Handelszeitung Nr. 4 2016: Computer in Beton (Beat Seger)

Special Immobilienwirtschaft
Computer in Beton
Digitalisierung Wie Entwickler, Ersteller, Betreiber und Eigentümer
von Immobilien von der digitalen Transformation gefordert werden.
D
Beat Seger
as schon länger bekannte
Building Information Modeling (BIM) wird sich etablieren. BIM ist eine Planungsmethode, welche die Erzeugung
und Verwaltung von digitalen Darstellungen der physikalischen und funktionalen
­Eigenschaften eines Bauwerks umfasst, und
zwar von der Vorplanung bis zum Rückbau.
Das Potenzial von BIM realisiert sich durch
die Zusammenarbeit aller Beteiligten auf
der zentralen Datenbank. In dieser sind
sämtliche Projektinformationen intelligent
zusammengefasst. Das Ziel von BIM ist die
integrierte, partnerschaftliche Arbeitsweise
über den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken. Voraussetzung ist, dass alle Projektbeteiligten ihren ständigen Beitrag leisten.
Im Idealfall sind sämtliche Informationen
sofort dokumentiert und bilden eine verlässliche Quelle für Entscheidungen.
Was technisch möglich ist, wird aber
noch nicht umgesetzt. Selbst bei grösseren,
auf BIM gestützten Bauvorhaben agieren
die Beteiligten nach herkömmlicher Manier.
Dadurch werden Chancen verpasst, welche
die Innovation treiben, Effizienz erhöhen,
Investitionen optimieren und Nachhaltigkeitspotenziale ausschöpfen.
Läuft die Bau- und Immobilienbranche
Gefahr, den Zug zu verpassen und Wertschöpfung an Branchenfremde zu verlieren? Neue Marktteilnehmer, die bestehende
Geschäftsmodelle in Frage stellen, haben
mit digitalen Technologien und Systemen
bereits andere Wirtschaftszweige umgekrempelt, indem sie die Mehrwerte schaffen, welche die Nutzer nachfragen.
Big Data treibt die Evolution
Die Grundlagen sind vorhanden, um
den nächsten Evolutionsschritt in der über­
bauten Welt zu vollziehen. Immobilien sind
Computer in einer Betonhülle. Eine Vielzahl
Sensoren innerhalb der Gebäude und in
­ihrer Umgebung erfassen eine Unmenge
Daten. Beispiele sind Rauchmelder, Thermostate, Lichtsensoren, Haustechniksteuerungen, Sonnenkollektoren oder Kameras.
Auch Antennen, Fernseher, Computer und
Mobilgeräte sammeln Informationen. Wer-
8
den diese Daten mit weiteren Informa­tio­
nen der Immobiliennutzer ergänzt, so kann
bereits heute ein dynamisches Bild der Liegenschaft, ihres Leistungsbeitrags und ihrer
Nutzer gezeichnet werden.
Die intelligente Interpretation von Informationen hat das Potenzial, unseren Umgang mit dem gebauten Raum grundlegend
zu verändern. Ausgangspunkt ist das Verständnis, dass der Erfolg einer Liegenschaft
davon abhängt, welchen ökonomischen,
persönlichen oder gesellschaftlichen Beitrag sie für die Anspruchsgruppen leistet.
Konventionelle Datenanalysen bilden
bereits die Grundlage für eine Vielzahl immobilienbezogener Entscheidungen. BigData-Analysen gehen den entscheidenden
Schritt weiter, unstrukturierte Daten zu
Die Grundlagen sind
vorhanden, um den nächsten
Evolutionsschritt in der
überbauten Welt zu vollziehen.
e­ iner Gesamtsicht zu kompilieren. Daraus
können versteckte Muster, Korrelationen
und andere Zusammenhänge extrahiert
werden. Die Analyse hilft, die Gegenwart zu
verstehen und die Zukunft zu steuern.
Dass im Facility Management der Energie- und Ressourcenverbrauch über die
Feinjustierung von Steuerungen optimiert
werden kann, liegt auf der Hand. Diese Informationen können mit Daten zu Flächen
und zur technischen Ausstattung, mit Bewegungsmustern des Unterhaltsdienstes,
Ortungsdaten von Besuchern, aber auch
Umsatzzahlen von Mietern oder Beiträgen
in Sozialen Medien angereichert werden.
Die Analyse dieser Datenkombination ermöglicht es, Effizienzgewinne zu realisieren
und Kosten zu reduzieren, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und den Nachhaltigkeitsaspekten besser Rechnung zu tragen.
Bereits bei der Wahl oder beim Abbau
von Standorten bilden Big-Data-Analysen
eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Je
nach unternehmerischer Zielsetzung kön­
nen makroökonomische Daten mit der Ver-
fügbarkeit von Arbeitskräften, Immobi­
lienpreisen, ÖV-Fahrplänen, Stauintensität,
Informationen aus Loyalitätsprogrammen
oder Kreditkarten, Besucherfrequenzen und
Wetterdaten kombiniert werden. Dies erhöht die Sicherheit bei Standortentscheiden
und ermöglicht es den Firmen, ihre Produkte auf die prognostizierte Nachfrage auszurichten und die Risiken zu minimieren.
Disruptives Potenzial
Big Data wird Mietmodelle beeinflussen,
indem zeit- und frequenzabhängige Komponenten berücksichtigt werden. Dies hat
Einfluss auf die Investitionsplanung, in
der Erträge, Ausgaben, Investitionen oder
Finan­zierungskonditionen in Optionen modelliert werden können. Algorithmen leiten
eine prospektive Transparenz über Risiken
und Ausfallwahrscheinlichkeiten und beeinflussen die Geschäftsentscheidungen.
Vermarktungsinformationen sind Gold wert
und helfen bei der Wahl der besten Option.
Big Data kann die Immobilienbranche
grundlegend verändern. Das schiere Volumen der Immobiliensubstanz, die allein
in der Schweiz rund 3 Billionen Franken
umfasst, und der hohe Leistungsbeitrag
­
der ­Immobilienwirtschaft an das BIP sind
­Anreiz für neue Geschäftsmodelle.
Diese Innovationen werden sich auch
im Bereich Cyber Security reflektieren. Im
­Internet der Dinge reicht es nicht, die Türe
abzuschliessen und Firewalls hochzuziehen, um die Gefahren ausser Haus zu halten. Die digitale Entwicklung erfordert Strategien und Konzepte zur Aufrechterhaltung
der Sicherheit. Die neuen Realitäten zwingen, uns Vorkehrungen zu treffen, um zu
­verhindern, dass ganze Unternehmen oder
Hochhäuser auf Knopfdruck lahmgelegt
werden. Nicht zu unterschätzen sind auch
die Herausforderungen bezüglich des
Schutzes der Privatsphäre. Entsprechende
neue gesetzliche Regelungen sind in der
Schweiz und in der EU in Bearbeitung.
Fest steht, dass Innovation keine Rücksicht darauf nimmt, wie rasch sich die Branchenakteure auf sie einstellen. Es bleibt die
Frage, welche Dienstleister sich ihr Stück
vom Wertschöpfungskuchen abschneiden.
Beat Seger, Partner, Real Estate, KPMG, Zürich.
handelszeitung | Nr. 4 | 2016
© Alle Rechte vorbehalten - Axel Springer Schweiz SE, - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.as-infopool.de/lizenzierung HANDELSZEITUNG-2016-01-28-tui- 91472b7a6e6800048073e2fe0678e15