Predigt Im Gedenken Als Jesus in Bethanien war, in dem Hause Simons des Aussätzigen, kam, als er zu Tische lag, eine Frau, die ein Alabasterfläschchen mit Salböl von echter, kostbarer Narde hatte; sie zerbrach das Fläschchen und goss es aus auf sein Haupt. Es waren aber einige bei sich selbst unwillig: Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen? Denn dieses Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben werden können. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie! Was macht ihr ihr Mühe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan, denn die Armen habt ihr allzeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt. Aber wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch von dem, was sie getan hat, geredet werden zu ihrem Gedenken. Markus 14, 3-9 2015 ist ein Jahr, in dem viele Gedenkanlässe stattfinden. Im August waren Walter und ich für eine Woche zur Kur am Ägerisee. Der See liegt im Kanton Zug an der Grenze zum Kanton Schwyz. ‚700 Jahre Morgarten‘ stand auf Fahnen und Transparenten an Strassen, Häusern und Scheunen. Denn vor 700 Jahren, im Jahr 1315, fand auf der Grenze zwischen den Kantonen Schwyz und Zug eine Schlacht statt, bei der die Eidgenossen die stärkeren Habsburger besiegten. Im Gedenken an diese heldenhafte Tat wurde auch ein Freilufttheater aufgeführt. Doch schon beim Planen des Gedenkens entstand heftiger Streit. Wie soll man dieser Schlacht gedenken? Was soll erwähnt werden und warum? Was ist 1315 genau geschehen und was ist nachher dazu gedichtet worden? Eine anderer Streitpunkt war: Gehört das Gedenken in erster Linie den Zugern oder den Schwyzern? Nicht umsonst hiess darum der Titel des Theaters: „Morgarten – Der Streit geht weiter“. 1315 wurde gekämpft und 2015 beim Gedenken wurde ebenfalls gestritten. Darum: Welche Tat ist ein Gedenken wert und warum? Um diese Frage dreht sich der heutige Bibeltext. Markus, der Evangelist, schreibt, an welche Tat in Zukunft immer wieder gedacht werden soll. Ich zitiere: „Wo das Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, wird auch von dem, was die Frau getan hat, geredet werden zu ihrem Gedenken.“ Diese Frau, von der hier die Rede ist, ist also ein Gedenken wert – nicht nur alle 50 oder 100 Jahre, sondern immer wieder und in der ganzen Welt. Wo das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus, erwähnt wird, soll von dem geredet werden, was sie getan hat. Wer ist diese Frau? Im Markus Evangelium trägt sie keinen Namen. Die Frau aber hat den Rabbi Jesus gekannt. Sie hat die Dankbarkeit der Menschen gesehen, die an Leib und Seele geheilt wurden. Doch weil sie nahe von Jerusalem lebt, hört sie auch, dass einflussreiche Männer Jesus töten wollen. Die Frau spürt ganz deutlich, dass etwas Gefährliches, Grauenhaftes, ja Tödliches in der Luft liegt. Kennen wir nicht auch solche schlechten Gefühle, solch böses Ahnen? Wir sehen die Bilder von Flüchtlingen, ertrunken im Meer, oder von Flüchtlingen, die verzweifelt durch den Balkan irren. Wenn wir dann hören, wie reiche Länder um diese heimatlosen Menschen feilschen: Wer nimmt 1000, wer nimmt mehr? Dann spüren wir: Da läuft etwas falsch. Menschenleben, Menschenseelen werden wie Ware behandelt und nach Aufwand und Kosten verrechnet. Wir atmen auf, wenn wir hören und sehen, dass in manchen Ländern Menschen bereit sind unbürokratisch zu helfen. Was tun, wenn Not und Leid deutlich zu spüren sind? Der Evangelist Markus schreibt: „Denkt in Zeiten, in denen ihr überfordert sind, an diese Frau!