Noch immer wohnt die Familie des Verurteilten im schönen Schloss

Thema
Erb-Prozess
Der Landbote
Donnerstag, 17. September 2015
Noch immer wohnt die Familie
des Verurteilten im schönen Schloss
Erb-PlEitE Das Bundesgericht hat zwar entschieden, dass
Rolf Erb nun für sieben Jahre ins Gefängnis muss. Ob er und
seine Familie auch das Schloss Eugensberg, das Zentrum Töss
und weitere Liegenschaften verlieren, ist damit noch nicht klar.
Das Urteil des Bundesgerichts
gegen Rolf Erb ist eindeutig: sieben Jahre unbedingte Haft. Dass
Erb in nächster Zeit eine Gefängniszelle von innen sieht, ist damit
allerdings noch nicht gesagt. Fest
stehen dürfte, dass gestern noch
keine Polizisten auf Schloss
Eugensberg vorfuhren. Rebecca
de Silva, Sprecherin des Amts für
Justizvollzug, darf sich zwar zum
Einzelfall nicht äussern. Eine sofortige Sicherheitshaft aufgrund
von Fluchtgefahr werde vom Gericht aber nur «in den allerseltensten Fällen» angeordnet. Hätte Fluchtgefahr bestanden, hätte
man die Person schon während
des Prozesses in Haft nehmen
müssen. Erb hingegen musste bisher lediglich seinen Pass abgeben
und blieb mit seiner Familie im
prunkvollen Schloss wohnen.
Klinik statt Knast?
Weder Erbs Pflichtverteidiger
noch der im Obergerichtsfall federführende Starverteidiger Lorenz Erni wollten sich gestern vor
den Medien äussern. Es ist davon
auszugehen, dass Erbs Juristen
versuchen werden, den Gesundheitszustand ihres 64-jährigen
Mandanten in die Waagschale zu
werfen. Das Verbüssen einer Strafe lasse sich in der Praxis dennoch
nur in Ausnahmefällen aufschieben, sagt de Silva. «In der Praxis
kommt eine sogenannte Hafterstehungsunfähigkeit nicht vor, da
eine Strafe auch in einem angepassten Setting, zum Beispiel in
einer psychiatrischen Klinik oder
einem Pflegeheim vollzogen werden kann.»
Klinik statt Knast? Für den ungeständigen Verurteilten durchaus möglich. Und selbst wenn Rolf
Erb ins Gefängnis muss, sieht das
Gesetz für Wirtschaftskriminelle
grundsätzlich einen offenen Strafvollzug vor. Dort gibt es keine Gefängnismauern, dafür Beschäftigungsangebote und erweiterte
Urlaubs- und Ausgangsregeln.
Der Vertreter der Gläubiger,
der Frauenfelder Rechtsanwalt
Matthias Hotz, bezeichnet den
Bundesgerichtsentscheid
als
«wichtigen und wertvollen
Schritt für die Gläubiger». Doch
habe sich damit die Situation für
die Gläubiger noch nicht gross
verändert, weil nach wie vor zwei
weitere Beschwerden vor Bun-
Dezember 2010: Die Staatsanwältin Susanne Leu klagt Rolf
Erb, nicht aber Bruder Christian,
unter anderem wegen Betrugs
an. Voran gingen Jahre der Ermittlungen und Verzögerungen.
«Das Bundesgerichtsurteil ist ein wichtiger
und wertvoller Schritt
für die Gläubiger.»
Januar/Februar 2012: Vor dem
Winterthurer Bezirksgericht bestreitet Erb jede Schuld. Er geht
auf Konfrontationskurs, stellt
Verschiebungsanträge und
fordert ein
neues Gutachten sowie die
Absetzung der
Pflichtanwälte.
Als das Gericht
dies ablehnt,
verweigert er
die Aussage. Die Staatsanwältin
fordert zehn Jahre Haft.
Matthias Hotz, Rechtsanwalt
und Vertreter der Gläubiger
Aktienpakete sowie die Familienvilla der Erbs am Wolfensberg.
Diese ist zwar unbewohnt, muss
aber laufend unterhalten werden,
damit sie ihren Wert behält. Dies
werde auch regelmässig kontrolliert, sagt Rechtsanwalt Hotz. Zu
den Gläubigern, die er vertritt, gehören die Stadt Winterthur und
der Kanton Zürich, die Steuerschulden Erbs geltend machen.
Das Bundesgericht hat das
Urteil des Zürcher Obergerichts
im Fall Erb bestätigt. Geht der
letzte Kon­
zernchef Rolf
Erb nun tat­
sächlich ins
Gefängnis?
