Svenja Schulze Das Hochschulzukunftsgesetz in der Praxis

Impuls
Svenja Schulze
Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen
DGB-Konferenz zum Thema "Gute Arbeit, mehr Demokratie und Mitbestimmung:
Welche Veränderungen bringt das HZG?
Impulsstatement zum Thema "Das HZG in der Praxis"
26. März 2015, Düsseldorf
Es gilt das gesprochene Wort.
(Verfügbare Redezeit: 20 - 30 Minuten)
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Schuster haben schlechte Schuhe, Zahnärztinnen und Zahnärzte haben schlechte Zähne
und Arbeitswissenschaftlerinnen und Arbeitswissenschaftler haben schlechte
Arbeitsbedingungen. Alles nur Klischees? Zu den beiden ersten Punkten will ich mir kein
Urteil anmaßen, bei letzterem bin ich mir aber ziemlich sicher, dass er leider zutrifft. Je
nach Karrierestufe sind die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und an den
Hochschulen leider alles andere als attraktiv. Das kann man einfach nur bedauern und
zum Beispiel darauf verweisen, dass eine Landesregierung alleine daran nicht viel ändern
kann, oder man kann den Rahmen der eigenen Möglichkeiten ausschöpfen und das
Thema anpacken, um eine Verbesserung zu erreichen. Genau das hat die nordrheinwestfälische Landesregierung mit dem Hochschulzukunftsgesetz getan, dass jetzt seit
1.10.2014 in Kraft ist.
Die Gründe, warum wir von der Notwendigkeit eines neuen Hochschulrechts überzeugt
waren und auch weiterhin sind, sind äußerst vielfältig. Bezogen auf den Aspekt Gute
Arbeit sind vor allem zwei zu nennen: Erstens ist es sozial geboten, solche Missstände
anzugehen und zweitens ist es für ein zukunftsfähiges Wissenschaftssystem
unumgänglich. Wir brauchen klugen Nachwuchs, der sich auch in Zukunft mit den großen
gesellschaftlichen Fragestellungen befasst und der entscheidend dazu beiträgt, dass
unsere Gesellschaft auch die künftigen Herausforderungen meistern wird.
Die Rolle der Wissenschaft wird dabei ehr zu- als abnehmen. Auf dem Weg von einer
Wissensgesellschaft hin zu einer Wissenschaftsgesellschaft machen wir aber genau das
Gegenteil von dem, was eigentlich notwendig wäre. Wir bremsen unseren
wissenschaftlichen Nachwuchs aus. Angesichts der demografischen Entwicklung in
unserem Land wird es zunehmend schwieriger werden, junge Menschen für eine Karriere
in der Wissenschaft zu begeistern. Womit das aber erst recht nicht gelingt, das sind
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endlose Ketten befristeter Verträge, viel zu kurze Vertragslaufzeiten, schlechte
Perspektiven und Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das alles
übrigens angesichts von Rekordbudgets für Wissenschaft und Forschung. Mit der
Forderung nach mehr Geld ist es alleine also nicht getan. Im Gegenteil: Die Hochschulen
haben mit dem Hochschulpakt und den Hochschulvereinbarungen in vielen Ländern
langfristige Planungssicherheit. Übrigens viel länger als andere, die öffentliche Mittel
bekommen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
das waren jetzt nur einige Stichworte dazu, warum wir dieses Thema ganz oben auf die
hochschulpolitische Agenda gesetzt haben. Im Bund haben wir das mit einer
entsprechenden Bundesratsinitiative getan, im Land mit der umfassenden Reform unseres
Hochschulrechts. Und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Technik und Verwaltung
war die Änderung des LPVG ein entscheidender Schritt für eine bessere Beteiligung.
Dabei hat die Landesregierung und dabei habe ich auch ganz persönlich erlebt, wie dick
die Bretter sind, die für substanzielle Änderungen in dieser Hinsicht zu bohren sind.
Deshalb kann ich zum Thema "HZG in der Praxis" eines schon mal ganz klar sagen: Das
bedeutet eine Menge harter Arbeit! Nicht nur auf dem Weg bis zum Landtagsbeschluss.
Auch jetzt bei der Umsetzung ist das nicht anders. Eine so umfassende Reform macht
man nicht mal eben schnell nebenbei.
