Die Vielfalt der indonesischen Küche

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12.10.2015 13:41 Uhr
Die Vielfalt der indonesischen Küche
Der Fluch des Nasi Goreng
Von Felix Denk
Krosse Ente fürs Bebek Sambal Matah, Kokos im Rendang – um die Gewürze
für diese Gerichte wurden Kriege geführt. Die indonesische Küche hat mehr
zu bieten als nur gebratenen Reis.
In kleinen Schälchen wird Sambal gereit. Es gibt 300 Sorten. - FOTO: PHILIPP ENGELHORN/LAIF
Es gibt Momente, da beneidet Christian Adelius die Vietnamesen und Thailänder. Adelius
sitzt am Fenster seines Restaurants Tuk Tuk in der Schöneberger Großgörschenstraße. Die
Wände sind mit geflochtenem Bast verkleidet, die Bar ist einer tropischen Bambushütte
nachempfunden, Gamelan-Musik plinkert ihren sphärisch-entrückten, leicht bekifft
klingenden Melodiebogen. „Es ist so“, erklärt der 41-Jährige. „Die haben viele Gerichte,
bei denen man die Zutaten einfach frisch in den Wok gibt – und fertig.“
Ganz anders die indonesische Küche. Damit hat Christian Adelius lange Jahre Erfahrung.
So deutsch sein Name klingt, der Wirt stammt aus Indonesien. Seit 20 Jahren lebt er in
Berlin. Er kam ursprünglich nur zum Studieren, blieb dann, als er eine Anstellung als
Steuerberater fand, und machte später seine Passion fürs Essen zum Beruf. Vor drei
Jahren übernahm er das Tuk Tuk von Bekannten, die in Rente gingen. 1984 eröffnet, ist es
das dienstälteste indonesische Restaurant in Berlin – und ziemlich lange war es das
einzige.
Fünf Stunden muss das Rendang garen
„Unsere Küche ist sehr aufwendig“, erklärt Adelius, der regelmäßig die Botschafter von
Indonesien, Malaysia und Brunei bewirtet, wenn die mal kulinarisches Heimweh haben.
Im Grunde ist er aber selbst ein Botschafter: des Geschmacks seiner Heimat. Kein
einfacher Job. Das Bebek Sambal Mat Ah zum Beispiel, ein Gericht aus Bali, der Bestseller
im Tuk Tuk. Auf der kross gebratenen Ente ruht eine zitronig-duftige, säuerlich-frische
und recht scharfe Gewürzpaste. In die gehören allein sieben Kräuter. „Die müssen klein
gehackt werden – sehr klein!“, sagt er. „Das geht nicht eben mal in zehn Minuten.
Außerdem kann das nicht jeder.“ Schnitttechniken sind eine wichtige Sache. Garzeiten
eine andere. Gerichte wie das Rendang, eine Art Curry mit Kokosmilch, erfordern eine
lange Vorbereitung, müssen fünf Stunden garen. Undankbar in der Gastronomie, wo es
immer schnell gehen muss. Schließlich die Zutaten. Da ist Adelius zum Improvisieren
gezwungen. Man bekommt hier ja keinen indonesischen Sellerie, der kleiner und
aromatischer als der deutsche ist. Und die roten Zwiebeln und Auberginen aus Thailand,
mit denen sie im Tuk Tuk kochen, sind auch nicht die richtigen.
Natürlich ist der Geschmack in einer Stadt wie Berlin längst globalisiert, praktisch jede
Landesküche irgendwie repräsentiert. Ghanaisches Fufu? Kein Problem, gibt’s im
Wedding. Kabeljau aus Island? Gerade das heiße Ding in Mitte. Pisco aus Peru? Letzte
Woche hat in Neukölln eine Bar aufgemacht, die den Weinbrand zum Ceviche serviert.
Und wer noch zählt, wie viele Koreaner jeden Monat neu aufmachen, hat wohl sonst nicht
viel zu tun.
