Idyll Ich lag und sann, da kamen Kram

Unterrichtsmaterialien Januar 2016, „Kram-Gedanken“
Idyll
Ich lag und sann, da kamen Kram-Gedanken.
Natürlich ist es recht, den Kram im Kopf zu haben.
So hältst die Sterne du in ihren Bahnen.
Statt aus der Welt heraus zu existieren
und fremd zu sein wie dir mehr als den Tieren.
Lass deinen Kram wie Himmelskörper strahlen
und denke dir zum Abschluss Brombeerranken.
aus: Elke Erb, Meins, roughbooks 2011
Unterrichtsmaterialien Januar 2016, „Kram-Gedanken“
„Ich schreibe überhaupt dauernd von Dingen, die ich erlebt habe, die richtig leibhaft bei mir sind“,
sagt Elke Erb. Richtig leibhaft bei ihr sind auch „Kram-Gedanken“. Die Muße haben, sich seinen
Gedanken hinzugeben, sie schweifen lassen, wie ‚Himmelskörper‘ zum Strahlen zu bringen, sie und
sich, einem Luftschiff gleich, einfach einmal, fast ziellos, treiben zu lassen…Kram-Gedanken eben!
Hintergrund
„Einen solchen Ton habe ich in der deutschen Lyrik lange nicht gehört.“ [Tom Pohlmann über Erb]
Die Schriftstellerin Elke Erb wurde 1938 in Scherbach/Voreifel geboren und siedelte 1949 mit ihrer
Familie nach Halle/Saale [DDR] über. Dort studierte sie Pädagogik, Geschichte, Germanistik und
Slawistik an der Martin-Luther-Universität. In diese Zeit fielen auch ihre ersten Schreibversuche.
Zunächst verdiente Erb ihren Lebensunterhalt als Gutachterin über russische Gegenwartsliteratur,
dann durch Rezensionen. Ihre ersten Gedichte wurden 1968 publiziert, es folgten Kurzprosa sowie
Arbeiten für Kindertheater und Puppenspiel. Im Jahr 1974 erschien Erbs erste größere Übersetzung
mit Texten von Marina Zwetajewa. Seither übersetzte sie mehr als zwanzig Autoren, darunter
Alexander Block, Sergej Jessenin, Boris Pasternak, Anna Achmatowa und Olga Martynova.
Einige Veröffentlichungen sind: „Gutachten“, Poesie und Prosa, Aufbau-Verlag, Berlin, Weimar
1975, „Der Faden der Geduld“, Aufbau-Verlag, Berlin, Weimar 1978, „Kastanienallee“, Texte und
Kommentare, Aufbau-Verlag, Berlin, Weimar 1987, „Nachts, halb zwei, zu Hause“, Texte aus drei
Jahrzehnten, ausgewählt von Brigitte Struzyk, Reclam-Leipzig, Leipzig 1991, „Mensch sein, nicht“,
Gedichte und andere Tagebuchnotizen, Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein/Wien 1998, „die
crux“, Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2003, „Sonanz“ 5-Minuten-Notate, Urs Engeler
Editor, Basel/Weil am Rhein 2008, und „Messende Haut“, roughbooks, Solothurn 2015.
Erb erhielt u.a. den Peter-Huchel-Preis 1988 [für „Kastanienallee“], den Heinrich-Mann-Preis
[zusammen mit Adolf Endler] 1990, die Ehrengabe der Schillerstiftung 1993, den Ida-Dehmel-Preis
1995, den F.-C.-Weiskopf-Preis der Akademie der Künste Berlin 1999, den Hans-Erich-Nossack-Preis
2007 für ihr Gesamtwerk, den Preis der Literaturhäuser und den Erlanger Literaturpreis für Poesie als
Übersetzung 2011, den Georg-Trakl-Preis für Lyrik des Landes Salzburg 2012 und den Anke
Bennholdt-Thomsen-Preis für Lyrik der Deutschen Schillerstiftung 2015.
Erb lebt in Berlin und Wuischke/Sachsen, sie ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und
der Akademie der Künste in der Sektion Literatur. Elke Erb ist vor allem für Kurzprosa, Lyrik,
prozessuale Texte, Übersetzungen und Nachdichtungen, besonders aus dem Russischen, bekannt.
Das Potsdam Museum ist ein veranstaltungsorientiertes Stadtmuseum, dessen Geschichte bis ins
Jahr 1909 zurückreicht. Es befindet sich seit 2012 in der historischen Mitte Potsdams. Seit der
Gründung sammelt und bewahrt das Museum vielfältige Exponate zur Kultur und Geschichte der
Stadt, sie werden mittlerweile in einem eindrucksvollen Museumsbau auf 1.300m²
Ausstellungsfläche präsentiert. Heute zählen die Sammlungsbestände des Potsdam Museums über
250.000 Objekte. Wichtige Schwerpunkte bilden dabei die Bereiche Bildende Kunst, Photographie,
Militaria, Alltagskultur und Angewandte Kunst sowie Schrift und Druck. Die Ständige Ausstellung
„Potsdam. Eine Stadt macht Geschichte“ lädt zu einem Spaziergang durch über 1.000 Jahre
Potsdamer Geschichte ein. Dabei erleben die Besucher, wie sich die Stadt im Laufe der Jahrhunderte
gewandelt hat. Parallel dazu werden wechselnde Sonderausstellungen zur Stadt-, Kunst- und
Kulturgeschichte mit überregionaler Strahlkraft gezeigt.
