht ist, dass man immer
stärker eine Einheit wird. Ich glaube, es wird zu viel erwartet und es gibt einen Punkt bei
der Art von Lust, dass der Mensch während er eine Lust befriedigt, schon eine nächste
befriedigen will.
Sie: Man geht diesen Weg ja nicht einfach so. Entweder man hört von anderen, warum es
sich lohnt oder macht selbst Gotteserfahrungen. Und das ist halt, was einem auch die
Kraft gibt.
Er: Ich glaube es ist ein Vorteil. Man geht mit sehr wenig Gepäck in eine Verbindung. Man
macht sich frei von falschen Gefühlen oder Ängsten, die hat man dann nicht.
1.53
Nach der standesamtlichen Trauung sehen sich die beiden erst in der Moschee wieder bei
ihrer Nikah. Hier unterschreiben beide den Ehevertrag und sind ab diesem Zeitpunkt nach
muslimischem Recht, nach der Scharia, verheiratet. Der Braut steht eine Morgengabe zu, in
der Regel sechs bis sieben Monatsgehälter des Mannes, das Geld muss aber nicht sofort
ausgezahlt werden.
Danach feiert zunächst die Braut alleine mit ihren Freundinnen und Schwestern, beim
Henna-Fest. Wer möchte, bemalt seine Hände und Füße mit Henna-Farbe, ein indischer
Brauch.
Die eigentliche erste große Hochzeitsfeier ist die Rukhsati. Sie wird von der Familie der
Braut ausgerichtet.
Atmo: Gesang und Geleit in die Halle
Alia trägt ein weißes Brautkleid. Sie fühlt sich als halbe Hessin und halbe Inderin. Und
heimlich ist sie ein riesiger Fan von westlichen royalen Hochzeiten, besonders die von Kate
und William hat ihr gefallen.
O-Ton: Ich fand es so schön, als ich das gesehen habe. War irgendwie so ein
Mädchenwunsch. Warum nicht? Habe mir gedacht, sieht doch schön aus.
Auf einem hessischen Schloss zu heiraten war ihr Plan, leider aber nicht umsetzbar, weil es
mit dem indischen Caterer dort schwierig geworden wäre…nun ist es eine größere Halle
eines indischen Restaurants in Frankfurt. 150 Gäste sind geladen. Alias kleine Nichten
tragen alle hübsche, weiße Kleider mit Spitze und Blumenbänder in den schwarzen Haaren.
Sie streuen Blumen während Alia von ihren Schwestern in die Halle geleitet wird. „All in
white“ ist das Motto der Hochzeitsfeier, nicht alle, aber die meisten der Frauen tragen
weiße Kleider. Hier feiern nämlich nur die weiblichen Hochzeitsgäste. Die Männer feiern in
einem anderen Raum. Nur der Vorsitzende der Gemeinde, Abdullah Uwe Wagishauser ist
kurz hier um aus dem Koran zu rezitieren.
O-Ton: Wie immer beginnen wir mit einer kurzen Rezitation aus dem Koran, damit
beginne ich jetzt….
//51 sec
Diejenigen, welche sprechen: Unser Herr, gewähre uns an unseren Frauen und Kindern
Augentrost, und mache uns zu einem Vorbild für die Rechtschaffenen; Sie alle werden
belohnt werden mit der höchsten Stätte im Paradies, weil sie standhaft waren, und Gruß
und Frieden, werden sie dort empfangen…
Die gläubigen Ehepartner sollen demütig, reuig und wahrhaftig sein.
Alia sitzt auf der Bühne auf einem weißen Sofa. Der Hintergrund ist mit weißen Schaals
geschmückt, links und rechts stehen riesige Kerzenleuchter. Alles glitzert und ist liebevoll
dekoriert. Neben ihr sitzt eine ihrer Schwestern, reicht ihr ein Glas Fanta mit Strohhalm. Sie
nippt. Alkohol gibt es keinen. Etwas unwohl fühlt sich Alia schon so im Mittelpunkt. Sie
achtet darauf gerade zu sitzen, richtet sich immer wieder auf. Getanzt wird nicht, im Sitzen
bewegen sich die Frauen zu Trommeln…
Getrommel, Stimmung //22 sec
Der Höhepunkt des Abends ist ein Gedicht, das Alias Schwester Khola für sie vorträgt. Es ist
etwas ganz Besonderes. Der Vater, Hadayatullah Hübsch, der sonst für jede Hochzeit in der
Familie ein Gedicht schrieb, ist vor fünf Jahren gestorben. In einem Wäschekorb auf dem
Dachboden fand die Familie aber ein Gedicht mit dem Titel „Alia“. Khola hat es für die
Hochzeit zu Ende geschrieben.
