Lena Räder

Brief für Teilnahme am Schreibwettbewerb“ Ich schenk dir eine Geschichte“
Schneeberg, 27.07.2015
Liebe Krokodilbande,
mir ist etwas passiert, von dem ich wünschte, ich hätte es nie gesehen. Rund um die Uhr sehe ich nun
das Bild vor mir. Ich kann mit niemandem darüber reden, ich habe Angst, dass Menschen Falsches
über mich denken. Darum schreibe ich diesen Brief an euch, in der Hoffnung, Hilfe zu erhalten.
Es war ein schöner Sommertag, die Sonne schien so sehr, dass das Wasser anfing, zu glitzern. In allen
Bäumen und Sträuchern zwitscherten die Vögel, große und kleine, dicke und dünne. Ich besuchte mit
meiner Freundin den Minizoo „Little Animals you like“ in unserer Heimatstadt. Den halben Vormittag
liefen wir schon durch den Zoo und fingen in jeder Situation an, wie verrückt zu lachen.
Als wir das Ende erreicht, alle Tiere fröhlich angeschaut hatten, taten unsere Bäuche vom ganzen
Lachen weh. Normalerweise hätten wir den restlichen Nachmittag auch noch zusammen verbracht,
aber meine Freundin musste zum Klavierunterricht. So verabschiedeten wir uns voneinander und
liefen in entgegengesetzte Richtungen davon.
Doch auf halbem Weg fiel mir ein, dass ich meine Jacke, die neue mit dem großen ADIDAS- Schriftzug,
im Zoo vergessen hatte. Das ließ ich nicht auf sich beruhen und so rannte ich mit flinken Füßen zurück
zum Minizoo. Doch wo genau hatte ich die Jacke liegen lassen? Ich lief einen langen, steinigen Weg
entlang, der nicht so gut geeignet war für meine braunen Riemchensandalen. Der Weg erstreckte sich
über mehrere hundert Meter und ich hoffte auf ein baldiges Ende.
Da tauchte wie aus dem Nichts eine große Koppel vor mir auf, von der Sonne gelblich gebleichtes Gras
säumte den massiven Zaun. Doch wo war das Tier? Nirgends war etwas zu sehen, was auch nur
Ähnlichkeit mit einem Lebewesen hat, das eine solche Koppel benötigt. Nur eine kleine lästige Fliege
summte um meine Nasenspitze. Doch nun war ich zu neugierig geworden und ich kletterte mit meinem
schmalen Körper zwischen den Zaunlatten hindurch auf die Koppel. Am Ende des eingezäunten
Gebietes sah ich einen kleinen Stall, gebaut aus dem einfachsten Holz und schon ziemlich verwittert.
Erst langsam, aber am Ende fast rennend, lief ich zu dem Stall und konnte zu meiner Freude sehen,
dass die Tür einen Spalt geöffnet war, wenn auch nur einen ganz kleinen. Vorsichtig schob ich die
quietschende Tür auf und trat ein.
Mich umgab komplette Dunkelheit, sodass ich die Hand vor meinen Augen sehen konnte. „Gruselig“,
murmelte ich nur, und merkte, wie meine Handflächen anfingen zu schwitzen. Mit der Zeit gewöhnten
sich meine Augen an die Schwärze vor ihnen und ich konnte mit viel Mühe Umrisse erkennen, was
genau, weiß ich nicht. Die Luft fühlte sich so feucht und schwül an, als wäre ich in einem Tropenhaus.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch und ich erkannte schwach die Umrisse einer Frau, einer dünnen Frau.
Da ich schon lange Zeit in dem Stall war, erkannten meine Augen immer mehr. Die Frau hielt eine kleine
Flasche in der Hand, die sie fest umklammert hielt. Ich schrie auf, da ich mich so erschreckt hatte. Nun
geschah alles sehr schnell, die Frau schnappte ihre Flasche und rannte davon. Zuerst wollte ich ihr
hinterher, aber mein Körper fühlte sich an wie festgewachsen. Ich wollte schreien, um Hilfe rufen, doch
aus meiner Kehle kam nur ein jämmerliches Krächzen. Doch da drehte sich die fliehende Frau noch
einmal um, sodass ich ihr Gesicht sehen konnte. Ich traute meinen Augen kaum. Im Gesicht der
Biologin, die schon lange im Zoo arbeitet, flackerte die pure Angst.