Passend zum Thema „Kram-Gedanken“ suchte das Potsdam Museum ein besonderes Exponat aus,
das Seitenruder des Luftschiffes Schwaben aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ein Symbol für sich
Treibenlassen, langsam und gemächlich – dem „der Weg ist das Ziel“ ähnlich. Noch bevor der
Potsdamer Luftschiffhafen 1912 fertiggestellt wurde, landete auf dem Gelände bereits das erste
Luftschiff, die Schwaben. Von dem 140 Meter langen, 450 PS starken und mit einem Gasinhalt von
16.500 m³ ausgestatteten Luftschiff ist nur dieses Seitenruder erhalten geblieben – nach 224
Fahrten verbrannte es 1912 bei einem Unfall auf dem Düsseldorfer Flugfeld.
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Pressestimmen zu Elke Erb
„Die Kunst dieser Lyrikerin besteht darin, dass es ihr gelingt, Wörter zum Tanzen zu bringen. Die
direkte Konfrontation mit einem Wort genügt ihr nicht. Vielmehr umschleicht sie die Wörter, sie
betrachtet sie von verschiedenen Seiten und versucht sie zum Sprechen zu bringen.“ [Michael Opitz]
„Ihr Legato besteht darin, dass dort kein Wort vorkommt, weil das Versmaß zu erfüllen ist. Es sind
poetische Arbeiten, die dem Leser etwas Geduld abverlangen, manchmal unversehens und
unerwartet in einem selbst zu schwingen beginnen. Wenn das geschieht, wird der Leser bemerken,
dass er mit dem Gedichtband (aus anfänglichen 5-Minuten-Notaten) eines von diesen Büchern
gefunden hat, die er wieder und wieder zur Hand nehmen wird – und die man aus diesem Grund
lange bei sich (in der Bibliothek) haben möchte, weil sie von ihrem Konzept her so angelegt sind,
dass sich dort immer wieder etwas Neues, Anderes entdecken lässt.“ [Tom Pohlmann]
Elke Erb „hat in ihrem über Jahrzehnte angewachsenen Werk eine völlig eigenständige Poetik
entwickelt.“ [Begründung der Deutschen Schillerstiftung für den Anke Bennholdt-Thomsen-Preis]
„Als Lyrikerin ist sie eine Instanz, aber das will sie nicht hören.“ [Dorothea von Törne]
Die Jury würdigt mit der Preisvergabe an Elke Erb ihr übersetzerisches Gesamtwerk, das „kritisches
Urteilsvermögen“ und „poetische Gestaltungskraft“ vereint. [Begründung der Jury des Erlanger
Literaturpreises für Poesie als Übersetzung]
[Sowohl] „Rolf Dieter Brinkmann als auch Elke Erb wichen der gelebten Wirklichkeit nicht aus, sie
verstanden es, aus den vielen Ungereimtheiten, die sie im Alltag vorfanden, Texte zu machen, die
durch ihren Bildcharakter vorführten, dass die Widersprüche den Dingen (im weitesten Sinn) oft
immanent sind, sich gegenseitig bedingen, und in der Literatur nicht ausschließlich mit dialektischer
Eleganz darstellen lassen, es sei denn, man nimmt in Kauf, dass die Wahrhaftigkeit, mit der sie im
Leben vorkommen, zum Verschwinden gebracht wird.“ [Tom Pohlmann]
„Die Kunstfertigkeit dieser lyrischen Gebilde besteht darin, das im Verschwinden Begriffene, und die
sich dabei nur für einen kurzen Moment einstellenden Gedanken festzuhalten. Was so zueinander in
Beziehung tritt, wird von Elke Erb in eine lyrische, manchmal surreal anmutende und dann wieder in
eine sich auch sehr am Realen orientierende Sprache übersetzt.“ [Michael Opitz]
Analyse
„Elke Erbs Gedichte entwerfen eigene, ganz unverwechselbare poetische Räume, in den das
vermeintlich Gewöhnliche als etwas Geheimnisvolles entdeckt wird.“ [Michael Opitz]
In Elke Erbs strophenlosem Gedicht „Idyll“ reihen sich Gedanken, Kram-Gedanken, aneinander, die
entstanden, während das lyrische „Ich lag und sann“ [Vers 1]. Die sieben Verse sind teilweise durch
Interpunktion voneinander getrennt, teilweise mit Enjambements verbunden.