Dafür sind die im Hochschulzukunftsgesetz behandelten Themen auch viel zu wichtig,
insbesondere das Thema Gute Arbeit, aber auch Themen wie Gleichstellung und
hochschulinterne Demokratie, die eng damit verbunden sind. Die Gewerkschaften haben
nicht umsonst über Jahrzehnte hart für bessere Arbeitsbedingungen und klare
Perspektiven der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestritten. Diese Errungenschaften
sind ein hohes Gut und wir sollten laufend daran arbeiten, sie zu bewahren. Baustellen
gibt es da genug. Sei es im Hinblick auf die Leih- und Zeitarbeit oder im Hinblick auf die
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Digitalisierung, die die Grenzen von Arbeit und Privatleben zunehmend verschwimmen
lässt. Ich muss die Liste in dieser Runde sicher nicht fortsetzen.
Wir verfügen zum Glück über eine hervorragende arbeitswissenschaftliche Expertise in
unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler erforschen zum Beispiel die Auswirkungen einer zunehmenden
Digitalisierung der Arbeitswelt auf den arbeitenden Menschen. Sie widmen sich komplexen
Fragestellungen, beleuchten soziale Auswirkungen und geben Handlungsempfehlungen
an Politik und Wirtschaft. Selbst wissen sie aber oftmals nicht, ob ihr Arbeitsvertrag im
nächsten Jahr noch einmal verlängert wird.
Sehr geehrte Damen und Herren,
eines will ich ganz klar sagen: Das neue Hochschulrecht wird diese Probleme in
Nordrhein-Westfalen nicht auf einen Schlag beseitigen, das kann auch niemand ernsthaft
erwarten. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im
Wissenschaftsbetrieb Nordrhein-Westfalens deutliche Verbesserungen spüren werden.
Deshalb bin ich mir auch ebenso sicher, dass die Debatte über das
Hochschulzukunftsgesetz eine ganz neue Richtung bekommen wird. Bisher lief die
Diskussion in erster Linie auf der politischen Ebene und mit den Hochschulleitungen. In
der Umsetzung des Gesetzes wird sich das verlagern und auch auf die Betroffenen selbst
ausweiten. Wir erleben das gerade beim Thema Anwesenheitspflicht mit den
Studierenden, die sich jetzt sehr viel aktiver in die Debatte einbringen als bisher. Sie
benennen Probleme, nehmen an Diskussionen teil, schildern den Beteiligten ihre Position,
starten Flyer-Aktionen und vieles mehr. Bei den Beschäftigten ist das ganz ähnlich zu
erwarten. Auch sie werden die Neuerungen des HZG in der Praxis noch erfahren, denn
viele zentrale Punkte im Gesetz berühren das Thema Gute Arbeit.
Ich möchte zunächst auf die interne Demokratie und Mitbestimmung an den Hochschulen
eingehen. Diese zu stärken, war für uns ein zentraler Punkt der Reform. Weil wir davon
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überzeugt sind, dass Mitbestimmung und Demokratie umgekehrt auch die Hochschulen
stärken. Ich bin vorsichtig bei Vergleichen mit Wirtschaftsunternehmen, denn Hochschulen
sind keine Unternehmen. Aber es sind ja auch gerade die Unternehmen, die besonders
auf gute Beschäftigungsbedingungen und Mitbestimmung setzen, gestärkt aus der Krise
hervorgegangen. Ein Mentalitätswandel beim Thema Mitbestimmung ist der erste Schritt
zu Guter Arbeit.
Deshalb ist die Beteiligung der Studierenden und Beschäftigten ein wichtiger Teil des
modernen Hochschulmanagements, das wir mit dem Hochschulzukunftsgesetz nun
einführen.
− Der Senat ist beispielsweise das demokratisch am stärksten legitimierte Organ,
daher haben wir seine Rolle deutlich gestärkt und eine Gruppenparität eingeführt,
die bis zum 1.10. dieses Jahres in den Grundordnungen umgesetzt werden muss.
− Ein neu zu schaffender Studienbeirat, der zur einen Hälfte mit Lehrenden und zur
anderen Hälfte mit Lernenden besetzt sein soll, wird künftig den Fachbereichsrat
und den Dekan in Angelegenheiten von Studium und Lehre beraten und ein
Vorschlagsrecht für Prüfungsordnungen haben.