Peter Cosandey:
Das Urteil ist
grundsätzlich
rechtskräftig. Das heisst, Rolf Erb
muss die Strafe antreten. In
nächster Zeit wird er ein Aufgebot
vom Amt für Justizvollzug bekommen, in dem er aufgefordert
wird, sich in Haft zu begeben. Er
hat praktisch keine Möglichkeiten mehr, sich dem zu entziehen.
Wie könnte Rolf Erb der Haft­
strafe dennoch entgehen?
Er hat zwei Möglichkeiten: Er
könnte flüchten. Oder er könnte
geltend machen, dass er nicht
hafterstehungsfähig ist. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird er
das versuchen. Er wird wohl mit
privaten Arztzeugnissen beweisen wollen, dass er gesundheitlich
angeschlagen ist und die Haft deshalb nicht antreten kann. Das
wird allerdings kaum reichen.
Laut der Strafprozessordnung
kann aber ein Amtsarzt für die
gesundheitliche Untersuchung
aufgeboten werden.
Rolf Erb musste den Pass abge­
ben wegen Fluchtgefahr. Könn­
te diese immer noch bestehen?
Theoretisch schon. Er muss sie-
1995: Erbs zählen mit geschätzten zwei Milliarden Franken
Vermögen zu den reichsten
Familien im Land. Das Geld
stammt aus einem Imperium
von Immobilien, Auto-, Bauund Handelsfirmen, hervorgegangen aus einer Autowerkstatt
in Töss.
Ende 2003: Der Kollaps von
Erbs Firmenimperium erfolgt,
von aussen gesehen, sehr
schnell. Im Oktober tritt Sanierer Hans Ziegler an, gut zwei
Monate später gibt er bekannt,
dass die Firma am Ende ist. Die
Schulden gehen in die Milliarden. Vater Hugo Erb stirbt.
März 2012: Das Bezirksgericht
befindet Erb für schuldig und
verurteilt ihn zu einer achtjährigen Haftstrafe. In einem zweiten Urteil sprechen die Richter
der Familie alle Vermögenswerte ab, darunter Schloss Eugensberg, auf dem Erb heute noch
lebt. Beide Parteien legen Berufung ein.
März 2013: Die Fortsetzung
verschiebt sich wegen Schwangerschaftskomplikationen der
Staatsanwältin.
Das Schloss Eugensberg mitsamt zwei Rolls-Royce: Wie lange Erbs noch dort leben dürfen, ist offen. Noch sind
laut dem Gläubigeranwalt Matthias Hotz (M. l.) weitere Beschwerden pendent. Die Anklage von Staatsanwältin
Susanne Leu hatte Bestand. Rolf Erb und seine Anwälte (u. mit Lorenz Erni) äusserten sich gestern nicht. pd/hd/mad
«Im Fall Erb ist immer etwas gelaufen»
WirtschaftsdEliktE Der
ehemalige Staatsanwalt und
Experte für Wirtschaftsdelikte Peter Cosandey sagt, das
Bundesgerichtsurteil im Fall
Erb sei auch ein Lob an die
Strafverfolgungsbehörden.
ChROnik
1998–2002: Die Familie Erb verliert bei der Concordia Bau und
Boden AG im Osten Deutschlands hohe Summen aufgrund
von Verpflichtungen und Patronatsvereinbarungen. Die CBB
ist ein Sanierungsfall.
desgericht hängig seien: jene der
Partnerin und der Zwillingssöhne
von Rolf Erb, die im Schloss Eugensberg wohnen, und jene von
Rolfs Bruder Christian Erb. «Diese Verfahren liegen für mich als
Gläubigervertreter im Fokus»,
sagt Hotz. Denn mit diesen beiden
Beschwerden kämpfen die Familienmitglieder darum, die auf sie
überschriebenen Vermögenswerte für sich zu sichern. Neben dem
Schloss Eugensberg sind das
unter anderem die Schlosshof Immobilien AG (wozu das Zentrum
Töss und mehrere Mehrfamilienhäuser gehören), eine Sammlung
kostbarer Oldtimer-Autos, eine
Liegenschaft in Rüdlingen, einige
Die Hoffnung der Tössemer
Freude herrscht bei Rosemarie
Peter, Präsidentin des Quartiervereins Töss-Dorf. Das 1970 eröffnete Zentrum Töss sei in einem
schlechten baulichen Zustand,
ein «Schandfleck», der das Image
des ganzen Quartiers belaste.