Auffällig ist die Wiederholung des Wortes „Kram“ in unterschiedlichen Verbindungen, jedoch immer
im Zusammenhang mit „Gedanken“. Vers 1 schließt mit der Alliteration „kamen Kram-Gedanken“,
im zweiten Vers geht es darum, „den Kram im Kopf“ haben und Vers 6 ist die Aufforderung: „Lass
deinen Kram wie Himmelskörper strahlen“. Auf die Welt außerhalb dieser Welt wird bereits im
dritten Vers verwiesen, in der Inversion „So hältst die Sterne du in ihren Bahnen.“
Die zwei Endreime „Kram-Gedanken/Brombeerranken“ [Vers 1/7] und „zu existieren/Tieren“ [Vers
4/5] bilden einerseits einen Rahmen für das Gedicht [Vers 1/7], sind innerhalb des Textes in sich
geschlossen [Vers 4/5] und fordern andererseits zum Weiterdenken auf. Denn „und denke dir zum
Abschluss Brombeerranken“ lässt den Rezipienten abrupt mit seinen Kram-Gedanken allein, nicht
wissend, ob sie sich darin nun verfangen oder überirdisch im Himmel leuchten – das Gedicht endet
mit dem Bild dieser gedachten Brombeerranken.
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Didaktische Hinweise
1. Einstieg
-
-
Schülerinnen und Schüler nennen Assoziationen, die sie mit Kram-Gedanken in
Verbindung bringen
Vorlesen des Gedichtes, durch verschiedene Schülerinnen und Schüler, auf den Rhythmus
achten und feststellen, ob es unterschiedliche Vortragsweisen bzw. Interpretationen gibt
Gedicht in Beziehung zu anderen bereits im Unterricht besprochenen Gedichten
setzen; Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten
[z. B. Enjambement, Versform, Reimschema, Aufbau allgemein]
Beschreibung des Seitenruders des Luftschiffes Schwaben
Welche Vorstellungen und Gedanken haben die Teilnehmer in Bezug auf eine Reise mit
einem Luftschiff?
2. Erarbeitung
-
formale Gedichtanalyse in Partner- oder Kleingruppenarbeit
 strophenloses Gedicht, aus sieben Versen bestehend
 Interpunktion
 Enjambements
 Wortwiederholungen:
Kram [Vers 1/2/6]
 Endreim:
Kram-Gedanken/Brombeerranken [Vers 1/7]
existieren/Tieren [Vers 4/5]
 Inversion:
„So hältst die Sterne du in ihren Bahnen.“ [Vers 3]
3. Auswertung
-
Vortragen der Ergebnisse der Partner-/Kleingruppenarbeit, diese gegenüberstellen und
miteinander vergleichen
Lassen sich die zum Einstieg herausgearbeiteten Assoziationen zum Thema in der
Erarbeitung und Analyse des Gedichtes wiederfinden? Zu welchen unterschiedlichen und
auch ähnlichen Erkenntnissen kommen die einzelnen Gruppen?
4. Handlungsorientierter Ansatz
Die Schülerinnen und Schüler nutzen die Vorstellung mit einem Luftschiff gemächlich durch die
Wolken zu segeln und das Bild der „Brombeerranken“ aus dem letzten Vers des Gedichtes. Sie
lassen ihren Kram „wie Himmelskörper strahlen“, aus ihren eigenen Gedanken verfassen sie einen
lyrischen, wenn möglich ironischen, Text. Als Inspiration dienen die Ergebnisse der Gedichtanalyse,
das Seitenruder des Luftschiffes und das Zeppelin* selbst, „Idyll“ und Elke Erbs Aussagen** im Die
Welt-Interview mit Dorothea von Törne.
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Zeppelin-Vordruckkarte der Delag, Bordstempel „AN BORD DES ZEPPELIN LUFTSCHIFFES SCHWABEN 10 NOV.1911“
© Hanseatische Briefmarkenauktionen OHG, www.hba.de/kat60/bilder/11748r.jpg
**
„Sehen Sie, in meinen Texten ist oft ein flirrender Humor, untergründige Ironie. Die Sprache ist ein
lebendiges Ding und nicht etwas, was schon festgelegt ist. Was man übrigens auch sehen kann,
wenn die Kleinlebendigen kommen, die kleinen Kinder, wenn sie die Sprache nachbilden wollen und
Vor- und Nachsilben ausprobieren.“
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Die Unterrichtsmaterialien werden im Rahmen des »lyrix«-Projektes vom Deutschen
Philologenverband erstellt und zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung gestellt.
Der Bundeswettbewerb »lyrix« ist eine gemeinsame Initiative von:
Deutschlandfunk
Deutscher Philologenverband
In Kooperation mit:
Deutscher Museumsbund
Friedrich-Böedecker-Kreis e.V.
Gefördert wird lyrix vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Weitere Informationen:
www.deutschlandradio.de/lyrix
www.facebook.com/lyrix.wettbewerb