− Mit der Mitgliederinitiative bringen wir zudem ein Element direkter Demokratie an
die Hochschulen
− und auf Ebene der Studierendenwerke haben wir eine landesweite
Personalrätekonferenz geschaffen.
− Außerdem können sich die Schwerbehindertenvertretungen des
Hochschulbereichs, ähnlich wie die Personalvertretungen auf Landesebene,
erstmals in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
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das Hochschulzukunftsgesetz beinhaltet einen deutlichen Zuwachs an Demokratie und
Mitbestimmung und stärkt die Rolle der Hochschulen als „Schulen der Demokratie“. Die
Mitglieder der Hochschulen werden wieder näher zusammenrücken. Diese
Organisationsstruktur ist auch von der Überzeugung geprägt, dass Hochschulen nun mal
keine Unternehmen sind.
Starke Hochschulen brauchen alle Mitglieder. Ein weiterer Aspekt von Demokratie,
Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit an unseren Hochschulen ist für mich deshalb auch
das Thema Gleichstellung. Ich erwähne die folgenden Zahlen immer und immer wieder
und ich werde auch nicht müde, das weiterhin zu tun. Weil sich nur dann etwas ändert,
wenn allen Beteiligten die gegenwärtige Situation an unseren Hochschulen auch ganz
deutlich bewusst ist. Rund 55 Prozent der Bachelor-Absolventen sind weiblich. Beim
Master-Abschluss sind es noch 47 Prozent, bei der Promotion 42 Prozent und bei den
Professuren nur rund 20 Prozent. [Quelle: Gender-Report 2013] Ebene für Ebene wird es
weniger. Ich halte das für nicht hinnehmbar.
Deshalb haben wir mit unserer Reform unter anderem an genau dieser Stelle angesetzt:
Mit dem Kaskadenmodell, das in den außeruniversitären Forschungsorganisationen
bereits gut eingeführt ist. Demnach muss bei den Professuren ein Frauenanteil erreicht
werden, der mindestens so hoch ist wie auf der Qualifizierungsstufe darunter. Außerdem
quotieren wir den Hochschulrat und den Verwaltungsrat der Studierendenwerke. Das
Hochschulzukunftsgesetz ist ein großer gleichstellungspolitischer Fortschritt. Es stärkt die
Frauen in den Hochschulen und somit auch die Hochschulen selbst.
Sehr geehrte Damen und Herren,
sowohl Frauen als auch Männer brauchen nicht nur faire Chancen, eine bestimmte
Position zu erreichen. Um Hochqualifizierte beiden Geschlechts für die Wissenschaft und
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Technik und Verwaltung gewinnen zu können, muss
der Arbeitsplatz auch attraktiv sein. Wenn der DGB aber in einer Umfrage zu dem
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Ergebnis gekommen ist, dass jeder Vierte den Arbeitsplatz Hochschule verlassen will,
dann kann man nicht wirklich von der Attraktivität überzeugt sein. Der Wissenschaft und
dem Hochschulsystem als Ganzes droht damit ein großes Problem, denn die Hochschulen
leben schließlich von guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie machen den Erfolg
einer Hochschule aus. Ohne sie läuft nichts. Um dauerhaft gute Leute an die Hochschulen
zu bekommen, müssen wir die Beschäftigungsbedingungen verbessern. Auf diesem Feld
eine Trendumkehr zu schaffen, ist sowohl eine politische Richtungsentscheidung als auch
eine wichtige Frage für die Zukunftsfähigkeit unserer Hochschulen.
Ein Schlüssel liegt mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz natürlich auf der
Bundesebene. Auch da hat die rot-grüne Landesregierung mit einer entsprechenden
Bundesratsinitiative ihre Hausaufgaben gemacht. Die jüngsten Diskussionen darüber
lassen auch auf eine positive Wendung hoffen. Am vergangenen Wochenende hat die
SPD-Bundestagsfraktion den Druck erhöht und angekündigt, dass bis spätestens zum 1.