Doch so weit die Vermessung der kulinarischen Welt auch fortgeschritten sein mag,
Indonesien bleibt ein blinder Fleck. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es mit 249
Millionen Einwohnern das viertbevölkerungsreichste Land der Erde ist. Und mit seinen 17
500 Inseln, 200 Volksgruppen und der komplexen Migrations- und Kolonialgeschichte
eine unglaublich reiche wie vielseitige kulinarische Tradition hat. Immerhin wurden um
indonesische Gewürze schon Kriege geführt.
Kulinarisches Begleitprogramm zur Buchmesse
Da klingt es fast wie ein Witz, dass das wohl untypischste Gericht gleichzeitig das
bekannteste ist: Nasi Goreng. Gebratener Reis, wahlweise mit Hühnchen oder Gemüse.
Eine schnell zubereitete Wok-Speise, die in Varianten in vielen asiatischen Küchen Einzug
gehalten hat. Dessen Bekanntheit ist aber durchaus ein Problem. Es vermittelt einen
falschen Eindruck.
Leon Joskowitz hat einen ganz anderen gewonnen. „Die Küche ist ein ungeborgener
Schatz“, findet der Frankfurter Koch und Caterer, der durch Indonesien reiste, um für das
Festival „Spice it up“ zu recherchieren, das er als kulinarisches Begleitprogramm zur
Frankfurter Buchmesse veranstaltet. Mit 15 Teilnehmern und 50 Veranstaltungen wird es
das größte Treffen indonesischer Köche bisher sein. Zwei mobile Garküchen werden auf
den Straßen Frankfurts unterwegs sein. Denn auch Streetfood ist ein ganz großes Thema
in Indonesien.
Auf einem Bananenblatt gedämpfter Fisch. - FOTO:PIFOOD/ ALAMY
Die Indonesier sind essensverrückt
Joskowitz ist beeindruckt von der extremen Vielfalt der indonesischen Küche. Schon die
Sambals, die zum Essen in kleinen Schälchen gereicht werden: „Allein 300 Sorten gibt es“,
sagt er. Die Gewürzpasten reichen von mild bis scharf über fruchtig bis salzig. Bei
manchen werden frische Chilischoten mit dem Mörser zerstoßen, bei anderen die Gewürze
mit Chili und Tomate in Öl gebraten. „Gerade in der Schärfe verstecken sich unglaublich
viele Geschmacksnuancen, die man erst nach ein paar Tagen erkennt, wenn man sich ein
bisschen an sie gewöhnt hat.“
Ohnehin sind die Indonesier essensverrückt. Ihre Küche ist untrennbar mit dem
Alltagsleben verbunden. „,Es schmeckt mir gut‘“, erzählt Joskowitz, „hat eine viel
weitreichendere Bedeutung. Eher: ,Schön, dass wir hier zusammen sind‘.“
Unzählige Regionalküchen
Wie stark das Essen die Identität prägt, zeigt sich auch in der Literatur, in der die Küche
eine tragende Rolle spielt. Im Roman „Pulang (Heimkehr nach Jakarta)“ von Leila
Chudori (Weidle Verlag) etwa geht es um eine indonesische Familie, die nach Paris
emigriert und dort ein Restaurant eröffnet. Die Geschichte basiert auf einer wahren
Begebenheit. Zwar konnten die Emigranten, die vor dem Diktator Suharto flohen, gar
nicht kochen, da jedoch die Franzosen auch nicht wussten, wie indonesische Küche
schmeckt, fiel das nicht so ins Gewicht. Die Kochbuchautorin Petty Elliot, die ebenfalls
nach Frankfurt zur Buchmesse kommt, hat aus den Gerichten, die im Roman beschrieben
werden, Rezepte entwickelt.
Die Vielfalt der indonesischen Küche zu durchdringen, ist ein Großprojekt. Es mag ein
paar Gerichte geben, die jeder in Indonesien kennt, Nasi Goreng natürlich, Rendang,
Satay-Spieße und Pisang Goreng etwa, frittierte Bananen, ein beliebter Streetfood-Snack.
Doch einerseits existieren unzählige Varianten – alleine für das Rendang gibt es gut 50
gängige Zubereitungsweisen –, andererseits haben selbst die Indonesier nicht immer den
Durchblick, wer was wo genau isst.