Nach jahrelanger Blockade werde
nun langsam der Weg für einen
Verkauf der Anlage frei. Peter fordert den Stadtrat dazu auf, seinen
Einfluss geltend zu machen, damit ein Investor gefunden werde,
der neben Profit auch Quartierinteressen berücksichtigt. Mit Post,
Restaurant, Sälen, Bibliothek und
Geschäften habe das Zentrum
Töss nach wie vor eine grosse
Bedeutung fürs Quartierleben.
Martin Gmür und Michael Graf
3
ben Jahre ins Gefängnis – das ist
eine lange Zeit. Wenn er stattdessen in Brasilien unter eine Palme
am Strand liegen könnte, wäre das
die bessere Aussicht. Wenn aber
jemand in der Schweiz lebt wie
Rolf Erb, Frau und Kinder da sind,
steht die Frage im Raum, ob er
tatsächlich bereit ist, alle Brücken
abzubrechen. Zudem dürfte er
theoretisch nicht weit kommen,
wenn er mittellos ist.
Was könnte Rolf Erb juristisch
noch unternehmen?
Das Urteil steht und es ist endgültig. Der einzige Schachzug wäre
tatsächlich nur noch das Verschiebungsgesuch wegen gesundheitlicher Gründe. Ob ein Weiterzug nach Strassburg verschiebende Wirkung hätte, ist unklar.
Die Verteidiger kritisierten
unter anderem die Verfahrens­
dauer von zehn Jahren. Ist so
eine lange Dauer tatsächlich
gerechtfertigt?
Das Bundesgericht sagt hier klar
Ja. Theoretisch ist das aussergewöhnlich lange. Aber die Verteidigung kritisierte diesen Punkt
wohl nur, weil es beim Strafmass
einen «Rabatt» gibt, wenn ein
Verfahren übertrieben lange dauert. Im Fall Erb ist über all die
Jahre immer etwas gelaufen – er
lag nie inaktiv herum.
Was bedeutet das bundes­
gerichtliche Urteil für die Wirt­
schaftswelt?
Betrogen und gelogen wurde
schon immer. Früher verjährte
aber auch viel. Im Kanton Zürich
entstand 1976 eine spezielle Abteilung für Wirtschaftsdelikte, in
der auch ich tätig war. Auch beim
Obergericht gab es ab dann eine
Kammer für Wirtschaftsdelikte.
Somit konnte man den Gaunern
zeigen, dass sie verfolgt werden.
Damals wurde das Signal ausgesendet: Passt auf, es gibt Leute,
die Wirtschaftsdelikte zur Anklage bringen. Das Urteil des Bundesgerichts ist deshalb gleichzeitig ein Lob und zeigt, dass der
Kanton Zürich eine funktionierende Strafverfolgungsbehörde
hat, die in der Lage ist, komplexe
Fälle zur Anklage zu bringen und
abzuschliessen. Das hat vielleicht
präventive Wirkung.
Gemäss Bundesgericht gilt Rolf
Erb als bedürftig. Gleichzeitig
lebt er in einem Schloss, das
allerdings der Familie gehört.
Wie ist das zu erklären?
Da er das Schloss nicht besitzt,
bewohnt er es wohl, ohne Miete
zu bezahlen. Immerhin lebt er so
nicht auf Staatskosten in einer
Sozialwohnung.
Interview: Elisabetta Antonelli
September 2013: Vor dem
Zürcher Obergericht tritt Erb
mit einem neuen Verteidiger,
Staranwalt Lorenz Erni, und
einer neuen Strategie an: Er
torpediert nicht mehr das Verfahren, sondern spielt mit. Die
Verteidigung stellt ein eigenes,
entlastendes Gutachten vor.
Erb verlangt weiter einen
Freispruch, die Anklage zehn
Jahre Haft.
Januar 2014: Die Oberrichter
sprechen das Urteil. Kenner sagen voraus, dass die Verlierer
das Verdikt vor Bundesgericht
anfechten werden. So kommt
es auch. Erb deponiert, wie gerichtlich angeordnet, seinen
Pass. Sein Anwalt Lorenz Erni
beteuert, Erb hege keine Fluchtabsichten, sondern strebe seine
Rehabilitation an.
Juli 2014: Das Bundesgericht
erteilt einer Beschwerde von
Rolf Erbs Partnerin und seinen
Kindern gegen die Freigabe der
ihnen überschriebenen Vermögensteile die aufschiebende
Wirkung. Heisst: Gläubiger haben vorerst keinen Zugriff auf
das Schloss oder die Oldtimer.
15. September 2015: Das
Bundesgerichtsurteil vom
27. August 2015 wird veröffentlicht. Es bestätigt das Urteil
des Obergerichts. gu/red