Januar 2016 ein neues Gesetz auf den Weg gebracht werden soll. Und auch außerhalb
der SPD verbreitet sich mehr und mehr die Erkenntnis, dass es indiskutabel ist, dass mehr
als die Hälfte der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrem ersten Vertrag
kürzer als ein Jahr beschäftigt werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
genauso wie mir aber die bloße Forderung nach mehr Geld zu einfach ist, ist es mir auch
zu einfach, nur auf den Bund zu warten. Deshalb sind wir als Landesregierung auch an
dieser Stelle unserer Verantwortung gerecht geworden und haben mit dem
Hochschulzukunftsgesetz den Rahmenkodex "Gute Beschäftigungsbedingungen für das
Hochschulpersonal" eingeführt, der aktuell von Vertretern der Hochschulen, des
Wissenschaftsministeriums und der Landespersonalrätekonferenzen erarbeitet wird. Damit
gehen wir einen ganz neuen Weg. Wenn ich eben von harter Arbeit und dicken Brettern
gesprochen haben, dann gilt das auch für diesen Bereich. Denn wie Sie sich denken
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können, sind diese Verhandlungen nicht ganz einfach. Ich will Ihnen aber gerne kurz
beschreiben, welche Problemfelder der Rahmenkodex behandeln soll, damit deutlich wird,
was wir uns davon versprechen:
− Er soll echte Fortschritte beim Umgang mit Befristungen und Teilzeit bringen.
− Eng damit verknüpft ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
− Ein landesweiter Arbeitsmarkt der Universitäten und Fachhochschulen soll
festgeschrieben werden, sodass zum Beispiel Beschäftigte, die zwischen den
Hochschulen wechseln, ihre tariflich erworbenen Vorteile nicht verlieren sondern
mitnehmen können. Das ist wichtig, weil ja nicht das Land der Arbeitgeber ist,
sondern die Hochschulen.
− Der Rahmenkodex soll darüber hinaus auch Regelungen zu einem effektiven
Gesundheitsmanagement enthalten.
− Außerdem wollen wir verhindern, dass Lehrbeauftragte über Jahre hinweg mit
Daueraufgaben betraut werden und deshalb die Aufgaben von Lehrbeauftragten
präziser darstellen.
Es handelt sich bei diesem Rahmenkodex nicht einfach um eine weitere unverbindliche
Selbstverpflichtung. Er ist im Hochschulzukunftsgesetz gesetzlich verankert. Die
Beteiligten verpflichten sich zur verbindlichen Einhaltung bestimmter Regeln. Deshalb ist
es uns auch ganz wichtig, dass diese Regeln im Einvernehmen mit allen Beteiligten
vereinbart werden.
Dass wir mit diesem Weg richtig liegen, zeigt ein Blick in andere Bundesländer. Während
das in der hitzigen Debatte um das Hochschulzukunftsgesetz oft genannte
Hochschulfreiheitsgesetz meines Vorgängers in keinem einzigen Bundesland Nachahmer
gefunden hat, sieht das beim Thema Gute Arbeit ganz anders aus. Es ist sicher
unverdächtig, wenn ich dazu auf meinen Amtskollegen aus Hessen, Boris Rhein von der
CDU, verweise. In seiner Regierungserklärung Anfang März hat er die Einführung von
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Personalkonzepten an den hessischen Hochschulen angekündigt und gefordert:
"Daueraufgaben sollen in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen wahrgenommen
werden, […] Der Anteil kurzfristiger wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse soll
reduziert werden."
Und auch das CSU-regierte Bayern hat neue Grundsätze für die Befristung von
Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern angekündigt. Dass Verträge dort
künftig mindestens ein Jahr Laufzeit haben sollen ist zwar noch nicht der ganz große Wurf,
aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ob Schuster wirklich schlechte Schuhe haben und Zahnärztinnen und Zahnärzte wirklich
schlechte Zähne, das weiß ich nicht – und selbst wenn: daran könnte ich auch nichts
ändern. Was ich aber ändern kann, das sind die Arbeitsbedingungen von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
Technik und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen – zumindest teilweise. Wie gesagt: Das
Hochschulzukunftsgesetz wird nicht alle Probleme in dieser Hinsicht auf einen Schlag
lösen, manches lässt sich auf Länderebene alleine auch gar nicht regeln. Aber es lohnt
sich, voranzugehen. Das zeigen übrigens auch andere Themen wie das nordrheinwestfälische Engagement, den Studienerfolg stärker zu berücksichtigen und die
Abbrecherquoten zu senken. Aber jetzt bin ich gespannt auf Ihre Meinungen, Hinweise
und Anregungen zum Thema Gute Arbeit in Wissenschaft und Forschung. Ich freue mich
auf die Diskussion.
Vielen Dank!
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