O-Ton: Wir haben ein Gedicht gefunden, das war datiert auf 2008. Auch wenn es kein
klassisches Hochzeitsgedicht ist, lese ich es Euch vor….Du bist gerade 18 geworden,
hast nicht geschlafen, vielleicht hast Du ein Gedicht geschrieben zwischen Mitternacht
und Morgengrauen….
Khola singt// 1.30
Nach dem Essen verlassen die meisten Gäste die Feier und es bleiben nur noch die engsten
Familienmitglieder. Jetzt kommt Alias Mann, Tahir, zu ihr auf die Bühne. Tanten und
Schwestern dürfen jetzt einen Blick auf den frischgebackenen Ehemann werfen. Danach
verlässt Alia mit ihm die Feier, die Stadt, und ihre Familie. Sie fährt mit ihm nach Kiel, noch
am selben Abend. Der Abschied vorm Auto fällt keinem in der Familie leicht. Viele Tränen
fließen.
Zwei Tage später sehen sich aber schon alle wieder auf der Walima, der indischen
Hochzeitsfeier, die von der Familie des Mannes in Kiel ausgerichtet wird. Dabei trägt Alia
ein traditionelles indisches Kleid in Rot. Damit ist der Hochzeitsmarathon beendet. Für Alia
und Tahir beginnt das gemeinsame Leben. Dass das schief gehen könnte, glauben beide
nicht. Unmöglich wäre eine Scheidung aber nicht.
Sie: Warum ist denn im Islam die Scheidung erlaubt? Die ist ja nicht ohne Grund erlaubt.
Sie ist eben erlaubt, weil es Fälle geben kann, wo die Frau halt unzufrieden ist oder auch
der Mann und wo die ungerecht behandelt werden und das einfach nötig ist.
Er: Scheidung ist immer eine Option. Aber was wir aber wissen ist, dass wir auch daran
arbeiten müssen. Das kommt ja nicht von selbst. Liebe muss nicht nur im Herzen sein,
sondern auch Ausdruck haben. Solange dass da ist, solange Kommunikation da ist,
solange gibt es auch keine Probleme.
Sie: Ich habe diesen Gedanken gar nicht. Für mich ist es so, dass ich sage, es ist für die
Ewigkeit. Weil ich weiß, wir wollen einfach immer bei Gott bleiben und wenn er bei Gott
bleibt, bleibt er auch bei mir.
Er: Eine Sache, die uns vor Enttäuschung bewahrt, dass wir beide alle unsere
Erwartungen an Gott richten. Und ihn als Quelle ansehen für Glück und alles was wir uns
wünschen in der Partnerschaft.
Sie: Ich glaube, es wäre schon schlimm für meine Mutter. Aber sie würde es schon
verkraften, wenn sie wüsste, dass Gott auf meiner Seite ist und ich mir zu hundert
Prozent sicher bin.
1.18
In der Ahmadiyya Gemeinde sind Scheidungen selten, aber es gibt welche. Auf die 40tausend Mitglieder kommen etwa fünfzehn bis achtzehn Scheidungen im Jahr. Die meisten
Geschiedenen würden wieder heiraten. Der Islam habe damit überhaupt kein Problem.
Allerdings gebe es Ängste, vor allem bei den Älteren, dass keiner für die Frau nach der
Scheidung sorge. Alia sagt, das habe rein gar nichts mit dem Islam zu tun, wenn dann mit
der Kultur der pakistanischen Dörfer, aus denen manche Gemeindemitglieder kommen.
O-Ton: Man muss halt mal dahinter kommen, dass viele Ängste dahinter stecken, die
die ältere Generation hat. Die meisten kommen aus Pakistan, Indien. Dort hat die Frau
keine besondere Stellung und ist immer abhängig vom Mann und erfährt dort erst den
Schutz.