Von den unzähligen Regionalküchen sind nur die größten landesweit bekannt. Berühmt ist
die Küche aus Sumatra, die entfernt an die indische erinnert, aber auch chinesisch,
arabisch und malaiisch beeinflusst ist. Auf Java wird eher mild gegessen, scharf dagegen
im Norden Sulawesis und die Molukken sind bekannt für ihre in Bananenblättern
gedämpften Fischgerichte. Was genau auf Borneo gegessen wird, bekommt man auf Bali
nicht mit.
In kleinen Schälchen wird Sambal gereit. Es gibt 300 Sorten. - FOTO: PHILIPP ENGELHORN/LAIF
In den Niederlanden wird die Tradition modernisiert
Auch weil viele Geheimnisse nur mündlich überliefert werden, wie das Wissen um die
Gewürze, die Basis der Küche. „Es ist ein großer Unterschied, ob man junges oder älteres
Zitronengras nimmt“, erklärt Agus Hermawan. „Altes schmeckt intensiver, man muss es
ganz anders dosieren.“ Man müsse wissen, wie ein Gericht schmeckt, um es
nachzukochen. Die festgeschriebenen Rezepte geben da nur bedingt Aufschluss.
In den Niederlanden ist Hermawan ein bekannter Mann. Ende der 90er Jahre erkochte er
einen Michelin-Stern in dem Restaurant Spanderhoeve – mit indonesischer Küche.
Damals ein weltweites Novum. Heute betreibt er drei Restaurants namens Blauw in
Amsterdam, Utrecht und Den Haag und ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Im
Spanderhoeve servierte der Autodidakt traditionelle Gerichte in westlicher Menüfolge,
kombinierte indonesische Aromen mit niederländischen Zutaten wie Muscheln oder
Lammcarré, modernisierte die Techniken, etwa indem er anders als in seiner Heimat
Sauce und Fisch separat zubereitete. Diese Experimentierfreude vermisst er in seiner
Heimat manchmal. „Mir kommt das Kochen in Indonesien sehr traditionell vor“, sagt
Hermawan. Die ehrgeizigen jungen Köche würden sich eher der westlichen Küche
zuwenden, als ihre eigene zu modernisieren.
Zur Buchmesse erscheinen auch indonesische Kochbücher
In den Niederlanden ist die indonesische Küche seit 1945, als das Land seine
Unabhängigkeit erklärte, fester Bestandteil der Kultur, da viele Indonesier damals
eingewandert sind. Entsprechend bekommt Hermawan 80 Prozent der Gewürze, die er
verwendet, aus dem lokalen Handel. Auf manches, wie Asam Kandis, eine
Tamarindensorte, oder Daun Kemangi, ein spezielles Basilikum, muss er allerdings
verzichten.
Für Leon Joskowitz ist es nur eine Frage der Zeit, bis indonesische Küche auch außerhalb
der Niederlande bekannter wird. „Das Land war lange mit sich selbst beschäftigt. Jetzt
präsentiert es sich mehr nach außen.“ Zur Buchmesse erscheinen einige Kochbücher, in
Berlin gibt es mittlerweile vier indonesische Restaurants.
Christian Adelius leistet derweil im Tuk Tuk Basisarbeit. Zum Beispiel bei der Frage, wie
heiß das Essen sein soll. In Indonesien isst man die Gerichte lauwarm oder kalt. Immer
wenn bei ihm ein neuer indonesischer Koch anfängt, muss Adelius ihn erst mal bitten,
dass er die Gerichte auch wirklich heiß servieren soll. Weil für Indonesier heiß aber
höchstens lauwarm ist, wundern sich die Gäste bisweilen über die Temperatur der
Gerichte. Das ist dann zwar ziemlich authentisch, aber was hilft das schon, wenn es keiner
erkennt? Oder besser: noch keiner.
Neue Kochbücher:
Jenny Susanti, Andreas Wemheuer: Indonesisch vegetarisch, Hädecke Verlag, 120 Seiten,
14,95 Euro.
Jenny Susanti, Andreas Wemheuer: Bali & Java Street Food: Kulinarische Reiseskizzen
mit vielen Rezepten, Hädecke Verlag, 216 Seiten, 18 Euro.