Und dann war sie weg und mir schnürte es die Kehle zu, als ich ein paar Sekunden später dieses Etwas
sah. Doch was war das? Ein Wesen, gebaut wie ein Kugelfisch mit Flossen. Doch das Erschreckendste
waren die drei Köpfe. Pferde-, Mäuse- und Nemoaugen schauten mich beängstigend an. Aber
irgendwas war komisch, nicht einmal ein Zucken war zu sehen. Die drei Köpfe waren gefährlich und
niedlich zugleich. An oberster Stelle sah ich den typischen Mäusekopf: spitze Nase, große Ohren und
viele Schnurrhaare. Um die Größe halbwegs zu schätzen, hielt ich meinen sieben Zentimeter langen
Zeigefinger neben das zarte Köpfchen. Dreimal musste ich den Finger anlegen, um zu wissen, dass der
Mäusekopf 21 Zentimeter lang war. Doch es gab ja auch noch zwei andere. Der Pferdekopf war ganz
normal, wie ein Pferd eben aussieht. Große, braune Schnauze, lustige Nasenlöcher und liebevolle,
blaue Augen. Auf der Stirn konnte ich eine kleine, weiße Blesse entdecken. Die Ohren standen wie bei
einem gesunden Haflinger fröhlich in die Höhe und wurden lustig von der blonden Mähne umspielt.
Der Mundbereich sowie die Nase waren schwarz bis dunkelbraun. So lang wie mein rechter Arm war
der Kopf, also rund 50 Zentimeter lang. Der dritte Kopf hing am weitesten unten, ein großäugiger
Fischkopf. Jeder kennt Nemo, den kleinen orangen Fisch mit den weißen Querstreifen über den ganzen
Kopf. Diese wurden von schwarzen, dünneren Linien gesäumt, eine Verwechslung mit einem anderen
Fisch war also ausgeschlossen. Mit der Zeit traute ich mich, über die einzelnen Köpfe zu streicheln. An
den Hälsen angekommen, spürte ich keine normale Haut, sondern Watte, solche, wie man sie in jedem
kleinen Geschäft kaufen kann. Es folgte ein besonderer Körper, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.
Der Körper des Wesens ist rund wie der eines Kugelfisches und überwiegend gelb gefärbt. Wenn man
genau hinschaut, kann man die feinen, aber sogleich auch bösartig aussehenden Stacheln erkennen,
die rund um den ganzen Körper verteilt sind. Doch nicht nur ein langweiliger Kugelfischkörper, auch
Flossen befinden sich an ihm. Eine Schwanzflosse, eine Rückenflosse und eine Flosse am Bauch.
Eingefärbt in die verschiedensten Blautöne, glitzerten die Flossen. Das Tier, wie es dort stand, konnte
einem wirklich einen Schrecken einjagen. Doch was ich vielleicht noch erwähnen sollte ist, dass sich
am Hals eine kleine, rote Wunde befand. Nach längerem Überlegen kam ich zu der Überzeugung, dass
diese wohl von dem grünen Getränk der Biologin stammen musste. Sie ist perfekt, um etwas in sie
hineinzuspitzen. Aber helfen konnte ich ihm nicht. Ich strich dem Tier noch einmal liebevoll über die
Köpfe, bevor ich vorsichtig aus dem Stall ging und leise die Tür hinter mir schloss.
Leicht verträumt lief ich den Weg zurück, obwohl mir das Wesen schon Angst eingejagt hatte. Nur mit
Mühe und Not konnte ich meine stark zitternden Hände verbergen, sodass niemand auf die Idee
kommen konnte, dass mit mir etwas nicht in Ordnung wäre. Am Ende des Weges angekommen,
erwartete mich die Biologin, welche ich zuvor im Stall getroffen hatte. Mit schnellem Schritt kam sie
auf mich zu und stellte mir stürmisch eine Frage: „Hast du es gesehen?“ Aus Angst, die Biologin könnte
mich komisch anschauen, antwortete ich nur mit einen kleinen „Nö, sollte ich etwa?“. Doch richtig
wohl fühlte ich mich bei der Sache nicht. Ich unternahm noch eine kurze Suche quer durch den
Minizoo, bis ich schließlich meine Jacke wiedergefunden hatte. Eilig lief ich aus dem Zoo hinaus,
überquerte die stark befahrene Straße und verschwand zwischen den Häusern unserer kleinen Stadt.
Kann ich euch eigentlich vertrauen? Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, aber ich
hoffe schon, dass ihr meine Beobachtungen für euch behalten könnt und nur für den internen
Gebrauch nutzt. Ich hoffe, ihr könnt mir helfen, das alles zu verstehen. Ich zähle auf euch!
Viel Glück,
eure Lena Räder, Klasse 5b