Deshalb findet sie es wichtig, dass auch die Älteren viel raus gehen, und versuchen die
Jüngeren zu verstehen. Den Versuch die „arrangierte Ehe“ zu verstehen, wünscht sie sich
auch von Anders-Gläubigen. Den Vorwurf von den Eltern manipuliert worden zu sein, zur
„arrangierten Ehe“ gezwungen worden zu sein, schmettert sie ab.
O-Ton: Solange man nicht die eigene Sicherheit hat im Glauben, kann man das auch
niemals überzeugend nach außen tragen. Das kann auch nie in der Familie gut gehen.
Deshalb glaube ich ist die Indoktrinierung der Älteren auf die Jüngeren gar nicht
möglich. Das glaube ich nicht.
Tahir ist leicht genervt von der Frage. Selbst beim Computerkauf lasse man sich von
Freunden und Familie beraten, warum nicht beim Ehepartner? Und eine reine rationale
Entscheidung sei eine arrangierte Ehe ganz sicher auch nicht.
O-Ton: Man entscheidet auf Basis verschiedener Informationen, das Rationale ist dabei
und dann hat man, man könnte sagen, Spiritualität ja.
Diese Spiritualität, der so starke Glauben, sei eben für viele schwer zu verstehen. Die Liebe
zu Gott könne man aber auch nur schwer erklären. Probleme in muslimischen Ehen gebe es
genau so wie in christlichen oder jüdischen. Allerdings sei es für viele sehr Gläubige
schwierig Hilfe bei Beratungsstellen zu finden, sagt Abdullah Uwe Wagishauser.
O-Ton: Wir haben oft die Situation, dass wenn man in andere Institutionen geht, die
sind irritiert von der Religiosität. Die halten das für ein Krankheitsbild.
Deshalb will die Ahmadiyya Gemeinde eigene Beratungsstellen aufbauen mit studiertem
Fachpersonal. Vielleicht auch eine Reaktion auf das Familiendrama in einer Ahmadiyya
Gemeinde in Darmstadt. Dort hatte ein Vater seine Tochter erwürgt, weil die Familie mit
ihrem Freund nicht einverstanden war. Ein Schock für die Gemeinde. Eine gläubige Familie
hätte so etwas niemals getan, Alias Meinung.
Generell gilt in der Ahmadiyya Gemeinde: Niemand darf zu einer arrangierten Ehe
gezwungen werden. Der Imam prüfe vor jeder Hochzeit im Gespräch, ob Frau und Mann die
Verbindung freiwillig eingehen. Eine Heirat mit einem Andersgläubigen sei kein Problem,
wenn er formell zum Ahmadiyya Glauben konvertiere. Die Partnerwahl sei eben stark
geprägt vom Glauben, weil die Spiritualität, der Islam, sonst nur schwer gelebt werden
könne, wenn der Partner nicht glaubt. Morgens um fünf Uhr aufstehen um zu beten, das
gehe einfach leichter, wenn der Partner mitmacht.
Alia und Tahir leben nun nach der Hochzeit zusammen in Berlin. Er will dort ein
journalistisches Volontariat beginnen. Sie schreibt gerade noch ihre Masterarbeit zu Ende.
Sie wohnen jetzt seit ein paar Wochen in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung, den ersten kleinen
Streit gab es.
O-Ton: Beim Bilder aufhängen hatten wir unterschiedliche Verständnisse von
symmetrisch…nach und nach wird einem klar, dass man nicht nur Gemeinsamkeiten
hat, sondern auch unterschiedliche Denkweisen.
Die beiden lernen sich jetzt richtig kennen. Sie lernt kochen. Heute gibt es Fischstäbchen
und Daal, eine indische Bohnenspezialität. Sie stehen gemeinsam in der Küche. Sie loten
aus, wer bringt den Müll runter, wer putzt das Bad.
Sie stellen ihre Beziehung dabei aber nie in Frage, weil sie glauben, dass sie gottgewollt ist
und sich dessen ganz sicher sind. Verlobt, verheiratet und jetzt erst verliebt? Das würden
Alia und Tahir nicht sagen.
O-Ton: Damals als ich die Träume hatte, vor allem der mit dem Vogel, da war es direkt
so, ich hatte das Gefühl Gott legt Liebe für ihn in mein Herz.
O-Ton: Ich würde sagen, das erste Gespräch war so für mich der Auslöser.
Sie wirken beide glücklich. Mit einem Augenzwinkern sagen sie, die Ehe bereite schon viel
Freude!