“ Er ermahnt uns: Redet von dem, was sie in schwieriger Zeit getan hat! Verkündigt es in der ganzen Welt zu ihrem Gedenken! Denn auch wir Christen brauchen Vorbilder, brauchen „Heldinnen“. Ihrer sollten wir gedenken, um Kraft zu tanken und Anleitung zum rechten Tun zu finden. Markus schreibt: „Wo das Evangelium verkündet wird, in der ganzen Welt, wird auch von dem, was diese Frau getan hat, geredet werden zu ihrem Gedenken.“ Die Tat dieser Frau soll unauflösbar mit der frohen Botschaft verbunden und uns Vorbild sein. Worin bestand die Tat? Was hat die Frau getan, dass unauflösbar an sie gedacht wird auf der ganzen Welt? Hat sie gekämpft? Hat sie ihr Leben gelassen für eine gute Sache, z.B. für das Evangelium? Nein, die Frau holt nur das kleine durchschimmernde Alabasterfläschchen hervor. Darin ist ihr kostbarster Schatz, ein Nardenöl. Sie zerbricht das Fläschchen und giesst es aus auf Jesu Haupt. Nardenöl ist ein aus Indien importiertes und für Palästina sehr teures Öl. Denn die Nardenpflanze, aus deren Wurzel das Öl hergestellt wird, wächst nur im Himalajagebiet. Doch was heisst hier „sehr teuer“? Markus schreibt, das Nardenöl sei 300 Denare wert gewesen. 300 Denare sind der Jahreslohn eines Arbeiters. Für uns als Möglichkeit zum Vergleichen gerechnet: Nehmen wir an, ein Arbeiter verdiene 5000.- Franken im Monat, so wäre sein Jahresgehalt 60000.- Franken. Somit ist das Nardenöl etwa 60000.- Franken wert. Verstehen wir jetzt die grosse Empörung der Leute besser? Markus schreibt: „Es waren aber einige bei sich selbst unwillig: Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen?“ Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen? Salböl wird doch nur tröpfchenweise, z.B. auf eine schlecht heilende Wunde, geträufelt. Tröpfchenweise, aber doch nicht mit einem „Gutsch“! Denn Öl ist eine kostbare Medizin. Diese gilt es gezielt und sparsam zu verwenden. Das Nardenöl, das vor allem bei der Behandlung der nervenkranken, der depressiven, der unruhigen und schreienden Menschen eingesetzt wird, hat einen sehr hohen Wert. Markus schreibt hier allerdings nicht einfach von Öl, sondern von Salböl. Das weist darauf hin, dass mit Öl auch Menschen gesalbt werden. Zur Salbung wird aber meist Olivenöl und nicht das edle, teure Nardenöl verwendet. Einen Menschen salben, war ein bedeutungsvolles Zeichen. Wurde ein israelitischer König gesalbt, bedeutete dies, dass der Betreffende nun von Gott ganz in Anspruch genommen wird. Ebenso konnte ein Gastgeber bei festlichen Anlässen seine geschätzten Gäste salben, indem er Öl auf ihren Kopf träufelte. Im Psalm 23 lobt David Gott für seine Güte und dichtet: „Du Gott, salbst mein Haupt mit Öl und schenkst voll ein in meinen Becher.“ Damit bezeugt David: Du Gott, bist ein herrlicher Gastgeber, der alles für seine Gäste tut, auch für mich. „Du Gott, salbst mein Haupt mit Öl und schenkst voll ein in meinen Becher. Ich lobe dich!“ Im Haus der Frau aber sind die Leute empört. Denn auch wenn die Frau ihren Gast, diesen Jesus, schätzen mag, ein Tropfen Nardenöl wäre mehr als genug gewesen! Die Leute sind wütend: Wozu ist diese Verschwendung des Salböls geschehen? Jesus aber entgegnet: „Lasst die Frau! Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Was meint Jesus damit: Sie hat ein gutes Werk an mir getan? Der ganze Raum duftet. Ein betörender, wohlriechender Duft durchzieht das Haus, intensiver als in einem Tempel, berauschender als am Königshof. Wozu hat die Frau dies getan? Was wollte sie damit sagen? Vielleicht: Jesus ist der Messias. Das Wort Messias heisst übersetzt „der Gesalbte“. Die Salbung eines Königs bedeutete, dass der Geist Gottes auf ihn kommt. Will die Frau sagen: Der Mensch, hier in meinem Haus, ist der König meines Lebens. Er ist von Gott gesandt. Der Geist Gottes ist in ihm? Die Salbung ist Zeichen der Ehrfurcht dieser Frau. Ihre Ehrfurcht, Dankbarkeit und Freude sind so unermesslich, dass sie alles geben, alles Jesus geben will. Nicht tröpfchenweise möchte sie den Messias salben, sondern mit allem, was sie hat, mit ihrem ganzen Sein. Doch Jesus erwähnt noch einen andern Sinn der Salbung: Er sagt: „Die Frau hat getan, was sie konnte; sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt.“ Jesus spricht in diesen wunderbar duftenden Raum hinein von seinem Tod. Jesus redet in der aggressiven Atmosphäre von seinem Begräbnis. In den Evangelien erfahren wir, dass Jesus nach seinem Tod am Kreuz rasch begraben wurde, da der Sabbat mit dem Verbot aller Tätigkeiten nahte. Ohne rituelle Waschung und Einbalsamierung, also ohne Salbung, wurde Jesus in das von einem Fremden offerierte Grab gelegt. „Sie hat im Voraus meinen Leib zum Begräbnis gesalbt.“ Die Frau wird beschimpft. Sie hat für die liebevolle Tat des Abschieds und der Trauer scheinbar den falschen Moment gewählt – und doch war es der richtige Zeitpunkt! Für Liebe und Erbarmen ist die Gegenwart, das Jetzt, immer der rechte Moment – auch wenn der Moment unpassend scheint! Ich würde mich freuen, wenn ihr folgende Gedanken mit nach Hause nehmen könntet: Erstens: Die Frau hat spontan gehandelt, obwohl sie letztlich gegen Jesu Leiden nichts ausrichten konnte. Die Ohnmacht war gross, doch das Erbarmen grösser. Nicht wegen der Erfolgsaussichten, sondern aus Erbarmen schritt sie zur Tat. Das gilt auch für uns. Wenn wir das Leid im Grossen oder im Kleinen nicht ändern können, soll Erbarmen uns doch zur Tat führen. Wir dürfen absichtslos gut sein und zwar zu dem besonders, der es am meisten braucht. Zweitens: Die Frau hat Jesu skandalösen Tod nicht verhindert. Sie hat sich nur Ärger und Vorwürfe eingehandelt. Doch Jesus nimmt sie in Schutz und sagt: „Lasst sie! Was macht ihr der Frau Mühe?“ Griechisch heisst „Mühe“ kopos, das bedeutet auf heute übertragen: „Macht sie nicht fertig“! – mit eurem Besserwissen. Vorwürfe sind schnell zur Hand. Die Leute sagten: „Dieses Salböl hätte für mehr als dreihundert Denare verkauft und der Erlös den Armen gegeben werden können.“ Mit frommen Sprüchen eingedeckt werden - so kann es einem ergehen, wenn man aus Liebe handelt! Vielleicht war es falsch, was die Frau getan hat. Sie hätte z.B. Jesus mit einem Viertel des Öls salben und das restliche Öl verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Im Nachhinein macht man sich oft Gedanken, wie man es besser hätte machen können. Vielleicht kommt man gar zum Schluss: Am besten mache ich gar nichts mehr, dann mache ich nichts falsch und werde nicht mit Vorwürfen belastet! Die Frau jedoch lehrt uns: Handelt aus der Liebe heraus und lasst euch nicht durch Vorhaltungen, auch nicht durch fromme Einwände, davon abhalten! Handelt, gebt, schenkt – auch wenn die Ergebnislosigkeit der Güte in dieser Welt offensichtlich scheint. Drittens: Die Frau leert das Alabasterfläschchen und verschenkt die ganze Fülle des wertvollen Öls. Das Leben aus der Fülle heraus, ist unserem heutigen Denken entgegengesetzt. Im reichen Westen wird mehr über die Knappheit gejammert als sich über die Fülle gefreut. Wir reden von den knappen Rohstoffen und von den knappen finanziellen Mitteln in der Wirtschaft. Wir beklagen unsere knappe Zeit. Wir reden vom knappen Raum in der Schweiz - dabei lebt in einem Haus oft nur eine Person und im Auto ist nur ein Platz besetzt! Wie ist es in der Kirche? Beklagen nicht auch wir die Knappheit? Wir sorgen uns wegen der knappen finanziellen Mittel. Wir reden vom Mangel an Pfarrpersonen. Wir stöhnen, weil die Mitarbeitenden wenig Zeit für einen Dienst aufbringen können. Wir beklagen, dass immer weniger Menschen in die Kirche kommen. Knappheit überall - knapp die Finanzen, knapp die Pfarrer, knapp die Zeit, knapp die freiwilligen Mitarbeiter, knapp die Musiker, knapp der Besuch der Gottesdienste. Nicht verwunderlich, dass es einem vor so viel Knappheit eng ums Herz wird! Doch nun zwei Beispiele, wie wir von der Fülle reden können: Warum sich nicht über die jungen und älteren Leute freuen, die sich mit Musik und andern Diensten in der Gemeinde einbringen? Danke Gott, für alle, die bereit sind, dir und der Gemeinde zu dienen. Das zweite Beispiel: Warum sich über Gebresten und Krankheit im Alter beklagen und nicht dankbar an die vielen guten Tage unsres Lebens denken - dankbar für die Fülle, die Gott in jedes Leben legt? Denn Jesus verkündigt nicht die Knappheit. Er schenkt die Fülle. Der Evangelist Johannes bringt es auf den Punkt, wenn er aufschrieb, was Jesus sagte: „Ich bin gekommen, um den Menschen Leben zu geben, Leben im Überfluss.“ (Johannes 10, 10b) Jesus gibt dir und mir und auch der Gemeinde Leben in Fülle, Leben im Überfluss. Nicht alles um uns herum ist einfach knapp, oft ist bloss unser Herz eng! Wir haben Angst, zu kurz zu kommen. Das tiefe Vertrauen in Gottes Fülle und seine Fürsorge fehlen. Aus dieser unserer Angst ziehen nicht Wenige einen Vorteil - für sich persönlich oder für ihre Gruppe, Religion oder Partei. Sie erwirtschaften sich aus unserer Angst vor Verlust und Knappheit einen Profit – so die Wirtschaft, die Politik und oft auch die Kirche. Argumente der Angst vor Knappheit sind z.B.: Gebt den Sozialbezügern, gebt den Behinderten nicht mehr, sonst kommt ihr selbst zu kurz! Lasst nicht so viele Flüchtlinge ins Land, sonst werden wir überschwemmt und schweizerische Kultur und Christentum drohen unterzugehen! Welch kleinliche Angst, Flüchtlinge würden unsre Lebensfreude und den Sinn unsres Lebens beeinträchtigen! Ist es nicht zutiefst menschlich und Jesus gemäss, Erbarmen zu zeigen und zu helfen? Gott ist kein Gott der Knappheit, sondern der Fülle; kein Gott der Angst, sondern des Vertrauens. Im Johannes Evangelium lesen wir: „Aus seiner reichen Fülle hat Gott uns beschenkt, uns alle mit grenzenloser Gnade und Güte überschüttet.“ (Johannes 1,10) An Jesus glauben heisst, auf seine täglich neue Fülle zu vertrauen. Dies lehrt uns die Frau, die alles Nardenöl für Jesus ausschüttete: Wer mit Jesus lebt, lebt aus der Fülle. Sein Herz ist nicht eng und ängstlich, sondern weit und vertrauensvoll. Darum - erinnert euch in der ganzen Welt an diese Frau! Errichtet ihr in euren Herzen einen Gedenkstein! 6. September 2015 Rahel Arn
© Copyright 2024 ExpyDoc